SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

PRIIT PIKAMÄE

vom 20. Oktober 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑393/21

Lufthansa Technik AERO Alzey GmbH,

Beteiligte: Arik Air Limited,

Asset Management Corporation of Nigeria (AMCON),

antstolis Marekas Petrovskis

(Vorabentscheidungsersuchen des Lietuvos Aukščiausiasis Teismas [Oberstes Gericht Litauens])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EG) Nr. 805/2004 – Europäischer Vollstreckungstitel für unbestrittene Forderungen – Aussetzung der Vollstreckung einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung – Voraussetzungen – Außergewöhnliche Umstände – Begriff – Maßnahmen zur Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens – Wirkungen der Bestätigung des Europäischen Vollstreckungstitels – Aussetzung der Vollstreckbarkeit der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat“

1.

Das Normsetzungsverfahren ist sowohl auf nationaler als auch (insbesondere) auf europäischer Ebene oft komplex und mühsam. In nicht seltenen Fällen finden sich daher in den endgültig angenommenen Gesetzestexten Bestimmungen wieder, die unscharf formuliert sind, um auf diese Weise Probleme bei der Aushandlung von Rechtsnormen zu lösen, und die es dem Richter überlassen, in Fällen zu entscheiden, in denen dem Gesetzgeber dies nicht gelungen ist.

2.

So wird der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache den unbestimmten Rechtsbegriff „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 ( 2 ) auszulegen haben, der Voraussetzung dafür ist, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat die Vollstreckung einer im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung aussetzen kann.

I. Rechtsrahmen

3.

In der vorliegenden Rechtssache sind die Art. 6, 10, 11, 21 und 23 der Verordnung Nr. 805/2004 maßgeblich.

II. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

4.

Das Amtsgericht Hünfeld (Deutschland) stellte am 14. Juni 2019 der Arik Air Ltd einen Mahnbescheid in Höhe von 2292993,32 Euro zuzüglich Zinsen zugunsten der Lufthansa Technik AERO Alzey GmbH zu und erließ anschließend am 24. Oktober 2019 einen teilweisen Vollstreckungsbescheid, auf dessen Grundlage dieses Gericht am 2. Dezember 2019 eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erließ und zustellte.

5.

Gemäß dieser Bestätigung wurde bei einem in Litauen tätigen Gerichtsvollzieher ein Vollstreckungsantrag gestellt. Am 24. Januar 2020 wurde ein Arik Air gehörendes ziviles Luftfahrzeug beschlagnahmt.

6.

Arik Air beantragte beim Landgericht Frankfurt am Main (Deutschland) gemäß Art. 10 der Verordnung Nr. 805/2004 die Aufhebung der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel und die Einstellung der Beitreibung der Forderung ( 3 ) und machte geltend, dass die Verfahrensunterlagen vom Amtsgericht Hünfeld nicht ordnungsgemäß zugestellt worden seien, so dass die Frist zur Einlegung eines Widerspruchs gegen den Mahnbescheid dieses Gerichts versäumt worden sei.

7.

Die Schuldnergesellschaft beantragte ferner beim ausführenden Gerichtsvollzieher, das Vollstreckungsverfahren in der Republik Litauen bis zur rechtskräftigen Entscheidung des deutschen Gerichts über den Widerruf der Bestätigung des Europäischen Vollstreckungstitels und die Einstellung der Beitreibung der Forderung auszusetzen. Mit Rechtsakt vom 25. März 2020 lehnte der Gerichtsvollzieher diesen Antrag ab. Er war der Auffassung, dass die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens nach dem maßgeblichen nationalen Recht nicht mit der Begründung möglich sei, dass beim Gericht des Ursprungsmitgliedstaats ein Rechtsbehelf auf Aufhebung der ursprünglichen gerichtlichen Entscheidung erhoben worden sei.

8.

Das Landgericht Frankfurt am Main ordnete mit Beschluss vom 9. April 2020 die Aussetzung der Vollstreckung der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung des Amtsgerichts Hünfeld gegen die Leistung einer Sicherheit in Höhe von 2000000 Euro an ( 4 ) und führte aus, dass Arik Air weder nachgewiesen habe, dass der Vollstreckungstitel rechtswidrig sei, noch, dass die Widerspruchsfristen ohne ihr Verschulden versäumt worden seien.

9.

Arik Air erhob beim Kauno apylinkės teismas (Bezirksgericht Kaunas, Litauen) Klage gegen die Weigerung des Gerichtsvollziehers, das Verfahren auszusetzen, und beantragte die Anwendung von Sicherungsmaßnahmen. Mit Beschluss vom 11. Juni 2020 wies dieses Gericht die Klage ab.

10.

Auf die Berufung von Arik Air gegen diesen Beschluss hob das Kauno apygardos teismas (Regionalgericht Kaunas, Litauen) mit Beschluss vom 25. September 2020 die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts auf und ordnete die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens bis zur rechtskräftigen Entscheidung des deutschen Gerichts über die Anträge von Arik Air an. Das Berufungsgericht führte aus, dass die Erhebung einer Klage gegen eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel bei einem Gericht des Ursprungsmitgliedstaats angesichts der Gefahr eines unverhältnismäßig großen Schadens, der im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens entstehen könne, einen hinreichenden Grund für die Aussetzung dieses Verfahrens darstelle. Anders als das erstinstanzliche Gericht kam dieses Gericht zu dem Ergebnis, dass, da die vom deutschen Gericht festgelegte Sicherheitsleistung in diesem Verfahrensstadium nicht gezahlt worden sei, kein Grund dafür vorhanden sei, dass dieses Gericht über die Begründetheit des Antrags auf Aussetzung der Vollstreckungsmaßnahmen entscheiden könne.

11.

Lufthansa Technik AERO Alzey legte Kassationsbeschwerde beim Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) ein, der beschlossen hat, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Wie ist der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 23 Buchst. c der Verordnung Nr. 805/2004 unter Berücksichtigung der Ziele der Verordnung Nr. 805/2004, u. a. des Ziels der Beschleunigung und Vereinfachung der Vollstreckung mitgliedstaatlicher Entscheidungen und der effektiven Wahrung des Rechts auf ein faires Verfahren, auszulegen? Welchen Beurteilungsspielraum haben die zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats bei der Auslegung dieses Begriffs?

2.

Sind Umstände, die, wie im vorliegenden Fall, mit einem Gerichtsverfahren in dem Ursprungsstaat zusammenhängen, in dem über eine Frage der Aufhebung einer gerichtlichen Entscheidung entschieden wird, auf deren Grundlage ein Europäischer Vollstreckungstitel erteilt wurde, bei der Entscheidung über die Anwendung von Art. 23 Buchst. c der Verordnung Nr. 805/2004 als relevant anzusehen? Nach welchen Kriterien ist das Rechtsbehelfsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat zu beurteilen und wie umfassend muss die von den zuständigen Behörden des Vollstreckungsmitgliedstaats vorgenommene Beurteilung des im Ursprungsmitgliedstaat stattfindenden Verfahrens sein?

3.

Was ist Gegenstand der Beurteilung bei der Entscheidung über die Anwendung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004: Müssen die Auswirkungen der jeweiligen Umstände des Rechtsstreits beurteilt werden, wenn gegen die gerichtliche Entscheidung des Ursprungsstaats im Ursprungsstaat ein Rechtsbehelf eingelegt wird, muss der potenzielle Nutzen oder Schaden der jeweiligen in Art. 23 der Verordnung genannten Maßnahme geprüft werden oder müssen die wirtschaftlichen Möglichkeiten des Schuldners, die Entscheidung umzusetzen, oder andere Umstände untersucht werden?

4.

Ist nach Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 die gleichzeitige Anwendung mehrerer in diesem Artikel genannter Maßnahmen möglich? Falls diese Frage zu bejahen ist: Auf welche Kriterien müssen sich die zuständigen Behörden des Vollstreckungsstaats stützen, wenn sie über die Rechtfertigung und Verhältnismäßigkeit der Anwendung mehrerer solcher Maßnahmen entscheiden?

5.

