SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 15. September 2022 ( 1 ) ( i )

Rechtssache C‑46/21 P

Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER)

gegen

Aquind Ltd

„Rechtsmittel – Energie – Verordnung (EG) Nr. 713/2009 – Entscheidung der ACER, mit der ein Antrag auf Gewährung einer Ausnahme für neue Elektrizitätsverbindungsleitungen abgelehnt wurde – Beim Beschwerdeausschuss der ACER eingelegte Beschwerde – Funktion, Zusammensetzung, Befugnisse und Dauer des Verfahrens vor dem Beschwerdeausschuss der ACER – Intensität der Kontrolle – Art. 17 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 – Ausnahmeregelung für neue Elektrizitätsverbindungsleitungen – Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 – Allgemeines Finanzierungssystem für die transeuropäische Energieinfrastruktur – Finanzierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse – Grenzüberschreitende Kostenaufteilung“

1.

Im Rahmen des vorliegenden Rechtsmittels hat der Gerichtshof über die Intensität der Kontrolle zu entscheiden, die von den Beschwerdekammern der Agenturen der Union bei der Entscheidung über die ihnen vorgelegten Beschwerden auszuüben ist.

2.

Insbesondere hat der Gerichtshof den Ansatz des Gerichts aus dem vorliegend angefochtenen Urteil ( 2 ) zu prüfen, wonach der Beschwerdeausschuss der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (im Folgenden: ACER) ( 3 ) verpflichtet sei, die Entscheidungen der Agentur nicht nur auf offensichtliche Fehler hin zu kontrollieren.

3.

Zwar gibt es bereits eine gefestigte Rechtsprechung zu den Befugnissen der Beschwerdekammern bestimmter Stellen wie des Amtes der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO) oder des Gemeinschaftlichen Sortenamts (CPVO), doch ist dies für die Rechtsstreitigkeiten sonstiger Beschwerdekammern nicht der Fall, deren Entscheidungen nunmehr auch in zunehmenden Maß vor dem Gericht angefochten werden ( 4 ). Aus diesem Grund ist das vorliegende Rechtsmittel von Bedeutung ( 5 ).

4.

Hintergrund des vorliegenden Rechtsstreits ist eine Entscheidung der ACER (Nr. 05/2018), mit der ein Antrag auf Gewährung einer Ausnahme von bestimmten durch die Vorschriften zur Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts auferlegten Verpflichtungen beim Bau einer Verbindungsleitung zwischen dem britischen und dem französischen Elektrizitätsübertragungsnetz abgelehnt wurde.

5.

In dieser Entscheidung (die später mit der Entscheidung A-001-2018 des Beschwerdeausschusses der ACER bestätigt wurde) kommt Art. 17 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 714/2009 ( 6 ) in Verbindung mit der allgemeinen Regelung zur Finanzierung der Energieinfrastruktur aus Art. 12 der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 ( 7 ) zur Anwendung.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Verordnung Nr. 713/2009

6.

Art. 19 ( 8 ) sieht vor:

„(1)   Jede natürliche oder juristische Person einschließlich der nationalen Regulierungsbehörden kann gegen gemäß den Artikeln 7, 8 oder 9 an sie gerichtete Entscheidungen sowie gegen Entscheidungen, die an eine andere Person gerichtet sind, sie aber unmittelbar und individuell betreffen, Beschwerde einlegen.

(4)   Ist die Beschwerde zulässig, so prüft der Beschwerdeausschuss, ob sie begründet ist. Er fordert die am Beschwerdeverfahren Beteiligten so oft wie erforderlich auf, innerhalb bestimmter Fristen eine Stellungnahme zu seinen Bescheiden oder zu den Schriftsätzen der anderen am Beschwerdeverfahren Beteiligten einzureichen. Die am Beschwerdeverfahren Beteiligten haben das Recht, mündliche Erklärungen abzugeben.

(5)   Der Beschwerdeausschuss wird entweder auf der Grundlage dieses Artikels im Rahmen der Zuständigkeit der Agentur tätig oder verweist die Angelegenheit an die zuständige Stelle der Agentur zurück. Diese ist an die Entscheidung des Beschwerdeausschusses gebunden.

…“

7.

Art. 20 Abs. 1 bestimmt:

„Beim Gericht erster Instanz oder dem Gerichtshof kann gemäß Artikel 230 des Vertrags Klage gegen eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses oder – wenn der Beschwerdeausschuss nicht zuständig ist – der Agentur erhoben werden.“

B.   Verordnung Nr. 714/2009

8.

Art. 17 legt fest:

„(1)   Neue Gleichstrom-Verbindungsleitungen können auf Antrag für eine begrenzte Dauer von den Bestimmungen des Artikels 16 Absatz 6 dieser Verordnung und der Artikel 9, 32 und des Artikels 37 Absätze 6 und 10 der Richtlinie 2009/72/EG[ ( 9 )] unter folgenden Voraussetzungen ausgenommen werden:

a)

Durch die Investition wird der Wettbewerb in der Stromversorgung verbessert;

b)

das mit der Investition verbundene Risiko ist so hoch, dass die Investition ohne die Gewährung einer Ausnahme nicht getätigt würde;

c)

die Verbindungsleitung muss Eigentum einer natürlichen oder juristischen Person sein, die zumindest der Rechtsform nach von den Netzbetreibern getrennt ist, in deren Netzen die entsprechende Verbindungsleitung gebaut wird;

d)

von den Nutzern dieser Verbindungsleitung werden Entgelte verlangt;

e)

seit der teilweisen Marktöffnung gemäß Artikel 19 der Richtlinie 96/92/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Dezember 1996 betreffend gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt [(ABl. 1997, L 27, S. 20)] dürfen keine Anteile der Kapital- oder Betriebskosten der Verbindungsleitung über irgendeine Komponente der Entgelte für die Nutzung der Übertragungs- oder Verteilernetze, die durch diese Verbindungsleitung miteinander verbunden werden, gedeckt worden sein; und

f)

die Ausnahme darf sich nicht nachteilig auf den Wettbewerb oder das effektive Funktionieren des Elektrizitätsbinnenmarkts oder das effiziente Funktionieren des regulierten Netzes auswirken, an das die Verbindungsleitung angeschlossen ist.

(4)   Die Entscheidung über Ausnahmen nach den Absätzen 1, 2 und 3 wird in jedem Einzelfall von den Regulierungsbehörden der betreffenden Mitgliedstaaten getroffen. Eine Ausnahme kann sich auf die Gesamtkapazität oder nur einen Teil der Kapazität der neuen Verbindungsleitung oder der vorhandenen Verbindungsleitung mit erheblich erhöhter Kapazität erstrecken.

Binnen zwei Monaten ab der Einreichung des Antrags auf eine Ausnahme durch die letzte betroffene Regulierungsbehörde kann die Agentur den genannten Regulierungsbehörden eine beratende Stellungnahme übermitteln, die als Grundlage für deren Entscheidung dienen könnte.

Bei der Entscheidung über die Gewährung einer Ausnahme wird in jedem Einzelfall der Notwendigkeit Rechnung getragen, Bedingungen für die Dauer der Ausnahme und die diskriminierungsfreie Gewährung des Zugangs zu der Verbindungsleitung aufzuerlegen. Bei der Entscheidung über diese Bedingungen werden insbesondere die neu zu schaffende Kapazität oder die Änderung der bestehenden Kapazität, der Zeitrahmen des Vorhabens und die nationalen Gegebenheiten berücksichtigt.

Vor der Gewährung einer Ausnahme entscheiden die Regulierungsbehörden der betroffenen Mitgliedstaaten über die Regeln und Mechanismen für das Kapazitätsmanagement und die Kapazitätsvergabe. Die Regeln für das Engpassmanagement müssen die Verpflichtung einschließen, ungenutzte Kapazitäten auf dem Markt anzubieten, und die Nutzer der Infrastruktur müssen das Recht erhalten, ihre kontrahierten Kapazitäten auf dem Sekundärmarkt zu handeln. Bei der Bewertung der in Absatz 1 Buchstaben a, b und f genannten Kriterien werden die Ergebnisse des Kapazitätsvergabeverfahrens berücksichtigt.

Haben alle betroffenen Regulierungsbehörden binnen sechs Monaten Einigung über die Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme erzielt, unterrichten sie die Agentur von dieser Entscheidung.

Die Entscheidung zur Gewährung einer Ausnahme – einschließlich der in Unterabsatz 2 genannten Bedingungen – ist ordnungsgemäß zu begründen und zu veröffentlichen.

(5)   Die in Absatz 4 genannten Entscheidungen werden von der Agentur getroffen,

a)

wenn alle betroffenen nationalen Regulierungsbehörden innerhalb von sechs Monaten ab dem Tag, an dem die letzte dieser Regulierungsbehörden mit dem Antrag auf eine Ausnahme befasst wurde, keine Einigung erzielen konnten oder

b)

wenn ein gemeinsames Ersuchen der betroffenen nationalen Regulierungsbehörden vorliegt.

Vor ihrer Entscheidung konsultiert die Agentur die betroffenen Regulierungsbehörden und die Antragsteller.

…“

C.   TEN-E‑Verordnung

9.

Art. 12 legt fest:

„(1)   Die auf effiziente Weise angefallenen Investitionskosten ohne Berücksichtigung von Instandhaltungskosten im Zusammenhang mit einem Vorhaben von gemeinsamem Interesse, das unter die in Anhang II Nummer 1 Buchstaben a, b und d und Anhang II Nummer 2 genannten Kategorien fällt, werden von den betreffenden Übertragungs- oder Fernleitungsnetzbetreibern oder den Vorhabenträgern der Übertragungs- oder Fernleitungsinfrastruktur der Mitgliedstaaten getragen, für die das Vorhaben eine positive Nettoauswirkung hat, und werden in dem Umfang, der nicht von Engpasserlösen oder anderen Entgelten gedeckt wird, durch die Netzzugangsentgelte in diesen Mitgliedstaaten von den Netznutzern gezahlt.

(2)   Für ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse, das unter die in Anhang II Nummer 1 Buchstaben a, b und d und Anhang II Nummer 2 genannten Kategorien fällt, gilt Absatz 1 nur, wenn mindestens ein Vorhabenträger bei den zuständigen nationalen Behörden die Anwendung dieses Artikels auf alle oder einen Teil der Kosten des Vorhabens beantragt. Absatz 1 gilt für ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse, das unter die in Anhang II Nummer 2 genannten Kategorien fällt nur, wenn bereits eine Bewertung der Nachfrage am Markt durchgeführt wurde, die ergeben hat, dass die auf effiziente Weise angefallenen Investitionskosten voraussichtlich nicht von den Entgelten getragen werden.

(3)   Wenn ein Vorhaben von gemeinsamem Interesse unter Absatz 1 fällt, halten der bzw. die Vorhabenträger alle betroffenen nationalen Regulierungsbehörden regelmäßig, mindestens einmal im Jahr, über die Fortschritte dieses Vorhabens sowie über die mit ihm verbundenen ermittelten Kosten und Auswirkungen auf dem Laufenden bis das Vorhaben in Betrieb geht.

Sobald ein solches Vorhaben ausreichend ausgereift ist und nach Anhörung der Übertragungs- oder Fernleitungsnetzbetreiber der Mitgliedstaaten, für den bzw. die das Vorhaben eine positive Nettoauswirkung hat, übermittelt bzw. übermitteln der bzw. die Vorhabenträger den relevanten nationalen Regulierungsbehörden einen Investitionsantrag. Der Investitionsantrag umfasst einen Antrag auf grenzüberschreitende Kostenaufteilung und wird allen betroffenen nationalen Regulierungsbehörden zusammen mit Folgendem übermittelt:

a)

einer vorhabenspezifischen Kosten-Nutzen-Analyse gemäß der nach Artikel 11 entwickelten Methode und unter Berücksichtigung der grenzüberschreitenden Vorteile der betroffenen Mitgliedstaaten,

b)

einem Geschäftsplan, in dem die finanzielle Tragfähigkeit des Vorhabens, einschließlich der gewählten Finanzierungslösung, und bei einem Vorhaben von gemeinsamem Interesse, das unter die in Anhang II Nummer 2 genannte Kategorie fällt, die Ergebnisse der Marktprüfung bewertet werden und

c)

einem stichhaltigen Vorschlag für die grenzüberschreitende Kostenaufteilung, falls die Vorhabenträger diesbezüglich zu einer Einigung gelangen.

(4)   Innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des letzten Antrags bei den betroffenen nationalen Regulierungsbehörden treffen die nationalen Regulierungsbehörden nach Anhörung der betroffenen Vorhabenträger koordinierte Entscheidungen über die Aufteilung der von jedem Netzbetreiber für das jeweilige Vorhaben zu tragenden Investitionskosten sowie über ihre Einbeziehung in die Nutzungsentgelte. Die nationalen Regulierungsbehörden können beschließen, nur einen Teil der Kosten aufzuteilen oder die Kosten auf ein Paket mehrerer Vorhaben von gemeinsamem Interesse aufzuteilen.

