Vorläufige Fassung

SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 21. März 2024(1)

Verbundene Rechtssachen C778/21 P und C798/21 P

Europäische Kommission

gegen

Front populaire pour la libération de la saguia el-hamra et du rio de oro (Front Polisario),

Rat der Europäischen Union (C778/21 P)

und

Rat der Europäischen Union

gegen

Front populaire pour la libération de la saguia el-hamra et du rio de oro (Front Polisario) (C798/21 P)

„ Rechtsmittel – Assoziationsabkommen Europäische Union-Marokko – Partnerschaftliches Abkommen über nachhaltige Fischerei – Geltungsbereich – Urteil vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK [C‑266/16, EU:C:2018:118] – ,Zustimmung‘ des Volkes der Westsahara – Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen – Selbstbestimmungsrecht “






I.      Einleitung

1.        Kann die Union mit dem Königreich Marokko ein partnerschaftliches Fischereiabkommen schließen, das auch die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer einbezieht? Wenn ja, welche Verpflichtungen hat die Union gegenüber dem Volk dieses Gebiets?

2.        Diese Fragen stellen sich im Rahmen der Rechtsmittel gegen das Urteil vom 29. September 2021, Front Polisario/Rat (T‑344/19 und T‑356/19, EU:T:2021:640)(2), in dem das Gericht festgestellt hat, dass die Union gegen die Regeln des Völkergewohnheitsrechts verstoßen hat, die nach den Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK des Gerichtshofs für die Union bindend sind(3). Dementsprechend hat das Gericht(4) den Beschluss (EU) 2019/441(5), mit dem der Abschluss des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei(6), das dazugehörige Durchführungsprotokoll(7) und der Briefwechsel(8) genehmigt wurden, für nichtig erklärt. Der Rat und die Kommission haben gegen dieses Urteil Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt.

3.        Die vorliegenden Rechtsmittel sind im Licht einer Gruppe paralleler Rechtsmittel zu sehen, mit denen die Gültigkeit des Beschlusses des Rates über die Genehmigung von Änderungen des Assoziationsabkommens(9) im Hinblick auf die Ausweitung der Zollpräferenzen auf Waren mit Ursprung im Gebiet der Westsahara in Frage gestellt wird, sowie im Licht eines Vorabentscheidungsersuchens zur korrekten Angabe des Ursprungslands von Erzeugnissen mit Ursprung im Gebiet der Westsahara. In allen diesen Rechtssachen stelle ich am heutigen Tag meine Schlussanträge(10).

4.        Wie ich auch in meinen parallelen Schlussanträgen vom heutigen Tag in den Rechtssachen Kommission und Rat/Front Polisario erläutere, stellt das anhaltende Ringen um Selbstbestimmung des Volkes der Westsahara ein klares Scheitern des politischen Prozesses unter der Schirmherrschaft der Vereinten Nationen dar, für den praktische Lösungen dringend erforderlich sind.

II.    Hintergrund dieser Verfahren

A.      Kurze Geschichte der Westsahara-Frage

5.        In den Nrn. 8 bis 28 meiner parallelen Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario erläutere ich detaillierter den historischen Kontext der Westsahara-Frage und die Schwierigkeiten, mit denen das Volk dieses Gebiets bei der Ausübung seines Selbstbestimmungsrechts konfrontiert ist.

6.        Für die Zwecke des vorliegenden Verfahrens ist Folgendes zu wiederholen oder hinzuzufügen.

7.        Die Westsahara wurde im 19. Jahrhundert vom Königreich Spanien kolonisiert.

8.        Im Rahmen des Prozesses der Entkolonialisierung wurde dieses Gebiet 1963 von den Vereinten Nationen in die Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung („non-self-governing territory“, im Folgenden: NSGT) aufgenommen(11).

9.        1966 bekräftigte die Generalversammlung der Vereinten Nationen das Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara und forderte Spanien auf, die Ausübung dieses Rechts zu ermöglichen und zu organisieren(12), was Spanien durch ein Referendum zu ermöglichen beschloss. Dieses Referendum fand nie statt.

10.      1969 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen die Resolution 2554 (XXIV)(13). Diese Resolution „bekräftigt das unveräußerliche Recht der Völker abhängiger Gebiete auf Selbstbestimmung, Unabhängigkeit und die natürlichen Ressourcen ihrer Gebiete sowie ihr Recht, im Einklang mit dem achten Präambelabsatz der Resolution 1514 (XV) der Generalversammlung über diese Ressourcen in ihrem besten Interesse zu verfügen“, und „fordert die betroffenen Verwaltungsmächte und Staaten, deren Gesellschaften und Staatsangehörige solche Tätigkeiten ausüben, auf, unverzüglich Maßnahmen zu ergreifen, um alle Praktiken zur Ausbeutung der unter Kolonialherrschaft befindlichen Gebiete und Völker zu beenden“.

11.      Der Status der Westsahara als NSGT und das Selbstbestimmungsrecht ihres Volkes wurden vom Internationalen Gerichtshof (im Folgenden: IGH) in seinem Gutachten über die Westsahara bestätigt(14).

12.      Nach Ansicht des Königreichs Marokko ist das Gebiet der Westsahara, einschließlich der daran angrenzenden Gewässer, Teil seines souveränen Gebiets.

13.      1975 unterzeichneten Spanien, das Königreich Marokko und die Islamische Republik Mauretanien die Grundsatzerklärung über die Westsahara (auch bekannt als „Verträge von Madrid“)(15), mit der das Gebiet der Westsahara zwischen den beiden letztgenannten Staaten aufgeteilt wurde(16). Kurz darauf, im Januar 1976, rückte die marokkanische Armee in das Gebiet der Westsahara ein.

14.      Nach einer US-amerikanischen diplomatischen Depesche des Außenministers H. Kissinger von 1975 sollten Spanien im Rahmen der Verhandlungen über die Verträge von Madrid als Gegenleistung für seinen Rückzug aus diesem Gebiet „Fischereirechte in den Gewässern der Westsahara und eine 35 %ige spanische Beteiligung an den Phosphatminen gewährt werden“(17).

15.      Am 26. Februar 1976 teilte Spanien dem Generalsekretär der Vereinten Nationen mit, dass es seine Präsenz in der Westsahara beendet und auf seine Position als Verwaltungsmacht gemäß Art. 73 der Charta der Vereinten Nationen verzichtet habe(18).

16.      1985 übernahm die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft die Verantwortung für bestehende Fischereiabkommen, die Spanien und Portugal mit dem Königreich Marokko geschlossen hatten, für die Zeit ab ihrem Beitritt zur (damaligen) Gemeinschaft(19).

17.      In den Jahren 1988, 1992 und 2006 schloss die Europäische (Wirtschafts‑)Gemeinschaft mit dem Königreich Marokko ihre eigenen Fischereiabkommen(20).

18.      Der Geltungsbereich dieser Abkommen erstreckte sich auf das „Gebiet Marokkos und die Gewässer unter der Gerichtsbarkeit Marokkos“(21), ohne die Grenze der einbezogenen Meeresgebiete im Einzelnen festzulegen.

19.      Ein Schlüsselelement aller dieser Abkommen war die Zahlung finanzieller Beiträge an das Königreich Marokko, teilweise als Gegenleistung für die Erteilung von Lizenzen an Fischereifahrzeuge der Union durch dessen Behörden(22).

20.      In gesonderten Protokollen, die jeweils für einen Zeitraum von vier Jahren gelten und fester Bestandteil dieser Abkommen sind, werden außerdem die Fangmöglichkeiten für Fischereifahrzeuge der Union, ihre Laufzeit und ihre Nutzungsbedingungen festgelegt(23).

21.      Die Geltungsdauer des letzten Protokolls zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der Finanzbeiträge (d. h. des Durchführungsprotokolls von 2013)(24), das dem Fischereiabkommen von 2006 beigefügt war, lief am 14. Juli 2018 aus(25).

22.      Die Geltung des Fischereiabkommens von 2006 und des Durchführungsprotokolls von 2013 für die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer wurde durch das Urteil Western Sahara Campaign UK des Gerichtshofs unterbrochen.

B.      Das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei

1.      Prozessualer Hintergrund

23.      2018 hat der Gerichtshof entschieden, dass das Fischereiabkommen von 2006 weder das Gebiet der Westsahara noch die daran angrenzenden Gewässer einbezog, weil sich die Begriffe „Gebiet des Königreichs Marokko“ und „Gewässer unter seiner Hoheit oder Gerichtsbarkeit“ nicht auf das NSGT der Westsahara beziehen konnten(26). Entsprechend hat der Gerichtshof bezüglich des Durchführungsprotokolls von 2013 festgestellt, dass der Begriff „marokkanische Fischereizone“ nicht die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer umfasste(27).

24.      In diesem Sinne hat der Gerichtshof die Auslegung dieser Begriffe derjenigen ähnlicher Begriffe, um die es im Urteil Rat/Front Polisario ging, angeglichen. In diesem Urteil kam der Gerichtshof zu dem Ergebnis, dass der Begriff „Gebiet des Königreichs Marokko“ nicht dahin ausgelegt werden konnte, dass er sich auf das Gebiet der Westsahara erstreckt(28).

25.      Nach dem Urteil Western Sahara Campaign UK des Gerichtshofs ermächtigte der Rat mit Beschluss vom 16. April 2018(29) die Kommission, „Verhandlungen mit dem Königreich Marokko im Hinblick auf die Änderung des Abkommens und zur Vereinbarung eines neuen Durchführungsprotokolls zu führen“(30).

26.      Am 14. Januar 2019 unterzeichneten die Union und das Königreich Marokko das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei, das Durchführungsprotokoll und den Briefwechsel, die Teil dieses Abkommens sind(31).

27.      In dem relevanten Teil des Briefwechsels bekräftigen die Union und das Königreich Marokko „ihre Unterstützung für den VN-Prozess und für die Bemühungen des Generalsekretärs, im Einklang mit den Grundsätzen und Zielen der Charta der Vereinten Nationen und auf der Grundlage der Resolutionen des Sicherheitsrates eine endgültige politische Lösung zu finden“.

28.      In dem Briefwechsel heißt es ferner, dass „[d]as Fischereiabkommen … unbeschadet der … Standpunkte [der Vertragsparteien] geschlossen [wird]“, was für die Union bedeute, dass „die Bezugnahme auf die Gesetze und Vorschriften Marokkos im Fischereiabkommen nicht ihren Standpunkt zum Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung der Westsahara, dessen angrenzende Gewässer von der Fischereizone im Sinne von Artikel 1 Buchstabe h des Fischereiabkommens erfasst werden, [berührt]“, und für das Königreich Marokko, dass „die Region der Sahara fester Bestandteil seines nationalen Hoheitsgebiets [ist], in dem es seine Hoheitsgewalt wie im übrigen nationalen Hoheitsgebiet vollständig ausübt“.

29.      Mit dem angefochtenen Beschluss vom 4. März 2019 genehmigte der Rat im Namen der Union das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei, das Durchführungsprotokoll und den Briefwechsel. In den Erwägungsgründen 3, 5, 7 bis 9 und 11 dieses Beschlusses heißt es:

„(3)      In seinem Urteil in der Rechtssache C‑266/16 … hat der Gerichtshof in seiner Antwort auf eine Vorlagefrage zur Vorabentscheidung über die Gültigkeit und Auslegung des Abkommens und des dazugehörigen Durchführungsprotokoll[s] festgestellt, dass weder das Abkommen noch das dazugehörige Durchführungsprotokoll auf die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer Anwendung findet.

(5)      Die Unionsflotten sollten ihre seit Inkrafttreten des Abkommens ausgeübten Fangtätigkeiten fortsetzen können und der Geltungsbereich des Abkommens sollte so festgelegt werden, dass auch die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer einbezogen werden. Die Fortsetzung der Fischereipartnerschaft ist ebenfalls von wesentlicher Bedeutung, um sicherzustellen, dass dieses Gebiet weiterhin die im Rahmen des Abkommens gewährte sektorale Unterstützung, im Einklang mit dem Unionsrecht und dem Völkerrecht, einschließlich der Menschenrechte, und zugunsten der betreffenden Bevölkerung, erhalten kann.

