URTEIL DES GERICHTSHOFS (Neunte Kammer)

22. September 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen – Vertrag über einen revolvierenden Kredit – Missbräuchlichkeit der Klausel über den Kreditzinssatz – Klage eines Verbrauchers auf Feststellung der Nichtigkeit dieses Vertrags – Außergerichtliche Erfüllung der Forderungen dieses Verbrauchers – Kosten, die dem Verbraucher entstanden sind und die er tragen muss – Effektivitätsgrundsatz – Nationale Regelung, die geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung der durch die Richtlinie 93/13/EWG gewährten Rechte abzuhalten“

In der Rechtssache C‑215/21

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Juzgado de Primera Instancia no 2 de Las Palmas de Gran Canaria (Gericht erster Instanz Nr. 2 von Las Palmas de Gran Canaria, Spanien) mit Entscheidung vom 12. März 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 2021, in dem Verfahren

Zulima

gegen

Servicios Prescriptor y Medios de Pagos EFC SAU

erlässt

DER GERICHTSHOF (Neunte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten S. Rodin (Berichterstatter), des Richters J.‑C. Bonichot und der Richterin L. S. Rossi,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von Zulima, vertreten durch F. M. Montesdeoca Santana, Procurador, und Y. Pulido González, Abogada,

der spanischen Regierung, vertreten durch J. Rodríguez de la Rúa Puig als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch J. Baquero Cruz und N. Ruiz García als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Zulima und der Servicios Prescriptor y Medios de Pagos EFC SAU, einem vormals „Evofinance EFC SAU“ genannten Kreditinstitut, wegen der Kosten, die im Rahmen eines von der Klägerin des Ausgangsverfahrens angestrengten Verfahrens entstanden sind, in dem sie beantragt hatte, dass ein Vertrag über einen revolvierenden Verbraucherkredit insbesondere wegen der Missbräuchlichkeit einer seiner Klauseln für nichtig erklärt wird.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass missbräuchliche Klauseln in Verträgen, die ein Gewerbetreibender mit einem Verbraucher geschlossen hat, für den Verbraucher unverbindlich sind, und legen die Bedingungen hierfür in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften fest; sie sehen ferner vor, dass der Vertrag für beide Parteien auf derselben Grundlage bindend bleibt, wenn er ohne die missbräuchlichen Klauseln bestehen kann.“

4

Art. 7 Abs. 1 und 2 dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.“

Spanisches Recht

5

Art. 1303 des Código Civil (Zivilgesetzbuch) bestimmt:

„Wird eine in einem Vertrag festgelegte Verpflichtung für nichtig erklärt, so haben die Vertragsparteien einander die Sachen, die Gegenstand des Vertrags waren, die daraus hervorgegangenen Früchte und den für diese Sachen gezahlten Preis zuzüglich Zinsen zurückzugewähren, außer in den in den folgenden Artikeln vorgesehenen Fällen.“

6

Art. 22 („Beendigung des Verfahrens wegen außergerichtlicher Erledigung oder Wegfall des Streitgegenstands. Sonderfall der Einstellung der Zwangsräumung“) der Ley 1/2000 de Enjuiciamiento Civil (Gesetz 1/2000 über den Zivilprozess) vom 7. Januar 2000 (BOE Nr. 7 vom 8. Januar 2000, S. 575) in der auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: LEC) bestimmt:

„(1)   Werden die Ansprüche des Klägers bzw. Widerklägers außergerichtlich erfüllt oder ergeben sich im Rahmen einer Klage oder Widerklage sonstige Umstände und besteht aus diesen Gründen kein berechtigtes Interesse am begehrten gerichtlichen Rechtsschutz mehr, so ist auf diesen Umstand hinzuweisen und der Letrado de la Administración de Justicia (Urkundsbeamter der Geschäftsstelle) ordnet, sofern die Parteien damit einverstanden sind, die Beendigung des Verfahrens an, ohne einer der Parteien die Verfahrenskosten aufzuerlegen.

