URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

22. Dezember 2022 ( *1 ) ( i )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Richtlinie 2014/24/EU – Vergabe eines öffentlichen Auftrags ohne Einleitung eines Ausschreibungsverfahrens – Öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors – Art. 12 Abs. 3 – Öffentliche Aufträge, die ‚inhouse‘ vergeben werden – Begriff ‚ähnliche Kontrolle‘ – Voraussetzungen – Vertretung aller beteiligten öffentlichen Auftraggeber – Art. 12 Abs. 4 – Vertrag zwischen öffentlichen Auftraggebern, die gemeinsame Ziele von öffentlichem Interesse verfolgen – Begriff ‚Zusammenarbeit‘ – Voraussetzungen – Nicht fristgerechte Umsetzung – Unmittelbare Wirkung“

In den verbundenen Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidungen vom 15. Juni 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 24. Juni 2021, in den Verfahren

Sambre & Biesme SCRL (C‑383/21),

Commune de Farciennes (C‑384/21)

gegen

Société wallonne du logement (SWL)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan (Berichterstatter) sowie der Richter D. Gratsias, M. Ilešič, I. Jarukaitis und Z. Csehi,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 30. März 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Sambre & Biesme SCRL, vertreten durch J. Laurent und C. Servais, Avocats,

der commune de Farciennes, vertreten durch J. Bourtembourg und N. Fortemps, Avocats,

der belgischen Regierung, vertreten durch J.‑C. Halleux, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte im Beistand von M. Vastmans, Avocate,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Ondrůšek und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juni 2022

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65).

2

Sie ergehen im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen der Sambre & Biesme SCRL, société de Logement de Service public (SLSP) (im Folgenden: SLSP Sambre & Biesme) (Rechtssache C‑383/21) und der commune de Farciennes (Gemeinde Farciennes, Belgien) (Rechtssache C‑384/21) auf der einen und der Société wallone du logement (SWL) auf der anderen Seite wegen der durch die SWL erfolgten Nichtigerklärung von Beschlüssen des Verwaltungsrats von SLSP Sambre & Biesme, mit denen dieser zum einen den Rahmenvertrag über gemeinsame Aufträge mit der Gemeinde Farciennes genehmigte und zum anderen angesichts des Inhouseverhältnisses zwischen SLSP Sambre & Biesme und der Intercommunale pour la Gestion et la Réalisation d’Études Techniques et Économiques (Igretec) vorsah, den öffentlichen Auftrag für Asbestinventurleistungen nicht auszuschreiben.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 5, 31 und 33 der Richtlinie 2014/24 heißt es:

„(5)

Es sei darauf hingewiesen, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinie organisieren möchten. Die Richtlinie sollte nicht für die Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage von Rechts- und Verwaltungsvorschriften oder von Arbeitsverträgen gelten. In einigen Mitgliedstaaten könnte dies z. B. bei bestimmten administrativen und staatlichen Dienstleistungen wie Exekutiv- und Legislativdienstleistungen der Fall sein oder bei der Erbringung bestimmter Dienstleistungen für die Allgemeinheit, wie Dienstleistungen im Bereich der auswärtigen Angelegenheiten oder der Justiz oder Dienstleistungen der gesetzlichen Sozialversicherung.

(31)

Es besteht erhebliche Rechtsunsicherheit darüber, inwieweit Verträge, die zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors geschlossen werden, von den Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge erfasst werden sollten. Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union wird nicht nur von den einzelnen Mitgliedstaaten, sondern auch von den einzelnen öffentlichen Auftraggebern unterschiedlich ausgelegt. Daher gilt es zu präzisieren, in welchen Fällen im öffentlichen Sektor geschlossene Verträge von der Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge ausgenommen sind.

Diese Präzisierung sollte sich auf die Grundsätze stützen, die in der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union dargelegt wurden. Der Umstand, dass beide Parteien einer Vereinbarung selbst öffentliche Stellen sind, reicht allein nicht aus, um die Anwendung der Vergabevorschriften auszuschließen. Die Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge sollte öffentliche Stellen jedoch nicht in ihrer Freiheit beschränken, die ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben auszuüben, indem sie ihre eigenen Mittel verwenden, wozu die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen gehört.

Es sollte sichergestellt werden, dass eine vom Anwendungsbereich ausgenommene öffentlich-öffentliche Zusammenarbeit keine Wettbewerbsverzerrung im Verhältnis zu privaten Wirtschaftsteilnehmern zur Folge hat, indem ein privater Dienstleister bessergestellt wird als seine Wettbewerber.

(33)

Die öffentlichen Auftraggeber sollten auch beschließen können, ihre öffentlichen Dienstleistungen gemeinsam im Wege der Zusammenarbeit zu erbringen, ohne zur Einhaltung einer bestimmten Rechtsform verpflichtet zu sein. Diese Zusammenarbeit könnte alle Arten von Tätigkeiten in Verbindung mit der Ausführung der Dienstleistungen und Zuständigkeiten, die den teilnehmenden Stellen zugeteilt wurden oder von ihnen übernommen werden, erfassen, wie gesetzliche oder freiwillige Aufgaben der Gebietskörperschaften oder Dienste, die bestimmten Einrichtungen durch das öffentliche Recht übertragen werden. Die von den verschiedenen teilnehmenden Stellen erbrachten Dienstleistungen müssen nicht notwendigerweise identisch sein; sie können sich auch ergänzen.

Aufträge für die gemeinsame Erbringung öffentlicher Dienstleistungen sollten nicht der Anwendung der in dieser Richtlinie festgelegten Vorschriften unterliegen, vorausgesetzt sie werden ausschließlich zwischen öffentlichen Auftraggebern geschlossen, die Durchführung dieser Zusammenarbeit wird ausschließlich von Erwägungen des öffentlichen Interesse[s] bestimmt und kein privater Dienstleister erhält einen Vorteil gegenüber seinen Wettbewerbern.

Um diese Voraussetzungen zu erfüllen, sollte die Zusammenarbeit auf einem kooperativen Konzept beruhen. Die Zusammenarbeit setzt nicht voraus, dass alle teilnehmenden Stellen die Ausführung wesentlicher vertraglicher Pflichten übernehmen, solange sie sich verpflichtet haben, einen Beitrag zur gemeinsamen Ausführung der betreffenden öffentlichen Dienstleistung zu leisten. Für die Durchführung der Zusammenarbeit einschließlich etwaiger Finanztransfers zwischen den teilnehmenden öffentlichen Auftraggebern sollten im Übrigen ausschließlich Erwägungen des öffentlichen Interesses maßgeblich sein.“

4

Titel I („Anwendungsbereich, Begriffsbestimmungen und allgemeine Grundsätze“) der Richtlinie 2014/24 enthält ein Kapitel I („Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen“), dessen Abschnitt 3 („Ausnahmen“) die Art. 7 bis 12 umfasst.

5

Art. 12 („Öffentliche Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Ein von einem öffentlichen Auftraggeber an eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts vergebener öffentlicher Auftrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der öffentliche Auftraggeber übt über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus, wie über seine eigenen Dienststellen;

b)

mehr als 80 % der Tätigkeiten der kontrollierten juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von dem die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggeber oder von anderen von diesem kontrollierten juristischen Personen betraut [wurde,] und

c)

es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

Bei einem öffentlichen Auftraggeber wird davon ausgegangen, dass er über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle im Sinne von Unterabsatz 1 Buchstabe a ausübt wie über seine eigenen Dienststellen, wenn er einen ausschlaggebenden Einfluss sowohl auf die strategischen Ziele als auch auf die wesentlichen Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausübt. Solche Kontrolle kann auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird.