Ist die rechtliche Regelung in Art. 36 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 ( 5 ) auf eine gerichtliche Entscheidung des Ursprungsstaats über die Aussetzung (oder Aufhebung) der Vollstreckbarkeit anzuwenden oder ist eine ähnliche rechtliche Regelung wie die in Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung anwendbar?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

12.

Die Kassationsbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens, die litauische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die litauische Regierung und die Kommission haben in der Sitzung vom 8. September 2022 mündlich verhandelt.

IV. Würdigung

A.   Zur ersten, zweiten, dritten und vierten Vorlagefrage

13.

Mit diesen vier zusammen zu prüfenden Fragen will das vorlegende Gericht vom Gerichtshof wissen, welchen Sinn und welche Tragweite Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 sowohl in Bezug auf das Verständnis des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“, der die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens rechtfertigt, und den Umfang der Befugnisse des Vollstreckungsgerichts in diesem Bereich (erste, zweite und dritte Frage) als auch hinsichtlich der Möglichkeit hat, diese Maßnahme kombiniert mit einer Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens anzuwenden (vierte Frage).

14.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs verlangen die einheitliche Anwendung des Unionsrechts und der Gleichheitssatz, dass die Begriffe einer unionsrechtlichen Vorschrift, die für die Ermittlung ihres Sinns und ihrer Tragweite nicht ausdrücklich auf das Recht der Mitgliedstaaten verweist, in der Regel in der gesamten Union autonom und einheitlich auszulegen sind, wobei diese Auslegung unter Berücksichtigung nicht nur des Wortlauts der Bestimmung, sondern auch ihres Regelungszusammenhangs und des mit der fraglichen Regelung verfolgten Zwecks zu erfolgen hat ( 6 ).

15.

Es ist festzustellen, dass Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 keinen Verweis auf das Recht der Mitgliedstaaten enthält. Auch wenn nach Art 20 Abs. 1 dieser Verordnung auf das Vollstreckungsverfahren das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats anzuwenden ist, so gilt dies nur unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels IV dieser Verordnung, u. a. von Art. 23, der ausdrücklich die Voraussetzungen einer möglichen Aussetzung oder Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens in dem besonderen Fall eines vorher vom Schuldner im Ursprungsmitgliedstaat eingelegten Rechtsbehelfs definiert ( 7 ).

16.

Der in Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 805/2004 enthaltene Verweis auf das Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats bezieht sich meines Erachtens nicht auf die Tatbestandsmerkmale des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“, der ein autonomer Begriff des Unionsrechts ist. Dieser Verweis betrifft auch nicht die Frage des Zusammenhangs zwischen der Beschränkung und der Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens.

17.

Es ist darauf hinzuweisen, dass die einheitliche Anwendung des Unionsrechts ein Grunderfordernis der europäischen Rechtsordnung ( 8 ) und im vorliegenden Fall Voraussetzung für die Verwirklichung des Ziels eines freien Verkehrs der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten gerichtlichen Entscheidungen gemäß Art. 1 der Verordnung Nr. 805/2004 ist. Eine einheitliche Anwendung bedeutet daher, dass die Aussetzung des Verfahrens der Vollstreckung einer solchen Entscheidung, auch wenn sie den nationalen Verfahrensregeln betreffend insbesondere die Form des verfahrenseinleitenden Schriftstücks, die am Verfahren beteiligten öffentlichen Stellen oder die einzuhaltenden Fristen unterliegt, in allen Mitgliedstaaten einheitlichen Bedingungen für die Gewährung unterworfen ist.

1. Zur wörtlichen Auslegung

18.

Schon aus einer wörtlichen Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 lassen sich mehrere Erkenntnisse zu Sinn und Tragweite dieser Bestimmung gewinnen.

19.

Erstens sind die Aussetzung oder die Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens, die ausschließlich von der Initiative des Schuldners abhängen, als Sonderfall dahin gehend geregelt, dass sie untrennbar mit dem Vorliegen eines gerichtlichen Verfahrens zusammenhängen, das von diesem Schuldner im Ursprungsmitgliedstaat mit dem Ziel eingeleitet wurde, die Berichtigung oder den Widerruf einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung oder der Bestätigung selbst gemäß Art. 10 der Verordnung Nr. 805/2004 zu erreichen. Es handelt sich um eine notwendige, aber nicht hinreichende Vorbedingung.

20.

Zweitens bestimmt Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat das Vollstreckungsverfahren beschränken oder aussetzen „kann“. Die Verwendung dieses Verbs zeigt, dass es sich um eine Möglichkeit handelt, von der im Rahmen des dem Gericht oder der Stelle eingeräumten weiten Beurteilungsspielraums Gebrauch gemacht werden kann, wobei die bloße Anfechtung einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung oder der Antrag auf Berichtigung oder Widerruf der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel im Ursprungsmitgliedstaat nicht von sich aus und zwangsläufig zu einer Beschränkung oder Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens führen kann. Dieser Beurteilungsspielraum ist jedoch hinsichtlich der Maßnahme der Aussetzung, deren Erlass von der Feststellung des Vorliegens außergewöhnlicher Umstände abhängt, beschränkt.

21.

Auch wenn die Formulierung von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 keine sachdienlichen Hinweise für die Definition des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ liefert, ist festzustellen, dass in der Alltagssprache das Adjektiv „außergewöhnlich“ ein Synonym für „selten“ ist. Voraussetzung für das Vorliegen einer außergewöhnlichen Situation ist, dass die Aussetzung als eine Maßnahme mit Ausnahmecharakter gedacht war, die selbst außergewöhnlich ist. Da der Unionsgesetzgeber die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens auf außergewöhnliche Situationen beschränken wollte, ist Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 zwangsläufig eng auszulegen ( 9 ).

22.

Drittens sind die Nennungen der drei Entscheidungen ( 10 ), die vom zuständigen Gericht oder der befugten Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat erlassen werden können, durch die nebenordnende Konjunktion „oder“ voneinander getrennt. Diese Konjunktion kann in sprachlicher Hinsicht sowohl alternative als auch kumulative Bedeutung haben ( 11 ). Ferner ist zu beachten, dass Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 die Überschrift „Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung“ ( 12 ) trägt.

2. Zur teleologischen Auslegung

23.

Nach dem Wortlaut von Art. 1 der Verordnung Nr. 805/2004 soll diese Verordnung für unbestrittene Forderungen den freien Verkehr von Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten ermöglichen, ohne dass im Vollstreckungsmitgliedstaat ein Zwischenverfahren vor der Anerkennung und Vollstreckung angestrengt werden muss. Der Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten, der insbesondere auf dem gegenseitigen Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege in diesen Staaten beruht, auf das im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung Bezug genommen wird, findet gemäß Art. 5 dieser Verordnung in den anderen Mitgliedstaaten durch die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen seinen Ausdruck, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wurden ( 13 ).

24.

So wird gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 805/2004 eine Entscheidung, die im Ursprungsmitgliedstaat als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt worden ist, in den anderen Mitgliedstaaten anerkannt und vollstreckt, ohne dass es einer Vollstreckbarerklärung bedarf und ohne dass ihre Anerkennung angefochten werden kann.

25.

In diesem Zusammenhang ist Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004, da er die Verwirklichung des grundlegenden Ziels dieser Verordnung behindert, das gemäß dem achten Erwägungsgrund dieser Verordnung in der Beschleunigung und Vereinfachung der Vollstreckung einer gerichtlichen Entscheidung in einem anderen Mitgliedstaat als dem, in dem die Entscheidung ergangen ist, besteht, eng auszulegen, was die wörtliche Auslegung bestätigt.

3. Zur systematischen Auslegung

26.

Eine systematische Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004, die die Entstehungsgeschichte dieses Artikels und der anderen Vorschriften dieser Verordnung, aber auch weitere rechtliche Instrumente im Bereich der justiziellen Zusammenarbeit in Zivilsachen umfasst, ist meines Erachtens für die Bestimmung von Sinn und Tragweite dieses Artikels von wesentlicher Bedeutung.

a) Zur Aufteilung der Zuständigkeiten zwischen den öffentlichen Stellen des Ursprungsmitgliedstaats und jenen des Vollstreckungsmitgliedstaats

27.