(2)   Erwidert eine der Parteien mit entsprechender Begründung, dass sie, weil ihre Forderungen nicht außergerichtlich erfüllt worden seien, oder aus sonstigen Gründen weiterhin ein berechtigtes Interesse habe, lädt der Urkundsbeamte der Geschäftsstelle die Parteien innerhalb von zehn Tagen zu einer Anhörung vor Gericht, bei der ausschließlich dieser Punkt verhandelt wird.

Nach der Anhörung entscheidet das Gericht innerhalb von zehn Tagen mit Beschluss über die Fortsetzung des Verfahrens, wobei die Kosten der Verfahrenshandlung der Partei auferlegt werden, deren Antrag abgelehnt wird.

(3)   Gegen einen Beschluss, mit dem die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet wird, kann kein Rechtsbehelf eingelegt werden. Gegen eine Entscheidung, mit der die Beendigung des Verfahrens angeordnet wird, kann Berufung eingelegt werden.“

7

Art. 394 Abs. 1 LEC bestimmt:

„(1)   Im Erkenntnisverfahren werden die Kosten der ersten Instanz der Partei auferlegt, deren Anträge allesamt zurückgewiesen worden sind, es sei denn, das Gericht stellt fest und begründet, dass der Fall in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht ernsthafte Zweifel aufgeworfen hat.

Um im Hinblick auf die Kostenentscheidung zu beurteilen, ob der Fall in rechtlicher Hinsicht ernsthafte Zweifel aufgeworfen hat, ist auf die Rechtsprechung abzustellen, die in ähnlichen Fällen ergangen ist.“

8

Art. 395 Abs. 1 und 2 LEC bestimmt:

„(1)   Wird der Anspruch vor jeglichem Bestreiten anerkannt, so werden keiner der Parteien die Verfahrenskosten auferlegt, es sei denn, das Gericht stellt mit gebührender Begründung die Bösgläubigkeit des Beklagten fest.

Der Beklagte gilt als bösgläubig, wenn der Kläger vor der Klageerhebung eine schlüssige und begründete Zahlungsaufforderung an ihn gerichtet hat, wenn ein Mediationsverfahren eingeleitet worden ist oder wenn der Beklagte zur Teilnahme an einem Schlichtungsverfahren aufgefordert worden ist.

(2)   Wird der Anspruch erst anerkannt, nachdem er bestritten worden ist, findet Abs. 1 des vorstehenden Artikels Anwendung.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

9

Am 21. September 2016 schlossen die Parteien des Ausgangsverfahrens einen Vertrag über einen revolvierenden Verbraucherkredit. Im März 2020 forderte die Klägerin des Ausgangsverfahrens die Beklagte des Ausgangsverfahrens auf, diesen Kreditvertrag aufzulösen und ihr die rechtsgrundlos erhaltenen Beträge zurückzuzahlen, da die Zinsen aus diesem Vertrag wucherisch seien. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens lehnte es ab, dieser Aufforderung nachzukommen.

10

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob außerdem beim vorlegenden Gericht Klage auf Feststellung der Nichtigkeit des fraglichen Kreditvertrags. Sie machte in erster Linie geltend, dass der darin vorgesehene Zinssatz wucherisch im Sinne des nationalen Rechts sei, und verlangte die Rückerstattung der gezahlten Beträge, die das zu diesem Zinssatz geliehene Kapital überstiegen. Hilfsweise machte sie geltend, dass die Zinssatzklausel wegen mangelnder Transparenz missbräuchlich im Sinne der Richtlinie 93/13 sei.

