URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

12. Januar 2023 ( *1 )

„Rechtsmittel – Wettbewerb – Kartelle – Art. 101 AEUV – Beschwerde bei der Europäischen Kommission – Beschluss der Kommission über die Abweisung der Beschwerde – Nichtigkeitsklage – Frist für die Einreichung einer Rechtsmittelbeantwortung“

In der Rechtssache C‑719/21 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 25. November 2021,

Frédéric Jouvin, wohnhaft in Clichy (Frankreich), vertreten durch L. Bôle-Richard, Avocat,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Kommission, vertreten durch A. Boitos, B. Ernst und A. Keidel als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung der Kammerpräsidentin L. S. Rossi (Berichterstatterin), des Richters S. Rodin und der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwältin: L. Medina,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

aufgrund des nach Anhörung der Generalanwältin ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Herr Frédéric Jouvin die Aufhebung des Beschlusses des Gerichts der Europäischen Union vom 26. April 2021, Jouvin/Kommission (T‑472/20 und T‑472/20 AJ II, nicht veröffentlicht, im Folgenden: angefochtener Beschluss, EU:T:2021:215), mit dem das Gericht seine Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses C(2020) 3503 final der Kommission vom 28. Mai 2020, mit dem seine Beschwerde hinsichtlich angeblicher Verstöße gegen Art. 101 AEUV abgewiesen wurde (im Folgenden: streitiger Beschluss), als offensichtlich jeder rechtlichen Grundlage entbehrend abgewiesen hat.

Rechtlicher Rahmen

Verordnung (EG) Nr. 773/2004

2

Art. 7 („Abweisung von Beschwerden“) der Verordnung (EG) Nr. 773/2004 der Kommission vom 7. April 2004 über die Durchführung von Verfahren auf der Grundlage der Artikel [101] und [102] [AEUV] durch die Kommission (ABl. 2004, L 123, S. 18) bestimmt:

„(1)   Ist die Kommission der Auffassung, dass die ihr vorliegenden Angaben es nicht rechtfertigen, einer Beschwerde nachzugehen, so teilt sie dem Beschwerdeführer die Gründe hierfür mit und setzt ihm eine Frist zur schriftlichen Stellungnahme. Die Kommission ist nicht verpflichtet, nach Ablauf dieser Frist eingegangenen schriftlichen Ausführungen Rechnung zu tragen.

(2)   Äußert sich der Beschwerdeführer innerhalb der von der Kommission gesetzten Frist und führen seine schriftlichen Ausführungen nicht zu einer anderen Würdigung der Beschwerde, weist die Kommission die Beschwerde durch Entscheidung ab.

…“

Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit

3

Kapitel 7 der Leitlinien zur Anwendbarkeit von Artikel 101 AEUV auf Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit (ABl. 2011, C 11, S. 1) (im Folgenden: Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit) betrifft „Vereinbarungen über Normen“. Dieses Kapitel enthält u. a. die Rn. 280 bis 286 dieser Leitlinien, die aufzeigen, unter welchen Voraussetzungen Normenvereinbarungen, bei denen die Gefahr besteht, dass sie Marktmacht entstehen lassen, grundsätzlich nicht in den Anwendungsbereich von Art. 101 Abs. 1 AEUV fallen.

Verfahrensordnung des Gerichtshofs

4

Art. 51 („Entfernungsfrist“) der Verfahrensordnung des Gerichtshofs lautet:

„Die Verfahrensfristen werden um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen verlängert.“

5

Art. 172 („Parteien, die eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen können“) der Verfahrensordnung sieht vor:

„Jede Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht, die ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat, kann innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung der Rechtsmittelschrift eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen. Eine Verlängerung der Beantwortungsfrist ist nicht möglich.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

6

Zur Vorgeschichte des Rechtsstreits hat das Gericht in den Rn. 1 bis 12 des angefochtenen Beschlusses Folgendes ausgeführt:

„1

Der Kläger … meldete am 27. Juni 2001 in mehreren Ländern sowie auf [europäischer] Ebene … Patente für das Einsammeln und die Zustellung von Paketen an und legte dem Konzern La Poste am 31. Januar 2003 ein Projekt mit der Bezeichnung Ripost vor, bei dem diese Patente verwendet werden.

2

Am 12. März 2017 reichte der Kläger eine Beschwerde wegen eines Verstoßes gegen Art. 102 AEUV durch den Konzern La Poste ein. Dieser Konzern, der Postdienste in Frankreich erbringt, verletze die Patente des Klägers in Bezug auf das Einsammeln und die Zustellung von Paketen.

3

In einem Schreiben vom 31. März 2017 wies die Kommission im Wesentlichen darauf hin, dass das Verhalten des Konzerns La Poste – unterstellt, es wäre erwiesen – eher eine Patentverletzung als den Missbrauch einer beherrschenden Stellung im Sinne von Art. 102 AEUV darstelle und dass sie deshalb das Schreiben des Klägers nicht eingehender prüfen werde.

