URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

12. Oktober 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 54 – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 50 – Grundsatz ne bis in idem – Beurteilung anhand eines in der Begründung des Urteils geschilderten Sachverhalts – Beurteilung anhand eines im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens geprüften und in der Anklageschrift weggelassenen Sachverhalts – Begriff ‚dieselbe Tat‘“

In der Rechtssache C‑726/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Županijski sud u Puli-Pola (Gespanschaftsgericht Pula, Kroatien) mit Entscheidung vom 24. November 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 30. November 2021, in dem Strafverfahren gegen

GR,

HS,

IT,

Beteiligter:

Županijsko državno odvjetništvo u Puli-Pola,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb (Berichterstatter) und A. Kumin sowie der Richterin I. Ziemele,

Generalanwalt: N. Emiliou,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 11. Januar 2023,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von GR, vertreten durch J. Grlić, Odvjetnik, und Rechtsanwalt B. Wiesinger,

von HS, vertreten durch V. Drenški-Lasan, Odvjetnica,

des Županijsko državno odvjetništvo u Puli-Pola, vertreten durch E. Putigna, Odvjetnik,

der kroatischen Regierung, vertreten durch G. Vidović Mesarek als Bevollmächtigte,

der österreichischen Regierung, vertreten durch A. Posch, J. Schmoll und F. Zeder als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Dockry, M. Mataija und M. Wasmeier als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. März 2023

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 19) (im Folgenden: SDÜ) sowie von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta).

2

Es ergeht im Rahmen eines Strafverfahrens, das gegen GR, HS und IT geführt wird, weil sie in Kroatien im Rahmen von Handelsgeschäften Untreue begangen, zu deren Begehung angestiftet oder dazu Beihilfe geleistet haben sollen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

SDÜ

3

Das SDÜ wurde geschlossen, um die Durchführung des am 14. Juni 1985 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen (ABl. 2000, L 239, S. 13) sicherzustellen.

4

Art. 54 SDÜ gehört zu dessen Kapitel 3 („Verbot der Doppelbestrafung“). Dieser Artikel sieht vor:

„Wer durch eine Vertragspartei rechtskräftig abgeurteilt worden ist, darf durch eine andere Vertragspartei wegen derselben Tat nicht verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des Urteilsstaats nicht mehr vollstreckt werden kann.“

5

In Art. 57 Abs. 1 und 2 SDÜ heißt es:

„(1)   Ist eine Person im Hoheitsgebiet einer Vertragspartei wegen einer Straftat angeschuldigt und haben die zuständigen Behörden dieser Vertragspartei Grund zu der Annahme, dass die Anschuldigung dieselbe Tat betrifft, derentwegen der Betreffende im Hoheitsgebiet einer anderen Vertragspartei bereits rechtskräftig abgeurteilt wurde, so ersuchen sie, sofern sie es für erforderlich halten, die zuständigen Behörden der Vertragspartei, in deren Hoheitsgebiet die Entscheidung ergangen ist, um sachdienliche Auskünfte.

(2)   Die erbetenen Auskünfte werden so bald wie möglich erteilt und sind bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu berücksichtigen.“

Kroatisches Recht

6

Art. 31 Abs. 2 des Ustav Republike Hrvatske (Verfassung der Republik Kroatien) lautet:

„Niemand darf wegen einer Handlung, wegen der er bereits durch eine rechtmäßig erlassene, rechtskräftige Entscheidung eines Gerichts freigesprochen oder verurteilt worden ist, erneut abgeurteilt oder strafrechtlich verfolgt werden.“

7

Gemäß Art. 246 Abs. 1 und 2 des Kazneni zakon (Strafgesetzbuch) in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung ist Untreue bei Handelsgeschäften eine Wirtschaftsstraftat.

8

Art. 12 Abs. 1 des Zakon o kaznenom postupku (Strafprozessordnung) sieht vor:

„Niemand darf wegen einer Handlung, wegen der er bereits abgeurteilt wurde und die Gegenstand einer rechtskräftigen Gerichtsentscheidung war, erneut strafrechtlich verfolgt werden.“

Österreichisches Recht

9

§ 190 der Strafprozessordnung (im Folgenden: österreichische Strafprozessordnung) sieht vor:

„Die Staatsanwaltschaft hat von der Verfolgung einer Straftat abzusehen und das Ermittlungsverfahren insoweit einzustellen, als

1.   die dem Ermittlungsverfahren zu Grunde liegende Tat nicht mit gerichtlicher Strafe bedroht ist oder sonst die weitere Verfolgung des Beschuldigten aus rechtlichen Gründen unzulässig wäre oder

2.   kein tatsächlicher Grund zur weiteren Verfolgung des Beschuldigten besteht.“

10

§ 193 Abs. 2 der österreichischen Strafprozessordnung bestimmt:

„Die Fortführung eines nach den §§ 190 oder 191 beendeten Ermittlungsverfahrens kann die Staatsanwaltschaft anordnen, solange die Strafbarkeit der Tat nicht verjährt ist und wenn

1.   der Beschuldigte wegen dieser Tat nicht vernommen (§§ 164, 165) und kein Zwang gegen ihn ausgeübt wurde oder

2.   neue Tatsachen oder Beweismittel entstehen oder bekannt werden, die für sich allein oder im Zusammenhalt mit übrigen Verfahrensergebnissen geeignet erscheinen, die Bestrafung des Beschuldigten oder ein Vorgehen nach dem 11. Hauptstück zu begründen.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

11

Zum Zeitpunkt des Sachverhalts im Ausgangsverfahren war GR Mitglied der Geschäftsführung der Skiper Hoteli d.o.o. und der Interco Umag d.o.o., Umag (im Folgenden: Interco), aus der in der Folge die INTER Consulting d.o.o. hervorging. Außerdem war sie Gesellschafterin der Rezidencija Skiper d.o.o. sowie an der Alterius d.o.o. beteiligt. HS selbst war der Vorsitzende der Geschäftsführung von Interco und ebenfalls an Alterius beteiligt, während IT Schätzungen des Werts von Immobilien vornahm.

12

Am 28. September 2015 erließ die Županijsko državno odvjetništvo u Puli (Staatsanwaltschaft der Gespanschaft Pula, Kroatien, im Folgenden Staatsanwaltschaft Pula) eine Anklageschrift gegen GR, HS, IT und Interco (im Folgenden: kroatische Anklageschrift). In der Anklageschrift wurde GR und Interco vorgeworfen, Untreue bei Handelsgeschäften im Sinne von Art. 246 Abs. 1 und 2 des kroatischen Strafgesetzbuchs in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung begangen zu haben, und HS und IT vorgeworfen, zur Begehung dieser Straftat angestiftet bzw. Beihilfe geleistet zu haben.