(7)      Ziel des Fischereiabkommens ist es, der Union und dem Königreich Marokko eine engere Zusammenarbeit bei der Förderung einer nachhaltigen Fischereipolitik, einer verantwortungsvollen Nutzung der Fischereiressourcen in dem im Fischereiabkommen festgelegten Fanggebiet sowie zur Unterstützung der Bemühungen des Königreichs Marokko zur Entwicklung des Fischereisektors und der Blauen Wirtschaft zu ermöglichen. Es trägt zum Erreichen der Ziele der Union nach Artikel 21 des Vertrags über die Europäische Union bei.

(8)      Die Kommission hat die potenziellen Auswirkungen des Fischereiabkommens auf die nachhaltige Entwicklung, insbesondere hinsichtlich der Vorteile für die betreffende Bevölkerung und der Nutzung der natürlichen Ressourcen der betroffenen Gebiete, bewertet.

(9)      Aus dieser Bewertung geht hervor, dass das Fischereiabkommen aufgrund der positiven sozioökonomischen Auswirkungen – insbesondere im Hinblick auf Beschäftigung und Investitionen – und seiner Auswirkungen auf die Entwicklung des Fischereisektors und des Fischverarbeitungssektors für die betreffende Bevölkerung der Westsahara von großem Nutzen sein dürfte.

(11)      Unter Berücksichtigung der Ausführungen im Urteil des Gerichtshofs hat die Kommission in Zusammenarbeit mit dem Europäischen Auswärtigen Dienst [(EAD)] in diesem Zusammenhang alle angemessenen und durchführbaren Maßnahmen ergriffen, um die betreffende Bevölkerung in geeigneter Weise einzubeziehen, um sich deren Zustimmung zu vergewissern. Umfangreiche Konsultationen wurden in der Westsahara und im Königreich Marokko durchgeführt und die daran beteiligten sozioökonomischen und politischen Akteure sprachen sich eindeutig für den Abschluss des Fischereiabkommens aus. Allerdings haben die Front Polisario und andere Beteiligte einer Teilnahme am Konsultationsprozess nicht zugestimmt.“

2.      Geltungsbereich

30.      Der Geltungsbereich des partnerschaftlichen Fischereiabkommens ist in seinem Art. 14 geregelt. Danach gilt „[d]ieses Abkommen … für die Gebiete, in denen einerseits der Vertrag über die Europäische Union und der Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union andererseits sowie die in Artikel 6 Absatz 1 dieses Abkommens genannten Gesetze und Rechtsvorschriften angewandt werden“.

31.      In Art. 6 Abs. 1 des Fischereiabkommens heißt es, dass „Unionsschiffe, die in der Fischereizone tätig sind, die marokkanischen Gesetze und sonstigen Rechtsvorschriften für die Fischereitätigkeiten in diesem Gebiet einhalten [müssen], sofern in diesem Abkommen nichts anderes festgelegt ist“(32).

32.      Die „Fischereizone“ ist in Art. 1 Buchst. h des partnerschaftlichen Fischereiabkommens festgelegt als „die Gewässer des östlichen Mittelatlantiks zwischen 35° 47′ 18″ und 20° 46′ 13″ nördlicher Breite, einschließlich der angrenzenden Gewässer der Westsahara[(33)], die sich über alle Bewirtschaftungsgebiete erstrecken; diese Begriffsbestimmung berührt nicht die möglichen Verhandlungen über die Abgrenzung der Gewässer von Küstenstaaten, die an die Fischereizone angrenzen, und generell die Rechte von Drittländern“.

33.      Nach Ansicht des Gerichts verläuft die Grenze zwischen der Westsahara und dem Königreich Marokko entlang dem Breitengrad 27° 42′ N (Pointe Stafford)(34).

34.      Infolgedessen umfassen „die [u. a. in Art. 1 Buchst. h des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei] genannten geografischen Koordinaten sowohl die unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit des Königreichs Marokko stehenden als auch die an die Westsahara angrenzenden Gewässer“(35).

3.      Ausgleichszahlungen

35.      Nach dem partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei stimmt die Union der Zahlung einer finanziellen Gegenleistung an das Königreich Marokko zu.

36.      Der Gesamtwert dieser Gegenleistungen beläuft sich offenbar auf 208 700 000 Euro für die Laufzeit des Durchführungsprotokolls(36), d. h. vom 18. Juli 2019 bis zum 17. Juli 2023(37).

37.      Die finanzielle Gegenleistung setzt sich wie folgt zusammen: „a) Ausgleichszahlungen für den Zugang von Unionsschiffen zu der Fischereizone; b) von den Reedern der Unionsschiffe entrichtete Gebühren; c) eine Unterstützung des Fischereisektors durch die Union für die Durchführung einer nachhaltigen Fischereipolitik und der Meerespolitik, die einer jährlichen und mehrjährigen Programmplanung unterliegt“(38).

38.      Das Königreich Marokko unterwirft seinerseits die finanzielle Gegenleistung und die Gebühren des Reeders einer „ausgewogene[n] geografische[n] und soziale[n] Verteilung des … sozioökonomischen Nutzens, … um sicherzustellen, dass diese Verteilung den betreffenden Bevölkerungsgruppen … zugutekommt“(39).

39.      Die von der Union erhaltene Unterstützung des Fischereisektors unterliegt offenbar nicht dieser Verpflichtung zur Aufteilung, sondern „trägt zur Entwicklung und Umsetzung der sektorbezogenen Politik im Rahmen der nationalen Entwicklungsstrategie für den Fischereisektor bei“(40).

40.      Zu diesem Zweck hat das Königreich Marokko dem durch das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei(41) eingesetzten Gemischten Ausschuss, der sich aus Vertretern des Königreichs Marokko und der Union zusammensetzt(42), „die Methode für die geografische und soziale Verteilung [dieser Mittel] und den Schlüssel für die Aufteilung der zugewiesenen Beträge“ vorzulegen(43).

41.      Die verschiedenen Bestandteile der an die marokkanischen Behörden zu zahlenden finanziellen Gegenleistung werden unter der Aufsicht des Gemischten Ausschusses zugewiesen(44).

42.      Schließlich besteht eine Berichtspflicht für das Königreich Marokko, dessen Behörden einen Jahresbericht sowie vor Ablauf des Durchführungsprotokolls einen Abschlussbericht herausgeben müssen(45).

4.      Fangmöglichkeiten und ihre Bewirtschaftung

43.      Die Fangmöglichkeiten sind im Durchführungsprotokoll geregelt, das alle vier Jahre erneuert wird.

44.      Wie bereits dargelegt, lief das anlässlich des Abschlusses des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei unterzeichnete Protokoll am 17. Juli 2023 aus(46).

45.      Bis zum Zeitpunkt der Abfassung der vorliegenden Schlussanträge war zwischen der Union und dem Königreich Marokko kein neues Protokoll ausgehandelt worden.

46.      Unionsschiffe dürfen in der unter das partnerschaftliche Abkommen fallenden Zone nur Fischfang betreiben, wenn sie eine Fanggenehmigung erhalten haben(47).

47.      Diese Genehmigung wird gegen Zahlung der in Nr. 37 der vorliegenden Schlussanträge beschriebenen jährlichen Gebühren der Schiffseigner erteilt.

48.      Erteilt werden die Genehmigungen von der Abteilung Seefischerei des Ministeriums für Landwirtschaft, Seefischerei, ländliche Entwicklung, Wasser- und Forstangelegenheiten des Königreichs Marokko(48).

49.      Nach dem partnerschaftlichen Fischereiabkommen dürfen Unionsschiffe, die in der Fischereizone tätig sind, „nur den Überschuss der zulässigen Fangmenge gemäß Artikel 62 Absätze 2 und 3 des [Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen] befischen, der … auf der Grundlage der entsprechenden verfügbaren wissenschaftlichen Gutachten und … einschlägige[r] Information[en] … über den Gesamtfischereiaufwand aller im Fanggebiet tätigen Flotten für die betroffenen Bestände festgestellt wird“(49).

50.      In der mündlichen Verhandlung haben der Rat und die Kommission erklärt, dass diese Grenze in der Praxis vom Königreich Marokko festgelegt werde, nachdem es die Gesamtfangkapazitäten der lokalen Fischbestände, seinen nationalen Fischereiaufwand und den verbleibenden Anteil, der nachhaltig gefangen werden könne, ermittelt habe(50).

51.      Im Jahresbericht 2021 des Gemischten Ausschusses(51) und im Abschlussbericht 2023(52) wird dargelegt, dass alle Bestände mit Ausnahme von zweien in der „Fischereizone“ vollständig genutzt oder übermäßig genutzt wurden(53). Nur die Bestände an Großaugenzahnbrasse (Dentex macrophthalmus) und Sardinen (S. pilchardus) wurden für „nicht vollständig genutzt“ befunden(54).

C.      Angefochtenes Urteil

52.      Am 10. und 12. Juni 2019 erhob der Front Polisario Klagen, mit denen u. a. die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses begehrt wurde.

53.      Am 29. September 2021 hat das Gericht das angefochtene Urteil erlassen, mit dem es den angefochtenen Beschluss für nichtig erklärt hat(55).

54.      Das Gericht hat die beiden von der Kommission und dem Rat in erster Linie erhobenen Einreden der Unzulässigkeit in Bezug auf die Parteifähigkeit des Front Polisario und seine Klagebefugnis bezüglich des angefochtenen Beschlusses zurückgewiesen(56).

55.      In der Sache hat das Gericht den ersten Nichtigkeitsgrund des Front Polisario zurückgewiesen, mit dem geltend gemacht wurde, dass der Rat nicht befugt gewesen sei, den angefochtenen Beschluss zu erlassen(57).

56.      Dagegen hat es dem dritten Nichtigkeitsgrund des Front Polisario stattgegeben, der sich auf die Verpflichtung des Rates bezog, den sich aus der Rechtsprechung zum Selbstbestimmungsrecht und zum Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen ergebenden Anforderungen zu entsprechen(58). Die weiteren vom Front Polisario geltend gemachten Nichtigkeitsgründe hat das Gericht nicht geprüft.

D.      Verfahren vor dem Gerichtshof

57.      Mit Rechtsmittelschriften, die am 14. Dezember 2021 und am 16. Dezember 2021 eingereicht worden sind, haben die Kommission und der Rat jeweils beantragt, das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben, über die aufgeworfenen Streitfragen selbst zu entscheiden, die Klagen abzuweisen und dem Front Polisario die Kosten aufzuerlegen. Hilfsweise beantragen sie, die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses für einen Zeitraum von zwölf Monaten ab Verkündung seines Urteils aufrechtzuerhalten.

58.      Dieser Rechtsmittelgrund wird durch die Chambre des pêches maritimes de la Méditerranée u. a. sowie durch die belgische, die spanische, die französische, die ungarische, die portugiesische und die slowakische Regierung unterstützt.

59.      Am 23. und 24. Oktober 2023 hat eine Sitzung stattgefunden, in der die Kommission, der Rat, der Front Polisario, die Chambre des pêches maritimes de la Méditerranée u. a. sowie die belgische, die französische, die spanische und die ungarische Regierung mündlich verhandelt haben.

III. Würdigung

A.      Zur Auslegung des Völkerrechts

60.      Mit den vorliegenden Rechtsmitteln wird die Gültigkeit des Beschlusses der Union, eine internationale Übereinkunft zu schließen, im Licht der Völkerrechtssätze, an die die Union gebunden ist, insbesondere im Licht zweier Grundsätze des Völkergewohnheitsrechts – des Selbstbestimmungsrechts und des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen – in Frage gestellt(59).

61.      Im Vergleich zur Unionsrechtsordnung oder zu den Rechtsordnungen ihrer Mitgliedstaaten ist das Völkerrecht ein weniger kompaktes und, was die Sicherstellung der einheitlichen Bedeutung seiner Vorschriften betrifft, sehr viel dezentraleres System.