Was die allgemeine Systematik der Verordnung Nr. 805/2004 anbelangt, so ist diese unzweifelhaft geprägt durch die Beseitigung aller Zwischenverfahren in einem Mitgliedstaat vor der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung über eine unbestrittene Forderung in diesem Staat, anders ausgedrückt durch die schlichte Abschaffung der Vollstreckbarkeitserklärung. Gemäß Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 805/2004 wird eine als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung unter den gleichen Bedingungen vollstreckt wie eine im Vollstreckungsmitgliedstaat ergangene Entscheidung ( 14 ). Zwar begünstigt dieses neue System der sofortigen Vollstreckung eindeutig den beitreibenden Gläubiger. Dennoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass es – zumindest vermutlich – auch dem Ziel dient, einen gerechten Ausgleich zwischen den Interessen dieses Gläubigers und jenen des Schuldners zu erreichen.

28.

Zum einen muss das Gerichtsverfahren, in dem die Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat erlassen wurde, den prozessualen Mindestvorschriften von Kapitel III der Verordnung Nr. 805/2004 genügt haben, die hinreichende Garantien für die Wahrung der Verteidigungsrechte des Schuldners bieten sollen ( 15 ). Zum anderen ermöglicht es die Verordnung Nr. 805/2004 dem Schuldner, eine spätere Kontrolle der ursprünglichen Entscheidung und der sie begleitenden Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel durchzuführen, indem sie insoweit die Zuständigkeiten zwischen den öffentlichen Stellen des Ursprungsmitgliedstaats und jenen des Vollstreckungsmitgliedstaats aufteilt.

29.

Auch wenn die öffentlichen Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats somit befugt sind, über einen Antrag auf Verweigerung der Vollstreckung oder einen Antrag auf Aussetzung oder Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens zu entscheiden ( 16 ), bestimmt Art. 21 Abs. 2 der Verordnung Nr. 805/2004 klar, dass „[w]eder die Entscheidung noch ihre Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel … im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache selbst nachgeprüft werden [dürfen]“ ( 17 ). Es ist daher nicht möglich, dass in diesem Staat eine Anfechtung des Vorliegens und der Begründetheit der Forderung oder der Beachtung der Bestätigungsvoraussetzungen durch den Schuldner erfolgt und diese geprüft wird.

30.

Diese Klarstellung ist für die Bestimmung des Sinns des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ von wesentlicher Bedeutung, was meines Erachtens bedeutet, dass jeder Verweis darauf auszuschließen ist, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat – sei es auch nur prima facie – die Begründetheit der vom Schuldner im Ursprungsmitgliedstaat vorgenommenen Verfahrenshandlungen, wie sie in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/200 genannt werden, beurteilt ( 18 ).

31.

Diese klare Zuständigkeitsverteilung ist die logische Konsequenz des Umstands, dass die Forderung und der Vollstreckungstitel auf der Grundlage des Rechts des Ursprungsmitgliedstaats festgestellt bzw. erlassen worden sind ( 19 ). Im Übrigen muss in dem Verfahren, das zur Bestätigung einer gerichtlichen Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel führt, die öffentliche Stelle, die diese Bestätigung vornimmt, bestimmen, ob das Gerichtsverfahren im Ursprungsmitgliedstaat, das zum Erlass der ursprünglichen Entscheidung geführt hat, den Voraussetzungen nach Kapitel III der Verordnung Nr. 805/2004 genügte. Neben der Kontrolle der Rechtmäßigkeit dieses Verfahrens und der Wahrung der Zuständigkeitsvorschriften sieht Art. 6 dieser Verordnung insbesondere vor, dass die Vollstreckbarkeit der erlassenen Entscheidung und die Art der Forderung einer Prüfung unterworfen wird ( 20 ).

32.

Die Kontrolle der verfahrensbeendenden gerichtlichen Entscheidung über den Rechtsstreit und der Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel ist einem Gericht des Ursprungsmitgliedstaats zugewiesen, das den Rechtsrahmen des Rechtsstreits am besten kennt und in sachlicher Hinsicht die Wirksamkeit der genannten Entscheidung und der dieser Entscheidung beigefügten Bestätigung am besten bestätigen kann. Im Übrigen ist in den Fällen eines Antrags auf Überprüfung einer Entscheidung im Sinne von Art. 19 der Verordnung Nr. 805/2004 oder eines in Art. 10 dieser Verordnung vorgesehenen Antrags auf Berichtigung oder Widerruf einer Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel das Gericht des Ursprungsmitgliedstaats zuständig, das die entsprechenden zwei Entscheidungen erlassen hat.

33.

Unter diesen Umständen kann meines Erachtens nicht der Auffassung gefolgt werden, wonach der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ die notwendige Feststellung eines fumus boni iuris der in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 genannten Verfahrenshandlungen des Schuldners durch das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsstaat umfassen kann. Eine solche Schlussfolgerung trägt der Notwendigkeit Rechnung, unter Wahrung der Rechtssicherheit, auf der das im 18. Erwägungsgrund dieser Verordnung angesprochene gegenseitige Vertrauen in die ordnungsgemäße Rechtspflege innerhalb der Union beruht, eine schnelle Vollstreckung von Entscheidungen zu gewährleisten, denn die Prüfung eines fumus boni iuris würde eine objektive Verkomplizierung des Verfahrens bedeuten. Mit anderen Worten erscheint es mir in rechtlicher und praktischer Hinsicht nicht sachgerecht, vom zuständigen Gericht oder von der befugten Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat zu verlangen, es oder sie müsse Kenntnis vom Recht des Ursprungsmitgliedstaats haben, um so beurteilen zu können, ob die vom Schuldner zur Stützung seiner im Ursprungsmitgliedstaat eingelegten Rechtsbehelfe geltend gemachten Gründe fundiert sind ( 21 ).

34.

Außerdem erscheint mir diese Auslegung durch die Entstehungsgeschichte von Art. 23 des Verordnung Nr. 805/2004 bestätigt zu werden. In der Fassung dieses Artikels im Verordnungsvorschlag ( 22 ) wurde ohne weitere Klarstellung die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens als erste mögliche Maßnahme genannt. In der Begründung wurde ausgeführt, dass bei der Anwendung dieser Bestimmung „die Beurteilung der Erfolgsaussichten des Antrags … sowie die Wahrscheinlichkeit, dass eine bedingungslose Vollstreckung einen nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen würde“, maßgebend sind.

35.

Es ist festzustellen, dass weder Art. 23 noch die Präambel der Verordnung Nr. 805/2004 einen Verweis auf diese beiden Umstände enthalten und dass neben einer Umkehrung der Reihenfolge der möglichen Maßnahmen der Erlass einer Aussetzung der Vollstreckung von der Feststellung von „außergewöhnlichen Umständen“ abhängt. Diese Änderung in der Textfassung weist meines Erachtens auf die vom Gesetzgeber angestrebte Kohärenz zwischen der in Art. 21 Abs. 2 dieser Verordnung enthaltenen strikten Begrenzung ( 23 ) der Rolle der Gerichte oder Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats und dem Ziel der Gewährleistung des freien Verkehrs der Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten hin, was hier durch die Beschränkung des Beurteilungsspielraums dieser Gerichte oder Stellen bei der Maßnahme mit den größten Auswirkungen sichergestellt wird ( 24 ).

b) Zur kombinierten Anwendung von Art. 6 Abs. 2 und Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004

36.

