SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

TAMARA ĆAPETA

vom 8. September 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑356/21

J. K.

gegen

TP S.A.,

Beteiligte:

PTPA

(Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie [Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf – Richtlinie 2000/78/EG – Art. 3 – Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung – Selbständiger – Ablehnung der Verlängerung eines Vertrags“

I. Einleitung

1.

Nach einem siebenjährigen Beschäftigungsverhältnis aufgrund kurzfristiger, unmittelbar aufeinander folgender Verträge wurde von TP, einem öffentlichen Fernsehsender, der Abschluss eines neuen Vertrags über Redaktionsleistungen mit J. K. wegen dessen sexueller Ausrichtung abgelehnt ( 2 ).

2.

Hat J. K. als Selbständiger Anspruch auf Schutz vor Diskriminierung wegen seiner sexuellen Ausrichtung nach der Richtlinie 2000/78?

3.

Die hauptsächliche Frage, um deren Klärung der Gerichtshof mit dem Vorabentscheidungsersuchen des Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen) ersucht wird, ist diejenige nach dem Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78.

4.

Die weitere Frage, die das Vorabentscheidungsersuchen aufwirft, betrifft das Verhältnis zwischen Diskriminierungsverbot und Vertragsfreiheit. Das vorlegende Gericht hat Zweifel, ob eine nationale Rechtsvorschrift, wonach die sexuelle Ausrichtung als Kriterium für die Auswahl eines Vertragspartners berücksichtigt werden kann, mit der Richtlinie 2000/78 vereinbar ist.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

5.

Nach Art. 1 („Zweck“) der Richtlinie 2000/78 ist Zweck dieser Richtlinie „die Schaffung eines allgemeinen Rahmens zur Bekämpfung der Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung in Beschäftigung und Beruf im Hinblick auf die Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung in den Mitgliedstaaten“.

6.

Art. 2 („Der Begriff ‚Diskriminierung‘“) dieser Richtlinie bestimmt:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie bedeutet ‚Gleichbehandlungsgrundsatz‘, dass es keine unmittelbare oder mittelbare Diskriminierung wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe geben darf.

(2)   Im Sinne des Absatzes 1

a)

liegt eine unmittelbare Diskriminierung vor, wenn eine Person wegen eines der in Artikel 1 genannten Gründe in einer vergleichbaren Situation eine weniger günstige Behandlung erfährt, als eine andere Person erfährt, erfahren hat oder erfahren würde;

(5)   Diese Richtlinie berührt nicht die im einzelstaatlichen Recht vorgesehenen Maßnahmen, die in einer demokratischen Gesellschaft für die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit, die Verteidigung der Ordnung und die Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit und zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind.“

7.

Art. 3 („Geltungsbereich“) bestimmt:

„(1)   Im Rahmen der auf die [Union] übertragenen Zuständigkeiten gilt diese Richtlinie für alle Personen in öffentlichen und privaten Bereichen, einschließlich öffentlicher Stellen, in Bezug auf

a)

die Bedingungen – einschließlich Auswahlkriterien und Einstellungsbedingungen – für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit, unabhängig von Tätigkeitsfeld und beruflicher Position, einschließlich des beruflichen Aufstiegs;

c)

die Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen, einschließlich der Entlassungsbedingungen und des Arbeitsentgelts;

…“

B.   Polnisches Recht

8.

Nach Art. 2 Abs. 1 der Ustawa o wdrożeniu niektórych przepisów prawa Unii Europejskiej w zakresie równego traktowania (Gesetz zur Umsetzung bestimmter Vorschriften des Unionsrechts auf dem Gebiet der Gleichbehandlung) vom 3. Dezember 2010 (Dz. U. 2020, Pos. 2156 – konsolidierte Fassung) (im Folgenden: polnisches Gleichbehandlungsgesetz) gilt dieses „Gesetz … für natürliche Personen, juristische Personen und Organisationseinheiten, die keine juristischen Personen sind, denen das Gesetz aber Rechtsfähigkeit zuerkennt“.

9.

Konkret findet dieses Gesetz nach Art. 4 Nr. 2 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes Anwendung auf „die Bedingungen der Aufnahme und der Ausübung einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit, insbesondere im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder der Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags“.

10.

Nach Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes findet dieses Gesetz keine Anwendung auf „die freie Wahl des Vertragspartners, sofern sie sich nicht auf das Geschlecht, die Rasse, die ethnische Herkunft oder die Nationalität stützt“.

11.

Art. 8 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes bestimmt:

„1.   Jede Diskriminierung von natürlichen Personen aufgrund des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft, der Nationalität, der Religion, des Glaubens, der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung ist verboten, sofern

2)

sie sich auf die Bedingungen der Aufnahme und der Ausübung einer wirtschaftlichen oder beruflichen Tätigkeit bezieht, insbesondere im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses oder der Erbringung von Dienstleistungen auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags.

…“

12.

Art. 13 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes lautet:

„1.   Jede Person, der gegenüber der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt worden ist, hat Anspruch auf Schadensersatz.

2.   In Fällen von Verstößen gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung kommen die Bestimmungen der [Ustawa – Kodeks cywilny (Gesetz über das Zivilgesetzbuch) vom 23. April 1964] zur Anwendung.“

III. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13.

Im Zeitraum von 2010 bis 2017 schloss J. K. eine Reihe kurzfristiger, unmittelbar aufeinander folgender Verträge als Selbständiger mit TP ab, einer Gesellschaft, die einen landesweit empfangbaren öffentlichen Fernsehsender in Polen betreibt und deren alleiniger Anteilseigner der Staat ist.

14.

Die von J. K. aufgrund dieser Verträge erbrachten Tätigkeiten umfassten u. a. die Erstellung von Videomaterial, wozu aus Fremdmaterial geschnittene Sendungen sowie Sendungs- und Feuilletontrailer gehörten, die anschließend von dem Sender zu Zwecken der Selbstwerbung verwendet wurden. Er führte die Arbeiten im Rahmen einer internen Organisationseinheit des Senders, der Redakcja Oprawy i Promocji Programu 1 (Redaktion für Begleitung und Werbung des Ersten Programms), aus, deren Leiter W. S. war. Im Rahmen der geschlossenen Werkverträge arbeitete J. K. in wöchentlichen Einsatzturnussen, während derer er das Material für die Selbstwerbung des Senders erstellte. W. S., sein unmittelbarer Vorgesetzter, teilte J. K. und einer weiteren Journalistin, die die gleichen Arbeiten verrichtete, die Einsatzturnusse in der Weise zu, dass beide monatlich jeweils zwei einwöchige Einsatzturnusse zu absolvieren hatten.

15.

Ab August 2017 gab es Pläne, die interne Organisationsstruktur von TP in der Weise umzugestalten, dass die Aufgaben von J. K. einer neu eingerichteten Abteilung, der Agencja Kreacji, Oprawy i Reklamy (Kreativ- und Werbeagentur), übertragen werden sollten. Zwei neue Angestellte wurden mit der Durchführung der Umgestaltung und der Evaluierung der Mitarbeiter, die von der neuen Agentur übernommen werden sollten, betraut.

16.

Bei Besprechungsterminen Ende Oktober und Anfang November 2017, bei denen einer der für die Umgestaltung verantwortlichen neuen Angestellten anwesend war, erhielt J. K. eine positive Bewertung und wurde in den Kreis der Mitarbeiter aufgenommen, die das Evaluierungsverfahren bestanden hatten.

17.

Am 20. November 2017 wurde zwischen J. K. und TP ein Werkvertrag für einen Zeitraum von einem Monat geschlossen.

18.

Am 29. November 2017 erhielt J. K. den Einsatzplan für Dezember 2017. Er sah einen insgesamt 14-tägigen Einsatz vor, dessen erste Woche am 7. Dezember 2017 und dessen zweite Woche am 21. Dezember 2017 beginnen sollte.

19.

Am 4. Dezember 2017 veröffentlichten J. K. und sein Lebensgefährte auf ihrem YouTube-Kanal ein Weihnachtsmusikvideo, das für Toleranz gegenüber gleichgeschlechtlichen Paaren wirbt.

20.

Zwei Tage später, am 6. Dezember 2017, erhielt J. K. eine E‑Mail von TP, wonach sein am 7. Dezember 2017 beginnender Einsatzzeitraum zurückgenommen werde.

21.

Am 20. Dezember 2017 wurde J. K. mitgeteilt, dass er auch zu dem geplanten, am 21. Dezember 2017 beginnenden Einsatzzeitraum nicht zu erscheinen brauche. Er führte daher im Dezember 2017 keinen der vertraglich vereinbarten Einsatzzeiträume durch und erhielt, wie in der mündlichen Verhandlung geklärt wurde, für diese vertraglich vereinbarten Leistungen auch keine Vergütung.

22.

Schließlich wurde von J. K. und TP auch kein neuer Vertrag (für Januar 2018) geschlossen. Die Entscheidung zur Beendigung der Zusammenarbeit mit J. K. wurde dem Vorabentscheidungsersuchen zufolge von den für die Umgestaltung verantwortlichen Personen getroffen.

23.

Mit seiner beim vorlegenden Gericht, dem Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen), erhobenen Klage begehrt J. K. Zahlung von 47924,92 Zloty (PLN) (ca. 10130 Euro) zuzüglich gesetzlicher Verzugszinsen seit Klageerhebung bis zum Zeitpunkt der Zahlung. Ein Betrag von 35943,69 PLN (ca. 7600 Euro) wird als Schadensersatz und ein Betrag von 11981,23 PLN (ca. 2530 Euro) wird als Schmerzensgeld wegen Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung wegen der sexuellen Ausrichtung in Form einer unmittelbaren Diskriminierung in Bezug auf die Bedingungen für den Zugang zu und die Ausübung von wirtschaftlichen Tätigkeiten auf der Grundlage eines zivilrechtlichen Vertrags gefordert.

24.

Zur Begründung seiner Klage macht J. K. geltend, er sei aufgrund seiner sexuellen Ausrichtung Opfer einer unmittelbaren Diskriminierung durch TP geworden. Die wahrscheinliche Ursache für die Rücknahme der Einsatzzeiträume und die Beendigung des Beschäftigungsverhältnisses mit TP sei die Veröffentlichung des vorgenannten Weihnachtsmusikvideos auf YouTube gewesen.

25.

TP beantragt, die Klage abzuweisen, und macht geltend, dass sich weder aus ihrer Praxis noch aus dem Gesetz eine Garantie für die Verlängerung geschäftlicher Verträge ergebe.

26.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass nicht klar sei, in welchem Umfang Selbständige unter den Schutz der Richtlinie 2000/78 fielen. Es hat ferner Zweifel, ob der nach Ansicht des Gerichts auf den Sachverhalt der Rechtssache anwendbare Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes mit dieser Richtlinie vereinbar ist.

27.

