URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. Juli 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Gesundheit – Nationale Regelung, nach der Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind, verpflichtet sind, sich impfen zu lassen – Freistellung ohne Entgeltfortzahlung von Beschäftigten, die den Impfstoff ablehnen – Verordnung (EG) Nr. 726/2004 – Humanarzneimittel – Covid‑19‑Impfstoffe – Verordnung (EG) Nr. 507/2006 – Gültigkeit der bedingten Zulassungen – Verordnung (EU) 2021/953 – Verbot der Ungleichbehandlung von geimpften und nicht geimpften Personen – Unzulässigkeit“

In der Rechtssache C‑765/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale ordinario di Padova (Gericht Padua, Italien) mit Entscheidung vom 7. Dezember 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Dezember 2021, in dem Verfahren

D. M.

gegen

Azienda Ospedale-Università di Padova,

Beteiligter:

C. S.,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), der Richterin M. L. Arastey Sahún, sowie der Richter F. Biltgen, N. Wahl und J. Passer,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: D. Dittert, Referatsleiter,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 18. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von D. M., vertreten durch R. Martina, L. Minisci, A. Sinagra und A. Veneziano, Avvocati,

der Azienda Ospedale-Università di Padova, vertreten durch C. Cester, I. Gianesini, M. L. Miazzi, A. Rampazzo und C. Tomiola, Avvocati,

von C. S., vertreten durch P. Piva und F. Rossi Dal Pozzo, Avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. De Bellis und F. Urbani Neri, Avvocati dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch G. Gattinara und A. Sipos als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 4 der Verordnung (EG) Nr. 507/2006 der Kommission vom 29. März 2006 über die bedingte Zulassung von Humanarzneimitteln, die unter den Geltungsbereich der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates fallen (ABl. 2006, L 92, S. 6), der Verordnung (EU) 2021/953 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2021 über einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID‑19‑Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID‑19‑Infektion (digitales COVID-Zertifikat der EU) mit der Zielsetzung der Erleichterung der Freizügigkeit während der COVID‑19-Pandemie (ABl. 2021, L 211, S. 1) und der Art. 3, 35 und 41 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen D. M. und der Azienda Ospedale-Università di Padova (Universitätsklinikum Padua, Italien) (im Folgenden: Universitätsklinikum) wegen der Freistellung ohne Entgeltfortzahlung von D. M. als Krankenschwester im Universitätsklinikum wegen Verstoßes gegen die nationale Regelung, nach der Personen, die im Gesundheitswesen tätig sind, verpflichtet sind, sich impfen zu lassen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 507/2006

3

Art. 1 der Verordnung Nr. 507/2006 bestimmt:

„Diese Verordnung enthält die Vorschriften für die Erteilung einer mit bestimmten Auflagen verbundenen Zulassung gemäß Artikel 14 Absatz 7 der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung der Verfahren der Union für die Genehmigung und Überwachung von Humanarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1)], nachstehend ‚bedingte Zulassung‘ genannt.“

4

Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 bestimmt:

„(1)   Eine bedingte Zulassung kann erteilt werden, wenn der Ausschuss [für Humanarzneimittel] der Ansicht ist, dass alle folgenden Voraussetzungen erfüllt sind, obwohl keine umfassenden klinischen Daten über die Unbedenklichkeit und Wirksamkeit des Arzneimittels vorgelegt wurden:

a)

Das in Artikel 1 Nummer 28a der Richtlinie 2001/83/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67)] definierte Nutzen-Risiko-Verhältnis des Arzneimittels ist positiv;

b)

der Antragsteller ist voraussichtlich in der Lage, die umfassenden klinischen Daten nachzuliefern;

c)

eine medizinische Versorgungslücke kann geschlossen werden;

d)

der Nutzen für die öffentliche Gesundheit, den die sofortige Verfügbarkeit des Arzneimittels auf dem Markt mit sich bringt, überwiegt die Gefahr aufgrund noch fehlender zusätzlicher Daten.

In Krisensituationen nach Artikel 2 Nummer 2 kann eine bedingte Zulassung erteilt werden, sofern die in den Buchstaben a bis d des vorliegenden Absatzes aufgeführten Voraussetzungen erfüllt sind, selbst wenn noch keine vollständigen präklinischen oder pharmazeutischen Daten vorgelegt wurden.

(2)   Für die Zwecke von Absatz 1 Buchstabe c ist unter einer medizinischen Versorgungslücke zu verstehen, dass für eine Erkrankung kein zufrieden stellendes Mittel zur Diagnose, Vorbeugung oder Behandlung in der Gemeinschaft zugelassen ist oder, selbst wenn dies der Fall ist, das betreffende Arzneimittel einen bedeutenden therapeutischen Nutzen für die von dieser Erkrankung betroffenen Patienten mit sich bringt.“

Verordnung 2021/953

5

In den Erwägungsgründen 6, 12 bis 14 und 36 der Verordnung 2021/953 heißt es:

„(6)

