SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 7. Juli 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑296/21

A

(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Erwerb und Besitz von Feuerwaffen – Verbringung von deaktivierten Feuerwaffen innerhalb der Union – Richtlinie 91/477/EWG – Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 – Art. 7 Abs. 2 – Gegenseitige Anerkennung – Art. 3 Abs. 1 – Von den Mitgliedstaaten benannte überprüfende Stelle – Art. 3 Abs. 3 – Überprüfende Stelle, die nicht in der von der Kommission veröffentlichten Liste der überprüfenden Stellen der Mitgliedstaaten aufgeführt ist“

1.

Mit der Richtlinie 91/477/EWG ( 2 ), geändert durch die Richtlinie 2008/51/EG ( 3 ), verfolgt der Unionsgesetzgeber u. a. das Anliegen, die Deaktivierung von Feuerwaffen zu regeln.

2.

Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 ( 4 ) soll gewährleistet werden, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden, wie es in der Richtlinie 2008/51 vorgesehen war. Zu diesem Zweck verlangt sie, dass eine zuständige Behörde überprüft, ob die Deaktivierung im Einklang mit bestimmten (in Anhang I festgelegten) technischen Spezifikationen durchgeführt wurde, und dem Eigentümer der Waffe eine entsprechende Bescheinigung ausstellt.

3.

Das vorlegende Gericht möchte im Wesentlichen zwei Fragen zur Auslegung der Richtlinie 91/477 und der Durchführungsverordnung 2015/2403 klären:

Zum einen möchte das Gericht wissen, ob ein in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gegründetes privatrechtliches Unternehmen befugt ist, als „überprüfende Stelle“ tätig zu werden und eine Deaktivierungsbescheinigung auszustellen.

Zum anderen fragt es, ob die Anerkennung einer in einem Mitgliedstaat ausgestellten Deaktivierungsbescheinigung durch einen anderen Mitgliedstaat davon abhängig ist, ob die Kommission die ausstellende Stelle in die in Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 vorgesehene Liste aufgenommen hat.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 91/477

4.

Art. 1 bestimmt:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ‚Feuerwaffe‘ jede tragbare Waffe, die Schrot, eine Kugel oder ein anderes Geschoss mittels Treibladung durch einen Lauf verschießt, die für diesen Zweck gebaut ist oder die für diesen Zweck umgebaut werden kann, es sei denn, sie ist aus einem der in Anhang I Abschnitt III genannten Gründe ausgenommen. Die Einteilung der Feuerwaffen ist in Anhang I Abschnitt II geregelt.

Im Sinne dieser Richtlinie ist ein Gegenstand zum Verschießen von Schrot, einer Kugel oder eines anderen Geschosses mittels Treibladung umbaubar, wenn er

das Aussehen einer Feuerwaffe hat und

sich aufgrund seiner Bauweise oder des Materials, aus dem er hergestellt ist, zu einem Umbau eignet.

(1a)   Im Sinne dieser Richtlinie gelten als ‚Teil‘ jedes eigens für eine Feuerwaffe konstruierte und für ihr Funktionieren wesentliche Teil oder Ersatzteil, insbesondere der Lauf, der Rahmen oder das Gehäuse, der Schlitten oder die Trommel, der Verschluss oder das Verschlussstück und jede zur Dämpfung des Knalls einer Feuerwaffe bestimmte oder umgebaute Vorrichtung.

(1b)   Im Sinne dieser Richtlinie gelten als ‚wesentlicher Bestandteil‘ der Verschluss, das Patronenlager und der Lauf einer Feuerwaffe, die als Einzelteile unter die selbe Kategorie fallen wie die Feuerwaffe, zu der sie gehören würden.

…“

5.

Art. 4 legt fest:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Feuerwaffen oder deren Teile, die in Verkehr gebracht werden, gemäß dieser Richtlinie entweder gekennzeichnet und registriert beziehungsweise unbrauchbar gemacht worden sind.

…“

6.

In Kapitel 3 („Formalitäten für den Verkehr mit Waffen in der Gemeinschaft“) sieht Art. 14 vor:

„Die Mitgliedstaaten erlassen die erforderlichen Vorschriften zum Verbot des Verbringens in ihr Gebiet

einer Feuerwaffe außer in den Fällen nach den Artikeln 11 und 12 und vorbehaltlich der Einhaltung der dort vorgesehenen Bedingungen;

…“

7.

In Anhang I heißt es:

„…

III.

Im Sinne dieses Anhangs sind nicht in die Definition der Feuerwaffen einbezogen Gegenstände, die der Definition zwar entsprechen, die jedoch

a)

durch ein Deaktivierungsverfahren auf Dauer unbrauchbar gemacht wurden, das verbürgt, dass alle wesentlichen Bestandteile der Feuerwaffe auf Dauer unbrauchbar sind und nicht mehr entfernt, ausgetauscht oder in einer Weise umgebaut werden können, die eine Reaktivierung der Feuerwaffe ermöglicht;

Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Vorkehrungen, um die Maßnahmen zur Deaktivierung gemäß Buchstabe a durch eine zuständige Behörde überprüfen zu lassen, um sicherzustellen, dass die Änderungen an der Feuerwaffe diese auf Dauer unbrauchbar machen. Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass die Überprüfung der Deaktivierung von Waffen entweder durch die Ausstellung einer entsprechenden Bescheinigung oder durch die Anbringung eines deutlich sichtbaren Zeichens auf der Feuerwaffe bestätigt wird. Die Kommission erlässt nach dem Verfahren gemäß Artikel 13a Absatz 2 der Richtlinie gemeinsame Leitlinien für Deaktivierungsstandards und ‑techniken, um sicherzustellen, dass deaktivierte Feuerwaffen auf Dauer unbrauchbar sind.

…“

2. Durchführungsverordnung 2015/2403

8.

Art. 2 („Zur Deaktivierung von Feuerwaffen befugte Personen und Stellen“) lautet:

„Die Deaktivierung von Feuerwaffen wird von öffentlichen oder privaten Stellen beziehungsweise von Einzelpersonen durchgeführt, die nach nationalem Recht dazu befugt sind.“

9.

Art. 3 („Überprüfung und Bescheinigung der Deaktivierung von Feuerwaffen“) legt fest:

„(1)   Die Mitgliedstaaten benennen eine zuständige Behörde (‚überprüfende Behörde‘), damit überprüft wird, ob die Deaktivierung einer Feuerwaffe im Einklang mit den in Anhang I festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt wurde.

(2)   Ist die überprüfende Behörde auch zur Deaktivierung von Feuerwaffen befugt, stellen die Mitgliedstaaten sicher, dass sowohl diese Aufgaben als auch die innerhalb der Stelle damit betrauten Personen strikt voneinander getrennt sind.

(3)   Die Kommission veröffentlicht auf ihrer Website eine Liste der von den Mitgliedstaaten benannten überprüfenden Stellen, die ausführliche Informationen über die überprüfende Stelle und das von ihr verwendete Symbol sowie die Kontaktdaten enthält.

(4)   Wurde die Deaktivierung einer Feuerwaffe gemäß den in Anhang I festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt, stellt die überprüfende Behörde dem Besitzer der Feuerwaffe eine Deaktivierungsbescheinigung nach dem Muster in Anhang III aus. Alle in die Deaktivierungsbescheinigung aufgenommenen Informationen werden sowohl in der Sprache des Mitgliedstaats, in dem die Deaktivierungsbescheinigung ausgestellt wurde, als auch in englischer Sprache bereitgestellt.

…“

10.