13

Aus der kroatischen Anklageschrift, wie sie im Vorabentscheidungsersuchen wiedergegeben ist, geht hervor, dass GR und HS zwischen Dezember 2004 und Juni 2006 darauf hingewirkt haben, dass Interco Immobilien auf verschiedenen angrenzenden Grundstücken in der Gemeinde Savudrija (Kroatien) erwirbt, auf deren Gebiet Skiper Hoteli ein Bauprojekt für Touristenunterkünfte umsetzen wollte. In der Folge organisierten diese Personen den Kauf dieser Immobilien durch Skiper Hoteli zu einem deutlich über dem Marktwert liegenden Preis, so dass Interco ein unrechtmäßiger Vorteil auf Kosten von Skiper Hoteli verschafft wurde.

14

In der kroatischen Anklageschrift wird ferner ausgeführt, dass GR und HS zwischen November 2004 und November 2005 auch mit dem Ziel tätig gewesen seien, dass GR sowie andere von ihr vertretene Gesellschaften die von ihr und diesen anderen Gesellschaften an Alterius gehaltenen Gesellschaftsanteile zu einem im Vergleich zu ihrem tatsächlichen Wert deutlich höheren Preis an Skiper Hoteli verkaufen, wobei die von Alterius ursprünglich eingebrachten Vermögenswerte aus Immobilien bestanden hätten, die auf angrenzenden Grundstücken im Gebiet der Gemeinde Savudrija errichtet worden seien. Zu diesem Zweck hätten GR und HS über Rezidencija Skiper und unter Mitwirkung von IT eine Bewertung vornehmen lassen, bei der der Wert der betreffenden Immobilien zu hoch angegeben worden sei.

15

Die kroatische Anklageschrift wurde von der Strafabteilung des vorlegenden Gerichts, dem Županijski sud u Puli (Gespanschaftsgericht Pula, Kroatien), mit Beschluss vom 5. Mai 2016 zugelassen.

16

Hinsichtlich eines Strafverfahrens, das wegen derselben Tat bereits in Österreich eingeleitet worden sein soll, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die österreichischen Strafverfolgungsbehörden tatsächlich Anklage gegen zwei ehemalige Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe-Adria-Bank International AG (im Folgenden: Hypo Alpe Adria Bank), einer in Österreich ansässigen Bank, sowie gegen GR und HS als Komplizen dieser beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder erhoben hätten. Gemäß der von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt (Österreich) am 9. Januar 2015 beim Landesgericht Klagenfurt (Österreich) eingereichten Anklageschrift (im Folgenden: österreichische Anklageschrift) wurde diesen ehemaligen Vorstandsmitgliedern vorgeworfen, Untreue im Sinne des Strafgesetzbuchs begangen zu haben, indem sie zwischen September 2002 und Juli 2005 an Rezidencija Skiper und Skiper Hoteli Kredite in Höhe von insgesamt mindestens 105 Mio. Euro vergeben hätten, ohne dass sie die Anforderungen im Hinblick auf die Einbringung von angemessenem Eigenkapital und die Kontrolle der Verwendung der Mittel beachtet oder berücksichtigt hätten, dass zum einen die Nachweise hinsichtlich der Umsetzung der Projekte gefehlt hätten, die die Gewährung dieser Kredite gerechtfertigt hätten, und dass zum anderen sowohl die Instrumente zur Zahlungsgarantie als auch die Rückzahlungsfähigkeit der betreffenden Gesellschaften unzureichend gewesen seien. GR und HS wurde außerdem vorgeworfen, die ehemaligen Vorstandsmitglieder durch diese Kreditanträge zur Begehung der vorgeworfenen Straftat angestiftet oder Beihilfe geleistet zu haben.

17

Auf Antrag von HS bestätigte die Staatsanwaltschaft Klagenfurt außerdem mit Schreiben vom 16. Juli 2015 an dessen Anwälte, dass hinsichtlich des Strafverfahrens gegen GR und HS die österreichische Anklageschrift auch den Verkauf von Immobilien an Skiper Hoteli durch Alterius zu einem überhöhten Preis sowie die fragwürdige Zahlung von Projektmanagementkosten umfasst habe.

18

Mit Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom 3. November 2016 (im Folgenden: rechtskräftiges österreichisches Urteil) wurden die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank hinsichtlich der ihnen vorgeworfenen Taten teilweise schuldig gesprochen und dafür verurteilt, dass sie einen der Skiper Hoteli gewährten Kredite in Höhe von mehr als 70 Mio. Euro (im Folgenden: in Rede stehender Kredit) genehmigt hatten. GR und HS wurden hingegen vom Vorwurf freigesprochen, die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank zur Begehung der ihnen vorgeworfenen Straftaten angestiftet bzw. dazu Beihilfe geleistet zu haben. Dieses Urteil wurde rechtskräftig, nachdem das dagegen beim Obersten Gerichtshof (Österreich) eingelegte Rechtsmittel am 4. März 2019 zurückgewiesen worden war.

19

Im Übrigen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Pula, die auch mit anderen Straftaten im Zusammenhang mit der Hypo Alpe Adria Bank befasst sei, die Staatsanwaltschaft Klagenfurt im Laufe des Jahres 2014 mehrfach ersucht habe, zu prüfen, ob in Österreich ein Parallelverfahren zu dem in Kroatien geführten Verfahren anhängig sei. In Anbetracht der von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt übermittelten Informationen, die im Wesentlichen mit denen identisch seien, die später in der österreichischen Anklageschrift dargelegt wurden, war die Staatsanwaltschaft Pula der Ansicht, dass der von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt und dem Landesgericht Klagenfurt untersuchte Sachverhalt für die Einstufung der Straftat, die Gegenstand des strafrechtlichen Ausgangsverfahrens sei, rechtlich nicht relevant sei, keinen Zusammenhang mit dem in der kroatischen Anklageschrift dargelegten Sachverhalt aufweise und somit nicht als bereits abgeurteilt anzusehen sei.

20

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach der kroatischen Rechtsprechung nur der jeweils im verfügenden Teil von Verfahrensschriftstücken – wie Beschlüssen über die Einleitung von Ermittlungen, Einstellungsbeschlüssen, Anklageschriften und Urteilen – geschilderte Sachverhalt Rechtskraft habe. Folglich werde im Rahmen der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem nur der jeweils im verfügenden Teil dieser Verfahrensschriftstücke geschilderte Sachverhalt verglichen.