Im Einklang mit dem Unionsrecht können die Mitgliedstaaten das Grundrecht auf Freizügigkeit aus Gründen der öffentlichen Gesundheit einschränken. Jegliche Beschränkungen des freien Personenverkehrs innerhalb der [Europäischen] Union, die zur Eindämmung von SARS-CoV-2 eingeführt werden, sollten auf spezifischen und begrenzten Gründen des öffentlichen Interesses beruhen, nämlich dem Schutz der öffentlichen Gesundheit, wie in der Empfehlung (EU) 2020/1475 [des Rates vom 13. Oktober 2020 für eine koordinierte Vorgehensweise bei der Beschränkung der Freizügigkeit aufgrund der COVID-19-Pandemie (ABl. 2020, L 337, S. 3)] betont wird. Solche Beschränkungen müssen im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung, angewandt werden. Daher sollten die getroffenen Maßnahmen im Einklang mit den Bemühungen, die Freizügigkeit innerhalb der Union wiederherzustellen, sowohl in ihrem Umfang als auch in ihrer Dauer strikt begrenzt sein und nicht über das hinausgehen, was zum Schutz der öffentlichen Gesundheit unbedingt erforderlich ist. …

(12)

Im Hinblick auf die erleichterte Ausübung des Rechts, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, sollte für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate, mit denen COVID‑19‑Impfungen und -Tests sowie die Genesung von einer COVID‑19‑Infektion bescheinigt werden (‚digitales COVID-Zertifikat der [Union]‘), ein gemeinsamer Rahmen geschaffen werden. …

(13)

Diese Verordnung lässt zwar die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten unberührt, im Einklang mit dem Unionsrecht Beschränkungen der Freizügigkeit zur Eindämmung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 zu verhängen, sollte jedoch dazu beitragen, die schrittweise Aufhebung solcher Beschränkungen in koordinierter [Art und Weise] zu erleichtern, wann immer dies im Einklang mit der Empfehlung (EU) 2020/1475 möglich ist. Solche Beschränkungen könnten im Einklang mit dem Vorsorgeprinzip insbesondere für geimpfte Personen in dem Maße aufgehoben werden, in dem zunehmend wissenschaftliche Erkenntnisse zu den Auswirkungen der COVID‑19‑Impfung zur Verfügung stehen, die konsistenter auf eine Unterbrechung der Übertragungskette schließen lassen.

(14)

Diese Verordnung zielt darauf ab, die Anwendung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung im Hinblick auf Beschränkungen der Freizügigkeit während der COVID-19-Pandemie zu erleichtern und zugleich ein hohes Niveau des Schutzes der öffentlichen Gesundheit zu gewährleisten. Es ist nicht so zu verstehen, als würden durch sie Beschränkungen der Freizügigkeit oder Beschränkungen anderer Grundrechte infolge der COVID-19-Pandemie erleichtert oder gefördert, zumal diese negativen Auswirkungen auf Unionsbürger und Unternehmen haben. …

(36)

Es muss verhindert werden, dass Personen, die nicht geimpft sind – sei es aufgrund einer medizinischen Indikation oder weil sie nicht der Zielgruppe angehören, für die der COVID‑19‑Impfstoff derzeit verabreicht wird oder zugelassen ist, beispielsweise Kinder, weil sie noch nicht die Möglichkeit hatten oder weil sie sich gegen eine Impfung entschieden haben – mittelbar oder unmittelbar diskriminiert werden. Deshalb sollte der Besitz eines Impfzertifikats bzw. eines Impfzertifikats, in dem ein COVID‑19‑Impfstoff angegeben ist, keine Voraussetzung für die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit sein oder für die Nutzung grenzüberschreitender Personenverkehrsträger wie Fluggesellschaften, Bahn, Fernbusse, Fähren oder sonstige Verkehrsträger sein. Außerdem kann diese Verordnung nicht so ausgelegt werden, dass sie eine Verpflichtung oder ein Recht auf Impfung begründet.“

6

Art. 1 der Verordnung 2021/953 bestimmt:

„Diese Verordnung legt einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von COVID‑19‑Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer COVID-19‑Infektion (digitales COVID-Zertifikat der [Union]) mit der Zielsetzung fest, den Inhabern die Wahrnehmung ihres Rechts auf Freizügigkeit während der COVID‑19-Pandemie zu erleichtern. Diese Verordnung trägt ferner dazu bei, die schrittweise und koordinierte Aufhebung der Beschränkungen, die im Einklang mit dem Unionsrecht durch die Mitgliedstaaten zur Begrenzung der Ausbreitung von SARS-CoV-2 verhängt wurden, zu erleichtern.

…“

7

Art. 3 der Verordnung 2021/953 bestimmt in Abs. 1:

„Der Rahmen für das digitale COVID-Zertifikat der EU ermöglicht die Ausstellung, grenzüberschreitende Überprüfung und Anerkennung folgender Zertifikate:

a)

ein Zertifikat, mit dem bescheinigt wird, dass der Inhaber in dem das Zertifikat ausstellenden Mitgliedstaat eine COVID-19‑Impfung erhalten hat (Impfzertifikat);

c)

ein Zertifikat, aus dem hervorgeht, dass der Inhaber nach einem positiven Ergebnis eines [molekularen Nukleinsäure-Amplifikationstests], der von Fachkräften im Gesundheitswesen oder von geschultem Testpersonal durchgeführt wurde, von einer SARS-CoV-2‑Infektion genesen ist (Genesungszertifikat).

…“

8

Art. 5 der Verordnung 2021/953 bestimmt:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat stellt Personen, denen ein COVID-19‑Impfstoff verabreicht wurde, entweder automatisch oder auf Antrag dieser Personen Impfzertifikate nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe a aus. Die betreffenden Personen werden über ihr Recht auf Ausstellung eines Impfzertifikats unterrichtet.

…“

9

Art. 7 der Verordnung 2021/953 bestimmt:

„(1)   Jeder Mitgliedstaat stellt auf Antrag die Genesungszertifikate nach Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c aus.

