Rechtssache C‑45/21

Banka Slovenije

(Vorabentscheidungsersuchen
des Ustavno sodišče Republike Slovenije [Slowenien])

Urteil des Gerichtshofs (Große Kammer) vom 13. September 2022

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Europäisches System der Zentralbanken – Nationale Zentralbank – Richtlinie 2001/24/EG – Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten – Schadensersatz wegen der Entscheidung über Sanierungsmaßnahmen – Art. 123 AEUV und Art. 21.1 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank – Verbot der monetären Finanzierung der Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets – Art. 130 AEUV und Art. 7 dieses Protokolls – Unabhängigkeit – Weitergabe vertraulicher Informationen“

  1. Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Europäisches System der Zentralbanken – Verbot der monetären Finanzierung – Löschung von Finanzinstrumenten durch eine nationale Zentralbank aufgrund von Maßnahmen zur Sanierung von Kreditinstituten – Haftung dieser Zentralbank aus Eigenmitteln wegen der Verletzung für sie bei der Ausübung dieser Tätigkeit geltender Vorschriften – Zulässigkeit – Voraussetzung

    (Art. 123 Abs. 1 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und AEU-Vertrag, Art. 14.1, 21.1 und 35.3; Verordnung Nr. 3603/93 des Rates, Art. 1 Abs. 1; Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates)

    (vgl. Rn. 47, 52-57, 61, 67, 68, 71-75, 79, Tenor 1)

  2. Wirtschafts- und Währungspolitik – Wirtschaftspolitik – Europäisches System der Zentralbanken – Verbot der monetären Finanzierung – Löschung von Finanzinstrumenten durch eine nationale Zentralbank aufgrund von Maßnahmen zur Sanierung von Kreditinstituten – Haftung dieser Zentralbank aus Eigenmitteln für Schäden, die bestimmten qualifizierten ehemaligen Inhabern von Finanzinstrumenten allein aufgrund dieser Löschung entstanden sind – Unzulässigkeit – Haftungsbegrenzung – Keine Auswirkung

    (Art. 123 Abs. 1 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und AEU-Vertrag, Art. 21.1; Verordnung Nr. 3603/93 des Rates, Art. 1 Abs. 1)

    (vgl. Rn. 84-86, 90, Tenor 2)

  3. Wirtschafts- und Währungspolitik – Währungspolitik – Europäisches System der Zentralbanken – Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken – Löschung von Finanzinstrumenten durch eine nationale Zentralbank aufgrund von Maßnahmen zur Sanierung von Kreditinstituten – Haftung dieser Zentralbank für durch diese Löschung verursachte Schäden in Höhe eines Betrags, der ihre Fähigkeit zur effizienten Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinträchtigen könnte – Unzulässigkeit

    (Art. 127 Abs. 2, 130 und 282 Abs. 3 AEUV; Protokoll Nr. 4 zum EU- und AEU-Vertrag, Art. 3.1, 7 und 14.4)

    (vgl. Rn. 95-101, 104, 106, Tenor 3)

  4. Niederlassungsfreiheit – Freier Dienstleistungsverkehr – Kreditinstitute – Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten – Richtlinie 2001/24 – Beaufsichtigung von Kreditinstituten – Pflicht zur Wahrung des Berufsgeheimnisses – Tragweite – Informationen, die bei der Durchführung von Sanierungsmaßnahmen erlangt worden oder entstanden sind und nicht Gegenstand von Unterrichtungs- oder Konsultationsverfahren gewesen sind – Ausschluss

    (Richtlinie 2001/24 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 33, Richtlinie 2006/48 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 44 bis 52, Richtlinie 2013/36 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 53 bis 62)

    (vgl. Rn. 116, 118, 122-124, Tenor 4)

Zusammenfassung

Im Zuge der globalen Finanzkrise ermächtigten nationale Rechtsvorschriften die Banka Slovenije (Zentralbank Sloweniens), bestimmte Finanzinstrumente zu löschen, wenn ihr Erhalt für ein Kreditinstitut eine Konkursgefahr hervorruft und das Finanzsystem als Ganzes gefährdet ( 1 ). Daraufhin wurden durch Gesetz zwei verschiedene und alternative Regelungen über die Haftung dieser Zentralbank für Schäden ehemaliger Inhaber zum Erlöschen gebrachter Finanzinstrumente eingeführt.