Art. 7 („Verbringung von Feuerwaffen innerhalb der Union“) bestimmt:

„(1)   Deaktivierte Feuerwaffen dürfen nur dann in einen anderen Mitgliedstaat verbracht werden, wenn sie mit der einheitlichen eindeutigen Kennzeichnung versehen sind und ihnen eine Deaktivierungsbescheinigung gemäß dieser Verordnung beiliegt.

(2)   Die Mitgliedstaaten erkennen die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Deaktivierungsbescheinigungen an, falls die Bescheinigung die in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen erfüllt. Allerdings können Mitgliedstaaten, die zusätzliche Maßnahmen nach Artikel 6 eingeführt haben, einen Nachweis dafür verlangen, dass in ihr Hoheitsgebiet zu verbringende Feuerwaffen diesen zusätzlichen Maßnahmen entsprechen.“

11.

Art. 8 („Notifizierungsvorschriften“) sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten notifizieren der Kommission Maßnahmen, die sie auf dem unter diese Verordnung fallenden Gebiet erlassen …“

12.

In Anhang I („Technische Spezifikationen für die Deaktivierung von Feuerwaffen“) werden die Deaktivierungsmaßnahmen, die durchzuführen sind, um Feuerwaffen endgültig unbrauchbar zu machen, auf der Grundlage von drei Tabellen festgelegt:

In Tabelle I werden die einzelnen Feuerwaffentypen aufgeführt;

in Tabelle II werden die Maßnahmen beschrieben, die durchzuführen sind, damit jeder wesentliche Feuerwaffenbestandteil endgültig unbrauchbar gemacht wird;

in Tabelle III werden die spezifischen Maßnahmen für jeden wesentlichen Bestandteil und jeden Feuerwaffentyp festgelegt.

13.

Anhang III enthält eine „Musterbescheinigung für deaktivierte Feuerwaffen“.

B.   Finnisches Recht – Ampuma-aselaki (1/1998) ( 5 )

14.

§ 112a („Verbringen und Einfuhr von deaktivierten Feuerwaffen nach Finnland“) bestimmt:

„Derjenige, der eine deaktivierte Feuerwaffe nach Finnland verbringt oder einführt, muss innerhalb von 30 Tagen nach dem Verbringen oder der Einfuhr die Feuerwaffe bei einer Polizeibehörde oder der Polizeidirektion zwecks Überprüfung vorlegen.“

15.

§ 91 sieht vor:

„Die Polizei muss, wenn eine Gewerbeerlaubnis der Waffenbranche oder eine zum Besitz für private Verwendung berechtigende Erlaubnis erlischt oder widerrufen wird, einen Beschluss über die polizeiliche Sicherstellung der Feuerwaffen, Waffenteile, Patronen und besonders gefährlicher Munition erlassen, sofern diese noch nicht einem Inhaber einer ordnungsgemäßen Erlaubnis überlassen wurden.

Die Polizei muss den Bescheid über eine Sicherstellung auch erlassen, wenn ein Besitzer ungenehmigter Feuerwaffen oder Waffenteile, ungenehmigter Patronen oder besonders gefährlicher Munition aus eigener Initiative einen Gegenstand bei der Polizei meldet und ihr den Gewahrsam daran überträgt. …“

16.

§ 112b („Deaktivierung von Feuerwaffen“) Abs. 2 legt fest:

„Die Durchführungsverordnung 2015/2403 sieht Bestimmungen über Personen und Stellen, die eine Erlaubnis zur Deaktivierung von Feuerwaffen haben, über die technischen Spezifikationen für die Deaktivierung von Feuerwaffen, über die Kennzeichnung, Überprüfung und Verifizierung deaktivierter Feuerwaffen, über Amtshilfeersuchen zur Durchführung von Deaktivierungen, über zusätzliche Deaktivierungsmaßnahmen sowie über das Verbringen von Feuerwaffen innerhalb der Europäischen Union vor.“

II. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und Vorlagefrage

17.

A, der eine auf den Verkauf von militärhistorischen Sammelobjekten spezialisierte Geschäftstätigkeit ausübt, erwarb in Österreich drei Sturmgewehre, die nach den von der Gesellschaft B am 9. Oktober 2017 ausgestellten Bescheinigungen deaktiviert worden waren.

18.

Die Gesellschaft B wurde von den österreichischen Behörden als überprüfende Stelle im Sinne von Art. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 anerkannt, auch wenn sie nicht in der in Abs. 3 dieses Artikels genannten Liste aufgeführt ist.

19.

Am 17. Oktober 2017 verbrachte A die Sturmgewehre nach Finnland, und am 24. Oktober 2017 legte er sie zusammen mit den dazugehörigen Deaktivierungsbescheinigungen gemäß § 112a des Feuerwaffengesetzes bei der Polizeibehörde Helsinki vor ( 6 ).

20.

Am 15. Februar 2018 erließ die Polizeibehörde Helsinki den Bescheid Nr. 2018/8575, in dem sie feststellte, dass die Deaktivierung der Sturmgewehre die technischen Anforderungen gemäß Anhang I der Durchführungsverordnung 2015/2403 nicht erfülle. Ihrer Ansicht nach waren die Maßnahmen zur Deaktivierung der Waffen unzulänglich ( 7 ).

21.

Die Polizeibehörde Helsinki war der Auffassung, dass die Sturmgewehre als erlaubnispflichtige Feuerwaffen im Sinne des Feuerwaffengesetzes anzusehen seien. Da A über keine zum Besitz der fraglichen Feuerwaffen berechtigende Erlaubnis verfügte, wurde deren Sicherstellung angeordnet.

22.

A focht den Bescheid beim Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland) an und machte Folgendes geltend:

Die finnische Polizeibehörde sei für die Überprüfung der Deaktivierung der Waffen nicht zuständig.

Die Polizei hätte nach Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2015/2403 die Deaktivierungsbescheinigung der von Österreich benannten überprüfenden Stelle, der Gesellschaft B, anerkennen müssen.

Die vorgelegten Belege bewiesen, dass die Deaktivierung der Waffen die technischen Anforderungen gemäß Anhang I der Durchführungsverordnung 2015/2403 erfülle.

23.

Die Polizeibehörde Helsinki und die Poliisihallitus (Polizeidirektion) gaben Stellungnahmen ab und führten aus, die Waffen könnten aus folgenden Gründen nicht als deaktiviert angesehen werden:

Die Deaktivierung sei mangelhaft ausgeführt worden.

Die Gesellschaft B sei keine Behörde im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2403 und nicht in der in Art. 3 Abs. 3 der Verordnung genannten Liste aufgeführt.

In der Liste sei lediglich vermerkt gewesen, dass Österreich als überprüfende Behörde das österreichische Innenministerium benannt habe.

24.

A reichte eine Erwiderung ein und legte eine mit dem österreichischen Verteidigungs- und Sportministerium geführte Korrespondenz vor, in der dieses bestätigte, dass die Gesellschaft B eine von Österreich benannte überprüfende Stelle im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2403 sei. Österreich habe insgesamt 16 überprüfende Stellen benannt ( 8 ).

25.

Am 26. Juni 2019 wies das Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki) die von A erhobene Klage mit folgender Begründung ab:

Die Gesellschaft B sei auf der Website der Kommission nicht als österreichische überprüfende Stelle angegeben. Die Deaktivierungsbescheinigungen erfüllten daher nicht die Anforderungen der Durchführungsverordnung 2015/2403.

Die eingeführten Waffen erfüllten nicht die technischen Deaktivierungsbestimmungen der Durchführungsverordnung 2015/2403.

26.

A legte gegen das erstinstanzliche Urteil beim Korkein hallinto‑oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) ein Rechtsmittel ein, mit dem er die Aufhebung des Urteils und des Bescheids der Polizeibehörde Helsinki beantragt ( 9 ).

27.