…“

Italienisches Recht

10

Art. 4 des Decreto-legge n. 44 – Misure urgenti per il contenimento dell’epidemia da COVID-19, in materia di vaccinazioni anti SARS-CoV-2, di giustizia e di concorsi pubblici (Gesetzesdekret Nr. 44 mit Notmaßnahmen zur Eindämmung der Covid‑19-Epidemie in den Bereichen SARS-CoV‑2‑Impfungen, Justiz und öffentliche Ausschreibungen) vom 1. April 2021 (GURI Nr. 79 vom 1. April 2021, S. 1), umgewandelt durch das Gesetz Nr. 76 vom 28. Mai 2021 (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 44/2021) bestimmt in Abs. 1:

„In Anbetracht der durch das SARS-CoV-2 bedingten epidemischen Notlage sind die Fachkräfte im Gesundheitswesen und die Bediensteten des öffentlichen Gesundheitsdienstes …, die in öffentlichen und privaten Behandlungs- und Pflegeeinrichtungen, Apotheken, Drogerien und Praxen tätig sind, zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und zur Aufrechterhaltung angemessener Sicherheitsbedingungen bei der Erbringung von Heilbehandlungs‑, Betreuungs‑ und Pflegeleistungen bis zur vollständigen Durchführung des Plans gemäß Art. 1 Abs. 457 des Gesetzes Nr. 178 vom 30. Dezember 2020, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2021 verpflichtet, sich kostenlos gegen SARS-CoV-2 impfen zu lassen. Die Impfung ist eine Voraussetzung für die Berufsausübung und die Erbringung der beruflichen Leistungen durch die Personen, für die die Impfpflicht gilt. …“

11

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 2: „Die Impfung gemäß Abs. 1 ist nur im Fall einer nachweislich aufgrund konkreter, von einem Hausarzt bescheinigter Krankheiten bestehenden Gefahr für die Gesundheit nicht verpflichtend und kann unterlassen oder aufgeschoben werden.“

12

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 6:

„Nach Ablauf der Frist für die Vorlage des Nachweises für die Erfüllung der Impfpflicht stellt die zuständige lokale Gesundheitsbehörde fest, dass der Betreffende seiner Impfpflicht nicht nachgekommen ist, und teilt ihm, seinem Arbeitgeber und der berufsständischen Körperschaft, der er angehört, sofort schriftlich die ergänzenden Informationen mit, die sie gegebenenfalls von den zuständigen Behörden erhalten hat. Der Erlass des feststellenden Verwaltungsakts durch die lokale Gesundheitsbehörde bewirkt, dass das Recht, Leistungen zu erbringen oder Aufgaben zu erfüllen, bei denen es zu Kontakten zwischen Personen kommt oder bei denen in einer anderen Form eine Gefahr der Verbreitung des SARS-CoV-2 besteht, ausgesetzt wird.“

13

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 7: „Die Aussetzung gemäß Abs. 6 wird dem Betreffenden durch die berufsständische Körperschaft, der er angehört, sofort mitgeteilt.“

14

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 8:

„Sobald ihm die Mitteilung gemäß Abs. 6 zugegangen ist, teilt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer, soweit möglich, andere Aufgaben als die oben in Abs. 6 genannten zu, bei denen jedenfalls keine Gefahr der Verbreitung des Virus besteht; es kann sich dabei auch um niedriger zu bewertende Tätigkeiten handeln, und der Arbeitgeber erhält die Vergütung, die den ausgeübten Tätigkeiten entspricht. Ist es nicht möglich, den Arbeitnehmer mit anderen Aufgaben zu betrauen, besteht während der [Freistellung] kein Anspruch auf eine Vergütung oder eine wie auch immer bezeichnete andere Gegenleistung.“

15

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 10: „Der Arbeitgeber weist den in Abs. 2 genannten Personen während der Zeit, in der die Impfung gemäß Abs. 1 unterlassen oder aufgeschoben wird, längstens jedoch bis zum 31. Dezember 2021 ohne Herabsetzung der Vergütung Aufgaben zu, bei denen keine Verbreitung des SARS-CoV-2 zu befürchten ist; es kann sich dabei auch um andersartige Tätigkeiten handeln.“

16

Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 bestimmt in Abs. 11:

„Um die Ansteckungsgefahr bei der Ausübung freiberuflicher Tätigkeiten zu beschränken, ergreifen die in Abs. 2 genannten Personen in dem in Abs. 10 genannten Zeitraum die Schutz- und Hygienemaßnahmen, die in dem speziellen Sicherheitsprotokoll genannt sind, das vom Gesundheitsminister in Abstimmung mit dem Justizminister und dem Minister für Arbeit und Sozialpolitik innerhalb von 20 Tagen nach dem Inkrafttreten des vorliegenden Dekrets durch Dekret erlassen wird.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

17

D. M. ist seit dem 1. Januar 2017 beim Universitätsklinikum in der Abteilung Neurochirurgie als Krankenschwester beschäftigt.

18

Das Universitätsklinikum teilte ihr am 16. September 2021 mit, dass sie, da sie ihrer Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 nicht nachgekommen sei und es nicht möglich sei, sie mit anderen Aufgaben zu betrauen, bei denen die Gefahr einer Verbreitung des Virus nicht bestehe, mit sofortiger Wirkung ohne Entgeltfortzahlung freigestellt sei. Die Freistellung sollte mit der Erfüllung der Impfpflicht bzw. der vollständigen Durchführung des Impfplans enden, konnte aber längstens bis zum 31. Dezember 2021 dauern. Diese Frist wurde jedoch mehrfach verlängert.