4

Am 4. Oktober 2017 übermittelte der Kläger ein Schreiben an die Kommission, in dem er seine Beschwerde auf der Grundlage von Art. 101 AEUV neu formulierte und sich gegen ein transnationales Kartell aus Postunternehmen, Herstellern von Frankiermaschinen und ‑software sowie Postsortieranlagen, Kunden des elektronischen Geschäftsverkehrs wie Amazon und internationalen Normenorganisationen … richtete.

5

Am 29. November 2017 fand eine Telefonkonferenz mit der Kommission statt.

6

Am 1., 12. und 13. Dezember 2017, am 22. Januar, 15. Mai und 20. November 2018 sowie am 22. Februar 2019 übersandte der Kläger der Kommission Schreiben, in denen er angab, an einer dritten Fassung seiner Beschwerde zu arbeiten.

7

Am 5. April 2019 übermittelte der Kläger der Kommission ein Schreiben mit neuen Gesichtspunkten.

8

Mit Schreiben vom 30. Juli 2019 teilte die Kommission dem Kläger mit, dass es keine hinreichenden Gründe gäbe, seiner Beschwerde nachzugehen.

9

Am 14. September 2019 übermittelte der Kläger der Kommission eine Stellungnahme, in der er den Umfang seiner Beschwerde änderte und angab, sein Vorbringen zum Missbrauch einer beherrschenden Stellung durch den Konzern La Poste, Amazon und bestimmte Postunternehmen fallen zu lassen und nur das Vorbringen in Bezug auf die Verstöße gegen Art. 101 AEUV aufrechtzuerhalten.

10

In der Beschwerde wurden vier Verstöße gegen Art. 101 AEUV geltend gemacht, nämlich die strafbare Verletzung sämtlicher Patente des Klägers, der missbräuchliche Abbruch von Verhandlungen durch die Unternehmen des Kartells, an die der Kläger vergeblich versucht habe, Lizenzen zur Nutzung seiner Patente zu vergeben, der kollektive Boykott seiner Patente durch konzertierte strafbare Verletzungshandlungen, der missbräuchliche Abbruch von Verhandlungen und andere konzertierte rechtswidrige Handlungen und schließlich die Festlegung von Normen durch internationale Organisationen, die gegen die Patente des Klägers verstießen.

11

Am 28. Mai 2020 erließ die Kommission den [streitigen] Beschluss …

12

Nach dem [streitigen] Beschluss ist die Abweisung der Beschwerde darauf zurückzuführen, dass im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit des Nachweises eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union begrenzt erschienen sei. Diese Schlussfolgerung habe sich auf zwei grundlegende Erwägungen gestützt. Die Kommission sei der Ansicht gewesen, dass es sich bei der aufgeworfenen Frage nicht um eine Frage des Wettbewerbsrechts gehandelt habe. Zudem hätte sie aus den vorgelegten Angaben keine Kollusion zwischen den genannten Unternehmen oder auch nur einen entsprechenden begründeten Verdacht ableiten können.“

Verfahren vor dem Gericht und angefochtener Beschluss

7

Mit Klageschrift, die am 15. Oktober 2020 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhob der Rechtsmittelführer Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

8

Zur Stützung seiner Klage machte er fünf Klagegründe geltend. Diese Klagegründe bezogen sich auf die offensichtlich fehlerhafte Beurteilung des Unionsinteresses durch die Kommission, auf die fehlende sorgfältige und unparteiische Prüfung der Beschwerde des Klägers durch die Kommission, auf den Ermessensmissbrauch der Kommission, da sie sich in einem Interessenkonflikt befunden und gegenüber dem Kläger und seinen Begehren eine Verzögerungstaktik angewandt habe, auf einen Rechtsfehler, der sich daraus ergebe, dass die Kommission keine Benachteiligung beim Zugang zum Normungsprozess sowie zum Ergebnis und zu den Berichten dieser Prozesse festgestellt habe, und schließlich auf einen Rechtsfehler, der sich daraus ergebe, dass die Kommission keinen Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV festgestellt habe.

9

Das Gericht hat alle diese Klagegründe als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen.

Anträge und Verfahren vor dem Gerichtshof

10

Der Rechtsmittelführer beantragt,

den angefochtenen Beschluss aufzuheben;

seinen im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben und die Akte an die Kommission zurückzuverweisen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

11

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen und dem Rechtsmittelführer die Kosten aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Zur Einrede der Unzulässigkeit wegen Verspätung der Rechtsmittelbeantwortung der Kommission

12

Der Rechtsmittelführer beruft sich in seiner Erwiderung auf die Unzulässigkeit der Rechtsmittelbeantwortung der Kommission, da diese verspätet eingereicht worden sei. Er macht geltend, dass diese am 22. Februar 2022 eingereichte Rechtsmittelbeantwortung mehr als zwei Monate nach dem 25. November 2021, dem Tag der Einreichung der Rechtsmittelschrift, eingereicht worden sei. Folglich sei die Rechtsmittelbeantwortung für unzulässig zu erklären, da die Kommission den Zeitpunkt, zu dem ihr die Rechtsmittelschrift zugestellt worden sei, nicht nachgewiesen habe.

13

Nach Ansicht der Kommission ist diese Einrede zurückzuweisen.