Die Polizeibehörde Helsinki und die Poliisihallitus (Polizeidirektion) traten dem Rechtsmittel entgegen und wiesen auf die Notwendigkeit einer Vorabentscheidung hin. Aus diesem Grund legt das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Wenn es sich um ein Verbringen von deaktivierten Feuerwaffen innerhalb der Union handelt und wenn die Vorschriften der Richtlinie 91/477 sowie die Bestimmungen der Durchführungsverordnung 2015/2403, insbesondere Art. 3 Abs. 1 dieser Verordnung, berücksichtigt werden:

a)

kann eine von einer nationalen Behörde bestätigte überprüfende Stelle, die eine Deaktivierungsbescheinigung ausgestellt hat, als Stelle im Sinne der Waffenrichtlinie und der Art. 3 und 7 der Deaktivierungsverordnung angesehen werden, auch wenn sie nicht in der von der Kommission gemäß Art. 3 Abs. 3 veröffentlichten Liste aufgeführt wird, sofern verschiedene Behörden des genannten Mitgliedstaats dem Verbringer der Waffen mitgeteilt haben, dass die in der Rechtsform einer GmbH tätige überprüfende Stelle, die die Bescheinigung ausgestellt hat, hierzu nach der Verordnung ermächtigt ist, und

b)

kann über eine von einem Mitgliedstaat für die Deaktivierung von Waffen benannte überprüfende Stelle statt durch Eintrag in der auf der Website der Kommission veröffentlichten Liste im Sinne von Art. 3 Abs. 3 der Verordnung auch sonstiger, von einer nationalen Behörde erlangter Nachweis geführt werden, so dass eine von dieser überprüfenden Stelle ausgestellte Deaktivierungsbescheinigung die in der Verordnung bestimmten Anforderungen dahin erfüllt, dass ein Mitgliedstaat die in einem anderen Mitgliedstaat ausgestellte Deaktivierungsbescheinigung gemäß Art. 7 Abs. 2 der Verordnung anzuerkennen hat?

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

28.

Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 7. Mai 2021 beim Gerichtshof eingegangen.

29.

A, die Poliisihallitus (Polizeidirektion), die finnische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und an der mündlichen Verhandlung vom 18. Mai 2022 teilgenommen.

30.

Die österreichische Regierung hat die ihr vom Gerichtshof gestellten Fragen schriftlich beantwortet.

IV. Würdigung

A.   Vorbemerkung

31.

Der Begriff „deaktivierte Waffe“ wurde mit den verschiedenen Rechtsvorschriften wesentlich weiterentwickelt:

In Bezug auf die Deaktivierung von Feuerwaffen findet sich in der ursprünglichen Fassung der Richtlinie 91/477 in Anhang I Abschnitt III lediglich ein Verweis auf die nationalen Rechtsvorschriften.

Mit der Richtlinie 2008/51 wurde Art. 4 der Richtlinie 91/477 dahin geändert, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, sicherzustellen, dass „Feuerwaffen oder deren Teile, die in Verkehr gebracht werden, gemäß dieser Richtlinie entweder gekennzeichnet und registriert beziehungsweise unbrauchbar gemacht worden sind“.

Mit der Richtlinie 2008/51 wurde die Kommission beauftragt, „gemeinsame Leitlinien für Deaktivierungsstandards und ‑techniken, um sicherzustellen, dass deaktivierte Feuerwaffen auf Dauer unbrauchbar sind“, zu veröffentlichen. Das Ergebnis war die Verabschiedung der Durchführungsverordnung 2015/2403 ( 10 ).

Deaktivierte Waffen fielen jedoch bis zum Erlass der Richtlinie (EU) 2017/853 ( 11 ), mit der sie in deren Anwendungsbereich aufgenommen wurden, nicht unter die Definition der Feuerwaffen.

32.

Die Richtlinie 2017/853 ist zwar auf den vorliegenden Fall in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar, sie bestätigt jedoch die Tendenz in der Gesetzgebung, die Garantien zu verschärfen, die erforderlich sind, um zu gewährleisten, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden und nicht reaktiviert werden können ( 12 ).

B.   Erste Vorlagefrage

33.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob im grenzüberschreitenden Kontext der vorliegenden Rechtssache die überprüfende Stelle, die eine Deaktivierungsbescheinigung ausgestellt hat, hierzu befugt ist, obwohl sie nicht in der von der Kommission ( 13 ) gemäß Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 veröffentlichten Liste aufgeführt ist und die Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung hat.

34.

Die Vorlagefrage, die die formalen Aspekte des Verkehrs mit deaktivierten Waffen betrifft, erstreckt sich somit auf zwei Aspekte der anwendbaren Vorschriften:

erstens, ob es Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2403 zuwiderläuft, dass ein Privatrechtssubjekt eine überprüfende Stelle sein kann; und

zweitens, ob die von den Mitgliedstaaten benannten überprüfenden Stellen in der Liste aufgeführt sein müssen, die die Kommission gemäß Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 zu veröffentlichen hat.

1. Privatrechtssubjekte als überprüfende Stellen

35.

Nach Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2403 in Verbindung mit Anhang I Abschnitt III Abs. 2 der Richtlinie 91/477 sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, eine „zuständige Behörde“ zu benennen, damit überprüft wird, ob die Deaktivierung einer Feuerwaffe im Einklang mit den in Anhang I festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt wurde.

36.

In Klammern wird in der Bestimmung hinzugefügt, dass die „zuständige Behörde“ auch als „überprüfende Behörde“ bezeichnet wird. Die (aufgrund der Sprachregelung) synonyme Verwendung der beiden Begriffe führt zu Auslegungsproblemen, auf die ich nachstehend eingehen werde.

37.

Die Erklärungen der Parteien zeigen, dass hinsichtlich der Natur der überprüfenden Stellen entgegengesetzte Ansichten bestehen:

Die finnische Regierung und ihre Polizeibehörden vertreten den strengen Ansatz, nur öffentliche Einrichtungen könnten Überprüfungen durchführen.

Die Kommission und A vertreten den gegenteiligen Standpunkt: Es stehe dem nichts entgegen, dass ein privates Unternehmen mit der Überprüfung und Bescheinigung der Deaktivierung von Feuerwaffen beauftragt werde.

38.

Die Verwendung des Begriffs „Behörde“ in Art. 3 Abs. 1 der Durchführungsverordnung 2015/2403 weist grundsätzlich auf einen „öffentlichen“ Charakter der mit der Überprüfung beauftragten Stelle hin. Definitionsgemäß ist es für eine „Behörde“ charakteristisch, dass sie die hoheitlichen Aufgaben der öffentlichen Gewalt ausübt ( 14 ).

39.

Dieser Ansatz wird durch den dritten Erwägungsgrund der Durchführungsverordnung 2015/2403 untermauert: Die Mitgliedstaaten haben „die erforderlichen Vorkehrungen zu treffen, um die Maßnahmen zur Deaktivierung … durch eine zuständige Behörde überprüfen zu lassen“.

40.

In diesem Sinne und diesmal aus einem systematischen Blickwinkel unterscheiden die Art. 2 und 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 zwischen:

der Deaktivierung von Feuerwaffen, die als materieller Vorgang ohne Unterschied sowohl von öffentlichen als auch von privaten Stellen durchgeführt werden kann; und

der Überprüfung, dass die Waffen ordnungsgemäß deaktiviert wurden, was ausschließlich eine „zuständige Behörde“ übernehmen kann. In Bezug auf die Überprüfung werden private Stellen nicht erwähnt, was – im Gegensatz zu den materiellen Vorgängen der Deaktivierung – darauf schließen lassen könnte, dass die Überprüfung nur von öffentlichen Stellen durchgeführt werden kann.