Zum einen kann diese Haftung ausgelöst werden, wenn feststeht, dass das Löschen eines Finanzinstruments nicht notwendig war, oder wenn der Grundsatz, dass kein Gläubiger schlechter gestellt werden darf als im Fall eines Konkurses, missachtet worden ist. Die Zentralbank Sloweniens kann sich jedoch von ihrer Haftung befreien, wenn sie nachweist, dass sie selbst oder die Personen, die sie ermächtigt hat, in ihrem Namen tätig zu werden, mit der gebotenen Sorgfalt gehandelt hat bzw. haben. Zum anderen können natürliche Personen, die Inhaber eines zum Erlöschen gebrachten Finanzinstruments sind und deren jährliche Einkünfte unterhalb einer bestimmten Schwelle liegen, von der Zentralbank Sloweniens eine Entschädigung als Pauschalbetrag erhalten.

Das Gesetz sieht vor, dass die Kosten dieser Haftungsregelungen zuerst durch den Rückgriff auf Sonderrücklagen aus von der Zentralbank Sloweniens seit dem 1. Januar 2019 erzielten Gewinnen, dann durch die Verwendung ihrer allgemeinen Rücklagen bis zu 50 % dieser Reserven und schließlich durch die Aufnahme eines Darlehens bei den slowenischen Behörden finanziert werden.

Die Zentralbank Sloweniens hat Verfassungsbeschwerde in Bezug auf dieses Gesetz beim Ustavno sodišče (Verfassungsgerichtshof, Slowenien) eingelegt und u. a. geltend gemacht, dass die mit diesem Gesetz eingeführten Haftungsregelungen nicht mit dem Unionsrecht vereinbar seien. In diesem Kontext hat dieses Gericht beschlossen, dem Gerichtshof u. a. Fragen zur Vereinbarkeit dieser Haftungsregelungen mit zwei grundlegenden Prinzipien der Tätigkeit des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB), nämlich dem Verbot der monetären Finanzierung ( 2 ) und dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Zentralbanken ( 3 ), vorzulegen.

Mit seinem von der Großen Kammer erlassenen Urteil entscheidet der Gerichtshof, dass das Verbot der monetären Finanzierung einer Haftungsregelung im Zusammenhang mit der durch eine Zentralbank begangenen Verletzung von Vorschriften über die Wahrnehmung einer ihr durch das nationale Recht zugewiesenen Aufgabe nicht entgegensteht, sofern diese Zentralbank nur haftet, wenn sie selbst oder die Personen, die sie ermächtigt hat, in ihrem Namen tätig zu werden, unter schwerwiegender Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht gehandelt hat bzw. haben. Demgegenüber steht dieses Verbot einer Regelung entgegen, mit der die Haftung einer Zentralbank allein aufgrund der Löschung von Finanzinstrumenten ausgelöst wird. Ferner steht der Grundsatz der Unabhängigkeit einer Haftungsregelung entgegen, die dazu führen kann, dass eine nationale Zentralbank in Höhe eines Betrags haftet, der ihre Fähigkeit zur effizienten Wahrnehmung ihrer Aufgaben beeinträchtigen könnte und der nach den oben genannten Modalitäten finanziert wird.