14

Gemäß Art. 172 der Verfahrensordnung kann jede Partei der betreffenden Rechtssache vor dem Gericht, die ein Interesse an der Stattgabe oder der Zurückweisung des Rechtsmittels hat, innerhalb von zwei Monaten „nach Zustellung der Rechtsmittelschrift“ eine Rechtsmittelbeantwortung einreichen. Nach Art. 51 der Verfahrensordnung ist diese Verfahrensfrist um eine pauschale Entfernungsfrist von zehn Tagen zu verlängern. Folglich beträgt die Frist, innerhalb deren die Rechtsmittelbeantwortung einzureichen ist, zwei Monate und zehn Tage ab Zustellung der Rechtsmittelschrift.

15

Im vorliegenden Fall wurde der Kommission, wie aus ihren schriftlichen Erklärungen hervorgeht, die Rechtsmittelschrift am 13. Dezember 2021 zugestellt. Folglich lief die ab diesem Zeitpunkt laufende Frist für die Einreichung der Rechtsmittelbeantwortung von zwei Monaten und zehn Tagen am 23. Februar 2022 ab.

16

Da die Rechtsmittelbeantwortung der Kommission am 22. Februar 2022 eingereicht wurde, ist die auf eine angebliche Verspätung der Rechtsmittelbeantwortung gestützte Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

17

Der Rechtsmittelführer stützt sein Rechtsmittel auf drei Gründe. Mit dem ersten Rechtsmittelgrund werden im Wesentlichen eine fehlerhafte Einordnung des Sachverhalts, ein Rechtsfehler in Bezug auf die Beweisanforderungen, eine Verfälschung von Beweisen sowie eine Verletzung der Begründungspflicht durch das Gericht in Bezug auf die Feststellung der Zahl mutmaßlicher Rechtsverletzer gerügt. Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund wird im Wesentlichen eine Verfälschung der Beweise in Bezug auf die behauptete Marktaufteilung gerügt. Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wird im Wesentlichen ein Rechtsfehler und ein Verstoß gegen die Begründungspflicht hinsichtlich der Einstufung des Vorbringens des Klägers zu den Normenvereinbarungen gerügt.

Zum ersten Rechtsmittelgrund, mit dem im Wesentlichen eine fehlerhafte Einordnung des Sachverhalts, ein Rechtsfehler in Bezug auf die Beweisanforderungen, eine Verfälschung von Beweisen sowie eine Verletzung der Begründungspflicht durch das Gericht in Bezug auf die Feststellung der Zahl mutmaßlicher Rechtsverletzer gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

18

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer erstens geltend, das Gericht habe in Rn. 37 des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht entschieden, dass er nicht nachgewiesen habe, dass die Kommission einen offensichtlichen Beurteilungsfehler begangen habe, als sie sein Vorbringen zum Vorliegen einer Kollusion zwischen Unternehmen zurückgewiesen habe. Er habe im ersten Rechtszug geltend gemacht, dass die Kommission das Unionsinteresse offensichtlich falsch beurteilt habe, indem sie die Kollusion nicht als gegeben angesehen und nicht festgestellt habe, dass diese Kollusion die Festlegung einer internationalen Norm unter Verletzung der Rechte des geistigen Eigentums des Rechtsmittelführers ermöglicht habe.

19

Der Rechtsmittelführer fügt in seiner Erwiderung hinzu, dass entgegen den Ausführungen der Kommission in ihrer Rechtsmittelbeantwortung die Missachtung der Verpflichtungen der am Normungsprozess Beteiligten, ihre Rechte des geistigen Eigentums sowie etwaige Rechte Dritter, darunter im vorliegenden Fall die Patente des Rechtsmittelführers, anzumelden, kein individuelles Versäumnis jedes der genannten Unternehmen, sondern eine wettbewerbswidrige Abstimmung zwischen diesen Unternehmen sei. Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen, indem es in Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses angenommen habe, die Kommission sei zu Recht davon ausgegangen, dass aus den vom Rechtsmittelführer gemachten Angaben nicht abgeleitet werden könne, dass ein „begründeter Verdacht“ einer Kollusion zwischen den in der Beschwerde genannten Unternehmen bestehe.

20

Zweitens macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen und gegen die Pflicht zur Begründung seiner Entscheidung verstoßen, indem es in Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses von ihm den Nachweis verlangt habe, dass die sehr große Zahl von Rechtsverletzern geeignet gewesen sei, die Beurteilung der Kommission in Bezug auf das Fehlen von Beweisen für eine Kollusion zwischen den in seiner Beschwerde genannten Unternehmen in Frage zu stellen.