(5)   Die nationalen Regulierungsbehörden berücksichtigen ausgehend von der grenzüberschreitenden Kostenaufteilung im Sinne des Absatzes 4 dieses Artikels bei der Festlegung oder der Genehmigung von Tarifen gemäß Artikel 37 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2009/72/EG und nach Artikel 41 Absatz 1 Buchstabe a der Richtlinie 2009/73/EG[ ( 10 )] die Kosten, die einem Übertragungs- oder Fernleitungsnetzbetreiber oder sonstigem Vorhabenträger infolge der Investitionen tatsächlich angefallen sind, sofern diese Kosten denen eines effizienten und strukturell vergleichbaren Betreibers entsprechen.

Die nationalen Regulierungsbehörden übermitteln der Agentur die Kostenaufteilungsentscheidung unverzüglich zusammen mit allen für die Entscheidung relevanten Informationen. …

Die Kostenaufteilungsentscheidung wird veröffentlicht.

(6)   Erzielen die betroffenen nationalen Regulierungsbehörden innerhalb von sechs Monaten nach Eingang des Antrags bei der letzten betroffenen nationalen Regulierungsbehörde keine Einigung hinsichtlich des Investitionsantrags, so setzen sie die Agentur hiervon unverzüglich in Kenntnis.

In diesem Fall oder nach einer gemeinsamen Aufforderung der betroffenen nationalen Regulierungsbehörden entscheidet die Agentur innerhalb von drei Monaten nach ihrer Befassung über den Investitionsantrag einschließlich der grenzüberschreitenden Kostenaufteilung gemäß Absatz 3 sowie darüber, in welcher Weise sich die Investitionskosten in den Netzzugangsentgelten widerspiegeln.

…“

II. Vorgeschichte des Rechtsstreits und angefochtenes Urteil

10.

Der dem Rechtsstreit zugrunde liegende Sachverhalt ist in den Rn. 1 bis 13 des angefochtenen Urteils dargestellt. Ich möchte folgende Punkte hervorheben:

Die Aquind Ltd, eine im Vereinigten Königreich errichtete Aktiengesellschaft, ist Vorhabenträgerin für eine Verbindungsleitung zwischen dem britischen und dem französischen Elektrizitätsübertragungsnetz (im Folgenden: Verbindungsleitung Aquind).

Am 17. Mai 2017 beantragte Aquind eine Ausnahme für die Verbindungsleitung Aquind bei den nationalen französischen und britischen Regulierungsbehörden.

Da sich die beiden Regulierungsbehörden nicht einigen konnten, übermittelten sie den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme am 29. November bzw. am 19. Dezember 2017 zur Beschlussfassung an die ACER.

Am 26. April 2018 erhielt die Verbindungsleitung Aquind den Status eines Vorhabens von gemeinsamem Interesse.

Mit Entscheidung Nr. 05/2018 vom 19. Juni 2018 wies die ACER den Antrag auf Gewährung einer Ausnahme zurück.

ACER war der Ansicht, Aquind erfülle zwar die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. a sowie c bis f der Verordnung Nr. 714/2009 genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme, jedoch sei die Voraussetzung nach Buchst. b dieser Vorschrift nicht erfüllt.

Insbesondere wies die ACER darauf hin, dass die Verbindungsleitung im April 2018 als Vorhaben von gemeinsamem Interesse eingestuft worden sei, dass Aquind daher die Anwendung von Art. 12 der TEN-E‑Verordnung habe beantragen können, worin die Möglichkeit einer grenzüberschreitenden Kostenaufteilung vorgesehen sei, dass Aquind dies jedoch nicht getan habe.

Somit war nach Auffassung der ACER nicht auszuschließen, dass für die Verbindungsleitung Aquind eine im regulierten System vorgesehene finanzielle Unterstützung verfügbar gewesen wäre. Daher habe sie auch nicht mit der erforderlichen Sicherheit ermitteln können, ob ein auf der fehlenden finanziellen Unterstützung durch das regulierte System beruhendes Risiko vorliege.

Im Übrigen seien das Einnahmerisiko, das außergewöhnliche Marktrisiko, das mit dem unmittelbaren Wettbewerb mit anderen Verbindungsleitungen und der Unsicherheit hinsichtlich der Engpasserlöse verbundene Risiko, das Risiko des Ausfalls des britischen Netzes, das mit dem Bau der Verbindungsleitung Aquind verbundene Risiko sowie die insbesondere mit dem Brexit verbundenen politischen und makroökonomischen Risiken unzureichend bzw. nicht dargetan worden.

Am 17. August 2018 legte Aquind beim Beschwerdeausschuss Beschwerde gegen die Entscheidung der ACER ein, jedoch bestätigte der Beschwerdeausschuss die Entscheidung am 17. Oktober 2018 mit seiner Entscheidung A-001-2018.

11.

Aquind erhob beim Gericht eine Aufhebungsklage (T‑735/18) gegen die Entscheidung des Beschwerdeausschusses.

12.

In dem angefochtenen Urteil hat das Gericht dem vierten und dem neunten Klagegrund von Aquind stattgegeben und die Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufgehoben. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen und der ACER die Kosten des Verfahrens auferlegt.

13.

Am 27. Januar 2021 hat die ACER das vorliegende Rechtsmittel eingelegt ( 11 ). Aquind hat ihrerseits am 17. April 2021 ein Anschlussrechtsmittel gegen das angefochtene Urteil eingelegt.

14.

Nach Erlass des angefochtenen Urteils beschloss der Beschwerdeausschuss am 5. Februar 2021 die Wiederaufnahme des Verfahrens und erklärte die Beschwerde von Aquind für unzulässig ( 12 ).

15.

Außerdem stellte Aquind im August und September 2019 bei den nationalen Regulierungsbehörden Frankreichs, des Vereinigten Königreichs, Spaniens und Deutschlands einen Antrag auf grenzüberschreitende Kostenaufteilung. Das auf den Antrag folgende Verfahren wurde jedoch unterbrochen, nachdem die Verbindungsleitung Aquind in der Delegierten Verordnung (EU) 2020/389 ( 13 ) nicht mehr als Vorhaben von gemeinsamem Interesse eingestuft worden war.

16.

Am 29. Mai sowie am 2. Juni 2020 stellte Aquind bei den französischen und britischen Regulierungsbehörden für 25 Jahre einen weiteren Antrag auf Gewährung einer teilweisen Ausnahme ( 14 ) für die Verbindungsleitung Aquind. Beide Behörden teilten am 27. Januar 2021 mit, sie könnten nach Inkrafttreten des Handels- und Kooperationsabkommens zwischen der Union und dem Vereinigten Königreich infolge des Brexits dem Antrag nicht stattgeben.

III. Anträge der Parteien

17.

ACER beantragt beim Gerichtshof,

das angefochtene Urteil ganz oder teilweise aufzuheben;

falls der Gerichtshof die Sache für entscheidungsreif hält, die Klage im ersten Rechtszug als unbegründet abzuweisen;

hilfsweise, die Sache zur Entscheidung nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs an das Gericht zurückzuverweisen;

Aquind die Kosten sowohl des Rechtsmittelverfahrens als auch des Verfahrens vor dem Gericht aufzuerlegen.

18.

Aquind beantragt beim Gerichtshof,

das von der ACER eingelegte Rechtsmittel zurückzuweisen;

falls der Gerichtshof Argumente der ACER zulässt, das Rechtsmittel aus den anderen von Aquind geltend gemachten Gründen, einschließlich gegebenenfalls der vom Gericht zurückgewiesenen Gründe, zurückzuweisen;

falls der Gerichtshof das angefochtene Urteil nicht bestätigt, die Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufgrund der anderen von Aquind vor dem Gericht geltend gemachten Gründe aufzuheben;

ACER die Kosten aufzuerlegen.

19.

Aquind legt außerdem ein Anschlussrechtsmittel ein, mit dem sie beim Gerichtshof beantragt,

die Feststellung der Unzulässigkeit des dritten und vierten Klagegrundes von Aquind durch das Gericht aufzuheben;

die Zurückweisung des ersten, fünften, sechsten, siebten und achten Klagegrundes von Aquind durch das Gericht aufzuheben;

das Vorbringen zu berücksichtigen, das Aquind im vorliegenden Rechtsmittelverfahren zur Begründung ihres Antrags auf Bestätigung des angefochtenen Urteils geltend macht;

folglich die Entscheidung des Beschwerdeausschusses der ACER aufgrund der in der Klage von Aquind vor dem Gericht geltend gemachten Gründe aufzuheben.

20.

Die ACER tritt dem Anschlussrechtsmittel entgegen und beantragt beim Gerichtshof,

das Anschlussrechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen;

Aquind ihre eigenen sowie die der ACER entstandenen Kosten aufzuerlegen.

IV. Rechtsmittel der ACER: Vorbemerkung

21.

ACER macht im Wesentlichen geltend, das angefochtene Urteil sei mit zwei Rechtsfehlern behaftet, die folgende Punkte beträfen:

die Intensität der Kontrolle durch den Beschwerdeausschuss im Allgemeinen sowie im vorliegenden Fall im Hinblick auf komplexe technische und wirtschaftliche Beurteilungen;

die Auslegung von Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009.

22.

Ich nehme vorweg, dass ich vorschlagen werde, den ersten der zwei von der ACER geltend gemachten Rechtsmittelgründe zurückzuweisen, mit der Folge, dass das angefochtene Urteil insoweit zu bestätigen ist, als es die Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufhebt.

23.

Insoweit mag es überflüssig erscheinen, den zweiten Rechtsmittelgrund der ACER zu prüfen, da das Urteil die Entscheidung des Beschwerdeausschusses in vollem Umfang aufhebt.

24.

Ich werde diese Prüfung jedoch vornehmen und vorschlagen, dem zweiten Rechtsmittelgrund der ACER stattzugeben und das angefochtene Urteil nur insoweit aufzuheben, als es sich auf das Verhältnis zwischen Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 und dem allgemeinen Finanzierungssystem aus Art. 12 der TEN-E‑Verordnung bezieht.

25.

Ich halte es für unbedingt erforderlich, dass der Gerichtshof über diesen zweiten Rechtsmittelgrund entscheidet, da andernfalls die (meiner Meinung nach falsche) Auffassung des Gerichts zum Verhältnis zwischen den beiden Verordnungen unberührt bliebe. Sofern der Ansatz des Gerichts nicht richtiggestellt wird, könnte er als für die ACER und ihren Beschwerdeausschuss verbindlich angesehen werden.

26.

Tatsächlich war das Gericht nicht verpflichtet, den vierten Klagegrund zu prüfen ( 15 ), nachdem es dem ersten Klagegrund stattgegeben hatte, wodurch der Entscheidung des Beschwerdeausschusses bereits die Wirksamkeit entzogen worden war. Da das Gericht es nicht bei der Entscheidung über den ersten Klagegrund beließ, hat es aber eine Rechtsauffassung entwickelt, die meiner Ansicht nach über bloße zusätzliche Erwägungen des Gerichts hinausgeht und nicht der Rechtslage entspricht.

V. Erster Rechtsmittelgrund der ACER: Intensität der Kontrolle komplexer technischer und wirtschaftlicher Beurteilungen durch den Beschwerdeausschuss

A.   Angefochtenes Urteil

27.

Das Gericht hat „[den] von der ACER vertretene[n] Ansatz …, wonach davon auszugehen sei, dass die vom Beschwerdeausschuss ausgeübte Kontrolle komplexer technischer und wirtschaftlicher Beurteilungen der eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle durch das Unionsgericht entsprechen könne“ (Rn. 49 des angefochtenen Urteils), geprüft und abgelehnt.

28.

Die Ablehnung stützt sich im Wesentlichen auf vier Erwägungen:

Die Schaffung des Beschwerdeausschusses sei im Rahmen einer Entwicklung erfolgt, mit der ein Mechanismus zur Anfechtung der Entscheidungen der Agenturen über komplexe technische, wissenschaftliche oder finanzielle Fragen, die die rechtliche Lage der betroffenen Parteien unmittelbar berührten, vorgesehen werden sollte. Dieser Rechtsbehelf stehe den Parteien in einem Zusammenhang zur Verfügung, in dem sich die Kontrolle durch die Unionsgerichte auf die Prüfung beschränken müsse, ob die Ausübung des Ermessens bei der Beurteilung nicht offensichtlich fehlerhaft sei oder einen Ermessensmissbrauch darstelle ( 16 ).