21

In diesem Zusammenhang hält es das vorlegende Gericht für möglich, dass in Bezug auf GR und HS ein „untrennbarer inhaltlicher, räumlicher und zeitlicher Zusammenhang“ bestehe zwischen dem im Anklagesatz der kroatischen Anklageschrift geschilderten Sachverhalt auf der einen Seite und dem im Anklagesatz der österreichischen Anklageschrift geschilderten Sachverhalt, dem im Spruch und der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils geschilderten Sachverhalt sowie dem Sachverhalt, der Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt u. a. gegen GR und HS geführten Ermittlungsverfahrens gewesen sei und später in der österreichischen Anklageschrift weggelassen worden sei, auf der anderen Seite.

22

Was zunächst eine materielle Identität dieser Sachverhalte betrifft, weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass HS mit dem rechtskräftigen österreichischen Urteil von der Anklage freigesprochen worden sei, wonach er die beiden ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank im Zeitraum von Anfang 2002 bis Anfang Juli 2005 durch wiederholtes Anfragen und Vorlegen von Kreditunterlagen zu bestimmten Straftaten veranlasst habe, insbesondere dazu, den in Rede stehenden Kredit ohne ausreichende Projektunterlagen und ohne Darstellung der Kreditrückzahlungsfähigkeit zu gewähren, während GR von der Anklage freigesprochen worden sei, wonach sie im Zeitraum vom 9. August 2003 bis Anfang Juli 2005 zur Begehung der Verstöße durch diese Personen beigetragen habe, da sie als Geschäftsführerin von Rezidencija Skiper und Skiper Hoteli die Gewährung von Krediten, einschließlich des in Rede stehenden Kredits, beantragt habe, indem sie die entsprechenden Verhandlungen geführt, die Kreditunterlagen vorgelegt und die Kreditverträge unterzeichnet habe, was zu dem der Hypo Alpe Adria Bank entstandenen Schaden geführt habe. Insoweit gehe aus der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils hervor, dass Skiper Hoteli den in Rede stehenden Kredit zum Erwerb von Gütern und Gesellschaftsanteilen zu Preisen verwendet habe, die deutlich höher als marktüblich gewesen seien.

23

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts sind diese im Spruch und in der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils wiedergegebenen Umstände mit den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt gegen GR und HS in Verbindung zu bringen, die sich auf einen anderen als den in der österreichischen Anklageschrift geschilderten Sachverhalt, in Bezug auf den sie mit diesem Urteil freigesprochen worden seien, bezogen hätten. Da dieser Sachverhalt mit dem Sachverhalt identisch sei, der in der kroatischen Anklageschrift geschildert worden sei, habe die Staatsanwaltschaft Klagenfurt nämlich geprüft, ob die fraglichen Immobilien und Gesellschaftsanteile, die mit dem in Rede stehenden Kredit erworben worden seien, im Zuge der Umsetzung des von Skiper Hoteli geplanten Immobilienprojekts zu einem überhöhten Preis erworben worden seien.

24

Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt habe daher wegen dieser Umstände ein Ermittlungsverfahren durchgeführt, dieses jedoch in Bezug auf GR und HS eingestellt. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt habe sich zu diesem Zweck darauf beschränkt, GR und HS im Wege einer Mitteilung davon in Kenntnis zu setzen, dass nach § 190 Z 2 der österreichischen Strafprozessordnung das gegen sie in der „Causa Skiper“ wegen der Straftat der Untreue im Sinne von § 153 Abs. 1 und 2 des österreichischen Strafgesetzbuchs geführte Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei und diese Straftat nicht von der österreichischen Anklageschrift erfasst sei, weil es unzureichende Beweise insbesondere für einen Schädigungsvorsatz gebe oder keine hinreichenden konkreten Beweise für ein strafbares Verhalten vorlägen. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt habe diese Ermittlungen also auf der Grundlage eines Sachverhalts eingestellt, der im Spruch des rechtskräftigen österreichischen Urteils nicht angegeben sei.

25

Was sodann das Bestehen eines zeitlichen Zusammenhangs zwischen den oben in Rn. 22 genannten Taten betrifft, vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass die Zeitpunkte, zu denen zum einen die Gewährung des in Rede stehenden Kredits und zum anderen die in Kroatien begangenen Taten erfolgt seien, teilweise übereinstimmten, da nach dem Spruch des rechtskräftigen österreichischen Urteils die Straftat, in Bezug auf die GR und HS freigesprochen worden seien, im Zeitraum von 2002 bis Juli 2005 begangen worden sei, während die in der kroatischen Anklageschrift geschilderten Taten die Jahre 2004 bis 2006 betroffen hätten. Diese zeitliche Überschneidung erkläre sich dadurch, dass die Gewährung des in Rede stehenden Kredits notwendigerweise den in Kroatien begangenen Taten vorausgegangen sei. Ohne diesen Kredit wäre es Skiper Hoteli nämlich nicht möglich gewesen, die Immobilien und Gesellschaftsanteile in Kroatien zu kaufen.

26

Schließlich werde der räumliche Zusammenhang zwischen den genannten Taten dadurch belegt, dass im rechtskräftigen österreichischen Urteil erwähnt werde, dass der in Rede stehende Kredit für den Kauf von Immobilien und Gesellschaftsanteilen in Kroatien bestimmt gewesen sei, um das ebenfalls in Kroatien geplante Immobilienprojekt Skiper Hoteli umzusetzen.

27

Unter diesen Umständen hat der Županijski sud u Puli-Pola (Gespanschaftsgericht Pula) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Kann bei der Beurteilung, ob gegen den Grundsatz ne bis in idem verstoßen wurde, der im Anklagesatz der kroatischen Anklageschrift geschilderte Sachverhalt nur mit dem im Anklagesatz der österreichischen Anklageschrift und im Spruch des rechtskräftigen österreichischen Urteils genannten maßgeblichen Sachverhalt verglichen werden,

oder kann der im Anklagesatz der kroatischen Anklageschrift geschilderte Sachverhalt auch mit dem in der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils dargelegten Sachverhalt sowie dem Sachverhalt, zu dem die Staatsanwaltschaft Klagenfurt ein Ermittlungsverfahren gegen mehrere Personen, u. a. auch gegen die Personen GR und HS, durchgeführt hat und der in der Folge nicht in die österreichische Anklageschrift aufgenommen wurde (wobei dieser Sachverhalt nicht Gegenstand einer gesonderten Entscheidungsformel gewesen ist), verglichen werden?

