SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 15. Dezember 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑50/21

Prestige and Limousine, S.L.

gegen

Área Metropolitana de Barcelona,

Asociación Nacional del Taxi (ANTAXI),

Asociación Profesional Elite Taxi,

Sindicat del Taxi de Catalunya (STAC),

TAPOCA VTC1 SL,

Agrupació Taxis Companys

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunal Superior de Justicia de Cataluña [Obergericht Katalonien, Spanien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 49 und 107 AEUV – Private Mietfahrzeuge mit Fahrer (Funkmietwagen) – Begrenzung der Anzahl der Betriebslizenzen für Funkmietwagen im Verhältnis zur Anzahl der Taxilizenzen – Genehmigungssystem mit dem Erfordernis einer zweiten Betriebslizenz“

I. Einleitung

1.

Märkte im Wandel sind für den Gesetzgeber und für die Rechtsauslegung und ‑anwendung eine heikle Angelegenheit. Geopolitische Umstände, Technologie und Gesellschaft und damit auch die Ansprüche der Verbraucher entwickeln sich ständig weiter. Gleichzeitig treten neue Akteure, Technologien und Anbieter auf den Plan. Sie wirken störend auf bestehende Verhältnisse. Sie verändern den Status quo, manchmal nur vorübergehend, oft aber für immer. In einem Markt, der einer gewissen Regulierung unterliegt, haben neue Marktteilnehmer, die oft neue Geschäftsmodelle anwenden, häufig einen schweren Stand.

2.

Das Taxigewerbe in ganz Europa bietet ein Fallbeispiel für einen Markt im Wandel. Vielerorts in der Union sind die Anbieter von Taxidiensten dank staatlicher Regulierung traditionell vom Wettbewerb abgeschirmt worden ( 2 ), während webbasierte Plattformen begonnen haben, mit einem hohen Maß an Eifer, Präzision und Effizienz Personenbeförderungsdienste im lokalen Bedarfsverkehr (on demand) anzubieten. Dies hat nicht nur zu mehr Transparenz in allen Phasen der Nahverkehrsdienste beigetragen, bei denen Angebot und Nachfrage mit größerer Präzision als früher aufeinander abgestimmt werden, sondern auch zu einer Steigerung von Angebot und Nachfrage: Es ist heute viel einfacher als früher, Fahrer zu werden und Dienste über eine Internetplattform anzubieten, und die Kunden wiederum haben mehr Kontrolle darüber, wie, wo und zu welchen Kosten sie befördert werden. Außerdem wurde der private Nahverkehr bezahlbarer und die wirtschaftliche Zugangsbarriere für die Verbraucher niedriger. Personen, die sich früher keine privaten Beförderungsmittel leisten konnten, sind nun in vielen Fällen in der Lage, dies zu tun. All dies hat dazu geführt, dass die Grenzen zwischen den traditionellen Taxidiensten und den neuen Akteuren auf dem Markt sich verwischen und ihre Dienstleistungen verschmelzen. Darüber hinaus hat dies auch eine gewisse Wechselwirkung in dem Sinne zur Folge, dass traditionelle Taxiunternehmen zunehmend auf webbasierte Anwendungen zurückgreifen, um Angebot und Nachfrage aufeinander abzustimmen.

3.

Dem Gerichtshof ist bekannt, dass diese Entwicklung auch den Großraum Barcelona betrifft. Es ist nicht das erste Mal, dass sich der Gerichtshof mit der Frage der Erbringung von Personenbeförderungsdiensten im lokalen Bedarfsverkehr in Barcelona zu befassen hat. Insbesondere hat der Gerichtshof in dem grundlegenden Urteil in der Rechtssache Asociación Profesional Elite Taxi ( 3 ) klargestellt, dass bestimmte Internetplattformen eine Dienstleistung im Bereich des Verkehrs erbringen, was zur Folge hat, dass weder die Bestimmungen der Richtlinie 2006/123/EG ( 4 ) noch die der Richtlinie 2000/31/EG ( 5 ) noch der Grundsatz des freien Dienstleistungsverkehrs gemäß Art. 56 AEUV anwendbar sind und somit die von den Mitgliedstaaten getroffenen Maßnahmen nicht anhand dieser Bestimmungen überprüft werden können. Insbesondere können solche Unternehmen nicht ihren als Anbieter von Verkehrsdiensten möglicherweise obliegenden Verpflichtungen entgehen, indem sie sich mittels der Richtlinie 2000/31, die definitionsgemäß kaum Verpflichtungen für Internet-Diensteanbieter beinhaltet, den Vorschriften der Mitgliedstaaten „entziehen“.

4.

Gleichzeitig ist hinlänglich bekannt, dass die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV auch für Dienstleistungen im Bereich des Verkehrs gilt. Dies ist der Ausgangspunkt in der vorliegenden Rechtssache: Der Gerichtshof wird ersucht, darüber zu entscheiden, ob die von der spanischen Regulierungsbehörde vorgenommene Abwägung zwischen traditionellen Taxidiensten und Beförderungsdiensten durch private Mietfahrzeuge mit Fahrer (im Folgenden: Funkmietwagen) ( 6 ) den Anforderungen des Art. 49 AEUV entspricht.

5.

Auch in Barcelona ist das traditionelle Taximodell unter Druck: Parallel zum traditionellen Taximarkt hat sich ein System von Personenbeförderungsdiensten im lokalen Bedarfsverkehr entwickelt, und Funkmietwagen sind auf die Bildfläche getreten. In Spanien waren Funkmietwagen traditionell für den überörtlichen Verkehr konzipiert, haben aber ihren Weg in den Ortsverkehr gefunden. Insbesondere in letzterer Hinsicht werden sie von den Kunden – wenn auch nicht dem Namen nach – als Taxis angesehen: Sie bieten den Kunden gegen ein Entgelt Beförderungsleistungen an. Gleichzeitig haben sie im Großraum Barcelona weniger Rechte (z. B. ist die Benutzung von Bus- und Taxispuren verboten) und weniger Pflichten (es gibt keine festen Tarife, und sie dürfen Kunden ablehnen).

6.

Als das Funkmietwagen-Modell Opfer seines eigenen Erfolgs wurde und immer mehr Anbieter auftauchten, schritt die spanische Regulierungsbehörde auf nationaler und lokaler Ebene ein: Für den Großraum Barcelona wurden besondere Lizenzen erforderlich, und diese waren auf eine Lizenz pro 30 Taxilizenzen begrenzt. Da die Zahl der Taxilizenzen in den letzten 35 Jahren stabil geblieben ist, werden in der Praxis Neueinsteiger in den Funkmietwagenmarkt am Zugang zu diesen Lizenzen gehindert.

7.

In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu entscheiden, dass das System, wie es derzeit im Großraum Barcelona besteht, gegen die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV verstößt, sofern es um das Verhältnis von einer Funkmietwagenlizenz zu 30 Taxilizenzen geht. Es stellt eine unverhältnismäßige Beschränkung dieser Grundfreiheit dar.

II. Rechtlicher Rahmen

8.

Art. 43 der Ley 16/1987 de Ordenación de los Transportes Terrestres (Gesetz 16/1987 über die Organisation des Landverkehrs) vom 30. Juli 1987 (BOE Nr. 182 vom 31. Juli 1987), geändert durch das Real Decreto-ley (Königliches Gesetzesdekret) 3/2018 vom 20. April 2018 (BOE Nr. 97 vom 21. April 2018) (im Folgenden: LOTT), macht die Erteilung der Genehmigung für den öffentlichen Verkehr davon abhängig, dass das antragstellende Unternehmen u. a. nachweist, dass die übrigen spezifischen Voraussetzungen für die ordnungsgemäße Erbringung der Dienste, die unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und Nichtdiskriminierung durch Verordnung festgelegt werden, erfüllt sind.

9.

Art. 48 LOTT bestimmt:

„1.   Die Erteilung der Genehmigungen für den öffentlichen Verkehr ist geregelt, weshalb sie nur verweigert werden kann, wenn die hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht erfüllt sind.

2.   Nach den unionsrechtlichen Vorschriften und weiteren gegebenenfalls anwendbaren Bestimmungen können jedoch, wenn die Erbringung öffentlicher Personenbeförderungen mit Personenkraftwagen quantitativen Beschränkungen im regionalen oder örtlichen Bereich unterliegt, durch Verordnung Beschränkungen für die Erteilung sowohl neuer Genehmigungen für die überörtliche Beförderung mit dieser Fahrzeugart als auch der Genehmigungen für die Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer festgelegt werden.

3.   Unbeschadet des vorstehenden Absatzes ist zur Aufrechterhaltung eines angemessenen Gleichgewichts zwischen dem Angebot beider Beförderungsarten die Erteilung neuer Genehmigungen für die Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer zu verweigern, wenn die Anzahl der bestehenden Genehmigungen im Gebiet der Autonomen Gemeinschaft, in der sie erteilt werden sollen, in einem Verhältnis von mehr als 1:30 zur Anzahl der im selben Gebiet erteilten Genehmigungen für die Beförderung von Personen in Personenkraftwagen steht.

Die Autonomen Gemeinschaften, die im Auftrag des Staates Zuständigkeiten im Bereich der Genehmigung der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer übernommen haben, können jedoch die im vorstehenden Unterabsatz genannte Proportionalitätsregel ändern, sofern die von ihnen angewandte Regel weniger restriktiv ist als diese.“

10.

Nach Art. 91 LOTT berechtigen Genehmigungen für die öffentliche Personenbeförderung zur Erbringung von Diensten im gesamten Staatsgebiet, ohne jegliche Einschränkung hinsichtlich des Abfahrts- oder des Zielorts. Davon ausgenommen sind u. a. Genehmigungen für die Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer, die die Voraussetzungen erfüllen müssen, die gegebenenfalls durch Verordnung für den Abfahrtsort, den Zielort oder die Fahrtstrecke der Dienste festgelegt werden.

