15.6.2020   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 201/40


Klage, eingereicht am 30. März 2020 — Shindler u. a./Rat

(Rechtssache T-198/20)

(2020/C 201/54)

Verfahrenssprache: Französisch

Parteien

Kläger: Harry Shindler (Porto d’Ascoli, Italien) und neun weitere Kläger (Prozessbevollmächtigter: Rechtsanwalt J. Fouchet)

Beklagter: Rat der Europäischen Union

Anträge

Die Kläger beantragen,

den Beschluss (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, zusammen Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und seine Anhänge, vollständig für nichtig zu erklären;

hilfsweise:

den Beschluss (EU) 2020/135 des Rates vom 30. Januar 2020 über den Abschluss des Abkommens über den Austritt des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft, zusammen Abkommen über den Austritt des Vereinigten Königsreichs Großbritannien und Nordirland aus der Europäischen Union und der Europäischen Atomgemeinschaft und seine Anhänge, teilweise für nichtig zu erklären, soweit diese Rechtsakte ab dem 1. Februar 2020 automatisch und allgemein ohne die geringste Verhältnismäßigkeitskontrolle zwischen Unionsbürgern und den Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs unterscheiden, und somit u. a. Abs. 6 der Präambel und die Art. 9, 10 und 127 des Austrittsabkommens für nichtig zu erklären;

folglich:

dem Rat der Europäischen Union sämtliche Verfahrenskosten einschließlich der Anwaltskosten in Höhe von 5 000 Euro aufzuerlegen.

Klagegründe und wesentliche Argumente

Die Klage wird auf folgende Gründe gestützt:

1.

Erster Klagegrund: Verstoß gegen Art. 106a des Vertrags zur Gründung der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom). Die Kläger sind in diesem Zusammenhang u. a. der Auffassung, dass das britische Volk nicht über den Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Euratom abgestimmt habe und dass der Formalismus bezüglich des Austritts des Vereinigten Königreichs aus dieser Organisation hätte beachtet werden müssen.

2.

Zweiter Klagegrund: Verfahrensfehler hinsichtlich der Art des endgültigen Abkommens. Die Kläger machen hierzu geltend, dass der Beschluss über den Abschluss des Austrittsabkommens rechtswidrig sei, da er der Union eine außerordentliche horizontale Kompetenz für die Verhandlungen über das Austrittsabkommen verleihe und so dadurch die Verteilung der Zuständigkeiten zwischen der Union und den Mitgliedstaaten beeinträchtige, dass er die Möglichkeit eines gemischten Abkommens ausschließe und so jede Ratifizierung des endgültigen Abkommens durch die Mitgliedstaaten ausschließe.

3.

Dritter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 127 des Abkommens über den Europäischen Wirtschaftsraum (EWR), da das von diesem Artikel vorgesehene Verfahren für einen Rücktritt von diesem Abkommen nicht eingehalten worden sei, wodurch der angefochtene Beschluss verfahrensfehlerhaft sei und was zu seiner Nichtigkeit führe.

4.

Vierter Klagegrund: Fehlende Kontrolle der Verhältnismäßigkeit der Aufhebung der Unionsbürgerschaft für bestimmte Kategorien von Briten. Die Kläger sind der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss aufgehoben werden müsse, weil er nicht die Unmöglichkeit berücksichtigt habe, dass beim Referendum vom 23. Juni 2016 über den Verbleib des Vereinigten Königreichs in der Europäischen Union mehrere Gruppen britischer Staatsbürger nicht hätten abstimmen können: diejenigen, die von ihrer Freizügigkeit innerhalb der Union Gebrauch gemacht hätten und seit mehr als 15 Jahren nicht mehr im britischen Staatsgebiet ansässig seien, die Staatsangehörigen der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete und der Kanalinseln sowie die britischen Häftlinge.

5.