62.      Auch wenn das Völkerrecht über ein eigenes System von Rechtsquellen(60) und einige allgemein anerkannte Auslegungsregeln(61) verfügt, fehlt es an einer Stelle, deren Auslegungen alle binden, die Teil des Systems sind(62).

63.      Die Organe der Union, die Unionsgerichte eingeschlossen, sind in dieser Hinsicht bei der Auslegung des Inhalts der Regeln des Völkergewohnheitsrechts, die Bestandteil der Unionsrechtsordnung sind, nicht durch die verschiedenen Auslegungen derselben Regel durch andere Völkerrechtssubjekte beschränkt(63).

64.      Gleichwohl muss der Gerichtshof bei der Auslegung der Bedeutung des Völkerrechts für die Zwecke der Unionsrechtsordnung feststellen, ob auf Völkerrechtsebene ein gewisser Grad an Konsens über die Bedeutung einer bestimmten Regel erreicht wurde. Dies ergibt sich meines Erachtens aus der in Art. 3 Abs. 5 EUV vorgesehenen Verpflichtung der Union, zur strikten Einhaltung und Weiterentwicklung des Völkerrechts beizutragen.

65.      Ebenso wie die Unionsorgane nicht an die Auslegung des Völkerrechts durch andere Völkerrechtssubjekte gebunden sind, ist die Auslegung einer völkerrechtlichen Regel durch den Gerichtshof nur innerhalb der Unionsrechtsordnung bindend. Gleichwohl ist es wichtig, dass der Gerichtshof, wenn er die Bedeutung einer völkerrechtlichen Regel ermittelt, im Auge behält, dass seine Auslegung Auswirkungen auf völkerrechtlicher Ebene hat und zur Entstehung von Brauch sowie zur Herausarbeitung seiner Bedeutung beiträgt(64).

66.      Die Auslegung des Völkerrechts innerhalb der Unionsrechtsordnung wirft auch die Frage nach dem Verhältnis zwischen den Unionsgerichten und den politischen Organen der Union auf, wenn durch Auslegung zu bestimmen ist, welche Verpflichtungen das Völkerrecht der Europäischen Union auferlegt.

67.      In der Außenpolitik der Union verfügen die politischen Organe der Union über ein weites Ermessen(65). Der Beschluss, ein internationales Abkommen mit einem anderen Staat zu schließen, einschließlich des Beschlusses, die Anwendung des Abkommens möglicherweise auf ein Drittgebiet auszudehnen, fällt in dieses Ermessen. Der Gerichtshof kann diese Entscheidung nicht in Frage stellen.

68.      Wird jedoch eine politische Entscheidung über die Begründung von Beziehungen zu einem Drittstaat oder ‑gebiet getroffen, ist der Gerichtshof nicht nur befugt, die Vereinbarkeit der auswärtigen Beziehungen der Union mit den verfassungsrechtlichen Anforderungen des EU‑Vertrags und des AEU‑Vertrags zu prüfen, sondern auch verpflichtet, dies zu tun(66).

69.      Wie der Gerichtshof im Urteil Air Transport Association of America u. a. ausgeführt hat, leistet „[n]ach Art. 3 Abs. 5 EUV … die Union einen Beitrag zur strikten Einhaltung und zur Weiterentwicklung des Völkerrechts. Beim Erlass eines Rechtsakts ist sie also verpflichtet, das gesamte Völkerrecht zu beachten, auch das die Organe der Union bindende Völkergewohnheitsrecht“(67).

70.      Im Rahmen seiner verfassungsrechtlichen Aufgabe, die Rechtsstaatlichkeit in der Union zu gewährleisten, hat der Gerichtshof daher zu beurteilen, ob die Unionsorgane mit dem Abschluss einer internationalen Übereinkunft die Rechte verletzt haben, die die Regeln des Völkergewohnheitsrechts den Völkerrechtssubjekten verleihen.

71.      Dies verlangt, dass der Gerichtshof den Inhalt der einschlägigen gewohnheitsrechtlichen Regeln auslegt. In einer Situation, in der es eine einheitliche opinio iuris in Bezug auf das Bestehen einer rechtlichen Verpflichtung (wie der Verpflichtung, das Selbstbestimmungsrecht eines NSGT anzuerkennen) gibt, nicht aber in Bezug auf deren genauen Inhalt, gebietet das Ermessen, über das die politischen Organe der Union in den Außenbeziehungen verfügen, dass sich der Gerichtshof der von ihnen gewählten Auslegung beugt.

72.      Von den vorgenannten Merkmalen des Völkerrechts werde ich mich bei meiner Analyse in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren leiten lassen.

B.      Zulässigkeit

1.      Interesse

73.      Wie in den Nrn. 36 und 44 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt, ist das Durchführungsprotokoll, das die Bedingungen für den Zugang zu den an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Fischereizonen regelt, am 17. Juli 2023 ausgelaufen(68).

74.      Ohne gültiges Protokoll ermöglicht das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei den Unionsschiffen keinen Zugang zur „Fischereizone“.

75.      Dies ist von der Kommission in der mündlichen Verhandlung ebenfalls bestätigt worden.

76.      Bedeutet dies, dass der Front Polisario kein Interesse mehr an der Fortsetzung der vorliegenden Verfahren hat(69)?

77.      Ich denke nicht.

78.      Der Front Polisario macht geltend, das sich aus dem Abschluss des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei mit dem Königreich Marokko ergebende Verhalten der Union sei ungültig.

79.      Aufgrund seiner Beanstandung des angefochtenen Beschlusses erstreckt sich sein Klagegrund der Rechtswidrigkeit auf das gesamte mit dem Königreich Marokko vereinbarte „Paket“ – das partnerschaftliche Fischereiabkommen, das Durchführungsprotokoll und den Briefwechsel – und nicht nur auf dessen praktische Wirkungen.

80.      Die vorliegenden Rechtsmittel können folglich dazu führen, dass die Union verpflichtet ist, bestimmte Teile dieses „Pakets“ neu auszuhandeln, einschließlich der Rechte für die Fischereiflotte der Union auf Zugang zur Fischerei in den an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässern, die der Front Polisario zum Teil kontrolliert und zu vertreten beansprucht.

81.      Das Auslaufen des Durchführungsprotokolls beeinträchtigt daher nicht den Fortbestand des Interesses des Front Polisario in der vorliegenden Rechtssache.

82.      Jedenfalls ist klar, dass es aus verfassungsrechtlicher Sicht bei den zugrunde liegenden unmittelbaren Handlungen möglich erscheint, dass die Rechtswidrigkeit des Handelns der Union auf internationaler Ebene bejaht wird(70), und verhindert wird, dass sich der Rechtsverstoß in Zukunft wiederholt(71).

2.      Zur Klagebefugnis und zur Möglichkeit, sich vor den Unionsgerichten auf das Völkergewohnheitsrecht zu berufen

83.      Wie ich in meinen parallelen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario darlege, stimme ich im Großen und Ganzen mit der Schlussfolgerung des Gerichts überein, dass der Front Polisario rechtlich über die Befähigung und die Befugnis verfügt, gegen den angefochtenen Beschluss vorzugehen(72).

84.      Dieselbe Argumentation kann auf die vorliegenden Rechtsmittel angewandt werden. Ich verweise daher auf meine in jenen Schlussanträgen vorgetragenen Argumente und schlage dem Gerichtshof vor, sich in der Sache mit den vorliegenden Rechtsmitteln zu befassen.

85.      Außerdem bin ich ebenso wie in meinen parallelen Schlussanträgen der Ansicht, dass sich der Front Polisario vor den Unionsgerichten grundsätzlich auf die Regeln des Völkergewohnheitsrechts berufen kann. Sind die Voraussetzungen für die Klagebefugnis erfüllt, können sich Kläger, die Nichtigkeitsklagen nach Art. 263 Abs. 4 AEUV erheben, auf diejenigen Völkerrechtssätze berufen, die hinreichend klar sind, um den Unionsgerichten die Kontrolle der Gültigkeit von Handlungen der Unionsorgane zu ermöglichen. Daher ist der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache nicht daran gehindert, seine Befugnis zur gerichtlichen Kontrolle hinsichtlich der Vereinbarkeit des angefochtenen Beschlusses mit den geltend gemachten Grundsätzen des Völkergewohnheitsrechts auszuüben, soweit er deren Inhalt hinreichend klar auslegen kann.

C.      Begründetheit

86.      Wie ich in meinen ebenfalls heute vorgelegten parallelen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario(73) ferner erläutert habe, ist es wichtig, dass ich meine Würdigung der vorliegenden Klagen damit beginne, die begrenzte Tragweite der vorliegenden Rechtsmittelverfahren hervorzuheben.

87.      Dies liegt darin begründet, dass das Gericht im angefochtenen Urteil nur den ersten und den dritten Klagegrund des Front Polisario geprüft hat, wobei es den ersten Klagegrund zurückgewiesen und den dritten Klagegrund für begründet befunden hat.

88.      Auch wenn es andere Fragen zum Selbstbestimmungsrecht geben mag, die in der vorliegenden Rechtssache relevant sein können, ist der Gerichtshof daher in seiner Zuständigkeit darauf beschränkt, nur diejenigen Fragen zu behandeln, die Gegenstand der Urteile Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK waren(74).

89.      Aus diesem Grund habe ich als Erstes festzustellen, welchen Inhalt der Gerichtshof in diesen Urteilen dem Selbstbestimmungsrecht und dem Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen beigemessen hat (Abschnitt C.1). Als Zweites stimmt die Begründung des angefochtenen Urteils zwar im Wesentlichen mit der in den Rechtssachen Kommission und Rat/Front Polisario (C‑779/21 P und C‑799/21 P) überein, doch bin ich der Ansicht, dass sich die in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren anwendbaren Völkerrechtssätze von denen in den parallelen Serien von Rechtsmitteln unterscheiden, insbesondere was die Art und Weise anbelangt, in der die jeweils in Rede stehenden Verträge strukturiert sind (Abschnitt C.2). Drittens werde ich aus diesem Grund zu dem Ergebnis gelangen, dass sich das Gericht geirrt hat, als es das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei auf der Grundlage derselben Argumentation wie derjenigen für nichtig erklärt hat, die den Rechtsmittelverfahren in den Rechtssachen Kommission und Rat/Front Polisario (C‑779/21 P und C‑799/21 P) zugrunde liegt (Abschnitt C.3). Viertens werde ich trotz dieser Schlussfolgerung dem Gerichtshof vorschlagen, das angefochtene Urteil – und damit die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses – zu bestätigen, wenn auch mit anderer Begründung (Abschnitt C.4). Schließlich werde ich darlegen, dass, auch wenn dies über den Gegenstand der vorliegenden Rechtsmittel hinausgeht, das Versäumnis, das Gebiet der Westsahara und die daran angrenzenden Gewässer als vom Gebiet des Königreichs Marokko gesondert und unterschiedlich zu behandeln, auch Konsequenzen für das Recht des Volkes der Westsahara hat, in den Genuss der natürlichen Ressourcen der an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer zu kommen (Abschnitt C.5).

1.      Auslegung der Urteile Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK

90.      In den Nrn. 96 bis 115 meiner parallelen Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario analysiere ich ausführlich die Entscheidung des Gerichtshofs im Urteil Rat/Front Polisario.

91.      Daraus ergeben sich im Wesentlichen folgende Feststellungen.

92.      Dem Urteil Rat/Front Polisario lag eine Klage gegen den Beschluss des Rates über die Genehmigung zum Abschluss des Abkommens zur Liberalisierung des Handels von 2012(75) zugrunde, durch das Waren mit Ursprung im „Gebiet Marokkos“ eine Zollpräferenzbehandlung gewährt wird.

93.      In diesem Urteil hat der Gerichtshof dieses Abkommen dahin ausgelegt, dass es sich nicht auf das Gebiet der Westsahara erstreckt, da der Begriff „Gebiet Marokkos“ nicht dahin ausgelegt werden könne, dass er das Gebiet der Westsahara einschließt.