11.

Die LOTT wird durch das Reglamento de la Ley de Ordenación de los Transportes Terrestres (Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Organisation des Landverkehrs, im Folgenden: ROTT) konkretisiert, das mehrmals geändert wurde.

12.

Ein Teil des ROTT wird wiederum durch die Orden FOM/36/2008 por la que se desarrolla la sección segunda del capítulo IV del título V, en materia de arrendamiento de vehículos con conductor, del Reglamento de la Ley de Ordenación de los Transportes Terrestres (Erlass FOM/36/2008 zur Durchführung von Titel V Kapitel IV Abschnitt 2 der Durchführungsverordnung zum Gesetz über die Organisation des Landverkehrs im Bereich der Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer) vom 9. Januar 2008 (im Folgenden: Funkmietwagen-Erlass) umgesetzt, die wiederum durch den Erlass FOM/2799/2015 vom 18. Dezember 2015 geändert wurde. Nach Art. 1 („Genehmigungspflicht“) des Funkmietwagen-Erlasses „[ist] für die Vermietung von Fahrzeugen mit Fahrer … für jedes Fahrzeug, das hierfür eingesetzt werden soll, eine Genehmigung für dessen Einsatz erforderlich“.

13.

Das Ausgangsverfahren betrifft die Anfechtung des Reglamento de ordenación de la actividad de transporte urbano discrecional de viajeros con conductor en vehículos de hasta nueve plazas que circula íntegramente en el ámbito del Área Metropolitana de Barcelona (Verordnung zur Regelung der vollständig im Großraum Barcelona erfolgenden städtischen Personenbeförderung mit Fahrer im Gelegenheitsverkehr in Fahrzeugen mit bis zu neun Sitzplätzen, im Folgenden: RVTC), das am 26. Juni 2018 vom Consejo Metropolitano del Área Metropolitana de Barcelona (Stadtrat des Großraums Barcelona) erlassen wurde. Das RVTC wurde am 9. Juli 2018 im Boletín Oficial de la Provincia de Barcelona (Amtsblatt der Provinz Barcelona) sowie im Diari Oficial de la Generalitat de Catalunya (Amtsblatt der Regionalregierung von Katalonien) Nr. 7897 vom 14. Juni 2019 veröffentlicht und trat am 25. Juli 2018 in Kraft.

14.

In der Präambel des RVTC wird zunächst auf die Rechtsgrundlagen auf nationaler Ebene sowie auf Ebene der Autonomen Gemeinschaft Katalonien verwiesen und im Anschluss erläutert, dass es sich um ein Modell der Personenbeförderung handele, in das die Behörden durch verschiedene Methoden eingreifen könnten und das völlig anders sei als die Modelle an anderen Orten, nach denen der Personenverkehr in verschiedenen Modalitäten zugunsten von Einzelpersonen „liberalisiert“ sei. Als sachliche Begründung für das Modell wird das Bemühen um ökologische und ökonomische Nachhaltigkeit sowie um neue Flächen angeführt, die anderen öffentlichen Nutzungszwecken als dem Straßenverkehr dienen. Dies sei unvereinbar mit einem Anstieg der Zahl der Funkmietwagen im Stadtverkehr, die für einen einzelnen Nutzer und die Gesamtkapazität des Fahrzeugs gemietet würden.

15.

Nach Art. 1 ist Gegenstand des RVTC die Regelung der städtischen Personenbeförderung im Gelegenheitsverkehr in Fahrzeugen mit bis zu neun Sitzplätzen, soweit sie ausschließlich im Großraum Barcelona erfolgt. Art. 2 begrenzt den räumlichen Anwendungsbereich des RVTC auf den Großraum Barcelona. Art. 3 definiert die Personenbeförderung in Fahrzeugen mit Fahrer mit einer Kapazität von bis zu neun Plätzen einschließlich der Person des Fahrers (Funkmietwagen) als einen Dienst, der auf fremde Rechnung gegen Zahlung eines Preises und nicht nach Linienstrecken oder Zonennetzen und auch nicht in vorher festgelegten regelmäßigen Abständen erbracht wird und bei dem die Bezahlung auf der Grundlage eines Vertrags mit einem einzelnen Nutzer und für die Gesamtkapazität des Fahrzeugs erfolgt. Art. 5 überträgt dem Großraum Barcelona (örtliche Behörde) die Ausübung der behördlichen Eingriffsbefugnisse für diese Dienste über das Instituto Metropolitano del Taxi (im Folgenden: IMET).

16.

Nach Art. 6 RVTC obliegt dem Großraum Barcelona die Erteilung, die Überprüfung der Voraussetzungen für die Erteilung und gegebenenfalls die Erklärung des Verfalls der Genehmigungen für die Erbringung dieser Dienste. Die Aufsichtstätigkeit umfasst u. a. die Regelung der Tätigkeit, die Genehmigungsregelung und die Sanktionsregelung.

17.

Nach Art. 7 RVTC bedarf es für die Erbringung des genannten Dienstes innerhalb des aus dem Gebiet des Großraums Barcelona bestehenden einheitlichen Verwaltungsgebiets für den Stadtverkehr einer vorherigen Genehmigung, mit der deren Inhaber für jedes Fahrzeug, mit dem diese Tätigkeit ausgeübt wird, berechtigt wird. Nach Art. 7 Abs. 4 und 5 RVTC können Dienste mit Abfahrts- und Zielort innerhalb des Großraums Barcelona nur mit einer von diesem erteilten Genehmigung erbracht werden und muss diese Genehmigung zu den übrigen Genehmigungen hinzukommen, die andere Behörden aufgrund ihrer eigenen Befugnisse zu erteilen haben.

18.

Nach Art. 10 („Bestimmung der Anzahl der Genehmigungen“) RVTC hat der Großraum Barcelona die Höchstzahl der Genehmigungen zu jedem Zeitpunkt im Hinblick auf die Notwendigkeit zu bestimmen, die Angemessenheit des Dienstes unter optimalen Bedingungen für die Bürger sicherzustellen, unbeschadet der Garantie der wirtschaftlichen Rentabilität für die Anbieter.

19.

Die Übergangsbestimmung des RVTC erkennt die Gültigkeit der zuvor erteilten und zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des RVTC wirksamen Genehmigungen an und sieht insoweit vor, dass diese weiterhin ordnungsgemäß sind und der neuen Regelung unterliegen. Die erste Zusatzbestimmung begrenzt die Gesamtzahl der Genehmigungen auf die gemäß der Übergangsbestimmung erteilten Genehmigungen. Nach dieser Bestimmung ist das IMET zuständig für die Einleitung eines Verfahrens zur Bestimmung der Höchstzahl von Genehmigungen über die in der Übergangsbestimmung vorgesehenen hinaus und darf die Anzahl der zum jeweiligen Zeitpunkt gültigen Genehmigungen das Verhältnis einer Funkmietwagenlizenz pro 30 Taxilizenzen nicht übersteigen.

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen

20.

Die Prestige and Limousine S.L. (P&L) ist Inhaberin von Lizenzen für Funkmietwagendienste im Großraum Barcelona. Sie begehrt beim Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien, Spanien) die Nichtigerklärung des RVTC, das Funkmietwagendienste im gesamten Großraum Barcelona regeln soll und von der in Art. 48 Abs. 3 LOTT vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch macht, die Zahl der Lizenzen für Funkmietwagendienste auf eine Lizenz pro 30 erteilte Taxilizenzen zu begrenzen.

21.

Beim vorlegenden Gericht sind mehrere derartige Fälle anhängig. Vierzehn der Unternehmen, die in dem Gebiet bereits Funkmietwagendienste anboten, darunter P&L und Unternehmen, die mit internationalen Plattformen verlinkt sind, sind der Ansicht, dass der Erlass des RVTC in Anbetracht der ihnen auferlegten Begrenzungen und Einschränkungen einzig und allein dem Zweck diene, ihre Tätigkeit zu behindern und nur die Interessen des Taxigewerbes zu schützen. P&L und die anderen Unternehmen beantragten daher beim vorlegenden Gericht, das RVTC für nichtig zu erklären.

22.

Das Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien) führt aus, dass Taxis und Funkmietwagen bei der Personenbeförderung im Stadtverkehr miteinander konkurrieren. Der Taxidienst unterliege der Regulierung und der Begrenzung der Anzahl der Lizenzen, und seine Tarife unterlägen der vorherigen behördlichen Genehmigung. Taxis könnten Busspuren benutzen, hätten Haltestellen auf der Straße und könnten Kunden auf der Straße aufnehmen. Auch wenn ihr Einsatzgebiet in erster Linie der städtische Bereich sei, könnten Taxis unter Einhaltung der entsprechenden Vorschriften auch Fahrten zwischen Städten durchführen.

23.

Wie das vorlegende Gericht weiter mittteilt, ist die Anzahl der Genehmigungen für Funkmietwagendienste begrenzt. Im maßgeblichen Zeitraum hätten Funkmietwagen im gesamten Staatsgebiet Beförderungsdienste im örtlichen und überörtlichen Verkehr zu Tarifen erbringen können, die keiner vorherigen Genehmigung unterlegen hätten, sondern einem System vertraglich vereinbarter Preise, das es dem Nutzer ermöglicht habe, den Gesamtpreis des Dienstes im Voraus zu kennen und üblicherweise online zu bezahlen. Im Gegensatz zu Taxis hätten Funkmietwagen keine Busspuren benutzen dürfen, hätten über keine Haltestellen auf der Straße verfügt und hätten keine Kunden auf der Straße aufnehmen können, es sei denn, der Dienst sei im Voraus über die entsprechende Computeranwendung vereinbart worden.