Fünfter Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der Demokratie, der Gleichbehandlung, der Freizügigkeit, der Meinungsfreiheit und der ordnungsgemäßen Verwaltung. Die Kläger machen u. a. geltend, dass der angefochtene Beschluss gegen die Unionsrechtsordnung, in dem der Grundsatz der Gleichbehandlung aller Bürger verankert sei, und gegen die Rechtsordnung der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten verstoße.

6.

Sechster Klagegrund: Verstoß gegen die Art. 52 EUV, 198, 199, 203 und 355 AEUV betreffend die britischen überseeischen Länder und Hoheitsgebiete. Die Kläger sind der Auffassung, dass der angefochtene Beschluss dadurch, dass er nicht auf die maßgebliche Rechtsgrundlage, nämlich Art. 203 AEUV, der auf die britischen überseeischen Länder und Hoheitsgebiete anwendbar sei, abstelle, rechtswidrig sei und daher für nichtig erklärt werden müsse.

7.

Siebter Klagegrund: Verkennung des Status von Gibraltar durch den Beschluss vom 30. Januar 2020, da Art. 3 des Austrittsabkommens gegen das Völkerrecht und insbesondere den Grundsatz des Selbstbestimmungsrechts der Völker verstoße.

8.

Achter Klagegrund: Verstoß gegen Art. 4 AEUV, da der angefochtene Beschluss nicht den Grundsatz der Gewaltenteilung zwischen der Union und den Mitgliedstaaten beachte, was in Anbetracht des Gibraltar vorbehaltenen Status zu seiner Nichtigerklärung führen müsse.

9.

Neunter Klagegrund: Verstoß gegen die Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Die Kläger machen hierzu u. a. geltend, dass der angefochtene Beschluss den Verlust ihrer Daueraufenthaltsrechte, die sie nach fünf Jahren ununterbrochenem Aufenthalt in einem Mitgliedstaat erworben hätten, bestätige, ohne dass die konkreten Folgen dieses Verlusts vorhergesehen worden seien und vor allem ohne dass irgendeine Verhältnismäßigkeitskontrolle ausgeübt worden sei.

10.

Zehnter Klagegrund: Verstoß gegen das durch die Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten garantierte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens. Die Kläger machen geltend, dass der angefochtene Beschluss ihre Rechte auf das Privat- und Familienleben beeinträchtige, da er ihnen die Unionsbürgerschaft und damit das Recht entziehe, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei aufzuhalten, deren Staatsangehörige sie zwar nicht seien, aber auf deren Hoheitsgebiet sie ihr Familienleben aufgebaut hätten.

11.

Elfter Klagegrund: Verstoß gegen das aktive und passive Wahlrecht der britischen Staatsangehörigen bei den Kommunal- und Europawahlen. Nach Ansicht der Kläger verstößt Art. 127 des Austrittsabkommens gegen Art. 18 AEUV und die Art. 20 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union. Der angefochtene Beschluss müsse daher für nichtig erklärt werden, soweit mit ihm ein Abkommen ratifiziert werde, das eine Bestimmung enthalte, das eine Diskriminierung von britischen Staatsangehörigen begründe.

12.

Zwölfter Klagegrund: Automatische und allgemeine Unterscheidung zwischen Unionsbürgern und Staatsangehörigen des Vereinigten Königreichs durch das Austrittsabkommen ohne Kontrolle der Verhältnismäßigkeit im Hinblick auf das Privat- und Familienleben der Briten ab dem 1. Februar 2020. Zur Stützung dieses Klagegrundes tragen die Kläger vor, dass die Aufhebung der Unionsbürgerschaft nicht automatisch und allgemein sein dürfe, dass eine konkrete Beurteilung der Folgen geboten gewesen sei und dass der angefochtene Beschluss wegen des Fehlens einer solchen Beurteilung für nichtig erklärt werden müsse.

13.

Dreizehnter Klagegrund: Art. 18, 20 und 22 AEUV in Verbindung mit Art. 12 des Austrittsabkommens. Die Kläger sind der Auffassung, dass die durch Art. 127 des Austrittsankommens eingeführte Diskriminierung gegen das in Art. 18 AEUV bekräftigte Verbot jeder Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit verstoße.