Es ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Bestätigung“ mit Vorsicht anzuwenden ist, da es in der Verordnung Nr. 805/2004 nicht weniger als drei Bestätigungen mit jeweils verschiedenen Zielsetzungen gibt. Die erste Bestätigung ist in Art. 6 Abs. 1 dieser Verordnung in Verbindung mit den Anhängen I bis III enthalten, die mit „Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel“ überschrieben sind ( 25 ). Damit eine Entscheidung nach diesem Art. 6 als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt werden kann, muss sie sich auf eine unbestrittene Forderung beziehen und bestimmte, in diesem Artikel vorgesehene Voraussetzungen erfüllen. Eine der Voraussetzungen dieser Bestätigung ist in Abs. 1 Buchst. a dieses Artikels enthalten, nämlich, dass die Entscheidung nach dem Recht des Ursprungsmitgliedstaats vollstreckbar ist ( 26 ). Somit kann eine nicht vollstreckbare Entscheidung nicht als Grundlage für die Ausstellung eines Europäischen Vollstreckungstitels dienen, wobei zur Ergänzung dieser Bestimmung Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004 bestimmt, dass eine Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel nur im Rahmen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung Rechtswirkungen entfaltet.

37.

Die zweite Bestätigung ist in Art. 6 Abs. 2 der Verordnung Nr. 805/2004 in Verbindung mit Anhang IV („Bestätigung über die Aussetzung oder Einschränkung der Vollstreckbarkeit“) geregelt. Wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte ursprüngliche Entscheidung nicht mehr vollstreckbar ist oder wenn ihre Vollstreckbarkeit durch ein Gericht des Ursprungsmitgliedstaats ausgesetzt oder eingeschränkt wurde, kann der Schuldner diese Bestätigung auf jederzeitigen Antrag an das Gericht, das den Vollstreckungstitel ursprünglich erteilt hat, erhalten.

38.

Die dritte Bestätigung ist in Art. 6 Abs. 3 der Verordnung Nr. 805/2004 in Verbindung mit Anhang V („Ersatzbestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel infolge eines Rechtsbehelfs“) vorgesehen. Diese Bestimmung soll es dem Gläubiger ermöglichen, seine Position zu aktualisieren, indem er es erreicht, dass die infolge einer Klage im Ursprungsmitgliedstaat erlassene Entscheidung über die Bestätigung der ursprünglichen Entscheidung auch als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigt wird.

39.

Die Kassationsbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens macht in diesem Zusammenhang geltend, dass die in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 vorgesehenen Gründe für die Aussetzung oder die Beschränkung der Vollstreckung einer Entscheidung im Rahmen von Art. 6 Abs. 2 und Art. 11 dieser Verordnung zu beurteilen seien. Nur die Vorlage der in Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehenen Bestätigung beim Vollstreckungsgericht stelle eine Grundlage für eine Entscheidung dieses Gerichts dar, die Vollstreckung auszusetzen oder zu beschränken.

40.

Bei dieser Auslegung werden meines Erachtens zwei von der Verordnung Nr. 805/2004 unterschiedlich geregelte Fälle vermischt. Art. 23 dieser Verordnung betrifft eine vorläufige und ungewisse Situation, im vorliegenden Fall die vom Schuldner beim Ursprungsgericht gegen die bestätigte ursprüngliche Entscheidung oder gegen die Bestätigung selbst vorgenommenen Verfahrenshandlungen, die aufgrund des Fehlens von Bestimmungen über eine aufschiebende Wirkung dieser Verfahrenshandlungen weiter volle Wirksamkeit entfalten. Bis zum – naturgemäß ungewissen – Ausgang dieser Verfahren kann das zuständige Gericht oder die befugte Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats im Rahmen seines oder ihres Beurteilungsspielraums Maßnahmen der Aussetzung oder der Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens erlassen.

41.

Dabei handelt es sich nicht um eine Situation, wie sie von Art. 6 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004 erfasst wird, die eine nachweisliche Änderung der Vollstreckbarkeit des Titels betrifft, die in der Ausstellung einer neuen Bestätigung im Sinne von Anhang IV dieser Verordnung zum Ausdruck kommt. In Anbetracht des in dieser zweiten Bestimmung zwingend formulierten Zusammenhangs zwischen der Vollstreckbarkeit der Entscheidung und dem Europäischen Vollstreckungstitel wird jede spätere Änderung dieser Vollstreckbarkeit (endgültige oder zeitweilige Einstellung als Folge einer Aussetzung sowie Beschränkung ihrer Tragweite) zwangsläufig das Vollstreckungsverfahren beeinflussen. Wie die Kommission hervorhebt, wird es die Sache des Gerichts des Vollstreckungsmitgliedstaats als Adressat der Bestätigung sein, bei der Durchführung seines nationalen Rechts die wirksame Anwendung von Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004 zu gewährleisten.

42.

Ich bin unter diesen Umständen der Auffassung, dass die Beschränkung des Erlasses der in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 vorgesehenen Maßnahmen der Aussetzung oder Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens allein auf den Fall der Vorlage der Bestätigung, die darauf hinweist, dass die Entscheidung nicht mehr vollstreckbar ist oder dass ihre Vollstreckbarkeit beschränkt wurde, dieser Bestimmung ihre praktische Wirksamkeit nehmen würde, was nicht hingenommen werden kann.

c) Zur Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats

43.

Es kann dem Unionsgesetzgeber nicht vorgeworfen werden, er habe nicht versucht, die grenzüberschreitende Beitreibung von Forderungen in Zivil- und Handelssachen zu erleichtern: Der Europäische Vollstreckungstitel, der Europäische Zahlungsbefehl ( 27 ) und das europäische Verfahren für geringfügige Forderungen ( 28 ) sind alles rechtliche Instrumente, die den freien Verkehr von gerichtlichen Entscheidungen in den jeweiligen Rechtsbereichen herstellen sollen, zu denen auch die mit der Verordnung Nr. 1215/2012 geschaffene Norm gehört. Im Zusammenhang mit dieser folgerichtigen – verschiedentlich als inflationär betrachteten ( 29 ) – Schaffung von Rechtsnormen stellen sich aber auch Fragen der Kohärenz dieses Normenkomplexes.

44.

Das gilt auch für den Umstand, dass es dem Schuldner ermöglicht wird, die ursprüngliche Entscheidung im Stadium ihrer Vollstreckung durch die Gerichte oder Stellen des Vollstreckungsmitgliedstaats kontrollieren zu lassen. Auch wenn alle genannten Instrumente sowohl Verfahren zur Aussetzung oder zur Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens als auch zur Verweigerung der Vollstreckung vorsehen, ist dennoch festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Maßnahmen nicht homogen sind ( 30 ).

45.

Art. 21 der Verordnung Nr. 805/2004 sieht vor, dass die Vollstreckung vom zuständigen Gericht im Vollstreckungsmitgliedstaat verweigert wird, wenn die als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigte Entscheidung mit einer früheren Entscheidung unvereinbar ist, die in einem Mitgliedstaat oder einem Drittland ergangen ist. Dabei handelt es sich um den einzigen in dieser Verordnung vorgesehenen Verweigerungsgrund, wohingegen die Verordnung Nr. 1215/2012 nicht weniger als fünf solche Gründe enthält, wozu auch der Verweigerungsgrund der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung (ordre public) des ersuchten Mitgliedstaats gehört. Die litauische Regierung macht geltend, dass der Begriff „außergewöhnliche Umstände“ in Art. 23 Buchst. c der Verordnung Nr. 805/2004 dahin auszulegen sei, dass er auch Situationen erfasse, in denen die Vollstreckung einer durch einen Europäischen Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung den verfahrensrechtlichen Ordre public des Vollstreckungsmitgliedstaats beeinträchtigen könnte.

46.

Dieser Auslegung kann meines Erachtens nicht gefolgt werden, da sie die oben erörterte klare Zuständigkeitsverteilung zwischen den öffentlichen Stellen des Ursprungsmitgliedstaats und jenen des Vollstreckungsmitgliedstaats nicht beachtet. Die letztgenannten Stellen haben nicht über die Rechtmäßigkeit der ursprünglichen Entscheidung zu befinden. In Anbetracht des Grundsatzes der Rechtssicherheit kann nicht hingenommen werden, dass es zu sich widersprechenden gerichtlichen Entscheidungen über diese Frage kommt.

47.