24.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass nach der Aufhebung der gesetzlichen Begrenzung der Zahl der Genehmigungen für Funkmietwagen auf eine pro 30 Taxilizenzen im Jahr 2009 ein erheblicher Anstieg der Zahl der Anbieter von Funkmietwagen im Großraum Barcelona bis 2015 zu beobachten gewesen sei. Diese Entwicklung habe der Stadtrat des Großraums Barcelona mit dem Erlass des RVTC und der Begrenzung der Genehmigung von Funkmietwagendiensten rückgängig machen wollen.

25.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass das Tribunal Supremo (Oberster Gerichtshof, Spanien) im Jahr 2018 festgestellt habe, dass sich das gewählte Verhältnis (1:30) durch keinerlei objektive Erwägung rechtfertigen lasse. Es kommt zu dem Schluss, dass Art. 48 Abs. 3 LOTT, der es ermöglicht habe, durch das RVTC die Genehmigungen für Funkmietwagendienste zu begrenzen, als willkürlich angesehen werden könne und daher als Verstoß sowohl gegen Art. 49 AEUV, da er es Unternehmen, die in der Union Funkmietwagendienste anböten, praktisch unmöglich mache, sich im Großraum Barcelona niederzulassen, als auch gegen Art. 107 Abs. 1 AEUV, indem er den Handel innerhalb der Union behindere.

26.

Das Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien) hegt dieselben Zweifel an der Vereinbarkeit des für Funkmietwagen im Großraum Barcelona geltenden Systems der „doppelten Genehmigung“ mit diesen unionsrechtlichen Bestimmungen. Im Hinblick darauf, dass Art. 91 LOTT und Art. 182 Abs. 2 ROTT im maßgeblichen Zeitraum vorgesehen hätten, dass die Genehmigungen für den Betrieb eines Funkmietwagens die Beförderung im „Stadt- und Überlandverkehr im gesamten Staatsgebiet“ erlaubten, könne die Einführung einer weiteren Genehmigungsvoraussetzung durch den Stadtrat des Großraums Barcelona für den Stadtverkehr in diesem Großraum mit zusätzlichen Erfordernissen als eine Strategie angesehen werden, die darauf abgezielt habe, den Wettbewerb von Funkmietwagen gegenüber Taxis auf ein Minimum zu reduzieren. Dieser Verdacht werde durch die Tatsache erhärtet, dass anschließend eine neue Verordnung des Großraums Barcelona auf der Grundlage des Königlichen Gesetzesdekrets 13/2018 vom 20. April 2018 (BOE Nr. 97 vom 21. April 2018) zur Änderung der LOTT die Dienste der Funkmietwagen auf den „überörtlichen“ Verkehr beschränkt und das Ende der Funkmietwagendienste im Stadtbereich und im Großraum innerhalb von vier Jahren vorgesehen hätte.

27.

Der Großraum Barcelona begründet das RVTC damit, dass Funkmietwagen erstens die wirtschaftliche Lebensfähigkeit der Taxis bedrohen, ihnen einen „unlauteren Wettbewerb“ liefern und zu einer starken Nutzung der Verkehrswege führen würden. Zweitens würden die 10523 erteilten Genehmigungen für Taxis im Großraum Barcelona ausreichen, um den Bedarf der Bevölkerung zu decken und gleichzeitig die Wirtschaftlichkeit des Taxigewerbes zu gewährleisten. Und schließlich beruft sich der Großraum Barcelona auf den Umweltschutz.

28.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts können jedoch wirtschaftliche Erwägungen im Hinblick auf die Lage der Taxis die RVTC‑Maßnahmen nicht rechtfertigen. Was die Überlegungen zur Nutzung von Verkehrswegen betreffe, habe der Großraum Barcelona es versäumt, die Auswirkungen der Beförderung mittels Funkmietwagen auf die Verringerung der Nutzung privater Fahrzeuge in die Abwägung einzubeziehen. Außerdem müssten Funkmietwagen einen Parkplatz haben und dürften nicht, während sie auf Kunden warteten, auf der öffentlichen Straße parken. Ebenso würden Umweltüberlegungen vorhandene Techniken außer Acht lassen, die die Erbringung der Beförderungsleistung mit schadstoffarmen oder ‑freien Fahrzeugen gewährleisten könnten. Ferner sei es merkwürdig, wenn in diesem Zusammenhang die Taxiflotte als sauber bezeichnet würde, ohne dass angegeben werde, warum diese Beschreibung nicht auch für die Flotte der Funkmietwagen gelte.

29.

Die Begründung des RVTC scheine demnach den wesentlichen Zweck der Maßnahme zu verschleiern, nämlich vermutlich die Wahrung bzw. den Schutz der Interessen des Taxigewerbes, das in einem solchen Maße mobilisiert worden sei, dass der Gesetzgeber daraufhin dem bestehenden Spannungsverhältnis, das mit der Konfliktsituation zwischen den beiden betroffenen Berufsgruppen, den Taxis und den Funkmietwagen, verbunden sei, nachgegeben habe. Darüber hinaus sei die vorläufige Beurteilung des erstinstanzlichen Gerichts weitgehend durch die kritischen Berichte der unabhängigen spanischen und katalanischen Wettbewerbsbehörden zum RVTC beeinflusst gewesen.

30.

Vor diesem Hintergrund hat das Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien) mit Beschluss vom 19. Januar 2021, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Januar 2021, das Verfahren ausgesetzt und folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Stehen Art. 49 AEUV und Art. 107 Abs. 1 AEUV nationalen Vorschriften – in einem Gesetz und in einer Verordnung – entgegen, die die Genehmigungen für Funkmietwagen ohne rechtfertigenden Grund auf höchstens eine pro 30 Taxilizenzen begrenzen?

2.

Stehen Art. 49 AEUV und Art. 107 Abs. 1 AEUV einer nationalen Vorschrift entgegen, die ohne rechtfertigenden Grund eine zweite Genehmigung und zusätzliche Voraussetzungen für Funkmietwagen vorsieht, die Stadtverkehrsdienste erbringen wollen?

31.

Die Parteien des Ausgangsverfahrens, mit Ausnahme des Sindicat del Taxi de Catalunya, die tschechische und die spanische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Alle Parteien mit Ausnahme des Großraums Barcelona und der tschechischen Regierung haben an der mündlichen Verhandlung vom 5. Oktober 2022 teilgenommen.

IV. Würdigung

32.

Wie vom Gerichtshof gewünscht, konzentriert sich die Würdigung in den vorliegenden Schlussanträgen auf die Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV.

A. Zulässigkeit

33.

Einige Verfahrensbeteiligte sind der Ansicht, dass die Vorlagefragen nicht zulässig seien. Ihre Einwände werden im Folgenden nacheinander geprüft.

1.   Formerfordernisse nach Art. 94 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs

34.

Erstens macht der Großraum Barcelona geltend, dass das vorlegende Gericht nicht die Gesamtheit der anwendbaren nationalen, regionalen und lokalen Rechtsvorschriften anführe. Die Vorschriften, die die Grundlage für den Erlass des RVTC bildeten, seien nicht ordnungsgemäß dargelegt worden.

35.

Ich teile diese Bedenken nicht, denn es ist eindeutig, zu welchen Fragen das vorlegende Gericht um Hinweise ersucht: das Verhältnis von einer Funkmietwagen-Lizenz zu 30 Taxilizenzen und das Erfordernis einer zweiten Lizenz für Funkmietwagen zum Betrieb im Großraum Barcelona. Insoweit ist es für den Gerichtshof unerheblich, welche konkreten Vorschriften des nationalen, regionalen oder lokalen Rechts anwendbar sind. Entscheidend ist, dass das vorlegende Gericht, das allein für die Beurteilung der Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zuständig ist ( 7 ), den von ihm angewandten rechtlichen Rahmen klar beschreibt. Dies ist vorliegend der Fall.

36.

Zweitens hat P&L Bedenken, die in eine ähnliche Richtung gehen: Soweit sich die Fragen auf nationales Recht im Sinne von Gesetzes- und Verordnungsbestimmungen bezögen, seien diese Fragen unerheblich, da es in dem Verfahren vor dem nationalen Gericht (nur) um die Rechtmäßigkeit des RVTC gehe.

37.

Auch insoweit sehe ich kein Hindernis dafür, dass der Gerichtshof die Vorlagefragen beantwortet. Entgegen dem Vorbringen von P&L ist es nicht Sache des Gerichtshofs, genau festzustellen, welche Vorschriften des nationalen Rechts auf den betreffenden Fall anwendbar sind. Dies ist vielmehr eine Tatsachenfrage, die vom vorlegenden Gericht zu entscheiden ist.

2.   Anwendungsbereich des Unionsrechts

38.

Drittens weist der Großraum Barcelona darauf hin, dass in der beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtssache alle Elemente des Rechtsstreits auf Spanien beschränkt seien und es sich somit um einen rein internen Sachverhalt handele, so dass Art. 49 AEUV nicht zur Anwendung komme und das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen daher unzulässig sei. Was diesen Einwand betrifft, kann man sich meines Erachtens gut auf das Urteil des Gerichtshofs in der Rechtssache Ullens de Schooten ( 8 ) stützen, in dem der Gerichtshof die vier Situationen, in denen Vorabentscheidungsersuchen, die sich aus rein innerstaatlichen Sachverhalten ergeben, dennoch zulässig sind ( 9 ), übersichtlich zusammengefasst und geordnet hat. Zwei dieser Situationen können vorliegend als gegeben angesehen werden: 1) wenn nicht auszuschließen ist, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Staatsangehörige Interesse daran hatten oder haben, von diesen Freiheiten Gebrauch zu machen, um in dem Mitgliedstaat, der die betreffende nationale Regelung erlassen hat, Tätigkeiten auszuüben, und dass folglich diese unterschiedslos auf Inländer und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten anwendbare Regelung Wirkungen entfalten kann, die sich nicht auf diesen Mitgliedstaat beschränken ( 10 ), und 2) wenn das vorlegende Gericht den Gerichtshof im Rahmen eines Verfahrens zur Nichtigerklärung von Bestimmungen anruft, die nicht nur für Inländer, sondern auch für die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Geltung haben, wird die Entscheidung, die das vorlegende Gericht im Anschluss an das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs treffen wird, auch in Bezug auf die Angehörigen der übrigen Mitgliedstaaten Wirkungen entfalten ( 11 ).