11

Das vorlegende Gericht erklärte die Klage für zulässig. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens beantragte innerhalb der ihr zur Klagebeantwortung gesetzten Frist die Streichung der Rechtssache und machte geltend, dass die Forderungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens außergerichtlich erfüllt worden seien. Sie habe den fraglichen Vertrag über einen revolvierenden Kredit aufgelöst, und die Klägerin könne mit der entsprechenden Kreditkarte keine Transaktion mehr ausführen. Zudem habe sie den Schuldsaldo in Bezug auf Zinsen und sonstige Gebühren gelöscht. Die Beklagte des Ausgangsverfahrens beantragte ferner, ihr nicht die Kosten aufzuerlegen. Nach Art. 22 Abs. 1 LEC werde das Verfahren nämlich, wenn die Ansprüche außergerichtlich erfüllt würden, grundsätzlich beendet, ohne dass einer der Parteien die Verfahrenskosten aufzuerlegen wären.

12

Mit prozessleitender Maßnahme vom 11. September 2020 stellte das vorlegende Gericht der Klägerin des Ausgangsverfahrens den Streichungsantrag der Beklagten des Ausgangsverfahrens zu, der auf den Wegfall des berechtigten Interesses der Klägerin an der Erlangung effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes gestützt war.

13

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens machte geltend, dieser Streichungsantrag sei unbegründet, da die Beklagte des Ausgangsverfahrens nicht alle ihre Forderungen erfüllt habe, darunter insbesondere die Erklärung, dass der fragliche Vertrag über einen revolvierenden Verbraucherkredit wegen Wuchers nichtig sei, und die Übernahme der Verfahrenskosten. Die Klägerin des Ausgangsverfahrens wies außerdem darauf hin, dass sie, bevor sie beim vorlegenden Gericht Klage erhoben habe, die Beklagte des Ausgangsverfahrens erfolglos aufgefordert habe, diesen Kreditvertrag aufzulösen und ihr die als Zinsen gezahlten Beträge zurückzuerstatten.

14

Angesichts dieser Uneinigkeit zwischen ihnen wurden die Parteien des Ausgangsverfahrens gemäß Art. 22 Abs. 2 Unterabs. 1 LEC zu einer Anhörung vor dem vorlegenden Gericht geladen. Nach Anhörung der Parteien und Prüfung der von ihnen vorgelegten Beweise stellte das Gericht fest, dass die Forderungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens außergerichtlich erfüllt worden seien, da die Beklagte des Ausgangsverfahrens den betreffenden Vertrag über einen revolvierenden Verbraucherkredit aufgelöst und die rechtsgrundlos gezahlten Beträge zurückerstattet habe. Außerdem stellte das Gericht fest, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, bevor sie die bei ihm anhängige Klage erhoben habe, die Beklagte des Ausgangsverfahrens mehrfach mit einem von einem Postamt aus versandten Telefax, dessen Datum und Inhalt rechtsverbindlich seien („burofax“), gemahnt habe, um die Auflösung dieses Kreditvertrags und die Rückzahlung der rechtsgrundlos an die Beklagte gezahlten Beträge zu erwirken. Die Beklagte habe es abgelehnt, diesen Mahnungen Folge zu leisten.

15

Da die Forderungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens außergerichtlich erfüllt worden seien, sei das vorlegende Gericht nach der maßgeblichen nationalen Regelung nicht befugt, einer der Parteien die Verfahrenskosten aufzuerlegen. Es sei ihm auch nicht gestattet, Mahnungen, die vor der Erhebung der dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegenden Klage erfolgt seien, zu berücksichtigen, um zu beurteilen, ob die Beklagte des Ausgangsverfahrens möglicherweise bösgläubig gewesen sei, und ihr gegebenenfalls die Kosten der Klägerin aufzuerlegen. In diesem Zusammenhang bestünden vor dem Hintergrund, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens „Verbraucher“ im Sinne der Richtlinie 93/13 sei und im Ausgangsrechtsstreit Rechte aus dieser Richtlinie geltend mache, Zweifel daran, ob die fragliche nationale Regelung mit dieser Richtlinie vereinbar sei.