Die Vorschriften über die Organisation und die Befugnisse des Beschwerdeausschusses ließen die Feststellung zu, dass diese Rechtsbehelfsinstanz nicht geschaffen worden sei, „um sich auf eine eingeschränkte Kontrolle komplexer technischer und wirtschaftlicher Beurteilungen zu beschränken“. Dies gehe aus Folgenden hervor: a) der Qualifikation ihrer Mitglieder; b) den Befugnissen des Beschwerdeausschusses, wie sie in Art. 19 Abs. 5 der Verordnung Nr. 713/2009 verankert seien; c) der Auslegung von Art. 20 der Verordnung ( 17 ).

Die von der ACER gemäß Art. 19 Abs. 6 der Verordnung Nr. 713/2009 erlassenen Organisations- und Verfahrensvorschriften seien eine Bestätigung dessen, dass der Gesetzgeber dem Ausschuss „die Aufgabe übertragen wollte, eine Kontrolle der Entscheidung der Agentur mit einer Intensität auszuüben, die nicht auf die Intensität einer eingeschränkten Kontrolle begrenzt sein kann“ ( 18 ).

Das Gericht habe (in Bezug auf die Widerspruchskammer der ECHA) bereits bestätigt, dass „… es der Natur selbst der auf der Ebene der Agenturen geschaffenen Rechtsbehelfsinstanzen zuwiderliefe, wenn sie eine eingeschränkte Kontrolle ausübten, die den Unionsgerichten vorbehalten ist“. Dem Vorbringen der Nichtanwendbarkeit dieser Rechtsprechung auf den Beschwerdeausschuss der ACER (aufgrund der unterschiedlichen Zusammensetzung und Befugnisse der Widerspruchskammer und des Beschwerdeausschusses) könne nicht gefolgt werden ( 19 ).

B.   Vorbringen der Parteien in Bezug auf das von der ACER eingelegte Rechtsmittel

29.

Nach Meinung der ACER sind dem Gericht angesichts des Zusammenhangs, in dem der Beschwerdeausschuss seine Aufgaben wahrnimmt, mehrere Rechtsfehler in Bezug auf das Ziel des Beschwerdeausschusses, seine Organisation und seine Befugnisse unterlaufen.

30.

Aquind tritt dem Vorbringen der ACER entgegen und hält den Ansatz des Gerichts, dass der Beschwerdeausschuss zu einer vollständigen und nicht auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkten Kontrolle verpflichtet sei, für angemessen.

31.

Im Folgenden werde ich die Argumente darstellen, auf die die ACER ihren ersten Rechtsmittelgrund stützt.

1. In Bezug auf das Ziel

32.

Das Gericht habe einen Rechtsfehler begangen und gegen die in Art. 13 Abs. 2 EUV verankerten Grundsätze der Gewaltenteilung und der loyalen Zusammenarbeit verstoßen, indem es das im 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 713/2009 genannte Ziel der Schaffung eines schnellen und vereinfachten Beschwerdeverfahrens vor dem Beschwerdeausschuss nicht berücksichtigt habe.

33.

Stattdessen habe das Gericht vorrangig ein von ihm selbst aufgestelltes Ziel berücksichtigt, das es mit der Wahrnehmung einer angeblich vom Unionsgesetzgeber vorangetriebenen „Entwicklung“ begründe.

2. In Bezug auf den Zusammenhang, in dem der Beschwerdeausschuss tätig wird

34.

Das Gericht begehe einen Rechtsfehler, indem es ausführe, aus den Vorschriften über die Organisation und die Befugnisse des Beschwerdeausschusses gehe hervor, dass die Intensität seiner Kontrolle der wissenschaftlichen, technischen und wirtschaftlichen Beurteilungen nicht auf das Vorliegen offensichtlicher Beurteilungsfehler beschränkt sei (Rn. 52 bis 82 des angefochtenen Urteils). Dieser Fehler zeige sich in folgenden Punkten:

Was die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses betreffe, setze das Gericht den Ausschuss zu Unrecht mit der Widerspruchskammer der ECHA gleich (u. a. Rn. 53 und 61 des angefochtenen Urteils).

Das Gericht vertrete außerdem zu Unrecht die Auffassung, die Auswahl der Mitglieder des Beschwerdeausschusses „mit einschlägiger Erfahrung im Energiesektor“ zeige, dass der Unionsgesetzgeber den Beschwerdeausschuss mit der Erfahrung ausstatten wolle, die notwendig sei, damit er Beurteilungen komplexer technischer und wirtschaftlicher Tatsachen, die im Zusammenhang mit Energie ständen, selbst vornehmen könne (Rn. 53, 65 und 69 des angefochtenen Urteils).

Das Gericht gehe zu Unrecht davon aus, dass die Dauer des Verfahrens und die begrenzten Ressourcen des Beschwerdeausschusses eine begrenzte Prüfung komplexer technischer und wirtschaftlicher Beurteilungen nicht rechtfertigten (Rn. 66 und 73 bis 82 des angefochtenen Urteils) ( 20 ). Eine solche Feststellung verstoße gegen die Grundsätze des institutionellen Gleichgewichts und der Gewaltenteilung, da die ACER ihre personellen und finanziellen Ressourcen nicht eigenverantwortlich aufstocken könne.

Das Gericht lege Art. 19 Abs. 5 der Verordnung Nr. 713/2009 nicht richtig aus (Rn. 54, 55, 59 und 60 des angefochtenen Urteils). Diese Bestimmung rechtfertige keineswegs die Ausübung einer vollständigen Kontrolle durch den Beschwerdeausschuss, sondern beziehe sich nur auf die Möglichkeit, die Entscheidungen der ACER aufzuheben und durch eine Entscheidung des Beschwerdeausschusses zu ersetzen oder die Angelegenheit an die ACER zurückzuverweisen, treffe jedoch keine Aussage über die Intensität der Kontrolle durch den Beschwerdeausschuss.

Ein weiterer Fehler des Gerichts ergebe sich aus den Rn. 57, 58 und 60 des angefochtenen Urteils, da Art. 19 Abs. 1 und Art. 20 der Verordnung Nr. 713/2009 den Beschwerdeausschuss nicht daran hinderten, eine eingeschränkte Kontrolle vorzunehmen. Nach Meinung der ACER kann das Gericht, selbst wenn der Beschwerdeausschuss nur eine eingeschränkte Kontrolle vornimmt, die Entscheidungen des Beschwerdeausschusses stets in vollem Umfang kontrollieren.

3. Hilfsargumentation

35.

Hilfsweise macht die ACER geltend, selbst wenn (quod non) davon ausgegangen würde, dass der Beschwerdeausschuss bei Entscheidungen, die komplexe technische und wirtschaftliche Beurteilungen enthielten, eine vollumfängliche Kontrolle vornehmen müsse, sei die Feststellung des Gerichts (Rn. 83 bis 90 des angefochtenen Urteils), dass der Beschwerdeausschuss im vorliegenden Fall keine solche vollständige Kontrolle vorgenommen habe, fehlerhaft.

C.   Würdigung

36.

Der Gerichtshof hat zu prüfen, ob das Gericht rechtsfehlerfrei entschieden hat, dass der Beschwerdeausschuss im Rahmen der ihm durch die Verordnung Nr. 713/2009 übertragenen Befugnisse die Entscheidung der ACER vollständig hätte überprüfen müssen.

37.

Das Vorbringen der ACER geht ferner dahin, der Beschwerdeausschuss sei bei Entscheidungen, die komplexe technische und wirtschaftliche Beurteilungen umfassten, nur für eine auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkte Kontrolle zuständig.

38.

Meiner Ansicht nach ist der Ansatz des Gerichts richtig. Seine Auslegung der Art. 19 und 20 der Verordnung Nr. 713/2009 erscheint angemessen.

39.

Dieser Ansatz wird belegt durch die Funktion des Beschwerdeausschusses selbst und bekräftigt (oder zumindest nicht widerlegt) durch weitere Beurteilungselemente wie die Zusammensetzung bzw. die Befugnisse des Beschwerdeausschusses, die Verfahrensdauer sowie den Vergleich mit den Beschwerdekammern anderer Agenturen der Union.

1. Funktion und Ziele des Beschwerdeausschusses

40.

In den letzten Jahren war auf der Ebene der Verwaltung der Union eine Tendenz der Zunahme der Agenturen zu beobachten ( 21 ). Im Rahmen dieser Entwicklung wurden die Agenturen, die befugt sind, die Rechte von Einzelpersonen betreffende Rechtsakte zu erlassen, mit Beschwerdekammern ausgestattet. Zwar hat die ACER zunehmend in gewissen Grenzen Entscheidungsbefugnisse und die Zuständigkeit für Vereinbarungen erlangt, die sich auf die Rechte von Einzelpersonen auswirken, jedoch besteht ihre Hauptaufgabe in der Koordination der Tätigkeit der nationalen Regulierungsbehörden aus dem Energiebereich ( 22 ). Dieser Umstand erklärt die ursprüngliche Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses.

41.

Soweit ich sehe, wurden acht solche Kammern ( 23 ) geschaffen, die nicht alle dem gleichen Modell folgen ( 24 ) und sich in ihrer Struktur, ihrer Funktionsweise und ihren Befugnissen unterscheiden. Sie weisen jedoch einige gemeinsame Merkmale auf ( 25 ):

Es handelt sich um für die Kontrolle auf dem Verwaltungsweg zuständige, agenturinterne Instanzen, die über eine gewisse Unabhängigkeit verfügen. Sie sind keine Gerichte, obwohl sie in den kontradiktorischen Verfahren quasigerichtliche Funktionen ausüben.

Sie setzen sich sowohl aus Juristen als auch aus technischen Sachverständigen zusammen, so dass sie auch über Beschwerden gegen Entscheidungen, die oft eine stark technische Komponente beinhalten, befinden können.

Bei den Beschwerdekammern können die Adressaten der Entscheidungen der Agenturen sowie natürliche und juristische Personen, die von den Entscheidungen unmittelbar und individuell betroffen sind, Beschwerde einlegen.

Sie kontrollieren Entscheidungen, die sich auf Dritte auswirken und für die sie nach den Vorschriften des abgeleiteten Rechts, mit denen die Beschwerdekammern geschaffen werden, zuständig sind. Ihr Zuständigkeitsbereich ist somit begrenzt.

Sie stellen einen zügigen, schnellen, zugänglichen, spezialisierten und kostengünstigen Mechanismus zum Schutz der Rechte der Adressaten und der von den Entscheidungen der Agenturen betroffenen Personen dar.

42.

Die Bedeutung einiger dieser Beschwerdekammern wurde durch die Einführung von Art. 58a in die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union ( 26 ) indirekt gestärkt.

43.

Nach diesem Artikel sind Rechtsmittel gegen Urteile des Gerichts, die eine Entscheidung bestimmter Beschwerdekammern ( 27 ) betreffen, nur zulässig, wenn damit eine für die Einheit, die Kohärenz oder die Entwicklung des Unionsrechts bedeutsame Frage aufgeworfen wird ( 28 ).

44.

Ich stimme mit dem Gericht darin überein (Rn. 51 des angefochtenen Urteils), dass die Schaffung des Beschwerdeausschusses der ACER im Rahmen einer vom Unionsgesetzgeber vorangetriebenen Entwicklung erfolgt ist, mit der „Rechtsbehelfsinstanzen“ auf der Ebene der Agenturen der Union vorgesehen werden sollten, wenn diesen Agenturen eine Entscheidungsbefugnis über komplexe technische oder wissenschaftliche Fragen übertragen wurde, die die rechtliche Lage der betroffenen Parteien unmittelbar berührt.

45.

Wie das Gericht zu Recht hervorhebt, „[stellt] [d]as System der Rechtsbehelfsinstanz … insoweit ein geeignetes Mittel dar, um die Rechte der betroffenen Parteien in einem Zusammenhang zu schützen, in dem sich … die Kontrolle durch die Unionsgerichte auf die Prüfung beschränken muss, ob die Ausübung des weiten Ermessens bei der Beurteilung komplexer wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Tatsachenelemente nicht offensichtlich fehlerhaft ist …“ ( 29 ).

46.

Meiner Ansicht nach wäre es nämlich wenig sinnvoll, wenn in einem Handlungsrahmen, der sich durch die technische und wirtschaftliche Komplexität der den einzelnen Agenturen übertragenen Angelegenheiten auszeichnet, innerhalb dieser Agenturen Beschwerdekammern geschaffen würden, die gerade diese technischen und wirtschaftlichen Aspekte der Entscheidungen der betreffenden Agentur nicht beurteilen dürften.

47.