Vor diesem Hintergrund hat der Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2000/78 dahin auszulegen, dass er es gestattet, die freie Wahl der Vertragspartner vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2000/78 und damit auch von der Anwendung der auf der Grundlage von Art. 17 dieser Richtlinie ins nationale Recht eingeführten Sanktionen auszunehmen, sofern sich diese Wahl nicht auf das Geschlecht, die Rasse, die ethnische Herkunft oder die Nationalität stützt, sondern die Diskriminierung darauf beruht, dass der Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrags abgelehnt wird, auf dessen Grundlage eine natürliche Person, die eine wirtschaftliche Tätigkeit auf eigene Rechnung betreibt, Dienstleistungen erbringen soll, und der Ablehnung die sexuelle Ausrichtung des potenziellen Vertragspartners zugrunde liegt?

28.

J. K., die belgische, die niederländische, die polnische und die portugiesische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Eine mündliche Verhandlung hat am 31. Mai 2022 stattgefunden, in der J. K., die polnische Regierung und die Kommission mündliche Ausführungen gemacht haben.

IV. Würdigung

29.

Nach meinem Verständnis möchte das vorlegende Gericht mit seiner Frage im Wesentlichen geklärt wissen, ob es bei der Entscheidung über eine Pflicht von TP zur Entschädigung von J. K. für seine Diskriminierung wegen seiner sexuellen Ausrichtung zur Anwendung von Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes verpflichtet ist.

30.

Unionsrechtlich hängt dies von der Anwendbarkeit der Richtlinie 2000/78 ab. Wenn J. K. sich auf Art. 3 dieser Richtlinie berufen kann und danach die Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass TP seine sexuelle Ausrichtung als Grund dafür berücksichtigen kann, keinen Vertrag mit ihm abzuschließen, wäre das vorlegende Gericht verpflichtet, Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes bei der Entscheidung über die vorliegende Rechtssache unangewendet zu lassen.

31.

Die entscheidende Frage ist somit, ob die Ablehnung eines Vertragsschlusses wegen der sexuellen Ausrichtung eines potenziellen Vertragspartners in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fällt, genauer gesagt, ob ein solcher Vertrag eine Bedingung „für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie darstellt.

32.

Aufgrund der Besonderheiten des Sachverhalts der vorliegenden Rechtssache könnte ferner auch Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 anwendbar sein.

33.

Ich werde daher wie folgt vorgehen. Erstens werde ich prüfen, ob Fallgestaltungen wie diejenige der vorliegenden Rechtssache unter Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 fallen (A). Insoweit werde ich erörtern, wie der in dieser Bestimmung verwendete Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit zu verstehen ist und wie er gegebenenfalls vom Begriff der Lieferung von Waren und Erbringung von Dienstleistungen abzugrenzen ist. Ich werde sodann zu der Ansicht kommen, dass der Abschluss eines Einzelvertrags unter den Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 fällt. Im folgenden Abschnitt (B) werde ich kurz untersuchen, ob Art. 3 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie auf die vorliegende Rechtssache anwendbar ist, da das vorlegende Gericht sich in seiner Frage ihrer Formulierung nach ebenfalls auf diese Bestimmung bezogen hat. Nachdem ich festgestellt habe, dass beide Bestimmungen Anwendung finden, werde ich prüfen, ob die Anwendung der Richtlinie 2000/78 möglicherweise aus Gründen der Vertragsfreiheit in ihrer Umsetzung durch Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes ausgeschlossen werden kann (C), und wenn nicht, welche Folgen dies für Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes hat und welche Verpflichtungen sich daraus für das vorlegende Gericht nach dem Unionsrecht ergeben (D).

A.   Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78

34.

Nach ihrem Art. 3 Abs. 1 Buchst. a gilt die Richtlinie 2000/78 für „Bedingungen … für den Zugang zu unselbständiger und selbständiger Erwerbstätigkeit“.

35.

Diese Bestimmung bezieht sich somit ausdrücklich auf Selbständige. Keiner der Beteiligten des vorliegenden Verfahrens hat in Abrede gestellt, dass J. K. als Selbständiger angesehen werden kann. Warum stellt sich dann überhaupt die Frage der Anwendbarkeit dieser Bestimmung?

36.

Zum einen ist, wie vom vorlegenden Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen angeführt, der in der Richtlinie 2000/78 verwendete Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ vom Gerichtshof bisher noch nicht geklärt worden. Da diese Richtlinie nicht auf Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten verweist, ist dieser Begriff als autonomer Begriff des Unionsrechts, dessen Bedeutung und Tragweite in der Tat vom Gerichtshof zu klären sind, auszulegen ( 3 ). Diese Gelegenheit wird dem Gerichtshof somit durch das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen gegeben.

37.

Zum anderen soll nach Ansicht der polnischen Regierung selbst dann, wenn J. K. Selbständiger sei, der Abschluss eines Vertrags mit einer solchen Person, keine Bedingung für den Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit sein.

38.

Ich werde daher zunächst erläutern, dass meines Erachtens eine „selbständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie 2000/78 auch die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen umfasst, wenn sie eine persönliche Tätigkeit beinhalten, die ihr Erbringer in diese Waren oder Dienstleistungen eingebracht hat. Sodann werde ich erläutern, dass für einen Selbständigen der Abschluss eines Vertrags mit einer Person, für die er eine persönliche Tätigkeit zu erbringen hat, eine Bedingung für den Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit darstellt. Beide Erläuterungen führen in Verbindung miteinander zu dem Ergebnis, dass Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 auf eine Fallgestaltung wie diejenige der vorliegenden Rechtssache anwendbar ist.

1. Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit in der Richtlinie 2000/78

39.

In der Richtlinie 2000/78 ist „selbständige Erwerbstätigkeit“ nicht definiert.

40.

In der Lehre wird die Ansicht vertreten, dass selbständige Erwerbstätigkeit häufig als Auffangkategorie verwendet werde, als „eine Art begrifflicher Deponie, auf der all jene Beschäftigungsverhältnisse abgeladen werden, die nicht in die (häufig engen) Formen einer abhängigen Erwerbstätigkeit passen“ ( 4 ). In einer binären Aufteilung von Erwerbstätigkeit sei ein Erwerbstätiger also entweder unselbständig oder selbständig ( 5 ).

41.

Was aber, wenn die Tätigkeit einer Person zugleich als Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen an andere qualifiziert werden kann? Wenn eine Person sich beispielsweise verpflichtet, gegen Entgelt die Wohnung eines anderen zu reinigen oder gegen Entgelt einen Kuchen für den Geburtstag eines anderen zu backen, wird mit ihrer Tätigkeit eine Dienstleistung (Reinigung) erbracht oder eine Ware (Kuchen) geliefert. Wenn die Personen im Beispiel auf diese Weise ihren Lebensunterhalt verdienen, können wir sie zugleich als selbständig Erwerbstätige und als Lieferanten von Waren oder Erbringer von Dienstleistungen betrachten. Als Abnehmer ihrer Waren oder Dienstleistungen können wir zugleich ihre Tätigkeit und das Endergebnis dieser Tätigkeit „kaufen“.

42.

Fallen diese Leistungserbringer unter diesen Umständen unter den Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie 2000/78?

43.

Hier muss die weitere Erörterung kurz unterbrochen und in einem Exkurs geklärt werden, warum sich die Frage der Abgrenzung zwischen selbständiger Erwerbstätigkeit und Lieferung von Waren oder Erbringung von Dienstleistungen im Rahmen der Richtlinie 2000/78 überhaupt stellt.

44.

Diese Richtlinie ist eine der Richtlinien, die auf der Grundlage des jetzigen Art. 19 AEUV ( 6 ) erlassen wurden, mit dem der Europäischen Union eine Zuständigkeit zur Bekämpfung von Diskriminierungen übertragen wurde. Die Richtlinie 2000/78 verbietet Diskriminierungen aus einer Reihe von Gründen, u. a. demjenigen der sexuellen Ausrichtung ( 7 ). Durch diese Richtlinie dürfen Diskriminierungen aus diesen verbotenen Gründen ( 8 ) jedoch nicht allgemein bekämpft werden und werden es auch nicht ( 9 ). Der Unionsgesetzgeber hat „das Schlachtfeld“ dieser Richtlinie auf den Bereich „Beschäftigung und Beruf“ begrenzt.

45.

Gleichzeitig befindet sich seit 2008 der Vorschlag für eine weitere Richtlinie im Gesetzgebungsverfahren der Union ( 10 ). Diese Richtlinie wird, wenn sie (gegebenenfalls) erlassen wird ( 11 ), zum Ziel haben, Diskriminierungen aus denselben wie den nach der Richtlinie 2000/78 verbotenen Gründen in dem dort genannten Bereich, nämlich u. a. des „Zugangs zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“, zu bekämpfen. Der Unionsgesetzgeber hat daher „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ mit Blick auf ein Verbot der Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung eindeutig (noch) nicht geregelt.

46.

Folgt daraus, dass in diesem Gesetzgebungsvorschlag die Formulierung „Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ verwendet wird, dass die Möglichkeit ausgeschlossen ist, dass Lieferanten von Waren oder Erbringer von Dienstleistungen, die das Ergebnis ihrer persönlichen Tätigkeit sind, in den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 fallen können? Meines Erachtens nein.

47.

Weder die Bedeutung des Begriffs „Beschäftigung und Beruf“ in der Richtlinie 2000/78 noch die Bedeutung des Begriffs „Zugang zu und Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ im Vorschlag für die neue Richtlinie ( 12 ) werden in deren jeweiligem Wortlaut näher erläutert. Ferner hat auch der Gerichtshof diese Ausdrücke, einschließlich ihrer Verwendung in der Richtlinie 2000/43 ( 13 ), die im Gegensatz zur Richtlinie 2000/78 sowohl „Beschäftigung und Beruf“ als auch „den Zugang zu und die Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ erfasst, noch nicht definiert ( 14 ).

48.

Meines Erachtens hängt die Antwort auf die Frage, ob eine Person, die ihre Tätigkeit anbietet, indem sie Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, ein selbständig Erwerbstätiger im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 ist, von der Auslegung dessen ab, was mit „Beschäftigung und Beruf“ gemeint ist, da dieser Ausdruck den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 bestimmt. Fällt die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen, die das Ergebnis einer selbständig erbrachten persönlichen Tätigkeit sind, unter diesen Ausdruck, schließt die Verwendung des Wortlauts „Versorgung mit Gütern und Dienstleistungen“ in einem Gesetzgebungsvorschlag (ohne dass seiner Auslegung vorgegriffen werden soll), die Anwendung der Richtlinie 2000/78 auf diese Selbständigen nicht aus.

49.

Was ist also mit dem Wortlaut „Beschäftigung und Beruf“ gemeint (und was nicht)?

a) „Beschäftigung und Beruf“

50.

Nach Art. 1 der Richtlinie 2000/78 ist ihr Zweck die Bekämpfung der Diskriminierung aus den aufgeführten Gründen in „Beschäftigung und Beruf“.

51.