94.      Der Gerichtshof ist zu diesem Ergebnis durch Auslegung des Selbstbestimmungsrechts und des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen gelangt, die nach seiner Überzeugung für die Union verbindlich waren, als sie über das Königreich Marokko Beziehungen zum Gebiet der Westsahara aufgenommen hat.

95.      Der Gerichtshof hat das Selbstbestimmungsrecht dahin ausgelegt, dass es eine Verpflichtung für die Union umfasst, das Gebiet der Westsahara als vom Gebiet des Königreichs Marokko „gesondert und unterschiedlich“ zu behandeln. Dieses Erfordernis ergab sich daraus, dass die Westsahara nach dem Völkerrecht als NSGT gilt.

96.      Der Gerichtshof hatte keine weiteren Verpflichtungen für die Union auszulegen, die sich möglicherweise aus dem Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara ergeben, und hat dies daher auch nicht getan(76).

97.      Der Gerichtshof hat auch festgestellt, dass der gesonderte und unterschiedliche Status des Gebiets der Westsahara zur Anwendung des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen führen würde, wenn die Union und das Königreich Marokko ein zwischen ihnen geschlossenes Abkommen auf das Gebiet der Westsahara anwenden wollten.

98.      Nach der Auslegung des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen durch den Gerichtshof muss, wenn ein Dritter von der Anwendung eines zwischen zwei Parteien geschlossenen internationalen Abkommens betroffen ist, dieser Dritte der Anwendung des Abkommens zustimmen, unabhängig davon, ob die sich daraus ergebende Anwendung ihm schaden oder ihm nützen kann.

99.      Unter der stillschweigenden Prämisse, dass der Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen auch dann anwendbar ist, wenn es sich bei dem Dritten um ein NSGT und nicht um einen Staat handelt, hat der Gerichtshof gefolgert, dass das Volk der Westsahara der Ausdehnung der Anwendung des Abkommens über die Liberalisierung des Handels von 2012 auf sein Gebiet nicht zugestimmt hat.

100. In Nr. 114 meiner Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario führe ich aus, dass das Zustimmungserfordernis, wie es sich aus Rn. 106 des Urteils Rat/Front Polisario ergibt, nicht als Hinweis darauf verstanden werden sollte, ob oder wie sich ein Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko auf das Gebiet der Westsahara erstrecken könnte. Stattdessen ist dieses Erfordernis nur als eines der Argumente dafür zu verstehen, weshalb der Geltungsbereich des in jener Rechtssache in Rede stehenden Abkommens nicht das Gebiet der Westsahara umfassen konnte(77).

101. Das Urteil Western Sahara Campaign UK erging mehr als ein Jahr nach dem Urteil Rat/Front Polisario. Diese Rechtssache ist beim Gerichtshof als Vorlage zur Vorabentscheidung über die Auslegung und die Gültigkeit des Fischereiabkommens von 2006 und des Durchführungsprotokolls von 2013 eingegangen.

102. In seinem Urteil hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Begriffe „das Gebiet Marokkos und die Gewässer unter der Gerichtsbarkeit Marokkos“, „marokkanische Fischereizone“ und „Gewässer unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit Marokkos“(78) nicht dahin ausgelegt werden konnten, dass sie die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer einschließen(79).

103. Um zu diesem Ergebnis zu gelangen, hat sich der Gerichtshof im Urteil Western Sahara Campaign UK von seinem früheren Urteil Rat/Front Polisario leiten lassen.

104. Als Erstes hat der Gerichtshof erläutert, dass das Fischereiabkommen von 2006 Teil der Politik der Union ist, im Rahmen des Assoziationsabkommens die Beziehungen zum Königreich Marokko zu vertiefen(80). Der Ausdruck „Gebiet des Königreichs Marokko“ ist daher im Fischereiabkommen von 2006 ebenso zu verstehen wie im Assoziationsabkommen im Urteil Rat/Front Polisario(81).

105. Sodann hat der Gerichtshof auf den Teil des Urteils Rat/Front Polisario Bezug genommen, in dem er festgestellt hat, dass eine Auslegung des Ausdrucks „Gebiet des Königreichs Marokko“ im Assoziationsabkommen, die das Gebiet der Westsahara einschließt, „gegen den Grundsatz der Selbstbestimmung, auf den in Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen hingewiesen wird, und gegen den Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen, der in Art. 34 des Wiener Übereinkommens eine besondere Ausprägung gefunden hat“, verstoßen würde(82).

106. Auf dieser Grundlage ist der Gerichtshof zu dem Schluss gelangt, dass das Fischereiabkommen von 2006 und das Durchführungsprotokoll von 2013 nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie das Gebiet der Westsahara einbeziehen.

107. Der Gerichtshof hat sich sodann der Auslegung des Begriffs „Gewässer unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit des Königreichs Marokko“ zugewandt, der sowohl im Fischereiabkommen von 2006 als auch im Durchführungsprotokoll von 2013 enthalten war.

108. Hierfür hat der Gerichtshof auf das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen Bezug genommen, das „die Union bindet und auf das im [Fischereiabkommen von 2006] ausdrücklich Bezug genommen wird“(83).

109. Aus dem Seerechtsübereinkom men hat der Gerichtshof für die Auslegung des Ausdrucks „Gewässer unter der Hoheit oder der Gerichtsbarkeit des Königreichs Marokko“ geschlossen, dass dieser Ausdruck nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die an die Westsahara angrenzenden Gewässer von ihm erfasst werden: Das Königreich Marokko kann Souveränität oder Gerichtsbarkeit nur über die an sein Gebiet angrenzenden Gewässer ausüben, und das Gebiet der Westsahara fällt nicht unter den Begriff „Gebiet des Königreichs Marokko“(84).

110. Sodann hat der Gerichtshof geprüft, ob der Schluss zulässig ist, dass die Union und das Königreich Marokko beabsichtigten, die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer unter die Ausdrücke „Gewässer unter der Hoheit … des Königreichs Marokko“ und „Gewässer unter der … Gerichtsbarkeit des Königreichs Marokko“, wie sie im Fischereiabkommen von 2006 enthalten sind, zu subsumieren.

111. Er ist zu dem Ergebnis gelangt, dass sich eine solche Absicht nicht daraus ergeben kann, dass das Königreich Marokko als „eine ‚De-facto-Verwaltungsmacht‘ oder eine Besatzungsmacht … der Westsahara“ anzusehen sein könnte, da „[d]as Königreich Marokko … kategorisch ausgeschlossen [hat], Besatzungs- oder Verwaltungsmacht des Gebiets der Westsahara zu sein“(85). Daher konnte er keine dahin gehende stillschweigende Absicht der Parteien feststellen(86).

112. Schließlich hat der Gerichtshof gefolgert, dass nicht geprüft zu werden braucht, ob die Einbeziehung der an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer in den Geltungsbereich des Fischereiabkommens von 2006 und des Durchführungsprotokolls von 2013 mit den die Union bindenden Völkerrechtssätzen vereinbar wäre, wenn das Königreich Marokko entweder als Verwaltungsmacht oder als Besatzungsmacht eingestuft würde, da dieses Abkommen und dieses Protokoll jedenfalls nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie für die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer gelten(87).

113. Im Urteil Western Sahara Campaign UK hat der Gerichtshof die Notwendigkeit einer „Zustimmung“ des Volkes der Westsahara nach dem Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen nicht weiter geprüft und nicht einmal erwähnt.

2.      Unterschiede zwischen dem relevanten Rechtsrahmen für die partnerschaftlichen Abkommen über Handelspräferenzen und über nachhaltige Fischerei

114. Das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei unterscheidet sich in wesentlichen Aspekten von dem Abkommen, um das es in den parallelen Rechtsmittelverfahren Kommission und Rat/Front Polisario (C‑779/21 P und C‑799/21 P) geht.

115. Dort geht es um ein Abkommen, das zwischen der Union und dem Königreich Marokko geschlossen wurde, um Handelspräferenzen für Waren mit Ursprung im Königreich Marokko auf Waren mit Ursprung im Gebiet der Westsahara auszudehnen(88).

116. Das in den parallelen Rechtsmittelverfahren in Rede stehende Abkommen über Handelspräferenzen dehnt somit klar die Anwendung eines Abkommens zwischen zwei Parteien auf einen Dritten aus: Es dehnt ausdrücklich die nach dem Abkommen zur Liberalisierung des Handels von 2012 zwischen der Union und dem Königreich Marokko gewährte Behandlung – die, wie der Gerichtshof entschieden hat, nicht für das Gebiet der Westsahara galt – auf Waren mit Ursprung im Gebiet der Westsahara aus.

117. Unter den Umständen, auf die es in den Rechtsmittelverfahren Kommission und Rat/Front Polisario (C‑779/21 P und C‑799/21 P) ankommen könnte, sind zwei Fragen daher klar.

118. Erstens findet der Rechtsrahmen Anwendung, der die relative Wirkung von Verträgen bestimmt.

119. Zweitens unterscheidet das Abkommen über Handelspräferenzen in seiner Auslegung durch den Gerichtshof klar zwischen dem Gebiet der Westsahara und den Gebieten des Königreichs Marokko und der Union.

120. Dagegen treffen diese Prämissen nicht auf das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei oder das Durchführungsprotokoll zu.

121. Erstens dehnt das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei nicht eine mit Geltung für das Gebiet des Königreichs Marokko vereinbarte Regelung auf das Gebiet der Westsahara aus.

122. Stattdessen soll mit dem partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei und dem dazugehörigen Durchführungsprotokoll ein neuer Rechtsrahmen geschaffen werden, der das Fischereiabkommen von 2006 und das Durchführungsprotokoll von 2013 vollständig ersetzt, um die Fischereirechte in der von diesem Abkommen erfassten „Fischereizone“ zu regeln.

123. Dieser Unterschied hat zur Folge, dass der Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen weder für das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei noch für das Durchführungsprotokoll gilt.

124. Zweitens unterscheiden das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei und das Durchführungsprotokoll nicht klar zwischen dem Gebiet der Westsahara und dem Gebiet des Königreichs Marokko.

125. Wie ich in den Nrn. 31 bis 33 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, gelten das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei und das Durchführungsprotokoll für die „Fischereizone“, ein Gebiet, das durch seine geografischen Koordinaten festgelegt wird und die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer umfasst.

126. Dieser Unterschied hat zur Folge, dass die Unionsgerichte in den in der vorliegenden Rechtssache zur Entscheidung anstehenden Rechtsmittelverfahren zu beurteilen haben, ob das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei, das Durchführungsprotokoll und der Briefwechsel das aus dem Selbstbestimmungsrecht folgende und sich aus den Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK ergebende Erfordernis wahren, das Gebiet der Westsahara als vom Gebiet des Königreichs Marokko gesondert und unterschiedlich zu behandeln.

3.      Die Anwendung der Urteile Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK durch das Gericht

127. Aus dem angefochtenen Urteil geht klar hervor, dass das Gericht den streitigen Beschluss unter Berufung auf Rn. 106 des Urteils Rat/Front Polisario für nichtig erklärt hat(89).

128. Das Gericht hat diese Randnummer im angefochtenen Urteil dahin gehend aufgefasst, dass vom Rat verlangt werde, die „Zustimmung“ des Volkes der Westsahara einzuholen, und ist im Wesentlichen zu dem Ergebnis gelangt, dass nicht davon ausgegangen werden könne, dass die vom Rat und vom EAD durchgeführten Konsultationen dieser Verpflichtung genügten(90).

129. Demgemäß hat das Gericht den angefochtenen Beschluss auf der Grundlage im Wesentlichen derselben Argumentation wie der, die es in dem Urteil, das in den verbundenen Rechtssachen Kommission und Rat/Front Polisario (C‑779/21 P und C‑799/21 P) angefochten wird, entwickelt hat, für nichtig erklärt.

130. Meines Erachtens hat sich das Gericht bei dieser Entscheidung geirrt.

131. Das Erfordernis der „Zustimmung“, deren Fehlen das Gericht vorliegend festgestellt hat, ist vom Gerichtshof im Urteil Rat/Front Polisario ausgehend vom Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen extrapoliert worden.