21

Das Vorhandensein einer sehr großen Zahl von Rechtsverletzern ziele nicht darauf ab, diese Beurteilung in Frage zu stellen, sondern zeige nur, dass es faktisch unmöglich sei, jeden mutmaßlichen Verletzer zu verfolgen. Mit dem Vorhandensein einer sehr großen Zahl von Rechtsverletzern werde also nicht bezweckt, den Beweis für diese Kollusion zu untermauern, die zudem im Verwaltungsverfahren bereits nachgewiesen und in der Klageschrift im ersten Rechtszug erneut angeführt worden sei. Die Begründung des Gerichts in Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses sei daher gegenstandslos, da der Rechtsmittelführer den Nachweis einer Kollusion nicht darauf stütze, dass es eine große Zahl mutmaßlicher Rechtsverletzer gebe, sondern darauf, dass mehrere am Normungsprozess beteiligte Unternehmen vor Beginn dieses Verfahrens über sein Patentportfolio informiert worden seien und ihre Anmeldepflicht verletzt hätten. Folglich verfälsche die Bezugnahme auf die sehr große Zahl von Rechtsverletzern die dem Gericht zur Kenntnis gebrachten Beweise.

22

Die Kommission hält den ersten Rechtsmittelgrund für unzulässig, soweit der Rechtsmittelführer eine Verfälschung von Beweisen oder Tatsachen geltend macht, und in Bezug auf die anderen von ihm geltend gemachten Argumente als ins Leere gehend bzw. offensichtlich unbegründet.

– Würdigung durch den Gerichtshof

23

Der erste Klagegrund vor dem Gericht war auf eine offensichtlich fehlerhafte Beurteilung des Unionsinteresses durch die Kommission gestützt. Mit diesem Klagegrund machte der Rechtsmittelführer geltend, die Kommission habe die Tragweite und Schwere des geltend gemachten Verstoßes gegen Art. 101 AEUV nicht erkannt.

24

Hierzu ist festzustellen, dass das Gericht, nachdem es in den Rn. 30 bis 34 des angefochtenen Beschlusses auf die Befugnisse der Kommission bei der Behandlung der bei ihr eingereichten Beschwerden und der Rolle des Beschwerdeführers hingewiesen hat, in den Rn. 36 bis 38 dieses Beschlusses das Vorbringen des Rechtsmittelführers wie folgt zurückgewiesen hat:

„36

… ist darauf hinzuweisen, dass die Kommission in den Erwägungsgründen 36, 40, 43 und 46 des [streitigen] Beschlusses ausführte, dass sie aus den vom Beschwerdeführer vorgelegten Angaben keine Kollusion zwischen den in seiner Beschwerde genannten Unternehmen oder auch nur einen entsprechenden begründeten Verdacht habe ableiten können. In den Erwägungsgründen 36, 39 und 46 des [streitigen] Beschlusses führte sie im Wesentlichen weiter aus, die beanstandeten Verhaltensweisen ergäben sich aus dem Recht des geistigen Eigentums und nicht aus dem Wettbewerbsrecht, so dass die Rechte des geistigen Eigentums des Klägers bei der Festlegung dieser Norm nicht berücksichtigt worden seien. Insbesondere damit begründete die Kommission ihre Schlussfolgerung, dass im vorliegenden Fall die Wahrscheinlichkeit des Nachweises eines Verstoßes gegen das Wettbewerbsrecht der Union begrenzt erschienen sei, und damit ihre Weigerung, die Beschwerde des Klägers weiter zu prüfen.

37

Da der Kläger nicht nachgewiesen hat, dass diese Schlussfolgerung auf einem offensichtlichen Beurteilungsfehler der Kommission beruht, hat diese somit zu Recht festgestellt, dass kein hinreichendes Interesse der Union an der weiteren Prüfung des vom Kläger beanstandeten Sachverhalts bestehe.

38

Das Vorbringen des Klägers, dass die beanstandete Praxis eine sehr große Zahl mutmaßlicher Rechtsverletzer betreffe, kann diese Schlussfolgerung nicht entkräften, da der Kläger nicht dargetan hat, dass dieser Gesichtspunkt – unterstellt, er trifft zu – die Feststellung der Kommission in Frage stellen würde, dass es keinen Beweis für eine Kollusion zwischen den in seiner Beschwerde genannten Unternehmen gäbe oder dass sich die beanstandeten Verhaltensweisen vor allem aus dem Recht des geistigen Eigentums ergäben.“

25

Aus den Rn. 36 und 37 des angefochtenen Beschlusses geht hervor, dass das Gericht im Einklang mit der in den Rn. 30 bis 34 dieses Beschlusses angeführten Rechtsprechung geprüft hat, ob die Kommission ihr Ermessen bei der Behandlung von Beschwerden ausgeübt hat, indem sie u. a. die Art des behaupteten Verstoßes, die Wahrscheinlichkeit des Nachweises seines Vorliegens und das Interesse der Union gegeneinander abgewogen hat.

26

Als Erstes ist festzustellen, dass der Rechtsmittelführer mit seinem Vorbringen gegen die Rn. 36 und 37 des angefochtenen Beschlusses keinen Rechtsfehler geltend macht, mit dem die Argumentation des Gerichts behaftet wäre, sondern in Wirklichkeit erreichen möchte, dass der Gerichtshof eine neue Beweiswürdigung vornimmt, indem er ihn um die Feststellung ersucht, dass das Gericht nicht die Beurteilung der tatsächlichen Umstände in Bezug auf das Fehlen eines Nachweises für das Vorliegen einer Kollusion zwischen den in der Beschwerde des Rechtsmittelführers genannten Unternehmen „übernehmen konnte“, die vor allem dazu geführt habe, dass die Kommission den streitigen Beschluss erlassen habe, es sei denn, es würde den gleichen Fehler wie die Kommission begehen.