Der Unionsgesetzgeber hat nicht näher erläutert, was mit diesen Begriffen gemeint ist. Hinweise sind jedoch mehreren Erwägungsgründen der Richtlinie 2000/78 zu entnehmen. Der vierte Erwägungsgrund dieser Richtlinie verweist auf das Übereinkommen 111 der Internationalen Arbeitsorganisation (IAO), das diesen Wortlaut selbst ebenfalls verwendet. Dieses Übereinkommen verbietet eine Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf im Sinne eines „alle Erwerbstätigen“ umfassenden Verständnisses, einschließlich derjenigen, die einer selbständigen Tätigkeit nachgehen ( 15 ).

52.

Im neunten Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 wird erläutert, dass „Beschäftigung und Beruf … Bereiche [sind], die für die Gewährleistung gleicher Chancen für alle und für eine volle Teilhabe der Bürger am wirtschaftlichen, kulturellen und sozialen Leben sowie für die individuelle Entfaltung von entscheidender Bedeutung sind“.

53.

Diese beiden Erwägungsgründe ( 16 ) legen nahe, dass die Richtlinie 2000/78 alle Personen schützen soll, die durch Erbringung ihrer Tätigkeit an der Gesellschaft teilhaben.

54.

Die Rechtsprechung hat diese Auslegung bestätigt. Nach der von Generalanwalt Richard de la Tour in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache HK vertretenen Ansicht ist „Zweck dieser Richtlinie … – aus im sozialen und öffentlichen Interesse liegenden Gründen – die Beseitigung aller auf Diskriminierungsgründe gestützter Hindernisse für den Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal in welcher Rechtsform, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten“ ( 17 ). Diese Ansicht wurde vom Gerichtshof in seinem kürzlich ergangenen Urteil HK bestätigt ( 18 ).

55.

Damit stimme ich voll und ganz überein. Der Zweck der Richtlinie 2000/78 lässt sich dahin auslegen, dass mit ihr Diskriminierungen u. a. wegen der sexuellen Ausrichtung im Arbeitsleben einer Person verboten werden sollen ( 19 ). Durch die Ausrichtung auf „Beschäftigung und Beruf“ soll sie den Bürgern ermöglichen, ihr Potenzial zu entfalten und mit der Erbringung ihrer Tätigkeit ihren Lebensunterhalt zu verdienen.

56.

Diese Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Selbstverwirklichung des Einzelnen wird durch die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) anerkannt. Nach Art. 15 Abs. 1 der Charta hat jede Person das Recht, zu arbeiten und einen frei gewählten oder angenommenen Beruf auszuüben ( 20 ).

57.

Durch die Richtlinie 2000/78 vor Diskriminierung geschützt werden sollen somit Erwerbstätige, und durch Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie soll ein diskriminierungsfreier Zugang zur Erwerbstätigkeit ermöglicht werden.

58.

Wie ist der Begriff „Erwerbstätigkeit“ mit Blick auf die Bestimmung des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/78 zu verstehen? Die jüngere Rechtsprechung hat bestätigt, dass der Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 weit auszulegen ist ( 21 ) und nicht allein auf die Bedingungen für den Zugang zu Positionen begrenzt ist, die von „Arbeitnehmern“ im Sinne von Art. 45 AEUV besetzt werden ( 22 ).

59.

Daher ist die Richtlinie 2000/78, was den Schutz von Erwerbstätigen angeht, nicht lediglich auf „Arbeitnehmer“ im Sinne des Freizügigkeitsrechts oder des auf der Grundlage von Art. 153 AEUV ergangenen Sekundärrechts ausgerichtet ( 23 ). Wenngleich die Richtlinie 2000/78 über „Arbeitnehmer“ im Sinne von Art. 45 AEUV hinausgeht, sind die Letzteren indes selbstverständlich auch von ihr umfasst ( 24 ).

60.

Im 21. Jahrhundert bedarf es eines weiteren Verständnisses von einem Erwerbstätigen ( 25 ). Heute ist ein Erwerbstätiger jemand, der eigene Zeit, eigenes Wissen, eigene Fähigkeiten, Kraft und häufig Begeisterung einbringt, um für jemand anderen, und nicht für sich selbst, eine Leistung zu erbringen oder ein Produkt zu schaffen, für die dieser Person (grundsätzlich) ein Entgelt versprochen wird.

61.

Die Richtlinie 2000/78 soll den Weg ebnen zu einem diskriminierungsfreien Zugang zu jeder Erwerbstätigkeit, die dazu erbracht wird, seinen Lebensunterhalt zu verdienen, und zwar in jeder der verschiedenen Formen, in denen eine Tätigkeit angeboten werden kann. Bei einem solchen Verständnis des Zwecks der Richtlinie 2000/78 ist es, wie im folgenden Abschnitt erläutert werden wird, durch nichts gerechtfertigt, von ihrem Geltungsbereich eine selbständige Tätigkeit auszunehmen, die in der Lieferung von Waren oder der Erbringung von Dienstleistungen gleich welcher rechtlich zur Verfügung stehenden Gestaltungsform besteht.

b) Vielfalt der Erwerbstätigkeit und warum die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen von der Richtlinie 2000/78 nicht ausgenommen werden können

62.

Erwerbstätigkeit bezieht sich sowohl auf die Tätigkeit als auch auf das Ergebnis dieser Tätigkeit ( 26 ). Für die Anwendung des Antidiskriminierungsrechts auf den Bereich „Beschäftigung und Beruf“ macht es keinen Unterschied, ob ein Erwerbstätiger das Ergebnis seiner Tätigkeit im Voraus an den Abnehmer überträgt, wie es in einem klassischen Arbeitsverhältnis der Fall ist, oder ob er es im Nachhinein als Ware oder Dienstleistung einem Abnehmer anbietet. In beiden Fällen verdient der Erwerbstätige seinen Lebensunterhalt und hat an der Gesellschaft teil, indem er seine persönliche Tätigkeit einbringt.

63.

Ein und dieselbe Tätigkeit kann in vielen Formen erbracht werden, auch wenn die herkömmliche unselbständige Erwerbstätigkeit im Sinne von Erwerbstätigkeit, die in Vollzeit, unbefristet und im Rahmen eines Unterordnungs- und zweiseitigen Arbeitsverhältnisses erbracht wird ( 27 ), immer noch das verbreitetste Modell darstellt. Nicht typische Formen von Erwerbstätigkeit nehmen jedoch zu ( 28 ), was zu einer Fragmentierung des Arbeitsmarkts führt ( 29 ) und neue regulatorische Herausforderungen schafft ( 30 ).

64.

Eine Person kann ihren Lebensunterhalt verdienen, indem sie für lediglich einen oder für mehrere „Arbeitgeber“, für längere oder kürzere Zeiträume, in Teilzeit oder nur saisonal, an einem Ort oder an verschiedenen Orten, unter Verwendung ihrer eigenen Mittel oder der Mittel eines anderen erwerbstätig ist. Ebenso kann eine Tätigkeit zeitabhängig (z. B. für 20 Stunden im Monat) oder abhängig von den zu erfüllenden Aufgaben (z. B. sechs Wände weiß zu streichen) vereinbart werden ( 31 ).

65.

Es gibt also verschiedene Wege, auf denen eine Person ein und dieselbe Tätigkeit übernehmen kann. Das bedeutet auch, dass ein und dieselbe Tätigkeit in verschiedenen rechtlichen Rahmen erbracht werden kann. Der rechtliche Rahmen, der für eine bestimmte, zur Verfügung stehende Art von Erwerbstätigkeit gilt, kann von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterschiedlich sein.

66.

Diese verschiedenen rechtlichen Rahmen sollten daher für die Anwendung der Richtlinie 2000/78 nicht relevant sein. Für ihre Anwendung wichtig ist, dass eine Person eine persönliche Tätigkeit übernimmt, unabhängig davon, in welcher rechtlichen Form sie erbracht wird.

67.

Der Gedanke der „persönlichen Tätigkeit“ ist im Bereich des Arbeitsrechts als Reaktion auf die Fragmentierung der Erwerbstätigkeit entwickelt worden, in deren Folge viele Einzelpersonen vom Schutz des Arbeitsrechts ausgeschlossen bleiben, da sie nicht unter das herkömmliche Verständnis von einem Arbeitnehmer fallen ( 32 ). So wurde die persönliche Tätigkeit als Kriterium dafür ins Feld geführt, zu bestimmen, zu Gunsten welcher Erwerbstätigen das Arbeitsrecht gilt und zugunsten welcher nicht.

68.

Arbeitsrechtler neigen jedoch dazu, alle Erwerbstätigen, die persönlich Leistungen erbringen, in den Anwendungsbereich des Arbeitsrechts einzubeziehen, und dagegen jene auszunehmen, die „tatsächlich für eigene Rechnung ein Unternehmen betreiben“ ( 33 ).

69.

Meines Erachtens sollte das Antidiskriminierungsrecht der Union von einem noch weiter gefassten Verständnis der persönlichen Tätigkeit ausgehen, das Unternehmen dann nicht ausschließt ( 34 ), wenn ein Unternehmer eine persönliche Tätigkeit erbringt.

70.

Der Grund hierfür ergibt sich aus den unterschiedlichen Zielen der Regelungen im Bereich der Antidiskriminierung bzw. des Arbeitsrechts.

71.

Das Arbeitsrecht (mit Art. 153 AEUV als seiner Rechtsgrundlage in der Union) soll einen Erwerbstätigen gegenüber einer Person, der er Waren liefert oder Dienstleistungen erbringt, in der Annahme schützen, dass er sich in einem solchen Beschäftigungsverhältnis in einem Unterordnungsverhältnis und daher in einer schwächeren Position befindet.

72.

Die Richtlinie 2000/78, die auf der Rechtsgrundlage des jetzigen Art. 19 AEUV erlassen wurde, hat ein anderes Ziel ( 35 ). Es handelt sich um ein Instrument, mit dem gleiche Chancen für die Erwerbstätigkeit für jedermann geschaffen werden sollen. Diese Chancengleichheit setzt voraus, dass der Zugang einer Person zur Erwerbstätigkeit u. a. nicht durch ihre sexuelle Ausrichtung beschränkt wird. Die Umsetzung der Richtlinie 2000/78 sollte daher zu einem Ergebnis führen, bei dem jede Person oder jedes Unternehmen, die oder das eine Tätigkeit nachfragt, für die Eigenschaften eines potenziellen Erbringers einer Tätigkeit, gegenüber dem eine Diskriminierung, u. a. wegen seiner sexuellen Ausrichtung verboten ist, „blind“ wird.

73.

Daher kann die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen als Form einer persönlichen Tätigkeit vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 nicht ausgenommen werden.

74.

Lassen Sie mich anhand eines Beispiels erläutern, was ich meine. Eine Frau verfügt über IT‑Kenntnisse und kann beispielsweise Software erstellen, die maschinelle Lernalgorithmen verwendet. Die erste Option, die dafür in Betracht kommt, wie sie eine Tätigkeit übernehmen könnte, für die sie qualifiziert ist, ist diejenige, dass sie aufgrund eines Vollzeitarbeitsvertrags von einer Softwareentwicklungsfirma eingestellt würde.