19

D. M. reichte beim vorlegenden Gericht am 14. Oktober 2021 einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz ein, mit dem sie die Weiterbeschäftigung in ihrer Abteilung im Universitätsklinikum begehrt. Sie macht zum einen geltend, dass Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 in mehrerer Hinsicht gegen die italienische Verfassung und das Unionsrecht verstoße, und zum anderen, dass sie von einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 genesen sei und daher eine natürliche Immunität erworben habe.

20

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass es sich bei den Zulassungen, die für die Covid‑19‑Impfstoffe erteilt worden seien, um bedingte Zulassungen im Sinne der Verordnung Nr. 507/2006 handele. In Anbetracht der Fortschritte, die jüngst auf dem Gebiet der Behandlung erzielt worden seien, und der neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der verfügbaren Arzneimittel, sei es nicht abwegig, sich zu fragen, ob diese von der Europäischen Kommission nach Stellungnahme der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erteilten Zulassungen nach Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 überhaupt noch gültig seien, insbesondere im Hinblick auf die in Rede stehenden Grundrechte, nämlich die körperliche Unversehrtheit und die Gesundheit, die insbesondere durch die Art. 3 und 35 der Charta geschützt seien.

21

Die Parteien des Ausgangsverfahrens hätten sich zwar nicht auf die Verordnung 2021/953 berufen. Diese Verordnung sei aber für die Entscheidung des Rechtsstreits relevant. In der Verordnung heiße es insbesondere, dass „[Beschränkungen des freien Personenverkehrs] … im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung, angewandt werden [müssen].“ Insoweit sei insbesondere problematisch, dass es Art. 4 Abs. 11 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 allein den Fachkräften im Gesundheitswesen, die von der Impfpflicht befreit seien, erlaube, ihren Beruf unter Einhaltung der Sicherheitsregeln weiter auszuüben, ohne geimpft zu sein, während im Gesundheitswesen tätige Personen, die nicht unter diese Bestimmung fielen, auch wenn sie bereit seien, sich strikt an diese Sicherheitsregeln zu halten, ihren Beruf nicht mehr ausüben könnten, und zwar weder angestellt noch freiberuflich.

22

Weiter möchte das vorlegende Gericht im Hinblick auf die durch das Urteil vom 14. November 2018, Memoria und Dall’Antonia (C‑342/17, EU:C:2018:906), begründete Rechtsprechung des Gerichtshofs wissen, ob die Impfpflicht, wenn der Aufnahmemitgliedstaat ihr auch Fachkräfte im Gesundheitswesen eines anderen Mitgliedstaats der Union unterwerfen wolle, die sich aus beruflichen Gründen im Aufnahmemitgliedstaat befänden, mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sei, auf den in der Verordnung 2021/953 ausdrücklich hingewiesen werde.

23

Das Tribunale ordinario di Padova (Gericht Padua, Italien) hat daher beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Können die auf der Grundlage der befürwortenden Stellungnahme der EMA erteilten bedingten Zulassungen der Kommission für derzeit auf dem Markt verfügbare Impfstoffe – auch im Licht der Art. 3 und 35 der Charta – noch als gültig im Sinne von Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 angesehen werden, wenn man berücksichtigt, dass in mehreren Mitgliedstaaten (z. B. in Italien Zulassung des Protokolls für die Behandlung mit monoklonalen Antikörpern und/oder Virostatika durch die AIFA [Italienische Arzneimittelbehörde]) wirksame alternative Behandlungen für SARS-CoV-2 zugelassen worden sind, die weniger gefährlich für die Gesundheit des Einzelnen sein sollen?

2.

Können bei den im Gesundheitswesen tätigen Personen, für die nach dem Recht des Mitgliedstaats eine Pflichtimpfung vorgeschrieben ist, die von der Kommission im Sinne und für die Zwecke der Verordnung Nr. 507/2006 bedingt zugelassenen Impfstoffe auch dann für die Pflichtimpfung verwendet werden, wenn die betreffenden Beschäftigten bereits infiziert waren und somit bereits eine natürliche Immunität erlangt haben und daher eine Ausnahme von der Verpflichtung beantragen können?

3.

Können bei den im Gesundheitswesen tätigen Personen, für die nach dem Recht des Mitgliedstaats eine Pflichtimpfung vorgeschrieben ist, die von der Kommission im Sinne und für die Zwecke der Verordnung Nr. 507/2006 bedingt zugelassenen Impfstoffe auch dann für die Pflichtimpfung verwendet werden, wenn keinerlei Verfahren im Hinblick auf den Schutz der Betroffenen vorgesehen ist, oder können diese Beschäftigten angesichts der nur bedingten Zulassung die Impfung ablehnen, zumindest solange die zuständige Gesundheitsbehörde konkret und mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen hat, dass erstens keine entsprechenden Gegenanzeigen bestehen und zweitens der Nutzen der Impfung größer ist als der Nutzen anderer heute verfügbarer Arzneimittel? Müssen die zuständigen Gesundheitsbehörden in diesem Fall im Einklang mit Art. 41 der Charta von Nizza vorgehen?

4.