16

Unter diesen Umständen hat der Juzgado de Primera Instancia no 2 de Las Palmas de Gran Canaria (Gericht erster Instanz Nr. 2 von Las Palmas de Gran Canaria, Spanien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Für den Fall der außergerichtlichen Erledigung von Klagen von Verbrauchern gegen missbräuchliche Klauseln auf der Grundlage der Richtlinie 93/13 sieht Art. 22 LEC vor, dass der Verbraucher die Verfahrenskosten zu tragen hat, ohne dass das vorausgehende Handeln des Gewerbetreibenden, der auf Mahnungen nicht reagiert hat, berücksichtigt würde. Stellt diese Regelung ein erhebliches Hindernis dar, das geeignet ist, die Verbraucher davon abzuhalten, ihr Recht auf eine effektive gerichtliche Kontrolle der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln auszuüben, und verstößt sie somit gegen den Effektivitätsgrundsatz und gegen die Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

17

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die spanische Regierung machen zunächst geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der Vorlagefrage nicht zuständig, da die rechtlichen Gegebenheiten, um die es im Ausgangsrechtsstreit gehe, außerhalb des Anwendungsbereichs des Unionsrechts lägen.

18

Nach ständiger Rechtsprechung hat der Gerichtshof zur Prüfung seiner eigenen Zuständigkeit die Umstände zu untersuchen, unter denen er von dem nationalen Gericht angerufen wird (Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 45 und die dort angeführte Rechtsprechung).

19

Nach Art. 19 Abs. 3 Buchst. b EUV und Art. 267 Abs. 1 AEUV ist der Gerichtshof dafür zuständig, im Wege der Vorabentscheidung über die Auslegung des Unionsrechts oder über die Gültigkeit der Handlungen der Unionsorgane zu entscheiden. Wird in einem Verfahren vor einem Gericht eines Mitgliedstaats eine vorlagefähige Frage gestellt und hält dieses Gericht eine Entscheidung darüber zum Erlass seines Urteils für erforderlich, kann es die Frage dem Gerichtshof zur Entscheidung vorlegen (Art. 267 Abs. 2 AEUV) (Urteil vom 15. Juli 2021, The Department for Communities in Northern Ireland, C‑709/20, EU:C:2021:602, Rn. 46).

20

Im vorliegenden Fall gilt die fragliche Kostenverteilungsregelung zwar für Verfahren vor den spanischen Gerichten und fällt daher grundsätzlich unter das spanische Verfahrensrecht.

21

Gleichwohl geht aus dem Vorabentscheidungsersuchen hervor, dass der Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits einen vom Unionsrecht erfassten Bereich berührt. In diesem Rechtsstreit geht es nämlich darum, ob bestimmte Klauseln eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags im Sinne der Richtlinie 93/13 missbräuchlich sind, und mit der Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen vom Gerichtshof wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Verfahrensvorschrift, die die Kostenverteilung regelt, nämlich Art. 22 LEC, entgegenstehen. Insbesondere ersucht das vorlegende Gericht den Gerichtshof, nach Maßgabe des Effektivitätsgrundsatzes zu prüfen, ob eine solche nationale Rechtsvorschrift ein erhebliches Hindernis darstellen kann, das die Verbraucher unter Verstoß gegen unionsrechtliche Vorschriften womöglich von der Ausübung ihrer Rechte abhält. Die Ausübung der durch die Richtlinie 93/13 gewährten Verbraucherrechte hängt aber maßgeblich vom Verfahrensrecht der Mitgliedstaaten ab. Somit kann das betreffende nationale Verfahrensrecht einen entscheidenden Einfluss auf die Effektivität des Unionsrechts haben.

22

So hat der Gerichtshof, soweit er mit der inhaltlichen Prüfung von Mahnverfahren befasst war, mehrfach entschieden, dass die Kosten, die ein gerichtliches Verfahren mit sich bringt, Verbraucher davon abhalten können, den in dieser Art von Verfahren erforderlichen Widerspruch einzulegen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 54, vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC, C‑49/14, EU:C:2016:98, Rn. 52, und vom 13. September 2018, Profi Credit Polska, C‑176/17, EU:C:2018:711, Rn. 69).