75.

Sie mag es jedoch unbefriedigend finden, nur für ein einziges Unternehmen tätig zu sein, und sich daher dafür entscheiden, diese Tätigkeit als Selbständige mehreren Unternehmen anzubieten. Sie könnte beispielsweise versuchen, eine ständige Geschäftsbeziehung zu einem Unternehmen aufzubauen, um sicherzustellen, dass sie eine regelmäßige Vergütung erhält. Dies kann aufgrund eines Vertrags über die Lieferung bestimmter Waren oder die Erbringung bestimmter Dienstleistungen (z. B. die Entwicklung maßgeschneiderter maschineller Lernalgorithmen, Wartung der Software des Unternehmens und Schulung seiner Mitarbeiter in ihrer Anwendung) erreicht werden. Ein solcher Vertrag könnte für eine bestimmte Laufzeit befristet, etwa für ein Jahr, geschlossen werden und sich jeweils um ein Jahr verlängern. Zugleich wird sie sich bemühen, andere Unternehmen zu finden, die möglicherweise Bedarf für ihre Tätigkeit haben. Mit diesen anderen Unternehmen oder Einzelpersonen könnte sie möglicherweise nur einen konkreten Vertrag über die Entwicklung der von ihnen benötigten maschinellen Lernalgorithmen abschließen.

76.

Als selbständige Einzelperson unterhielte sie daher verschiedene Arten von Vertragsverhältnissen. Die erste Art aufgrund des Vertrags über Dienstleistungen, die sie für eine bestimmte Anzahl von Stunden pro Monat oder pro Jahr anbietet, und weitere Arten aufgrund von Verträgen über das Endergebnis, nämlich auf den Bedarf eines bestimmten Kunden zugeschnittene Software. Sämtliche vorstehend beschriebenen Tätigkeiten können auf der Grundlage von mit der betreffenden IT‑Fachkraft einzeln abgeschlossenen Verträgen über Waren oder Dienstleistungen erbracht werden. Die vorgenannte IT‑Fachkraft kann sich jedoch auch dafür entscheiden, ein Unternehmen zu gründen und ihre Tätigkeit über dieses Unternehmen zu vertreiben.

77.

Beispielsweise könnten in einigen Mitgliedstaaten unmittelbar aufeinander folgende einzelne Dienstleistungsverträge mit demselben Unternehmen verboten sein. Dies könnte sogar auf die Umsetzung arbeitsrechtlicher Regelungen des Unionsrechts zurückzuführen sein, mit denen gewährleistet werden soll, dass Erwerbstätige sicherere unbefristete Beschäftigungsverträge erhalten ( 36 ). Unsere IT‑Fachkraft möchte sich jedoch nicht einstellen lassen. Das Unternehmen, für das sie aufgrund unmittelbar aufeinander folgender Ein-Jahres-Dienstleistungsverträge tätig ist, sieht ebenfalls keinen Anlass, sie einzustellen, möchte andererseits aber weiterhin mit ihr zusammenarbeiten. Unter diesen Umständen könnte unsere IT‑Fachkraft sich dafür entscheiden, ihr eigenes Unternehmen zu gründen. Sie könnte somit demselben Unternehmen ihre Tätigkeit weiterhin über ihr eigenes Unternehmen anbieten, ohne dass die Regelungen zur Anwendung kämen, nach denen unmittelbar aufeinander folgende befristete Dienstleistungsverträge verboten sind.

78.

In sämtlichen Varianten des vorstehenden Beispiels erbrachte die IT‑Fachkraft dieselbe Art von Tätigkeit, und von den Unternehmen oder Einzelpersonen, mit denen sie Verträge abschloss, wurde derselbe Bedarf für die Tätigkeit gedeckt.

79.

Es spricht jedoch etwas dafür, dass der mit ihr persönlich geschlossene Vertrag tatsächlich eine Form der selbständigen Erwerbstätigkeit darstellt, während dies bei dem mit ihrem Unternehmen geschlossenen Vertrag nicht der Fall ist, weil es sich um eine Lieferung von Waren oder eine Erbringung von Dienstleistungen handelt. Im ersteren Fall kauft der potenzielle „Arbeitgeber“ ihre „Tätigkeit“ und im letzteren Fall ihre „Waren“ oder „Dienstleistungen“.

80.

Macht dies im Licht der Richtlinie 2000/78, die das Recht von Menschen schützen soll, an der Gesellschaft teilzuhaben und ihren Lebensunterhalt durch ihre persönliche Tätigkeit zu verdienen, wirklich einen Unterschied? Lehnt ein Unternehmen ab, mit unserer hypothetischen IT‑Fachkraft einen Vertrag abzuschließen, weil sie homosexuell ist (oder einer bestimmten Religion angehört oder zu alt oder zu jung ist) oder weil sie irgendein anderes verbotenes Merkmal aufweist, das mit ihrer Fähigkeit, die maschinelle Lernsoftware zu entwickeln, nichts zu tun hat, wird ihr der Zugang zu dieser bestimmten Tätigkeit verwehrt und somit ihr Zugang zur Erwerbstätigkeit beschränkt.

81.

Es wäre unproblematisch davon auszugehen, dass diese Diskriminierung nicht zulässig wäre, wenn sie ein herkömmliches Arbeitsverhältnis anstreben würde. Warum sollte dies nicht auch in allen anderen Fallgestaltungen gelten, in denen sie ihre Tätigkeit aufgrund von Waren- oder Dienstleistungsverträgen mit ihr persönlich oder aufgrund von Waren- oder Dienstleistungsverträgen mit ihrem Unternehmen angeboten, sich aber zu einer persönlichen Tätigkeit verpflichtet hat?

82.

Im Wesentlichen besteht weder aus der Sicht der die Tätigkeit erbringenden Person noch aus der Sicht eines Unternehmens, das ihre persönliche Tätigkeit einkauft, ein Unterschied. Sie erbringt die Tätigkeit, die von jemand anderem benötigt wird. Vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78, die darauf abzielt, einen diskriminierungsfreien Zugang zu Mitteln zur Sicherung des Lebensunterhalts und die Fähigkeit, durch Arbeit, egal in welcher Rechtsform, einen gesellschaftlichen Beitrag zu leisten ( 37 ), einige dieser Fallkonstellationen auszunehmen, dürfte meines Erachtens mit den Zielen dieser Richtlinie kaum in Einklang zu bringen sein.

83.

Es macht für die Anwendung des Antidiskriminierungsrechts keinen Unterschied, ob eine Person, die eine Tätigkeit erbringt, gleichzeitig als Unternehmen anzusehen ist und sich daher gegenüber einem potenziellen „Arbeitgeber“ in einer gleich- und nicht in einer untergeordneten Position befindet ( 38 ). Schließlich sind Selbständige in einigen Rechtsordnungen, zumindest in bestimmten Berufen, verpflichtet, sich als Unternehmen eintragen zu lassen, oder sind zumindest üblicherweise in dieser Weise organisiert.

84.

Ein Beispiel hierfür sind Handelsvertreter. Das Verhältnis zwischen Handelsvertretern und ihren Unternehmen ist eine Geschäftsbeziehung zwischen Unternehmen. In den meisten Fällen sind die Handelsvertreter jedoch selbständige Einzelpersonen, die zugleich Alleininhaber von Unternehmen oder kleiner oder mittlerer Unternehmen (KMU) sind ( 39 ). Könnte ein eine Handelsvertretung suchendes Unternehmen den Abschluss eines Vertrags mit einem Handelsvertreter allein wegen einer bestimmten sexuellen Ausrichtung des Handelsvertreters ablehnen? Wäre eine solche Ablehnung von der Richtlinie 2000/78 nicht erfasst?

85.

Wenn schließlich die persönliche Lieferung von Waren und die persönliche Erbringung von Dienstleistungen vom Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 ausgenommen wären, könnten Unternehmen oder Einzelpersonen, die Bedarf für die Ausführung einer bestimmten Tätigkeit haben, das Diskriminierungsverbot dadurch umgehen, dass sie sich dafür entschieden, Waren oder Dienstleistungen zu „kaufen“, statt einen Leistungserbringer einzustellen. Dies stände, wie von J. K. und der Kommission angeführt, der praktischen Wirksamkeit dieser Richtlinie entgegen.

86.

Soll eine Diskriminierung aus den aufgezählten Gründen in Bezug auf den Zugang zur Erwerbstätigkeit verboten werden, kann die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen daher nicht vom Begriff der selbständigen Erwerbstätigkeit in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 ausgenommen sein, solange ein Leistungserbringer seine persönliche Tätigkeit anbietet, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen.

87.

Wie sich aus dem Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache ergibt, bestand bei TP ein Bedarf für die Dienste eines Redakteurs. Dieser Fernsehsender hielt es aus nicht mitgeteilten Gründen (möglicherweise, weil es kostengünstiger war) für vorzugswürdig, Redaktionsleistungen eines unabhängigen Auftragnehmers einzukaufen, anstatt einen Redakteur einzustellen. Bei einem anderen Fernsehsender wäre diese Kalkulation möglicherweise anders ausgefallen – es könnte kostengünstiger sein oder als weniger risikoreich anzusehen sein, einen Teil- oder Vollzeitredakteur einzustellen. Meines Erachtens ist kein stichhaltiger Grund dafür ersichtlich, weshalb die Richtlinie 2000/78 dahin zu verstehen sein sollte, dass sie dem Fernsehsender eine Berücksichtigung der sexuellen Ausrichtung in dem Fall verbietet, dass ein Redakteur eingestellt wird, nicht aber in dem Fall, dass ihm unmittelbar oder über sein Unternehmen für seine Leistungen ein Auftrag erteilt wird. Aus Sicht sowohl des Fernsehsenders als auch des Redakteurs ist der Sachverhalt im Wesentlichen derselbe: Der Fernsehsender bezieht Redaktionsleistungen, die er benötigt, und der Redakteur bietet seine persönliche Tätigkeit an.

Zwischenergebnis

88.

Der Begriff „selbständige Erwerbstätigkeit“ im Sinne der Richtlinie 2000/78 umfasst die Lieferung von Waren und die Erbringung von Dienstleistungen, wenn der Leistungserbringer eine persönliche Tätigkeit übernimmt. In diesem Fall darf ein potenzieller Abnehmer von Waren oder Dienstleistungen den Abschluss eines Vertrags nicht wegen der sexuellen Ausrichtung des Leistungserbringers ablehnen.

2. Ist der Abschluss eines einzelnen Vertrags eine „[Bedingung] für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78?

89.