Würdigung durch den Gerichtshof

Erstens prüft der Gerichtshof die Vereinbarkeit von Haftungsregelungen wie denen, um die es in dem Vorabentscheidungsersuchen geht, mit dem Verbot der monetären Finanzierung. Hierzu stellt er zunächst fest, dass die Durchführung von Maßnahmen zur Sanierung von Kreditinstituten im Sinne der Richtlinie 2001/24 keine Aufgabe darstellt, die dem ESZB im Allgemeinen oder den nationalen Zentralbanken im Besonderen obliegt. Das ESZB stellt im Unionsrecht eine originäre Rechtsform dar, in der nationale Institutionen – die nationalen Zentralbanken – und ein Organ der Union – die Europäische Zentralbank – vereint sind und eng zusammenarbeiten. In diesem weitgehend integrierten System, in dem sie gleichzeitig nationale Behörden und Behörden, die im Rahmen des ESZB tätig werden, sind, können die nationalen Zentralbanken andere als die im Protokoll über das ESZB und die EZB bezeichneten Aufgaben wahrnehmen ( 4 ). Diese Aufgaben werden jedoch in ihrer eigenen Verantwortung wahrgenommen, wobei sich die konkreten Modalitäten der Haftung nach dem innerstaatlichen Recht richten. Daher ist es Sache des betreffenden Mitgliedstaats, die Voraussetzungen festzulegen, unter denen die Haftung seiner Zentralbank aufgrund der Durchführung einer Sanierungsmaßnahme im Sinne der Richtlinie 2001/24 ausgelöst werden kann, wenn diese Zentralbank als die für die Durchführung einer solchen Maßnahme zuständige Behörde bestimmt wurde. Gleichwohl haben die Mitgliedstaaten bei der Ausübung dieser Zuständigkeit die Verpflichtungen einzuhalten, die sich aus dem Unionsrecht ergeben.

Insoweit verbietet das Unionsrecht den nationalen Zentralbanken jede Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Haftung einer nationalen Zentralbank aus Eigenmitteln für die Wahrnehmung einer ihr durch das nationale Recht übertragenen Aufgabe als eine solche Finanzierung angesehen werden kann. Jedoch kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine solche Haftung unter allen Umständen als eine solche Finanzierung anzusehen ist.

So kann im Hinblick auf die Haftung einer nationalen Zentralbank, wenn sie die Regelungen über die Wahrnehmung einer ihr nach dem nationalen Recht übertragenen Aufgabe verletzt hat, grundsätzlich nicht davon ausgegangen werden, dass sie mit einer Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten verbunden ist. In diesem Fall ist nämlich die Entschädigung geschädigter Dritter die Folge von Handlungen dieser Zentralbank und nicht die Übernahme einer bereits bestehenden Verbindlichkeit gegenüber Dritten, die auf den anderen öffentlichen Stellen lastet. Im Übrigen erfolgt eine solche Finanzierung normalerweise nicht als unmittelbare Folge von Maßnahmen durch diese anderen Behörden und ermöglicht es ihnen grundsätzlich also nicht, Mittelbindungen vorzunehmen und sich dabei dem Anreiz für die Einhaltung einer gesunden Haushaltspolitik zu entziehen ( 5 ). Angesichts des hohen Komplexitätsgrads und der Dringlichkeit, die die Durchführung von Sanierungsmaßnahmen im Sinne der Richtlinie 2001/24 kennzeichnen, kann eine solche Haftung nicht ausgelöst werden, ohne zu verlangen, dass die der Zentralbank vorgeworfene Verletzung der Sorgfaltspflicht schwerwiegend ist.

Dagegen ist eine Haftungsregelung, die allein deshalb gilt, weil die nationale Zentralbank eine ihr vom nationalen Recht übertragene Aufgabe wahrgenommen hat, auch wenn sie die für sie geltenden Vorschriften in vollem Umfang eingehalten hat, mit einer Finanzierung von Verbindlichkeiten des öffentlichen Sektors gegenüber Dritten verbunden. Denn es steht dem nationalen Gesetzgeber zwar frei, im Einklang mit den vom ihm getroffenen Entscheidungen eine Entschädigung für die unvermeidbaren Folgen der Entscheidungen seiner Zentralbank zu gewährleisten, doch ist festzustellen, dass damit eine Zahlungspflicht eingeführt wird, die ihren Ursprung unmittelbar in seinen politischen Entscheidungen hat, und nicht in der Art und Weise, in der die Zentralbank ihre Aufgaben wahrnimmt. Die Zahlung einer solchen Entschädigung durch die Zentralbank aus Eigenmitteln ist daher so zu verstehen, dass anstelle der anderen Behörden die Zentralbank die Finanzierung von Verbindlichkeiten übernimmt, die dem öffentlichen Sektor nach den nationalen Rechtsvorschriften obliegen, was gegen das Unionsrecht verstößt.