41.

Die Rechtsvorschriften, die nach den hier anwendbaren Vorschriften erlassen wurden, gehen in dieselbe Richtung. Mit der Durchführungsverordnung (EU) 2018/337 ( 15 ) erhält Art. 3 Abs. 1 der Verordnung 2015/2403 folgende neue Fassung: „Die Mitgliedstaaten benennen eine zuständige Behörde …, damit überprüft wird, ob die Deaktivierung einer Feuerwaffe im Einklang mit den in Anhang I festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt wurde.“

42.

Beabsichtigt wurde somit, ein öffentliches Kontrollsystem zu schaffen, um die Deaktivierung von Feuerwaffen zu überprüfen, und diese Aufgabe wurde den staatlichen Behörden anvertraut.

43.

Die Unionsvorschriften gehen jedoch nicht so weit, dass sie den Mitgliedstaaten die Pflicht auferlegen, innerhalb ihrer Verwaltungsstrukturen technische Dienste einzurichten, die in der Lage sind, die Überprüfungsfunktion zu übernehmen. Ich werde erläutern, warum die Aufgabe meiner Auffassung nach Stellen (seien sie als solche bezeichnet oder mit Synonymen) ( 16 ) mit privaten Rechtsformen anvertraut werden kann, sofern bestimmte Garantien eingehalten werden.

44.

In keiner der einschlägigen Referenznormen der Union ist festgelegt, wie die öffentlichen Behörden die Einhaltung der in Anhang I der Durchführungsverordnung 2015/2403 genannten Kriterien konkret sicherzustellen haben. Es ist Sache der Mitgliedstaaten, festzulegen, welche Behörden die Überprüfung übernehmen und in welcher Form sie dies tun sollen.

45.

Da im Unionsrecht nichts anderes vorgesehen ist, sind die Mitgliedstaaten weiterhin befugt, sich selbst zu organisieren. Generell hindert sie nichts daran, private Einrichtungen mit der Wahrnehmung öffentlicher Aufgaben zu beauftragen, und zwar auch dann, wenn diese Aufgaben auf Unionsvorschriften beruhen, die einer solchen Beauftragung nicht entgegenstehen ( 17 ).

46.

In diesem Sinne können die Mitgliedstaaten ihre Behörden ermächtigen, bestimmte Befugnisse an private Stellen zu übertragen ( 18 ), oder Kooperationsmechanismen mit Unternehmen aus dem Privatsektor einrichten, um die Unternehmen unter entsprechender Kontrolle mit der Ausübung dieser Befugnisse zu beauftragen ( 19 ).

47.

Meiner Ansicht nach lässt auch die Durchführungsverordnung 2015/2403 diese Vorgehensweise zu. Die einzige Einschränkung der organisatorischen Autonomie besteht darin, dass die Mitgliedstaaten nicht so weit gehen dürfen, das Modell der öffentlichen Behörde als letztlich für den Prozess der Überprüfung der Deaktivierung von Feuerwaffen zuständiger Stelle auszuhöhlen.

48.

Mit anderen Worten kann die im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe der überprüfenden Behörden an ein privates Unternehmen übertragen werden, wenn die Bedingungen, denen diese Beauftragung unterliegt, den öffentlich-rechtlichen Rahmen der Richtlinie 91/477 und der Durchführungsverordnung 2015/2403 nicht verzerren.

49.

Ich vertrete daher den Standpunkt, dass private Stellen die Deaktivierung der Waffen überprüfen können, vorausgesetzt, sie handeln im Auftrag und unter der effektiven Kontrolle einer echten öffentlichen Behörde. Diese öffentliche Behörde ist dafür zuständig, zu überwachen, wie die Deaktivierung durchgeführt wurde, kann diese Aufgabe jedoch an private Stellen übertragen.

50.

Die österreichische Regierung hat in ihrer Antwort vom 22. April 2022 auf die Fragen des Gerichtshofs erklärt, nach den nationalen Rechtsvorschriften könnten das Bundesministerium für Inneres und das Bundesministerium für Landesverteidigung bestimmte Gewerbetreibende ermächtigen, die Deaktivierung der Waffen zu überprüfen. Bei einer solchen Überprüfung nehme die ermächtigte Person aufgrund einer Beleihung unter der Aufsicht dieser Ministerien eine Hoheitsaufgabe wahr ( 20 ).

51.

In der mündlichen Verhandlung haben sich sowohl die finnischen Behörden als auch die Kommission kritisch über das österreichische Modell geäußert und die Anzahl der anerkannten privaten überprüfenden Stellen (sechzehn) ( 21 ) sowie die Tatsache hervorgehoben, dass die der Kommission übersandte Liste keine Angaben zu diesen Stellen enthalte und nur auf das Ministerium für Inneres verweise.

52.

Wie auch immer das Modell zu beurteilen ist (die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung erklärt, dass sie dieses prüfe ( 22 ), um zu entscheiden, ob sie insoweit Maßnahmen ergreifen werde), ist die erste Vorlagefrage abstrakt formuliert und erfordert somit nicht, dass der Gerichtshof das in einem bestimmten Mitgliedstaat eingeführte System bewertet.

2. Die Liste nach Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403

53.

Gemäß Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 veröffentlicht „[d]ie Kommission … auf ihrer Website eine Liste der von den Mitgliedstaaten benannten überprüfenden Stellen“.

54.

Das vorlegende Gericht möchte wissen, ob die Aufnahme in diese Liste eine notwendige Voraussetzung dafür ist, dass die überprüfenden Stellen als solche angesehen werden, oder ob die Liste lediglich eine informative Funktion und keine konstitutive Wirkung hat.

55.

Meiner Auffassung nach spricht Art. 3 Abs. 1 und 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 für den zweiten Ansatz: Für die Benennung der überprüfenden Stellen sind die Mitgliedstaaten zuständig, und die Liste enthält lediglich zu deklaratorischen und nicht zu konstitutiven Zwecken die von diesen bereits benannten Stellen (bzw. sollte diese enthalten) ( 23 ).

56.

Wie die Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen feststellt, verleihen ihr weder Anhang I Abschnitt III der Richtlinie 91/477 noch Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 die Befugnis zu entscheiden, wer die „überprüfenden Stellen“ sind. Ebenso wenig verlangen diese Bestimmungen, dass als überprüfende Stellen nur solche Stellen gelten, die, nachdem sie von den einzelnen Mitgliedstaaten benannt wurden, in der auf der Website der Kommission veröffentlichten Liste aufgeführt werden ( 24 ).

57.

Sicher sollte in einem grenzüberschreitenden Kontext im Interesse der Rechtssicherheit die Identifizierung der überprüfenden Stellen auf einem System beruhen, bei dem durch Veröffentlichung zuverlässig klargestellt wird, welche Stellen vom jeweiligen Mitgliedstaat anerkannt wurden.

58.

Der Förderung des „freien Verkehrs“ für bestimmte Feuerwaffen, auf die der erste Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/51 verweist, wird natürlich besser gedient mit einem Mechanismus, der die Handelsschranken zwischen den Mitgliedstaaten abbaut. Die Beurteilung ist für die Behörden des Bestimmungsmitgliedstaats, denen eine deaktivierte Waffe vorgelegt wird, einfacher, wenn die Deaktivierung im Herkunftsstaat von einer Stelle überprüft und bescheinigt wurde, deren Natur gerade aufgrund ihrer Aufnahme in die Liste außer Zweifel steht.

59.

Bei diesen Erwägungen darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, was sich aus dem Wortlaut der Vorschrift und ihrem Kontext ergibt: Eine Aufnahme in die in Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 genannte Liste ist keine Voraussetzung für die gültige Erlangung des Status einer überprüfenden Stelle.