23

Auch wenn die Anwendung von Kostenverteilungsregelungen nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten ihrer jeweiligen innerstaatlichen Rechtsordnung unterfällt, müssen die Modalitäten dieser Anwendung gleichwohl zwei Voraussetzungen erfüllen. Sie dürfen nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige, dem innerstaatlichen Recht unterliegende Sachverhalte regeln (Äquivalenzgrundsatz), und sie dürfen die Ausübung der den Verbrauchern durch das Unionsrecht verliehenen Rechte auch nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne und entsprechend Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García, C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 31).

24

Unter diesen Umständen ist der Gerichtshof für die Entscheidung über das Vorabentscheidungsersuchen zuständig.

Zur Zulässigkeit der Vorlagefrage

25

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens und die spanische Regierung schlagen dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage für unzulässig zu erklären, da diese Frage in der nationalen Rechtsprechung bereits geklärt worden sei. Diese Rechtsprechung gestatte die Anwendung eines „Korrekturkriteriums“, das es ermögliche, der etwaigen Bösgläubigkeit des Gewerbetreibenden und im gerichtlichen Verfahren Beklagten Rechnung zu tragen und ihm in diesem Fall auch dann die Kosten aufzuerlegen, wenn die Forderungen des Klägers außergerichtlich erfüllt würden.

26

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung in dem Verfahren nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits sowie die Auslegung und Anwendung des nationalen Rechts zuständig ist. Ebenso hat nur das nationale Gericht, das mit dem Rechtsstreit befasst ist und in dessen Verantwortungsbereich die zu erlassende Entscheidung fällt, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Unionsrechts betreffen (Urteil vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 76 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Ein Vorabentscheidungsersuchen eines nationalen Gerichts kann demnach nur dann zurückgewiesen werden, wenn die erbetene Auslegung des Unionsrechts offensichtlich in keinem Zusammenhang mit den Gegebenheiten oder dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits steht, das Problem hypothetischer Natur ist oder der Gerichtshof nicht über die tatsächlichen und rechtlichen Angaben verfügt, die für eine zweckdienliche Beantwortung der ihm vorgelegten Fragen erforderlich sind (Urteil vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito, C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Ein solcher Fall liegt hier eindeutig nicht vor.

29

Insoweit ist nämlich festzustellen, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 betrifft und es dem vorlegenden Gericht ermöglichen soll, zu entscheiden, ob Art. 22 LEC in seiner Auslegung durch die nationalen Gerichte mit diesen Bestimmungen der Richtlinie vereinbar ist.

30

Außerdem geht aus den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hervor, dass die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die ein Verbraucher im Sinne der Richtlinie 93/13 ist, Gefahr läuft, gemäß Art. 22 LEC die Kosten für ihre Klage gegen missbräuchliche Klauseln des fraglichen Vertrags über einen revolvierenden Kredit tragen zu müssen, obwohl sie gegenüber dem betreffenden Kreditinstitut auf außergerichtlichem Wege in der Sache Erfolg hatte.

31

Aufgrund dieser Erwägungen ist die Zulässigkeit der Vorlagefrage zu bejahen.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

32

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, betrachtet im Licht des Effektivitätsgrundsatzes, dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie Art. 22 LEC entgegenstehen, wonach im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens betreffend die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags dieser Verbraucher im Fall der außergerichtlichen Erfüllung seiner Forderungen seine Kosten im Zusammenhang mit dem gerichtlichen Verfahren, zu dessen Betreiben er sich gezwungen gesehen hat, um die ihm durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte geltend zu machen, tragen muss, und zwar, ohne dass das vorausgehende Verhalten des betreffenden Gewerbetreibenden, der den zuvor an ihn gerichteten Mahnungen seitens des Verbrauchers nicht Folge geleistet hat, berücksichtigt würde.