(2)   Absatz 1 gilt auch, wenn eine kontrollierte juristische Person, bei der es sich um einen öffentlichen Auftraggeber handelt, einen Auftrag an ihren kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder eine andere von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrollierte juristische Person vergibt, sofern keine direkte private Kapitalbeteiligung an der juristischen Person besteht, die den öffentlichen Auftrag erhalten soll, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

(3)   Ein öffentlicher Auftraggeber, der keine Kontrolle über eine juristische Person des privaten oder öffentlichen Rechts im Sinne von Absatz 1 ausübt, kann einen öffentlichen Auftrag dennoch ohne Anwendung dieser Richtlinie an diese juristische Person vergeben, wenn alle der folgenden Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der öffentliche Auftraggeber übt gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über diese juristische Person eine ähnliche Kontrolle aus wie über ihre eigenen Dienststellen;

b)

mehr als 80 % der Tätigkeiten dieser juristischen Person dienen der Ausführung der Aufgaben, mit denen sie von den die Kontrolle ausübenden öffentlichen Auftraggebern oder von anderen von denselben öffentlichen Auftraggebern kontrollierten juristischen Personen betraut [wurde,] und

c)

es besteht keine direkte private Kapitalbeteiligung an der kontrollierten juristischen Person, mit Ausnahme nicht beherrschender Formen der privaten Kapitalbeteiligung und Formen der privaten Kapitalbeteiligung ohne Sperrminorität, die in Übereinstimmung mit den Verträgen durch nationale gesetzliche Bestimmungen vorgeschrieben sind und die keinen maßgeblichen Einfluss auf die kontrollierte juristische Person vermitteln.

Für die Zwecke von Unterabsatz 1 Buchstabe a üben öffentliche Auftraggeber gemeinsam die Kontrolle über eine juristische Person aus, wenn alle folgenden Bedingungen erfüllt sind:

i)

Die beschlussfassenden Organe der kontrollierten juristischen Person setzen sich aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammen. Einzelne Vertreter können mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten;

ii)

diese öffentlichen Auftraggeber können gemeinsam einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele und wesentlichen Entscheidungen der kontrollierten juristischen Person ausüben[,] und

iii)

die kontrollierte juristische Person verfolgt keine Interessen, die denen der kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber zuwiderlaufen.

(4)   Ein ausschließlich zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag fällt nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn alle nachfolgend genannten Bedingungen erfüllt sind:

a)

Der Vertrag begründet oder erfüllt eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern mit dem Ziel sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden;

b)

die Durchführung dieser Zusammenarbeit wird ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt[,] und

c)

die beteiligten öffentlichen Auftraggeber erbringen auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten.

…“

6

Art. 90 („Umsetzung und Übergangsbestimmungen“) der Richtlinie sieht in Abs. 1 vor:

„(1) Die Mitgliedstaaten setzen die Rechts- und Verwaltungsvorschriften in Kraft, die erforderlich sind, um dieser Richtlinie bis 18. April 2016 nachzukommen. Sie übermitteln der Kommission unverzüglich den Wortlaut dieser Vorschriften.“

Belgisches Recht

7

Die Richtlinie 2014/24 wurde durch die Loi relative aux marchés publics (Gesetz über die öffentliche Auftragsvergabe) vom 17. Juni 2016 (Moniteur belge [Belgisches Staatsblatt] vom 14. Juli 2016, S. 44219) in belgisches Recht umgesetzt; dieses Gesetz trat am 30. Juni 2017 nach Ablauf der in Art. 90 der Richtlinie 2014/24 für ihre Umsetzung vorgesehenen Frist in Kraft.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8

SLSP Sambre & Biesme ist eine Genossenschaft mit beschränkter Haftung, deren wichtigste Mitglieder die Gemeinden Farciennes und Aiseau-Presles (Belgien) sind. Als gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft ist ihre Aufsichtsbehörde die im Auftrag der wallonischen Regierung handelnde SWL.

9

Im Laufe des Jahres 2015 beschlossen SLSP Sambre & Biesme und die Gemeinde Farciennes, ihre Mittel zu bündeln, um in Farciennes ein Öko-Viertel mit etwa 150 Wohnungen zu schaffen. Zu diesem Zweck wollten die Parteien zur Überwachung der Durchführung ihres Projekts die Dienste von Igretec in Anspruch nehmen.

10

Igretec ist eine Genossenschaft mit beschränkter Haftung, die gemeinwirtschaftliche Aufgaben wahrnimmt und als solche eine juristische Person des öffentlichen Rechts. Ihre Tätigkeit erstreckt sich auf mehrere Bereiche. Wie in ihrer Satzung beschrieben, umfasst ihr Gesellschaftszweck u. a. Tätigkeiten als Planungs- und Verwaltungsbüro.

11

Die Vorschriften für die Organisation und Funktionsweise der Igretec ergeben sich aus dem Code de la démocratie locale et de la décentralisation (Gesetzbuch über die lokale Demokratie und die Dezentralisierung) und ihrer Satzung. Insoweit umfasst sie, was ihre Zusammensetzung betrifft, ausschließlich juristische Personen des öffentlichen Rechts. Während des im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums waren mehr als 70 Gemeinden, darunter die Gemeinde Farciennes, und mehr als 50 weitere öffentliche Stellen Mitglied der Igretec. Im Genossenschaftskapital von Igretec, das in fünf Klassen unterteilt ist, betrugen die Zahl der Anteile der Klasse A, die den Gemeinden zugeteilt waren, 5054351 und die Zahl der Anteile der Klasse C, die „anderen öffentlich-rechtlichen Mitgliedern“ zugeteilt waren, 17126 Anteile.

12

Was die Funktionsweise von Igretec betrifft, so verfügen die Gemeinden stets über die Stimmenmehrheit und den Vorsitz der verschiedenen Verwaltungsorgane; die Beschlüsse der Organe von Igretec kommen nur zustande, wenn sie neben der Mehrheit der Stimmen der anwesenden oder vertretenen Verwaltungsratsmitglieder auch die Mehrheit der Stimmen der Verwaltungsratsmitglieder der kommunalen Mitglieder erhalten.

13

Am 29. Oktober 2015 beschloss SLSP Sambre & Biesme, einen Anteil der Klasse C an Igretec zu erwerben, um deren Leistungen als Mitglied in Anspruch nehmen zu können.

14

Am 23. März 2016 schloss die Gemeinde Farciennes mit Igretec einen Vertrag über Bauleitungs- und juristische Unterstützung sowie einen Vertrag über eine Machbarkeitsstudie in Bezug auf Architektur, Stabilität, Spezialtechnik, Straßenbau, Umwelt und Stadtplanung. Im Rahmen dieser Aufgaben schlug Igretec drei Gestaltungsvarianten vor, die das Projekt der SLSP Sambre & Biesme einbezogen, und regte den Abschluss eines Vertrags über einen gemeinsamen Auftrag zwischen SLSP Sambre & Biesme und der Gemeinde Farciennes an.

15

Am 19. Januar 2017 stimmte der Verwaltungsrat der SLSP Sambre & Biesme zum einen dem Entwurf eines Rahmenvertrags über gemeinsame Aufträge mit der Gemeinde Farciennes und zum anderen dem Sonderlastenheft über die Beauftragung eines Sachverständigenbüros zur Durchführung von Asbestinventur- und ‑verwaltungsleistungen zu. Dieses von Igretec erstellte Lastenheft wurde als erste Stufe bei der Realisierung des Vorhabens eines Öko-Viertels in Farciennes beschrieben.

16

Am 26. Januar 2017 beschloss der Gemeinderat der Gemeinde Farciennes, diesen Rahmenvertrag mit SLSP Sambre & Biesme zu genehmigen.

17

In diesem Rahmenvertrag heißt es in Art. 1 („Gegenstand“) u. a., dass die Gemeinde Farciennes und SLSP Sambre & Biesme durch diesen Rahmenvertrag ihre jeweiligen Rechte und Pflichten im Zusammenhang mit der Planung und Realisierung der Arbeiten zur Errichtung des Öko-Viertels in Farciennes festlegen und beschließen, gemeinsame öffentliche Aufträge über Dienstleistungen, Bauarbeiten und Baubetreuung zu vergeben.