Zudem zeigt eine Betrachtung der Vorarbeiten, dass im Rahmen der 2515. Sitzung des Rates „Justiz und Inneres“ vom 5. und 6. Juni 2003 über die Möglichkeit einer Verweigerung der Vollstreckung im Vollstreckungsmitgliedstaat auch auf der Grundlage des Kriteriums „öffentliche Ordnung“ debattiert wurde, das insbesondere bereits in der der Verordnung Nr. 805/2004 zeitlich vorausgehenden Verordnung (EG) Nr. 44/2001 ( 31 ) genannt wurde. Aus der endgültigen Fassung der Verordnung Nr. 805/2004 geht hervor, dass dieses Kriterium nicht beibehalten wurde. Es fällt mir daher schwer anzunehmen, dass die Frage der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats durch eine Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“, die die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens gemäß Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 rechtfertigen, wieder eingeführt werden kann.

48.

Schließlich erscheint mir ein auf die Verletzung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats gestützter Aussetzungsgrund, unabhängig davon, ob es sich dabei um einen materiellen oder prozessualen Verstoß handelt, nicht mit der Vorläufigkeit der in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 genannten Maßnahmen vereinbar zu sein, die in rechtlicher und zeitlicher Hinsicht zwangsläufig allein die Entscheidung betreffen, die im Ursprungsmitgliedstaat bezüglich der vom Schuldner unternommenen Verfahrenshandlungen erlassen wurde. Eine Entscheidung über die Bestätigung der Gültigkeit der ursprünglichen Entscheidung beendete zwar die Wirkungen der Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens, ließe aber die Problematik der Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung des Vollstreckungsmitgliedstaats unberührt, die dem Erlass dieser Maßnahme zugrunde lag. Diese Problematik lässt sich mangels entsprechender Bestimmungen nicht im Rahmen der Verordnung Nr. 805/2004 lösen, eine Situation, die auch im Hinblick auf den Grundsatz der Rechtssicherheit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, nicht hinnehmbar ist.

d) Zur kombinierten Anwendung der in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 vorgesehenen Maßnahmen

49.

Bei der oben erörterten Frage ist die legislative Entwicklung der Bestimmungen der Verordnungen Nrn. 1896/2006, 861/2007 und 1215/2012 über die Möglichkeit der Aussetzung oder der Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens zu berücksichtigen.

50.

Auch wenn die Formulierung in Art. 23 der Verordnung Nr. 1896/2006 mit jener von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 bezüglich der doppelten Verwendung der Konjunktion „oder“ zwischen der Nennung einer jeden der möglichen Maßnahmen identisch ist, was ihren alternativen Charakter zeigt, so gilt dies nicht für die oben genannten späteren sekundärrechtlichen Rechtsnormen. In Art. 23 der Verordnung Nr. 861/2007 und Art. 44 der Verordnung Nr. 1215/2012 ist diese Konjunktion nur zwischen der zweiten und der dritten der möglichen Maßnahmen eingefügt, was den Schluss zulässt, dass die erste und die zweite Maßnahme miteinander kombiniert werden dürfen.

51.

Es ist offensichtlich so, dass im Rahmen dieser legislativen Entwicklung der singuläre Charakter der Aussetzung zum Ausdruck kommt und bestätigt wird, bei der es sich um die strengste Maßnahme handelt, da es dem Gläubiger dabei nicht möglich ist, Vollstreckungsmaßnahmen gleich welcher Art durchzuführen. Insoweit stelle ich fest, dass Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 im Unterschied zu Art. 44 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht vorsieht, dass das Vollstreckungsverfahren „insgesamt oder teilweise“ ausgesetzt werden kann. In der Regelung, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat dieses Verfahren „aussetzen“ kann, kann meines Erachtens nur eine Bezugnahme auf den Fall einer vollständigen Einstellung dieses Verfahrens gesehen werden.

52.

Eine solche Kumulierung von Beschränkungs- mit Aussetzungsmaßnahmen erscheint mir weder folgerichtig noch praktisch durchführbar zu sein. Zu einer solchen Schlussfolgerung führt bereits die Überschrift von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 mit der dort enthaltenen, eine Trennung bezeichnenden Konjunktion „oder“ ( 32 ). Dagegen ist es theoretisch vorstellbar, wenn auch praktisch kaum wahrscheinlich, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats dem beitreibenden Gläubiger aufgeben kann, als Voraussetzung für die Durchführung von ausschließlich der Sicherung dienenden Vollstreckungsmaßnahmen eine Sicherheit zu leisten. Diese Kombination würde vom weiten Beurteilungsspielraum erfasst, über den diese Gerichte und Stellen verfügen, und müsste unter Berücksichtigung der besonderen Umstände der betreffenden Rechtssache erfolgen.

4. Zwischenergebnis

53.

Die von den beteiligten Parteien vorgeschlagenen und oben erörterten unterschiedlichen Bedeutungen des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ scheinen mir in Wirklichkeit von einer logischen und sinnvollen Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 abzuweichen.

54.

Was die Aussetzung von Vollstreckungsmaßnahmen anbelangt, ist klar, dass dabei die Wirkungen dieser Aussetzung zu berücksichtigen sind, da es Kennzeichen der „außergewöhnlichen Umstände“ ist, dass sie mit dem Schaden zusammenhängen, der dem Schuldner aufgrund der unverzüglichen Vollstreckung der Entscheidung entstehen könnte. Da diese Umstände außergewöhnlich sein müssen, muss der Schaden im Kontext einer vorläufigen und ungewissen Situation, zu der es als Folge der vom Schuldner im Ursprungsmitgliedstaat vorgenommenen Verfahrenshandlungen kommt, schwer und nicht wiedergutzumachen sein. Die Umstände müssen deshalb eine dringliche Situation widerspiegeln, die es rechtfertigt, dass eine vorläufige Entscheidung getroffen wird, mit der vermieden werden soll, dass der Partei, die die Aussetzungsmaßnahme beantragt, ein solcher Schaden entsteht ( 33 ).

55.

Bei einer solchen Auslegung des Schadens ist es möglich, sich von der Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Zulassung einer Aussetzung der Durchführung einer Handlung nach Art. 278 AEUV leiten zu lassen.

56.

Nach dieser Rechtsprechung obliegt es immer der Partei, die den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mithin im vorliegenden Fall dem Schuldner, die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens darzulegen und zu beweisen ( 34 ). Zwar ist es für den Nachweis dieses Schadens nicht erforderlich, dass Eintritt und unmittelbares Bevorstehen des Schadens mit absoluter Sicherheit belegt werden, und es genügt, dass dieser mit einem hinreichenden Grad an Wahrscheinlichkeit vorhersehbar ist; jedoch obliegt es weiterhin dem Antragsteller, die Tatsachen zu beweisen, die die Erwartung eines solchen Schadens begründen sollen ( 35 ).

57.

Hinsichtlich der Art des Schadens hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass ein rein finanzieller Schaden, abgesehen von außergewöhnlichen Situationen, grundsätzlich nicht als nicht wiedergutzumachen anzusehen ist, da ein Ersatz in Geld, gegebenenfalls im Rahmen einer Schadensersatzklage, den Geschädigten in der Regel wieder in die Lage versetzen kann, in der er sich vor Eintritt des Schadens befand ( 36 ). Die zuständige öffentliche Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats wird die Umstände prüfen müssen, anhand deren ermittelt werden kann, ob die sofortige Vollstreckung der Entscheidung, die Gegenstand des Aussetzungsantrags ist, geeignet wäre, beim Schuldner irreparable Schäden hervorzurufen, die nicht wiedergutgemacht werden könnten, wenn diese Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat als unwirksam erklärt würde oder wenn die Bestätigung des Europäischen Vollstreckungstitels, der Voraussetzung für eine mögliche sofortige Vollstreckung in einem anderen Staat ist, widerrufen würde.

58.