Nach Ansicht der polnischen Regierung soll die Ablehnung des Abschlusses eines einzelnen Vertrags über Dienstleistungen nicht unter den Begriff „[Bedingung] für den Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 fallen. Der Begriff „[Bedingung] für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ beziehe sich nur auf allgemeine Bedingungen für die Ausübung bestimmter Berufe. Diese Regelung betreffe, wie von der polnischen Regierung in der mündlichen Verhandlung ausgeführt, nur regulierte Berufe. Im vorliegenden Fall sei J. K. durch keine Vorschrift des öffentlichen Rechts daran gehindert, seine Redaktionsleistungen anzubieten. Es gebe daher keine Beschränkung für seinen Zugang zu diesem Beruf. Eine einzelne Entscheidung eines potenziellen Abnehmers einer Dienstleistung sei daher keine „[Bedingung] für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“. Vielmehr gelte für eine solche Entscheidung die freie Wahl des Vertragspartners.

90.

Nach Ansicht von J. K., der belgischen, der niederländischen und der portugiesischen Regierung sowie der Europäischen Kommission soll Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 Anwendung finden, wenn der Abschluss eines Vertrags mit einem Selbständigen wegen der sexuellen Ausrichtung abgelehnt werde.

91.

Der Gerichtshof hatte im Urteil LGBTI ( 40 ) Gelegenheit, den Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu unselbständiger … Erwerbstätigkeit“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 zu präzisieren, einer Rechtssache, in der es ebenfalls um eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung ging. Der Gerichtshof stellte zunächst fest, dass dieser Ausdruck entsprechend seinem Sinn nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch und unter Berücksichtigung des Zusammenhangs, in dem er verwendet wird, sowie der Ziele, die mit der Regelung verfolgt werden, zu der er gehört, auszulegen ist ( 41 ). Ausgehend hiervon kam er zu dem Schluss, dass mit Bedingungen für den Zugang „Umstände oder Tatsachen erfasst [werden], deren Existenz zwingend nachgewiesen werden muss, damit einer Person eine bestimmte Beschäftigung oder ein bestimmter Beruf zugänglich ist“ ( 42 ).

92.

Auch wenn der Gerichtshof sich im Urteil LGBTI nur auf den Zugang zu unselbständiger Erwerbstätigkeit bezog, gilt dies ebenso für den Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“, da Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 sich gleichermaßen auf unselbständige und selbständige Erwerbstätigkeit bezieht. Daher sind mit Bedingungen für den Zugang zu selbständiger Erwerbstätigkeit Umstände oder Tatsachen gemeint, die zwingend nachgewiesen werden müssen, damit einer Person eine bestimmte Tätigkeit als Selbständiger zugänglich ist.

93.

Ein Selbständiger nimmt eine Tätigkeit durch Abschluss eines Vertrags über Dienstleistungen oder eines ähnlichen zivilrechtlichen Vertrags auf. Macht der potenzielle Abnehmer der Leistungen eines Selbständigen den Zugang zu einer Tätigkeit davon abhängig, dass die sie erbringende Person nicht homosexuell sein darf, liegt auf der Hand, dass diese bestimmte Tätigkeit einer Person mit dieser sexuellen Ausrichtung nicht zugänglich ist.

94.

Wenn daher im Fall einer herkömmlichen unselbständigen Erwerbstätigkeit die Ablehnung des Abschlusses eines Arbeitsvertrags mit einer Person wegen ihrer sexuellen Ausrichtung nach Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 verboten ist, muss die Ablehnung des Abschlusses eines Dienstleistungsvertrags oder ähnlichen Vertrags mit einem selbständig Erwerbstätigen wegen seiner sexuellen Ausrichtung nach dieser Bestimmung ebenfalls verboten sein, da sie sich sowohl auf die unselbständige als auch die selbständige Erwerbstätigkeit bezieht.

95.

Schließlich möchte ich noch auf eine weitere, in der mündlichen Verhandlung erörterte Frage eingehen. Wäre Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 selbst in dem hypothetischen Fall anwendbar, dass ein selbständig Erwerbstätiger wie J. K. nicht bereits in einem seit Langem bestehenden vorherigen Beschäftigungsverhältnis gestanden hätte, sondern sich erstmals um die Tätigkeit beworben hätte und ihm ein Vertrag wegen seiner sexuellen Ausrichtung verwehrt worden wäre? Macht mit anderen Worten die Kontinuität der Erwerbstätigkeit irgendeinen Unterschied?

96.

Nach der von J. K. und der Kommission vertretenen Ansicht sollte sich auch bei erstmaliger Bewerbung kein Unterschied ergeben. Die polnische Regierung hielt an ihrem schon vorher vertretenen Standpunkt fest, dass einzelne Entscheidungen dieser Art nicht unter den Begriff „Bedingungen … für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ fielen.

97.

Ich stimme mit der von J. K. und der Kommission vertretenen Ansicht überein. Gegenstand der Regelung in Buchst. a ist der Zugang zur Erwerbstätigkeit. Vorherige Beschäftigungsverhältnisse stehen mit einer Bewerbung für eine Tätigkeit und dem Erfolg in Form des Abschlusses eines Vertrags in keinem Zusammenhang. Mit anderen Worten fällt die Ablehnung, den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrag abzuschließen, nicht deshalb unter Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78, weil J. K. vorherige Verträge mit TP hatte, sondern deshalb, weil ihm dadurch, dass TP den Abschluss eines neuen Vertrags mit ihm abgelehnt hat, der Zugang zu neuer Erwerbstätigkeit verwehrt wurde.

Zwischenergebnis

98.

Die Ablehnung des Abschlusses eines einzelnen Dienstleistungsvertrags mit einem Selbständigen, der durch die sexuelle Ausrichtung dieser Person motiviert ist, fällt unter den Ausdruck „Bedingungen … für den Zugang zu … selbständiger Erwerbstätigkeit“ in Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78.

B.   Anwendbarkeit von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78

99.

Unter den konkreten Umständen der vorliegenden Rechtssache wird J. K. durch die Ablehnung des Abschlusses des Vertrags mit ihm nicht nur der Zugang zu einer neuen Tätigkeit verwehrt, sondern es wird damit auch sein über sieben Jahre bestehendes Beschäftigungsverhältnis mit TP allein wegen seiner sexuellen Ausrichtung beendet. Meines Erachtens ist daher in der vorliegenden Rechtssache Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 ebenfalls anwendbar.

100.

Nach Ansicht der polnischen Regierung soll Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 nicht anwendbar sein, weil zum einen die selbständige Erwerbstätigkeit in dieser Bestimmung nicht ausdrücklich erwähnt werde und zum anderen Selbständige jedenfalls nicht „entlassen“ werden könnten.

101.

Meines Erachtens ergänzt Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 dessen Buchst. a. Während Letzterer für den Zugang zur Erwerbstätigkeit gilt, gilt Ersterer für die Bedingungen der Tätigkeit einschließlich ihrer Beendigung. Dass in Buchst. c die selbständige Erwerbstätigkeit nicht erwähnt wird, ist daher mit der Unklarheit der gesetzgeberischen Formulierung zu erklären und nicht damit, dass der Gesetzgeber Selbständige hätte ausnehmen wollen. Während nämlich Art. 3 Abs. 1 Buchst. a sich sowohl auf den persönlichen als auch den sachlichen Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 bezieht, bezieht Buchst. c sich ausschließlich auf ihren sachlichen Geltungsbereich.

102.

Ferner ist zwar richtig, dass Selbständige nicht entlassen werden können, sofern das Wort Entlassung ausschließlich im Zusammenhang mit unselbständiger Erwerbstätigkeit verwendet wird. Darauf kommt es jedoch nicht an. In Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78 sind Entlassungen als Beispiel für das genannt, was unter dem Begriff „Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen“ zu verstehen ist. Diese Bestimmung gilt für alle Bedingungen der Tätigkeit und für ihre Beendigung ( 43 ).

Zwischenergebnis

103.

Ein Sachverhalt wie derjenige der vorliegenden Rechtssache, in dem ein Selbständiger bereits in einem Beschäftigungsverhältnis mit dem Abnehmer der Dienstleistungen gestanden hatte, der den Abschluss des neuen Vertrags allein wegen seiner sexuellen Ausrichtung abgelehnt hat, fällt in den Geltungsbereich von Art. 3 Abs. 1 Buchst. c der Richtlinie 2000/78.

C.   Kann eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung durch die Vertragsfreiheit gerechtfertigt werden?

104.

Eine weitere Frage, die das Vorabentscheidungsersuchen implizit aufwirft, ist, ob TP sich auf die Vertragsfreiheit im Sinne des Rechts der freien Wahl des Vertragspartners nach Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes berufen kann, so dass die Anwendung der Richtlinie 2000/78 ausgeschlossen ist.

105.

Nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 kann die Anwendung dieser Richtlinie ausnahmsweise durch einzelstaatliche Maßnahmen ausgeschlossen werden, wenn sie u. a. zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer notwendig sind. Der Gerichtshof hat klargestellt, dass diese Bestimmung als Abweichung vom Grundsatz des Verbots der Diskriminierungen eng auszulegen ist ( 44 ).

106.

Kann Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes als eine Maßnahme betrachtet werden, die in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Freiheiten anderer im Sinne von Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 notwendig ist?

107.

Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes garantiert die freie Wahl des Vertragspartners. Nach dieser Bestimmung kann diese Freiheit beschränkt werden, um Diskriminierungen wegen des Geschlechts, der Rasse, der ethnischen Herkunft oder der Nationalität zu verhindern. Nicht vorgesehen ist die Beschränkung der Vertragsfreiheit jedoch in dem Fall, dass die Wahl zu einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung führt. Es ist somit nach diesem Gesetz zulässig, die Entscheidung, ob ein Vertrag geschlossen wird, von der sexuellen Ausrichtung eines potenziellen Vertragspartners abhängig zu machen.

108.

Nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 verstößt eine einzelstaatliche Bestimmung, die eine Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung zulässt, nicht gegen diese Richtlinie, wenn sie notwendig ist, um Vertragsfreiheit zu gewähren.

109.

Vorab und vor jeder Prüfung der Verhältnismäßigkeit muss ich darauf hinweisen, dass mir die Vorstellung einer Prüfung dieser Frage in Bezug auf eine Abwägung Schwierigkeiten macht. Kann nämlich die Zulassung einer Diskriminierung wegen eines der verbotenen Gründe in einer Gesellschaft, die auf dem Wert der Gleichheit beruht, überhaupt Teil der Vertragsfreiheit sein ( 45 )?

110.

Wenn jedoch davon ausgegangen werden kann, dass die Vertragsfreiheit durch das Verbot von Diskriminierungen wegen der in der Richtlinie 2000/78 genannten Gründe eingeschränkt ist, führt eine klassische Verhältnismäßigkeitsprüfung zu dem Ergebnis, dass die Zulassung einer Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung nicht notwendig ist, um die Vertragsfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft zu schützen.

111.

Auf abgekürztem Weg folgt das Ergebnis, dass Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der Vertragsfreiheit nicht notwendig ist, bereits daraus, dass diese Bestimmung bereits Diskriminierungen wegen des Geschlechts, der Rasse oder der ethnischen Herkunft bei der Wahl des Vertragspartners verbietet. Dies für sich genommen belegt bereits, dass der polnische Gesetzgeber die Diskriminierungsfreiheit nicht als notwendig betrachtet, um in einer demokratischen Gesellschaft Vertragsfreiheit zu garantieren.