18

Insoweit ermächtigen sie die Gemeinde Farciennes, in ihrem gemeinsamen Namen als öffentlicher Auftraggeber zu handeln und alle Entscheidungen über die Vergabe und Erteilung des Zuschlags für öffentliche Aufträge allein zu treffen, wobei sich die Parteien vor jeder Entscheidung, die in Ausführung des Rahmenvertrags und gemäß dessen Art. 2 getroffen wird, in einem Leitungsorgan abstimmen, der sich aus Vertretern jeder der Parteien zusammensetzt.

19

Nach Art. 5 („Wahl der Bauleitungsunterstützung für die Durchführung von Aufträgen über Dienstleistungen, Bauarbeiten und Baubetreuung und für die Realisierung des Stadterneuerungsvorhabens“) dieses Rahmenvertrags „vereinbaren die Parteien, dass die Gemeinde Farciennes mit Igretec … einen Vertrag über die Bauleitungsunterstützung und über Leistungen auf den Gebieten Recht und Umwelt abschließt, und zwar im Rahmen des ‚In-House-Verhältnisses‘, das die einzelnen Parteien mit dieser Interkommunalen verbindet“.

20

Am 9. Februar 2017 beschloss der Verwaltungsrat von SLSP Sambre & Biesme zum einen, den Abschluss des Rahmenvertrags über gemeinsame Aufträge mit der Gemeinde Farciennes zu genehmigen, und zum anderen, angesichts des Inhouseverhältnisses zwischen SLSP Sambre & Biesme und Igretec den öffentlichen Auftrag für Asbestinventurleistungen nicht auszuschreiben, dessen Sonderlastenheft er zuvor genehmigt hatte.

21

Mit Beschluss vom 25. Februar 2017 erklärte SWL als Aufsichtsbehörde diese beiden Beschlüsse des Verwaltungsrats von SLSP Sambre & Biesme für nichtig, da die Voraussetzungen für die Inhouseausnahme zwischen SLSP Sambre & Biesme und Igretec nicht erfüllt seien.

22

SLSP Sambre & Biesme (Rechtssache C‑383/21) und die Gemeinde Farciennes (Rechtssache C‑384/21) haben am 28. April bzw. 2. Mai 2017 beim Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) jeweils Nichtigkeitsklage gegen diesen Beschluss der SWL erhoben. Sie machen geltend, dass die Voraussetzungen für eine solche Ausnahme nach Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 unter den genannten Umständen erfüllt gewesen seien, so dass eine Direktvergabe der in Rede stehenden öffentlichen Aufträge habe erfolgen können. Darüber hinaus macht die Gemeinde Farciennes (Rechtssache C‑384/21) geltend, dass eine Vergabe ohne wettbewerbliches Vergabeverfahren auch nach Art. 12 Abs. 4 dieser Richtlinie gerechtfertigt sei, da es zwischen den öffentlichen Auftraggebern eine Zusammenarbeit im Sinne dieser Bestimmung gäbe.

23

Da das Gesetz zur Umsetzung der genannten Richtlinie zum Zeitpunkt des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Sachverhalts noch nicht in Kraft getreten war, obwohl die in Art. 90 der Richtlinie 2014/24 vorgesehene Umsetzungsfrist bereits abgelaufen war, fragt sich das vorlegende Gericht zunächst, ob im Licht des Urteils vom 3. Oktober 2019, Irgita (C‑285/18, EU:C:2019:829), die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten auf der Grundlage von Art. 12 Abs. 3 und 4 dieser Richtlinie zu entscheiden sind, da sich die Parteien der Ausgangsverfahren insbesondere darüber streiten, ob diese Bestimmungen nur eine Befugnis für die Mitgliedstaaten vorsehen sollen, die Vergabe bestimmter öffentlicher Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen.

24

Was sodann die Voraussetzungen betrifft, die erfüllt sein müssen, damit ein öffentlicher Auftraggeber, der gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern Kontrolle über die betreffende juristische Person ausübt, eine Inhousevergabe vornehmen kann, fragt sich das vorlegende Gericht, wie dieser öffentliche Auftraggeber an den Organen der kontrollierten Einrichtung beteiligt sein und wirksam zu ihrer Kontrolle beitragen muss, insbesondere nach dem in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i dieser Richtlinie genannten Erfordernis. Hierzu führt das vorlegende Gericht aus, dass sich die Mitglieder der Kategorie C, zu denen SLSP Sambre & Biesme gehöre, in einer sehr deutlichen Minderheit befänden, die es ihnen nicht ermögliche, wirksam zur Kontrolle von Igretec beizutragen.

25

Unter Hinweis auf die Vorrangstellung der Gemeinden als Mitglieder der Kategorie A in den beschlussfassenden Organen führt das vorlegende Gericht aus, dass die sehr geringe Minderheitsbeteiligung der Mitglieder der Kategorie C ihnen faktisch nicht erlaube, ein Verwaltungsratsmitglied zu haben, um sie im Verwaltungsrat von Igretec zu vertreten, da die Satzung von Igretec in der auf die Ausgangsrechtsstreitigkeiten anwendbaren Fassung keineswegs sicherstelle, dass ein von den Mitgliedern der Kategorie C benanntes Mitglied im Verwaltungsrat sitze, um sie zu vertreten. Das vorlegende Gericht hat festgestellt, dass diese Mitglieder der Kategorie C tatsächlich über keinen Vertreter im Verwaltungsrat oder im „ständigen Ausschuss des Planungs- und Verwaltungsbüros“ verfügten, und daraus gefolgert, dass die Mitglieder der Kategorie C in keiner Weise an der Ausübung der gemeinsamen Kontrolle über Igretec beteiligt seien.

26

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass die Klägerinnen in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten geltend machten, dass ein Gemeinderatsmitglied der Gemeinde Farciennes, das zugleich Verwaltungsratsmitglied von SLSP Sambre & Biesme gewesen sei, im Verwaltungsrat von Igretec gesessen habe, da die Gemeinde Farciennes zugleich Mitglied von Igretec und von SLSP Sambre & Biesme sei.

27

Es sei jedoch nicht nachgewiesen worden, dass dieser Umstand gesetzlich vorgesehen und garantiert sei. Darüber hinaus habe diese Person in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied von Farciennes im Verwaltungsrat von Igretec gesessen, ohne dass davon ausgegangen werden könne, dass sie in dieser Eigenschaft auch die Interessen von SLSP Sambre & Biesme vertreten sollte.

28

In Anbetracht der von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vor dem vorlegenden Gericht geltend gemachten konkreten Beurteilung zur Feststellung, ob ein öffentlicher Auftraggeber über die beauftragte Einrichtung eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, fragt sich das vorlegende Gericht daher, ob eine Situation wie die in den Rn. 26 und 27 des vorliegenden Urteils dargestellte den von den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens vorgetragenen Schluss zulässt, dass SLSP Sambre & Biesme an den beschlussfassenden Organen von Igretec beteiligt war und daher gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern mit Hilfe der Gemeinde Farciennes eine solche Kontrolle über diese Interkommunale ausübte.

29

Das vorlegende Gericht führt zum einen aus, dass die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zwar geltend machten, die Gemeinde Farciennes sei Mitglied sowohl von SLSP Sambre & Biesme als auch von Igretec und übe über diese beiden Einrichtungen eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen aus, dass die Klägerinnen aber nicht die Möglichkeit einer Direktvergabe eines öffentlichen Auftrags zwischen zwei Einrichtungen, die von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrolliert würden, geltend machen wollten. Zum anderen äußert das vorlegende Gericht Zweifel daran, dass die Voraussetzungen für den Ausschluss solcher Vergaben vom Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vorschriften über öffentliche Aufträge in jedem Fall erfüllt seien, da die Gemeinde Farciennes ihre Kontrolle gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern ausübe.