Zwar muss sich die Kontrolle durch die Unionsgerichte auf die Prüfung beschränken, ob die Ausübung des weiten Ermessens bei der Beurteilung komplexer wissenschaftlicher, technischer und wirtschaftlicher Tatsachenelemente nicht offensichtlich fehlerhaft ist oder einen Ermessensmissbrauch darstellt. Jedoch ist diese Kontrolle, die vom Gericht vorgenommen wird, nicht zu verwechseln mit der Kontrolle durch die Beschwerdekammer, die aufgrund ihrer Spezialisierung, wie ich nachstehend darstellen werde, in der Lage ist, diese Aspekte eingehend zu prüfen und alle Einzelheiten der angefochtenen Entscheidung abschließend zu beurteilen ( 30 ).

48.

Ich vertrete daher den Standpunkt, dass die Funktion der in den Agenturen geschaffenen Beschwerdekammern bei der Kontrolle komplexer Entscheidungen dieser Stellen grundsätzlich nicht mit der Funktion der Unionsgerichte gleichgesetzt werden kann. Andernfalls wäre die Schaffung der Beschwerdekammern überflüssig, da sie die Kontrolle, für die die Gerichte der Union zuständig sind, unnötig verdoppeln würde.

49.

Ich stimme daher mit dem Gericht überein, dass es, „[w]enn die vom Beschwerdeausschuss durchgeführte Kontrolle in Bezug auf die komplexen technischen und wirtschaftlichen Beurteilungen nur eingeschränkt erfolgen dürfte, … bedeuten [würde], dass das Gericht eine eingeschränkte Kontrolle hinsichtlich einer Entscheidung durchführen würde, die selbst das Resultat einer eingeschränkten Kontrolle wäre. Es ist offensichtlich, dass ein System einer ‚eingeschränkten Kontrolle einer eingeschränkten Kontrolle‘ nicht die Garantien eines effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes bietet, der den Unternehmen zusteht …“ ( 31 ).

2. Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses

50.

Nach Art. 18 Abs. 1 der Verordnung Nr. 713/2009 ( 32 ) werden die Mitglieder des Beschwerdeausschusses aus dem Kreis der leitenden Mitarbeiter der nationalen Regulierungsbehörden oder anderer Einrichtungen mit einschlägiger Erfahrung im Energiesektor ausgewählt.

51.

Gemäß Art. 18 Abs. 2 und 3 der Verordnung Nr. 713/2009 ( 33 ) beträgt die Amtszeit der Mitglieder des Beschwerdeausschusses, die in ihrer Beschlussfassung unabhängig und an keinerlei Weisungen gebunden sind, fünf Jahre und kann verlängert werden.

52.

Die Zusammensetzung des Beschwerdeausschusses erfüllt somit die Voraussetzungen, die für eine vollständige und uneingeschränkte Kontrolle der Entscheidungen der ACER erforderlich sind. Von den Mitgliedern des Ausschusses wird Erfahrung im Energiesektor verlangt, weil sie über die notwendigen technischen Kenntnisse verfügen (oder verfügen müssen), um über die Beschwerden in vollem Umfang entscheiden zu können. So hat es das Gericht festgestellt, und ich teile seine Meinung ( 34 ).

53.

Die ACER macht geltend, leitende Mitarbeiter der nationalen Regulierungsbehörden verfügten nicht notwendigerweise über solche technischen Kenntnisse und Erfahrungen, da die Beurteilung komplexer technischer und wirtschaftlicher Fragen den mittleren Führungskräften dieser Regulierungsbehörden obliege.

54.

Dieses Vorbringen überzeugt mich nicht. Würden Kandidaten, die nicht über die erforderliche Erfahrung im Energiesektor und die erforderlichen technischen Kenntnisse verfügen, als Mitglieder des Beschwerdeausschusses ausgewählt, wäre ihre Auswahl schlicht nicht mit Art. 18 der Verordnung Nr. 713/2009 vereinbar. Der Umstand, dass auch die „mittleren Führungskräfte“ über diese Kenntnisse verfügen, bedeutet nicht, dass die höheren Führungskräfte diese nicht benötigen.

55.

Außerdem wurden mit der Neufassung durch die Verordnung 2019/942 weder die Zusammensetzung noch das Profil der Mitglieder des Beschwerdeausschusses geändert, da die Art. 25, 26 und 27 der Verordnung 2019/942 im Wesentlichen dem Wortlaut von Art. 18 der Verordnung Nr. 713/2009 entsprechen. Mit der Neufassung sollte der Beschwerdeausschuss gerade gestärkt werden, um seine Aufgaben effizienter wahrnehmen zu können.

56.

Wenig überzeugend ist auch das Argument der ACER, die Regelung, wonach Mitglieder des Beschwerdeausschusses bis 2019 unentgeltlich und ehrenamtlich tätig gewesen seien, habe Auswirkungen auf den Rechtsstreit gehabt. Nach Angaben der ACER konnten die Mitglieder im Rahmen dieser Regelung andere Tätigkeiten ausüben und hatten daher weniger Zeit für die Tätigkeit im Beschwerdeausschuss, und es sei daher folgerichtig, dass sie sich auf eine eingeschränkte und schnellere Prüfung der Entscheidungen der Agentur beschränkt hätten.

57.

Dass die Mitglieder des Beschwerdeausschusses bis 2019 weder vergütet wurden noch exklusiv für den Ausschuss tätig waren, rechtfertigt eine Beschneidung ihrer Kontrollaufgabe nicht. Diese Tatsache lässt sich u. a. mit den begrenzten Entscheidungsbefugnissen der ACER vor 2019 und vor allem dadurch erklären, dass die ersten Prognosen nur eine geringe Anzahl von eingereichten Beschwerden vorhersagten ( 35 ).

58.

Der Anstieg der Fallzahlen hat dazu geführt, dass nunmehr eine Vergütung der Mitglieder des Beschwerdeausschusses vorgesehen ist ( 36 ) und von den Kandidaten neben technischen Kenntnissen auch in größerem Umfang allgemeine Rechtskenntnisse verlangt werden ( 37 ).

59.

Die Aufstockung des Personals des Beschwerdeausschusses zeigt allenfalls, dass seine ursprüngliche Konzeption nicht wirklich für die ihm durch die Verordnung Nr. 713/2009 übertragenen Aufgaben geeignet war ( 38 ). Dieser Mangel zeigt indessen nicht, dass der Beschwerdeausschuss seine Hauptfunktion nicht erfüllen konnte und sich auf eine eingeschränkte Kontrolle der Entscheidungen der Agentur beschränken musste.

60.

Die Ausweitung der Befugnisse der ACER im Rahmen der Änderung der Unionsvorschriften für den Energiesektor nach 2019 ( 39 ) (die auf den Sachverhalt des vorliegenden Rechtsstreits nicht anwendbar sind) sowie die Reform der ACER selbst durch die Verordnung 2019/942 führen dazu, dass der Beschwerdeausschuss infolge seiner Stärkung in die Lage versetzt wird, eine vollständige Kontrolle über die Entscheidungen der ACER vorzunehmen.

3. Dauer des Verfahrens

61.

Die ACER vertritt den Standpunkt, aufgrund der kurzen Frist, innerhalb der der Beschwerdeausschuss zu entscheiden habe (zwei Monate gemäß Art. 19 Abs. 2 der Verordnung Nr. 713/2009), sei eine eingehende Prüfung nicht möglich. Die anderslautende Feststellung des Gerichts sei mit einem Rechtsfehler behaftet.

62.

Ich schließe mich den Erwägungen des Gerichts an und bin der Auffassung, dass ihm bei der Auslegung der Vorschrift kein Rechtsfehler unterlaufen ist.

63.

Es stimmt, dass die Frist für die Entscheidung über die Beschwerde kurz war ( 40 ), da in zwei Monaten ein kontradiktorisches Verfahren durchgeführt werden musste, in dem die Beteiligten aufgefordert werden konnten, ihre Stellungnahmen zu Schriftsätzen anderer Beteiligter abzugeben und sich vor dem Beschwerdeausschuss mündlich zu äußern.

64.

Jedoch lässt sich, wie das Gericht zu Recht hervorhebt (Rn. 74 des angefochtenen Urteils), allein aus der Frist nicht eine Absicht des Gesetzgebers herleiten, die vom Beschwerdeausschuss ausgeübte Kontrolle zu beschränken. Verschiedene Argumente deuten auf das Gegenteil hin:

Die technischen Kenntnisse und die Erfahrung der Mitglieder des Beschwerdeausschusses ermöglichen ein schnelles Verständnis der Beschwerden und eine zügige Entscheidung darüber.

Art. 19 der Verordnung Nr. 713/2009 sieht im Wesentlichen vor, dass der Beschwerdeausschuss prüft, ob das Vorbringen des Beschwerdeführers auf das Vorliegen eines Fehlers hindeutet, der sich auf die angefochtene Entscheidung auswirkt. Der Beschwerdeausschuss beschränkt sich somit auf die Prüfung, ob die vom Beschwerdeführer vorgebrachten Beschwerdegründe geeignet sind, um darzutun, dass die angefochtene Entscheidung mit Fehlern behaftet ist. Der Ausschuss hat lediglich die in den Beschwerdegründen dargelegten komplexen technischen und wirtschaftlichen Aspekte zu prüfen.

Der Beschwerdeausschuss ist nicht verpflichtet, eine erneute Prüfung der tatsächlichen und rechtlichen Aspekte der Entscheidung der ACER durchzuführen. Insofern besteht ein Unterschied etwa zu den Beschwerdekammern des EUIPO und des CPVO.

Gemäß Art. 19 Abs. 5 der Verordnung Nr. 713/2009 wird der Beschwerdeausschuss „im Rahmen der Zuständigkeit der Agentur tätig oder verweist die Angelegenheit an die zuständige Stelle der Agentur zurück“. Der Beschwerdeausschuss konnte also der Beschwerde stattgeben und die Angelegenheit an die ACER zu erneuter Entscheidung zurückverweisen.

65.

Diese Auslegung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die Verordnung 2019/942 die Frist, über die der Beschwerdeausschuss für eine Entscheidung verfügt, auf vier Monate verlängert hat ( 41 ). Diese Verlängerung zeigt lediglich, dass die Frist von zwei Monaten, die der Gesetzgeber in der Verordnung Nr. 713/2009 festgelegt hatte, eventuell wenig realistisch war, jedoch kann daraus nicht abgeleitet werden, dass der Beschwerdeausschuss nur eine eingeschränkte Kontrolle der Entscheidungen der ACER vornehmen sollte.

4. Befugnisse des Beschwerdeausschusses

66.

Art. 19 Abs. 5 der Verordnung Nr. 713/2009 sieht, wie ich bereits angeführt habe, vor, dass der Beschwerdeausschuss im Rahmen der Zuständigkeit der ACER tätig wird oder die Angelegenheit an die zuständige Stelle der Agentur zurückverweist, die an die Entscheidung des Beschwerdeausschusses gebunden ist.

67.

Wie das Gericht richtig feststellt (Rn. 54 des angefochtenen Urteils), kann der Beschwerdeausschuss, nachdem er festgestellt hat, dass die Beschwerde begründet ist, das der ACER zustehende Ermessen ausüben und prüfen, ob es die ihm vorliegenden Informationen gestatten, selbst zu entscheiden, anstatt die Rechtssache zur erneuten Entscheidung an die ACER zurückzuverweisen.

68.

Gemäß Art. 20 Abs. 1 der Verordnung Nr. 713/2009 ist beim Gericht die Entscheidung des Beschwerdeausschusses und nicht die Entscheidung der ACER anzufechten. Dies ist auch vorliegend der Fall: Die Klägerin war nicht berechtigt, die Entscheidung der ACER unmittelbar vor den Unionsgerichten anzufechten ( 42 ), wie das Gericht in Rn. 58 des angefochtenen Urteils feststellt.

69.

Diese doppelte Feststellung bestätigt, dass sich der Beschwerdeausschuss nicht auf eine eingeschränkte Kontrolle der Entscheidung der ACER, so wie es der gerichtlichen Kontrolle durch die Unionsrichter entspricht, beschränken durfte.

70.

Der Beschwerdeausschuss verfügt, wie ich bereits dargestellt habe, über die technischen Kenntnisse, die für eine vollständige und nicht auf offensichtliche Fehler beschränkte Kontrolle der Entscheidungen der ACER erforderlich sind. Diese vollständige Kontrolle ermöglicht die spätere gerichtliche Prüfung durch das Gericht.

71.

Die vorstehenden Erwägungen werden nicht durch den unerheblichen Fehler getrübt, der dem Gericht in Rn. 60 des angefochtenen Urteils unterlaufen ist, indem es von einem „etwaigen Widerspruch“ zwischen dem Beschluss der ACER vom 5. Oktober 2019 ( 43 ) und der Verordnung Nr. 713/2009 spricht.

72.