Zur Vorlagefrage

Zur Zulässigkeit

28

Die österreichische Regierung macht geltend, das Vorabentscheidungsersuchen sei unzulässig, weil die Vorlagefrage für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits unerheblich und hypothetisch sei.

29

Das Strafverfahren in Österreich und das beim vorlegenden Gericht anhängige Strafverfahren beruhten nicht auf „derselben Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ, und zwar unabhängig davon, ob für den Vergleich nur der Anklagesatz der österreichischen Anklageschrift bzw. der Spruch des rechtskräftigen österreichischen Urteils heranzuziehen seien oder eine umfassendere Prüfung unter Berücksichtigung auch der Begründung dieses Urteils und allenfalls des Inhalts des diesem Urteil vorangegangenen Ermittlungsverfahrens vorzunehmen sei.

30

Aus einem Vergleich des Anklagesatzes der österreichischen Anklageschrift mit dem der kroatischen Anklageschrift ergebe sich nämlich, dass die in Österreich und Kroatien geführten Strafverfahren jeweils unterschiedliche Gegenstände hätten und unterschiedliche Geschädigte beträfen. Diese Feststellung werde auch durch den Vergleich der kroatischen Anklageschrift mit der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils und den Erhebungen der Staatsanwaltschaft Klagenfurt in weiteren Strafverfahren bestätigt.

31

Im Einzelnen führt die österreichische Regierung aus, Gegenstand des in Österreich geführten Strafverfahrens sei die strafrechtliche Verantwortlichkeit von GR und HS in Zusammenhang mit dem Vermögensnachteil, der Hypo Alpe Adria durch die Gewährung unvertretbarer Kredite entstanden sei, wohingegen Gegenstand des in Kroatien geführten Strafverfahrens die strafrechtliche Verantwortlichkeit von GR und HS in Hinblick auf den Vermögensnachteil, der Skiper Hoteli durch den Erwerb von Grundstücken bzw. Anteilen an Gesellschaften, die Grundstücke hielten, zu vermeintlich überhöhten Preisen entstanden sei. Außerdem habe sich das in Österreich geführte Strafverfahren nicht auf etwaige Taten von GR zulasten von Skiper Hoteli beziehen können, da die österreichischen Behörden hierfür nicht zuständig seien, weil GR eine in Kroatien wohnhafte kroatische Staatsangehörige und Skiper Hoteli eine in Kroatien eingetragene Gesellschaft sei.

32

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen der durch Art. 267 AEUV geschaffenen Zusammenarbeit zwischen ihm und den nationalen Gerichten allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten nationalen Gerichts, in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende gerichtliche Entscheidung fällt, ist, anhand der Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

33

Daraus folgt, dass eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts spricht, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und tatsächlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festlegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Der Gerichtshof kann das Ersuchen eines nationalen Gerichts nur dann zurückweisen, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, wenn das Problem hypothetischer Natur ist oder wenn er nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 4. Juni 2020, Kancelaria Medius, C‑495/19, EU:C:2020:431, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Des Weiteren hat der Gerichtshof im Rahmen der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Unionsgerichten und den nationalen Gerichten den tatsächlichen und rechtlichen Kontext der Vorlagefragen, wie er in der Vorlageentscheidung festgelegt ist, zu berücksichtigen. Die Vorlagefrage ist daher auf der Grundlage der Tatsachenwürdigung des vorlegenden Gerichts zu prüfen, und zwar unabhängig davon, welche Kritik die österreichische Regierung daran übt (vgl. entsprechend Urteil vom 7. April 2022, Caixabank, C‑385/20, EU:C:2022:278, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Im vorliegenden Fall geht das vorlegende Gericht in tatsächlicher Hinsicht von der Prämisse aus, dass es nicht ausgeschlossen sei, dass in Bezug auf GR und HS ein untrennbarer inhaltlicher, räumlicher und zeitlicher Zusammenhang bestehe zwischen dem im Anklagesatz der kroatischen Anklageschrift geschilderten Sachverhalt, dem im Anklagesatz der österreichischen Anklageschrift geschilderten Sachverhalt, dem im Spruch und der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils geschilderten Sachverhalt sowie dem Sachverhalt, der Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt u. a. gegen GR und HS geführten Ermittlungsverfahrens gewesen sei und später in der österreichischen Anklageschrift weggelassen worden sei.

36

Darüber hinaus vertritt das vorlegende Gericht die Ansicht, dass es im Rahmen der Prüfung des Bestehens eines „untrennbaren inhaltlichen, räumlichen und zeitlichen Zusammenhangs“ für die Zwecke der Anwendung von Art. 54 SDÜ darauf ankomme, ob der in der Begründung des rechtskräftigen österreichischen Urteils geschilderte Sachverhalt sowie der Sachverhalt, der Gegenstand des von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt u. a. gegen GR und HS geführten Ermittlungsverfahrens gewesen sei und später in der österreichischen Anklageschrift weggelassen worden sei, zu berücksichtigen seien. Das Vorabentscheidungsersuchen ist daher nicht hypothetisch.

37

Somit ist das Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

38

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Grundsatz ne bis in idem um einen tragenden Grundsatz des Unionsrechts handelt, der nunmehr in Art. 50 der Charta niedergelegt ist (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 64 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Außerdem ergibt sich dieser Grundsatz, der auch in Art. 54 SDÜ verankert ist, aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten. Diese Bestimmung ist mithin im Licht von Art. 50 der Charta auszulegen; sie gewährleistet, dass dessen Wesensgehalt gewahrt wird (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 65).

40

Folglich ist davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen wissen möchte, ob Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 50 der Charta dahin auszulegen ist, dass bei der Beurteilung, ob der Grundsatz ne bis in idem beachtet worden ist, nur der im Anklagesatz der Anklageschrift der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats sowie der im Tenor des dort ergangenen rechtskräftigen Urteils beschriebene Sachverhalt zu berücksichtigen sind, oder ob auch jeglicher Sachverhalt heranzuziehen ist, der in der Begründung dieses Urteils geschildert wird, einschließlich desjenigen, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, aber nicht in die Anklageschrift übernommen wurde.

41

In Anbetracht der vom vorlegenden Gericht geäußerten und oben in den Rn. 20 bis 26 dargelegten Zweifel ist in einem ersten Schritt eine Auslegung der in Art. 54 SDÜ aufgestellten Voraussetzungen vorzunehmen, bevor dem vorlegenden Gericht in einem zweiten Schritt Hinweise gegeben werden, wie sie im Rahmen des Ausgangsrechtsstreits zu beurteilen sind.