30

Schließlich stellt sich das vorlegende Gericht auch die Frage nach der Möglichkeit, den öffentlichen Auftrag gemäß Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 ohne Ausschreibungsverfahren zu vergeben, da sich die Gemeinde Farciennes hilfsweise auf das Vorliegen einer Zusammenarbeit zwischen den öffentlichen Auftraggebern im Sinne dieser Bestimmung berufe.

31

Insoweit hegt das vorlegende Gericht Zweifel daran, dass der in dieser Bestimmung genannte Begriff „Zusammenarbeit“ Umstände wie die des Ausgangsverfahrens allein deshalb erfassen kann, weil die Igretec übertragenen Aufgaben der Bauleitungsunterstützung und der Leistungen auf den Gebieten Recht und Umwelt Teil der Zusammenarbeit zwischen SLSP Sambre & Biesme und der Gemeinde Farciennes im Hinblick auf die Realisierung eines gemeinsamen Projekts zur Schaffung eines Öko-Viertels in Farciennes sind, weil jedenfalls diese Gemeinde und Igretec ein Inhouseverhältnis verbindet und weil die genannte Gemeinde und SLSP Sambre & Biesme Mitglieder von Igretec im Tätigkeitsbereich ihres Gesellschaftszwecks sind, der gerade von den Aufgaben betroffen ist, die sie ihr übertragen wollen.

32

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

In der Rechtssache C‑383/21:

1.

Ist Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet?

2.

Für den Fall, dass diese erste Frage bejaht wird: Ist Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass die Voraussetzung, wonach ein öffentlicher Auftraggeber, vorliegend eine gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft, in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person, hier einer interkommunalen Genossenschaft, vertreten sein muss, allein deswegen erfüllt ist, weil eine Person, die in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied eines anderen beteiligten öffentlichen Auftraggebers, vorliegend einer Gemeinde, im Verwaltungsrat dieser interkommunalen Genossenschaft sitzt, aus rein tatsächlichen Gründen und ohne dass die Vertretung gesetzlich garantiert ist, auch Mitglied im Verwaltungsrat der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist, während die Gemeinde sowohl (nicht alleiniges) Mitglied der kontrollierten Einrichtung (interkommunalen Genossenschaft) als auch der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist?

3.

Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Ist ein öffentlicher Auftraggeber, vorliegend eine gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft, an den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person, hier einer interkommunalen Genossenschaft, allein deswegen „beteiligt“, weil eine Person, die in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied eines anderen beteiligten öffentlichen Auftraggebers, vorliegend einer Gemeinde, im Verwaltungsrat dieser interkommunalen Genossenschaft sitzt, aus rein tatsächlichen Gründen und ohne dass die Vertretung gesetzlich garantiert ist, auch Mitglied im Verwaltungsrat der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist, während die Gemeinde sowohl (nicht alleiniges) Mitglied der kontrollierten Einrichtung (interkommunalen Genossenschaft) als auch der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist?

In der Rechtssache C‑384/21:

1.

Ist Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet?

2.

Für den Fall, dass diese erste Frage bejaht wird: Ist Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass die Voraussetzung, wonach ein öffentlicher Auftraggeber, vorliegend eine gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft, in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person, hier einer interkommunalen Genossenschaft, vertreten sein muss, allein deswegen erfüllt ist, weil eine Person, die in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied eines anderen beteiligten öffentlichen Auftraggebers, vorliegend einer Gemeinde, im Verwaltungsrat dieser interkommunalen Genossenschaft sitzt, aus rein tatsächlichen Gründen und ohne dass die Vertretung gesetzlich garantiert ist, auch Mitglied im Verwaltungsrat der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist, während die Gemeinde sowohl (nicht alleiniges) Mitglied der kontrollierten Einrichtung (interkommunalen Genossenschaft) als auch der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist?

3.

Für den Fall, dass die erste Frage verneint wird: Ist ein öffentlicher Auftraggeber, vorliegend eine gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft, an den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person, hier einer interkommunalen Genossenschaft, allein deswegen „beteiligt“, weil eine Person, die in ihrer Eigenschaft als Gemeinderatsmitglied eines anderen beteiligten öffentlichen Auftraggebers, vorliegend einer Gemeinde, im Verwaltungsrat dieser interkommunalen Genossenschaft sitzt, aus rein tatsächlichen Gründen und ohne dass die Vertretung gesetzlich garantiert ist, auch Mitglied im Verwaltungsrat der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist, während die Gemeinde sowohl (nicht alleiniges) Mitglied der kontrollierten Einrichtung (interkommunalen Genossenschaft) als auch der gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft ist?

4.

Ist Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er unmittelbare Wirkung entfaltet?

5.

Für den Fall, dass die vierte Frage bejaht wird: Ist Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen, dass er es erlaubt, einem öffentlichen Auftraggeber, hier einer interkommunalen Genossenschaft, ohne vorherige Ausschreibung Aufgaben im Bereich Bauleitungsunterstützung sowie betreffend Leistungen auf den Gebieten Recht und Umwelt zu übertragen, wenn diese Aufgaben in den Rahmen einer Zusammenarbeit zwischen zwei anderen öffentlichen Auftraggebern fallen, hier einer Gemeinde und einer gemeinwirtschaftlichen Wohnbaugesellschaft, unstreitig ist, dass die Gemeinde eine „gemeinsame In-House-Kontrolle“ über die interkommunale Genossenschaft ausübt, und die Gemeinde und die gemeinwirtschaftliche Wohnbaugesellschaft Mitglieder der interkommunalen Genossenschaft im Tätigkeitsbereich „Planungs- und Verwaltungsbüro und Einkaufszentrale“ ihres Gesellschaftszwecks sind, der gerade von den Aufgaben betroffen ist, die sie ihr übertragen wollen, wobei diese Aufgaben Tätigkeiten entsprechen, die auf dem Markt von Planungs- und Verwaltungsbüros ausgeübt werden, die sich auf die Planung, Realisierung und Umsetzung von Projekten spezialisiert haben?

33

Durch Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 27. August 2021 sind die Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten Frage in der Rechtssache C‑383/21 sowie zur ersten und zur vierten Frage in der Rechtssache C‑384/21

34

Mit seiner ersten Frage in der Rechtssache C‑383/21 sowie mit seiner ersten und seiner vierten Frage in der Rechtssache C‑384/21 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts über die Direktvergabe öffentlicher Aufträge unmittelbare Wirkungen entfaltet, wenn der betreffende Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

35

Aus ständiger Rechtsprechung ergibt sich, dass es in all den Fällen, in denen die Bestimmungen einer Richtlinie inhaltlich unbedingt und hinreichend genau sind, möglich ist, sich vor den nationalen Gerichten gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat auf diese Bestimmungen zu berufen, wenn dieser Staat die Richtlinie nicht fristgemäß oder unzulänglich in nationales Recht umgesetzt hat (Urteil vom 14. Januar 2021, RTS infra und Aannemingsbedrijf Norré-Behaegel, C‑387/19, EU:C:2021:13, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV besteht die Verbindlichkeit einer Richtlinie, aufgrund deren eine Berufung auf sie möglich ist, nur in Bezug auf „jeden Mitgliedstaat, an den sie gerichtet wird“. Nach ständiger Rechtsprechung kann eine Richtlinie folglich nicht selbst Verpflichtungen für einen Einzelnen begründen, so dass diesem gegenüber eine Berufung auf die Richtlinie als solche vor nationalen Gerichten nicht möglich ist (Urteil vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Jedoch kann der Einzelne, wenn er sich nicht einem Privaten, sondern dem Mitgliedstaat gegenüber auf eine Richtlinie berufen kann, dies unabhängig davon tun, in welcher Eigenschaft der Staat handelt. Es muss nämlich verhindert werden, dass der Mitgliedstaat aus der Nichtbeachtung des Unionsrechts Nutzen ziehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 7. Juli 2016, Ambisig, C‑46/15, EU:C:2016:530, Rn. 21 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

So können sich die Einzelnen auf unbedingte und hinreichend genaue Bestimmungen einer Richtlinie nicht nur gegenüber einem Mitgliedstaat und allen Trägern seiner Verwaltung berufen, sondern auch gegenüber – selbst privatrechtlichen – Organisationen oder Einrichtungen, die dem Staat oder dessen Aufsicht unterstehen oder mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet sind, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten (Urteil vom 30. April 2020, Blue Air – Airline Management Solutions, C‑584/18, EU:C:2020:324, Rn. 72 und die dort angeführte Rechtsprechung).