27

Dieses Vorbringen ist jedoch unzulässig. Denn nach ständiger Rechtsprechung ist allein das Gericht für die Feststellung des Sachverhalts – sofern sich nicht aus den ihm vorgelegten Verfahrensunterlagen ergibt, dass seine Feststellungen tatsächlich falsch sind – und für die Beweiswürdigung zuständig. Die Feststellung des Sachverhalts und die Würdigung der Beweise stellen somit, außer im Fall ihrer Verfälschung, keine Rechtsfrage dar, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs unterläge (Urteile vom 20. September 2018, Agria Polska u. a./Kommission, C‑373/17 P, EU:C:2018:756, Rn. 32, und vom 30. Juni 2022, Fakro/Kommission, C‑149/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:517, Rn. 45), da der Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittels nicht für eine erneute Prüfung des Sachverhalts und der Beweise zuständig ist.

28

Darüber hinaus kann der Umstand, dass der Rechtsmittelführer vor dem Gericht einen Klagegrund „geltend gemacht“ hat, der sich auf einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bezog, offensichtlich nicht genügen, um seine Rüge zu stützen, dass das Gericht in Rn. 37 des angefochtenen Beschlusses einen Rechtsfehler begangen habe, indem es angenommen habe, dass der Rechtsmittelführer nicht „nachgewiesen“ habe, dass die Schlussfolgerung, zu der die Kommission im streitigen Beschluss gelangt sei, auf einem offensichtlichen Beurteilungsfehler beruhe.

29

Was als Zweites das Vorbringen des Rechtsmittelführers zu Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses betrifft, ist erstens hinsichtlich der behaupteten Verletzung der Begründungspflicht durch das Gericht darauf hinzuweisen, dass diese Pflicht, bei der es sich um ein wesentliches Formerfordernis handelt, von der Stichhaltigkeit der Begründung zu unterscheiden ist, die zur materiellen Rechtmäßigkeit des streitigen Rechtsakts gehört (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. November 2016, Kommission/Frankreich und Orange, C‑486/15 P, EU:C:2016:912, Rn. 79, sowie vom 30. Juni 2022, Fakro/Kommission, C‑149/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:517, Rn. 180).

30

Die Rüge des Rechtsmittelführers, die Begründung des Gerichts in Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses sei „gegenstandslos“, betrifft aber nicht eine fehlende oder unzureichende Begründung, sondern die Angemessenheit oder die Stichhaltigkeit dieser Begründung.

31

Was zweitens die Rüge des Rechtsmittelführers anbelangt, die sich gegen die Richtigkeit der in dieser Randnummer des angefochtenen Beschlusses enthaltenen Beurteilung richtet, ist festzustellen, dass sie auf einem fehlerhaften Verständnis dieses Beschlusses beruht.

32

Zwar hat das Gericht in Rn. 38 des angefochtenen Beschlusses festgestellt, dass der Rechtsmittelführer nicht dargetan habe, dass die sehr große Zahl mutmaßlicher Rechtsverletzer – unterstellt, sie trifft zu – die Beurteilung der Kommission in Frage stellen würde, dass kein hinreichendes Interesse der Union an der weiteren Prüfung des vom Kläger beanstandeten Sachverhalts bestehe. Aus den Rn. 36 und 37 dieses Beschlusses, bezüglich deren der Rechtsmittelführer nicht dargetan hat, dass sie rechtsfehlerhaft seien, geht jedoch hervor, dass sich das Gericht bei der Bestätigung dieser Beurteilung der Kommission nicht auf die Zahl von Rechtsverletzern gestützt hat, sondern darauf, dass sich die vom Rechtsmittelführer beanstandeten Verhaltensweisen aus dem Recht des geistigen Eigentums und nicht aus dem Wettbewerbsrecht ergäben.

33

Da der Rechtsmittelführer außerdem mit seinem Vorbringen keine Verfälschung von Beweisen durch das Gericht dartut, ist dieses Vorbringen zurückzuweisen.

34

Folglich ist der erste Rechtsmittelgrund als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund, mit dem im Wesentlichen eine Verfälschung der Beweise in Bezug auf die behauptete Marktaufteilung gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

35

Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht sei in Rn. 41 des angefochtenen Beschlusses einem Tatsachenirrtum unterlegen, indem es festgestellt habe, dass der Rechtsmittelführer im Verwaltungsverfahren keine Argumente in Bezug auf eine Marktaufteilung vorgebracht habe. Er habe in diesem Verfahren mit Schreiben vom 15. Mai 2018, das die beiden bereits eingereichten Beschwerden habe ergänzen sollen, jedoch sehr wohl das Vorliegen einer solchen Marktaufteilung geltend gemacht. Das Gericht habe dieses Schreiben nicht erwähnt, obwohl es auch der Klageschrift im ersten Rechtszug als Anlage beigefügt gewesen sei. Die Würdigung der ihm zur Kenntnis gebrachten Beweise durch das Gericht sei daher fehlerhaft, da es den tatsächlichen Inhalt eines dieser Beweise nicht festgestellt habe, wodurch es diese verfälscht und die Begründungspflicht verletzt habe. Daher habe das Gericht in Rn. 42 des angefochtenen Beschlusses zu Unrecht festgestellt, dass der Kommission nicht vorgeworfen werden könne, dieses Schreiben nicht berücksichtigt zu haben, als sie den streitigen Beschluss erlassen habe.