Zweitens erläutert der Gerichtshof, welche Tragweite der Grundsatz der Unabhängigkeit der nationalen Zentralbanken hat, wenn sie in einer Höhe haften, die ihre Fähigkeit, ihre Aufgaben wirksam zu erfüllen, beeinträchtigen könnte. Zwar ist die Einführung einer Haftungsregelung im Rahmen der Ausübung einer ihnen durch das nationale Recht übertragenen Aufgabe nicht als solche mit dem Grundsatz der Unabhängigkeit der Zentralbanken unvereinbar. Jedoch dürfen die zu diesem Zweck erlassenen nationalen Vorschriften die betreffende Zentralbank nicht in eine Lage bringen, die ihre Fähigkeit, eine dem ESZB zugewiesene Aufgabe unabhängig wahrzunehmen, in irgendeiner Weise beeinträchtigt.

Um an einer der grundlegenden Aufgaben des ESZB, nämlich der Ausführung der Geldpolitik der Union, mitzuwirken, erscheint die Bildung von Reserven durch die nationalen Zentralbanken allerdings unerlässlich. In diesem Zusammenhang ist die Entnahme eines Betrags aus den allgemeinen Rücklagen einer nationalen Zentralbank, der ihre Fähigkeit zur effizienten Wahrnehmung ihrer Aufgaben im Rahmen des ESZB beeinträchtigen könnte, in Verbindung damit, dass es ihr aufgrund einer systematischen Verwendung ihrer gesamten Gewinne zur Erstattung des von ihr verursachten Schadens nicht möglich ist, diese Rücklagen selbständig wieder aufzufüllen, geeignet, diese Zentralbank unionsrechtswidrig in eine Situation der Abhängigkeit von den politischen Stellen ihres Mitgliedstaats zu bringen. Dies gilt insbesondere, wenn eine nationale Zentralbank rechtlich verpflichtet ist, bei anderen öffentlichen Stellen ihres Mitgliedstaats ein Darlehen aufzunehmen, wenn mit Rücklagen verbundene Finanzierungsquellen erschöpft sind.

Da die Rechtsvorschriften wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden gerade diese Merkmale aufweisen, setzen sie die Zentralbank potenziell politischem Druck aus, während Art. 130 AEUV und Art. 7 des Protokolls über das ESZB und die EZB im Gegenteil darauf abzielen, das ESZB vor jedem politischen Druck zu schützen, damit es die für seine Aufgaben gesetzten Ziele durch die unabhängige Ausübung der spezifischen Befugnisse, über die es zu diesen Zwecken nach dem Primärrecht verfügt, wirksam verfolgen kann.


( 1 ) Es handelt sich hierbei um Sanierungsmaßnahmen im Sinne der Richtlinie 2001/24/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. April 2001 über die Sanierung und Liquidation von Kreditinstituten (ABl. 2001, L 125, S. 15). Der Gerichtshof hat sich bereits zweimal zu diesen slowenischen Sanierungsmaßnahmen und ihrer Durchführung geäußert, allerdings zu Fragen, die sich deutlich von denen unterscheiden, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht (Urteile vom 19. Juli 2016, Kotnik u. a.,C‑526/14, EU:C:2016:570, und vom 17. Dezember 2020, Kommission/Slowenien [Archive der EZB], C‑316/19, EU:C:2020:1030).

( 2 ) Festgelegt in Art. 123 AEUV und Art. 21 des Protokolls (Nr. 4) über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank (im Folgenden: Protokoll über das ESZB und die EZB).

( 3 ) Ergibt sich aus Art. 130 AEUV und Art. 7 des Protokolls über das ESZB und die EZB.

( 4 ) Gemäß Art. 14.4 des Protokolls über das ESZB und die EZB.

( 5 ) Entgegen dem Ziel von Art. 123 Abs. 1 AEUV.