39

Da die Pflicht eines Mitgliedstaats, alle zur Erreichung des durch eine Richtlinie vorgeschriebenen Ziels erforderlichen Maßnahmen zu treffen, eine durch Art. 288 Abs. 3 AEUV und durch diese Richtlinie selbst auferlegte zwingende Pflicht ist, deren Beachtung allen in der vorstehenden Randnummer genannten Einrichtungen obliegt, handelt es sich bei den Rechtsstreitigkeiten zwischen diesen Einrichtungen folglich um Rechtsstreitigkeiten, an denen Parteien beteiligt sind, die zur Anwendung der betreffenden Richtlinie verpflichtet sind und denen die unbedingten und hinreichend genauen Bestimmungen dieser Richtlinie entgegengehalten werden können. Daraus folgt, dass diese Bestimmungen dieser Richtlinie im Rahmen solcher Rechtsstreitigkeiten geltend gemacht werden können, unabhängig davon, ob es für diese Einrichtungen darum geht, die Einhaltung der in dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtungen durchzusetzen oder die ihnen von ihnen eingeräumten Rechte geltend zu machen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Portgás, C‑425/12, EU:C:2013:829, Rn. 34, 35 und 38).

40

Im vorliegenden Fall sind die Parteien der Ausgangsverfahren, wie aus den Vorabentscheidungsersuchen hervorgeht, juristische Personen des öffentlichen Rechts, die zur Einhaltung der Richtlinie 2014/24 verpflichtet sind. Daraus folgt, dass sich im Rahmen dieser Rechtsstreitigkeiten, wenn diese Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt wurde, öffentliche Auftraggeber wie SLSP Sambre & Biesme und die Gemeinde Farciennes auf die Bestimmungen der genannten Richtlinie berufen können, sofern diese unbedingt und hinreichend genau sind.

41

Insoweit hat der Gerichtshof klargestellt, dass eine Unionsvorschrift zum einen unbedingt ist, wenn sie eine Verpflichtung normiert, die an keine Bedingung geknüpft ist und zu ihrer Durchführung oder Wirksamkeit auch keiner weiteren Maßnahmen der Organe der Europäischen Union oder der Mitgliedstaaten bedarf, und sie zum anderen hinreichend genau ist, um von einem Einzelnen geltend gemacht und vom Gericht angewandt zu werden, wenn sie in unzweideutigen Worten eine Verpflichtung festlegt (Urteil vom 14. Januar 2021, RTS infra und Aannemingsbedrijf Norré-Behaegel, C‑387/19, EU:C:2021:13, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dies ist bei Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24 der Fall.

42

Was erstens die Unbedingtheit dieser Bestimmungen betrifft, ist nämlich vorab darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht, wie in Rn. 23 des vorliegenden Urteils dargelegt, im Licht des Urteils vom 3. Oktober 2019, Irgita (C‑285/18, EU:C:2019:829), Zweifel hinsichtlich der Tragweite dieser Bestimmungen hat, da sich die Parteien des Ausgangsverfahrens insbesondere darüber streiten, ob diese Bestimmungen nur eine Befugnis für die Mitgliedstaaten vorsehen sollen, die Vergabe bestimmter öffentlicher Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen. Gegebenenfalls könnten sich die öffentlichen Auftraggeber nämlich nicht auf solche Ausschlüsse berufen, wenn mangels Umsetzung der genannten Richtlinie der betreffende Mitgliedstaat eine solche Befugnis nicht ausüben kann.

43

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass Art. 12 der Richtlinie 2014/24 gemäß der Überschrift des Abschnitts, zu dem er gehört, im Wesentlichen vorsieht, dass die öffentlichen Aufträge zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors, die die dort genannten Kriterien erfüllen, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen sind. Ein öffentlicher Auftraggeber muss also die Kriterien einhalten, wenn er einen solchen öffentlichen Auftrag direkt vergeben möchte. Insbesondere bezieht sich Art. 12 Abs. 3 und 4 zum einen auf öffentliche Aufträge, die ein öffentlicher Auftraggeber an eine juristische Person vergibt, über die er gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, und zum anderen auf Verträge, die ausschließlich zwischen öffentlichen Auftraggebern geschlossen werden, um eine Zusammenarbeit zwischen ihnen zu begründen oder zu erfüllen und dadurch sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden.

44

So wurde in der Richtlinie 2014/24 in ihrem Art. 12 die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich von Direktvergaben kodifiziert und präzisiert, was verdeutlicht, dass der Unionsgesetzgeber beabsichtigt hat, dass mit dieser Regelung über die Direktvergabe an diese Richtlinie angeknüpft wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 8. Mai 2019, Rhenus Veniro, C‑253/18, EU:C:2019:386, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

45

Damit hat, wie der Gerichtshof festgestellt hat, Art. 12 dieser Richtlinie den Mitgliedstaaten folglich nicht die Freiheit genommen, eine Form der Erbringung von Dienstleistungen, der Ausführung von Arbeiten oder der Beschaffung von Lieferungen zum Nachteil der anderen zu bevorzugen. Eine solche Freiheit impliziert nämlich eine Wahl, die in einer Phase vor der Vergabe eines Auftrags getroffen wird und daher nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2019, Irgita, C‑285/18, EU:C:2019:829, Rn. 44; Beschlüsse vom 6. Februar 2020, Pia Opera Croce Verde Padova, C‑11/19, EU:C:2020:88, Rn. 41 und 47, sowie vom 6. Februar 2020, Rieco, C‑89/19 bis C‑91/19, EU:C:2020:87, Rn. 33, 39 und 40).

46

Zudem kommt in den Erwägungsgründen 5 und 31 Abs. 2 der Richtlinie 2014/24 der Wille des Unionsgesetzgebers zum Ausdruck, die Freiheit der Mitgliedstaaten, die Art der Erbringung von Dienstleistungen, durch die die öffentlichen Auftraggeber für ihren eigenen Bedarf sorgen, zu wählen, anzuerkennen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2019, Irgita, C‑285/18, EU:C:2019:829, Rn. 45; Beschlüsse vom 6. Februar 2020, Pia Opera Croce Verde Padova, C‑11/19, EU:C:2020:88, Rn. 42 und 47, sowie vom 6. Februar 2020, Rieco, C‑89/19 bis C‑91/19, EU:C:2020:87, Rn. 34, 39 und 40).

47

Zum einen heißt es nämlich im fünften Erwägungsgrund dieser Richtlinie, dass die Mitgliedstaaten durch diese Richtlinie in keiner Weise dazu verpflichtet werden, die Erbringung von Dienstleistungen an Dritte oder nach außen zu vergeben, wenn sie diese Dienstleistungen selbst erbringen oder die Erbringung durch andere Mittel als öffentliche Aufträge im Sinne dieser Richtlinie organisieren möchten. Zum anderen heißt es in ihrem 31. Erwägungsgrund Abs. 2, dass der Umstand, dass beide Parteien einer Vereinbarung selbst öffentliche Stellen sind, zwar allein nicht ausreicht, um die Anwendung der Vergabevorschriften auszuschließen; die Anwendung der Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge sollte öffentliche Stellen jedoch nicht in ihrer Freiheit beschränken, die ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben auszuüben, indem sie ihre eigenen Mittel verwenden, wozu die Möglichkeit der Zusammenarbeit mit anderen öffentlichen Stellen gehört.