Die Feststellung des Gerichts ist nicht korrekt, weil die Änderung des Beschlusses der ACER Nr. 1-2011 auf den vorherigen Erlass der Verordnung 2019/942 zurückzuführen ist. Art. 21 des Beschlusses Nr. 1/2011 gibt in seiner geänderten Fassung lediglich den Inhalt von Art. 28 Abs. 5 der Verordnung 2019/942 wieder ( 44 ). Der angebliche Widerspruch liegt somit nicht vor.

73.

Dieser Fehler des Gerichts betrifft jedoch eine seine Entscheidung nicht tragenden Erwägung des Gerichts und bezieht sich auf eine Gesetzesänderung, die auf den Rechtsstreit in zeitlicher Hinsicht nicht anwendbar ist. Er hat daher hinsichtlich der Intensität der vom Beschwerdeausschuss durchgeführten Kontrolle keinen Einfluss auf die endgültige Entscheidung.

5. Vergleich des Beschwerdeausschusses der ACER mit den Beschwerdekammern anderer Agenturen der Union

74.

Der Vergleich, den das Gericht zwischen der Intensität der Kontrolle durch die Widerspruchskammer der ECHA und der Intensität der Kontrolle durch den Beschwerdeausschuss der ACER zieht, um seine Rechtsprechung zur Intensität der Kontrolle der Entscheidungen der ECHA auf die ACER auszuweiten, ist meiner Meinung nach angemessen.

75.

Das Gericht führt seinen Standpunkt zur Widerspruchskammer der ECHA aus (Rn. 61 des angefochtenen Urteils) ( 45 ) und erklärt, dieser könne auch für den Beschwerdeausschuss der ACER zugrunde gelegt werden.

76.

Die Kritik von ACER gegenüber diesem Teil des angefochtenen Urteils stützt sich auf die Unterschiede bei den Zielen, zwischen den Beschwerdeverfahren (insbesondere hinsichtlich der Entscheidungsfristen) und bei der Regelung der personellen Besetzung des Beschwerdeausschusses der ACER und der Widerspruchskammer der ECHA. Diese Unterschiede würden den vom Gericht gezogenen Vergleich entkräften.

77.

Die genannten Unterschiede haben allerdings keine Auswirkungen auf den Kern der Argumentation des Gerichts, der sowohl für die Widerspruchskammer der ECHA als auch für den Beschwerdeausschuss der ACER herangezogen werden kann: Es liefe der Natur der auf der Ebene der Agenturen geschaffenen Rechtsbehelfsinstanzen zuwider, wenn sie eine auf die Überprüfung eines offensichtlichen Fehlers beschränkte Kontrolle und keine vollumfängliche Beurteilung der in den angefochtenen Entscheidungen enthaltenen komplexen technischen, wissenschaftlichen und wirtschaftlichen Beurteilungen vornähmen.

78.

Meines Erachtens ist die Auffassung des Gerichts daher nicht mit einem Rechtsfehler behaftet, und auch dieser Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist zurückzuweisen.

6. Hilfsargumentation: Vollständige Kontrolle durch den Beschwerdeausschuss

79.

Hilfsweise macht die ACER geltend, selbst wenn (quod non) davon ausgegangen würde, dass der Beschwerdeausschuss bei Entscheidungen, die komplexe technische und wirtschaftliche Beurteilungen enthielten, eine vollständige Kontrolle vornehmen müsse und sich nicht auf die offensichtlichen Fehler beschränken dürfe, sei die Feststellung des Gerichts, dass der Beschwerdeausschuss im vorliegenden Fall keine solche Prüfung vorgenommen habe, mit einem Rechtsfehler behaftet.

80.

Bei diesem hilfsweise vorgebrachten Argument wird indessen nicht berücksichtigt, dass der Beschwerdeausschuss selbst erklärt hat (Rn. 47 und 52 seiner Entscheidung), dass er in Bezug auf die von Aquind beantragte Ausnahme eine auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkte Kontrolle durchführen werde.

81.

Der Beschwerdeausschuss hat dies ausdrücklich als Grundsatz bekräftigt, nach dem sich seine Tätigkeit richte. Es war somit nicht erforderlich, die Rn. 70 bis 74 und 94 bis 98 der Entscheidung der ACER im Einzelnen zu prüfen, wenn der Beschwerdeausschuss selbst bekundet hat, dass seine Kontrolle auf offensichtliche Beurteilungsfehler beschränkt sei. Dem Gericht ist insoweit kein Rechtsfehler vorzuwerfen.

82.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen ist der erste Rechtsmittelgrund der ACER zurückzuweisen.

VI. Zweiter Rechtsmittelgrund der ACER: Verstoß gegen Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009

A.   Angefochtenes Urteil

83.

Nach der Auffassung des Gerichts ist der Ansatz des Beschwerdeausschusses in Bezug auf die Ausnahme weder im Hinblick auf die Verordnung Nr. 714/2009 noch im Hinblick auf die TEN-E‑Verordnung gerechtfertigt. Dies ergebe sich aus folgenden Argumenten:

Der Beschwerdeausschuss habe eine zusätzliche Voraussetzung eingeführt, die nicht zu den in Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 genannten Voraussetzungen gehöre.

Aus keiner der Rechtsvorschriften könne geschlossen werden, dass der Gesetzgeber einer Regelung gegenüber der anderen den Vorrang einräume. Die beiden Regelungen könnten alternativ angewandt werden.

Das wesentliche Leitkriterium für die Prüfung des Antrags auf Gewährung einer Ausnahme sei das in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehene Kriterium des „mit der Investition verbundenen Risikos“, und der Beschwerdeausschuss habe dieses nicht herangezogen.

Der Rückgriff auf das Verfahren der grenzüberschreitenden Kostenerstattung stelle keine Garantie dafür dar, dass alle Risiken für die Verbindungsleitungen beseitigt würden.

B.   Vorbringen der Parteien

84.

Die ACER macht geltend, das Gericht habe einen „grundlegenden“ Rechtsfehler begangen, indem es (insbesondere in den Rn. 105 und 106 des angefochtenen Urteils) festgestellt habe, keine Rechtsvorschrift lasse die Annahme zu, dass der Gesetzgeber der TEN-E‑Verordnung gegenüber der Ausnahmeregelung aus der Verordnung Nr. 714/2009 den Vorrang einräume.

85.

Dieser Rechtsfehler ergebe sich aus der vom Gericht vorgenommenen unangemessenen Auslegung des Verhältnisses zwischen Art. 12 der TEN-E‑Verordnung und Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009. Der Wortlaut, das Ziel und der Kontext der Verordnung Nr. 714/2009 sowie ihrer Vorgängerin, der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 ( 46 ), ließen darauf schließen, dass die TEN-E‑Verordnung die allgemeine Regelung und die Verordnung Nr. 714/2009 eine eng auszulegende Ausnahmeregelung enthielten. Entgegen der Darstellung des Gerichts handele es sich nicht um gleichwertige Regelungen, zwischen denen die Vorhabenträger frei wählen könnten.

86.

Als einen zweiten Rechtsfehler rügt die ACER die Feststellung im angefochtenen Urteil (Rn. 101 bis 104), dass, wenngleich die mögliche Finanzierung nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung ein einschlägiges Beurteilungskriterium für die Bestimmung des mit der Investition verbundenen Risikos sein könne, dieses Kriterium jedoch keine vollwertige Voraussetzung darstellen dürfe, die erfüllt sein müsse, damit eine Ausnahme gewährt werde ( 47 ).

87.

Die ACER vertritt den Standpunkt, in der Nichtverfügbarkeit ausreichender finanzieller Unterstützung im Rahmen des regulierten Systems liege ein wesentliches Element für die Feststellung, ob das Investitionsrisiko abgedeckt sei oder nicht, und somit sei diese Prüfung implizit in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 enthalten und keine zusätzliche Voraussetzung für die Gewährung einer Ausnahme für eine neue Verbindungsleitung.

88.

Schließlich ist nach Meinung der ACER die Feststellung des Gerichts (Rn. 108 und 109 des angefochtenen Urteils) mit einem Rechtsfehler behaftet, wonach Aquind die Ausnahme gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 nicht deshalb verweigert werden könne, weil davon auszugehen sei, dass der Antrag auf Unterstützung nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung zu einem finanziellen Vorteil führe, durch den das Risiko wegfalle.

89.

Die Möglichkeit einer Finanzierung der Verbindungsleitung durch grenzüberschreitende Kostenaufteilung sei nicht hypothetischer Natur gewesen, sondern habe sich auf die Einstufung der Verbindungsleitung Aquind als Vorhaben von gemeinsamem Interesse sowie auf die Analyse von Kosten, Kapazität und Nutzen durch die ACER gestützt. Gerade diese Risikoanalyse sei nach Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 für die Beurteilung erforderlich, ob das finanzielle Risiko der Verbindungsleitung auf anderem Wege als durch die Gewährung einer Ausnahme vom allgemeinen System begrenzt werden könne.

90.

Aquind tritt dem Vorbringen der ACER entgegen und vertritt den Standpunkt, dass dem Gericht keiner der vorgeworfenen Rechtsfehler anzulasten sei.

C.   Würdigung

91.

Zum besseren Verständnis der Frage ist zunächst das Verhältnis zwischen den beiden Finanzierungsregelungen zu klären, um anschließend die Argumente des zweiten Rechtsmittelgrundes zu prüfen.

1. Finanzierung der Elektrizitätsverbindungsleitungen

92.

Bei den transeuropäischen Gleichstrom-Verbindungsleitungen handelt es sich um wichtige Infrastrukturen für die Entwicklung des europäischen Elektrizitätsmarkts ( 48 ). Sie verbinden die nationalen Elektrizitätssysteme untereinander, stellen die Stromversorgung sicher und verhindern eine Isolation, während sie gleichzeitig zur Schaffung eines integrierten europäischen Elektrizitätsmarkts mit mehr Wettbewerb und günstigeren Preisen für die Verbraucher beitragen ( 49 ).

93.

Elektrizitätsverbindungsleitungen sind große und technologisch komplexe Projekte, die bedeutende Investitionen und viele Jahre bis zu ihrer Fertigstellung erfordern. Diese Eigenschaften erklären den Erlass der TEN-E‑Verordnung und die Schaffung der sogenannten Vorhaben von gemeinsamem Interesse, mit denen ihre Finanzierung gelenkt werden soll ( 50 ).

94.

Art. 1 der TEN-E‑Verordnung ( 51 ) behandelt die Identifizierung von Vorhaben von gemeinsamem Interesse, die für die Realisierung von vorrangigen Korridoren und Gebieten im Bereich der transeuropäischen Energieinfrastruktur erforderlich sind. Die TEN-E‑Verordnung regelt nicht nur die Identifizierung und Durchführung solcher Vorhaben, sondern enthält auch Bestimmungen über die Erleichterung und Beschleunigung der Genehmigungsverfahren sowie die Beteiligung der Öffentlichkeit an diesen Vorhaben.

95.

Von besonderer Bedeutung ist in der vorliegenden Rechtssache Art. 12 der TEN-E‑Verordnung, der Regeln und Leitfäden für die grenzüberschreitende Kostenaufteilung unter Berücksichtigung der Risiken für Vorhaben von gemeinsamem Interesse vorsieht.

96.

Gemäß Art. 12 Abs. 3, 4, 5 und 6 der TEN-E‑Verordnung gilt:

Sobald ein Vorhaben, das unter die Kategorien des Anhangs II Nr. 1 Buchst. a, b und d und Anhang II Nr. 2 fällt, ausgereift ist, übermittelt bzw. übermitteln der bzw. die Vorhabenträger den relevanten nationalen Regulierungsbehörden „einen Investitionsantrag [, der] einen Antrag auf grenzüberschreitende Kostenaufteilung [umfasst]“.

Nach Anhörung der betroffenen Vorhabenträger treffen die nationalen Regulierungsbehörden „koordinierte Entscheidungen über die Aufteilung der von jedem Netzbetreiber für das jeweilige Vorhaben zu tragenden Investitionskosten sowie über ihre Einbeziehung in die Nutzungsentgelte“.

Die nationalen Regulierungsbehörden übermitteln der ACER „die Kostenaufteilungsentscheidung unverzüglich zusammen mit allen für die Entscheidung relevanten Informationen“.

Erzielen die betroffenen nationalen Regulierungsbehörden innerhalb von sechs Monaten keine Einigung hinsichtlich des Investitionsantrags, so setzen sie die ACER hiervon unverzüglich in Kenntnis. Die ACER entscheidet „über den Investitionsantrag einschließlich der grenzüberschreitenden Kostenaufteilung … sowie darüber, in welcher Weise sich die Investitionskosten in den Netzzugangsentgelten widerspiegeln“.

97.