112.

Zwischen zwei Grundrechten wird in der Weise abgewogen, dass geprüft wird, ob eines von ihnen unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Da nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie 2000/78 die Vertragsfreiheit als Rechtfertigung für eine Abweichung von dieser Richtlinie angeführt wird, ist paradoxerweise eine umgekehrte Prüfung vorzunehmen. Es stellt sich somit die Frage, ob die Vertragsfreiheit durch die Richtlinie 2000/78 unverhältnismäßig eingeschränkt wird. Sollte sich dies nicht bestätigen, folgt daraus das Ergebnis, dass das nationale Recht zum Schutz der als Rechtfertigung angeführten Freiheit (Vertragsfreiheit) in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist ( 46 ).

113.

Auf die vorliegende Rechtssache angewendet, stellt sich die vorzunehmende Prüfung wie folgt dar: Ausgangspunkt ist die Feststellung, dass das als Rechtfertigung angeführte Recht, hier die Vertragsfreiheit, kein absolutes Recht ist ( 47 ). Sie kann durch Gesetz eingeschränkt werden, um gesellschaftlich akzeptable Ziele zu erreichen, sofern der Wesensgehalt dieses Rechts nicht beeinträchtigt wird und die Einschränkung im Hinblick auf die verfolgten Ziele verhältnismäßig (geeignet und erforderlich) ist.

114.

Die Voraussetzung, dass eine Einschränkung der Vertragsfreiheit durch Gesetz vorgesehen ist, ist erfüllt, da sie in einer Unionsrichtlinie geregelt ist.

115.

Zweitens ist das Ziel der Richtlinie 2000/78, Gleichheit in „Beschäftigung und Beruf“ in allen Mitgliedstaaten der Union zu verwirklichen. Diese Richtlinie trägt auch zur Erreichung anderer, in den Verträgen genannter Ziele bei. Nach dem elften Erwägungsgrund „[können] Diskriminierungen wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung … die Erreichung eines hohen Beschäftigungsniveaus und eines hohen Maßes an sozialem Schutz, die Hebung des Lebensstandards und der Lebensqualität, den wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhalt, die Solidarität sowie die Freizügigkeit [unterminieren]“. Die Richtlinie 2000/78 schränkt die Vertragsfreiheit daher ein, um Gleichheit und weitere wichtige Ziele der Union zu erreichen, bei denen es sich um legitime Ziele handelt.

116.

Drittens schränkt diese Richtlinie die freie Wahl des Vertragspartners lediglich insoweit ein, als sie die Möglichkeit ausschließt, dass diese Wahl auf einen der aufgeführten Gründe gestützt wird. Sie hindert Arbeitgeber oder andere in einer vergleichbaren Situation nicht daran, die für die Tätigkeit am besten geeignete Person auszuwählen. Insoweit wird im 17. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78 erläutert, dass mit ihr „nicht die Einstellung, der berufliche Aufstieg, die Weiterbeschäftigung oder die Teilnahme an Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen einer Person vorgeschrieben wird, wenn diese Person für die Erfüllung der wesentlichen Funktionen des Arbeitsplatzes … nicht kompetent, fähig oder verfügbar ist“. Hierin liegt meines Erachtens der Wesensgehalt der Vertragsfreiheit.

117.

Eine Entscheidung gegen eine Einstellung oder für eine Entlassung kann auf verschiedene, für die in Rede stehende Tätigkeit relevante Gründe gestützt werden ( 48 ). Daher wird durch das Verbot einer Diskriminierung wegen der aufgeführten Gründe bei der Wahl des Vertragspartners der Wesensgehalt der Vertragsfreiheit nicht berührt.

118.

Wenn schließlich anerkannt wird, dass eine Einschränkung der Vertragsfreiheit tatsächlich gegeben ist, müsste diese weiterhin für die Erreichung des legitimen Ziels/der legitimen Ziele der Richtlinie 2000/78 als geeignet und erforderlich angesehen werden können. Ich werde die Prüfung der Verhältnismäßigkeit auf das Ziel der Bekämpfung der Diskriminierung in Beschäftigung und Beruf beschränken, da diese das Ziel darstellt, das mit der Rechtsgrundlage, auf die der Erlass dieser Richtlinie gestützt wurde, unmittelbar im Zusammenhang steht ( 49 ).

119.

Indem die Richtlinie 2000/78 die Möglichkeit einer Diskriminierung wegen verbotener Gründe ausschließt und in Art. 17 die Mitgliedstaaten verpflichtet, bei ihrer Umsetzung wirksame und abschreckende Sanktionen vorzusehen, ist sie geeignet, zur Bekämpfung von Diskriminierungen beizutragen, da dies voraussichtlich dazu führen wird, dass ein solches Verhalten immer weniger und schließlich gar nicht mehr vorkommt.

120.

Eine von Diskriminierungen aus verbotenen Gründen in Beschäftigung und Beruf freie Gesellschaft kann nur erreicht werden, wenn die durch die Richtlinie 2000/78 verbotenen Merkmale von niemandem, der Bedarf für die Tätigkeit eines anderen hat und diese nachfragt, berücksichtigt werden. Ist dies nicht der Fall, haben Personen, auf die diese Merkmale zutreffen, keine gleichen Chancen beim Zugang zur Erwerbstätigkeit. Dass in einer Gesellschaft, in der solche Besorgnisse weiterhin eine Rolle spielen, solche Auswahlentscheidungen verboten werden und ihnen durch geeignete Sanktionen entgegengewirkt wird, stellt daher ein Mindestmaß dessen dar, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Eine mildere Alternative, um das Ziel der Diskriminierungsfreiheit von Beschäftigung und Beruf zu erreichen, ist meines Erachtens nicht ersichtlich.

121.

Da somit die Vertragsfreiheit, die Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes schützen soll, durch die Richtlinie 2000/78 nicht unverhältnismäßig eingeschränkt wird, kann diese Vorschrift nicht dahin verstanden werden, dass sie in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der freien Wahl des Vertragspartners notwendig ist.

Zwischenergebnis

122.

Eine einzelstaatliche Bestimmung wie Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes ist in einer demokratischen Gesellschaft zum Schutz der freien Wahl des Vertragspartners nicht notwendig. Diese Bestimmung kann daher einen Ausschluss der Anwendung der Richtlinie 2000/78 nach Art. 2 Abs. 5 der Richtlinie nicht rechtfertigen.

D.   Pflichten eines vorlegenden Gerichts im Fall eines Konflikts zwischen der nationalen Rechtsvorschrift und der Richtlinie 2000/78

123.

Da Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes in einer demokratischen Gesellschaft nicht notwendig ist, ist die Richtlinie 2000/78 in der vorliegenden Rechtssache auf die Ablehnung des Abschlusses eines Vertrags mit einem Selbständigen wegen der sexuellen Ausrichtung dieser Person weiterhin anwendbar.

124.

Das vorlegende Gericht hat in seinem Vorabentscheidungsersuchen erläutert, dass Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbar sei ( 50 ).

125.

Dies bedeutet, dass das vorlegende Gericht mit zwei einander widersprechenden Bestimmungen konfrontiert ist, die auf die anhängige Rechtssache anwendbar sind: Die erste, in der Richtlinie 2000/78 enthaltene Bestimmung verbietet TP, den Abschluss des Vertrags mit J. K. wegen seiner Homosexualität abzulehnen; die zweite, im polnischen Gleichbehandlungsgesetz enthaltene Bestimmung ermöglicht TP, den Abschluss des Vertrags mit J. K. wegen seiner Homosexualität abzulehnen.

126.

Das Unionsrecht verfügt über eine Regelung, die für den Fall eines solchen Konflikts zwischen zwei Regelungen, die beide auf denselben Sachverhalt anwendbar sind, Anwendung findet: Das nationale Gericht hat bei der Entscheidung über die Rechtssache die Regelung des Unionsrechts anzuwenden und die Regelung des nationalen Rechts unangewendet zu lassen ( 51 ). Eine solche Normenkollision wird somit durch den Vorrang des Unionsrechts zugunsten der unionsrechtlichen Regelung aufgelöst.

127.

Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass der Vorrang als Kollisionsregel fungiert und die Nichtanwendung einer entgegenstehenden nationalen Regelung erfordert, wenn eine Unionsregelung unmittelbare Wirkung hat ( 52 ).

128.

Richtlinien haben in vertikalen Situationen unmittelbare Wirkung ( 53 ). Mit Blick darauf, dass TP ein öffentlicher Fernsehsender ist ( 54 ), hat die Rechtsprechung eine solche Situation im Sinne der unmittelbaren Anwendung einer Richtlinie als vertikal angesehen ( 55 ). J. K. kann sich daher im Ausgangsverfahren gegenüber TP auf die Richtlinie 2000/78 berufen.

129.

Ferner sind die einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 (Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c) unbedingt und hinreichend genau, um einem nationalen Gericht ihre Anwendung zu ermöglichen ( 56 ). Es steht fest, dass eine Rechtsperson wie J. K. (als Selbständiger) nach diesen Bestimmungen das Recht hat, nicht wegen ihrer sexuellen Ausrichtung diskriminiert zu werden, wenn sie sich für eine neue Tätigkeit oder die Verlängerung des bestehenden Beschäftigungsverhältnisses bewirbt; ebenso steht fest, dass eine Rechtsperson wie TP, die Redaktionsleistungen nachfragt, den Abschluss eines Vertrags mit einem Selbständigen nicht allein wegen seiner sexuellen Ausrichtung ablehnen darf. Es kann daher ausgehend von den einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2000/78 der Schluss gezogen werden, dass J. K. ein Recht zuerkannt worden ist, dass TP einer entsprechenden Verpflichtung unterliegt und dass Inhalt dieses Rechts/dieser Verpflichtung ist, dass die Heranziehung der sexuellen Ausrichtung als Kriterium für den Abschluss eines Vertrags ausgeschlossen ist.

130.

Demzufolge kann das nationale Gericht Art. 5 Nr. 3 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes bei der Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit nicht anwenden. Es sei auch noch einmal darauf hingewiesen, dass diese Verpflichtung eines nationalen Gerichts nicht durch eine Entscheidung des nationalen Gesetzgebers bedingt ist, das nationale Recht zu ändern, um es mit dem Unionsrecht in Einklang zu bringen. Dies lässt die hierzu parallel bestehende Verpflichtung eines nationalen Gesetzgebers jedoch unberührt.

Zwischenergebnis

131.

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2000/78 ist auf die vorliegende Rechtssache anwendbar und hat unmittelbare Wirkung. J. K. kann sich daher im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht darauf berufen, dass TP die Ablehnung des Abschlusses eines Vertrags mit ihm als Selbständigem wegen seiner sexuellen Ausrichtung verboten ist. Das vorlegende Gericht ist daher verpflichtet, die entgegenstehende nationale Bestimmung unangewendet zu lassen.

