22.6.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 209/35


Klage, eingereicht am 23. April 2020 — Price/Rat

(Rechtssache T-231/20)

(2020/C 209/46)

Verfahrenssprache: Französisch

Parteien

Kläger: David Price (Le Dorat, Frankreich) (Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Fouchet)

Beklagter: Rat der Europäischen Union

Anträge

Der Kläger beantragt,

im vorliegenden Rechtszug das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof der Europäischen Union folgende Fragen im beschleunigten Verfahren zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Wird mit dem Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union die Unionsbürgerschaft der britischen Staatsangehörigen aufgehoben, die vor dem Ende des Übergangszeitraums von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats frei zu bewegen und niederzulassen?

2.

Wenn diese Frage bejaht wird: Ist aufgrund des Zusammenspiels der Art. 2, 3, 10, 12 und 127 des Austrittsabkommens, Nr. 6 seiner Präambel und den Art. 18, 20 und 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union davon auszugehen, dass diese britischen Staatsangehörigen die Rechte aus der Unionsbürgerschaft, die sie vor dem Austritt ihres Landes aus der Europäischen Union innehatten, ohne Einschränkung behalten?

3.

Falls die zweite Frage verneint wird: Verstößt das Austrittsabkommen nicht gegen die Art. 18, 20 und 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, soweit er keine Bestimmung enthält, die ihnen erlaubt, ihre Rechte ohne Einschränkung zu behalten?

4.

Verstößt Art. 127 Abs. 1 Buchst. b des Austrittsabkommens jedenfalls nicht nur gegen die Art. 18, 20 und 21 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, sondern auch gegen die Art. 39 und 40 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, soweit er den Unionsbürgern, die von ihrem Recht Gebrauch gemacht haben, sich im Vereinigten Königreich frei zu bewegen und niederzulassen, das aktive und passive Wahlrecht bei Kommunalwahlen in diesem Land nimmt und, falls das Gericht und der Gerichtshof dies genauso sehen wie der französische Conseil d’État, erstreckt sich dieser Verstoß nicht auf die Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit Gebrauch gemacht haben?

den Beschluss (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, zusammen Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, teilweise für nichtig zu erklären, soweit das Austrittsabkommen nicht ermöglicht, das Recht auf Gesundheit dieser Staatsangehörigen voll zu schützen, und soweit diese Rechtsakte automatisch und allgemein ohne die geringste Verhältnismäßigkeitskontrolle ab dem 1. Februar 2020 zwischen Unionsbürgern und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs unterscheiden, und somit u. a. Nr. 6 der Präambel und die Art. 9, 10 und 127 des Austrittsabkommens für nichtig zu erklären;

dem Rat der Europäischen Union sämtliche Verfahrenskosten einschließlich der Anwaltskosten in Höhe von 5 000 Euro aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Die Klage wird auf folgende Gründe gestützt:

1.

Erster Klagegrund: Fehlende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der Aufhebung der Unionsbürgerschaft für bestimmte Kategorien von britischen Staatsangehörigen. Der Kläger macht geltend, dass er als Unionsbürger, der von seiner Freizügigkeit in der Union Gebrauch gemacht habe und seit mehr als 15 Jahren nicht mehr im britischen Staatsgebiet wohne, nicht berechtigt gewesen sei, beim Referendum vom 23. Juni 2016 über die Mitgliedschaft des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union abzustimmen.

2.

Zweiter Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der Demokratie, der Gleichbehandlung, der Freizügigkeit, der Meinungsfreiheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung.

3.

Dritter Klagegrund: Verstoß gegen die Unionsrechtsordnung und den Grundsatz der Gleichbehandlung, der der Unionsbürgerschaft inhärent sei. Der Kläger macht u. a. geltend, dass der angefochtene Beschluss gegen die Unionsrechtsordnung, in der der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bürger verankert sei, und gegen die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoße.

4.

Vierter Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Der Kläger macht in diesem Zusammenhang u. a. geltend, dass der angefochtene Beschluss den Verlust seines Daueraufenthaltsrechts, das er nach fünf Jahren ununterbrochenen Aufenthalts in einem Mitgliedstaat erworben habe, bestätige, ohne dass die konkreten Folgen dieses Verlusts vorhergesehen worden seien und vor allem ohne dass irgendeine Kontrolle der Verhältnismäßigkeit ausgeübt worden sei.

5.

Fünfter Klagegrund: Verstoß gegen das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das von der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantiert werde. Der Kläger macht geltend, dass der angefochtene Beschluss sein Recht auf Privat- und Familienleben beeinträchtige, da er ihm die Unionsbürgerschaft entziehe und damit das Recht, sich im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, dessen Staatsangehöriger er nicht sei, auf dessen Hoheitsgebiet er aber sein Familienleben aufgebaut habe, frei aufzuhalten.

6.

Sechster Klagegrund: Verstoß gegen das aktive und passive Wahlrecht der britischen Staatsbürger bei Kommunal- und Europawahlen. Nach Ansicht des Klägers verstößt Art. 127 des Austrittsabkommens gegen Art. 18 AEUV und die Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der angefochtene Beschluss ratifiziere ein Abkommen, das eine Bestimmung enthalte, die eine Diskriminierung von britischen Staatsangehörigen begründe.

7.

Siebter Klagegrund: Automatische und allgemeine Unterscheidung von Unionsbürgern und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs ohne Kontrolle der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Briten ab dem 1. Februar 2020 durch das Austrittsabkommen. Zur Stützung dieses Klagegrundes trägt der Kläger vor, dass die Aufhebung der Unionsbürgerschaft nicht automatisch und allgemein sein dürfe, dass eine Beurteilung der Konsequenzen im konkreten Fall geboten gewesen sei und dass der angefochtene Beschluss wegen des Fehlens einer solchen Kontrolle für nichtig erklärt werden müsse.

8.

Achter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 35 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, d. h. gegen das Recht auf Gesundheit. Der Kläger ist der Auffassung, dass wegen der Tatsache, dass das Austrittsabkommen keine Maßnahme zum Schutz seines Rechts auf Gesundheit vorsehe, diese unterstützende Zuständigkeit für das Vereinigte Königreich und seine Staatsangehörigen erlösche, was diese insbesondere bei Pandemien und Gesundheitskrisen in Gefahr bringe.