Es ist festzustellen, dass vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 805/2004 sowohl zivil- als auch handelsrechtliche Forderungen erfasst werden und dass die Schuldner somit natürliche oder juristische Personen sein können. Was die Wirtschaftsteilnehmer anbelangt, so steht fest, dass die Aussicht auf eine Situation, in der deren finanzielle Lebensfähigkeit vor dem Abschluss der gegen die ursprüngliche Entscheidung oder die Bestätigung gerichteten Hauptsacheverfahren bedroht sein könnte, kennzeichnend für den verlangten Schaden sein kann ( 37 ). Wenn es sich bei dem Schuldner um eine natürliche Person handelt, ist zu prüfen, ob die Vollstreckung der Entscheidung zu einer teilweisen oder vollständigen Beschlagnahme ihres Vermögens führt, die die materiellen Lebensbedingungen der betroffenen Person oder ihrer Familie erheblich verschlechtern könnte, wie das z. B. bei einem Zwangsverkauf der Familienwohnung der Fall ist ( 38 ).

59.

Wenn anhand der vom Schuldner vorgebrachten Umstände dargetan werden kann, dass die Schwierigkeiten wirtschaftlicher oder sozialer Art weder schwer noch nicht wiedergutzumachen sind, so hat das zuständige Gericht oder die befugte Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats die Möglichkeit, die in Art. 23 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 805/2004 vorgesehenen beschränkenden Maßnahmen vorzunehmen, vorausgesetzt, sie werden vom Schuldner, gegebenenfalls auch hilfsweise, beantragt. Insoweit ist zu beachten, dass die Anwendung dieses Artikels der Dispositionsmaxime unterliegt, nach der die Parteien den Streitgegenstand bestimmen.

60.

Es ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der für die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes zuständige Richter auch eine Interessenabwägung vornimmt, wenn die beiden anderen Voraussetzungen ( 39 ) der Aussetzung der Vollziehung erfüllt sind ( 40 ). Eine solche Lösung sollte meines Erachtens auch auf den vorliegenden Fall übertragen werden, in Anbetracht des weiten Beurteilungsspielraums der zuständigen öffentlichen Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat nach Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004, der darauf abzielt, ein gerechtes Gleichgewicht zu finden zwischen dem Interesse des Gläubigers an einer schnellen Vollstreckung der Entscheidung und dem Interesse des Schuldners an der Vermeidung von potenziell schweren und nicht wiedergutzumachenden Schäden, wenn der durch die sofortige Vollstreckung verursachte Verlust nicht ausgeglichen werden kann. Im Rahmen dieser Interessenabwägung könnte der beklagte Gläubiger geltend machen, dass der Umstand, dass ihm die Möglichkeit einer sofortigen Vollstreckung der Entscheidung und damit des unverzüglichen Erhalts der in Rede stehenden Zahlungen genommen wird, endgültig zu einem Verlust seiner Ansprüche führen könnte, wenn die Rechtsbehelfe des Schuldners später zurückgewiesen werden sollten.

61.

Es ist es daher Sache des vorlegenden Gerichts, im Rahmen der Prüfung des Antrags der Schuldnergesellschaft auf Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens unter Berücksichtigung aller relevanten Umstände des Ausgangsverfahrens zu beurteilen, ob dieser Schuldnergesellschaft in einem Fall, in dem die ursprüngliche Entscheidung sofort vollstreckt wird, ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden im dargestellten Sinn entstehen kann, und, wenn diese Frage zu bejahen ist, einen Interessenausgleich vorzunehmen ( 41 ).

B.   Zur fünften Vorlagefrage

62.

Mit seiner fünften Frage will das vorlegende Gericht wissen, ob im Fall der Aussetzung der Vollstreckbarkeit der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat das im Vollstreckungsmitgliedstaat durchgeführte Vollstreckungsverfahren entsprechend der Regelung in Art. 36 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 automatisch ausgesetzt wird oder ob eine besondere Entscheidung wie die in Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung durch das zuständige Gericht oder die befugte Stelle dieses Staates zu erlassen ist.

1. Zur Zulässigkeit

63.

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs spricht eine Vermutung für die Entscheidungserheblichkeit der Vorlagefragen des nationalen Gerichts, die es zur Auslegung des Unionsrechts in dem rechtlichen und sachlichen Rahmen stellt, den es in eigener Verantwortung festgelegt und dessen Richtigkeit der Gerichtshof nicht zu prüfen hat. Das durch Art. 267 AEUV geschaffene Verfahren ist ein Instrument der Zusammenarbeit zwischen dem Gerichtshof und den nationalen Gerichten, mit dem der Gerichtshof diesen Gerichten Hinweise zur Auslegung gibt, die sie zur Entscheidung des bei ihnen anhängigen Rechtsstreits benötigen. Die Rechtfertigung des Vorabentscheidungsersuchens liegt nicht in der Abgabe von Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen, sondern darin, dass dessen Antwort für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist. Wie sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 267 AEUV ergibt, muss die beantragte Vorabentscheidung „erforderlich“ sein, um dem vorlegenden Gericht den „Erlass seines Urteils“ in der bei ihm anhängigen Rechtssache zu ermöglichen ( 42 ).

64.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass in dem Zeitpunkt, in dem das vorlegende Gericht den Gerichtshof um eine Vorabentscheidung ersucht hat, tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig war, in dem das vorlegende Gericht eine Entscheidung erlassen musste, bei der das zu erwartende Urteil des Gerichtshofs im Vorabentscheidungsverfahren berücksichtigt werden konnte ( 43 ). Dazu ist anzumerken, dass, auch wenn zu diesem Zeitpunkt im Ursprungsmitgliedstaat eine Entscheidung über die Beendigung oder zeitweise Aussetzung der Vollstreckbarkeit der ursprünglichen Entscheidung noch nicht getroffen war ( 44 ), ein solches Ereignis geeignet war und ist, im Rahmen des vom Schuldner in diesem Staat eingeleiteten und noch anhängigen Rechtsmittelverfahrens Wirkung zu entfalten und diesen zu veranlassen, einen neuen Antrag zu stellen.

65.

Ferner ist darauf hinzuweisen, dass der Begriff „Erlass seines Urteils“ im Sinne von Art. 267 Abs. 2 AEUV das gesamte zur Entscheidung des vorlegenden Gerichts führende Verfahren umfasst und weit auszulegen ist, um zu verhindern, dass zahlreiche Verfahrensfragen als unzulässig angesehen werden und nicht Gegenstand einer Auslegung durch den Gerichtshof sein können und dass dieser nicht über die Auslegung aller vom vorlegenden Gericht anzuwendenden Vorschriften des Unionsrechts entscheiden kann ( 45 ).

2. Zur Begründetheit

66.

Anders als es möglicherweise die – zweifellos mehrdeutige -Formulierung der fünften Vorlagefrage nahelegt, richtet das vorlegende Gericht sein Augenmerk nicht auf die Möglichkeit der Durchführung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 in einem Vollstreckungsverfahren, das wie im vorliegenden Fall in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 805/2004 fällt ( 46 ). Seine Frage betrifft die rechtlichen Folgen einer im Ursprungsmitgliedstaat ergangenen Entscheidung über die Aussetzung der Vollstreckbarkeit der ursprünglichen Entscheidung für dieses Verfahren, ausgehend von der Feststellung, dass die Verordnung Nr. 805/2004 im Unterschied zur Verordnung Nr. 1215/2012 diese Frage nicht ausdrücklich regelt, unabhängig davon, ob es sich um Art. 36 Abs. 1 oder Art. 44 Abs. 2 dieser Verordnung handelt ( 47 ).

67.

Diese Prämisse ist meines Erachtens unzutreffend, da Art. 6 und insbesondere seine Abs. 1 und 2 sowie Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004 den maßgeblichen Rechtsrahmen darstellen, der bereits in den vorliegenden Schlussanträgen dargestellt worden ist ( 48 ). Daraus folgt, dass sobald die in Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehene Bestätigung vom Ursprungsgericht ausgestellt und dann von der Partei, gegen die die Vollstreckung bewirkt werden soll, den zuständigen Behörden im Vollstreckungsmitgliedsstaat übermittelt wurde, diese Behörden, da Art. 11 der Verordnung Nr. 805/2004 keinen Beurteilungsspielraum zulässt, folgerichtig alle damit zusammenhängenden Konsequenzen für den Ablauf des Vollstreckungsverfahrens ziehen müssen.

68.