33

Nach ständiger Rechtsprechung sind, da es in diesem Bereich keine spezifischen Vorschriften des Unionsrechts gibt, die Modalitäten der Umsetzung des in der Richtlinie 93/13 vorgesehenen Verbraucherschutzes nach dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten Sache ihrer innerstaatlichen Rechtsordnungen. Diese Modalitäten dürfen jedoch nicht ungünstiger sein als diejenigen, die gleichartige Sachverhalte innerstaatlicher Art regeln (Äquivalenzgrundsatz), und die Ausübung der durch die Unionsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren (Effektivitätsgrundsatz) (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 83, sowie vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Verteilung der Kosten eines vor den nationalen Gerichten betriebenen Verfahrens vorbehaltlich der Wahrung der Grundsätze der Äquivalenz und der Effektivität in den Bereich der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten fällt (Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 95).

35

In Bezug auf den Effektivitätsgrundsatz, um den allein es im vorliegenden Fall geht, ist darauf hinzuweisen, dass jeder Fall, in dem sich die Frage stellt, ob eine nationale Verfahrensvorschrift die Anwendung des Unionsrechts unmöglich macht oder übermäßig erschwert, unter Berücksichtigung der Stellung dieser Vorschrift im gesamten Verfahren, des Verfahrensablaufs und der Besonderheiten des Verfahrens vor den verschiedenen nationalen Stellen zu prüfen ist. Dabei sind gegebenenfalls die Grundsätze zu berücksichtigen, die dem nationalen Rechtsschutzsystem zugrunde liegen, wie z. B. der Schutz der Verteidigungsrechte, der Grundsatz der Rechtssicherheit und der ordnungsgemäße Ablauf des Verfahrens (vgl. u. a. Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

36

Außerdem hat der Gerichtshof präzisiert, dass die Pflicht der Mitgliedstaaten, die Effektivität der Rechte sicherzustellen, die dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsen, insbesondere in Bezug auf die Rechte aus der Richtlinie 93/13 das Erfordernis eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes, das auch in Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist, impliziert; dieser Schutz gilt u. a. für die Festlegung der Verfahrensmodalitäten für Klagen, die sich auf solche Rechte stützen (Urteil vom 10. Juni 2021, BNP Paribas Personal Finance, C‑776/19 bis C‑782/19, EU:C:2021:470, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Die Richtlinie 93/13 gibt dem Verbraucher das Recht, sich an ein Gericht zu wenden, um die Missbräuchlichkeit einer Vertragsklausel feststellen und sie für unanwendbar erklären zu lassen. Insoweit hat der Gerichtshof ausgeführt, dass, würde man die Entscheidung über die Teilung der Kosten eines solchen Verfahrens allein von den rechtsgrundlos gezahlten Beträgen, deren Erstattung angeordnet wird, abhängig machen, der Verbraucher wegen der durch ein gerichtliches Verfahren verursachten Kosten davon abgehalten werden könnte, dieses Recht auszuüben (vgl. Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 98 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Daher hat der Gerichtshof für Recht erkannt, dass Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 sowie der Effektivitätsgrundsatz dahin auszulegen sind, dass sie einer Regelung entgegenstehen, nach der es möglich ist, dem Verbraucher einen Teil der Verfahrenskosten entsprechend der Höhe der rechtsgrundlos gezahlten Beträge, die ihm infolge der Nichtigerklärung einer Vertragsklausel wegen ihrer Missbräuchlichkeit erstattet werden, aufzuerlegen, da eine solche Regelung ein erhebliches Hindernis schafft, das geeignet ist, die Verbraucher davon abzuhalten, das von der Richtlinie 93/13 gewährte Recht auf eine effektive gerichtliche Kontrolle der etwaigen Missbräuchlichkeit von Vertragsklauseln auszuüben (Urteil vom 16. Juli 2020, Caixabank und Banco Bilbao Vizcaya Argentaria, C‑224/19 und C‑259/19, EU:C:2020:578, Rn. 99).