Kann im Fall eines von der Kommission bedingt zugelassenen Impfstoffs die Tatsache, dass sich im Gesundheitswesen tätige Personen, die nach dem Recht des Staates einer Impfpflicht unterliegen, nicht impfen lassen, automatisch zu einer Freistellung ohne Entgeltfortzahlung führen, oder müssen gemäß dem fundamentalen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit abgestufte Sanktionen vorgesehen werden?

5.

Muss, soweit das nationale Recht Formen der „dépeçage“ zulässt, die Möglichkeit einer anderweitigen Verwendung des Arbeitnehmers im Sinne und für die Zwecke von Art. 41 der Charta kontradiktorisch geprüft werden, mit der Folge, dass ein Anspruch auf Entschädigung besteht, wenn diese Prüfung nicht vorgenommen wurde?

6.

Ist eine nationale Regelung wie die von Art. 4 Abs. 11 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021, nach der im Gesundheitswesen tätige Personen, die von der Impfpflicht befreit sind, ihre Tätigkeiten mit Patientenkontakt, wenn auch unter Einhaltung der nach den geltenden Rechtsvorschriften vorgeschriebenen Sicherheitsvorkehrungen, weiter ausüben können, während im Gesundheitswesen tätige Personen, die sich wie die Klägerin – weil sie infolge einer Ansteckung mit dem Virus eine Immunität erworben hat – nicht ohne gründliche ärztliche Untersuchungen impfen lassen wollen, vorläufig automatisch ohne Vergütung von jeder beruflichen Tätigkeit ausgeschlossen werden, in Anbetracht der Verordnung 2021/953, die jede Diskriminierung zwischen Personen, die geimpft wurden, und solchen, die aus medizinischen Gründen nicht geimpft werden wollten oder konnten, verbietet, zulässig?

7.

Ist die Regelung eines Mitgliedstaats, die eine Impfung mit dem – von der Kommission bedingt zugelassenen – Covid-19‑Impfstoff für alle im Gesundheitswesen tätigen Personen zwingend vorschreibt, auch wenn sie aus einem anderen Mitgliedstaat kommen und sich in Italien aufhalten, um die Dienstleistungsfreiheit und die Niederlassungsfreiheit auszuüben, mit der Verordnung 2021/953 und den darin festgelegten Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung vereinbar?

Verfahren vor dem Gerichtshof

24

Das vorlegende Gericht hat am 13. Dezember 2021 beantragt, die vorliegende Vorlage zur Vorabentscheidung gemäß Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass D. M. bis zum Abschluss des Vorabentscheidungsverfahrens freigestellt bleibe und keine Vergütung erhalte, so dass sie über keinerlei Mittel verfüge, um ihren Unterhalt zu bestreiten.

25

Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

26

Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll (Urteil vom 16. Juni 2022, Port de Bruxelles und Région de Bruxelles-Capitale, C‑229/21, EU:C:2022:471, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs am 1. Februar 2022 nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts entschieden, dem oben in Rn. 24 genannten Antrag nicht stattzugeben.

28

Das vorlegende Gericht hat nämlich nicht alle Angaben gemacht, die für die Beurteilung der Frage erforderlich sind, inwiefern die Freistellung von D. M. deren Unterhalt gefährdet. Es hat auch nicht dargelegt, warum die Anwendung des beschleunigten Verfahrens es in der vorliegenden Rechtssache ermöglichen würde, eine solche Gefährdung zu verhindern, insbesondere im Hinblick auf die im Prinzip unbegrenzte Dauer der Freistellung. Anhand der vom vorlegenden Gericht gemachten Angaben lässt sich daher nicht feststellen, dass eine außerordentliche Dringlichkeitssituation vorläge, die es rechtfertigen würde, die Rechtssache dem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen.

Zur Zulässigkeit der Vorlagefragen

Zu Frage 1

29

Mit Frage 1 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die bedingten Zulassungen, die für die zum Zeitpunkt der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens verfügbaren Impfstoffe erteilt wurden, die dazu bestimmt sind, die Infektion mit Covid-19 und die Verbreitung und schwere Verläufe dieser Krankheit zu verhindern, nach Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 im Licht der Art. 3 und 35 der Charta gültig sind, weil zu dem genannten Zeitpunkt in mehreren Mitgliedstaaten bereits wirksame alternative Behandlungen gegen Covid-19 zugelassen gewesen seien, die weniger gefährlich für die Gesundheit seien.

30

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs macht es im Rahmen der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten die Notwendigkeit, zu einer dem nationalen Gericht dienlichen Auslegung bzw. Beurteilung der Gültigkeit des Unionsrechts zu gelangen, erforderlich, dass dieses Gericht die Anforderungen an den Inhalt eines Vorabentscheidungsersuchens, die in Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, von dem das vorlegende Gericht Kenntnis haben sollte, ausdrücklich aufgeführt sind, sorgfältig beachtet. Auf diese Anforderungen wird im Übrigen in den Empfehlungen des Gerichtshofs an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2019, C 380, S. 1) hingewiesen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 68 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

So ist es nach Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung unerlässlich, dass die Vorlageentscheidung eine Darstellung der Gründe enthält, aus denen das vorlegende Gericht Zweifel bezüglich der Auslegung oder der Gültigkeit bestimmter Vorschriften des Unionsrechts hat, und den Zusammenhang angibt, den es zwischen diesen Vorschriften und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht herstellt (Urteil vom 6. Oktober 2021, Consorzio Italian Management und Catania Multiservizi, C‑561/19, EU:C:2021:799, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht im Ausgangsverfahren nach seinen eigenen Angaben über die Rechtmäßigkeit der Entscheidung des Universitätsklinikums, D. M. wegen der Weigerung, der in Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 vorgesehenen Verpflichtung zur Impfung gegen Covid-19 nachzukommen, ohne Entgeltfortzahlung freizustellen, zu befinden.

