7.11.2022   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 424/10


Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 22. September 2022 (Vorabentscheidungsersuchen des Fővárosi Törvényszék — Ungarn) — GM/Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság, Alkotmányvédelmi Hivatal, Terrorelhárítási Központ

(Rechtssache C-159/21) (1)

(Vorlage zur Vorabentscheidung - Gemeinsame Politik im Bereich Asyl und Einwanderung - Richtlinie 2011/95/EU - Normen für die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzstatus - Aberkennung des Status - Richtlinie 2013/32/EU - Gemeinsame Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes - Beeinträchtigung der nationalen Sicherheit - Stellungnahme einer Fachbehörde - Akteneinsicht)

(2022/C 424/10)

Verfahrenssprache: Ungarisch

Vorlegendes Gericht

Fővárosi Törvényszék

Parteien des Ausgangsverfahrens

Kläger: GM

Beklagte: Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság, Alkotmányvédelmi Hivatal, Terrorelhárítási Központ

Tenor

1.

Art. 23 Abs. 1 der Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes ist in Verbindung mit Art. 45 Abs. 4 dieser Richtlinie sowie unter Berücksichtigung des allgemeinen unionsrechtlichen Grundsatzes betreffend das Recht auf eine gute Verwaltung und von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union

dahin auszulegen, dass

er einer nationalen Regelung entgegensteht, die vorsieht, dass dann, wenn eine Entscheidung über die Ablehnung eines Antrags auf internationalen Schutz oder die Aberkennung eines solchen Schutzes auf Informationen, deren Offenlegung die nationale Sicherheit des betreffenden Mitgliedstaats gefährden würde, beruht, die betroffene Person oder ihr Rechtsberater nur nach einer entsprechenden Genehmigung Zugang zu diesen Informationen erhalten können, ihnen nicht einmal der wesentliche Inhalt der Gründe, auf denen solche Entscheidungen beruhen, mitgeteilt wird und sie die Informationen, zu denen sie Zugang hätten erhalten können, jedenfalls nicht für Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren verwenden dürfen.

2.

Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 10 Abs. 2 und 3, Art. 11 Abs. 2 sowie Art. 45 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 sind in Verbindung mit Art. 14 Abs. 4 Buchst. a und Art. 17 Abs. 1 Buchst. d der Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes

dahin auszulegen, dass

sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, nach der die Asylbehörde systematisch verpflichtet ist, dann, wenn mit Aufgaben der nationalen Sicherheit betraute Fachbehörden mit einer nicht begründeten Stellungnahme festgestellt haben, dass eine Person eine Gefahr für die nationale Sicherheit darstelle, auf der Grundlage dieser Stellungnahme diese Person von der Gewährung subsidiären Schutzes auszuschließen bzw. einen dieser Person zuvor gewährten internationalen Schutz abzuerkennen.

3.

Art. 17 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2011/95

ist dahin auszulegen, dass

er dem nicht entgegensteht, dass ein Antragsteller aufgrund einer strafrechtlichen Verurteilung, die den zuständigen Behörden bereits bekannt war, nach dieser Bestimmung von der Gewährung subsidiären Schutzes ausgeschlossen ist, wenn die zuständigen Behörden diesem Antragsteller als Ergebnis eines früheren Verfahrens einen Flüchtlingsstatus zuerkannt haben, der ihm später aberkannt worden ist.


(1)  ABl. C 228 vom 14.6.2021.