Zu Art. 54 SDÜ

42

Das Vorabentscheidungsersuchen wird damit begründet, dass die kroatischen Gerichte nach der kroatischen Gerichtspraxis bei der Beurteilung der Anwendbarkeit des Grundsatzes ne bis in idem nur den Sachverhalt berücksichtigen dürften, der jeweils im verfügenden Teil von Verfahrensschriftstücken – wie Beschlüssen über die Einleitung von Ermittlungen, Einstellungsbeschlüssen, Anklageschriften und Urteilen – geschildert werde. Es bestehe aber die Möglichkeit, dass der in der Begründung von Verfahrensschriftstücken eines anderen Mitgliedstaats, im vorliegenden Fall der Republik Österreich, geschilderte Sachverhalt einschließlich desjenigen, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens gewesen sei, aber nicht in die Anklageschrift übernommen worden sei, es im Rahmen des Ausgangsverfahrens zu der Schlussfolgerung veranlassen könnte, dass „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ vorliege.

43

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind bei der Auslegung einer unionsrechtlichen Vorschrift nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden (Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 67).

44

Wie aus dem Wortlaut von Art. 54 SDÜ hervorgeht, darf niemand, der durch einen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeurteilt worden ist, durch einen anderen Mitgliedstaat wegen derselben Tat verfolgt werden, vorausgesetzt, dass im Fall einer Verurteilung die Sanktion bereits vollstreckt worden ist, gerade vollstreckt wird oder nach dem Recht des erstgenannten Staats nicht mehr vollstreckt werden kann.

45

Somit setzt die Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem zweierlei voraus, nämlich zum einen, dass es eine frühere rechtskräftige Entscheidung gibt (Voraussetzung „bis“), und zum anderen, dass bei der früheren Entscheidung und bei den späteren Verfolgungsmaßnahmen oder Entscheidungen auf denselben Sachverhalt abgestellt wird (Voraussetzung „idem“) (Urteil vom 22. März 2022, bpost, C‑117/20, EU:C:2022:202, Rn. 28).

46

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass sich dem Wortlaut von Art. 54 SDÜ keine Voraussetzung in Bezug auf die Gesichtspunkte entnehmen lässt, die bei der Prüfung der Frage zu berücksichtigen sind, ob das bei einem Gericht eines Mitgliedstaats anhängige Verfahren dieselbe Tat betrifft wie ein früheres Verfahren, das durch eine rechtskräftige Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat abgeschlossen wurde.

47

Somit kann aus dem Wortlaut dieser Bestimmung nicht abgeleitet werden, dass bei der Beurteilung der Voraussetzung „idem“ nur Taten zu berücksichtigen wären, die jeweils im verfügenden Teil von nationalen Verfahrensschriftstücken geschildert werden, und dass es ausgeschlossen wäre, bei dieser Beurteilung die in der Begründung von Verfahrensschriftstücken eines anderen Mitgliedstaats geschilderten Taten zu berücksichtigen.

48

Diese Feststellung wird sodann durch den Regelungszusammenhang dieser Bestimmung bestätigt.

49

Erstens bestimmt nämlich Art. 50 der Charta, in dessen Licht Art. 54 SDÜ auszulegen ist, dass niemand wegen einer Straftat, derentwegen er bereits in der Union nach dem Gesetz rechtskräftig verurteilt oder freigesprochen worden ist, in einem Strafverfahren erneut verfolgt oder bestraft werden darf. Daher enthält auch Art. 50 der Charta keine spezifischen Angaben zu den Gesichtspunkten, die im Rahmen der Prüfung der „idem“-Voraussetzung zu berücksichtigen sind, so dass der in der Begründung der Verfahrensschriftstücke eines anderen Mitgliedstaats beschriebene Sachverhalt im Rahmen einer solchen Prüfung nicht von vornherein außer Acht gelassen werden darf.

50

Zweitens können nach Art. 57 Abs. 1 SDÜ die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dem eine Person wegen einer Straftat angeschuldigt ist, wenn sie Grund zu der Annahme haben, dass die Anschuldigung dieselbe Tat betrifft, derentwegen in einem anderen Mitgliedstaat eine rechtskräftige Entscheidung ergangen ist, die zuständigen Behörden des Mitgliedstaats, in dessen Hoheitsgebiet die Entscheidung ergangen ist, erforderlichenfalls um sachdienliche Auskünfte ersuchen. Art. 57 Abs. 2 SDÜ sieht vor, dass die erbetenen Auskünfte so bald wie möglich erteilt werden und bei der Entscheidung über eine Fortsetzung des Verfahrens zu berücksichtigen sind.

51

Insoweit hat Art. 57 SDÜ einen Rahmen der Zusammenarbeit geschaffen, der es den zuständigen Behörden des zweiten Mitgliedstaats ermöglicht, zur Klärung beispielsweise der genauen Art einer im Hoheitsgebiet des ersten Mitgliedstaats erlassenen Entscheidung oder auch des konkreten Sachverhalts, der Gegenstand dieser Entscheidung ist, bei dessen Behörden sachdienliche Rechtsauskünfte einzuholen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2008, Turanský, C‑491/07, EU:C:2008:768, Rn. 37).

52

Diese Bestimmung verlangt, dass diese Auskünfte bei der Beurteilung eines etwaigen Verstoßes gegen den Grundsatz ne bis in idem berücksichtigt werden. Wie der Generalanwalt in Nr. 42 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, kann die praktische Wirksamkeit von Art. 57 SDÜ nicht durch eine nationale Gerichtspraxis gewährleistet werden, die das nationale Gericht verpflichtet, nur die in bestimmten Teilen der Verfahrensschriftstücke – im vorliegenden Fall jeweils im verfügenden Teil dieser Schriftstücke – enthaltenen Angaben zu berücksichtigen, und zwar unter Ausschluss aller anderen Informationen, die das Gericht möglicherweise von den Behörden des Mitgliedstaats erhält, der um sachdienliche Auskünfte ersucht worden ist.

53

Daher kann ein nationales Gericht wie das vorlegende, anders als es die kroatische Gerichtspraxis offenbar vorsieht, nicht verpflichtet werden, im Rahmen der Prüfung des in Art. 54 SDÜ verankerten Grundsatzes ne bis in idem nur den Sachverhalt zu berücksichtigen, der jeweils im verfügenden Teil der von einem anderen Mitgliedstaat stammenden Verfahrensschriftstücke geschildert wird.