Bevor im Jahr 2013 die TEN-E‑Verordnung verabschiedet wurde, gab es im Unionsrecht keine vergleichbare Regelung, die ein entsprechendes Finanzierungssystem für die transeuropäische Energieinfrastruktur vorsah ( 52 ).

98.

Aus diesem Grund legt Art. 12 Abs. 9 fest: „Dieser Artikel gilt nicht für Vorhaben von gemeinsamem Interesse, für die eine der folgenden Ausnahmen gilt[ ( 53 )]: … b) eine Ausnahme von Artikel 16 Absatz 6 der Verordnung [Nr. 714/2009] … gemäß Artikel 17 der Verordnung [Nr. 714/2009]; … oder d) eine Ausnahme gemäß Artikel 7 der Verordnung [Nr. 1228/2003]“.

99.

Die gleiche Auslegung gilt für Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der TEN-E‑Verordnung in Bezug auf Anreize für diese Art der transeuropäischen Energieinfrastruktur.

100.

Mit diesen Bestimmungen sollen das regulierte System zur Finanzierung von Elektrizitätsverbindungsleitungen und die Ausnahmeregelung hinsichtlich ihrer Anwendung nicht in ein Alternativverhältnis gestellt werden.

101.

Durch Art. 12 Abs. 9 und Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 der TEN-E‑Verordnung soll verhindert werden, dass Elektrizitätsverbindungsleitungen, für die eine Ausnahme gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 (und Art. 7 der Verordnung Nr. 1228/2003) gilt, eine Finanzierung nach der allgemeinen Regelung aus Art. 12 der TEN-E‑Verordnung in Anspruch nehmen können.

102.

Für neue Elektrizitätsverbindungsleitungen, die nach dem Inkrafttreten der TEN-E‑Verordnung geplant wurden, haben Art. 12 Abs. 9 und Art. 13 Abs. 1 Unterabs. 2 jedoch keinerlei Bedeutung, da es sich um Bestimmungen handelt, die als „Übergangsbestimmungen“ eingestuft werden können ( 54 ).

103.

Der Zusammenhang zwischen dem regulierten System und der Ausnahmeregelung wird durch die Vorarbeiten zu der Verordnung Nr. 1228/2003 bestätigt, die das Gericht nicht berücksichtigt hat. Der Gerichtshof hat diese Vorarbeiten für die Auslegung der Art. 16 und 17 der Verordnung Nr. 714/2009 herangezogen ( 55 ).

104.

In der Tat wurde im Gemeinsamen Standpunkt des Rates im Hinblick auf den Erlass der Verordnung Nr. 1228/2003 folgende Erklärung der Kommission zur Ausnahme aufgenommen: „Die Kommission unterstreicht ihre Absicht, diese Ausnahme restriktiv auszulegen, um sicherzustellen, dass derartige Ausnahmen auf das erforderliche Minimum beschränkt werden, insbesondere hinsichtlich der Dauer der Ausnahme und der relevanten Kapazität des Vorhabens, auf das sich die Ausnahme bezieht, um das Ziel einer Finanzierung von Investitionen mit außergewöhnlich hohem Risiko zu erreichen ( 56 ).“ Die restriktive Auslegung der Ausnahme und die Beschränkung ihrer Anwendung auf ein Minimum wird in Abschnitt C Nr. 4 des Gemeinsamen Standpunkts ( 57 ) hervorgehoben.

105.

Um den nationalen Regulierungsbehörden die Anwendung zu erleichtern, hat die Generaldirektion Energie und Verkehr der Kommission einen Auslegungsvermerk zur Verordnung Nr. 1228/2003 veröffentlicht, in dem sie den außerordentlichen Charakter der Ausnahmeregelung hervorhebt ( 58 ). Ebenso wurde im Arbeitsdokument der Kommissionsdienststellen von 2009 ( 59 ) vorgegangen.

106.

Aus den Vorarbeiten und den erläuternden Dokumenten der Kommission ist daher ersichtlich, dass die Ausnahmeregelung aus Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 außerordentlichen Charakter hat und gegenüber der allgemeinen Finanzierungsregelung für Elektrizitätsverbindungsleitungen aus der TEN-E‑Verordnung subsidiär anzuwenden ist.

2. Würdigung des Rechtsmittelgrundes

107.

Nach meiner Ansicht ist die Argumentation des Gerichts insbesondere in den Rn. 105 und 106 des angefochtenen Urteils, da es zwei unterschiedliche rechtliche Regelungen auf derselben Ebene betrachtet, mit einem Rechtsfehler behaftet. Wie ich bereits erläutert habe, kann Folgendes festgestellt werden:

Die TEN-E‑Verordnung enthält eine allgemeine Regelung für die Finanzierung von Verbindungsleitungen, bei denen es sich um Vorhaben von gemeinsamem Interesse handelt.

Die Ausnahme aus Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 stellt demgegenüber die Ausnahmeregelung dar, mit der Folge, dass die Vorhabenträger nicht das Recht haben, nach ihrem Belieben ihr Vorhaben im Rahmen der einen oder der anderen Regelung durchzuführen.

108.

Grundsätzlich haben sich Vorhabenträger einer als Vorhaben von gemeinsamem Interesse eingestuften Elektrizitätsverbindungsleitung, damit das Vorhaben finanziell tragfähig wird, nach dem allgemeinen (oder, wie es die ACER bezeichnet, regulierten) System aus der TEN-E‑Verordnung zu richten, das im Wesentlichen in Art. 12 der TEN-E‑Verordnung geregelt ist.

109.

Erhalten sie keine Unterstützung durch grenzüberschreitende Kostenaufteilung, können die Vorhabenträger gegebenenfalls nachweisen, dass ihr Vorhaben ein finanzielles Risiko beinhaltet, das die Gewährung einer Ausnahme gemäß Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 rechtfertigt.

110.

Ich möchte jedoch erneut betonen, dass die Vorhabenträger die Ausnahme nicht direkt in Anspruch nehmen können, da ansonsten das Verhältnis zwischen der Ausnahmeregelung und der allgemeinen Regelung zur Finanzierung neuer Verbindungsleitungen umgangen würde. Im Rahmen dieses Verhältnisses gilt:

Die Ausnahmeregelung stellt eine vorübergehende Abweichung von den allgemeinen Grundsätzen für die Verwendung der Einnahmen, die Entflechtung der Übertragungsnetze und der Übertragungsnetzbetreiber sowie den Zugang Dritter zu den Übertragungs- und Verteilungsnetzen dar, die für die Liberalisierung des Elektrizitätsmarkts der Union von wesentlicher Bedeutung sind.

Das allgemeine System zur Finanzierung der transnationalen Energieinfrastruktur aus der TEN-E‑Verordnung zielt gerade darauf ab, Ausnahmen für Vorhabenträger, die den freien Wettbewerb auf dem Elektrizitätsmarkt der Union einschränken würden, zu verhindern.

Nur falls die finanzielle Tragfähigkeit durch das allgemeine Finanzierungssystem nicht sichergestellt werden kann, ist es ausnahmsweise sinnvoll, eine Ausnahme nach Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 zu gewähren.

111.

Die fehlerhafte Auslegung des Verhältnisses zwischen den beiden Regelungen führt zu einem weiteren Rechtsfehler, der insbesondere in den Rn. 101 und 102 des angefochtenen Urteils ersichtlich ist. Dort stellt das Gericht fest, der Beschwerdeausschuss dürfe die Stellung eines Antrags auf finanzielle Unterstützung nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung nicht zur Voraussetzung für den Nachweis des mit der Investition verbundenen Risikos machen.

112.

Der Umstand, dass keine finanzielle Unterstützung zur Verfügung steht, stellt ein wirtschaftliches Risiko dar, das den Bau der Verbindungsleitung gefährden kann. Dieser Faktor ist, wie das Gericht selbst einräumt, von der ACER bei der Anwendung der in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehenen Voraussetzung zu berücksichtigen, dass ein mit der Investition verbundenes Risiko vorliegt, das eine Ausnahme vom regulierten System rechtfertigt.

113.

Daher hat die ACER festzustellen, ob eine finanzielle Unterstützung über das allgemeine System gegeben ist oder nicht, um die Existenz des Risikos zu prüfen und die Ausnahme zu gewähren oder sie zu verweigern ( 60 ). So verfuhr die ACER auch, und ihr Beschwerdeausschuss bestätigte, dass die Prüfung den Voraussetzungen aus Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 714/2009 entsprach.

114.

Entgegen den Ausführungen des Gerichts kann daraus jedoch nicht geschlossen werden, dass die ACER mit diesem Ansatz zu den bereits in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 714/2009 festgelegten Voraussetzungen eine neue Voraussetzung für die Gewährung einer Ausnahme hinzugefügt habe.

115.

Die ACER und ihr Beschwerdeausschuss verlangten von Aquind auch nicht die Stellung eines Antrags auf Finanzierung über das regulierte System. Sie beschränkten sich auf die Beurteilung, inwieweit sich das finanzielle Risiko des Baus der Verbindungsleitung Aquind verringert hätte, wenn die Finanzierung über das regulierte System erreicht worden wäre. Neben den geschätzten Kosten, Gewinnen und sonstigen Faktoren prüfte ( 61 ) die ACER, ob die Voraussetzung erfüllt war, dass „das mit der Investition verbundene Risiko … so hoch [ist], dass die Investition ohne die Gewährung einer Ausnahme nicht getätigt würde“.

116.

Ich vertrete daher den Standpunkt, dass die von der ACER durchgeführte und von ihrem Beschwerdeausschuss bestätigte Prüfung angemessen war und dass mit ihr entgegen der Auffassung des Gerichts keine Voraussetzung eingeführt wird, die nicht zu den in Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 714/2009 genannten Voraussetzungen für die Gewährung einer Ausnahme zählt.

117.

Insofern ist die Begründung des Gerichts aus den Rn. 107 bis 110 des angefochtenen Urteils fehlerhaft. Seine beiden Hauptargumente lauten wie folgt:

Der Beschwerdeausschuss und die ACER hätten sich grundsätzlich auf hypothetische Erwägungen gestützt, nämlich auf die „Möglichkeit“, dass Aquind aufgrund eines Antrags nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung finanzielle Unterstützung bekomme, und darauf, dass „nicht ausgeschlossen werden konnte“, dass eine positive Entscheidung nach dieser Vorschrift eine hinreichende Garantie für mögliche Investoren sei. Der Vorteil der finanziellen Unterstützung über das regulierte System könne nicht einfach auf einer Vermutung beruhen oder als gesicherte Tatsache angenommen werden.

Das mit der Investition verbundene finanzielle Risiko könne keineswegs automatisch ausgeschlossen werden, wenn es möglich sei, eine finanzielle Unterstützung nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung zu erhalten. Der Rückgriff auf das Verfahren der grenzüberschreitenden Kostenerstattung stelle keine Garantie dafür dar, dass alle Risiken für die Verbindungsleitungen beseitigt würden.

118.

Das erste Argument überzeugt mich nicht. Die Einstufung der Verbindungsleitung Aquind als Vorhaben von gemeinsamem Interesse ermöglichte die Finanzierung über das regulierte System der grenzüberschreitenden Kostenaufteilung und Anreize aus der TEN-E‑Verordnung. Aus diesem Grund durften die ACER und ihr Beschwerdeausschuss davon ausgehen, dass Aquind diese Finanzierung zur Verfügung stand, sofern sie sie beantragt hätte ( 62 ).

119.

Im Rahmen der in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vorgesehenen Analyse des „mit der Investition verbundenen Risikos“ hat die ACER zu beurteilen, ob das finanzielle Risiko des Vorhabens durch die Inanspruchnahme anderer Finanzierungsmittel, die generell und vorrangig vor der Gewährung der Ausnahme heranzuziehen sind, hätte reduziert werden können. Auf die Ausnahme ist, wie ich wiederholen möchte, aufgrund ihrer Natur als Ausnahmeregelung nur als letzte Möglichkeit zurückzugreifen, da sie sich negativ auf die Liberalisierung des gemeinsamen Elektrizitätsmarkts auswirkt.

120.

Auch das zweite Argument des Gerichts überzeugt mich nicht. Der (nicht zu bestreitende) Umstand, dass die allgemeine Finanzierungsregelung aus der TEN-E‑Verordnung keine Garantie dafür ist, dass alle Risiken, denen die Verbindungsleitungen ausgesetzt sind, beseitigt werden, kann nicht zur Gewährung der Ausnahme aus Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 führen.

121.

Die Träger eines Vorhabens von gemeinsamem Interesse wie der Verbindungsleitung Aquind könnten das finanzielle Risiko ihres Vorhabens erhöhen und so die Gewährung der Ausnahme „erzwingen“, indem sie es einfach unterließen, die Unterstützung aus dem regulierten System zu beantragen. Sie hätten dann im Ergebnis die Wahl zwischen zwei Unterstützungsregelungen für diese Art von Infrastruktur, die jedoch nicht auf derselben Ebene angesiedelt sind. Der vorstehend analysierte grundlegende Fehler des Gerichts zeigt sich in dieser Begründung des angefochtenen Urteils erneut.