33

Als Erstes ist aber, selbst unterstellt, die „Fortschritte, die jüngst auf dem Gebiet der Behandlung erzielt worden sind“ und die „neuen Entwicklungen auf dem Gebiet der verfügbaren Arzneimittel“, von denen in der Vorlageentscheidung die Rede ist, wären geeignet, die Gültigkeit der bedingten Zulassungen in Frage zu stellen, die für die Impfstoffe erteilt wurden, die dazu bestimmt sind, die Infektion mit Covid‑19 und die Verbreitung und schwere Verläufe dieser Krankheit zu verhindern, festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht angegeben hat, um welche Zulassungen es sich genau handeln soll, noch im Hinblick auf die Gültigkeitsvoraussetzungen gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006, gegebenenfalls im Licht der Art. 3 und 35 der Charta, auf den Inhalt der betreffenden Zulassungen eingegangen ist.

34

Das vorlegende Gericht hat lediglich seine allgemeine Einschätzung geäußert, dass in Anbetracht der in der vorstehenden Randnummer angesprochenen Entwicklungen Zweifel an der Gültigkeit der bedingten Zulassungen nicht „abwegig“ seien. Es hat aber in keiner Weise erläutert, worin diese Zweifel konkret bestehen sollen. Der Gerichtshof vermag anhand der Vorlageentscheidung daher nicht zu erkennen, um welche Zulassungen es genau geht und welche Inhalte der Zulassungen genau Anlass für Zweifel an deren Gültigkeit geben. Er vermag deshalb auch nicht zu erkennen, inwieweit die Zulassungen im Hinblick auf die Anforderungen von Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 oder der Art. 3 und 35 der Charta nicht mehr gültig sein könnten, wie das vorlegende Gericht meint. Das vorlegende Gericht hat in der Vorlageentscheidung im Übrigen auch nicht erläutert, inwieweit in diesem Zusammenhang diese beiden letztgenannten Bestimmungen relevant sein sollen.

35

Als Zweites ist weder aus der Vorlageentscheidung noch aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten ersichtlich, wie sich ein Anzweifeln der Gültigkeit der bedingten Zulassungen auf den Ausgang des Ausgangsrechtsstreits auswirken könnte. Dieser dürfte nämlich nicht von der Gültigkeit der bedingten Zulassungen abhängen, sondern von der – von D. M. angezweifelten – Rechtmäßigkeit der Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 und der Sanktionen, die nach dieser Bestimmung im Fall eines Verstoßes gegen die Impfpflicht drohen.

36

Die Erteilung der bedingten Zulassungen ist zwar Voraussetzung des Rechts der Inhaber der Zulassungen, die betreffenden Impfstoffe in den einzelnen Mitgliedstaaten in den Verkehr zu bringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. März 2023, Kommission u. a./Pharmaceutical Works Polpharma, C‑438/21 P bis C‑440/21 P, EU:C:2023:213, Rn. 81), begründet für deren potenziellen Empfänger jedoch als solche nicht die Pflicht, sich damit impfen zu lassen, zumal im Vorlagebeschluss nicht auf die Frage eingegangen wird, ob die Personen, für die die Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 galt, verpflichtet waren, sich nur mit den Impfstoffen impfen zu lassen, für die die genannten bedingten Zulassungen erteilt wurden.

37

Da das vorlegende Gericht nicht dargelegt hat, warum es Zweifel an der Gültigkeit der bedingten Zulassungen hat und welcher Zusammenhang zwischen der Gültigkeit dieser Zulassungen und der in Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 vorgesehenen Verpflichtung zur Impfung gegen Covid-19 bestehen könnte, ist demnach festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen den oben in Rn. 31 dargestellten Anforderungen, was die Frage 1 angeht, nicht genügt.

38

Die Frage 1 ist daher unzulässig.

Zu den Fragen 2 bis 5

39

Es bietet sich an, die Fragen 2 bis 5 zusammen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte damit im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 507/2006 dahin auszulegen ist, dass sie dem entgegensteht, dass für die Impfung gegen Covid‑19, die eine nationale Regelung für die Fachkräfte im Gesundheitswesen vorschreibt, Impfstoffe verwendet werden können, für die eine bedingte Zulassung gemäß Art. 4 dieser Verordnung erteilt worden ist, und zwar auch in Fällen, in denen die betreffenden Fachkräfte gegen das Virus, das Covid-19 auslöst, immun sind und die Gesundheitsbehörde nicht konkret nachgewiesen hat, dass es gegen die Impfung keine Kontraindikation gibt. Weiter möchte das vorlegende Gericht wissen, ob es – gegebenenfalls im Hinblick auf Art. 41 der Charta – zulässig ist, dass die gegen die Fachkräfte im Gesundheitswesen im Fall der Nichtbeachtung der Impfpflicht verhängte Sanktion nicht in abgestuften Sanktionsmaßnahmen besteht, die nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz des kontradiktorischen Verfahrens angewandt werden, sondern in der Freistellung ohne Entgeltfortzahlung.