39.

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass das Verfahren vor dem vorlegenden Gericht nur eines von 14 bei diesem Gericht anhängigen Verfahren zur Gültigkeit des RVTC ist; die übrigen Verfahren wurden von ausländischen Unternehmen angestrengt. Dies zeigt deutlich, dass der Sachverhalt des konkreten Falles zwar auf Spanien beschränkt sein mag, dies aber keineswegs für den Streitgegenstand als solchen gilt, und dass das Urteil des Gerichtshofs unmittelbare Auswirkungen auf Wirtschaftsbeteiligte innerhalb der Union, aber außerhalb Spaniens haben wird. Vorliegend handelt es sich also, was die ausländischen Marktteilnehmer betrifft, nicht um einen hypothetischen Fall, und die oben genannten Kriterien des Urteils Ullens de Schooten ( 12 ) sind erfüllt.

40.

Im Übrigen sind, wie die Kommission zutreffend ausführt, die Kriterien des Urteils Fremoluc erfüllt, wonach aus dem Vorabentscheidungsersuchen die konkreten Umstände hervorgehen müssen, d. h. nicht hypothetische, sondern sichere Indizien wie etwa Beschwerden oder Klagen, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern erhoben wurden oder an denen Angehörige dieser Staaten beteiligt sind, die die positive Bestimmung der geforderten Verbindung ermöglichen ( 13 ).

41.

Das vorlegende Gericht ist diesem Erfordernis nachgekommen.

42.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, die Fragen des vorlegenden Gerichts für zulässig anzusehen. Ich werde daher im Folgenden Antworten auf die Fragen vorschlagen.

B. Materielle Prüfung

1.   Vorbemerkungen zum privaten Personennahverkehr

43.

Der Personennahverkehr ist ein zentrales Thema, mit dem sich Gemeinden, Regionen, Mitgliedstaaten und die Union derzeit auseinandersetzen müssen. Er spielt im täglichen Leben der Bürger und Einwohner eine wichtige Rolle. Er ist eng mit wirtschafts‑, umwelt- und sozialpolitischen Fragen verbunden, beeinflusst und bestimmt diese und hat Bedeutung für die Art und Weise, in der Aspekte der Lebensführung der Menschen geregelt werden. Er hat Auswirkungen auf die Stadt- und Landschaftsplanung, den (Zugang zu) Wohnraum und die Luftverschmutzung. Daher ist es nur natürlich, dass sich die Union, die Mitgliedstaaten und andere Stellen auf nationaler Ebene, einschließlich der Gemeinden, mit diesem Thema auseinandersetzen und nach Lösungen suchen. Typische Fragen in diesem Zusammenhang sind: Wie viel öffentlicher Verkehr wird angeboten? Wie wird er finanziert? Wie stark greift der Staat in den privaten Verkehr ein? Wie hoch ist die Regulierungsdichte?

44.

Der lokale Bedarfsverkehr für die Personenbeförderung bezeichnet Beförderungsdienste mit einem Auto und einem Fahrer, die auf Anforderung des Fahrgastes erfolgen ( 14 ). Diese Dienstleistungen werden in der Regel von Taxis und/oder privaten Mietfahrzeugen mit Fahrer (Funkmietwagen) erbracht. Während das Angebot an Taxidiensten in der gesamten Union im Großen und Ganzen stabil geblieben ist, da in diesem stark regulierten (und oft geschützten) Markt nur selten neue Lizenzen erteilt werden, sind Funkmietwagendienste eine neuere Erscheinung.

45.

Insbesondere ist der lokale Bedarfsverkehr für die Personenbeförderung, bei dem es sich naturgemäß um eine private Form der Beförderung handelt, da die Dienstleistungserbringer keine öffentlichen Einrichtungen sind, derzeit nicht Gegenstand einer Harmonisierung in der Union. Folglich steht es den Mitgliedstaaten frei, einzugreifen und zu regulieren, solange sie das Primärrecht beachten, was vor allem bedeutet, dass sie die Niederlassungsfreiheit gemäß Art. 49 AEUV beachten ( 15 ).

46.

Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts bezieht sich auf den Tatbestand der Genehmigung, während die erste Frage die Anzahl der Genehmigungen betrifft, die erteilt werden können. Bei beiden Fragen geht es um die Vereinbarkeit mit Art. 49 AEUV. Ich werde mich daher auf folgende Weise mit den Fragen befassen: Ich verbinde sie in dem Sinne, dass ich mich in Anlehnung an die übliche Prüfung nach Art. 49 AEUV zunächst mit der Frage der Beschränkung und dann mit ihrer möglichen Rechtfertigung befassen werde. Bei der Prüfung der Beschränkung und ihrer Rechtfertigung werde ich zunächst die Frage des Genehmigungstatbestands und dann die Frage der Anzahl der Genehmigungen behandeln und dabei die Vorlagefragen gewissermaßen umkehren. Außerdem sind die Fragen geringfügig umzuformulieren und in folgender Weise zu verstehen ( 16 ): „1. Steht Art. 49 AEUV nationalen Maßnahmen entgegen, die von Wirtschaftsteilnehmern, die Funkdienstwagendienste innerhalb der Grenzen eines städtischen Großraums erbringen wollen, die Einholung einer entsprechenden Genehmigung verlangen, wenn diese Wirtschaftsteilnehmer bereits im Besitz einer nationalen Genehmigung sind, die es ihnen erlaubt, örtliche und überörtliche Funkmietwagendienste im gesamten nationalen Hoheitsgebiet zu erbringen? 2. Steht Art. 49 AEUV einer Regelung entgegen, mit der die Anzahl solcher Lizenzen für Funkmietwagen auf eine pro 30 Taxilizenzen oder weniger in demselben Großraum begrenzt wird?“

47.

Die Fragen in der umformulierten Fassung stellen sich im Rahmen eines Verfahrens, in dem das RVTC, d. h. die von dem Großraum Barcelona erlassene Verordnung, angefochten wird; einige Verfahrensbeteiligte sind jedoch der Auffassung, dass das vorlegende Gericht implizit auch nach der Vereinbarkeit von nationalem Recht, das innerstaatlich, d. h. in der spanischen Rechtsordnung, einen höheren Rang als das RVTC hat, mit Art. 49 AEUV frage.

48.

Wie ich bereits bei der Prüfung der Zulässigkeit des vorliegenden Vorabentscheidungsersuchens dargelegt habe, mag dies zwar sehr wohl zutreffend sein ( 17 ), doch ist das Zusammenspiel des innerstaatlichen spanischen Rechts nicht Sache des Gerichtshofs, sondern des nationalen Gerichts. In den vorliegenden Schlussanträgen beziehe ich mich daher mit dem Begriff „fragliche Maßnahmen“ auf a) die Genehmigungspflicht und b) auf das Verhältnis von einer Lizenz für Funkmietwagen pro 30 Taxilizenzen im Großraum Barcelona.

2.   Beschränkung

49.

Art. 49 Abs. 1 AEUV verbietet Beschränkungen der freien Niederlassung von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats. Dies gilt auch für Beschränkungen der Gründung von Agenturen, Zweigniederlassungen oder Tochtergesellschaften durch Angehörige eines Mitgliedstaats, die im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats ansässig sind.

50.

Nach ständiger Rechtsprechung sind alle Maßnahmen, die die Ausübung der durch Art. 49 AEUV garantierten Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen, als Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit anzusehen ( 18 ). Insbesondere geht der Begriff der Beschränkung (oder Behinderung) über eine Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit hinaus und umfasst Maßnahmen eines Mitgliedstaats, die, obwohl sie unterschiedslos anwendbar sind, den Marktzugang für Wirtschaftsteilnehmer aus anderen Mitgliedstaaten beeinträchtigen und damit den innergemeinschaftlichen Handel behindern ( 19 ). Außerdem unterscheidet sich nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Niederlassungsfreiheit von der Dienstleistungsfreiheit in erster Linie durch die Stabilität und Kontinuität der betreffenden Tätigkeit im Gegensatz zu einer zeitlich begrenzten Tätigkeit ( 20 ).

51.

Nach diesen Kriterien beschränken die fraglichen Maßnahmen die Niederlassungsfreiheit ausländischer Wirtschaftsteilnehmer, die Funkmietwagendienste anbieten, da der Eintritt dieser Wirtschaftsteilnehmer in den Markt für diese Dienste im Großraum Barcelona behindert wird. An der beschränkenden Natur der fraglichen Maßnahmen kann kein Zweifel bestehen, und weder das vorlegende Gericht noch die Streithelfer scheinen dies in irgendeiner Weise in Frage zu stellen, wie sich daraus ergibt, dass sich das Vorbringen auf den nächsten Schritt konzentriert, der eine mögliche Rechtfertigung eben dieser fraglichen Beschränkung betrifft.

52.