60.

Dieser Status wird nicht durch die Aufnahme in die Liste, sondern durch die Ermächtigung durch den betreffenden Mitgliedstaat erworben. Für die Benennung der für die Überprüfung und Bescheinigung der Deaktivierung von Feuerwaffen zuständigen Stellen ist ausschließlich der Mitgliedstaat zuständig, und die Kommission wird mit der Veröffentlichung der Liste lediglich unterstützend tätig.

61.

Ist eine solche Ermächtigung durch einen Mitgliedstaat erfolgt, stellt die Liste, wie ich wiederholen möchte, die bevorzugte, aber nicht die einzige Möglichkeit des Nachweises dar, dass die Deaktivierungsbescheinigung von einer zugelassenen überprüfenden Stelle ausgestellt wurde.

62.

Insoweit spricht nichts dagegen, dass ein Waffenimporteur eine Deaktivierungsbescheinigung einer überprüfenden Stelle, die nicht in der Liste aufgeführt wird, vorlegt und mit anderen rechtlich zulässigen Mitteln nachweist, dass diese Stelle den Status einer überprüfenden Stelle rechtmäßig innehat (d. h. vom Mitgliedstaat als überprüfende Stelle benannt wurde).

63.

Mit den vorstehenden Ausführungen soll jedoch keinesfalls die Bedeutung der in Art. 3 Abs. 3 der Durchführungsverordnung 2015/2403 genannten Liste heruntergespielt werden. Diese Bestimmung – wie die anderen in der Verordnung enthaltenen Bestimmungen – dürfen nicht „nur auf dem Papier“ stehen. Wird im Voraus zuverlässig klargestellt, welche überprüfenden Stellen in den einzelnen Mitgliedstaaten zugelassen sind, erhöht dies die Zuverlässigkeit des gesamten Systems.

64.

Außerdem sind die Mitgliedstaaten nach Art. 8 der Durchführungsverordnung 2015/2403 verpflichtet, loyal mit der Kommission zusammenzuarbeiten und ihr „Maßnahmen, die sie auf dem unter diese Verordnung fallenden Gebiet erlassen“, zu notifizieren. Dazu gehört gemäß Art. 3 Abs. 3 die Pflicht, „ausführliche Informationen über die überprüfende Stelle und das von ihr verwendete Symbol sowie die Kontaktdaten“ zu übermitteln.

65.

Erfolgt die Übermittlung nicht, erschwert dies nicht nur zusätzlich den Nachweis, dass die Deaktivierungsbescheinigung von einer überprüfenden Stelle ausgestellt wurde, sondern der Mitgliedstaat verletzt damit auch eine rechtliche Verpflichtung. Es ist Aufgabe der Kommission, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um der Nichterfüllung dieser Verpflichtung entgegenzuwirken.

C.   Zweite Vorlagefrage

66.

Mit der zweiten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht klären,

ob „über eine von einem Mitgliedstaat für die Deaktivierung von Waffen benannte überprüfende Stelle … auch sonstiger, von einer nationalen Behörde erlangter Nachweis geführt werden“ kann; und

ob in einem solchen Fall ein anderer Mitgliedstaat eine von dieser überprüfenden Stelle ausgestellte Deaktivierungsbescheinigung gemäß Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2015/2403 anerkennen „muss“.

1. Nachweis über die überprüfende Stelle

67.

Das vorlegende Gericht formuliert die zweite Vorlagefrage so, dass sich der erste Teil dieser Frage zum Großteil mit der ersten Vorlagefrage überschneidet.

68.

Wenn, wie ich es vertrete, die Aufnahme einer überprüfenden Stelle in die Liste der Kommission keine wesentliche Voraussetzung dafür ist, dass diese Stelle als solche anerkannt wird, erscheint es mir logisch, andere Mittel als Nachweis dafür zuzulassen, dass diese Stelle von einem Mitgliedstaat benannt wurde.

69.

Meiner Ansicht nach spricht nichts dagegen, dass diese Tatsache durch offizielle, im Herkunftsstaat von dessen eigenen Behörden ausgestellte Dokumente nachgewiesen wird, selbst wenn die Benennung, aus welchem Grund auch immer, nicht aus der von der Kommission veröffentlichten Liste hervorgeht.

2. Anerkennung der Deaktivierungsbescheinigung

70.

Im zweiten Teil der Vorlagefrage wird danach gefragt, ob ein Mitgliedstaat verpflichtet ist, eine von einer überprüfenden Stelle eines anderen Mitgliedstaats ausgestellte Deaktivierungsbescheinigung anzuerkennen.

71.

Allgemein gilt, dass deaktivierte Feuerwaffen nur dann in einen anderen Staat verbracht werden dürfen, wenn sie mit der einheitlichen eindeutigen Kennzeichnung versehen sind und ihnen eine Deaktivierungsbescheinigung beiliegt.

72.

Nach Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2015/2403 „[erkennen d]ie Mitgliedstaaten … die von anderen Mitgliedstaaten ausgestellten Deaktivierungsbescheinigungen an, falls die Bescheinigung die in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen erfüllt“ ( 25 ).

73.

Zwar ist dieser Artikel verpflichtend formuliert: „Die Mitgliedstaaten erkennenan“ (Hervorhebung nur hier). Diese Vorgabe wird jedoch sogleich eingeschränkt, indem sie an die Bedingung geknüpft wird, dass „die Bescheinigung die in dieser Verordnung festgelegten Anforderungen erfüllt“.

74.

Die Anerkennung der Bescheinigung durch einen anderen Mitgliedstaat als den, der die Bescheinigung ausgestellt hat, erfolgt somit weder automatisch noch bedingungslos. Sie erfolgt vielmehr nur, wenn die Bescheinigung die in der Durchführungsverordnung 2015/2403 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt, die sowohl formal als auch materiell sein können:

Die formalen Voraussetzungen beziehen sich auf das verwendete Musterformular (Deaktivierungsbescheinigung in Anhang III der Verordnung) und die Zuständigkeit der überprüfenden Stelle, die dieses ausgestellt hat. Die Bescheinigung wird der zuständigen Behörde des Bestimmungsstaats vorgelegt, damit diese sich vergewissern kann, dass die Bescheinigung von einer vom Herkunftsstaat benannten überprüfenden Stelle ausgestellt wurde.

Die materiellen Voraussetzungen betreffen die Deaktivierungsmaßnahmen, die den technischen Spezifikationen in Anhang I der Verordnung entsprechen müssen. Die Überprüfung durch die Behörden des Bestimmungsstaats, ob diese Spezifikationen im Herkunftsstaat eingehalten wurden, wirft jedoch gewisse Probleme auf. Die materiellen Voraussetzungen werden in der Vorlagefrage des vorlegenden Gerichts zwar nicht erwähnt ( 26 ), jedoch halte ich es für angebracht, sie anzusprechen, um die in der vorliegenden Rechtssache betroffenen Grundsätze und Interessen angemessen zu umgrenzen.

75.

Auf den ersten Blick könnte der Standpunkt vertreten werden, der innergemeinschaftliche Handel mit deaktivierten Feuerwaffen falle unter die klassische Regelung der gegenseitigen Anerkennung, die im Rahmen des Waren- und Dienstleistungsverkehrs auch für ähnliche Dokumente gelte.

76.

Eine solche Gleichstellung ist meiner Meinung nach jedoch einzuschränken.

77.

Erstens wird in der Richtlinie 2008/51 betont, dass „[m]it ihr … einerseits der freie Verkehr für bestimmte Feuerwaffen in der Gemeinschaft gewährleistet, aber andererseits dieser freie Verkehr auch durch bestimmte Sicherheitsvorkehrungen … wiederum eingeschränkt [wird]“ ( 27 ).