40

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass Art. 168 Abs. 7 AEUV zulasten der Mitgliedstaaten keine Anforderungen an die verpflichtende Impfung bestimmter Arten von Personen festlegt. Nach Art. 168 Abs. 7 AEUV lässt das Unionsrecht die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten für den Erlass von Vorschriften zur Festlegung ihrer Gesundheitspolitik unberührt. Die Mitgliedstaaten müssen bei der Ausübung dieser Befugnis jedoch das Unionsrecht beachten (vgl. entsprechend Urteil vom 28. April 2022, Gerencia Regional de Salud de Castilla y León, C‑86/21, EU:C:2022:310, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung, und Beschluss vom 17. Juli 2014, Široká, C‑459/13, EU:C:2014:2120, Rn. 19).

41

Die Fragen 2 bis 5 beruhen aber ganz offensichtlich auf der Annahme, dass die Verordnung Nr. 507/2006 bzw. die bedingten Zulassungen, die auf ihrer Grundlage erteilt wurden, die Voraussetzungen für die Auferlegung einer Impfpflicht wie der gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 durch das innerstaatliche Recht, wenn dabei nach innerstaatlichem Recht Impfstoffe verwendet werden, für die eine solche bedingte Zulassung erteilt worden ist, und die Folgen der Nichtbeachtung der Impfpflicht nach innerstaatlichem Recht, einschließlich des entsprechenden Verfahrens, zu regeln vermögen.

42

Wie bereits ausgeführt (siehe oben, Rn. 36), bewirkt die Erteilung solcher bedingten Zulassungen aber nicht, dass die potenziellen Empfänger der betreffenden Impfstoffe verpflichtet wären, sich mit diesen impfen zu lassen. Abgesehen davon erläutert das vorlegende Gericht in der Vorlageentscheidung nicht, inwieweit zwischen dem Inhalt oder dem Zweck der gemäß Art. 4 der Verordnung Nr. 507/2006 erteilten bedingten Zulassungen und der Ausgestaltung der in den Fragen 2 bis 5 angesprochenen Voraussetzungen und Modalitäten der Impfpflicht, wie sie im Ausgangsverfahren anwendbar sind, im innerstaatlichen Recht der von ihm hergestellte Zusammenhang bestehen soll.

43

Was den in den Fragen 3 und 5 angesprochenen Art. 41 der Charta angeht, in dem das Recht auf eine gute Verwaltung verbürgt ist, ist festzustellen, dass diese Vorschrift nicht für die Mitgliedstaaten, sondern ausschließlich für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union gilt und damit für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits nicht relevant ist. Sie stellt allerdings eine Ausprägung eines allgemeinen Grundsatzes des Unionsrechts dar, den die Mitgliedstaaten bei der Durchführung des Unionsrechts zu beachten haben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. Februar 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld [Verjährungsfrist], C‑219/20, EU:C:2022:89, Rn. 36 und 37).

44

Im vorliegenden Fall hat das vorlegende Gericht nicht dargetan, inwieweit der entsprechende allgemeine Grundsatz des Unionsrechts einen Bezug zu der Durchführung der Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 aufwiese. Es hat nicht dargetan, dass diese Vorschrift eine Durchführung des Unionsrechts darstellen würde.

45

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen genügt mithin, was die Fragen 2 bis 5 angeht, nicht den Anforderungen gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung (siehe oben, Rn. 31).

46

Die Fragen 2 bis 5 sind daher unzulässig.

Zu den Fragen 6 und 7

47

Es bietet sich an, die Fragen 6 und 7 zusammen zu prüfen. Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen wissen, ob die Verordnung 2021/953 in Verbindung mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung dahin auszulegen ist, dass sie einer auch auf Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in Italien eine berufliche Tätigkeit ausüben, Anwendung findenden nationalen Regelung entgegensteht, nach der Fachkräfte im Gesundheitswesen verpflichtet sind, sich gegen Covid-19 impfen zu lassen, bestimmte Fachkräfte, die aus gesundheitlichen Gründen von der Impfpflicht befreit sind, ihre Tätigkeiten aber, sofern sie die in der Regelung vorgesehenen Vorsichtsmaßnahmen beachten, weiter ausüben dürfen, während andere Fachkräfte, die sich nicht impfen lassen wollen, diese Möglichkeit nicht haben.

48

Zunächst ist festzustellen, dass weder in den Vorlagefragen noch in der Vorlageentscheidung die Vorschriften der Verordnung 2021/953 bezeichnet werden, um deren Auslegung ersucht wird. Es ist dort nämlich lediglich die Rede von den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung, „die [diese Verordnung] vorsieht“, und vom sechsten Erwägungsgrund der Verordnung, in dem es heiße, dass „[Beschränkungen des freien Personenverkehrs] … im Einklang mit den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts, insbesondere dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und dem Grundsatz der Nichtdiskriminierung, angewandt werden [müssen]“.

49

In den Erwägungsgründen werden die mit der betreffenden Verordnung verfolgten Ziele erläutert. Die Erwägungsgründe sind damit zwar integraler Bestandteil der betreffenden Verordnung, als solche aber nicht verbindlich (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Februar 2022, Glavna direktsia Pozharna bezopasnost i zashtita na naselenieto, C‑262/20, EU:C:2022:117, Rn. 34). Der Verweis auf den sechsten Erwägungsgrund der Verordnung 2021/953 genügt daher für sich genommen nicht, um aufzuzeigen, welcher Zusammenhang zwischen der Verordnung und dem auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren nationalen Recht besteht.