Die fraglichen Maßnahmen beschränken nämlich tatsächlich den Marktzugang für jeden neuen Marktteilnehmer, auch für einen ausländischen Wirtschaftsteilnehmer, der sich in oder um den Großraum Barcelona niederlassen und potenziellen Kunden Personenbeförderungsdienste im lokalen Verkehr anbieten möchte.

53.

Die Genehmigungspflicht als solche ist bereits das Musterbeispiel einer Beschränkung ( 21 ). In der Tat sind Lizenz- und Genehmigungspflichten nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ipso facto Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit (bzw. des freien Dienstleistungsverkehrs) ( 22 ).

54.

Außerdem bewirken die fraglichen Maßnahmen, indem sie den Zugang zum Markt im Verhältnis 1:30 einfrieren, dass diejenigen, die sich im Großraum Barcelona niederlassen wollen, daran gehindert werden, dies zu tun, und behindern somit die Niederlassung von Wirtschaftsbeteiligten aus einem anderen Mitgliedstaat ( 23 ).

55.

Zusammenfassend ist festzustellen, dass sowohl die Genehmigungspflicht als solche als auch das Verhältnis 1:30 eine Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV darstellen.

3.   Rechtfertigung

56.

Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit können nur dann gerechtfertigt sein, wenn sie erstens einem zwingenden Grund des Allgemeininteresses entsprechen und zweitens den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, d. h. geeignet sind, die Verwirklichung des mit ihnen angestrebten Ziels in kohärenter und systematischer Weise zu gewährleisten, und nicht über das zur Erreichung dieses Zieles Erforderliche hinausgehen ( 24 ).

57.

Der Großraum Barcelona (und die spanische Regierung) beruft sich zur Rechtfertigung auf die folgenden zwingenden Gründe des Allgemeininteresses: 1) Gewährleistung der Qualität, der Sicherheit und der Zugänglichkeit von Taxidiensten, die „Dienstleistungen von öffentlichem Interesse“ seien, 2) Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Anbietern von Taxidiensten und Anbietern von Diensten mit Funkmietwagen, 3) Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums und 4) Umweltschutz.

a)   Feststellung eines zwingenden Grundes des Allgemeininteresses

1) Gewährleistung der Qualität, Sicherheit und Zugänglichkeit von Taxidiensten

58.

Alle Verfahrensbeteiligten aus Spanien, insbesondere der Großraum Barcelona und die spanische Regierung, verweisen darauf, dass das Taxigewerbe für die Erbringung einer „Dienstleistung von öffentlichem Interesse“ von zentraler Bedeutung sei. Ob dies als ein konkreter zwingender Grund des Allgemeininteresses angeführt wird, ist nicht klar. Auf jeden Fall wird geltend gemacht, dass Taxis, weil sie eine Dienstleistung von öffentlichem Interesse erbrächten, als solche schutzwürdig seien.

59.

Soweit der Großraum Barcelona geltend macht, es bestehe ein öffentliches Interesse an einem funktionierenden Taxisystem, ist dazu Folgendes anzumerken.

i) Rein wirtschaftliche Gründe sind keine Rechtfertigung

60.

Ein Ziel rein wirtschaftlicher Art kann niemals einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen, der eine Beschränkung einer durch den Vertrag garantierten Grundfreiheit rechtfertigt ( 25 ). So kann z. B. das Ziel, die wirtschaftliche Betriebsführung einer konkurrierenden Kraftfahrlinie zu gewährleisten, als rein wirtschaftliches Motiv nach ständiger Rechtsprechung keinen solchen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen ( 26 ).

61.

Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass die wirtschaftliche Lebensfähigkeit von Taxidiensten an sich keinen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen kann.

ii) Taxidienste als „Dienstleistungen von öffentlichem Interesse“

62.

Darüber hinaus hat der Gerichtshof ganz allgemein das Vorliegen einer „Dienstleistung von öffentlichem Interesse“ ( 27 ) nicht als zwingenden Grund des Allgemeininteresses anerkannt. Tatsächlich ist der Ausdruck „Dienstleistung von öffentlichem Interesse“ kein Begriff, der im Unionsrecht Verwendung findet. Der Gebrauch eines solchen Ausdrucks könnte aus Sicht des Unionsrechts Verwirrung stiften. Sollten sich die Verfahrensbeteiligten jedoch auf den im Unionsrecht sehr bekannten Begriff der „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ beziehen, entbindet dies den Großraum Barcelona nicht vom Nachweis, dass die fraglichen Maßnahmen zweckmäßig sind. Ich werde auf diesen Punkt unten bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zurückkommen.

iii) „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“

63.

Der Begriff „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“, der auf Art. 106 Abs. 2 AEUV zurückgeht und der (im Primärrecht) ( 28 ) auch in Art. 14 AEUV ( 29 ) , im Protokoll (Nr. 26) über Dienste von allgemeinem Interesse ( 30 ) sowie in Art. 36 der Charta der Grundrechte vorkommt, ist vom Gerichtshof bereits mehrfach ausgelegt worden. Der Begriff als solcher, d. h., was genau eine „Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ ist, wird vom Gerichtshof jedoch nicht abstrakt definiert, was darauf zurückzuführen ist, dass es im Wesentlichen das Vorrecht der Mitgliedstaaten ist, zu definieren, was sie als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ansehen ( 31 ). Auch wenn ein Mitgliedstaat im Hinblick auf diese Definition über ein weites Ermessen verfügt, muss er dennoch sicherstellen, dass jede Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse bestimmten Mindestkriterien genügt, die allen derartigen Aufgaben gemeinsam sind. Er muss nachweisen, dass diese Kriterien im Einzelfall erfüllt sind ( 32 ). Dazu gehören insbesondere das Vorliegen eines Hoheitsakts, der den betreffenden Wirtschaftsteilnehmern eine Aufgabe von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse überträgt, und der universale und obligatorische Charakter der Aufgabe ( 33 ). Außerdem muss der Mitgliedstaat angeben, weshalb er der Auffassung ist, dass die fragliche Dienstleistung es aufgrund ihres besonderen Charakters verdient, als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft und von anderen wirtschaftlichen Aktivitäten unterschieden zu werden ( 34 ).

64.

Hinsichtlich der Definition einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse kann man sich auf den Vorschlag des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer stützen: „ununterbrochen (Kontinuität), zugunsten aller Kunden und in der Gesamtheit des betreffenden Staatsgebiets (Universalität), zu einheitlichen Tarifen und in vergleichbarer Qualität ohne Rücksicht auf Sonderfälle oder den Grad der wirtschaftlichen Rentabilität jedes einzelnen Geschäfts (Gleichheit)“ ( 35 ). Hinzu zählt er Transparenz und die wirtschaftliche Zugänglichkeit ( 36 ). Die Definition der Kommission, der ich mich ebenfalls anschließen kann, geht in eine ähnliche Richtung: „Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse sind wirtschaftliche Tätigkeiten, die dem Allgemeinwohl dienen und ohne staatliche Eingriffe am Markt überhaupt nicht oder in Bezug auf Qualität, Sicherheit, Bezahlbarkeit, Gleichbehandlung oder universaler Zugang nur zu anderen Standards durchgeführt würden. Die Gemeinwohlverpflichtung wird dem Leistungserbringer im Wege eines Auftrags auferlegt, der eine Gemeinwohlkomponente enthält, so dass sichergestellt ist, dass die Dienstleistung unter Bedingungen erbracht wird, die es dem Leistungserbringer ermöglichen, seinen Auftrag zu erfüllen.“ ( 37 )

65.

Darüber hinaus wird Art. 106 Abs. 2 AEUV in der Regel herangezogen, wenn es um die Abweichung von Wettbewerbsregeln geht; allerdings gab es Fälle, in denen diese Bestimmung auch eine Rolle bei der Abweichung von den Freizügigkeitsregeln gespielt hat ( 38 ). Dies folgt zum einen aus dem Umstand, dass sich diese Bestimmung bei den Wettbewerbsregeln befindet ( 39 ) und zum anderen daraus, dass sie „insbesondere [auf] die Wettbewerbsregeln“ verweist ( 40 ).

66.

Auf der Grundlage der in den vorstehenden Absätzen angeführten Rechtsprechung erscheint es fraglich, ob Taxidienste als Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse angesehen werden können. Die vom Großraum Barcelona angewandte „Marktdefinition“ erscheint mir nämlich als zu eng. Es mag sein, dass der Nahverkehr insgesamt eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellt, nicht aber der Teilbereich des (traditionell) privaten Nahverkehrs in Form von Taxidiensten. Auch wenn es unbestreitbar notwendig ist, dass der Einzelne die Möglichkeit hat, sich vor Ort mit einem Verkehrsmittel fortzubewegen, heißt das noch lange nicht, dass er auch mit einem Taxi fahren muss. Ich möchte dies an einem Beispiel erläutern: Unter der Annahme, dass die Kinderbetreuung von einem Mitgliedstaat als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse eingestuft werden könnte, würde eine solche Kinderbetreuung sicherlich nicht auf einen Anspruch auf eine individuelle Kinderbetreuung durch eine spezielle Kinderfrau hinauslaufen, sondern auf eine kollektive Kinderbetreuung durch eine (kollektive) Kinderkrippe. Das Gleiche gilt für den Nahverkehr: Geht man davon aus, dass dies eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse ist, so bedeutet dies nicht, dass der Einzelne erwarten kann, dass eine Stadt oder eine Region für ihn ein funktionierendes Taxinetz aufbaut. Es genügen andere Beförderungsformen kollektiver Natur.

67.