54

Schließlich kann nur eine Auslegung von Art. 54 SDÜ dahin, dass das nationale Gericht des zweiten Mitgliedstaats auch den in der jeweiligen Begründung dieser Schriftstücke geschilderten Sachverhalt sowie alle relevanten Angaben über die materielle Tat, auf die sich ein früheres, im ersten Mitgliedstaat rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren bezieht, berücksichtigen muss, dem Gegenstand und dem Ziel dieser Vorschrift den Vorrang gegenüber verfahrensrechtlichen oder rein formalen Aspekten – die im Übrigen in den betroffenen Mitgliedstaaten unterschiedlich sind – einräumen und eine zweckdienliche Anwendung dieses Artikels gewährleisten (vgl. entsprechend Urteil vom 10. März 2005, Miraglia, C‑469/03, EU:C:2005:156, Rn. 31).

55

Diese Bestimmung soll nämlich im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verhindern, dass eine rechtskräftig abgeurteilte Person, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat im Hoheitsgebiet mehrerer Mitgliedstaaten verfolgt wird, um die Rechtssicherheit zu gewährleisten, indem bei fehlender Harmonisierung oder Angleichung der strafrechtlichen Vorschriften der Mitgliedstaaten unanfechtbar gewordene Entscheidungen staatlicher Stellen beachtet werden (Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C‑486/14, EU:C:2016:483, Rn. 44).

56

Art. 54 SDÜ impliziert jedoch zwingend, dass ein gegenseitiges Vertrauen der Mitgliedstaaten in ihre jeweiligen Strafjustizsysteme besteht und dass jeder von ihnen die Anwendung des in den anderen Mitgliedstaaten geltenden Strafrechts akzeptiert, auch wenn die Durchführung seines eigenen nationalen Rechts zu einem anderen Ergebnis führen würde. Dieses gegenseitige Vertrauen erfordert, dass die betreffenden zuständigen Behörden des zweiten Mitgliedstaats bereit sind, sachdienliche Rechtsauskünfte, die sie vom ersten Mitgliedstaat eventuell erhalten, zu berücksichtigen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 93).

57

Das gegenseitige Vertrauen kann jedoch nur gedeihen, wenn der zweite Mitgliedstaat in der Lage ist, sich auf der Grundlage der vom ersten Mitgliedstaat übermittelten Unterlagen zu vergewissern, dass zum einen die betreffende Entscheidung der zuständigen Behörden des ersten Mitgliedstaats tatsächlich eine rechtskräftige Entscheidung darstellt und zum anderen der Sachverhalt, der Gegenstand dieser Entscheidung ist, als „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ eingestuft werden kann (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C‑486/14, EU:C:2016:483, Rn. 52).

58

Daraus folgt, dass das nationale Gericht des zweiten Mitgliedstaats wie das vorlegende im Rahmen der Beurteilung, ob der in Art. 54 SDÜ verankerte Grundsatz ne bis in idem beachtet worden ist, nicht nur den jeweils im verfügenden Teil der von einem ersten Mitgliedstaat übermittelten Verfahrensschriftstücke geschilderten Sachverhalt zu berücksichtigen hat, sondern auch den in der jeweiligen Begründung dieser Schriftstücke geschilderten Sachverhalt sowie alle relevanten Angaben über die materielle Tat, auf die sich ein früheres, im ersten Mitgliedstaat rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren bezieht.

Zur Voraussetzung „bis“ und zur Voraussetzung „idem“

59

Um dem vorlegenden Gericht eine möglichst sachdienliche Antwort zu geben, ist auf der Grundlage der dem Gerichtshof vorliegenden Akte und vorbehaltlich der vom vorlegenden Gericht vorzunehmenden Prüfungen noch zu beurteilen, ob im Rahmen der Anwendung des Grundsatzes ne bis in idem die sich aus der oben in Rn. 45 angeführten Rechtsprechung ergebenden Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfüllt sind, d. h., ob es zum einen eine frühere rechtskräftige Entscheidung gibt (Voraussetzung „bis“) und ob zum anderen bei der früheren Entscheidung und bei den späteren Verfolgungsmaßnahmen oder Entscheidungen auf denselben Sachverhalt abgestellt wird (Voraussetzung „idem“).

60

Was die Voraussetzung „bis“ betrifft, ist der Betroffene wegen der ihm vorgeworfenen Tat als „rechtskräftig abgeurteilt“ im Sinne von Art. 54 SDÜ anzusehen, wenn als Erstes die Strafklage endgültig verbraucht ist (Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C‑486/14, EU:C:2016:483, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

61

Die Beurteilung dieser ersten Voraussetzung ist auf der Grundlage des Rechts des Mitgliedstaats vorzunehmen, der die in Rede stehende strafrechtliche Entscheidung erlassen hat. Eine Entscheidung, die nach dem Recht des Mitgliedstaats, der die Strafverfolgung gegen einen Betroffenen einleitet, die Strafklage auf nationaler Ebene nicht endgültig verbraucht, kann nämlich grundsätzlich nicht als ein Verfahrenshindernis hinsichtlich der etwaigen Einleitung oder Fortführung der Strafverfolgung wegen derselben Tat gegen diesen Betroffenen in einem anderen Mitgliedstaat angesehen werden (Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C‑486/14, EU:C:2016:483, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Im vorliegenden Fall ist das rechtskräftige österreichische Urteil dem vorlegenden Gericht zufolge nach österreichischem Recht in materielle Rechtskraft erwachsen und schließt weitere Verfahren wegen derselben Tat aus, was die österreichische Regierung weder in ihren schriftlichen Erklärungen noch in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof bestritten hat. Daraus würde folgen, dass dieses Urteil die Strafklage gegen GR und HS in diesem Mitgliedstaat endgültig verbraucht, da GR und HS vom Vorwurf freigesprochen wurden, die ehemaligen Vorstandsmitglieder der Hypo Alpe Adria Bank zur Begehung der ihnen vorgeworfenen Straftaten angestiftet bzw. dazu Beihilfe geleistet zu haben.

63

Es ist jedoch Sache des vorlegenden Gerichts, erforderlichenfalls unter Rückgriff auf den in Art. 57 SDÜ vorgesehenen Mechanismus der Zusammenarbeit zu prüfen, ob dies tatsächlich die Wirkung des rechtskräftigen österreichischen Urteils ist.

64

Was die Entscheidung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt betrifft, die Ermittlungen, die u. a. gegen GR und HS wegen Untreue geführt wurden, auf der Grundlage von § 190 Z 2 der österreichischen Strafprozessordnung aus Mangel an Beweisen teilweise einzustellen, ist zum einen festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Rechtsnatur dieser Entscheidung nicht angibt.