132. Wie ich in Nr. 123 der vorliegenden Schlussanträge darlege, erfordert eine Gültigkeitskontrolle des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei anhand der Urteile Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK jedoch nicht die Anwendung des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen(91).

133. Mit diesem Abkommen haben die Vertragsparteien nicht versucht, die zwischen der Union und dem Königreich Marokko vereinbarte Regelung auf das Gebiet einer dritten Partei auszudehnen.

134. Stattdessen wurde das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei geschlossen, um die Fischereiregelung in einem bestimmten geografischen Gebiet, der „Fischereizone“, das sich auf die an das Gebiet einer dritten Partei, der Westsahara, angrenzenden Gewässer erstreckt, unmittelbar festzulegen.

135. Für den Rat war es daher nicht erforderlich, die Zustimmung des Volkes der Westsahara einzuholen(92).

136. Ich schlage dem Gerichtshof deshalb vor, darauf zu erkennen, dass das Gericht Rn. 106 des Urteils Rat/Front Polisario unrichtig ausgelegt und angewandt hat, da die Kontrolle des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei und des Durchführungsprotokolls nicht die Anwendung des Grundsatzes der relativen Wirkung von Verträgen und des sich aus ihm ergebenden Zustimmungserfordernisses verlangt hat.

4.      Wahrung des Rechts, die beiden Gebiete unterschiedlich und gesondert zu behandeln

137. Im angefochtenen Beschluss(93) bringt der Rat seine Absicht zum Ausdruck, das Königreich Marokko nicht als einen Souverän des Gebiets der Westsahara, sondern als Verwaltungsmacht dieses Gebiets zu behandeln.

138. Gleiches gilt für den Briefwechsel(94), in dem die Union ihren Standpunkt wiederholt, dass die Westsahara ein NSGT sei und das Volk dieses Gebiets das Selbstbestimmungsrecht habe.

139. Wie ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario erläutere, kann der Gerichtshof die politische Entscheidung, Beziehungen zum Gebiet der Westsahara durch dessen Verwalter, das Königreich Marokko, zu begründen, nicht überprüfen.

140. Entscheidet sich die Union jedoch dafür, auf diese Weise Beziehungen zum Gebiet der Westsahara zu begründen, gebietet es die dem Gerichtshof obliegende verfassungsrechtliche Überprüfungspflicht, zu kontrollieren, dass diese Beziehungen den Status dieses Gebiets und die Rechte seines Volkes wahren.

141. Für die Zwecke der Zuständigkeit des Gerichtshofs in den vorliegenden Rechtsmittelverfahren bedeutet dies, dass er nachzuprüfen hat, ob der von der Union gewählte Weg, über das Königreich Marokko Beziehungen zum Gebiet der Westsahara zu begründen, das Selbstbestimmungsrecht des Volkes der Westsahara, wie es der Gerichtshof in den Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK ausgelegt hat, wahrt.

142. Wie ich in Nr. 95 der vorliegenden Schlussanträge auf der Grundlage der vom Gerichtshof in diesen Urteilen vorgenommenen Auslegung ausgeführt habe, schließt die Tragweite dieses Rechts die Verpflichtung mit ein, das Gebiet der Westsahara als vom Gebiet des Königreichs Marokko „gesondert und unterschiedlich“ zu behandeln.

143. Das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei erfüllt diese Anforderung nicht.

144. Das partnerschaftliche Fischereiabkommen über nachhaltige Fischerei wahrt in seinem Geltungsbereich nicht hinreichend den „gesonderten und unterschiedlichen“ Charakter des Gebiets der Westsahara und der daran angrenzenden Gewässer.

145. Wie ich in den Nrn. 31 bis 33 der vorliegenden Schlussanträge erläutert habe, wird der Geltungsbereich des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei unter Bezugnahme auf eine einzige „Fischereizone“ festgelegt, die im Wesentlichen die Gesamtheit der an das Königreich Marokko und das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer umfasst.

146. Nicht nur aus der Festlegung dieser Zone und sowohl aus dem angefochtenen Beschluss(95) als auch aus dem Briefwechsel(96) geht klar hervor, dass das auf diese Weise erfasste Gebiet die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer einbezieht.

147. Bei der Definition der „Fischereizone“ wird jedoch nicht zwischen den an das Gebiet des Königreichs Marokko angrenzenden Gewässern und den an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässern unterschieden.

148. Eine solche Unterscheidung braucht nicht notwendigerweise in zwei gesonderten Vereinbarungen vorgenommen zu werden. Sie hätte z. B. durch die Abgrenzung der territorialen Grenzen dieser Gebiete unter Bezugnahme auf ihre jeweiligen geografischen Koordinaten erreicht werden können.

149. Aus dem Abkommen zwischen der Union und dem Königreich Marokko sollte jedoch zumindest klar hervorgehen, welcher Teil der Fischereirechte der Union sich auf die an das Königreich Marokko angrenzenden Gewässer bezieht und welcher auf die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer.

150. Nur bei dieser Sachlage ist deutlich feststellbar, dass die Union das Königreich Marokko als Souverän in Bezug auf sein eigenes Gebiet und als („Defacto“‑)Verwaltungsmacht in Bezug auf das Gebiet der Westsahara behandeln wollte.

151. Die vorstehende Schlussfolgerung wird durch die im Briefwechsel enthaltene Äußerung des politischen Standpunkts der Union hinsichtlich der Behandlung des Gebiets der Westsahara nicht beeinträchtigt.

152. Ich schließe nicht aus, dass die Berücksichtigung dieser Art von Erklärungen unter bestimmten Umständen die Schlussfolgerung des Gerichtshofs „kippen“ lassen könnte, zugunsten der Gültigkeit eines Rechtsakts im Zusammenhang mit den Beziehungen der Union zu einem Drittstaat oder ‑gebiet(97).

153. Der Ausdruck des politischen Standpunkts der Union kann jedoch als solcher das Fehlen einer Trennung und Unterscheidung zwischen dem Gebiet der Westsahara und dem Gebiet des Königreichs Marokko im partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei und im Durchführungsprotokoll nicht „heilen“.

154. Daher hat der Rat mit der Genehmigung des Abschlusses des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei und des Durchführungsprotokolls mit dem Königreich Marokko einen Teil des Selbstbestimmungsrechts des Volkes der Westsahara, wie es der Gerichtshof in seinen Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK ausgelegt hat, nicht beachtet.

5.      Wahrung des Rechts auf Nutzung natürlicher Ressourcen

155. Das Versäumnis, die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer und die an das Hoheitsgebiet des Königreichs Marokko angrenzenden Gewässer im partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei und im Durchführungsprotokoll gesondert und unterschiedlich zu behandeln, hat auch Auswirkungen auf das Recht des Volkes der Westsahara, aus den natürlichen Ressourcen der an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer Nutzen zu ziehen.

156. Das Selbstbestimmungsrecht, das die Union in ihren Beziehungen zum Königreich Marokko hinsichtlich des Gebiets der Westsahara bindet, bringt das Recht der Bevölkerung der Westsahara auf Nutzung der natürlichen Ressourcen des NSGT der Westsahara, einschließlich der an sie angrenzenden Gewässer, mit sich(98).

157. In den Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK hat der Gerichtshof diesen Aspekt des Selbstbestimmungsrechts jedoch nicht geprüft. Er ist daher vom Prüfungsumfang der vorliegenden Rechtsmittelverfahren ausgeschlossen.

158. Dessen ungeachtet ergibt sich die Verpflichtung der Union, dafür zu sorgen, dass das Volk der Westsahara in den Genuss eines Abkommens kommt, das Fangmöglichkeiten in den an das NSGT‑Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässern eröffnet, unabhängig davon aus ihrer Mitgliedschaft beim SRÜ(99).

159. In dieser Hinsicht weise ich darauf hin, dass Nr. 1 Buchst. a der Resolution III, die der Schlussakte der Dritten Seerechtskonferenz der Vereinten Nationen als Anhang I beigefügt ist, vorsieht, dass „im Fall eines Gebiets, dessen Bevölkerung nicht die volle Unabhängigkeit oder ein anderes von den Vereinten Nationen anerkanntes Autonomiestatut erlangt hat, oder im Fall eines Gebiets unter kolonialer Herrschaft die Vorschriften des [SRÜ] über Rechte oder Interessen … zugunsten der Bevölkerung dieses Gebiets angewendet [werden], um deren Wohlstand und Entwicklung zu fördern“.

160. Folglich müssen das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei und das Durchführungsprotokoll, soweit diese Rechtsakte der Union Zugang zu diesen Gewässern gewähren, aufgrund der internationalen Verpflichtungen der Union aus diesem Übereinkommen zugunsten des Volkes der Westsahara umgesetzt werden, um dessen Wohlstand und Entwicklung zu fördern(100).

161. In der vorliegenden Rechtssache sehen zwar das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei und das Durchführungsprotokoll das Erfordernis einer „gerechten geografischen und sozialen Verteilung“ des sozioökonomischen Nutzens vor, der sich aus den von der Union an das Königreich Marokko geleisteten Ausgleichszahlungen ergibt.

162. Wie das Gericht in Rn. 316 des angefochtenen Urteils im Wesentlichen ausführt, ohne dass dies in der Sache bestritten wird, ergibt sich jedoch weder aus den Bestimmungen des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei noch aus dem Durchführungsprotokoll oder aus dem Briefwechsel, wie „der Grundsatz der ausgewogenen geografischen und sozialen Verteilung der finanziellen Gegenleistung im Gebiet der Westsahara und im Gebiet Marokkos unterschiedlich angewandt würde“.

163. Meines Erachtens wäre es, um zu gewährleisten, dass dem Volk der Westsahara nicht die legitimen Rechte an seinen eigenen natürlichen Ressourcen genommen werden, u. a. erforderlich, dass nur der Bevölkerung des Gebiets der Westsahara der Ertrag aus der Ausbeutung seiner natürlichen Ressourcen zugutekommt.

164. Ich schließe nicht aus, dass die Ungewissheit, die die Erfüllung dieses Erfordernisses umgibt, dadurch hätte beseitigt werden können, dass die „Methode“ und/oder der „Verteilungsschlüssel“, die das Königreich Marokko dem Gemischten Ausschuss, wie im Durchführungsprotokoll verlangt, vorlegen sollte (siehe Nr. 40 der vorliegenden Schlussanträge), von den Unionsorganen vorgelegt worden wäre.

165. Die Gerichtsakte enthält hierzu jedoch keine Informationen(101).

166. Entsprechend kann es auch selbst ohne eine solche Methode und einen solchen Verteilungsschlüssel möglich sein, dass hinreichende Beweise für eine strenge Überwachung durch den Gemischten Ausschuss (siehe Nr. 41 der vorliegenden Schlussanträge) in Bezug auf die Verwendung der finanziellen Ausgleichszahlungen, die die Union als Gegenleistung für den Zugang zu und die Ausbeutung der an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer leistet, den Verpflichtungen der Union zur Achtung der nachhaltigen Nutzung der natürlichen Ressourcen der an die Westsahara angrenzenden Gewässer genügen könnten(102).

167. Wiederum gibt es jedoch in der Gerichtsakte keine Informationen dazu, ob dieser Ausschuss irgendeine Art von Kontrolle ausgeübt hat und, falls er dies getan hat, wie er die erforderliche Aufteilung der finanziellen Ausgleichszahlungen kontrolliert hat.

168. Aus den vorstehenden Gründen bin ich der Ansicht, dass das partnerschaftliche Abkommen über nachhaltige Fischerei und das Durchführungsprotokoll nicht das Erfordernis erfüllen, das Gebiet der Westsahara als vom Gebiet des Königreichs Marokko „gesondert und unterschiedlich“ zu behandeln.

169. Da sich diese Verpflichtung aus den Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK ergibt, ist dem dritten Klagegrund des Front Polisario stattzugeben und der angefochtene Beschluss aus diesem Grund für nichtig zu erklären.