Außerdem sollten in großen Ballungsräumen wie Barcelona den Bürgern auch verschiedene andere Beförderungsarten zur Verfügung stehen. Zudem stellt sich die Frage, ob die Existenz eines funktionierenden Taxisystems wirklich mit anderen, traditionelleren Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse vergleichbar ist, die entweder große Investitionen oder Fachwissen bei der Versorgung erfordern (z. B. Wasser‑, Gas‑, Strom‑, Telekommunikations- und Postdienste), besondere Fertigkeiten erfordern (z. B. Gesundheitsversorgung) oder ein Gemeinschaftselement voraussetzen (z. B. Kinderbetreuung).

68.

Allerdings kann der private Nahverkehr in Notfällen durchaus eine Lücke füllen, beispielsweise um sicherzustellen, dass jemand schnell in ein Krankenhaus transportiert werden kann (auch wenn ein Krankenwagen in einer solchen Situation vielleicht die geeignetere Transportart wäre). Die Vergrößerung des Angebots von Nahverkehrsdiensten würde in einer solchen Situation aber sicherlich dazu beitragen, über ein funktionierendes System zu verfügen. Warum ein solches Angebot zum Beispiel nicht auch Funkmietwagen umfassen sollte, bleibt mir ein Rätsel.

69.

Das Bestreben des Großraums Barcelona, ein funktionierendes System des privaten Nahverkehrs bereitzustellen, damit Kunden zu jeder Tageszeit an jeden Ort befördert werden können, will ich jedoch nicht in Frage stellen.

70.

Jedenfalls ist es zweifelhaft, dass die Betreiber von Taxidiensten eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung erfüllen. Als Anhaltspunkt kann hier die an anderer Stelle des Sekundärrechts gegebene Definition dienen, wonach dieser Begriff „eine von der zuständigen Behörde festgelegte oder bestimmte Anforderung im Hinblick auf die Sicherstellung von im allgemeinen Interesse liegenden öffentlichen Personenverkehrsdiensten [bezeichnet], die der Betreiber unter Berücksichtigung seines eigenen wirtschaftlichen Interesses nicht oder nicht im gleichen Umfang oder nicht zu den gleichen Bedingungen ohne Gegenleistung übernommen hätte“ ( 41 ). Dagegen stellt eine bloße Genehmigungspflicht für den allgemeinen Taxidienst keinen Akt dar, mit dem eine gemeinwirtschaftliche Verpflichtung auferlegt wird ( 42 ).

71.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Großraum Barcelona nur insoweit darauf hinwirken kann, die Qualität, Sicherheit und Zugänglichkeit der Taxidienste zu gewährleisten, als er damit keine wirtschaftlichen Ziele verfolgt. Er kann aber nicht Taxidienste von jedem prüfenden Blick abschirmen, nur weil sie eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse darstellen könnten.

2) Aufrechterhaltung des richtigen Gleichgewichts zwischen Anbietern von Funkmietwagendiensten und Anbietern von Taxidiensten

72.

Soweit die fraglichen Maßnahmen darauf abzielen, ein „Gleichgewicht“ zwischen den beiden Transportarten Taxi und Funkwagen aufrechtzuerhalten, genügt die Feststellung, dass es fraglich ist, ob ein solches Gleichgewicht zwischen zwei Diensten aufrechterhalten werden sollte, die, wie oben festgestellt, sich bis zu einem Punkt annähern, an dem sie nahezu gleich sind. Außerdem könnte man sich fragen, ob ein Gleichgewicht nicht am besten durch ein anderes System als staatliche Eingriffe aufrechterhalten werden kann ( 43 ). In der Logik des durch den AEU‑Vertrag geschaffenen Binnenmarkts wird das Gleichgewicht normalerweise durch Konzepte aufrechterhalten, die in der Diskussion um Fälle wie den vorliegenden leicht vergessen werden: Angebot und Nachfrage.

73.

Daher kann die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichts zwischen Funkmietwagendiensten und Taxidiensten nicht als zwingender Grund des Allgemeininteresses angesehen werden. Wenn die wirkliche Absicht darin besteht, für ein angemessenes System des privaten Nahverkehrs zu sorgen, wäre für die Lösung des Problems, wie oben dargelegt, eine Vergrößerung des Angebots durch die Zulassung von mehr Funkmietwagen sicherlich zielführender.

3) Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums zum Schutz der Umwelt

74.

Soweit die geltend gemachten Gründe nicht in einer wirtschaftlichen Abschirmung des Taximarkts von den Realitäten des Wirtschaftslebens bestehen, können sie grundsätzlich als zwingende Gründe des Allgemeininteresses angesehen werden.

75.

Es sei betont, dass der Gerichtshof bereits früher die zwingenden Gründe des Schutzes der städtischen Umwelt ( 44 ) und der Gewährleistung der Verkehrssicherheit ( 45 ) anerkannt hat. Diese Gründe stimmen nicht ganz mit dem überein, was vorliegend geltend gemacht wird. Dennoch bin ich der Ansicht, dass die Ziele der Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen. Es versteht sich fast von selbst, dass Städte und Ballungsräume ein Interesse daran haben, für einen flüssigen Verkehr zu sorgen, Staus zu vermeiden und ganz allgemein für öffentliche Räume zu sorgen, die eine hohe Lebensqualität gewährleisten.

76.

Der Umweltschutz kann grundsätzlich auch einen zwingenden Grund des Allgemeininteresses darstellen ( 46 ).

b)   Geeignetheit

77.

Sodann müssten die betreffenden Maßnahmen im Hinblick auf den geltend gemachten zwingenden Grund des Allgemeininteresses geeignet sein, d. h., die Genehmigungspflicht und das Verhältnis 1:30 müssten geeignet sein, zur Gewährleistung der Qualität, der Sicherheit und der Zugänglichkeit der Taxidienste, zur Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums sowie zum Umweltschutz beizutragen. Eine solche Geeignetheit setzt auch voraus, dass das geltend gemachte Ziel in kohärenter und systematischer Weise verfolgt wird. Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, die Geeignetheit der Maßnahme zu beurteilen. Auf der Grundlage der dem Gerichtshof vorliegenden Informationen und des Vorbringens der verschiedenen Verfahrensbeteiligten halte ich zwar grundsätzlich eine Genehmigungspflicht nicht für problematisch, habe aber meine Zweifel, was die Geeignetheit des Verhältnisses von 1:30 angeht, und kann auch kein Argument erkennen, das für eine solche Geeignetheit spricht.

1) Genehmigungspflicht

78.

Zunächst ist festzustellen, dass nach dem Unionsrecht nichts dagegenspricht, dass eine regionale Körperschaft wie der Großraum Barcelona im Rahmen ihrer Zuständigkeit von künftigen Anbietern von Funkmietwagendiensten eine Genehmigung verlangt, die den Besonderheiten der betreffenden Region Rechnung trägt. Sollte der Großraum Barcelona feststellen, dass die nationale (d. h. die erste) Genehmigung nicht ausreichend ist, steht es ihm grundsätzlich frei, von den Anbietern von Funkmietwagendiensten eine zweite Genehmigung zu verlangen. Es ist klar, dass die Situation in jeder Stadt oder jedem Ballungsraum in der Union anders ist, soweit es um lokale Probleme wie Verkehrsüberlastung und Umweltverschmutzung geht. Fragen, die im Rahmen der Erteilung einer nationalen Genehmigung nicht behandelt oder geprüft werden, können daher grundsätzlich in einer lokalen Genehmigung geregelt werden. Dies ist ein praktisches Beispiel für „Subsidiarität“ im wörtlichen, nicht technischen Sinne des Wortes.

79.

Umgekehrt muss eine solche zweite Genehmigung jedoch auf zusätzlichen Erwägungen beruhen, die in einer ersten Genehmigung nicht berücksichtigt wurden. Die tschechische Regierung weist zu Recht darauf hin, dass eine von einem Mitgliedstaat eingeführte Maßnahme nicht als nicht über das hinausgehend angesehen werden kann, was zur Erreichung des verfolgten Ziels erforderlich ist, wenn sie eine Wiederholung von Kontrollen darstellt, die bereits im Rahmen anderer Verfahren im selben oder in einem anderen Mitgliedstaat durchgeführt wurden ( 47 ). Für den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass eine zweite Genehmigung keinesfalls dazu führen darf, dass Wirtschaftsteilnehmer, die Funkmietwagendienste anbieten wollen, die gleichen Kontrollen durchlaufen müssen, wie sie für die Erteilung der ersten Genehmigung erforderlich waren. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass zu keinem Zeitpunkt behauptet, geschweige denn bewiesen worden ist, dass das Anbieten von Taxidiensten ohne ein in sich geschlossenes System von Genehmigungen unrentabel wäre. Vielmehr ließe sich sagen, dass Beispiele anderer Städte und Gebiete in der Europäischen Union, in denen Taxidienste nur sehr geringfügig reguliert sind, in dieser Hinsicht eindeutig in eine andere Richtung weisen ( 48 ).

2) Das Verhältnis von 1:30

80.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass der Großraum Barcelona, abgesehen von der Angabe der verfolgten Ziele und deren abstrakter Erläuterung, dem Gerichtshof keine Informationen darüber geliefert hat, warum die fraglichen Maßnahmen geeignet sein sollen, die Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums zu erreichen.

81.