Der Hinweis in der genannten Bestätigung auf die Aussetzung der Vollstreckbarkeit, der der ursprünglich als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung beigefügt ist, kann daher nur zu einer identischen Entscheidung im Vollstreckungsmitgliedstaat führen. Eine Ungültigerklärung und nachfolgende Aufhebung dieser Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat, die gleichbedeutend mit dem Wegfall der Vollstreckbarkeit wären, hätten notwendigerweise zur Folge, dass das Vollstreckungsverfahren eingestellt wird. Wie die Kommission zu Recht hervorhebt, werden die verfahrensrechtlichen Aspekte der Durchführung von Art. 11, da diese nicht in der Verordnung Nr. 805/2004 festgelegt sind, vom Recht des Vollstreckungsmitgliedstaats geregelt, das so anzuwenden ist, dass die volle Wirksamkeit dieser Bestimmung gewährleistet ist.

V. Ergebnis

69.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Lietuvos Aukščiausiasis Teismas (Oberstes Gericht Litauens) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 23 der Verordnung (EG) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen

ist dahin auszulegen, dass

der in dieser Bestimmung verwendete Ausdruck „außergewöhnliche Umstände“ einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden umfasst, der dem Schuldner durch die sofortige Vollstreckung einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung entstehen kann und eine vom Schuldner nachzuweisende dringliche Situation kennzeichnet. Ist das der Fall, ist es Sache des zuständigen Gerichts oder der befugten Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats, unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des Einzelfalls eine Interessenabwägung vorzunehmen.

Nur die in Art. 23 Buchst. a und b dieser Verordnung vorgesehenen Maßnahmen zur Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens können kombiniert angewandt werden.

2.

Die Art. 6 und 11 der Verordnung Nr. 805/2004

sind dahin auszulegen, dass,

wenn die Vollstreckbarkeit der als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt und die in Art. 6 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehene Bestätigung dem zuständigen Gericht oder der befugten Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat übermittelt wurde, diese im Rahmen der Durchführung der anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften gehalten sind, durch die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens die volle Wirksamkeit von Art. 11 dieser Verordnung zu gewährleisten.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (ABl. 2004, L 143, S. 15).

( 3 ) Im Zusammenhang mit diesem Hinweis in der Vorlageentscheidung stellt sich die Frage, ob Art. 10 der Verordnung Nr. 805/2004 ausschließlich die Berichtigung oder den Widerruf der Bestätigung des Europäischen Vollstreckungstitels betrifft.

( 4 ) Auch dieser Hinweis ist verwunderlich in Anbetracht der Zuständigkeitsverteilung zwischen den öffentlichen Stellen des Ursprungs- und des Vollstreckungsmitgliedstaats für Rechtsbehelfe, die vom Schuldner eingelegt werden können. Die im Ursprungsmitgliedstaat erlassene Maßnahme betrifft die Vollstreckung der Entscheidung, wofür nicht die Stellen dieses Staates zuständig sind.

( 5 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

( 6 ) Urteile vom 7. November 2019, K.H.K. (Vorläufige Kontenpfändung) (C‑555/18, EU:C:2019:937, Rn. 38), und vom 25. Juni 2020, Ministerio Fiscal (Behörde, bei der ein Antrag auf internationalen Schutz wahrscheinlich gestellt wird) (C‑36/20 PPU, EU:C:2020:495, Rn. 53).

( 7 ) Deshalb kommen zu der in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004, der im Bereich der Aussetzung oder der Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens eine besondere und eigenständige Regelung begründet hat, beschriebenen Situation die in der Vorlageentscheidung erwähnten Fälle der verpflichtenden oder fakultativen Aussetzung nach litauischem Recht im Vollstreckungsmitgliedstaat hinzu.

( 8 ) Urteil vom 21. Februar 1991, Zuckerfabrik Süderdithmarschen und Zuckerfabrik Soest (C‑143/88 und C‑92/89, EU:C:1991:65, Rn. 26).

( 9 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 22. Oktober 2015, Thomas Cook Belgium (C‑245/14, EU:C:2015:715, Rn. 31).

( 10 ) Neben der Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens nennt Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 die Möglichkeit, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle im Vollstreckungsmitgliedstaat dieses Verfahren auf Sicherungsmaßnahmen beschränken oder die Vollstreckung von der Leistung einer von ihm oder ihr zu bestimmenden Sicherheit abhängig machen kann, wobei diese letztgenannten Maßnahmen meines Erachtens unter den Begriff der „Beschränkung“ fallen, die ausweislich der Überschrift dieser Bestimmung die einzige Alternative zur Aussetzung darstellt.

( 11 ) Urteil vom 30. Januar 2020, Autoservizi Giordano (C‑513/18, EU:C:2020:59, Rn. 24).

( 12 ) Hervorhebung nur hier.

( 13 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2017, Zulfikarpašić (C‑484/15, EU:C:2017:199, Rn. 38, 40 und 42).

( 14 ) Diese Angleichung hat zur Folge, dass die Wirkungen der ursprünglichen Entscheidung auf das gesamte Gebiet der Europäischen Union (mit Ausnahme von Dänemark) ausgedehnt werden, was dazu geführt hat, dass die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel als „justizielles Passepartout“ oder „europäischer Reisepass“ betrachtet wird.

( 15 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 28. Februar 2018, Collect Inkasso u. a. (C‑289/17, EU:C:2018:133, Rn. 36), und vom 27. Juni 2019, RD (Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel) (C‑518/18, EU:C:2019:546, Rn. 24). In seinem Urteil vom 9. März 2017, Zulfikarpašić (C‑484/15, EU:C:2017:199, Rn. 39), hat der Gerichtshof klargestellt, dass dieses Ziel des freien Verkehrs von Entscheidungen in allen Mitgliedstaaten nicht dadurch erreicht werden darf, dass die Verteidigungsrechte in irgendeiner Weise beeinträchtigt werden.

( 16 ) Insoweit offenbart die Darstellung des Rechtsstreits in der Vorlageentscheidung ein fehlendes Verständnis der Regeln der Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den öffentlichen Stellen des Ursprungsmitgliedstaats und jenen des Vollstreckungsmitgliedstaats.

( 17 ) Hervorhebung nur hier.

( 18 ) Dieses Ergebnis gilt auch für die zwei in Art. 23. Buchst. a und b der Verordnung Nr. 805/2004 erwähnten Maßnahmen zur Beschränkung des Vollstreckungsverfahrens.

( 19 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 14. Januar 2010, Kyrian (C‑233/08, EU:C:2010:11, Rn. 40).

( 20 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. März 2017, Zulfikarpašić (C‑484/15, EU:C:2017:199, Rn. 25 und 26).

( 21 ) Interessanterweise enthält die Verordnung Nr. 805/2004 keine Bestimmung über eine Kommunikation oder genauer über einen Informationsaustausch zwischen den zuständigen öffentlichen Stellen des Ursprungsmitgliedstaats und jenen des Vollstreckungsmitgliedstaats. Der Umstand, dass das zuständige Gericht oder die befugte Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats vom Schuldner und vom Gläubiger Informationen über das geltende positive Recht des Ursprungsmitgliedstaats erhalten kann, die der Verteidigung ihrer Interessen dienen, kann dieses Ergebnis nicht in Frage stellen.

( 22 ) Vorschlag für eine Verordnung des Rates zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen (KOM[2002] 159 endgültig) (ABl. 2002, C 203 E, S. 86).

( 23 ) Der Verordnungsvorschlag enthielt einen Art. 22 Abs. 2, wonach „[w]eder die Entscheidung noch die Bescheinigung, dass sie einen Europäischen Vollstreckungstitel bildet, … im Vollstreckungsmitgliedstaat in der Sache selbst nachgeprüft werden [dürfen]“. Diese Bestimmung entspricht Art. 21 Abs. 2 dieser Verordnung, in dem in bezeichnender Weise in der französischen Fassung der Ausdruck „en aucun cas“ (keinesfalls) hinzugefügt wurde.