170. Ich schlage dem Gerichtshof daher vor, die Rechtsmittel des Rates und der Kommission zurückzuweisen und das angefochtene Urteil aufrechtzuerhalten, wenn auch gestützt auf eine andere Begründung.

IV.    Konsequenzen

171. Nach Art. 264 Abs. 2 AEUV bezeichnet der Gerichtshof, falls er dies für notwendig hält, die spezifischen Wirkungen der betreffenden Handlung, die als fortgeltend zu betrachten sind.

172. Da das Durchführungsprotokoll im Juli 2023 ausgelaufen ist, darf derzeit in den an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässern keine Fischereitätigkeit von Unionsschiffen ausgeübt werden. Dies ist auch in der mündlichen Verhandlung bestätigt worden.

173. Wie allerdings das Gericht ausgeführt hat, kann „ die Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses mit sofortiger Wirkung schwerwiegende Folgen für das auswärtige Handeln der Union haben und die Rechtssicherheit der von ihr eingegangenen internationalen Verpflichtungen gefährden …, die die Organe und die Mitgliedstaaten binden“(103).

174. Außerdem schließe ich nicht aus, dass eine sofortige Nichtigerklärung des angefochtenen Beschlusses schwerwiegende Auswirkungen auf eine große Zahl im guten Glauben eingegangener Rechtsverhältnisse haben kann.

175. Sollte der Gerichtshof daher beschließen, meinem Antrag zu folgen, schlage ich vor, die Wirkung des angefochtenen Beschlusses für einen angemessenen Zeitraum, der zwei Jahre ab dem Tag der Verkündung des Urteils in der vorliegenden Rechtssache nicht überschreitet, aufrechtzuerhalten, um mit dem Königreich Marokko die erforderlichen Änderungen des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zu vereinbaren.

V.      Antrag

176. Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Rechtsmittel des Rates und der Kommission zurückzuweisen.


1      Originalsprache: Englisch.


2      Urteil vom 29. September 2021, Front Polisario/Rat (T‑344/19 und T‑356/19, EU:T:2021:640) (im Folgenden: angefochtenes Urteil).


3      Urteile vom 21. Dezember 2016, Rat/Front Polisario (C‑104/16 P, EU:C:2016:973) (im Folgenden: Urteil Rat/Front Polisario), und vom 27. Februar 2018, Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:118) (im Folgenden: Urteil Western Sahara Campaign UK).


4      Vgl. Rn. 364 und 365 des angefochtenen Urteils.


5      Beschluss des Rates vom 4. März 2019 über den Abschluss des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko, des dazugehörigen Durchführungsprotokolls und des Briefwechsels zu dem Abkommen (ABl. 2019, L 77, S. 4) (im Folgenden: angefochtener Beschluss).


6      Partnerschaftliches Abkommen über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko (ABl. 2019, L 77, S. 8) (im Folgenden: partnerschaftliches Abkommen über nachhaltige Fischerei).


7      Protokoll über die Durchführung des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko (ABl. 2019, L 77, S. 18) (im Folgenden: Durchführungsprotokoll).


8      Briefwechsel zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko, der dem partnerschaftlichen Abkommen über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko beigefügt ist (ABl. 2019, L 77, S. 53) (im Folgenden: Briefwechsel).


9      Europa-Mittelmeer-Abkommen zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2000, L 70, S. 2).


10      Vgl. meine Schlussanträge vom 21. März 2024 in den verbundenen Rechtssachen C‑779/21 P und C‑799/21 P, Kommission und Rat/Front Polisario (im Folgenden: Kommission und Rat/Front Polisario), sowie meine Schlussanträge vom 21. März 2024 in der Rechtssache C‑399/22, Confédération paysanne (Melonen und Tomaten aus der Westsahara).


11      Vereinte Nationen, Bericht des Ausschusses für Informationen von Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung, Beilage Nr. 14 (A/5514) (1963), Anhang III, „Liste der Hoheitsgebiete ohne Selbstregierung gemäß Kapitel XI der Charta bis zum 31. Dezember 1962, die nach geografischen Gebieten ausgewiesen sind“.


12      Resolution 2229 (XXI) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 20. Dezember 1966, Frage des Ifni und der Spanischen Sahara.


13      Resolution 2554 (XXIV) der Generalversammlung der Vereinten Nationen vom 12. Dezember 1969, Aktivitäten ausländischer wirtschaftlicher und anderer Interessen, die der Umsetzung der Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an Kolonialländer und Völker in Südrhodesien und Namibia und anderen Gebieten unter portugiesischer Herrschaft sowie in allen anderen Gebieten unter Kolonialherrschaft und Bemühungen zur Beseitigung von Kolonialismus, Apartheid und rassischer Diskriminierung in Südafrika entgegenstehen.


14      Gutachten über die Westsahara (ICJ Reports 1975, S. 12).


15      Vgl. United Nations Treaty Series, Bd. 988, S. 259.


16      Die Rechtswirkung der Verträge von Madrid wird bestritten. Vgl. z. B. Simon, S., „Western Sahara“, in Walter, C., von Ungern-Sternberg, A., und Abushov, K. (Hrsg.), Self-determination and secession in international law, Oxford University Press, Oxford 2014, S. 260 (der die Frage stellt, ob mit den Verträgen von Madrid, auch wenn sie beim UN-Sekretariat als Vertrag registriert wurden, Hoheit ausdrücklich übertragen werden konnte, da „Spanien kein Recht hatte, über ein Gebiet zu verfügen, das dem Volk dieses Gebiets gehörte“). Vgl. auch Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:1, Nrn. 161 und 162) (in denen erläutert wird, dass das Fehlen eines Konsenses auf der Ebene der Generalversammlung der Vereinten Nationen darüber, wie die Verträge von Madrid zu verstehen waren, zur Annahme zweier Entschließungen mit unterschiedlichem Inhalt führte, einer, in der in keiner Weise auf dieses Abkommen Bezug genommen und Spanien weiterhin als „Verwaltungsmacht“ behandelt wird, und einer, die sich nicht auf eine Verwaltungsmacht, sondern auf die „Interimsverwaltung“ bezieht).


17      Vgl. Depesche 1975STATE276309 des Außenministers H. Kissinger vom 21. November 1975 an die Ständige Vertretung der Vereinigten Staaten von Amerika bei den Vereinten Nationen, zitiert in den Schlussanträgen des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Western Sahara Campaign UK (C‑266/16, EU:C:2018:1, Fn. 121). In seinen Schlussanträgen führt Generalanwalt Wathelet weiter aus, dass „sich die spanische, die marokkanische und die mauretanische Delegation darauf [verständigten], Fischereirechte in den an die Westsahara angrenzenden Gewässern zugunsten von 800 spanischen Schiffen für die Dauer von 20 Jahren nach denselben Bedingungen anzuerkennen, wie sie am 14. November 1975 bestanden“. Ebd., Fn. 118.


18      Diese Bestimmung gehört zu Kapitel XI der Charta der Vereinten Nationen, das den Hoheitsgebieten ohne Selbstregierung gewidmet ist. Nach ihr haben Mitglieder der Vereinten Nationen, die „die Verantwortung für die Verwaltung von Hoheitsgebieten haben oder übernehmen, deren Völker noch nicht die volle Selbstregierung erreicht haben“, u. a. „die Selbstregierung zu entwickeln, die politischen Bestrebungen dieser Völker gebührend zu berücksichtigen und sie bei der fortschreitenden Entwicklung ihrer freien politischen Einrichtungen zu unterstützen“.


19      Beschluss 87/442/EWG des Rates vom 13. August 1987 zum Abschluss des Abkommens in Form eines Briefwechsels über die Fischereiregelung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko mit einstweiliger Geltung in der Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1987 (ABl. 1987, L 232, S. 18) und Abkommen in Form eines Briefwechsels über die Fischereiregelung zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko mit einstweiliger Geltung in der Zeit vom 1. August bis 31. Dezember 1987 (ABl. 1987, L 232, S. 19) (worin es im Licht des Beitritts Spaniens und Portugals und bis zum Abschluss eines Fischereiabkommens EWG-Marokko heißt, dass „Marokko der Gemeinschaft vor[schlägt], die nach Maßgabe des Fischereiabkommens Marokko-Spanien vom 1. August 1983 gewährten Fangmöglichkeiten bis Ende Dezember 1987 zu verlängern“). Vgl. auch die Art. 354 und 355 der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge (ABl. 1985, L 302, S. 23).


20      Vgl. Abkommen über die Fischereibeziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. 1988, L 99, S. 49) (im Folgenden: Abkommen von 1988), Abkommen über die Fischereibeziehungen zwischen der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. 1992, L 407, S. 3) (im Folgenden: Abkommen von 1992) und Partnerschaftliches Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. 2006, L 141, S. 4) (im Folgenden: Fischereiabkommen von 2006).


21      Vgl. Art. 1 des Abkommens von 1988, Art. 1 des Abkommens von 1992 und Art. 11 des Fischereiabkommens von 2006.


22      Vgl. Art. 2 Abs. 2 und Art. 6 des Abkommens von 1988, Art. 2 Abs. 2 und Art. 7 des Abkommens von 1992 sowie die Art. 6 und 7 des Fischereiabkommens von 2006.


23      Art. 5 und 7 des Abkommens von 1988 und Protokoll Nr. 1 zur Festsetzung der von Marokko eingeräumten Fangmöglichkeiten und der von der Gemeinschaft gewährten Gegenleistung für den Zeitraum vom 1. März 1988 bis 29. Februar 1992 (ABl. 1988, L 99, S. 61), Art. 7 und 9 des Abkommens von 1992 und Protokoll zur Festsetzung der Fangmöglichkeiten und der von der Gemeinschaft eingeräumten finanziellen Gegenleistung und Unterstützungen (ABl. 1992, L 407, S. 15), Art. 5 bis 7 des Abkommens von 2006 und Protokoll zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistung nach dem partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen der Europäischen Gemeinschaft und dem Königreich Marokko (ABl. 2006, L 141, S. 9).


24      Protokoll zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko zur Festlegung der Fangmöglichkeiten und der finanziellen Gegenleistung nach dem partnerschaftlichen Fischereiabkommen zwischen den beiden Vertragsparteien (ABl. 2013, L 328, S. 2) (im Folgenden: Durchführungsprotokoll von 2013).


25      Angefochtener Beschluss, zweiter Erwägungsgrund. Vgl. hierzu auch angefochtenes Urteil, Rn. 29.


26      Vgl. in diesem Sinne Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 62 bis 64, 69 und 73.


27      Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 79.


28      Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 61 und 62.


29      Vgl. Ratsdokument 9716/17 – Ergebnis der Ratstagung (3544. Tagung des Rates, Wettbewerbsfähigkeit [Binnenmarkt, Industrie, Forschung und Raumfahrt]), S. 22.


30      Angefochtener Beschluss, sechster Erwägungsgrund.


31      Vgl. Art. 16 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei.


32      In Art. 2 des Durchführungsprotokolls wird wie folgt auf diesen Geltungsbereich verwiesen: „Ziel dieses Protokolls ist die Umsetzung der Bestimmungen des Fischereiabkommens, indem insbesondere die Bedingungen für den Zugang von Unionsschiffen zur Fischereizone gemäß Artikel 1 Buchstabe h des Fischereiabkommens und die Durchführungsbestimmungen der Partnerschaft für nachhaltige Fischerei festgelegt werden.“


33      Fn. 1 lautet: „Region der Sahara gemäß dem marokkanischen Standpunkt“.


34      Angefochtenes Urteil, Rn. 212.


35      Angefochtenes Urteil, Rn. 111.


36      Vgl. Art. 4 des Durchführungsprotokolls.


37      Vgl. Art. 16 des Durchführungsprotokolls in Verbindung mit den Informationen über das Inkrafttreten des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko, des dazugehörigen Durchführungsprotokolls und des Briefwechsels zu dem Abkommen (ABl. 2019, L 195, S. 1).