65

Zum anderen ist darauf hinzuweisen, dass Art. 54 SDÜ, der verhindern soll, dass eine Person, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, wegen derselben Tat in mehreren Mitgliedstaaten verfolgt wird, zur vollständigen Verwirklichung dieses Zieles nur dann wirksam beitragen kann, wenn er auch auf Entscheidungen anwendbar ist, mit denen die Strafverfolgung in einem Mitgliedstaat endgültig beendet wird, auch wenn sie ohne Mitwirkung eines Gerichts und nicht in Form eines Urteils ergehen (Urteil vom 11. Februar 2003, Gözütok und Brügge, C‑187/01 und C‑385/01, EU:C:2003:87, Rn. 38).

66

Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob eine solche auf der Grundlage von § 190 Z 2 der österreichischen Strafprozessordnung erlassene Entscheidung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt die Strafklage in Österreich endgültig verbraucht, wobei erforderlichenfalls auf den in Art. 57 SDÜ vorgesehenen Mechanismus der Zusammenarbeit zurückzugreifen ist.

67

Um festzustellen, ob eine Entscheidung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen aus Mangel an Beweisen teilweise einzustellen, eine Entscheidung darstellt, mit der eine Person im Sinne von Art. 54 SDÜ rechtskräftig abgeurteilt wurde, muss man sich als Zweites vergewissern, dass diese Entscheidung nach einer Prüfung in der Sache erfolgt ist (vgl. entsprechend Urteil vom 29. Juni 2016, Kossowski, C‑486/14, EU:C:2016:483, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

68

Hierzu hat der Gerichtshof geurteilt, dass eine Entscheidung der Justiz eines Mitgliedstaats, mit der ein Angeklagter rechtskräftig aus Mangel an Beweisen freigesprochen wird, als aufgrund einer Prüfung in der Sache ergangen anzusehen ist (Urteil vom 5. Juni 2014, M, C‑398/12, EU:C:2014:1057, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

69

Im vorliegenden Fall geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass in Österreich gegen GR und HS ein Ermittlungsverfahren wegen anderer als der in der österreichischen Anklageschrift letztendlich angeführten Taten eingeleitet worden war. Wie oben aus Rn. 24 hervorgeht, habe sich die Staatsanwaltschaft Klagenfurt darauf beschränkt, GR und HS davon in Kenntnis zu setzen, dass nach § 190 Z 2 der österreichischen Strafprozessordnung das gegen sie in der „Causa Skiper“ wegen der Straftat der Untreue im Sinne von § 153 Abs. 1 und 2 des österreichischen Strafgesetzbuchs geführte Ermittlungsverfahren eingestellt worden sei und diese Straftat folglich nicht von der österreichischen Anklageschrift erfasst sei, weil es unzureichende Beweise insbesondere für einen Schädigungsvorsatz gebe oder keine hinreichenden konkreten Beweise für ein strafbares Verhalten vorlägen. Die Staatsanwaltschaft Klagenfurt habe diese Ermittlungen also auf der Grundlage eines Sachverhalts eingestellt, der im Spruch des rechtskräftigen österreichischen Urteils nicht angegeben sei.

70

Damit eine Entscheidung der Staatsanwaltschaft, die Ermittlungen wegen unzureichender Beweise nach einem Ermittlungsverfahren, in dessen Zuge verschiedene Beweismittel zusammengetragen und geprüft wurden, teilweise einzustellen, als nach Prüfung in der Sache ergangen angesehen werden kann, muss diese Entscheidung eine endgültige Beurteilung dahin enthalten, dass diese Beweise nicht ausreichen, und jede Möglichkeit ausschließen, dass das Verfahren auf der Grundlage desselben Bündels von Indizien wieder aufgenommen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. Juni 2014, M, C‑398/12, EU:C:2014:1057, Rn. 30). Vorliegend ist es in Anbetracht des Mangels an Informationen, über die der Gerichtshof insoweit verfügt, Sache des vorlegenden Gerichts, zu prüfen, ob dies im Rahmen des Ausgangsverfahrens der Fall ist.

71

Was die Voraussetzung „idem“ betrifft, die im Licht der oben in den Rn. 38 und 39 angeführten Rechtsprechung zu prüfen ist, ergibt sich schon aus dem Wortlaut von Art. 50 der Charta, dass dieser es verbietet, dieselbe Person mehr als einmal wegen derselben Straftat in einem Strafverfahren zu verfolgen oder zu bestrafen (Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

72

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach gefestigter Rechtsprechung des Gerichtshofs für die Beurteilung, ob es sich um dieselbe Straftat im Sinne von Art. 50 der Charta handelt, das Kriterium der Identität der materiellen Tat maßgebend ist, verstanden als das Vorliegen einer Gesamtheit konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände, die zum Freispruch oder zur rechtskräftigen Verurteilung des Betroffenen geführt haben. Diese Bestimmung verbietet es somit, wegen derselben Tat mehrere Sanktionen strafrechtlicher Natur am Ende verschiedener zu diesem Zweck durchgeführter Verfahren zu verhängen (Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

73

Ferner ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ebenfalls, dass die rechtliche Einordnung der Tat nach nationalem Recht und das geschützte Rechtsgut für die Feststellung, ob dieselbe Straftat vorliegt, nicht erheblich sind, da die Reichweite des in Art. 50 der Charta gewährten Schutzes nicht von einem Mitgliedstaat zum anderen unterschiedlich sein kann (Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

74

Hierbei ist darauf hinzuweisen, dass die Voraussetzung „idem“ eine identische materielle Tat erfordert. Folglich findet der Grundsatz ne bis in idem keine Anwendung, wenn der fragliche Sachverhalt nicht identisch, sondern nur ähnlich ist (Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

75

Die Identität der materiellen Tat ist nämlich als die Gesamtheit der konkreten Umstände zu verstehen, die sich aus Ereignissen ergeben, bei denen es sich im Wesentlichen um dieselben handelt, da dieselbe Person gehandelt hat und sie zeitlich sowie räumlich unlösbar miteinander verbunden sind (Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

76

Bilden die materiellen Tatsachen hingegen keinen solchen Komplex, genügt – wie der Gerichtshof bereits entschieden hat – der bloße Umstand, dass nach den Feststellungen des mit dem zweiten Strafverfahren befassten Gerichts der mutmaßliche Täter mit einheitlichem Vorsatz gehandelt hat, nicht für das Vorhandensein eines Komplexes konkreter, unlösbar miteinander verbundener Umstände, der unter den Begriff „dieselbe Tat“ im Sinne von Art. 54 SDÜ fällt (Urteil vom 18. Juli 2007, Kraaijenbrink, C‑367/05, EU:C:2007:444, Rn. 29).