39

Im vorliegenden Fall weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass es nach Art. 22 LEC der Beklagten des Ausgangsverfahrens nicht die Kosten auferlegen könne, da die Forderungen der Klägerin des Ausgangsverfahrens außerhalb des bei ihm anhängigen Gerichtsverfahrens erfüllt worden seien. Dies gelte auch, falls sich herausstelle, dass die Beklagte des Ausgangsverfahrens bösgläubig gewesen sei und die Klägerin des Ausgangsverfahrens deshalb gezwungen gewesen sei, ihre Rechte gerichtlich geltend zu machen, da Art. 22 LEC es dem angerufenen Gericht nicht erlaube, solche Umstände zu berücksichtigen, um von der in dieser Vorschrift enthaltenen Kostenverteilungsregel abzuweichen.

40

Insoweit ist festzustellen, dass in Verfahren, die in Anwendung von Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 betrieben werden, typischerweise der Verbraucher der Kläger ist, während es sich beim Beklagten um den Gewerbetreibenden handelt, was bedeutet, dass der Verbraucher, wenn der Gewerbetreibende beschließt, seine Forderungen außerhalb des gerichtlichen Verfahrens zu erfüllen, nach der in der vorstehenden Randnummer beschriebenen spanischen Regelung stets die Kosten dieses Verfahrens tragen muss, und zwar selbst dann, wenn der Gewerbetreibende bösgläubig ist.

41

Eine Regelung, die dem Verbraucher ein solches Risiko aufbürdet, schafft ein erhebliches Hindernis, das geeignet ist, den Verbraucher von der Ausübung seines Rechts auf effektive gerichtliche Kontrolle der etwaigen Missbräuchlichkeit von Klauseln im betreffenden Vertrag abzuhalten. Im Ergebnis verstößt eine solche Regelung gegen den Effektivitätsgrundsatz.

42

Die spanische Regierung macht in ihren beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen jedoch geltend, dass es durchaus möglich sei, Art. 22 LEC im Einklang mit den sich aus diesem Grundsatz ergebenden Anforderungen auszulegen. Diese Bestimmung könne nämlich dahin ausgelegt werden, dass es dem nationalen Gericht obliege, die etwaige Bösgläubigkeit des betreffenden Gewerbetreibenden zu berücksichtigen und ihm gegebenenfalls die Kosten des Gerichtsverfahrens aufzuerlegen.

43

Eine solche Auslegung des nationalen Rechts ist mit dem Effektivitätsgrundsatz vereinbar, da sie es ermöglicht, die Verbraucher nicht davon abzuhalten, die ihnen durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte auszuüben. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, zu überprüfen, ob eine solche unionsrechtskonforme Auslegung möglich ist.

44

Nach alledem sind Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13, betrachtet im Licht des Effektivitätsgrundsatzes, dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung, nach der im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens betreffend die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags der betroffene Verbraucher im Fall der außergerichtlichen Erfüllung seiner Forderungen seine Kosten tragen muss, nicht entgegenstehen, vorausgesetzt, das zuständige Gericht berücksichtigt zwingend die etwaige Bösgläubigkeit des betreffenden Gewerbetreibenden und erlegt ihm gegebenenfalls die Kosten des gerichtlichen Verfahrens auf, zu dessen Betreiben der Verbraucher sich gezwungen gesehen hat, um die ihm durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte geltend zu machen.

Kosten

45

Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Neunte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 6 Abs. 1 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen, betrachtet im Licht des Effektivitätsgrundsatzes,

 

sind dahin auszulegen, dass

 

sie einer nationalen Regelung, nach der im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens betreffend die Feststellung der Missbräuchlichkeit einer Klausel eines zwischen einem Gewerbetreibenden und einem Verbraucher geschlossenen Vertrags der betroffene Verbraucher im Fall der außergerichtlichen Erfüllung seiner Forderungen seine Kosten tragen muss, nicht entgegenstehen, vorausgesetzt, das zuständige Gericht berücksichtigt zwingend die etwaige Bösgläubigkeit des betreffenden Gewerbetreibenden und erlegt ihm gegebenenfalls die Kosten des gerichtlichen Verfahrens auf, zu dessen Betreiben der Verbraucher sich gezwungen gesehen hat, um die ihm durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte geltend zu machen.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Spanisch.