48

Der Gerichtshof hat daraus geschlossen, dass ebenso wenig wie die Richtlinie 2014/24 die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet, von den öffentlichen Auftraggebern zu verlangen, auf ein Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags zurückzugreifen, die Richtlinie sie dazu zwingen kann, auf die in ihrem Art. 12 genannten Verfahren zurückzugreifen, wenn die Voraussetzungen dieses Artikels erfüllt sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Oktober 2019, Irgita, C‑285/18, EU:C:2019:829, Rn. 46; Beschlüsse vom 6. Februar 2020, Pia Opera Croce Verde Padova, C‑11/19, EU:C:2020:88, Rn. 43 und 47, sowie vom 6. Februar 2020, Rieco, C‑89/19 bis C‑91/19, EU:C:2020:87, Rn. 35, 39 und 40).

49

Aus dem Vorstehenden ergibt sich zwar, dass es den Mitgliedstaaten weiterhin freisteht, im nationalen Recht Voraussetzungen für den Rückgriff von Einrichtungen des öffentlichen Sektors auf öffentliche Aufträge wie die in Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24 genannten festzulegen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass öffentliche Aufträge, die die dort genannten Voraussetzungen erfüllen, direkt vergeben werden können, wenn sich die öffentlichen Auftraggeber nach nationalem Recht auf eine der in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausnahmen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie berufen können, ohne dass dies von der Ausübung einer entsprechenden Befugnis durch den betreffenden Mitgliedstaat abhängig wäre. Da die Bestimmungen dieses Artikels in Bezug auf diese öffentlichen Auftraggeber Voraussetzungen für den Ausschluss von der Anwendung der in dieser Richtlinie aufgestellten Vorschriften aufstellen, die in ihrer Durchführung oder Wirksamkeit keiner weiteren Maßnahme bedürfen, sind sie folglich unbedingt im Sinne der in Rn. 41 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung.

50

Was zweitens die Frage betrifft, ob diese Bestimmungen hinreichend genau sind, genügt der Hinweis, dass Art. 12 der Richtlinie 2014/24, wie in Rn. 44 des vorliegenden Urteils ausgeführt, die Rechtsprechung des Gerichtshofs im Bereich von Direktvergaben kodifiziert und präzisiert, indem er u. a. in seinen Abs. 3 und 4 in unzweideutigen Worten die Anforderungen festlegt, denen die Anwendung dieser Regelung der Direktvergabe durch die öffentlichen Auftraggeber genügen muss, um, wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund der Richtlinie ergibt, die Unterschiede in der Auslegung dieser Rechtsprechung zu überwinden.

51

Daher ist festzustellen, dass Art. 12 Abs. 3 und 4 dieser Richtlinie unbedingt und hinreichend genau ist, um im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten, die, wie die des Ausgangsverfahrens, zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts geführt werden, unmittelbare Wirkung zu entfalten.

52

Nach alledem ist auf die erste Frage in der Rechtssache C‑383/21 sowie auf die erste und die vierte Frage in der Rechtssache C‑384/21 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass er im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts über die Direktvergabe öffentlicher Aufträge unmittelbare Wirkungen entfaltet, wenn der betreffende Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

Zur zweiten Frage in den Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21

53

Mit seiner zweiten Frage in den Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass für die Feststellung, dass ein öffentlicher Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die den Zuschlag erhaltende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt, das in dieser Bestimmung genannte Erfordernis, dass ein öffentlicher Auftraggeber in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person vertreten sein muss, allein deswegen erfüllt ist, weil im Verwaltungsrat dieser juristischen Person der Vertreter eines anderen öffentlichen Auftraggebers sitzt, der auch dem Verwaltungsrat des ersten öffentlichen Auftraggebers angehört.

54

Nach ständiger Rechtsprechung sind bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur ihr Wortlaut, sondern auch ihr Kontext und die Ziele zu berücksichtigen, die mit der Regelung, zu der sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteil vom 9. Juni 2022, IMPERIAL TOBACCO BULGARIA, C‑55/21, EU:C:2022:459, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

55

Als Erstes ist zum Wortlaut von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie 2014/24 festzustellen, dass diese Bestimmung eines der Kriterien betrifft, die erfüllt sein müssen, um gemäß Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie festzustellen, dass ein öffentlicher Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern eine ähnliche Kontrolle über die betreffende juristische Person wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt.

56

Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie bestimmt, dass die beschlussfassenden Organe der kontrollierten juristischen Person sich aus Vertretern sämtlicher teilnehmender öffentlicher Auftraggeber zusammensetzen müssen; einzelne Vertreter können mehrere oder alle teilnehmenden öffentlichen Auftraggeber vertreten.

57

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass diese verlangt, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der eine gemeinsame Kontrolle über eine juristische Person ausübt, über ein Mitglied verfügt, das als Vertreter dieses öffentlichen Auftraggebers in den beschlussfassenden Organen dieser juristischen Person handelt, wobei dieses Mitglied gegebenenfalls auch andere öffentliche Auftraggeber vertreten kann.

58

Als Zweites wird diese Auslegung durch den Zusammenhang bestätigt, in den sich diese Bestimmung einfügt.

59

Erstens ist nämlich festzustellen, dass Art. 12 Abs. 1 der Richtlinie 2014/24, der den Fall betrifft, dass ein einziger öffentlicher Auftraggeber über die juristische Person, an die ein öffentlicher Auftrag vergeben wird, eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, in seinem zweiten Unterabsatz vorsieht, dass diese Kontrolle auch durch eine andere juristische Person ausgeübt werden kann, die vom öffentlichen Auftraggeber auf gleiche Weise kontrolliert wird.

60

Zudem bestimmt Art. 12 Abs. 2, dass Abs. 1 auch gilt, wenn eine kontrollierte juristische Person, bei der es sich selbst um einen öffentlichen Auftraggeber handelt, einen Auftrag an ihren kontrollierenden öffentlichen Auftraggeber oder eine andere von demselben öffentlichen Auftraggeber kontrollierte juristische Person vergibt.

61

Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie sieht hingegen vor, dass ein öffentlicher Auftraggeber, der keine Kontrolle über eine juristische Person im Sinne von Art. 12 Abs. 1 ausübt, einen öffentlichen Auftrag dennoch ohne Anwendung dieser Richtlinie an diese juristische Person vergeben kann, wenn der öffentliche Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die betreffende juristische Person eine Kontrolle ausübt. Im Unterschied zu Art. 12 Abs. 1 und 2 sieht diese Bestimmung jedoch nicht vor, dass die Voraussetzungen für die Kontrolle über die den Zuschlag erhaltende juristische Person durch den öffentlichen Auftraggeber mittelbar erfüllt werden können.

62

Insbesondere verlangt das in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie 2014/24 genannte Vertretungserfordernis, dass die Beteiligung eines öffentlichen Auftraggebers an den beschlussfassenden Organen der gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern kontrollierten juristischen Person durch einen Vertreter dieses öffentlichen Auftraggebers selbst erfolgt. Dieses Erfordernis kann daher nicht durch ein Mitglied dieser Organe, das dort nur als Vertreter eines anderen öffentlichen Auftraggebers sitzt, erfüllt werden.

63

Zweitens sieht Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. ii dieser Richtlinie als eine der Voraussetzungen, die erfüllt sein müssen, damit festgestellt werden kann, dass öffentliche Auftraggeber eine gemeinsame Kontrolle über eine juristische Person im Sinne von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 1 Buchst. a dieser Richtlinie ausüben, vor, dass diese öffentlichen Auftraggeber gemeinsam einen maßgeblichen Einfluss auf die strategischen Ziele der kontrollierten juristischen Person und die wesentlichen Entscheidungen, die sie treffen kann, ausüben können müssen.