Der Großraum Barcelona hat zu keiner Zeit den Nachweis erbracht, dass die Beschränkung der Lizenzen auf ein Verhältnis von einer pro 30 Taxilizenzen im Hinblick auf die Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums sowie den Umweltschutz geeignet ist. Es gibt keinerlei Anzeichen dafür, dass das Ziel kohärent und in systematischer Weise verfolgt wird. Eine solche unzureichende Erklärung der Gründe wirft mehr Fragen auf, als sie beantwortet. Mir ist immer noch nicht klar, wie der Großraum Barcelona den nicht öffentlichen Nahverkehr reformieren und kohärent regulieren will: Warum unterliegen Taxidienste und Funkmietwagendienste unterschiedlichen rechtlichen Regelungen, wenn sie ein und dieselbe Nachfrage befriedigen (privater individueller Nahverkehr) und wenn sie, wie vom vorlegenden Gericht festgestellt, miteinander im Wettbewerb stehen? Warum wird die für Taxis geltende Regelung nicht berücksichtigt und stattdessen der Zugang zum Funkmietwagenmarkt so weit eingeschränkt, dass er unmöglich gemacht wird? Die Zahl der Taxilizenzen ist in den letzten Jahrzehnten stabil geblieben. Obwohl sich, wie in der Einleitung der vorliegenden Schlussanträge erläutert, die Zeiten und die Märkte ändern, ist das Taxisystem im übertragenen Sinne in Stein gemeißelt, und nur Marktneulinge sollen sich anpassen. Dies hat vielleicht aus der Perspektive allein des spanischen Rechts seine Logik. Es erfüllt jedoch nicht das Kriterium der Geeignetheit nach Art. 49 AEUV. Es wäre Sache des Großraums Barcelona, auf diese Fragen zu antworten. Er hat dies im vorliegenden Verfahren aber nicht getan.

82.

Die mündliche Verhandlung hat ergeben, dass die Zahl der Taxilizenzen seit Ende der 1980er Jahre stabil geblieben ist. Es sind keine neuen Lizenzen ausgestellt worden. Sobald ein Lizenzinhaber seine Tätigkeit aufgibt, kann die Lizenz auf dem Sekundärmarkt verkauft werden. Während die „ersten“ Lizenzen, die seinerzeit unmittelbar vom spanischen Staat erworben wurden, weniger als 100 Euro kosteten, werden die Lizenzen auf dem Sekundärmarkt gegenwärtig für mehr als 100000 Euro gehandelt. Wenn der Großraum Barcelona beabsichtigte, den Markt für Taxis und Funkmietwagen auf eine geregelte und kohärente Weise zu organisieren, könnte es ein geeigneter Ansatzpunkt sein, diesen Sekundärmarkt auszutrocknen. Im Übrigen zeigt dieser Zustand, dass feste Taxitarife eine Quersubventionierung der genannten Gebühren für auf dem Sekundärmarkt erworbene Lizenzen bewirken. Mit anderen Worten: Wenn es dem Großraum Barcelona mit der Reform des Systems ernst wäre, würde er es an der Wurzel angehen. Eine „Reform“ zulasten der Funkmietwagen ist lediglich Flickschusterei am Rande. Es mag verständlich sein, dass eine echte Reform und Liberalisierung des gesamten Systems der Taxi- und Funkmietwagendienste diejenigen erheblich benachteiligt, die für eine Lizenz teuer bezahlt haben und versuchen, die Kosten über feste (hohe) Taxitarife zu decken. Es gibt jedoch andere Möglichkeiten, das Risiko auszugleichen, dass diese Personen das Nachsehen haben, als dies zulasten der Funkmietwagen und der Niederlassungsfreiheit auszutragen.

3) Schlussfolgerung

83.

Nach den Angaben, die das vorlegende Gericht und die Verfahrensbeteiligten im Lauf des Verfahrens gemacht haben, sind die fraglichen Maßnahmen, sofern sie das Verhältnis von einer Funkmietwagenlizenz zu 30 Taxilizenzen betreffen, nicht geeignet, das Ziel der Organisation der lokalen Beförderung, des lokalen Verkehrs und der Nutzung des öffentlichen Raums oder des Umweltschutzes zu erreichen, und stellen daher eine unverhältnismäßige Beschränkung der Niederlassungsfreiheit nach Art. 49 AEUV dar.

V. Ergebnis

84.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom Tribunal Superior de Justicia de Cataluña (Obergericht Katalonien, Spanien) vorgelegten Fragen wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 49 AEUV

ist dahin auszulegen, dass er nationalen Maßnahmen nicht entgegensteht, die von Wirtschaftsteilnehmern, die Funkmietwagendienste innerhalb der Grenzen eines städtischen Großraums erbringen wollen, die Einholung einer entsprechenden Genehmigung verlangen, wenn diese Wirtschaftsteilnehmer bereits im Besitz einer nationalen Genehmigung sind, die ihnen die Erbringung von „überörtlichen“ und „örtlichen“ Funkmietwagendiensten im gesamten nationalen Hoheitsgebiet erlaubt, und wenn die betreffende Genehmigung keine Verdoppelung bereits durchgeführter Kontrollen erfordert.

2.

Art. 49 AEUV

ist dahin auszulegen, dass er einer Begrenzung der Zahl solcher Lizenzen für Funkmietwagen auf eine pro 30 oder weniger Taxilizenzen in demselben Großraum entgegensteht.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Für einen umfassenden Überblick vgl. „Study on passenger transport by taxi, hire car with driver and ridesharing in the EU. Final Report“, Brüssel 2016, S. 8, 31 und 32. Die Studie ist verfügbar unter: https://transport.ec.europa.eu/system/files/2017-05/2016-09-26-pax-transport-taxi-hirecar-w-driver-ridesharing-final-report.pdf.

( 3 ) Vgl. Urteil vom 20. Dezember 2017 (C‑434/15, EU:C:2017:981, Rn. 48). Dies ist insbesondere deshalb der Fall, weil Uber die Kontrolle über alle relevanten Aspekte des innerstädtischen Beförderungsdienstes ausübt: natürlich über den Preis, aber auch über die sicherheitsspezifischen Mindestbedingungen mittels Anforderungen an Fahrer und Fahrzeuge, den Zugang zum Beförderungsangebot durch den Anreiz für die Fahrer, sich zu Spitzenzeiten und an Orten massiver Nachfrage bereitzuhalten, das Verhalten der Fahrer durch das Bewertungssystem und schließlich die Möglichkeit des Ausschlusses von der Plattform. Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Asociación Profesional Elite Taxi (C‑434/15, EU:C:2017:364, Nr. 51).

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (ABl. 2006, L 376, S. 36).

( 5 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 8. Juni 2000 über bestimmte rechtliche Aspekte der Dienste der Informationsgesellschaft, insbesondere des elektronischen Geschäftsverkehrs, im Binnenmarkt („Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr“) (ABl. 2000, L 178, S. 1).

( 6 ) [Betrifft nicht die deutsche Übersetzung].

( 7 ) Vgl. z. B. Urteil vom 20. Oktober 2022, Centre public d’action sociale de Liège (Rücknahme oder Aussetzung einer Rückkehrentscheidung) (C‑825/21, EU:C:2022:810, Rn. 34).

( 8 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2016 (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 50 bis 53). Für eine umfassende Zusammenfassung der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofs vor diesem Urteil siehe Schlussanträge von Generalanwalt Wahl in den verbundenen Rechtssachen Venturini u. a. (C‑159/12 bis C‑161/12, EU:C:2013:529). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache BONVER WIN (C‑311/19, EU:C:2020:640, Nrn. 33 ff.).

( 9 ) Siehe in diesem Sinne auch meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2017:397, Nr. 115).

( 10 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 50).

( 11 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 51).

( 12 ) Vgl. Urteil vom 15. November 2016 (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 50 bis 53).

( 13 ) Insbesondere kann sich das vorlegende Gericht nicht darauf beschränken, dem Gerichtshof Angaben vorzulegen, anhand deren sich eine solche Verbindung nicht ausschließen lässt oder die – abstrakt betrachtet – dafürsprechen könnten, sondern es muss vielmehr objektive und übereinstimmende Angaben vorlegen, die es dem Gerichtshof ermöglichen, das Bestehen dieser Verbindung zu überprüfen. Vgl. Urteil vom 20. September 2018, Fremoluc (C‑343/17, EU:C:2018:754, Rn. 29).

( 14 ) Vgl. Bekanntmachung der Kommission zu einem gut funktionierenden und nachhaltigen lokalen Bedarfsverkehr für die Personenbeförderung (Taxis und private Mietfahrzeuge), ABl. 2022, C 62, S. 1.

( 15 ) Nach Art. 58 Abs. 1 AEUV ist Art. 56 AEUV nicht auf Dienstleistungen im Bereich des Verkehrs anwendbar, da diese im Kapitel Verkehr des AEUV geregelt sind, was bedeutet, dass zunächst eine Harmonisierung zu erfolgen hat. Dasselbe gilt für die Anwendung der Richtlinie 2006/123, die in Art. 2 Abs. 2 Buchst. d eine Bestimmung enthält, die derjenigen von Art. 58 Abs. 1 AEUV entspricht. Vgl. Urteile vom 1. Oktober 2015, Trijber und Harmsen (C‑340/14 und C‑341/14, EU:C:2015:641, Rn. 49), und vom 20. Dezember 2017, Asociación Profesional Elite Taxi (C‑434/15, EU:C:2017:981, Rn. 36).

( 16 ) Damit wird auch dem von mehreren Verfahrensbeteiligten vorgebrachten Einwand entgegengetreten, die Fragen des vorlegenden Gerichts seien voreingenommen formuliert und würden das Ergebnis gewissermaßen bereits vorwegnehmen.

( 17 ) Ich möchte jedoch auch erwähnen, dass sich ein Mitgliedstaat nach ständiger Rechtsprechung nicht auf Bestimmungen, Praktiken oder Situationen seiner internen Rechtsordnung berufen kann, um die Nichteinhaltung seiner Verpflichtungen aus dem Unionsrecht zu rechtfertigen. Die innerstaatliche Zuständigkeitsverteilung innerhalb eines Mitgliedstaats, beispielsweise zwischen zentralen, regionalen oder lokalen Behörden, kann diesen Mitgliedstaat nicht von seiner Verpflichtung entbinden, diese Verpflichtungen zu erfüllen. Vgl. Urteile vom 13. September 2001, Kommission/Spanien (C‑417/99, EU:C:2001:445, Rn. 37), und vom 8. September 2010, Carmen Media Group (C‑46/08, EU:C:2010:505, Rn. 69).