( 24 ) Die Kommission vertritt in ihren Erklärungen jedoch die Ansicht, dass die Begründung des Verordnungsvorschlags für die Auslegung von Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 nach wie vor relevant sei und dass die beiden dort erwähnten Elemente Faktoren darstellten, die bei der Anwendung dieser Bestimmung unter Berücksichtigung sowohl der Interessen des Schuldners als auch jener des Gläubigers ins Gleichgewicht gebracht werden müssten.

( 25 ) Die Anhänge I bis III der Verordnung Nr. 805/2004 entsprechen den Bestätigungen als Europäischer Vollstreckungstitel „Entscheidung“, „Gerichtlicher Vergleich“ und „Öffentliche Urkunde“.

( 26 ) Urteil vom 14. Dezember 2017, Chudaś (C‑66/17, EU:C:2017:972, Rn. 28).

( 27 ) Verordnung (EG) Nr. 1896/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zur Einführung eines Europäischen Mahnverfahrens (ABl. 2006, L 399, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 936/2012 der Kommission vom 4. Oktober 2012 (ABl. 2012, L 283, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 1896/2006).

( 28 ) Verordnung (EG) Nr. 861/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Juli 2007 zur Einführung eines europäischen Verfahrens für geringfügige Forderungen (ABl. 2007, L 199, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EU) Nr. 517/2013 des Rates vom 13. Mai 2013 (ABl. 2013, L 158, S. 1) (im Folgenden: Verordnung Nr. 861/2007).

( 29 ) Kennzeichnend für den Rechtsrahmen ist, dass es gemäß Art. 27 in Verbindung mit dem 20. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 805/2004 dem beitreibenden Gläubiger freisteht, die Verordnung Nr. 1215/2012 oder die Verordnung Nr. 805/2004 zu wählen.

( 30 ) Neben dem Umstand, dass das Vorliegen von „außergewöhnlichen Umständen“ keine Voraussetzung für die Aussetzung des Vollstreckungsverfahrens ist, folgt aus Art. 44 der Verordnung Nr. 1215/2012, dass das Gericht im ersuchten Mitgliedstaat dieses Verfahren nur dann aussetzen oder beschränken kann, wenn eine Versagung der Vollstreckung einer Entscheidung beantragt wurde. Außerdem können diese Maßnahmen auch nach Art. 23 der Verordnung Nr. 861/2007 erlassen werden, wenn eine Partei insbesondere ein im europäischen Verfahren für geringfügige Forderungen ergangenes Urteil angefochten hat oder wenn „eine solche Anfechtung noch möglich“ ist. Auch wenn diese Bestimmungen über die Berücksichtigung des Ablaufs der Frist für das Verfahren über die Prüfung des Antrags auf Verweigerung der Vollstreckung und der Frist für die Anfechtung des ursprünglichen Urteils als relevant erscheinen, gehe ich dennoch davon aus, dass diese, da der Rechtsrahmen, der vorab bestimmt, dass das Gericht des Vollstreckungsmitgliedstaats das Vollstreckungsverfahren aussetzen oder beschränken kann, in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 klar definiert ist, nicht im Wege einer Auslegung des Begriffs „außergewöhnliche Umstände“ diesem Rahmen hinzugefügt werden können.

( 31 ) Verordnung des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1).

( 32 ) Es ist anzumerken, dass die Art. 23 der Verordnungen Nrn. 805/2004, 1896/2006 und 861/2007 dieselbe Überschrift, nämlich „Aussetzung oder Beschränkung der Vollstreckung“, tragen.

( 33 ) Diese von der zuständigen öffentlichen Stelle des Vollstreckungsmitgliedstaats verlangte Beurteilung betrifft eine objektive tatsächliche Situation, was der Bedeutung des Begriffs „Umstände“ entspricht und die von der Kassationsbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens vorgetragene Lösung hinsichtlich der Anforderung eines nicht schuldhaften Verhaltens des Schuldners ausschließt, was aber nach Abschluss des im Ursprungsmitgliedstaat eingeleiteten Verfahrens nicht mehr der Fall sein könnte.

( 34 ) Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 3. Juni 2022, Bulgarien/Parlament und Rat (C‑545/20 R, EU:C:2022:445, Rn. 32).

( 35 ) Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 24. Mai 2022, Puigdemont i Casamajó u. a./Parlament und Spanien (C‑629/21 P[R], EU:C:2022:413, Rn. 75).

( 36 ) Vgl. in diesem Sinne Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 3. Juni 2022, Bulgarien/Parlament und Rat (C‑545/20 R, EU:C:2022:445, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 37 ) Vgl. Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 8. April 2014, Kommission/ANKO (C‑78/14 P‑R, EU:C:2014:239, Rn. 26).

( 38 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Juli 1997, Giloy (C‑130/95, EU:C:1997:372, Rn. 38).

( 39 ) Diese Voraussetzungen sind zum einen eine durch den wahrscheinlichen Eintritt eines schweren und nicht wiedergutzumachenden Schadens hervorgerufene Dringlichkeit und zum anderen ein fumus boni iuris.

( 40 ) Vgl. insbesondere Beschluss des Vizepräsidenten des Gerichtshofs vom 8. April 2014, Kommission/ANKO (C‑78/14 P‑R, EU:C:2014:239, Rn. 14 und 36).

( 41 ) Die Kassationsbeschwerdeführerin des Ausgangsverfahrens führt die Gefahr einer missbräuchlichen Anwendung des in Art. 23 der Verordnung Nr. 805/2004 vorgesehenen Verfahrens an. Zum einen hat es für mich den Anschein, dass die von der Kassationsbeschwerdeführerin vorgeschlagene Auslegung den Anwendungsbereich der Aussetzungsmaßnahme eingrenzt, zum anderen ist davon auszugehen, dass, wenn ein Rechtsbehelf zur Verfügung gestellt wird, stets eine solche Gefahr besteht und dass der missbräuchliche, weil rein verzögernde Charakter eines Rechtsbehelfs in den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten regelmäßig dadurch geahndet wird, dass der dadurch benachteiligten Partei ein Anspruch auf Schadensersatz gewährt wird.

( 42 ) Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 43 bis 45).

( 43 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. März 2020, Miasto Łowicz und Prokurator Generalny (C‑558/18 und C‑563/18, EU:C:2020:234, Rn. 46), und Beschluss vom 8. Juni 2021, Centraal Justitieel Incassobureau (C‑699/20, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:465, Rn. 18).

( 44 ) Vgl. Nr. 6 des Vorlagebeschlusses. Diese unsichere Situation wird auch von der Kommission in Nr. 62 ihrer Erklärungen hervorgehoben.

( 45 ) Urteil vom 16. Juni 2016, Pebros Servizi (C‑511/14, EU:C:2016:448, Rn. 28).

( 46 ) Jedenfalls geht klar aus dem Vorlagebeschluss hervor, dass der beitreibende Gläubiger die Verordnung Nr. 805/2004 gewählt hat, als er die Vollstreckung einer als Europäischer Vollstreckungstitel bestätigten Entscheidung betrieben hat, was bedeutet, dass ausschließlich diese Norm im vorliegenden Fall zur Anwendung kommt.

( 47 ) Auch wenn die Bezugnahme auf Art. 44 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 stichhaltig scheint, da nach dieser Vorschrift das Vollstreckungsverfahren auszusetzen ist, wenn die Vollstreckbarkeit der Entscheidung im Ursprungsmitgliedstaat ausgesetzt ist, so gilt dies nicht für Art. 36 Abs. 1 dieser Verordnung, der die Anerkennung von in einem Mitgliedstaat ergangenen Entscheidungen betrifft, die in den anderen Staaten erfolgt, ohne dass es hierfür der Durchführung eines besonderen Verfahrens bedarf.

( 48 ) Im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof ist es Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem Gericht anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Auch wenn das vorlegende Gericht formal nur auf Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 Bezug genommen hat, hindert dies den Gerichtshof demnach nicht daran, dem Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Verfahrens von Nutzen sein können, und zwar unabhängig davon, ob es bei seiner Fragestellung darauf Bezug genommen hat. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere aus der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen (Urteil vom 18. Dezember 2014, Abdida, C‑562/13, EU:C:2014:2453, Rn. 37).