64

Angesichts der Tragweite der in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. ii der Richtlinie 2014/24 genannten Voraussetzung, die sich auf die Bestimmung des Inhalts dieser Ziele und Entscheidungen bezieht, ist das Kriterium in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i dieser Richtlinie somit dahin zu verstehen, dass mit ihm ein anderes Erfordernis hinsichtlich der formellen Voraussetzungen für die Beteiligung dieser öffentlichen Auftraggeber an den beschlussfassenden Organen der betreffenden juristischen Person aufgestellt werden soll.

65

Diese Feststellungen werden durch die Entstehungsgeschichte von Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie bestätigt.

66

Wie sich aus dem 31. Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt, hat der Unionsgesetzgeber zwar festgestellt, dass erhebliche Rechtsunsicherheit darüber bestehe, inwieweit Verträge, die zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors geschlossen würden, von den Vorschriften für die Vergabe öffentlicher Aufträge erfasst werden sollten, weshalb diesbezüglich Präzisierungen notwendig seien, war aber der Ansicht, dass sich diese Präzisierungen auf die in der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs dargelegten Grundsätze stützen sollten, so dass er diese Rechtsprechung nicht in Frage stellen wollte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2020, Informatikgesellschaft für Software-Entwicklung, C‑796/18, EU:C:2020:395, Rn. 66).

67

Insoweit ergibt sich aus dieser Rechtsprechung, dass die Frage, ob ein öffentlicher Auftraggeber über die betreffende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über seine eigenen Dienststellen ausübt, anhand aller Rechtsvorschriften und maßgebenden Umstände zu beurteilen ist. Daher umfassen die zu berücksichtigenden Gesichtspunkte nicht nur tatsächliche Umstände, sondern auch die anwendbaren Rechtsvorschriften sowie insbesondere die in der Satzung dieser juristischen Person vorgesehenen Kontrollmechanismen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. September 2009, Sea, C‑573/07, EU:C:2009:532, Rn. 65 und 66 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

68

In Anbetracht der Präzisierungen in der Rechtsprechung des Gerichtshofs zu den Voraussetzungen, unter denen Verträge, die zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors geschlossen werden, nicht unter die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge fallen, wollte der Unionsgesetzgeber das Vertretungserfordernis stärken.

69

Vor dem Erlass der Richtlinie 2014/24 war nämlich der Umstand, dass die beschlussfassenden Organe der betreffenden juristischen Person aus Vertretern der öffentlichen Auftraggeber bestanden, die eine gemeinsame Kontrolle über die betreffende juristische Person ausübten, einer der zu berücksichtigenden Gesichtspunkte, um festzustellen, ob der betreffende öffentliche Auftraggeber die Möglichkeit hat, sowohl auf ihre strategischen Ziele als auch auf ihre wichtigen Entscheidungen ausschlaggebenden Einfluss zu nehmen (vgl. u. a. Urteile vom 13. November 2008, Coditel Brabant, C‑324/07, EU:C:2008:621, Rn. 28, 29, 33 und 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 10. September 2009, Sea, C‑573/07, EU:C:2009:532, Rn. 65, 66 und 86 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

70

Indem der Unionsgesetzgeber sie allerdings in unterschiedlichen Bestimmungen, nämlich in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i und ii dieser Richtlinie, aufgeführt hat, wollte er die Voraussetzungen für die Vertretung der öffentlichen Auftraggeber, die eine gemeinsame Kontrolle über die den Zuschlag erhaltende juristische Person ausüben, zu einem Erfordernis machen, das von dem Erfordernis der Möglichkeit, einen solchen ausschlaggebenden Einfluss auszuüben, unabhängig ist.

71

Als Drittes wird die Auslegung, wonach diese Bestimmung verlangt, dass die Beteiligung eines öffentlichen Auftraggebers, der eine solche gemeinsame Kontrolle in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person ausübt, durch ein Mitglied erfolgt, das als Vertreter dieses öffentlichen Auftraggebers selbst handelt, wobei dieses Mitglied gegebenenfalls auch andere öffentliche Auftraggeber vertreten kann, durch das mit den Bestimmungen des Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie verfolgte Ziel bestätigt.

72

Wie in den Rn. 46 und 48 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ergibt sich der Ausschluss von öffentlichen Aufträgen, die insbesondere die in Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 2014/24 genannten Kriterien erfüllen, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie nämlich daraus, dass – wie sich aus den Erwägungsgründen 5 und 31 Abs. 2 dieser Richtlinie ergibt – die Freiheit der Mitgliedstaaten anerkannt wird, vorzusehen, dass die öffentlichen Stellen bestimmte Dienstleistungen selbst erbringen können, und die ihnen übertragenen öffentlichen Aufgaben auszuüben, indem sie ihre eigenen Mittel verwenden.

73

Es kann aber nicht davon ausgegangen werden, dass ein öffentlicher Auftraggeber seine eigenen Mittel verwendet und selbst handelt, wenn er nicht in der Lage ist, in den beschlussfassenden Organen der juristischen Person, an die der öffentliche Auftrag vergeben wird, durch einen Vertreter, der im Namen dieses öffentlichen Auftraggebers selbst sowie gegebenenfalls im Namen anderer öffentlicher Auftraggeber handelt, Einfluss zu nehmen, und die Äußerung seiner Interessen in diesen beschlussfassenden Organen folglich davon abhängt, dass diese Interessen mit den Interessen übereinstimmen, die die anderen öffentlichen Auftraggeber darin durch ihre eigenen Vertreter in diesen Organen geltend machen.

74

Im vorliegenden Fall geht, vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht, aus den dem Gerichtshof unterbreiteten Angaben hervor, dass das in Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie genannte Erfordernis, wonach die Beteiligung eines öffentlichen Auftraggebers, der eine gemeinsame Kontrolle über eine juristische Person ausübt, in den beschlussfassenden Organen dieser juristischen Person durch ein Mitglied erfolgen muss, das als Vertreter dieses öffentlichen Auftraggebers selbst tätig wird, wobei dieses Mitglied gegebenenfalls auch andere öffentliche Auftraggeber vertreten kann, unter den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umständen nicht erfüllt zu sein scheint. Zum einen verfügten nämlich die Mitglieder der Kategorie C, zu denen SLSP Sambre & Biesme gehört, insbesondere über keinen Vertreter im Verwaltungsrat von Igretec, und zum anderen saß das Gemeinderatsmitglied, obwohl auch im Verwaltungsrat von SLSP Sambre & Biesme sitzend, nur als Vertreter der Gemeinde Farciennes, Mitglied der Kategorie A, im Verwaltungsrat von Igretec.

75

Nach alledem ist auf die zweite Frage in den Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass für die Feststellung, dass ein öffentlicher Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die den Zuschlag erhaltende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt, das in dieser Bestimmung genannte Erfordernis, dass ein öffentlicher Auftraggeber in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person vertreten sein muss, nicht allein deswegen erfüllt ist, weil im Verwaltungsrat dieser juristischen Person der Vertreter eines anderen öffentlichen Auftraggebers sitzt, der auch dem Verwaltungsrat des ersten öffentlichen Auftraggebers angehört.

Zur dritten Frage in den Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21

76

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage in den Rechtssachen C‑383/21 und C‑384/21 ist die dritte Frage in diesen Rechtssachen nicht zu beantworten.

Zur fünften Frage in der Rechtssache C‑384/21

77

Mit seiner fünften Frage in der Rechtssache C‑384/21 möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein öffentlicher Auftrag, durch den einem öffentlichen Auftraggeber öffentliche Aufgaben übertragen werden, die Teil eines Verhältnisses der Zusammenarbeit zwischen anderen öffentlichen Auftraggebern sind, vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.

78

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass Art. 12 Abs. 1 bis 4 dieser Richtlinie unterschiedliche Fälle des Ausschlusses von den Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge betrifft, wobei jeder dieser Fälle eigenen Voraussetzungen unterliegt.