V. Ergebnis

132.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Sąd Rejonowy dla m.st. Warszawy w Warszawie (Rayongericht für die Hauptstadt Warschau, Polen) vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 3 Abs. 1 Buchst. a und c der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf ist dahin auszulegen, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach es zulässig ist, den Abschluss eines zivilrechtlichen Vertrags über Dienstleistungen, nach dem ein selbständig Erwerbstätiger eine persönliche Tätigkeit zu erbringen hat, abzulehnen, wenn die Ablehnung durch die sexuelle Ausrichtung dieser Person motiviert ist.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Das vorlegende Gericht setzt im vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen voraus, dass die Ablehnung des Vertragsschlusses durch die sexuelle Ausrichtung von J. K. motiviert war. Die Entscheidung, ob eine Diskriminierung vorlag, ist Sache des vorlegenden Gerichts. Vgl. hierzu den 15. Erwägungsgrund der Richtlinie 2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf (ABl. 2000, L 303, S. 16) sowie Urteil vom 25. April 2013, Asociaţia Accept (C‑81/12, EU:C:2013:275, Rn. 42). In den vorliegenden Schlussanträgen wird daher von der Annahme ausgegangen, dass der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt einen Fall einer unmittelbaren Diskriminierung wegen der sexuellen Ausrichtung darstellt.

( 3 ) Urteil vom 25. Juni 2020, A u. a. (Windkraftanlagen in Aalter und Nevele) (C‑24/19, EU:C:2020:503, Rn. 75).

( 4 ) Contouris, N., und De Stefano, V., New trade union strategies for new forms of employment, ETUC, Brüssel, 2019, S. 34. Ihrer Ansicht nach wird der Begriff der Selbständigkeit „fast ausnahmslos als die Auffang- oder Basiskategorie der binären Aufteilung angesehen: Ist man kein abhängiger Arbeitnehmer, wird seine Tätigkeit nicht unter Aufsicht oder nach Weisung eines Arbeitgebers erbracht, ist sie nicht in einen Geschäftsbetrieb eingegliedert oder ist mit ihr kein konkretes geschäftliches Risiko verbunden, dann gehen die meisten Rechtsordnungen ohne Weiteres davon aus, dass diese Person Selbständiger ist.“

( 5 ) Countouris und De Stefano (a. a. O.) stellen somit fest: „Ist man kein abhängiger Arbeitnehmer, wird seine Tätigkeit nicht unter Aufsicht oder nach Weisung eines Arbeitgebers erbracht, ist sie nicht in einen Geschäftsbetrieb eingegliedert oder ist mit ihr kein konkretes geschäftliches Risiko verbunden, dann gehen die meisten Rechtsordnungen ohne Weiteres davon aus, dass diese Person Selbständiger ist.“

( 6 ) Diese Rechtsgrundlage wurde durch den Vertrag von Amsterdam in die Gründungsverträge aufgenommen und war zum Zeitpunkt des Erlasses der Richtlinie 2000/78 in Art. 13 EGV geregelt.

( 7 ) Nach ihrem Art. 1 verbietet die Richtlinie 2000/78 eine Diskriminierung wegen der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung.

( 8 ) Art. 19 AEUV ermächtigt die Union zur Bekämpfung von Diskriminierungen lediglich im Rahmen der ihr durch die Verträge übertragenen Zuständigkeiten.

( 9 ) Vgl. den Titel und Art. 1 der Richtlinie 2000/78.

( 10 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates zur Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung ungeachtet der Religion oder der Weltanschauung, einer Behinderung, des Alters oder der sexuellen Ausrichtung (KOM[2008] 426 endgültig).

( 11 ) Die bisherige legislative Entstehungsgeschichte zeigt, dass die wichtigsten, den Erlass dieser Richtlinie verzögernden Faktoren in i) den Kosten für die Ermöglichung eines diskriminierungsfreien Zugangs zu Gütern und Dienstleistungen für Menschen mit Behinderungen und ii) in der Subsidiarität liegen. Vgl. in diesem Sinne Fortschrittsbericht des Rates der Europäischen Union Nr. 14046/21 vom 23. November 2021.

( 12 ) Vgl. Fn. 10 der vorliegenden Schlussanträge.

( 13 ) Richtlinie 2000/43/EG des Rates vom 29. Juni 2000 zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes ohne Unterschied der Rasse oder der ethnischen Herkunft (ABl. 2000, L 180, S. 22).

( 14 ) Die Richtlinie 2000/43, die eine Diskriminierung aufgrund der Rasse oder der ethnischen Herkunft verbietet, wurde ebenfalls auf der Grundlage des jetzigen Art. 19 AEUV und ungefähr zur gleichen Zeit wie die Richtlinie 2000/78 erlassen, so dass die Verwendung der Begriffe in diesen beiden Richtlinien vergleichbar ist.

( 15 ) Vgl. hierzu De Stefano, V., „Not as simple as it seems: The ILO and the personal scope of international labour standards“, International Labour Review, 2021, S. 387 bis 406, S. 399. Vgl. auch Schubert, C., Economically-dependent Workers as Part of a decent Economy, Beck/Hart/Nomos, 2022, S. 237.

( 16 ) Vgl. auch Begründung des Vorschlags für eine Richtlinie des Rates zur Festlegung eines allgemeinen Rahmens für die Verwirklichung der Gleichbehandlung in Beschäftigung und Beruf. In dem Teil dieser Begründung, in dem es um den späteren Art. 3 der Richtlinie 2000/78 geht, heißt es konkret: „Gleichbehandlung in Bezug auf den Zugang zu abhängiger und selbständiger Erwerbstätigkeit … erfordert die Beseitigung sämtlicher aus irgendwelchen Vorschriften erwachsender Diskriminierungen, die dem Zugang des einzelnen zu jedweder Form einer Beschäftigung im Wege stehen“. Hervorhebung nur hier.

( 17 ) Schlussanträge des Generalanwalts Richard de la Tour in der Rechtssache HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:29, Nr. 37).

( 18 ) Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 34).

( 19 ) Vgl. hierzu die schwedische Sprachfassung der Richtlinie 2000/78, die in Art. 1 dieser Richtlinie für den englischen Ausdruck „employment and occupation“ oder den französischen Wortlaut „emploi et travail“ den Ausdruck „Arbeitsleben“ („arbetslivet“) verwendet.

( 20 ) Die Bedeutung der Erwerbstätigkeit für die Selbstverwirklichung des Einzelnen ist auch in der Rechtsprechung hervorgehoben worden. Nach der des Generalanwalts Poiares Maduro in seinen Schlussanträgen in der Rechtssache Coleman (C‑303/06, EU:C:2008:61, Nr. 11) vertretenen Ansicht „[ist d]er Zugang zu Beschäftigung und beruflicher Weiterentwicklung … für jeden von grundlegender Wichtigkeit, nicht nur als Mittel, um den Lebensunterhalt zu verdienen, sondern auch als wichtige Art der Selbstverwirklichung und Ausschöpfung der eigenen Fähigkeiten“. Dieses Zitat wurde unter Hinweis auf seine Wichtigkeit für das Verständnis des Geltungsbereichs der Richtlinie 2000/78 auch von der Generalanwältin Sharpston in ihren Schlussanträgen in der Rechtssache Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI (C‑507/18, EU:C:2019:922, Nr. 44) wiederholt.

( 21 ) Urteil vom 23. April 2020, Associazione Avvocatura per i diritti LGBTI (C‑507/18, EU:C:2020:289, Rn. 39) (im Folgenden: Urteil LGBTI). Vgl. auch Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in jener Rechtssache (C‑507/18, EU:C:2019:922, Nr. 42). Der Gerichtshof hat im Urteil HK wiederholt, dass die Begriffe „unselbständige Erwerbstätigkeit“ und „selbständige Erwerbstätigkeit“ weit zu verstehen sind, da aus einem Vergleich der verschiedenen Sprachfassungen von Art. 3 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2000/78 hervorgeht, dass in vielen Sprachen allgemeine Ausdrücke verwendet werden. Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 27).

( 22 ) Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 29). Vgl. auch Rn. 28 des vorgenannten Urteils, wo der Gerichtshof feststellte: „Abgesehen davon, dass diese Bestimmung ausdrücklich selbständige Erwerbstätigkeiten erfasst, ergibt sich aus dem Begriff ‚unselbständige Erwerbstätigkeit‘ [in der englischen Fassung der Richtlinie: ‚employment’ and ‚occupation‘], in seinem herkömmlichen Sinn verstanden, somit auch, dass der Unionsgesetzgeber den Geltungsbereich der Richtlinie 2000/78 nicht auf Stellen beschränken wollte, die von einem ‚Arbeitnehmer‘ im Sinne von Art. 45 AEUV besetzt werden.“

( 23 ) Zur Entwicklung des Begriffs „Arbeitnehmer“ im Binnenmarkt und im sekundären Arbeitsrecht der Union in der Rechtsprechung des Gerichtshofs vgl. Countouris, N., „The Concept of ‚Worker‘ in European Labour Law: Fragmentation, Autonomy and Scope“, Industrial Law Journal, 2018, S. 192 bis 225, und Goldner Lang, I., „Sloboda kretanja radnika“, in Ćapeta, T., und Goldner Lang, I. (Hrsg.), Pravo unutarnjeg tržišta Europske unije, Narodne Novine, Zagreb, 2021, S. 77 bis 110.

( 24 ) Vgl. hierzu Schlussanträge des Generalanwalts Richard de la Tour in der Rechtssache HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:29, Nr. 35).

( 25 ) Vgl. hierzu Supiot, A., „Homo faber: continuités et ruptures“, in Supiot, A. (Hrsg.), Le travail au XXIe siècle, Livre du centenaire de l’OIT, éditions de l’Atelier, Paris, 2019, S. 15 bis 41.

( 26 ) Vgl. hierzu auch Supiot, A., „Homo faber: continuités et ruptures“, in Supiot, A. (Hrsg.), Le travail au XXIe siècle, Livre du centenaire de l’OIT, Paris, éditions de l’Atelier, 2019, S. 15 bis 41, S. 17; Dujarier, M.‑A., Troubles dans le travail, Sociologie d’une catégorie de pensée, puf, 2021, Paris, S. 365 und 366.

( 27 ) Dies ist die Beschreibung eines „typischen Arbeitsverhältnisses“ in einer IAO-Studie über nicht typische Formen von Erwerbstätigkeit, vgl. Non-standard employment around the world: Understanding challenges, shaping prospects, IAO, Genf, 2016, S. 7. Vgl. auch die Karte auf S. 52 dieser Studie.

( 28 ) Ebd.

( 29 ) Deakin, S., und Wilkinson, F., The Law of the Labour Market, OUP, Oxford, 2005, S. 311 bis 313.

( 30 ) Fudge, J., „Blurring Legal Boundaries: Regulating for Decent Work“, in Fudge, J., McCrystal, S., und Sankaran, K., Challenging the legal boundaries of work regulation, Hart, Oxford, 2012, S. 1 bis 26; De Stefano, V., und Aloisi, A., European Legal framework for digital labour platforms, Europäische Kommission, Luxemburg, 2018.