122.

Wäre davon auszugehen, dass infolge von eventuellen Verzögerungen und Unsicherheiten bei der Gewährung finanzieller Unterstützung durch die allgemeine Regelung der TEN-E‑Verordnung die Gewährung einer Ausnahme möglich würde, dann wäre die Voraussetzung des „mit der Investition verbundenen Risikos“ automatisch erfüllt, und die in Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 aufgestellte Voraussetzung würde ihre Bedeutung verlieren.

123.

Aufgrund der vorstehenden Erwägungen schlage ich dem Gerichtshof vor, diesem Rechtsmittelgrund stattzugeben, da dem Gericht bei der Auslegung von Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 in Verbindung mit Art. 12 der TEN-E‑Verordnung ein Rechtsfehler unterlaufen ist.

VII. Anschlussrechtsmittel von Aquind

124.

Aquind wendet sich nicht nur gegen das Rechtsmittel der ACER, sondern hat zusätzlich ein Anschlussrechtsmittel eingelegt, mit dem sie die in Nr. 19 der vorliegenden Schlussanträge aufgeführten Anträge stellt.

125.

Da ich dem Gerichtshof vorschlage, den ersten Rechtsmittelgrund der ACER zurückzuweisen und das Urteil des Gerichts insoweit zu bestätigen, als es die Entscheidung des Beschwerdeausschusses aufhebt, ist eine spezifische Würdigung des Anschlussrechtsmittels von Aquind nicht erforderlich.

126.

Das angefochtene Urteil ist nämlich in der Rechtsmittelinstanz zu bestätigen, wobei der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen, dem zweiten jedoch stattzugeben ist. Auf diese Weise wird die vollständige Aufhebung der Entscheidung des Beschwerdeausschusses bestätigt, weil dieser eine auf offensichtliche Fehler beschränkte Kontrolle vorgenommen hat. Es ist weder erforderlich noch ratsam, dass der Gerichtshof weitere Gründe für die von Aquind beantragte Aufhebung dieser Entscheidung prüft. Das Anschlussrechtsmittel von Aquind ist daher zurückzuweisen.

VIII. Keine Zurückverweisung der Rechtssache an das Gericht

127.

Nach Art. 61 seiner Satzung hebt der Gerichtshof, wenn das Rechtsmittel begründet ist, die Entscheidung des Gerichts auf. Er kann sodann den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist, oder die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen.

128.

Es ist nicht erforderlich, dass der Gerichtshof die Rechtssache an das Gericht zurückverweist, da das Urteil des Gerichts insoweit bestätigt wird, als es die Entscheidung des Beschwerdeausschusses der ACER in vollem Umfang aufhebt.

129.

Der Beschwerdeausschuss hat dem Urteil des Gerichts unter Beachtung der vom Gerichtshof im Rechtsmittelverfahren ausgeführten Präzisierungen nachzukommen und dabei demnach das Urteil des Gerichts in Bezug auf das Verhältnis zwischen Art. 17 der Verordnung Nr. 714/2009 und Art. 12 der TEN-E‑Verordnung außer Acht zu lassen.

130.

Ungeachtet des Durchdringens des zweiten Rechtsmittelgrundes ist keine Zurückverweisung an das Gericht erforderlich, weil es, wie ich bereits erläutert habe, nicht erforderlich war, dass das Gericht sich zu dem Verhältnis zwischen Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 und Art. 12 der TEN-E‑Verordnung äußert.

IX. Kosten

131.

Nach Art. 138 Abs. 3 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach ihrem Art. 184 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, trägt jede Partei ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei teils obsiegt und teils unterliegt.

132.

Da ich vorschlage, den ersten Rechtsmittelgrund der ACER gemäß dem Antrag von Aquind zurückzuweisen, dem zweiten Rechtsmittelgrund jedoch stattzugeben, sind den Parteien jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen. Die gleiche Kostenverteilung ist auf das Anschlussrechtsmittel anzuwenden, das mit dem Hauptrechtsmittel in engem Zusammenhang steht.

X. Ergebnis

133.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor,

1.

den ersten Rechtsmittelgrund der ACER zurückzuweisen,

2.

dem zweiten Rechtsmittelgrund der ACER stattzugeben,

3.

das Anschlussrechtsmittel von Aquind in vollem Umfang zurückzuweisen,

4.

der ACER und Aquind jeweils ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( i ) Die vorliegende Sprachfassung ist in der Nr. 11 und den Fn. 12 und 13 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.

( 2 ) Urteil vom 18. November 2020, Aquind/ACER (T‑735/18, EU:T:2020:542). Im Folgenden: angefochtenes Urteil.

( 3 ) Der rechtliche Rahmen war geregelt in der Verordnung (EG) Nr. 713/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 zur Gründung einer Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2009, L 211, S. 1). Diese Verordnung wurde aufgehoben durch die Verordnung (EU) 2019/942 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ABl. 2019, L 158, S. 22).

( 4 ) Betreffend die Widerspruchskammer der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA) vgl. Urteile des Gerichts vom 20. September 2019, BASF Grenzach/ECHA (T‑125/17, EU:T:2019:638), und Deutschland/ECHA (T‑755/17, EU:T:2019:647).

( 5 ) Siehe die ausführliche Analyse im Schrifttum im Werk von Chamon, M., Volpato, A., und Eliantonio, M. (Hrsg.): Boards of Appeal of EU Agencies: Towards Judicialization of Administrative Review?, Oxford University Press, 2022.

( 6 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 (ABl. 2009, L 211, S. 15).

( 7 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2013 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur und zur Aufhebung der Entscheidung Nr. 1364/2006/EG und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 713/2009, (EG) Nr. 714/2009 und (EG) Nr. 715/2009 (ABl. 2013, L 115, S. 39). Diese wird gemeinhin als Verordnung über transeuropäische Energienetze (im Folgenden: TEN-E‑Verordnung) bezeichnet.

( 8 ) Ich gebe die zum Zeitpunkt des Ausgangsverfahrens gültige Fassung des Artikels wieder. In der Verordnung 2019/942 entspricht diese Vorschrift dem Art. 28, dessen Abs. 5 Folgendes vorsieht: „Der Beschwerdeausschuss bestätigt entweder die Entscheidung oder verweist die Angelegenheit an die zuständige Stelle von ACER zurück. Diese ist an die Entscheidung des Beschwerdeausschusses gebunden.“

( 9 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Elektrizitätsbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/54/EG (ABl. 2009, L 211, S. 55).

( 10 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 2003/55/EG (ABl. 2009, L 211, S. 94).

( 11 ) Außerdem stellte die ACER am selben Tag einen Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung der Durchführung des angefochtenen Urteils, da dessen Durchführung eine Gefahr für das Unionsrecht und den Energiebinnenmarkt mit sich bringe. Die Vizepräsidentin des Gerichtshofs wies den Antrag mit Beschluss vom 16. Juli 2021, ACER/Aquind (C‑46/21 P-R, nicht veröffentlicht, EU:C:2021:633), zurück, weil der geltend gemachte schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden zu dem Zeitpunkt, zu dem der Beschwerdeausschuss die Beschwerde von Aquind mit seiner Entscheidung A-001-2018_R vom 4. Juni 2021 als unzulässig zurückgewiesen habe, weggefallen sei bzw. sich als hypothetischer Natur erwiesen habe.

( 12 ) Entscheidung A-001-2018_R vom 4. Juni 2021. In dieser Entscheidung stellte der Beschwerdeausschuss fest, aufgrund des Austritts des Vereinigten Königreichs aus der Union könnten die Verordnung Nr. 714/2009 sowie die TEN-E‑Verordnung nicht mehr auf neue Stromverbindungsleitungen zwischen dem Vereinigten Königreich und einem Mitgliedstaat der Union zur Anwendung kommen. Aquind hat beim Gericht eine Klage auf Aufhebung dieser Entscheidung (Rechtssache T‑492/21) erhoben, die noch anhängig ist.

( 13 ) Delegierte Verordnung der Kommission vom 31. Oktober 2019 zur Änderung der Verordnung (EU) Nr. 347/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates in Bezug auf die Unionsliste der Vorhaben von gemeinsamem Interesse (ABl. 2020, L 74, S. 1). Aquind hat am 21. Mai 2020 eine Klage auf Aufhebung dieser Delegierten Verordnung erhoben, die beim Gericht (Rechtssache T‑295/20, Aquind u. a./Kommission) anhängig ist. Aquind hatte die Delegierte Verordnung bereits vor der Veröffentlichung angefochten, jedoch hat das Gericht die Klage mit Beschluss vom 5. März 2021, Aquind u. a./Kommission (T‑885/19, EU:T:2021:118), für unzulässig erklärt. Mit Urteil des Gerichtshofs vom 1. August 2022, Aquind u. a./Kommission (C‑310/21 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2022:615), ist dieser Beschluss bestätigt worden.

( 14 ) Nur für die Pflichten aus Art. 19 Abs. 2 und 3 der Verordnung (EU) 2019/943 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. Juni 2019 über den Elektrizitätsbinnenmarkt (ABl. 2019, L 158, S. 54).

( 15 ) In Rn. 91 des angefochtenen Urteils heißt es: „Das Gericht hält es jedoch aus Gründen, die mit einer geordneten Rechtspflege zusammenhängen, für zweckmäßig, den vierten Klagegrund zu prüfen, mit dem ein Fehler bei der Auslegung des Verhältnisses zwischen Art. 17 Abs. 1 der Verordnung Nr. 714/2009 und Art. 12 der [TEN-E‑Verordnung] … gerügt [wird].“ Hervorhebung nur hier.

( 16 ) Angefochtenes Urteil, Rn. 51.

( 17 ) Angefochtenes Urteil, Rn. 52 bis 58.

( 18 ) Angefochtenes Urteil, Rn. 59 und 60.

( 19 ) Angefochtenes Urteil, Rn. 61 bis 70.

( 20 ) In Rn. 66 des angefochtenen Urteils heißt es, dass „… es der ACER obliegt, alle nötigen internen organisatorischen Maßnahmen zur Mobilisierung der ihr zur Verfügung stehenden Mittel zu ergreifen, um die in der Verordnung Nr. 713/2009 festgelegten Ziele zu erreichen“.

( 21 ) Everson, M., Monda, C. und Vos, E. (Hrsg.): European Agencies in Between Institutions and Member States, Wolters Kluwer, Alphen aan den Rijn, 2014; Chamon, M.: EU Agencies: Legal and Political Limits to the Transformation of the EU Administration, Oxford University Press, 2016; Alberti, J.: Le agenzie dell’Unione europea, Giuffrè, Mailand, 2018; Vos, E.: EU Agencies, Common Approach and Parliamentary Scrutiny, European Parliament, 2018.

( 22 ) Vgl. die Analyse von Tovo, C.: „The Boards of Appeal of Networked Services Agencies: Specialized Arbitrators of Transnational Regulatory Conflicts?“, in Chamon, M., Volpato, A., und Eliantonio, M., op. cit., S. 36 bis 40; sowie Jankovich, K.: „La réforme de l’Agence de l’Union européenne pour la coopération des régulateurs de l’énergie: une évolution sans révolution“, Revue du droit de l’Union européenne, 2019, Nr. 3, S. 69 bis 85.

( 23 ) Die Kammern des Amts der Europäischen Union für geistiges Eigentum (EUIPO), des Gemeinschaftlichen Sortenamtes (CPVO), der Europäischen Agentur für Flugsicherheit (EASA), der Europäischen Chemikalienagentur (ECHA), der Agentur für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (ACER), des Einheitlichen Abwicklungsausschusses (SRB), der Eisenbahnagentur der Europäischen Union (ERA) und der drei Europäischen Aufsichtsbehörden (Europäische Bankenaufsichtsbehörde [EBA], Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde [ESMA] und Europäische Aufsichtsbehörde für das Versicherungswesen und die betriebliche Altersversorgung [EIOPA]), für die dieselbe Beschwerdekammer zuständig ist.

( 24 ) Die Gemeinsame Erklärung und das gemeinsame Konzept (des Europäischen Parlaments, des Rates und Kommission) für dezentralisierte Agenturen vom 19. Juli 2012 (https://data.consilium.europa.eu/doc/document/ST‑11450-2012‑INIT/en/pdf) thematisieren nur in Rn. 21 des gemeinsamen Konzepts die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Mitglieder der Beschwerdekammern.