38      Vgl. Art. 12 Abs. 2 Buchst. c des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei.


39      Vgl. Art. 12 Abs. 4 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei und Art. 6 Abs. 1 des Durchführungsprotokolls. Vgl. auch angefochtenes Urteil, Rn. 33.


40      Vgl. Art. 7 Abs. 1 des Durchführungsprotokolls. Dies steht im Gegensatz zum fünften Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses, in dem es heißt: „Die Fortsetzung der Fischereipartnerschaft ist … von wesentlicher Bedeutung, um sicherzustellen, dass [das Gebiet der Westsahara] weiterhin die im Rahmen des Abkommens gewährte sektorale Unterstützung … zugunsten der betreffenden Bevölkerung erhalten kann.“


41      Vgl. Art. 13 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei. Nach dessen Abs. 1 setzt sich dieser Ausschuss aus Vertretern der Union und des Königreichs Marokko zusammen. Vgl. auch angefochtenes Urteil, Rn. 215.


42      Vgl. Art. 13 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei und angefochtenes Urteil, Rn. 314.


43      Vgl. Art. 6 Abs. 2 des Durchführungsprotokolls. Ich kann nur vermuten, dass die „Methode für die geografische und soziale Verteilung“ sowie der „Schlüssel für die Aufteilung“ selbst vom Königreich Marokko dem Gemischten Ausschuss vorgelegt wurden, weil keine dieser Angaben in den Gerichtsakten der ersten Instanz oder des Rechtsmittelverfahrens enthalten ist.


44      Vgl. Art. 4 Abs. 2 und die Art. 6 bis 8 des Durchführungsprotokolls. Vgl. auch angefochtenes Urteil, Rn. 314. Weder die Gerichtsakten der ersten Instanz noch die des Rechtsmittelverfahrens enthalten irgendwelche Unterlagen zur Kontrolle oder Entscheidungsfindung des Gemischten Ausschusses. Im angefochtenen Urteil hat das Gericht ausgeführt, eine Verpflichtung zur Verteilung bedeute, dass „sich die Vertragsparteien [verpflichten], dafür zu sorgen, dass dieser Nutzen den betreffenden Bevölkerungsgruppen, einschließlich denen der Westsahara, entsprechend den Fischereitätigkeiten in der in diesem Abkommen festgelegten Fischereizone, wozu die an dieses Gebiet angrenzenden Gewässer gehören, zugutekommen, ohne dass eine Ausnahme von diesem Grundsatz vorgesehen ist“ (angefochtenes Urteil, Rn. 213).


45      Art. 6 Abs. 4 und 5 des Durchführungsprotokolls.


46      Vgl. Art. 16 des Durchführungsprotokolls.


47      Vgl. Art. 5 Abs. 1 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei und den Anhang zum Durchführungsprotokoll. Vgl. auch Rn. 209 des angefochtenen Urteils, in der das Gericht ausführt, dass „das Königreich Marokko nach diesem Kapitel die genauen Koordinaten dieser Bewirtschaftungsgebiete und der darin liegenden Gebiete [bestimmt], in denen die Fischerei verboten ist, während die technischen Datenblätter nur die äußersten Grenzen dieser Bewirtschaftungsgebiete festlegen“.


48      Vgl. Art. 1 Buchst. j des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei, neben Art. 1 Nrn. 6 und 9 des Durchführungsprotokolls.


49      Vgl. Art. 3 Abs. 4 des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei.


50      Sie haben außerdem erklärt, dass etwa 20 % dieses Überschusses den Fischereifahrzeugen der Union zugewiesen würden.


51      Rapport de la Réunion annuelle du Comité Scientifique Conjoint relatif à l’Accord de pêche signé entre le Royaume du Maroc et l’Union européenne 2021 (verfügbar unter: https://oceans-and-fisheries.ec.europa.eu/system/files/2022-03/report-jsc-morocco-2021_fr.pdf) (im Folgenden: Jahresbericht 2021).


52      Europäische Kommission, Generaldirektion Maritime Angelegenheiten und Fischerei, Defaux, V., Caillart, B., Guélé, M., Évaluation rétrospective et prospective du Protocole à l’accord de partenariat dans le domaine de la pêche durable entre l’Union européenne et le Royaume du Maroc – Rapport final (verfügbar unter: https://data.europa.eu/doi/10.2771/785958) (im Folgenden: Abschlussbericht 2023).


53      Vgl. Jahresbericht 2021, S. 15, 27 bis 28, 37, 67 und 91 bis 93, sowie Abschlussbericht 2023, S. 26 bis 28 und 114 bis 116.


54      Vgl. Jahresbericht 2021, S. 37, 86 und 90, sowie Abschlussbericht 2023, S. 26 bis 28, 115 und 116.


55      Das Gericht hat jedoch außerdem entschieden, die Wirkungen des angefochtenen Beschlusses für einen auf die Frist gemäß Art. 56 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs begrenzten Zeitraum oder, falls innerhalb dieser Frist ein Rechtsmittel eingelegt worden ist, bis zur Verkündung des Urteils des Gerichtshofs aufrechtzuerhalten. Angefochtenes Urteil, Rn. 369.


56      Angefochtenes Urteil, Rn. 132 bis 159 und 171 bis 268.


57      Angefochtenes Urteil, Rn. 270 bis 274.


58      Angefochtenes Urteil, Rn. 276 bis 396.


59      In seinen Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK hat der Gerichtshof das Selbstbestimmungsrecht als gewohnheitsrechtlichen, in Art. 1 der Charta der Vereinten Nationen zum Ausdruck kommenden Grundsatz eingestuft und den Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen als allgemeinen, in dem am 23. Mai 1969 in Wien geschlossenen Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge (United Nations Treaty Series, Bd. 1155, S. 331) kodifizierten Grundsatz des Völkerrechts, wobei beide die Union binden. Vgl. in diesem Sinne Urteile Rat/Front Polisario, Rn. 88, und Western Sahara Campaign UK, Rn. 63.


60      Nach Art. 38 Abs. 1 des Statuts des IGH sind Quellen des Völkerrechts die Übereinkünfte, das Gewohnheitsrecht, die allgemeinen Rechtsgrundsätze sowie gerichtliche Entscheidungen und die Lehre. Vgl. auch, allgemein, Shaw, M. N., International Law, Cambridge University Press, Cambridge 2006, S. 69 ff.


61      Mit den Art. 31 bis 33 des Wiener Übereinkommens wurden Regeln für die Auslegung völkerrechtlicher Verträge festgelegt. Einige dieser Regeln könnten als Kodifizierung des Völkergewohnheitsrechts verstanden werden. Andererseits ist nach dem Völkergewohnheitsrecht bei der Auslegung zunächst festzustellen, ob eine bestimmte Regel ein Brauch ist, und sodann ihre Bedeutung in einer speziellen Situation auszulegen. Dies erfordert eine Feststellung der Praxis und der opinio iuris von Staaten. Infolge dieser Vorgehensweise kann ein Brauch in einem System, in dem es niemanden gibt, der eine für alle verbindliche Auslegung vornehmen kann, immer noch eine andere Bedeutung erhalten. Zum Unterschied zwischen der Findung einer Entscheidung, dass eine bestimmte Regel eine Norm des Völkergewohnheitsrechts ist, und der nachfolgenden Auslegung des Inhalts dieser Regel vgl. Merkouris, P., „Interpretation of Customary International Law: Delineating the States in Its Life Cycle“, in Merkouris, P., Follesdal, A., Ulfstein, G., Westerman, P. (Hrsg.), The interpretation of customary international law in international courts: Methods of interpretation, normative interactions and the role of coherence, Cambridge University Press, Cambridge 2023, S. 136.


62      Nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. d des Statuts des IGH sind gerichtliche Entscheidungen, einschließlich seiner eigenen Entscheidungen, nur Hilfsmittel zur Feststellung der Regeln des Völkerrechts.


63      Zu Beispielen für Divergenzschemata bei Auslegungen des Völkerrechts vgl. Roberts, A., „Patterns of difference and dominance“, in Roberts, A., Is international law international?, Oxford University Press, Oxford 2017, S. 232 ff.


64      Vgl. hierzu Malenovský, J., „Le juge et la coutume internationale: perspectives de l’Union européenne et de la Cour de justice“, The Law and Practice of International Courts and Tribunals, Bd. 12, 2013, S. 218, und Odermatt, J., „The European Union’s role in the making and confirmation of customary international law“, in Lusa Bordin, F., Müller, A., und Pascual-Vives, F. (Hrsg.), The European Union and Customary International Law, Cambridge University Press, Cambridge 2023, S. 74 f.


65      Vgl. hierzu Urteile vom 21. Dezember 2016, Swiss International Air Lines (C‑272/15, EU:C:2016:993, Rn. 24), und vom 9. Juni 2022, Préfet du Gers und Institut national de la statistique et des études économiques (C‑673/20, EU:C:2022:449, Rn. 99) (in denen der Gerichtshof festgestellt hat, dass die Unionsorgane bei der Gestaltung der auswärtigen Beziehungen über eine große Bandbreite politischer Entscheidungsbefugnisse verfügen, was zwangsläufig Entscheidungen politischer Natur impliziert).


66      Meines Erachtens kann daher selbst im Bereich der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik, in dem die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt ist, seine Befugnis zur Kontrolle der Vereinbarkeit des Handelns der Union mit den Grundrechten nicht ausgeschlossen werden. Vgl. in diesem Sinne meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen KS und KD/Rat u. a. sowie Kommission/KS und KD (C‑29/22 P und C‑44/22 P, EU:C:2023:901, Nrn. 115 bis 120). Diese Rechtssachen sind noch beim Gerichtshof anhängig.


67      Vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 101).


68      Das heißt vier Jahre nach dem Inkrafttreten des Durchführungsprotokolls am 18. Juli 2019; vgl. Informationen über das Inkrafttreten des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko, des dazugehörigen Durchführungsprotokolls und des Briefwechsels zu dem Abkommen (ABl. 2019, L 195, S. 1).


69      Nach ständiger Rechtsprechung muss der Streitgegenstand bis zum Erlass der gerichtlichen Entscheidung des Gerichtshofs weiter vorliegen – anderenfalls ist der Rechtsstreit in der Hauptsache erledigt –, was voraussetzt, dass die Klage der Partei, die sie erhoben hat, im Ergebnis einen Vorteil verschaffen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission, C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 15 und die dort angeführte Rechtsprechung).


70      Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Mai 2013, Abdulrahim/Rat und Kommission (C‑239/12 P, EU:C:2013:331, Rn. 78 und 79 sowie die dort angeführte Rechtsprechung) (wo der Gerichtshof darauf hinwies, dass ein Rechtsschutzinteresse selbst dann fortbesteht, wenn ein Rechtsakt keine Wirkungen mehr zeitigt, sofern die Klage dazu führen kann, dass die Rechtswidrigkeit einer Handlung der Unionsorgane bejaht wird).


71      Vgl. z. B. Urteile vom 6. März 1979, Simmenthal/Kommission (92/78, EU:C:1979:53, Rn. 32), vom 24. Juni 1986, AKZO Chemie und AKZO Chemie UK/Kommission (53/85, EU:C:1986:256, Rn. 21), und vom 7. Juni 2007, Wunenburger/Kommission (C‑362/05 P, EU:C:2007:322, Rn. 50).


72      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario, Nrn. 68 bis 91.


73      Vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario, Nr. 64.


74      Im ersten Rechtszug stützte der Front Polisario seine Klage auf insgesamt zehn Klagegründe, wobei Gegenstand des angefochtenen Urteils nur der erste und der dritte Klagegrund waren. Die übrigen acht Klagegründe werfen ebenfalls völkerrechtliche Fragen auf, und zwar nach der Beachtung des humanitären Völkerrechts (zweiter Klagegrund), dem Recht auf Selbstbestimmung (achter Klagegrund), der relativen Wirkung von Verträgen (neunter Klagegrund) und dem Recht der internationalen Haftung (zehnter Klagegrund), sowie unionsrechtliche Fragen, und zwar nach dem Vertrauensschutz und der Verhältnismäßigkeit (vierter, fünfter, sechster und siebter Klagegrund). Vgl. angefochtenes Urteil, Rn. 269.