78.

Bereits der ursprünglichen Fassung des Art. 12 Abs. 3 der Richtlinie 91/477 ließ sich entnehmen, dass die Beschränkung des freien Verkehrs mit Feuerwaffen beabsichtigt war und dass „[z]wei oder mehrere Mitgliedstaaten … durch Abkommen über die gegenseitige Anerkennung einzelstaatlicher Dokumente eine flexiblere Regelung für den Verkehr mit Feuerwaffen in ihren Gebieten vorsehen [können]“.

79.

Zweitens steht die Regelung des innergemeinschaftlichen Verkehrs mit Feuerwaffen, für die „ein[] harmonisierte[r] Mindestrahmen [hergestellt wird]“ ( 28 ), im Widerspruch zu anderen Vorschriften über eine vollständige Harmonisierung, die für den grenzüberschreitenden Verkehr von Waren gelten, deren Verkehr eine gewisse Gefahr mit sich bringt.

80.

In den letztgenannten Fällen gilt vorrangig der Grundsatz des freien Verkehrs, wonach es den Mitgliedstaaten untersagt ist, das Inverkehrbringen oder die Inbetriebnahme von Gegenständen, die die einschlägigen Rechtsvorschriften erfüllen, in ihrem Hoheitsgebiet zu verbieten, zu beschränken oder zu behindern.

81.

Selbst in einem vollständig harmonisierten Rahmen werden den nationalen Behörden bestimmte Befugnisse zur nachträglichen Kontrolle übertragen, um Fehler oder Anomalien des Systems zu erkennen. Zu diesem Zweck wurden eine Reihe von Schutzklauseln geschaffen, mit denen Störungen auf Unionsebene verhindert oder korrigiert werden, indem ein Prozess in Gang gesetzt wird, bei dem die Kommission und alle Mitgliedstaaten mitwirken ( 29 ).

82.

Wenn die Richtlinie 91/477 in der durch die Richtlinie 2008/51 und die Durchführungsverordnung 2015/2403 geänderten Fassung diese Kontrollbefugnisse, was deaktivierte Waffen betrifft, nicht speziell auf die Mitgliedstaaten überträgt, so ist dies damit zu erklären, dass diese Befugnisse gerade angesichts der Beschränkungen, denen der gewöhnliche Verkehr dieser Waffen unterliegt, nicht unerlässlich sind.

83.

Bei der Verbringung von Waffen zwischen Mitgliedstaaten führt die Behörde des Empfängerstaats eine vollständige Prüfung der Waffen durch, bevor sie sie endgültig in seinem Hoheitsgebiet zulässt. Die Befugnis hierfür ergibt sich aus der Richtlinie 91/477.

84.

Nach Art. 14 erster Gedankenstrich der Richtlinie 91/477 „[erlassen d]ie Mitgliedstaaten … die erforderlichen Vorschriften zum Verbot des Verbringens in ihr Gebiet … einer Feuerwaffe außer in den Fällen nach den Artikeln 11 und 12 und vorbehaltlich der Einhaltung der dort vorgesehenen Bedingungen“ ( 30 ).

85.

Diese beiden Artikel regeln den einem aufwendigen Verfahren unterliegenden Prozess des Verkehrs mit den verschiedenen Arten von Feuerwaffen innerhalb der Union (Art. 11) ( 31 ) bzw. im Fall des Besitzes einer Feuerwaffe während einer Reise durch zwei oder mehrere Mitgliedstaaten die Genehmigung dieser Mitgliedstaaten (Art. 12).

86.

Wie in der mündlichen Verhandlung betont wurde, sind im Rahmen des Verfahrens der Verbringung deaktivierter Feuerwaffen innerhalb der Union die Feuerwaffen und ihre Deaktivierungsbescheinigungen bei den Behörden des Bestimmungsstaats vorzulegen, und diese haben auf jeden Fall die Waffen und die Bescheinigungen zu prüfen, um festzustellen, ob die Bescheinigungen mit den Waffen übereinstimmen und die vorgeschriebenen Voraussetzungen erfüllt sind ( 32 ).

87.

Bei diesem Verfahren der Meldung und Vorlage (das mit der aufgrund der offenkundigen Gefährlichkeit von Feuerwaffen eingeschränkten relativen Verkehrsfreiheit dieser Waffen vereinbar ist) dürfen die Behörden des Bestimmungsstaats nicht die Augen verschließen, wenn auf den ersten Blick offensichtlich ist, dass eine Bescheinigung nicht den in der Durchführungsverordnung 2015/2403 festgelegten Voraussetzungen entspricht.

88.

Haben die Behörden in einem solchen Fall den ernsthaften Verdacht, dass die von einer überprüfenden Stelle des Herkunftsstaats ausgestellte Bescheinigung nicht die genannten Voraussetzungen erfüllt, können sie entsprechende Kontrollen durchführen (einschließlich eines Amtshilfeersuchens gemäß Art. 4 der Durchführungsverordnung 2015/2403) und gegebenenfalls, falls die festgestellten Mängel schwerwiegend sind ( 33 ), die Bescheinigung unberücksichtigt lassen.

89.

Es könnte angenommen werden, dass deaktivierte Waffen, da sie nicht unter den Begriff „Feuerwaffen“ fallen, auch nicht solchen Verfahren für die Verbringung von einem Mitgliedstaat in einen anderen unterliegen. Ich vertrete jedoch aus mehreren Gründen einen anderen Standpunkt:

Zu jeder Waffe gehören bestimmte „wesentliche Bestandteile“. Der Zweck der Deaktivierung liegt gerade darin, dass verbürgt wird, „dass alle wesentlichen Bestandteile der Feuerwaffe auf Dauer unbrauchbar sind und nicht mehr entfernt, ausgetauscht oder … umgebaut werden können“ ( 34 ).

Einige dieser wesentlichen Bestandteile stellen selbst eine Feuerwaffe im Sinne der Definition in Art. 1 Abs. 1b der Richtlinie 91/477 dar, der den ursprünglichen Inhalt von Anhang I Abschnitt II Buchst. b in den Artikel aufnimmt.

Insoweit lässt sich kaum in Frage stellen, dass die zuständige Behörde des Bestimmungsstaats befugt ist, die deaktivierten Waffen zu überprüfen und zu klassifizieren, soweit es sich um Träger „wesentlicher Bestandteile der Feuerwaffen“ handelt, deren Deaktivierung sie ebenfalls festzustellen hat.

90.

Im Ergebnis wird im Bestimmungsstaat mit der Prüfung durch dessen Behörden, ob die Überprüfungsbescheinigung der deaktivierten Waffen die geltenden formalen und materiellen Voraussetzungen erfüllt, das Risiko beseitigt und die öffentliche Sicherheit geschützt: Die Waffen werden erst dann als deaktivierte Waffen in das Hoheitsgebiet des Empfangsstaats eingeführt, wenn nachgewiesen ist, dass sie tatsächlich deaktiviert wurden.

V. Ergebnis

91.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, dem Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 3 der Richtlinie 91/477/EWG des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen sowie Art. 3 der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 der Kommission vom 15. Dezember 2015 zur Festlegung gemeinsamer Leitlinien über Deaktivierungsstandards und ‑techniken, die gewährleisten, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden, sind dahin auszulegen, dass

es ihnen nicht zuwiderläuft, wenn ein Mitgliedstaat eine unter der Aufsicht und Leitung einer Behörde stehende privatrechtliche Gesellschaft benennt, die überprüft, ob die Deaktivierung einer Feuerwaffe gemäß den in Anhang I der genannten Verordnung festgelegten technischen Spezifikationen durchgeführt wurde;

die Aufnahme in die auf der Website der Kommission veröffentlichte Liste der von den Mitgliedstaaten benannten überprüfenden Stellen keine wesentliche Voraussetzung für den Nachweis dieser Benennung ist, die mit allen rechtlich zulässigen Mitteln nachgewiesen werden kann.