36

Die Kommission erwidert, dieser Rechtsmittelgrund sei entweder als unzulässig oder als offensichtlich unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

37

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Rechtsmittelführer mit dem ersten Klagegrund seiner Nichtigkeitsklage geltend machte, dass sich die Postunternehmen den betroffenen Markt durch ihre Entscheidung aufgeteilt hätten, die patentierte Technologie nicht am Schalter, d. h. für die Öffentlichkeit, sondern nur Online-Händlern anzubieten.

38

Das Gericht hat dieses Vorbringen in den Rn. 41 bis 42 des angefochtenen Beschlusses wie folgt zurückgewiesen:

„41

[Es] ist darauf hinzuweisen, dass aus den Schreiben des Klägers vom 4. Oktober 2017 und 14. September 2019 sowie aus den Erwägungsgründen 12 und 24 des [streitigen] Beschlusses hervorgeht, dass der Kläger im Verwaltungsverfahren keine Argumente in Bezug auf die Marktaufteilung geltend machte.

42

Daher kann der Kommission nach der in Rn. 34 des [angefochtenen Beschlusses] angeführten Rechtsprechung nicht vorgeworfen werden, dass sie dieses Vorbringen im [streitigen] Beschluss nicht geprüft hat“.

39

Wie sich aus der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung ergibt, ist die Feststellung des Sachverhalts und die Würdigung der Beweise durch das Gericht, sofern sie nicht verfälscht werden, keine Rechtsfrage, die als solche der Kontrolle des Gerichtshofs im Stadium des Rechtsmittels unterläge.

40

Im vorliegenden Fall bezieht sich der Rechtsmittelführer zwar formal auf eine Verletzung der Begründungspflicht sowie auf eine Verfälschung oder sachliche Unrichtigkeit der Feststellungen des Gerichts in Rn. 41 des angefochtenen Beschlusses, doch zielt sein Vorbringen, wie aus Rn. 35 des vorliegenden Urteils hervorgeht, offenbar nur auf die Feststellung einer Verfälschung von Beweisen ab. Die Ausarbeitung dieser Argumentation ist jedoch in Wirklichkeit darauf gerichtet, im Stadium des Rechtsmittels eine Beurteilung des „tatsächlichen Inhalts“ des Schreibens vom 15. Mai 2018 geltend zu machen und eine Prüfung seines Beweiswerts im Hinblick auf die vom Gericht geprüften und in derselben Randnummer des angefochtenen Beschlusses erwähnten Beweise zu erwirken.

41

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs muss sich eine solche Verfälschung jedoch in offensichtlicher Weise aus den Akten ergeben, ohne dass es einer neuen Tatsachen- und Beweiswürdigung bedarf (Urteil vom 6. November 2018, Scuola Elementare Maria Montessori/Kommission, Kommission/Scuola Elementare Maria Montessori und Kommission/Ferracci, C‑622/16 P bis C‑624/16 P, EU:C:2018:873, Rn. 86 und die dort angeführte Rechtsprechung), was hier nicht der Fall ist.

42

Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund als unzulässig zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund, mit dem im Wesentlichen ein Rechtsfehler und ein Verstoß gegen die Begründungspflicht hinsichtlich der Einstufung des Vorbringens des Klägers zu den Normenvereinbarungen gerügt wird

– Vorbringen der Parteien

43

Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe einen Rechtsfehler bei der Feststellung des Inhalts eines Beweises begangen, indem es in den Rn. 87 und 88 des angefochtenen Beschlusses den vierten und den fünften Klagegrund seiner Nichtigkeitsklage mit der Begründung zurückgewiesen habe, dass der Rechtsmittelführer von ihm im Wesentlichen die Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln begehrt habe, ohne ein Argument dafür vorzubringen, dass der streitige Beschluss mit einem Rechtsfehler, einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet sei.

44

Der Rechtsmittelführer macht zunächst geltend, dass er entgegen den Feststellungen des Gerichts von ihm nicht verlangt habe, unmittelbar einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV festzustellen. Vielmehr habe er dargelegt, dass die Kommission, hätte sie die Beweise, die ihr im Verwaltungsverfahren vorgelegt worden seien, angemessen gewürdigt, eine Kollusion zwischen den in der Beschwerde genannten Unternehmen und demzufolge einen Verstoß gegen Art. 101 AEUV hätte feststellen müssen. Insoweit weist der Rechtsmittelführer darauf hin, dass der vierte und der fünfte Klagegrund seiner Nichtigkeitsklage „nur eine Weiterentwicklung und Präzisierung des bereits während des Verwaltungsverfahrens vorgetragenen Sachverhalts“ gewesen seien.