77

Im vorliegenden Fall geht zum einen aus der Vorlageentscheidung hervor, dass sich die kroatische Anklageschrift auf Straftaten bezieht, die GR und HS zwischen 2004 und 2006 begangen haben sollen. Zum anderen weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die von der Staatsanwaltschaft Klagenfurt eingestellten strafrechtlichen Ermittlungen gegen GR und HS in Österreich eine materielle Tat betroffen hätten, die sich im Zeitraum von 2002 bis Juli 2005 ereignet habe und mit der in der kroatischen Anklageschrift bezeichneten identisch sei. Daher stellt das vorlegende Gericht fest, dass diese Ermittlungen teilweise Taten betroffen hätten, die Gegenstand der kroatischen Anklageschrift seien, was darauf zurückzuführen sei, dass die Gewährung des in Rede stehenden Kredits in Österreich den in Kroatien begangenen Taten vorausgegangen sei. Ohne diesen Kredit wäre der Kauf der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Immobilien und Gesellschaftsanteile in Kroatien nämlich nicht möglich gewesen.

78

Die Vorlagefrage beruht jedoch auf der Prämisse, dass die Taten, auf die sich die kroatische Anklageschrift beziehe, dieselben seien wie diejenigen, die Gegenstand des rechtskräftigen österreichischen Urteils gewesen seien, da auch die Begründung der in Österreich verfassten Verfahrensschriftstücke zu berücksichtigen sei.

79

Die Prüfung, ob es sich bei den Taten, die Gegenstand der kroatischen Anklageschrift sind, um dieselben handelt wie diejenigen, die in Österreich rechtskräftig abgeurteilt worden sind, obliegt dem insoweit allein zuständigen vorlegenden Gericht. Gleichwohl kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts im Rahmen der Beurteilung der Identität dieser Taten geben (vgl. entsprechend Urteil vom 23. März 2023, Generalstaatsanwaltschaft Bamberg [Ausnahme vom Grundsatz ne bis in idem], C‑365/21, EU:C:2023:236, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

80

Insoweit ergibt sich zum einen aus Rn. 58 des vorliegenden Urteils, dass das vorlegende Gericht im Rahmen der Prüfung der Voraussetzung „idem“ nicht nur den jeweils im verfügenden Teil der von einem ersten Mitgliedstaat übermittelten Verfahrensschriftstücke geschilderten Sachverhalt zu berücksichtigen hat, sondern auch den in der jeweiligen Begründung dieser Schriftstücke geschilderten Sachverhalt sowie alle relevanten Angaben über die materielle Tat, auf die sich ein früheres, im ersten Mitgliedstaat rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren bezieht.

81

Zum anderen kann der Grundsatz ne bis in idem nicht etwaige Straftaten erfassen, die zwar im selben Zeitraum wie diejenigen, die Gegenstand einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen rechtskräftigen Entscheidung waren, begangen wurden, aber andere materielle Taten betreffen (vgl. entsprechend Urteil vom 28. Oktober 2022, Generalstaatsanwaltschaft München [Auslieferung und ne bis in idem], C‑435/22 PPU, EU:C:2022:852, Rn. 135 und die dort angeführte Rechtsprechung).

82

Insoweit ist es Sache des vorlegenden Gerichts, auf der Grundlage einer Würdigung sämtlicher relevanter Umstände zu prüfen, ob das rechtskräftige österreichische Urteil und die etwaige rechtskräftige Entscheidung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt, das Ermittlungsverfahren in der „Causa Skiper“ einzustellen, zum einen einen Vermögensschaden betrafen, den GR und HS Skiper Hoteli durch den Erwerb von Grundstücken zu überhöhten Preisen zugefügt haben sollen, und zum anderen denselben Zuwiderhandlungszeitraum wie die kroatische Anklageschrift erfassten.

83

Sollte dies nach Abschluss dieser Beurteilung nicht der Fall sein, müsste das vorlegende Gericht feststellen, dass sich das bei ihm anhängige Verfahren nicht auf dieselbe Tat bezieht wie diejenige, die zum rechtskräftigen österreichischen Urteil und zu der etwaigen rechtskräftigen Entscheidung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt geführt hat, so dass der Grundsatz ne bis in idem im Sinne von Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 50 der Charta einer erneuten Strafverfolgung nicht entgegenstünde.

84

Sollte das vorlegende Gericht dagegen zu der Auffassung gelangen, dass GR und HS durch das rechtskräftige österreichische Urteil und die etwaige rechtskräftige Entscheidung der Staatsanwaltschaft Klagenfurt wegen darin festgestellter Taten bestraft oder freigesprochen worden sind, die mit jenen identisch sind, die Gegenstand des kroatischen Strafverfahrens sind, müsste es feststellen, dass das bei ihm anhängige Verfahren dieselben Taten betrifft wie die, die diesem rechtskräftigen Urteil und dieser etwaigen rechtskräftigen Entscheidung zugrunde liegen. Eine solche Kumulierung von Verfolgungsmaßnahmen und gegebenenfalls Strafen verstieße gegen den Grundsatz ne bis in idem im Sinne von Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 50 der Charta.

85

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 54 SDÜ im Licht von Art. 50 der Charta dahin auszulegen ist, dass bei der Beurteilung, ob der Grundsatz ne bis in idem beachtet worden ist, nicht nur der im Anklagesatz der Anklageschrift der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats sowie der im Tenor des dort ergangenen rechtskräftigen Urteils beschriebene Sachverhalt zu berücksichtigen sind, sondern auch der Sachverhalt, der in der Begründung dieses Urteils geschildert wird, und derjenige, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, aber nicht in die Anklageschrift übernommen wurde, sowie alle relevanten Angaben über die materielle Tat, auf die sich ein früheres, in diesem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren bezieht.

Kosten

86

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des beim vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 54 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten und am 26. März 1995 in Kraft getretenen Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen

 

ist im Licht von Art. 50 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass

 

bei der Beurteilung, ob der Grundsatz ne bis in idem beachtet worden ist, nicht nur der im Anklagesatz der Anklageschrift der zuständigen Behörden eines anderen Mitgliedstaats sowie der im Tenor des dort ergangenen rechtskräftigen Urteils beschriebene Sachverhalt zu berücksichtigen sind, sondern auch der Sachverhalt, der in der Begründung dieses Urteils geschildert wird, und derjenige, der Gegenstand des Ermittlungsverfahrens war, aber nicht in die Anklageschrift übernommen wurde, sowie alle relevanten Angaben über die materielle Tat, auf die sich ein früheres, in diesem anderen Mitgliedstaat rechtskräftig abgeschlossenes Strafverfahren bezieht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Kroatisch.