2.

Art. 7 Abs. 2 der Durchführungsverordnung 2015/2403 ist dahin auszulegen, dass die Behörden eines Mitgliedstaats, in den die deaktivierten Waffen verbracht werden sollen, prüfen können – wenn ernsthafte Gründe hierfür vorliegen –, ob die von den überprüfenden Stellen eines anderen Mitgliedstaats ausgestellten Deaktivierungsbescheinigungen die in der Verordnung vorgesehenen formalen und materiellen Voraussetzungen erfüllen.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1991 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 1991, L 256, S. 51). Sie wurde durch die Richtlinie (EU) 2021/555 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 24. März 2021 über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2021, L 115, S. 1) aufgehoben.

( 3 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Mai 2008 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2008, L 179, S. 5). In den vorliegenden Schlussanträgen beziehen sich die Verweise auf die Richtlinie 91/477, sofern nicht anders angegeben, auf die durch die Richtlinie 2008/51 geänderte Fassung.

( 4 ) Durchführungsverordnung der Kommission vom 15. Dezember 2015 zur Festlegung gemeinsamer Leitlinien über Deaktivierungsstandards und ‑techniken, die gewährleisten, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden (ABl. 2015, L 333, S. 62).

( 5 ) Feuerwaffengesetz Nr. 1/1998.

( 6 ) Auf Aufforderung durch die Polizei legte er sie am 23. November 2017 nochmals vor.

( 7 ) Die Deaktivierungsmaßnahmen wiesen danach folgende Unzulänglichkeiten auf: 1. Sie verhinderten ein Zerlegen der Waffen und der Verriegelung nicht. 2. Der Abzugsmechanismus der Waffen sei nicht mit dem Rahmen verschweißt worden, und obwohl der Hahn mit der Hahnrast verschweißt worden sei, sei eine Bewegung des Abzugs und ein Entfernen von Teilen des Abzugsmechanismus aus der Waffe möglich. 3. In den Lauf der Waffen seien nur fünf kalibergroße Bohrungen statt der in der Durchführungsverordnung 2015/2403 geforderten sechs Bohrungen angebracht gewesen. 4. Es seien MIG-Schweißen mit normalem Stahl und nicht TIG-Schweißen mit rostfreiem Stahl des Typs ER 316L, wie in der Durchführungsverordnung verlangt, vorgenommen worden.

( 8 ) Schriftstücke 3 und 4 des Anhangs, den A zusammen mit seinen schriftlichen Erklärungen eingereicht hat.

( 9 ) Zur Stützung seiner Anträge legte A eine E‑Mail des österreichischen Innenministeriums vom 11. März 2020 vor, der zufolge das österreichische Verteidigungsministerium (für als Militaria anzusehende Feuerwaffen) und das österreichische Innenministerium (für zu zivilen Verwendungszwecken bestimmte Feuerwaffen) gemäß den österreichischen Rechtsvorschriften bestimmte Gewerbetreibende dazu ermächtigten, die Deaktivierung von Feuerwaffen zu überprüfen.

( 10 ) Hiermit erfüllte die Union ihre internationale Verpflichtung als Vertragspartei des Protokolls gegen die unerlaubte Herstellung von Schusswaffen, dazugehörigen Teilen und Komponenten und Munition und gegen den unerlaubten Handel damit, in Ergänzung des Übereinkommens der Vereinten Nationen gegen die grenzüberschreitende organisierte Kriminalität, das durch den Beschluss 2014/164/EU des Rates (ABl. 2014, L 89, S. 7) abgeschlossen wurde.

( 11 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Mai 2017 zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen (ABl. 2017, L 137, S. 22).

( 12 ) „Die von der Kommission konsultierten Interessenträger vertraten die Ansicht, dass die Reaktivierung unbrauchbar gemachter Feuerwaffen maßgeblich zur Beschaffung von Waffen für kriminelle Zwecke beiträgt, weshalb eine Harmonisierung der Deaktivierungsvorschriften im Hinblick auf die Bekämpfung dieser Praktiken als vorrangig angesehen wird“ (Abs. 2.7 der Stellungnahme des Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschusses zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates zur Änderung der Richtlinie 91/477/EWG des Rates über die Kontrolle des Erwerbs und des Besitzes von Waffen, COM[2015] 750 final – 2015/0269 [COD]).

( 13 ) Das vorlegende Gericht erklärt in Rn. 23 seines Beschlusses, dass zum Zeitpunkt der Abfassung des Vorabentscheidungsersuchens die Liste auf der Website der Kommission nicht abrufbar gewesen sei. Die Generaldirektion der Kommission für Migration und Inneres (GD HOME) habe es über das Europe-Direct-Kontaktzentrum informiert, dass die Liste derzeit überprüft und dass die aktualisierte Version bis Ende des Jahres 2021 zugänglich sein werde.

( 14 ) Zur klassischen Unterscheidung zwischen Handlungen iure gestionis und iure imperii vgl. das Urteil vom 7. Mai 2020, Rina (C‑641/18, EU:C:2020:349), in Bezug auf Art. 1 Abs. 1 der Brüssel‑I-Verordnung (Verordnung [EG] Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen [ABl. 2001, L 12, S. 1]).

( 15 ) Durchführungsverordnung der Kommission vom 5. März 2018 zur Änderung der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 zur Festlegung gemeinsamer Leitlinien über Deaktivierungsstandards und ‑techniken, die gewährleisten, dass Feuerwaffen bei der Deaktivierung endgültig unbrauchbar gemacht werden (ABl. 2018, L 65, S. 1). Ziel dieser Verordnung ist es, dass „[d]ie in der Durchführungsverordnung (EU) 2015/2403 festgelegten Vorschriften für die Deaktivierung von Feuerwaffen die neuen, durch die Richtlinie (EU) 2017/853 eingeführten Deaktivierungsmaßnahmen widerspiegeln und mit diesen kohärent [sind]“ (fünfter Erwägungsgrund). In der mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass in einigen Sprachfassungen der Durchführungsverordnung 2018/337 bei der Änderung von Art. 3 Abs. 1 zum Substantiv „Behörde“ nicht das Adjektiv „öffentlich“ hinzugefügt wurde.

( 16 ) In den verschiedenen Sprachfassungen werden sowohl der Begriff „Einrichtung“ („organisme“ in der französischen und „organismo“ in der italienischen Fassung) als auch der Begriff „Stelle“ verwendet („entidad“ in der spanischen, „entity“ in der englischen, „entidade“ in der portugiesischen, „entitatea“ in der rumänischen und „entiteit“ in der niederländischen Fassung). In der deutschen Fassung wird der Begriff „Behörde“ verwendet.

( 17 ) Der Gerichtshof hat in einem so allgemeinen Bereich wie der rechtlichen Regelung der unmittelbar anwendbaren Bestimmungen einer Richtlinie anerkannt, dass diese „einer – selbst privatrechtlichen – Organisation oder Einrichtung, die von einem Mitgliedstaat mit der Erfüllung einer im öffentlichen Interesse liegenden Aufgabe betraut wurde und hierzu mit besonderen Rechten ausgestattet ist, die über diejenigen hinausgehen, die nach den Vorschriften für die Beziehungen zwischen Privatpersonen gelten“, entgegengehalten werden können (Urteil vom 10. Oktober 2017, Farrell, C‑413/15, EU:C:2017:745, Rn. 35).