( 31 ) Collins führt aus, dass eine persönliche Tätigkeit auf der Grundlage eines Dienstvertrags über Zeit oder eines Vertrags über die Erfüllung von Aufgaben erbracht werden könne. Aus wirtschaftlicher Sicht könne es verschiedene, hauptsächlich mit der Risikoverteilung zusammenhängende Gründe dafür geben, warum möglicherwiese eine bestimmte Art von Tätigkeit vereinbart werde, vgl. hierzu Collins, H., „Independent Contractors and the Challenge of Vertical Disintegration to Employment“, Oxford Journal of Legal Studies, Bd. 10(3), 1990, S. 362.

( 32 ) Zum Gedanken der persönlichen Tätigkeit vgl. z. B. Freedland, M., und Countouris, N., The Legal Construction of Personal Work Relations, OUP, Oxford, 2011, S. 5 und 42, Supiot, A., „Towards a European policy on work“ in Countouris, N., und Freedland, M. (Hrsg.), Resocialising Europe in a Time of Crisis, CUP, Cambridge, 2013, S. 19 bis 35, S. 35, und Countouris, N., und De Stefano, V., New trade union strategies for new forms of employment, ETUC, Brüssel, 2019, S. 64.

( 33 ) Diese Definition des persönlichen Tätigkeitsverhältnisses wurde von N. Countouris und V. De Stefano vertreten: New trade union strategies for new forms of employment, ETUC, Brüssel, 2019, S. 65: „Der Gedanke des ‚persönlichen Tätigkeitsverhältnisses‘ kann zur Definition des persönlichen Geltungsbereichs des Arbeitsrechts dahin herangezogen werden, dass es für jede Person gilt, die von einem anderen zur Erbringung einer Arbeitsleistung verpflichtet wird, sofern nicht diese Person tatsächlich für eigene Rechnung ein Unternehmen betreibt.“

( 34 ) Vgl. in diesem Sinne auch C. Barnard, der ausführt, dass auch die Ansicht vertreten werde, dass unter den Begriff „selbständige Erwerbstätige“ auf dem Gebiet des Gleichbehandlungsrechts sogar unabhängige Selbständige (Unternehmer) fielen, EU Employment Law, Oxford, OUP, 2012, 4. Aufl., S. 348.

( 35 ) In seinem Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 34), stellte der Gerichtshof fest: „Wie der Generalanwalt in Nr. 37 seiner Schlussanträge festgestellt hat, ist die Richtlinie 2000/78 … kein Rechtsakt des abgeleiteten Unionsrechts wie die insbesondere auf Art. 153 Abs. 2 AEUV gestützten, die auf den Schutz des Arbeitnehmers als der schwächeren Partei eines Arbeitsverhältnisses abzielen …“

( 36 ) Paragraf 5 der Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge vom 18. März 1999, die im Anhang der Richtlinie 1999/70/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zu der EGB-UNICE‑CEEP-Rahmenvereinbarung über befristete Arbeitsverträge (ABl. 1999, L 175, S. 43) enthalten ist.

( 37 ) Siehe Nr. 54 der vorliegenden Schlussanträge und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 38 ) Dies bedeutet nicht, dass dieser Umstand in anderen Bereichen des Unionsrechts, wie z. B. dem Wettbewerbsrecht, keine Rolle spielt, vgl. hierzu Urteil vom 4. Dezember 2014, FNV Kunsten Informatie en Media (C‑413/13, EU:C:2014:2411).

( 39 ) Vgl. hierzu Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen, Evaluation of Directive 86/653 (REFIT Evaluation) [Evaluierung der Richtlinie 86/653 (REFIT‑Evaluierung)], SWD(2015) 146 final, vom 16. Juli 2015.

( 40 ) Rn. 39.

( 41 ) Urteil LGBTI, Rn. 32.

( 42 ) Urteil LGBTI, Rn. 33.

( 43 ) Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass der Gerichtshof in anderem Zusammenhang in Bezug auf die Freizügigkeit und die Rechte der Bürger nach der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77) bereits anerkannt hat, dass die unfreiwillige Beendigung der Tätigkeit eines selbständig Erwerbstätigen der unfreiwilligen Entlassung eines unselbständig Erwerbstätigen gleichgestellt werden kann, vgl. Urteile vom 20. Dezember 2017, Gusa (C‑442/16, EU:C:2017:1004, Rn. 43), und vom 11. April 2019, Tarola (C‑483/17, EU:C:2019:309, Rn. 48).

( 44 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. September 2011, Prigge u. a. (C‑447/09, EU:C:2011:573, Rn. 56).

( 45 ) Der Gerichtshof hat in jüngeren Urteilen als Plenum klargestellt, dass die in Art. 2 EUV aufgeführten Werte, einschließlich der Gleichheit, der Europäischen Union schlechthin ihr Gepräge geben (Urteile vom 16. Februar 2022, Ungarn/Parlament und Rat, C‑156/21, EU:C:2022:97, Rn. 232, und vom 16. Februar 2022, Polen/Parlament und Rat, C‑157/21, EU:C:2022:98, Rn. 264). Der Zweck der Richtlinie 2000/78 besteht gerade darin, den Wert der Gleichheit zu verwirklichen, indem das in Art. 21 der Charta niedergelegte Diskriminierungsverbot verwirklicht wird. Seit dem Urteil vom 8. April 1976, Defrenne (43/75, EU:C:1976:56), stellt die Gleichheit ein von der Europäischen Union stets angestrebtes soziales Modell dar. McCrudden führt z. B. aus, dass dann, wenn der Begriff Gleichheit im Sinne eines Konzepts des Schutzes von Rechten verstanden werde, dem Grundsatz der Gleichbehandlung besondere Bedeutung als Beleg dafür zukomme, dass die Ziele der Europäischen Union über wirtschaftliche Ziele hinausgingen und sich auf den Schutz des europäischen Sozialmodells erstreckten, vgl. McCrudden, C., „The New Concept of Equality“, ERA, 2003, S. 18. Vgl. auch Waddington, L., „Testing the Limits of the EC Treaty Article on Non-discrimination“, Industrial Law Journal, 1999, S. 133 bis 151, S. 134, nach dessen Ansicht die Aufnahme von Art. 13 EG in den Vertrag nicht in erster Linie auf dem Bestreben beruht habe, Diskriminierungen aus wirtschaftlichen Gründen zu bekämpfen, sondern vielmehr, Europa „den Bürgern näher zu bringen“.

( 46 ) Eine ähnliche Abwägung zwischen dem Recht auf Nichtdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78 und der in Art. 11 der Charta geschützten Meinungsfreiheit nahm der Gerichtshof im Urteil LGBTI (Rn. 47 bis 57) vor. Im Urteil vom 2. Juni 2022, HK/Danmark und HK/Privat (C‑587/20, EU:C:2022:419, Rn. 41 bis 47), wog der Gerichtshof das Recht auf Nichtdiskriminierung nach der Richtlinie 2000/78 gegen die in Art. 12 der Charta geschützte Vereinigungsfreiheit ab.

( 47 ) Hingewiesen sei darauf, dass die Vertragsfreiheit auch in der Unionsrechtsordnung als eines der Grundrechte, die Teil der durch Art. 16 der Charta garantierten unternehmerischen Freiheit sind, anerkannt ist, vgl. z. B. Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran (C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 79). Dies bedeutet zum einen, dass der Unionsgesetzgeber verpflichtet ist, diese Freiheit beim Erlass von Antidiskriminierungsvorschriften zu berücksichtigen. Zum anderen ist die Vertragsfreiheit im Sinne ihres Verständnisses in der Unionsrechtsordnung nicht absolut. Ganz im Gegenteil hat der Gerichtshof entschieden, dass die unternehmerische Freiheit nach Art. 16 der Charta „einer Vielzahl von Eingriffen der öffentlichen Gewalt unterworfen werden [kann], die im allgemeinen Interesse die Ausübung der wirtschaftlichen Tätigkeit beschränken können“, vgl. hierzu Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich (C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 46); vgl. auch Urteil vom 21. Dezember 2021, Bank Melli Iran (C‑124/20, EU:C:2021:1035, Rn. 80 bis 81). Zum letzteren Punkt vgl. ferner Weatherill, S., „Use and Abuse of the EU’s Charter of Fundamental Rights: on the improper veneration of ‚freedom of contract‘“, European Review of Contract Law, 2014, S. 167 bis 182.

( 48 ) Vgl. z. B. zum Fall der Kündigung einer schwangeren Frau aufgrund einer Massenentlassung Urteil vom 22. Februar 2018, Porras Guisado (C‑103/16, EU:C:2018:99, Rn. 71).

( 49 ) Vgl. Nr. 44 der vorliegenden Schlussanträge.

( 50 ) Für die Auslegung des nationalen Rechts ist allein das nationale Gericht zuständig. Im Vorabentscheidungsverfahren muss der Gerichtshof daher von der vom nationalen Gericht vorgenommenen Auslegung des nationalen Rechts ausgehen. Das vorlegende Gericht hat erläutert, dass seiner Auffassung nach ein Vertrag der in der vorliegenden Rechtssache in Rede stehenden Art nach Art. 4 Nr. 2 des polnischen Gleichbehandlungsgesetzes unter dieses Gesetz falle und dass somit Art. 5 Nr. 3 dieses Gesetzes ebenfalls Anwendung finde.

( 51 ) Urteile vom 9. März 1978, Simmenthal (106/77, EU:C:1978:49, Rn. 21 bis 23), und vom 22. Februar 2022, RS (Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts) (C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 62 und 63).

( 52 ) Urteil vom 24. Juni 2019, Popławski (C‑573/17, EU:C:2019:530, Rn. 60 bis 64 und 68).

( 53 ) Urteile vom 5. April 1979, Ratti (148/78, EU:C:1979:110, Rn. 20 bis 23), und vom 7. August 2018, Smith (C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 45).

( 54 ) Er steht im Eigentum des Staats. Hingewiesen sei darauf, dass TP, die Beklagte im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht, weder schriftliche Erklärungen eingereicht noch an der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof teilgenommen hat.

( 55 ) Urteile vom 26. Februar 1986, Marshall (152/84, EU:C:1986:84, Rn. 46 bis 49), und vom 10. Oktober 2017, Farrell (C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 32 bis 35).

( 56 ) Urteile vom 19. November 1991, Francovich u. a. (C‑6/90 und C‑9/90, EU:C:1991:428, Rn. 11 und 12), vom 24. Januar 2012, Dominguez (C‑282/10, EU:C:2012:33, Rn. 33), vom 16. Juli 2015, Larentia + Minerva und Marenave Schiffahrt (C‑108/14 und C‑109/14, EU:C:2015:496, Rn. 48 bis 49), und vom 8. März 2022, Bezirkshauptmannschaft Hartberg-Fürstenfeld (Unmittelbare Wirkung) (C‑205/20, EU:C:2022:168, Rn. 17 bis 19).