45

Sodann macht der Rechtsmittelführer geltend, dass das Gericht gegen die Pflicht zur Begründung seiner Entscheidungen verstoßen habe, indem es in Rn. 83 des angefochtenen Beschlusses ausgeführt habe, dass der Rechtsmittelführer mit seinem vierten und seinem fünften Klagegrund „seine Theorie der Wettbewerbswidrigkeit der Normenvereinbarung [Global Standards 1] und des Verhaltens ihrer Mitglieder [entwickelt hat], ohne ein speziell auf den [streitigen] Beschluss abzielendes Argument vorzutragen“. Aus seinem gesamten Vorbringen vor dem Gericht, insbesondere aus der Überschrift seines vierten Klagegrundes, gehe jedoch hervor, dass er habe dartun wollen, dass die Kommission einen Rechtsfehler begangen habe, indem sie es unterlassen habe, festzustellen, dass er beim Zugang zum Normungsprozess sowie zum Ergebnis und zu den Berichten dieser Prozesse benachteiligt worden sei.

46

Was schließlich die Zurückweisung des fünften Klagegrundes betrifft, macht der Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe mit seiner Feststellung, dass die Kommission nach Prüfung der vom Rechtsmittelführer vorgebrachten Gesichtspunkte berechtigt gewesen sei, den streitigen Beschluss zu erlassen, ebenfalls einen Rechtsfehler begangen und gegen die Pflicht zur Begründung seiner Entscheidungen verstoßen. Mit diesem fünften Klagegrund habe er nur die Gesichtspunkte dargelegt, die es der Kommission ermöglichen sollten, die im 42. Erwägungsgrund des streitigen Beschlusses genannte Beurteilung vorzunehmen, um festzustellen, ob die in Rede stehende Vereinbarung unter Art. 101 Abs. 1 AEUV falle und, wenn ja, ob die Voraussetzungen von Art. 101 Abs. 3 AEUV erfüllt seien. Er habe mit diesem Klagegrund eine ausführliche Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 101 AEUV auf die Normenvereinbarungen vorgenommen, um darzutun, dass die Kommission seine Beschwerde nicht hätte abweisen dürfen.

47

Nach Auffassung der Kommission ist der dritte Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

– Würdigung durch den Gerichtshof

48

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass mit dem vierten Klagegrund der Nichtigkeitsklage ein Rechtsfehler gerügt wurde, der sich daraus ergebe, dass die Kommission keine Benachteiligung beim Zugang zum Normungsprozess sowie zum Ergebnis und zu den Berichten dieser Prozesse festgestellt habe, und mit dem fünften Klagegrund ein Rechtsfehler, der sich daraus ergebe, dass die Kommission keinen Verstoß gegen Art. 101 AEUV festgestellt habe.

49

Konkret machte der Kläger geltend, dass ihm der Zugang zum Normungsprozess, insbesondere bei der Normenorganisation Global Standards 1 (im Folgenden: GS 1), verwehrt worden sei und dass die mutmaßlichen Rechtsverletzer ihre Verpflichtungen aus den Leitlinien für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit verletzt und ihm den Zugang zum Ergebnis des Normungsprozesses innerhalb des Marktes für den Versand und die Nachverfolgung von Paketen in der Union verwehrt hätten, was gegen Art. 101 Abs. 1 AEUV verstoße.

50

Das Gericht hat dieses Vorbringen in den Rn. 83 bis 87 des angefochtenen Beschlusses wie folgt zurückgewiesen:

„83

Mit seinem vierten und seinem fünften Klagegrund entwickelt der Kläger seine Theorie der Wettbewerbswidrigkeit der Normenvereinbarung GS 1 und des Verhaltens ihrer Mitglieder, ohne ein speziell auf den [streitigen] Beschluss abzielendes Argument vorzutragen.

84

Darüber hinaus ist das Vorbringen des Klägers gegenüber dem Vorbringen im Verwaltungsverfahren in seinem Schreiben vom 14. September 2019, auf das die Kommission in den Erwägungsgründen 38 ff. des [streitigen] Beschlusses eingegangen ist, weitgehend neu. Die Kommission kam in den Rn. 40 und 43 des [streitigen] Beschlusses zum einen zu dem Ergebnis, dass ‚[sie] aus den [vorgelegten] Angaben keine Kollusion zwischen den [genannten] Unternehmen oder auch nur einen entsprechenden begründeten Verdacht ableiten [konnte]‘, und zum anderen, dass ‚selbst wenn man es als erwiesen ansieht, dass die Regeln über die Arbeitsweise von GS 1 eine Normenvereinbarung darstellen, die eine Marktmacht begründen kann, und die in den Rn. 270 bis 286 der Leitlinien [für Vereinbarungen über horizontale Zusammenarbeit] beschriebenen Voraussetzungen nicht erfüllen, [der Kläger] nicht [darlegt], inwiefern die Regeln über die Arbeitsweise den Wettbewerb einschränken sollen‘.