75      Abkommen in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Union und dem Königreich Marokko mit Maßnahmen zur gegenseitigen Liberalisierung des Handels mit landwirtschaftlichen Erzeugnissen, landwirtschaftlichen Verarbeitungserzeugnissen, Fisch und Fischereierzeugnissen, zur Ersetzung der Protokolle Nrn. 1, 2 und 3 und ihrer Anhänge sowie zur Änderung des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2012, L 241, S. 4).


76      Der Gerichtshof hat demgemäß in seinen Urteilen Rat/Front Polisario und Western Sahara Campaign UK die Tragweite des Selbstbestimmungsrechts des Volkes der Westsahara nicht erschöpfend ausgelegt. Daher kann nicht ausgeschlossen werden, dass dieses Recht auch zusätzliche Verpflichtungen des Rates, z. B. in Bezug auf die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen dieses Gebiets durch Unionsrechtssubjekte, nach sich ziehen kann. Vgl. hierzu Molnar, T., „The Court of Justice of the EU and the Interpretation of Customary International Law: Close Encounters of a Third Kind?“, in Merkouris, P., Follesdal, A., Ulfstein, G., Westerman, P. (Hrsg.), The interpretation of customary international law in international courts: Methods of interpretation, normative interactions and the role of coherence, Cambridge University Press, Cambridge 2023, S. 14 f. (worin es heißt, dass „der Gerichtshof der EU es unterlassen hat, das Selbstbestimmungsrecht wirklich auszulegen“).


77      Im Kontext meiner Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario trage ich vor, dass die Zustimmung nicht vom Volk der Westsahara erteilt werden kann, da dieses „Volk“ der Westsahara sein Selbstbestimmungsrecht noch nicht ausgeübt hat, was zugleich bedeutet, dass das Volk der Westsahara keinen Vertreter hat, der in seinem Namen zustimmen könnte. Ich stelle fest, dass im Fall von NSGTs die Zustimmung von der Verwaltungsmacht dieses Gebiets erteilt wird. In der vorliegenden Rechtssache spricht meines Erachtens nichts im Völkerrecht gegen die von den Unionsorganen befürwortete Auslegung, dass das Königreich Marokko nach dem Unionsrecht als der („Defacto“‑)Verwalter des Gebiets der Westsahara anzusehen ist (vgl. Nrn. 137 ff. meiner Schlussanträge in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario).


78      Auf diese drei Arten war der räumliche Geltungsbereich des Fischereiabkommens von 2006 festgelegt. Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 57.


79      Der Gerichtshof hat seine Prüfung mit einem Hinweis darauf begonnen, dass sich die Frage nach der Gültigkeit des Fischereiabkommens von 2006 und des Durchführungsprotokolls von 2013 nicht stellt, wenn das in jener Rechtssache in Rede stehende Abkommen nicht auf die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer anwendbar wäre (vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 54 und 55). Er hat daher zunächst den Geltungsbereich des Fischereiabkommens von 2006 und des Durchführungsprotokolls von 2013 ausgelegt und festgestellt, dass diese Rechtsakte nicht für die an das Gebiet der Westsahara angrenzenden Gewässer galten. Aus diesem Grund hat der Gerichtshof darauf erkannt, dass die Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des Beschlusses des Rates, mit dem sie genehmigt wurden, berühren könnte (vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Tenor).


80      Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 59.


81      Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 61.


82      Vgl. Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 63.


83      Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 58.


84      Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 67 bis 69.


85      Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 72.


86      Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 70 bis 72.


87      Urteil Western Sahara Campaign UK, Rn. 72.


88      Vgl. Abkommen in Form eines Briefwechsels zwischen der Europäischen Union einerseits und dem Königreich Marokko andererseits zur Änderung der Protokolle Nr. 1 und Nr. 4 des Europa-Mittelmeer-Abkommens zur Gründung einer Assoziation zwischen den Europäischen Gemeinschaften und ihren Mitgliedstaaten einerseits und dem Königreich Marokko andererseits (ABl. 2019, L 34, S. 4, im Folgenden: Abkommen über Handelspräferenzen).


89      Angefochtenes Urteil, Rn. 150, 201, 202, 237, 304, 311, 319, 322, 328, 342, 353, 363 und 364.


90      Angefochtenes Urteil, Rn. 364.


91      Wie ich auch in Nr. 118 der vorliegenden Schlussanträge erläutere, gilt der Grundsatz der relativen Wirkung von Verträgen für das Abkommen über Handelspräferenzen, da dieses Abkommen darauf abzielt, die Anwendung eines bestehenden Abkommens zwischen der Union und dem Königreich Marokko auf das Gebiet der Westsahara auszudehnen. Deshalb prüfe ich in meinen Schlussanträgen in der Rechtssache Kommission und Rat/Front Polisario, wie das Gericht das Erfordernis der „Zustimmung“ angewandt hat, und gelange zu dem Ergebnis, dass es fälschlich davon ausgegangen ist, dass die Zustimmung vom „Volk“ der Westsahara erteilt werden könne. Solange das „Volk“ das Selbstbestimmungsrecht nicht ausgeübt hat, verfügt es nicht über einen gesetzlichen Vertreter, der in seinem Namen zustimmen kann. Bis dieses Recht ausgeübt wird, ist es daher Sache der Verwaltungsmacht, im Namen des Volkes eines NSGT zuzustimmen (vgl. hierzu meine Schlussanträge in den Rechtssachen Kommission und Rat/Front Polisario, Nrn. 133, 134 und 169).


92      Ich schließe jedoch nicht aus, dass sich eine Konsultation der lokalen Bevölkerung aus dem Selbstbestimmungsrecht und dem entsprechenden Recht auf Nutzung der natürlichen Ressourcen eines NSGT ergeben kann. Vgl. z. B. Torres-Spelliscy, G., „National Resources in Non-Self-Governing Territories“, in Boukhars, A., und Rousselier, J. (Hrsg.), Perspective on Western Sahara: Myths, Nationalismus und Geopolitics, Rowman & Littlefield, Lanham 2013, S. 235. Vgl. auch Wrange, P., „Self-Determination, occupation and the authority to exploit natural resources: trajectories from four European judgments on Western Sahara“, Israel Law Review, Bd. 52(1), 2019, S. 3 bis 30. Nach Ansicht der beiden Autoren behält die Anwendung des NSGT‑Gesetzes und des Gesetzes zur Regelung der Rechte und Pflichten von Besatzungskräften der einheimischen Bevölkerung des in Rede stehenden Gebiets das Recht vor, über ihre natürlichen Ressourcen zu verfügen.


93      Vgl. vierter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


94      Nr. 2 des Schreibens der Union, das zu dem Briefwechsel als Teil des partnerschaftlichen Abkommens über nachhaltige Fischerei gehört, enthält folgende Erklärung: „Das [Partnerschaftsabkommen über nachhaltige Fischerei] wird unbeschadet der jeweiligen Standpunkte geschlossen: – Für die Europäische Union berührt die Bezugnahme auf die Gesetze und Vorschriften Marokkos im Fischereiabkommen nicht ihren Standpunkt zum Hoheitsgebiet ohne Selbstregierung der Westsahara, dessen angrenzende Gewässer von der Fischereizone im Sinne von Artikel 1 Buchstabe h des Fischereiabkommens erfasst werden, und dessen Recht auf Selbstbestimmung“.


95      Vgl. fünfter Erwägungsgrund des angefochtenen Beschlusses.


96      Vgl. Nr. 2 des Schreibens der Union im Rahmen des Briefwechsels.


97      Vgl. entsprechend Urteil vom 17. Januar 2023, Spanien/Kommission (C‑632/20 P, EU:C:2023:28, Rn. 52), worin der Gerichtshof seine Erwägungen hinsichtlich der Beteiligung der Nationalen Regulierungsbehörde des Kosovo an der Arbeit des Gremiums Europäischer Regulierungsstellen für elektronische Kommunikation auf eine ähnliche Vorbehaltsklausel gestützt hat.


98      Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen C‑779/21 P und C‑799/21 P, Kommission und Rat/Front Polisario, Nrn. 190 bis 192. Vgl. auch allgemein Wrange, P., „Self-Determination, occupation and the authority to exploit natural resources: trajectories from four European judgments on Western Sahara“, Israel Law Review, Bd. 52(1), 2019, S. 3, und Kassoti, E., „The Empire Strikes Back: The Council Decision Amending Protocols 1 and 4 to the EU-Morocco Association Agreement“, European Papers, Bd. 4(1), 2019, S. 313 bis 316. Ähnlich New York City Bar Association, Report on legal issues involved in the Western Sahara dispute: use of natural resources, Committee on United Nations, 2011, S. 27 bis 30.


99      Die Europäische Union (seinerzeit die Europäische Gemeinschaft) genehmigte 1998 das Seerechtsübereinkommen der Vereinten Nationen (im Folgenden „SRÜ“). Vgl. Beschluss 98/392/EG des Rates vom 23. März 1998 über den Abschluss des Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen vom 10. Dezember 1982 und des Übereinkommens vom 28. Juli 1994 zur Durchführung des Teils XI des Seerechtsübereinkommens durch die Europäische Gemeinschaft (ABl. 1998, L 179, S. 1).


100      Vgl. hierzu auch das vom Under-Secretary-General for Legal Affairs, the Legal Counsel, an den Vorsitzenden des Sicherheitsrats gerichtete Schreiben vom 29. Januar 2002 (S/2002/161), Nr. 22. Ähnlich Kenny, J. K., „Resolution III of the 1982 Convention on the Law of the Sea and the Timor Gap Treaty“, Washington International Law Review, Bd. 2(1), 1993, S. 147 (worin es heißt, dass die Vorarbeiten zur Resolution III „das Grundprinzip, das hinter der Resolution steht, erhellen: Völkern ohne Selbstregierung müssen die Ressourcen ihrer Gebiete zugutekommen“).


101      Es ist mir auch nicht gelungen, diese Informationen aus dem Dokumentenregister des Rates zu erhalten. Die einzigen öffentlich zugänglichen Informationen sind im Abschlussbericht 2023 enthalten, einem von der Kommission in Auftrag gegebenen Bericht, der nicht Teil der Akte ist, was zu erklären scheint, dass dem Gemischten Ausschuss ein Verteilungsschlüssel vorgelegt wurde und dass die sich daraus ergebende Aufteilung den finanziellen Ausgleich für den Zugang der Unionsflotte von der „geografischen Aufteilung der Fänge“ abhängig machte (vgl. Abschlussbericht 2023, S. 38). Zur Stützung dieser Feststellung wird im Abschlussbericht 2023 ausgeführt, dass 95 % der Zugangseinnahmen und 99 % der Zugangsentgelte an das Gebiet der Westsahara verteilt wurden (vgl. S. 38), was „der Gemischte Ausschuss für angemessen erachtet“ (vgl. Abschlussbericht 2023, S. v, Nr. 33). Ich schließe nicht aus, dass eine Konkretisierung dieser Zahlen durch die Unionsorgane meine Zweifel hinsichtlich der Angemessenheit des Ausgleichs für die Nutzung der natürlichen Ressourcen des Volkes der Westsahara beseitigen würde; mangels weiterer Informationen und Diskussionen vor dem Gerichtshof zu dieser Frage bin ich jedoch nicht in der Lage, eine Feststellung dazu zu treffen, ob die Schlussfolgerung im Abschlussbericht 2023 gerechtfertigt ist.


102      Ich stimme daher grundsätzlich der Erklärung der Kommission zu, wonach eine Kompromissformel, die zum selben Ergebnis wie dem führt, das nach der Resolution 2554 (XXIV) und Nr. 1 Buchst. a der Resolution III erforderlich wäre, vom Standpunkt der Verpflichtungen der Union im Bereich der Wahrung der legitimen Rechte des Volkes der Westsahara an ihren natürlichen Ressourcen aus betrachtet akzeptabel sein könnte.


103      Angefochtenes Urteil, Rn. 368.