( 18 ) Die Übertragung führt nicht automatisch dazu, dass die entsprechenden Tätigkeiten „in Ausübung öffentlicher Gewalt“ erfolgen. Der Gerichtshof hat insoweit entschieden, dass Hilfs- und Vorbereitungsaufgaben nicht als unmittelbare und spezifische Teilnahme an der Ausübung öffentlicher Gewalt im Sinne von Art. 51 Abs. 1 AEUV anzusehen sind und der Anwendungsbereich dieser Bestimmung auf das unbedingt Erforderliche zu beschränken ist. Aus einem anderen Blickwinkel betrachtet, heißt es im Urteil vom 7. Mai 2020, Rina (C‑641/18, EU:C:2020:349, Rn. 39), dass „die bloße Tatsache, dass bestimmte Befugnisse durch einen Hoheitsakt übertragen werden, nicht bedeutet, dass diese Befugnisse iure imperii ausgeübt werden“.

( 19 ) Die Unionsvorschriften lassen es ausdrücklich zu, dass private Stellen in bestimmten Sektoren öffentliche Aufgaben wahrnehmen. Vgl. z. B. Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 2014/45/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 über die regelmäßige technische Überwachung von Kraftfahrzeugen und Kraftfahrzeuganhägern und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/40/EG (ABl. 2014, L 127, S. 51): „Die technische Überwachung wird von dem Mitgliedstaat, in dem das Fahrzeug zugelassen ist, oder von einer durch diesen Mitgliedstaat entsprechend beauftragten öffentlichen Stelle oder von Stellen oder Einrichtungen durchgeführt, die vom Mitgliedstaat dafür ernannt und unter seiner Aufsicht tätig sind, einschließlich ermächtigter privater Stellen“ (Hervorhebung nur hier).

( 20 ) Nach Angaben der österreichischen Regierung (Rn. 17 ihrer Antwort) wird der Beliehene dabei funktionell als Organ der beleihenden staatlichen Stelle tätig. Diese staatliche Stelle hafte für die hoheitliche Aufgabenbesorgung durch den Beliehenen. Nach der ständigen Rechtsprechung des österreichischen Verfassungsgerichtshofs seien Beleihungen nur unter engen Voraussetzungen zulässig und es sei zu gewährleisten, dass ein Verwaltungsorgan über Weisungs- und Aufsichts- oder Kontrollbefugnisse verfüge (in diesem Fall das Ministerium für Landesverteidigung und das Ministerium für Inneres, die die Leitungsbefugnis ausübten und den überprüfenden Stellen Weisungen erteilen dürften).

( 21 ) Nach Angaben der Kommission nutzt kein anderer Mitgliedstaat ein solches Modell.

( 22 ) Die Kommission scheint insbesondere deshalb beunruhigt zu sein, weil es eine große Anzahl privater überprüfender Stellen gibt und diese eventuell nicht tatsächlich von einer öffentlichen Behörde kontrolliert werden können.

( 23 ) Streng genommen ist die Aufnahme in die Liste keine Bedingung dafür, dass die Maßnahmen des jeweiligen Mitgliedstaats den Bestimmungen der Durchführungsverordnung 2015/2403 entsprechen. Meine Ausführungen in den Schlussanträgen in der Rechtssache Poltorak (C‑452/16 PPU, EU:C:2016:782, Nrn. 64 bis 66) scheinen mir auf den vorliegenden Rechtsstreit analog anwendbar zu sein. In jener Rechtssache ging es um die Mitteilung an das Generalsekretariat des Rates, welche Behörden nach dem nationalen Recht des Mitgliedstaats für die Ausstellung oder Vollstreckung von Europäischen Haftbefehlen zuständig sind.

( 24 ) Rn. 26 der schriftlichen Erklärungen der Kommission, die in der mündlichen Verhandlung bestätigt wurden.

( 25 ) In der mündlichen Verhandlung waren sich die Beteiligten einig, dass dieser Artikel ein System der gegenseitigen Anerkennung der Bescheinigungen einführt, das auf dem gegenseitigen Vertrauen der Mitgliedstaaten beruht.

( 26 ) Wie bereits ausgeführt (Fn. 13), weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die Polizeibehörde Helsinki festgestellt habe, dass die Deaktivierung der Waffen schwerwiegende Mängel aufweise.

( 27 ) Erster Erwägungsgrund der Richtlinie 2008/51 (Hervorhebung nur hier).

( 28 ) Urteil vom 3. Dezember 2019, Tschechische Republik/Parlament und Rat (C‑482/17, EU:C:2019:1035, Rn. 47).

( 29 ) In den Schlussanträgen in der Rechtssache Fédération des entreprises de la beauté (C‑4/21, EU:C:2022:221) bin ich auf die Anwendung von Schutzklauseln im Rahmen der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. November 2009 über kosmetische Mittel (ABl. 2009, L 342, S. 59) eingegangen, mit der die Unionsvorschriften in diesem Bereich umfassend harmonisiert werden sollen. Zwar dürfen die Mitgliedstaaten nach dieser Verordnung das Bereitstellen von kosmetischen Mitteln auf dem Markt nicht ablehnen, verbieten oder beschränken, wenn die kosmetischen Mittel den Bestimmungen der Verordnung entsprechen, jedoch können sie die Schutzklauseln vorläufig anwenden, während gleichzeitig die Einheit des Binnenmarkts für diese Produkte gewahrt bleibt, weil das letzte Wort bei der Kommission verbleibt.

( 30 ) Im sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 91/477 heißt es, dass es sich empfehle, „das Mitnehmen von Waffen beim Überschreiten der Grenze zwischen zwei Mitgliedstaaten grundsätzlich zu untersagen“.

( 31 ) Genehmigt der Mitgliedstaat, in dem sich die Waffen vor der Verbringung befinden, die betreffende Verbringung, so stellt er einen Erlaubnisschein aus, der alle in Art. 11 Abs. 2 Unterabs. 1 genannten Angaben enthält. Der Schein muss die Feuerwaffen bis zu ihrem Bestimmungsort begleiten; er ist auf Verlangen der Behörden der Mitgliedstaaten jederzeit vorzuzeigen.

( 32 ) A fortiori können die Behörden des Bestimmungsstaats prüfen, ob die deaktivierten Waffen die „zusätzlichen Maßnahmen“, die über die in Anhang I der Verordnung 2015/2403 festgelegten technischen Spezifikationen hinausgehen und in deren Art. 6 genannt sind, erfüllen. In der mündlichen Verhandlung wurde erläutert, dass weder die Republik Österreich noch Finnland solche Maßnahmen eingeführt haben.

( 33 ) Zu dem gleichen Schluss könnten die Behörden natürlich auch gelangen, wenn die Deaktivierungsbescheinigungen betrügerisch erlangt oder verwendet wurden. In den Urteilen des Gerichtshofs vom 6. Februar 2018, Altun u. a. (C‑359/16, EU:C:2018:63), und vom 2. April 2020, CRPNPAC und Vueling Airlines (C‑370/17 und C‑37/18, EU:C:2020:260), betreffend die Ausstellung der Bescheinigung E 101 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer, die innerhalb der Union zu- und abwandern, wird dies anerkannt, vorausgesetzt, es wurde zuvor das entsprechende Verfahren befolgt und eine Verwaltungskommission angerufen, die sich um eine Annäherung der unterschiedlichen Standpunkte der Behörden bemüht. Da die Durchführungsverordnung 2015/2403 im Fall von Deaktivierungsbescheinigungen von Waffen keine solchen Vermittlungsverfahren vorsieht, kann die Feststellung eines eventuellen Betrugs durch die Behörden des Bestimmungsstaats erfolgen.

( 34 ) Anhang I Abschnitt III Buchst. a der Richtlinie 91/477.