( 18 ) Vgl. z. B. die Urteile vom 6. Oktober 2020, Kommission/Ungarn (Hochschulbildung) (C‑66/18, EU:C:2020:792, Rn. 40) und vom 7. September 2022, Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 61).

( 19 ) Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung seit dem Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 37). Vgl. u. a. Urteil vom 29. März 2011, Kommission/Italien (C‑565/08, EU:C:2011:188, Rn. 46). Vgl. auch Urteil vom 5. Oktober 2004, CaixaBank France (C‑442/02, EU:C:2004:586, Rn. 12).

( 20 ) Vgl. z. B. Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 25 ff.). Zur Unterscheidung zwischen dem freien Dienstleistungsverkehr und der Niederlassungsfreiheit siehe auch Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Yellow Cab Verkehrsbetrieb (C‑338/09, EU:C:2010:568, Nrn. 15 bis 18).

( 21 ) Vgl. z. B. Müller-Graff, P.‑Ch., in Streinz, R. (Hrsg.), EUV/AEUV Kommentar, C. H. Beck, München, 3. Aufl., 2018, Art. 49 AEUV, Rn. 67 ff., und Forsthoff, U., in Grabitz, E., Hilf, M., und Nettesheim, M. (Hrsg.), Das Recht der Europäischen Union, 76. Ergänzungslieferung, Aktualisierung Mai 2022, C. H. Beck, München, Art. 49 AEUV, Rn. 104. Vgl. auch Kainer, F., in Pechstein, M., Nowak, C., Häde, U. (Hrsg.) Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Bd. II, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, Art. 49 AEUV, Rn. 63, sowie Wendland, H. M., „Die binnenmarktrechtliche Niederlassungsfreiheit der Selbständigen“, in: Müller-Graff, P.‑Ch. (Hrsg.), Europäisches Wirtschaftsordnungsrecht (Enzyklopädie Europarecht, Bd. 4), Nomos, Baden-Baden, 2. Aufl., 2021, S. 177 bis 234, Rn. 4.

( 22 ) Vgl. Urteile vom 25. Juli 1991, Säger (C‑76/90, EU:C:1991:331, Rn. 14), vom 9. August 1994, Vander Elst (C‑43/93, EU:C:1994:310, Rn. 15), vom 20. Februar 2001, Analir u. a. (C‑205/99, EU:C:2001:107, Rn. 22), vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 29), und vom 10. März 2009, Hartlauer (C‑169/07, EU:C:2009:141, Rn. 34).

( 23 ) Vgl. in diesem Sinne zur Niederlassung von Apotheken die Schlussanträge des Generalanwalts Poiares Maduro in den verbundenen Rechtssachen Blanco Pérez und Chao Gómez (C‑570/07 und C‑571/07, EU:C:2009:587, Nr. 11).

( 24 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn (C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 166), vom 6. Oktober 2020, Kommission/Ungarn (Hochschulbildung) (C‑66/18, EU:C:2020:792, Rn. 178), und vom 7. September 2022, Cilevičs u. a. (C‑391/20, EU:C:2022:638, Rn. 65). Dies entspricht im Wesentlichen der ständigen Rechtsprechung seit dem Urteil vom 30. November 1995, Gebhard (C‑55/94, EU:C:1995:411, Rn. 37).

( 25 ) Vgl. z. B. die Urteile vom 26. April 1988, Bond van Adverteerders u. a. (352/85, EU:C:1988:196, Rn. 34), vom 11. März 2010, Attanasio Group (C‑384/08, EU:C:2010:133, Rn. 55), und vom 24. März 2011, Kommission/Spanien (C‑400/08, EU:C:2011:172, Rn. 74).

( 26 ) Vgl. Urteil vom 22. Dezember 2010, Yellow Cab Verkehrsbetrieb (C‑338/09, EU:C:2010:814, Rn. 51). Vgl. auch Urteil vom 11. März 2010, Attanasio Group (C‑384/08, EU:C:2010:133, Rn. 55).

( 27 ) Spanisch: „un servicio de interés público“.

( 28 ) Im Sekundärrecht findet sich dieser Ausdruck in Art. 15 Abs. 4 der Richtlinie 2006/123. Siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Hiebler (C‑293/14, EU:C:2015:472, Nr. 56 ff.).

( 29 ) Seit dem Vertrag von Amsterdam, ergänzt und geändert durch den Vertrag von Lissabon. Zur Entstehungsgeschichte dieser Bestimmung vgl. Krajewski, M., in Pechstein, M., Nowak, C., Häde, U. (Hrsg.), Frankfurter Kommentar zu EUV, GRC und AEUV, Bd. II, Mohr Siebeck, Tübingen 2017, Art. 14 AEUV, Rn. 3 ff.

( 30 ) Vgl. Art. 1 des Protokolls. Zur (nicht ganz klaren) Entstehungsgeschichte des Protokolls, das dem Vertrag von Lissabon beigefügt ist, vgl. Damjanovic, D., de Witte, B., „Welfare integration through EU law: the overall picture in the light of the Lisbon Treaty“, in: Neergaard, U., Nielsen, R., Roseberry, L. (Hrsg.), Integrating welfare functions into EU law – From Rome to Lisbon, DJØF Publishing, Kopenhagen 2009, S. 88 und 89.

( 31 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Februar 2008, BUPA u. a./Kommission (T‑289/03, EU:T:2008:29, Rn. 166 und 167). Vgl. auch Urteil vom 20. April 2010, Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2010:205, Rn. 29): „… sind die Mitgliedstaaten berechtigt, unter Beachtung des Rechts der Union den Umfang und die Organisation ihrer Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse zu bestimmen.“

( 32 ) Vgl. Urteil vom 12. Februar 2008, BUPA u. a./Kommission (T‑289/03, EU:T:2008:29, Rn. 172).

( 33 ) Ebd.

( 34 ) Ebd. Vgl. auch Urteil vom 10. Dezember 1991, Merci convenzionali Porto di Genova (C‑179/90, EU:C:1991:464, Rn. 27).

( 35 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Ruiz-Jarabo Colomer in der Rechtssache Federutility u. a. (C‑265/08, EU:C:2009:640, Nr. 54).

( 36 ) Ebd., Nr. 55.

( 37 ) Mitteilung der Kommission vom 20. Dezember 2011 an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts- und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen „Ein Qualitätsrahmen für Dienstleistungen von allgemeinem Interesse“, KOM(2011) 900 endgültig, S. 4.

( 38 ) Vgl. Martucci, F., Droit du marché intérieur de l’Union européenne, Presses Universitaires de France, Paris 2021, Rn. 129 und 253.

( 39 ) In Teil 3 Titel VII Kapitel 1 Abschnitt 1 (Vorschriften für Unternehmen) AEUV.

( 40 ) Hervorhebung nur hier.

( 41 ) Vgl. Art. 2 Buchst. e der Verordnung (EG) Nr. 1370/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Oktober 2007 über öffentliche Personenverkehrsdienste auf Schiene und Straße und zur Aufhebung der Verordnungen (EWG) Nr. 1191/69 und (EWG) Nr. 1107/70 des Rates (ABl. 2007, L 315, S. 1).

( 42 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 11. Juli 2013, Femarbel (C‑57/12, EU:C:2013:517, Rn. 49).

( 43 ) Ich möchte betonen, dass diese Frage unabhängig ist von der Frage, ob und inwieweit neue Verkehrsunternehmen durch von ihnen neu entwickelte Geschäftsmodelle nicht nur Angebot und Nachfrage zusammenführen, sondern auch das Angebot selbst generieren. Die Aktivitäten von Plattformen wie Uber sind in dieser Hinsicht ein gutes Beispiel, siehe meine Schlussanträge in der Rechtssache Asociación Profesional Elite Taxi (C‑434/15, EU:C:2017:364, Nr. 43).

( 44 ) Vgl. Urteil vom 29. November 2001, De Coster (C‑17/00, EU:C:2001:651, Rn. 38). Vgl. auch Art. 4 Nr. 8 der Richtlinie 2006/123. Zu diesem Schutz gehören die Erhaltung der Lebensqualität im Stadtzentrum einer Gemeinde und die Vermeidung von Leerstand im Stadtgebiet einer Stadt im Sinne einer guten Stadt- und Raumplanung. Vgl. Urteil vom 30. Januar 2018, X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2018:44, Rn. 134).

( 45 ) Vgl. Urteil vom 15. Oktober 2015, Grupo Itevelesa u. a. (C‑168/14, EU:C:2015:685, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 46 ) Vgl. Urteil vom 24. März 2011, Kommission/Spanien (C‑400/08, EU:C:2011:172, Rn. 74).

( 47 ) Vgl. Urteile vom 22. Januar 2002, Canal Satélite Digital (C‑390/99, EU:C:2002:34, Rn. 36) und vom 10. November 2005, Kommission/Portugal (C‑432/03, EU:C:2005:669, Rn. 45).

( 48 ) Eine im Auftrag der Kommission von einer Anwaltskanzlei und der Universität Bocconi durchgeführte Studie zeigt, dass einige Mitgliedstaaten und Großstädte überhaupt keine mengenmäßigen Beschränkungen eingeführt haben. Vgl. „Study on passenger transport by taxi, hire car with driver and ridesharing in the EU. Final Report“, a. a. O., S. 8, 31 und 32. Die Studie ist online verfügbar unter: https://transport.ec.europa.eu/system/files/2017-05/2016-09-26-pax-transport-taxi-hirecar-w-driver-ridesharing-final-report.pdf.