( 25 ) Aus der umfangreichen Bibliografie über die Beschwerdekammern der Agenturen vgl. die verschiedenen Beiträge im Sammelband von Chamon, M., Volpato, A., und Eliantonio, M., op. cit.; Chirulli, P.: Non-Judicial Remedies and EU Administration Protection of Rights versus Preservation of Autonomy, Routledge, 2021; De Lucia, L.: „Specialised Adjudication in EU Administrative Law: the Boards of Appeal of EU Agencies“, European Law Review 2015, S. 832 bis 857.

( 26 ) Verordnung (EU, Euratom) 2019/629 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. April 2019 zur Änderung des Protokolls Nr. 3 über die Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union (ABl. 2019, L 111, S. 1).

( 27 ) Konkret der Beschwerdekammern des EUIPO, des CPVO, der ECHA und der ESA sowie der nach dem 1. Mai 2019 in anderen Ämtern oder Agenturen der Union eingerichteten Beschwerdekammern.

( 28 ) Es ist nicht auszuschließen, dass in Zukunft der Mechanismus für die Zulassung von Rechtsmitteln auf Urteile ausgedehnt wird, in denen das Gericht über Entscheidungen der Beschwerdekammern anderer Agenturen, die mit den in Art. 58a der Satzung des Gerichtshofs genannten Stellen vergleichbar sind, entschieden hat. Die Struktur des Beschwerdeausschusses der ACER ist vergleichbar mit der Struktur der Beschwerdekammern der in dem Artikel genannten Stellen. Vgl. De Lucia, L.: „The Shifting State of Rights Protection vis-à-vis EU Agencies: a Look at Article 58a of the Statute of the Court of Justice of the European Union“, European Law Review, 2019, S. 812 bis 816.

( 29 ) Rn. 51 des angefochtenen Urteils.

( 30 ) In diesem Sinne Tovo, C.: „the added value of BoAs with respect to the proper functioning of the EU system of legal remedies, however, resides precisely in guaranteeing an in-depth control of the merits of the decisions of the agencies, which, as atypical implementing acts of a technical nature, are necessarily subject to a limited judicial review before the CJEU“ (in Tovo, C.: „The Boards of Appeal of Networked Services Agencies: Specialized Arbitrators of Transnational Regulatory Conflicts?“, in Chamon, M., Volpato, A., und Eliantonio, M., op. cit., S. 55).

( 31 ) Rn. 58 des angefochtenen Urteils.

( 32 )

( 33 ) Vgl. in diesem Sinne die Art. 1 bis 4 des Beschlusses Nr. 1-2011 des Beschwerdeausschusses der ACER vom 1. Dezember 2011 zur Festlegung der Vorschriften über die Organisation und das Verfahren des Beschwerdeausschusses, verfügbar unter https://extranet.acer.europa.eu/en/The_agency/Organisation/Board_of_Appeal/BoA_Public_Docs/BoA%20minutes%20FINAL%20.pdf. Die geänderte Fassung vom 5. Oktober 2019 ist verfügbar unter https://acer.europa.eu/en/The_agency/Organisation/Board_of_Appeal/BoA_Public_Docs/Rules%20of%20Procedure_for%20publication.pdf.

( 34 ) Rn. 53 des angefochtenen Urteils: „Der Unionsgesetzgeber wollte somit den Beschwerdeausschuss mit der Erfahrung ausstatten, die notwendig ist, damit er Beurteilungen komplexer technischer und wirtschaftlicher Tatsachen, die im Zusammenhang mit Energie stehen, selbst vornehmen kann.“

( 35 ) Vor dem Inkrafttreten des Pakets „Saubere Energie“ 2019 wurden 2017 nur eine und 2018 zwei Beschwerden beim Beschwerdeausschuss eingelegt. Im Jahr 2019 waren es bereits sechs, im Jahr 2020 neun und im Jahr 2021 elf. Vgl. https://acer.europa.eu/the-agency/organisation-and-bodies/board-of-appeal/boa-decisions.

( 36 ) Vgl. Beschluss Nr. 17/2019 des Verwaltungsrats der ACER vom 26. September 2019.

( 37 ) Dies geht hervor aus dem Programming Document 2021 – 2023, Dezember 2020, http://documents.acer.europa.eu/en/The_agency/Mission_and_Objectives/Documents/Programming%20Document%20-%202021-2023%20-%20European%20Union%20Agency%20for%20the%20Cooperation%20of%20Energy%20Regulators.pdf, (S. 33).

( 38 ) Die ACER erkennt dies in dem Dokument an, das in der vorhergehenden Fußnote zitiert wird (S. 160).

( 39 ) Das Paket „Saubere Energie“ beinhaltet u. a. die Verordnung 2019/942.

( 40 ) Diese kurze Frist steht im Einklang mit dem im 19. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 713/2009 genannten Ziel, die Betroffenen sollten „im Interesse eines reibungslosen Verfahrensablaufs das Recht erhalten, einen Beschwerdeausschuss anzurufen …“.

( 41 ) Art. 28 Abs. 2 der Verordnung 2019/942. Die sehr niedrige Zahl an Fällen, über die der Beschwerdeausschuss in den ersten Jahren zu entscheiden hatte, war mit einer derart kurzen Frist für eine Entscheidung vereinbar, jedoch war angesichts der Zunahme der Fälle ab 2018 eine Verlängerung von zwei auf vier Monate geboten.

( 42 ) Der neue Art. 29 der Verordnung 2019/942 legt nun eindeutig fest, dass „Klagen auf Aufhebung einer Entscheidung, die von ACER im Einklang mit dieser Verordnung getroffen wurde, und Klagen wegen Untätigkeit innerhalb der festgelegten Fristen … erst dann beim Gerichtshof eingereicht werden [können], wenn das Beschwerdeverfahren gemäß Artikel 28 erschöpft ist“.

( 43 ) Mit diesem Beschluss wurde Art. 20 des Beschlusses Nr. 1-2011 zur Festlegung der Vorschriften über die Organisation und das Verfahren des Beschwerdeausschusses geändert. Der (neue) Art. 21 des geänderten Beschlusses, der Art. 20 ersetzt, legt fest, dass sich der Beschwerdeausschuss darauf beschränkt, die Entscheidung der Agentur zu bestätigen oder die Sache an die zuständige Stelle der ACER zurückzuverweisen.

( 44 ) Art. 28 Abs. 5 der Verordnung 2019/942 erleichtert gewissermaßen die Arbeit des Beschwerdeausschusses, der „entweder die Entscheidung [bestätigen] oder … die Angelegenheit an die zuständige Stelle von ACER zurück[verweisen]“ kann.

( 45 )

( 46 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2003 über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel (ABl. 2003, L 176, S. 1).

( 47 ) Nach Auffassung des Gerichts hat der Beschwerdeausschuss aus der Stellung eines Antrags auf finanzielle Unterstützung nach Art. 12 der TEN-E‑Verordnung durch die Klägerin „in Wirklichkeit eine vollwertige Voraussetzung für den Nachweis des mit der Investition verbundenen Risikos gemacht“, was weder durch die Verordnung Nr. 714/2009 noch durch die TEN-E‑Verordnung gerechtfertigt sei.

( 48 ) Urteil vom 11. März 2020, Baltic Cable (C‑454/18, EU:C:2020:189, Rn. 57): „Wie aus Art. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 714/2009 hervorgeht, ist die Vergabe der auf den Verbindungsleitungen verfügbaren Kapazitäten Gegenstand harmonisierter Grundsätze, die es ermöglichen sollen, gerechte Regeln für den grenzüberschreitenden Stromhandel festzulegen, um den Wettbewerb auf dem Elektrizitätsbinnenmarkt zu verbessern.“

( 49 ) Vgl. Report of the Commission Expert Group on electricity interconnection: „Towards a sustainable and integrated Europe“, November 2017, https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/report_of_the_commission_expert_group_on_electricity_interconnection_targets.pdf, S. 10 bis 14.

( 50 ) Von 2014 bis 2020 wurde mit der Fazilität „Connecting Europe“ mit einem Gesamtbudget von 4,7 Mrd. EUR ein Beitrag zur Finanzierung von 107 Vorhaben von gemeinsamem Interesse geleistet. Fast zwei Drittel dieses Betrags wurden für Projekte zur Stromleitung und ‑speicherung sowie für intelligente Netze eingesetzt. Vgl. die Daten der Europäischen Kommission: Connecting Europe Facility. Energy. Supported actions 2014-2020, Mai 2021, https://cinea.ec.europa.eu/system/files/2021-05/CEF_Energy_supporting-actions_2021.pdf.

( 51 ) Die TEN-E‑Verordnung wurde geändert, da sie nicht länger die Klimaneutralität der Union zu gewährleisten vermochte, nachdem mit der Verordnung (EU) 2022/869 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2022 zu Leitlinien für die transeuropäische Energieinfrastruktur, zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 715/2009, (EU) 2019/942 und (EU) 2019/943 sowie der Richtlinien 2009/73/EG und (EU) 2019/944 und zur Aufhebung der [TEN-E‑Verordnung] (ABl. 2022, L 152, S. 45) der europäische Grüne Deal und die neuen Leitlinien für die Energiepolitik verabschiedet worden waren.

( 52 ) Die Entscheidung Nr. 1364/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. September 2006 zur Festlegung von Leitlinien für die transeuropäischen Energienetze und zur Aufhebung der Entscheidung 96/391/EG und der Entscheidung Nr. 1229/2003/EG (ABl. 2006, L 262, S. 1) ist die Vorgängerin der TEN-E‑Verordnung. Sie sah einen sehr unsicheren Rahmen für die Unterstützung der transeuropäischen Energienetze vor, in dem es, abgesehen von der Inanspruchnahme einer Finanzierung durch die Union, kein allgemeines System zur Finanzierung dieser Infrastrukturen gab.

( 53 ) Hervorhebung nur hier.

( 54 ) In diesem Sinne heißt es im letzten Satz des 23. Erwägungsgrunds der Verordnung Nr. 714/2009: „Die Ausnahmen gemäß der Verordnung (EG) Nr. 1228/2003 gelten bis zu dem in der entsprechenden Entscheidung vorgesehenen Ablaufdatum weiter.

( 55 ) Urteil vom 11. März 2020, Baltic Cable (C‑454/18, EU:C:2020:189, Rn. 48).

( 56 ) SEK/2003/0160 endgültig, Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament gemäß Artikel 251 Absatz 2 Unterabsatz 2 EG-Vertrag betreffend den vom Rat angenommenen gemeinsamen Standpunkt im Hinblick auf den Erlass einer Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über die Netzzugangsbedingungen für den grenzüberschreitenden Stromhandel, Anhang E.

( 57 )

( 58 ) Note of DG Energy & Transport on Directives 2003/54-55 and Regulation 1228\03 in the electricity and gas internal market about exemptions from certain provisions of the third party access regime, 30.1.2004, S. 1: „The possibility for such exemptions is clearly an exception to the general rule of third party access which is the basis of the new competitive market for electricity and gas. Exemptions will therefore only be granted exceptionally and on a case-by-case basis. There will be no block exemptions for specific types of infrastructure and all cases will be assessed on their merits. This consideration is particularly relevant since there is no possibility of exemptions for existing infrastructure and therefore any decision to give new pieces of infrastructure a different status must be clearly justified“.

( 59 ) Document SEC(2009)642 final, 6.5.2009, Commission staff working document on Article 22 of Directive 2003/55/EC concerning common rules for the internal market in natural gas and Article 7 of Regulation (EC) No 1228/2003 on conditions for access to the network for cross-border exchanges in electricity – New Infrastructure Exemptions. Unter Nr. 17 heißt es: „Exemptions are an exception to the general rule of regulated TPA. Such exceptions have to be limited to what is strictly necessary to realise the investment and the scope of the exemptions has to be proportionate.“

( 60 ) In ihrem Beschluss K(2011) 4509 vom 27. Juni 2011 betreffend die für einen unterirdischen Gasspeicher in Dambořice gewährte Ausnahme, verfügbar unter https://ec.europa.eu/energy/sites/ener/files/documents/2011_damborice_decision_en.pdf, folgte die Kommission einer ähnlichen Argumentation und verweigerte die Ausnahme zugunsten eines tschechischen Gasspeicherbetreibers. Diese Ausnahme stützte sich auf Art. 36 Abs. 1 der Richtlinie 2009/73 für Gas, der mit Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 714/2009 vergleichbar ist.

( 61 ) An dieser Stelle verfügt die ACER über einen gewissen Ermessensspielraum, wie im Urteil vom 4. Dezember 2019, Polskie Górnictwo Naftowe i Gazownictwo/Kommission (C‑342/18 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2019:1043, Rn. 48), für vergleichbare Ausnahmen auf den Gasmarkt anerkannt wurde.

( 62 ) Hinzuzufügen ist, dass Aquind diese Finanzierung später im Rahmen der allgemeinen Regelung beantragt hat.