50

Zu den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung, auf die sich das vorlegende Gericht bezieht, ist festzustellen, dass sich aus den Erwägungsgründen 12 bis 14 und Art. 1 der Verordnung 2021/953 ergibt, dass diese diese Grundsätze anwenden will, um den Inhabern die Wahrnehmung ihres Rechts auf Freizügigkeit zu erleichtern, indem sie einen Rahmen für die Ausstellung, Überprüfung und Anerkennung interoperabler Zertifikate zur Bescheinigung von Covid-19‑Impfungen und -Tests sowie der Genesung von einer Covid-19‑Infektion festlegt.

51

Demnach zielt die Verordnung 2021/953 mit der Anwendung dieser Grundsätze insbesondere nicht darauf ab, Kriterien für die Rechtmäßigkeit der von den Mitgliedstaaten im Gesundheitsbereich zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie getroffenen Maßnahmen, die – wie die Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021, um die es im Auswahlverfahren geht – geeignet sind, die Freizügigkeit zu beschränken, festzulegen, noch den Erlass solcher Maßnahmen zu erleichtern oder zu fördern. Im 36. Erwägungsgrund der Verordnung 2021/953 heißt es nämlich, dass die Verordnung „nicht so ausgelegt werden [kann], dass sie eine Verpflichtung oder ein Recht auf Impfung begründet“.

52

Anhand der in der Vorlageentscheidung enthaltenen Angaben – im Übrigen auch nicht anhand des sonstigen Inhalts der dem Gerichtshof vorliegenden Akten – lassen sich daher die Vorschriften der Verordnung 2021/953 in Verbindung mit den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Nichtdiskriminierung, um deren Auslegung ersucht wird und deren Auslegung für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erforderlich sein soll, nicht genau bestimmen.

53

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen genügt mithin, was die Fragen 6 und 7 angeht, nicht den Anforderungen gemäß Art. 94 Buchst. c der Verfahrensordnung (siehe oben, Rn. 31).

54

Abgesehen davon muss zwischen dem Ausgangsrechtsstreit und den Bestimmungen des Unionsrechts, um deren Auslegung ersucht wird, ein Bezug bestehen, so dass die betreffende Auslegung einem objektiven Erfordernis für die Entscheidung entspricht, die das nationale Gericht zu treffen hat (Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny, C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 48).

55

Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits ist jedoch der mit der Rechtswidrigkeit der Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 begründete Antrag von D. M. auf Weiterbeschäftigung in der Abteilung Neurochirurgie des Universitätsklinikums. Der Ausgangsrechtsstreit weist somit keinen Bezug zur Anwendung der Vorschriften der Verordnung 2021/953 auf. Dies gilt insbesondere für Art. 5 Abs. 1 der Verordnung, wonach geimpfte Personen ein Recht auf Ausstellung eines Impfzertifikats haben, oder Art. 7 Abs. 1 der Verordnung, wonach Personen, die von einer Infektion mit dem SARS-CoV-2 genesen sind, ein Recht auf Ausstellung eines Genesungszertifikats haben.

56

Zu dem vom vorlegenden Gericht angesprochenen Fall, dass die Impfpflicht gemäß Art. 4 des Gesetzesdekrets Nr. 44/2021 auch Personen treffen kann, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht haben, ist erstens festzustellen, dass das vorlegende Gericht nicht dargetan hat, dass der Rechtsstreit, der bei ihm anhängig ist, eine grenzüberschreitende Situation beträfe. Im Übrigen hat das Universitätsklinikum angegeben, dass es sich bei D. M. nicht um eine Angehörige eines anderen Mitgliedstaats handele, die nach Italien gekommen wäre, um dort zu arbeiten.

57

Zweitens hat das vorlegende Gericht nicht dargetan, inwieweit ein solcher Fall für die Anwendung der Verordnung 2021/953 unter den Umständen des Ausgangsrechtsstreits relevant wäre.

58

Drittens ist für den Fall, dass das vorlegende Gericht mit seinem Verweis auf das Urteil vom 14. November 2018, Memoria und Dall’Antonia (C‑342/17, EU:C:2018:906), hat dartun wollen, dass es nach dem nationalen Recht verpflichtet sei, D. M., was das Niederlassungsrecht (Art. 49 AEUV) und den freien Dienstleistungsverkehr (Art. 56 AEUV) angehe, dieselben Rechte zuzuerkennen wie die, die die Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, die sich in derselben Situation befinden, nach dem Unionsrecht haben, festzustellen, dass die Fragen 6 und 7, wie auch die italienische Regierung in der mündlichen Verhandlung geltend gemacht hat, nicht die Auslegung dieser Grundfreiheiten, sondern die Auslegung der Verordnung 2021/953 betreffen.

59

Im Übrigen kann der Gerichtshof, wenn das nationale Gericht lediglich angibt, dass die fragliche nationale Regelung unterschiedslos für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats und für die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gilt, jedenfalls nicht davon ausgehen, dass das nationale Gericht eine Auslegung der die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des AEU-Vertrags für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54).

60

Aus der Vorlageentscheidung geht mithin nicht hervor, dass zwischen der Verordnung 2021/953 und dem Ausgangsrechtsstreit ein Bezug im Sinne der Rn. 54 des vorliegenden Urteils bestünde.

61

Die Fragen 6 und 7 sind daher unzulässig.

62

Nach alledem ist festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Gerichts unzulässig ist.

Kosten

63

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Das vom Tribunale ordinario di Padova (Gericht Padua, Italien) mit Entscheidung vom 7. Dezember 2021 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.