85

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung die gerichtliche Kontrolle von Beschlüssen, mit denen eine Beschwerde abgewiesen wird, nicht dazu führen darf, dass das Gericht seine Beurteilung des Unionsinteresses an die Stelle der Beurteilung durch die Kommission setzt; vielmehr soll mit der Kontrolle überprüft werden, ob der streitige Beschluss nicht auf unzutreffenden Tatsachenfeststellungen beruht und ob er nicht mit einem Rechtsfehler, einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist (… Urteil vom 11. Januar 2017, Topps Europe/Kommission, T‑699/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:2, Rn. 66 und die dort angeführte Rechtsprechung).

86

Im vorliegenden Fall ist es, wie die Kommission zu Recht geltend gemacht hat, … nicht Sache des Gerichts, unmittelbar zu prüfen, ob die Normenvereinbarung GS 1 und das Verhalten ihrer Mitglieder wettbewerbswidrig sind, sondern festzustellen, ob der in den Erwägungsgründen 38 ff. des [streitigen] Beschlusses als Antwort auf das Vorbringen des Klägers im Verwaltungsverfahren dargelegte Standpunkt mit einem Rechtsfehler, einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist.

87

Mit dem vierten und dem fünften Klagegrund begehrt der Kläger vom Gericht im Wesentlichen die Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln, ohne ein Argument dafür vorzubringen, dass der [streitige] Beschluss mit einem Rechtsfehler, einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Ermessensmissbrauch behaftet ist.“

51

Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund macht der Rechtsmittelführer im Wesentlichen geltend, die Begründung des Gerichts sei mit einem Rechtsfehler behaftet und das Gericht habe seine Begründungspflicht hinsichtlich der Einstufung des Vorbringens des Rechtsmittelführers zu den Normenvereinbarungen verletzt.

52

Dem kann nicht gefolgt werden.

53

Zunächst ist nämlich festzustellen, dass der Rechtsmittelführer keinen Rechtsfehler benennt, mit dem die Rn. 83, 87 und 88 des angefochtenen Beschlusses behaftet sein sollen, sondern sich darauf beschränkt, die Darstellung der tatsächlichen Umstände zu wiederholen, die das Gericht zur Feststellung des Vorliegens einer Kollusion zwischen den in der Beschwerde des Rechtsmittelführers genannten Unternehmen hätten veranlassen müssen. Nach der in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung genügt jedoch der Hinweis, dass der Gerichtshof im Rahmen des Rechtsmittels, ohne dass eine Verfälschung des Sachverhalts geltend gemacht würde, nicht die vom Gericht vorgenommene Tatsachen- und Beweiswürdigung überprüfen und erst recht keine neue Würdigung der tatsächlichen Umstände und der Beweise vornehmen kann.

54

Sodann ist darauf hinzuweisen, dass der Rechtsmittelführer in seiner Rechtsmittelschrift einräumt, dass er als Reaktion auf Rn. 42 des streitigen Beschlusses eine Argumentation zur ausführlichen Beurteilung der Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 101 AEUV auf die Normenvereinbarungen ausgearbeitet habe, um zu belegen, dass die Kommission seine Beschwerde zu Unrecht abgewiesen habe. Folglich hat das Gericht in Rn. 84 des angefochtenen Beschlusses zu Recht festgestellt, dass das Vorbringen des Rechtsmittelführers gegenüber seinem Vorbringen im Verwaltungsverfahren weitgehend neu gewesen sei.

55

Daraus folgt, dass das Gericht in den Rn. 83, 87 und 88 des angefochtenen Beschlusses rechtsfehlerfrei feststellen konnte, dass der Rechtsmittelführer mit seinem vierten und seinem fünften Klagegrund von ihm die Feststellung eines Verstoßes gegen die Wettbewerbsregeln begehrt habe, ohne ein Argument dafür vorzubringen, dass der streitige Beschluss mit einem offensichtlichen Beurteilungsfehler oder einem Rechtsfehler behaftet sei, und diese Klagegründe zurückweisen konnte.

56

Schließlich ist der vom Rechtsmittelführer geltend gemachte Verstoß gegen die Begründungspflicht zurückzuweisen. Da das Gericht in den Rn. 84 bis 87 des angefochtenen Beschlusses die Gründe dargelegt hat, aus denen es den vierten und den fünften Klagegrund des Rechtsmittelführers zurückgewiesen hat, wirkt sich die Übereinstimmung zwischen diesen Gründen und der Argumentation der Kommission nicht auf die Beurteilung der Einhaltung dieser Verpflichtung aus.

57

Folglich ist der dritte Rechtsmittelgrund als teils unzulässig und teils unbegründet zurückzuweisen.

58

Da keiner der drei Rechtsmittelgründe durchgreift, ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kosten

59

Nach Art. 184 Abs. 2 seiner Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel unbegründet ist. Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

60

Da die Kommission die Verurteilung des Rechtsmittelführers beantragt hat und dieser mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Kommission aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Herr Frédéric Jouvin trägt neben seinen eigenen Kosten die Kosten der Europäischen Kommission.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.