79

Gemäß Art. 12 Abs. 4 Buchst. a der Richtlinie 2014/24 fällt ein ausschließlich zwischen zwei oder mehr öffentlichen Auftraggebern geschlossener Vertrag nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, wenn er eine Zusammenarbeit zwischen den beteiligten öffentlichen Auftraggebern begründet oder erfüllt, um sicherzustellen, dass von ihnen zu erbringende öffentliche Dienstleistungen im Hinblick auf die Erreichung gemeinsamer Ziele ausgeführt werden. Außerdem ist es nach den Buchst. b und c dieses Absatzes erforderlich, dass die Durchführung dieser Zusammenarbeit ausschließlich durch Überlegungen im Zusammenhang mit dem öffentlichen Interesse bestimmt wird und die beteiligten öffentlichen Auftraggeber auf dem offenen Markt weniger als 20 % der durch die Zusammenarbeit erfassten Tätigkeiten erbringen.

80

Daraus folgt, dass Umstände wie die Tatsache, dass zwischen einigen der öffentlichen Auftraggeber ein Inhouseverhältnis besteht oder dass die öffentlichen Auftraggeber, die den betreffenden öffentlichen Auftrag vergeben, Mitglieder des öffentlichen Auftraggebers sind, der durch den betreffenden öffentlichen Auftrag mit der Durchführung bestimmter Aufgaben betraut wird, für sich genommen für die Beurteilung, ob Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 eine Situation erfasst, in der die Wahrnehmung seiner Aufgaben durch einen öffentlichen Auftraggeber Teil eines Verhältnisses der Zusammenarbeit zwischen anderen öffentlichen Auftraggebern ist, nicht berücksichtigt werden können.

81

Hingegen ist festzustellen, dass der Wortlaut dieser Bestimmung dem Begriff „Zusammenarbeit“ eine entscheidende Rolle in der darin vorgesehenen Ausschlussregelung zuweist. Insoweit ergibt sich das Erfordernis einer wirksamen Zusammenarbeit auch aus der im 33. Erwägungsgrund Abs. 3 dieser Richtlinie enthaltenen Klarstellung, wonach die Zusammenarbeit „auf einem kooperativen Konzept beruhen“ sollte. Eine solche scheinbar tautologische Formulierung ist dahin auszulegen, dass sie auf das Erfordernis der Effektivität der damit begründeten oder erfüllten Zusammenarbeit verweist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2020, Remondis, C‑429/19, EU:C:2020:436, Rn. 26 und 28).

82

Daher muss der betreffende öffentliche Auftrag Ergebnis einer Initiative zur Zusammenarbeit zwischen den an ihr beteiligten öffentlichen Auftraggebern sein. Der Aufbau einer Zusammenarbeit zwischen Einrichtungen des öffentlichen Sektors hat nämlich eine ihrem Wesen nach kollaborative Dimension, die bei einem unter die Vorschriften der Richtlinie 2014/24 fallenden Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags fehlt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2020, Remondis, C‑429/19, EU:C:2020:436, Rn. 32).

83

Wie der Generalanwalt in Nr. 60 seiner Schlussanträge hervorgehoben hat, setzt eine solche kollaborative Dimension voraus, dass die in Rede stehende Zusammenarbeit, um unter Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 zu fallen, zur Erreichung von Zielen führen muss, die allen öffentlichen Auftraggebern gemeinsam sind.

84

Ein solches allen öffentlichen Auftraggebern gemeinsames Ziel fehlt aber, wenn ein öffentlicher Auftraggeber durch die Erfüllung seiner Aufgaben in Bezug auf den betreffenden öffentlichen Auftrag nicht anstrebt, Ziele zu erreichen, die er mit den anderen öffentlichen Auftraggebern teilt, sondern sich darauf beschränkt, zur Erreichung von Zielen beizutragen, die nur diesen anderen öffentlichen Auftraggebern gemeinsam sind.

85

Unter diesen Umständen hat der betreffende öffentliche Auftrag lediglich den Erwerb einer Leistung gegen Zahlung eines Entgelts zum Gegenstand, so dass er nicht unter den Ausschlusstatbestand des Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 fällt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 4. Juni 2020, Remondis, C‑429/19, EU:C:2020:436, Rn. 36 bis 38).

86

Vorbehaltlich einer Überprüfung durch das vorlegende Gericht geht aus den dem Gerichtshof vorgelegten Angaben hervor, dass unter den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Umständen die Beteiligung von Igretec an einem öffentlichen Auftrag zur Durchführung des Projekts eines Öko-Viertels in Farciennes nicht unter diesen Ausschluss fällt. Wie der Generalanwalt in den Nrn. 69 und 71 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist nämlich, auch wenn die Wahrnehmung ihrer Aufgaben durch Igretec Teil der Zusammenarbeit zwischen SLSP Sambre & Biesme und der Gemeinde Farciennes ist, um sie bei der Realisierung ihres gemeinsamen Projekts der Schaffung eines Öko-Viertels in Farciennes zu unterstützen, diese Realisierung an sich kein von Igretec verfolgtes Ziel.

87

Nach alledem ist auf die fünfte Frage in der Rechtssache C‑384/21 zu antworten, dass Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24 dahin auszulegen ist, dass ein öffentlicher Auftrag, durch den einem öffentlichen Auftraggeber öffentliche Aufgaben übertragen werden, die Teil eines Verhältnisses der Zusammenarbeit zwischen anderen öffentlichen Auftraggebern sind, nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem diese Aufgaben übertragen wurden, bei der Erfüllung solcher Aufgaben nicht die Erreichung von Zielen anstrebt, die er mit den anderen öffentlichen Auftraggebern teilt, sondern sich darauf beschränkt, zur Erreichung von Zielen beizutragen, die nur diesen anderen öffentlichen Auftraggebern gemeinsam sind.

Kosten

88

Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 12 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2014/24/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG

ist dahin auszulegen, dass

er im Rahmen von Rechtsstreitigkeiten zwischen juristischen Personen des öffentlichen Rechts über die Direktvergabe öffentlicher Aufträge unmittelbare Wirkungen entfaltet, wenn der betreffende Mitgliedstaat diese Richtlinie nicht fristgemäß in nationales Recht umgesetzt hat.

 

2.

Art. 12 Abs. 3 Unterabs. 2 Ziff. i der Richtlinie 2014/24

ist dahin auszulegen, dass

für die Feststellung, dass ein öffentlicher Auftraggeber gemeinsam mit anderen öffentlichen Auftraggebern über die den Zuschlag erhaltende juristische Person eine ähnliche Kontrolle wie über ihre eigenen Dienststellen ausübt, das in dieser Bestimmung genannte Erfordernis, dass ein öffentlicher Auftraggeber in den beschlussfassenden Organen der kontrollierten juristischen Person vertreten sein muss, nicht allein deswegen erfüllt ist, weil im Verwaltungsrat dieser juristischen Person der Vertreter eines anderen öffentlichen Auftraggebers sitzt, der auch dem Verwaltungsrat des ersten öffentlichen Auftraggebers angehört.

 

3.

Art. 12 Abs. 4 der Richtlinie 2014/24

ist dahin auszulegen, dass

ein öffentlicher Auftrag, durch den einem öffentlichen Auftraggeber öffentliche Aufgaben übertragen werden, die Teil eines Verhältnisses der Zusammenarbeit zwischen anderen öffentlichen Auftraggebern sind, nicht vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist, wenn der öffentliche Auftraggeber, dem diese Aufgaben übertragen wurden, bei der Erfüllung solcher Aufgaben nicht die Erreichung von Zielen anstrebt, die er mit den anderen öffentlichen Auftraggebern teilt, sondern sich darauf beschränkt, zur Erreichung von Zielen beizutragen, die nur diesen anderen öffentlichen Auftraggebern gemeinsam sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.

( i ) Die vorliegende Sprachfassung ist in den Rn. 23, 34, 40, 42 und 52 sowie in Tenor 1 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.