URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

13. Juli 2023 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – Rechtsstaatlichkeit – Wirksamer Rechtsschutz in den vom Unionsrecht erfassten Bereichen – Unabhängigkeit der Richter – Vorrang des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 3 EUV – Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit – Von der Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) angeordnete Aufhebung der strafrechtlichen Immunität eines Richters und Suspendierung eines Richters vom Dienst – Fehlende Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieser Kammer – Änderung der Zusammensetzung des Spruchkörpers, der über eine zuvor diesem Richter zugewiesene Rechtssache zu entscheiden hat – Für nationale Gerichte unter Androhung von Disziplinarstrafen geltendes Verbot der Infragestellung der Legitimität eines Gerichts, der Erschwerung seines Funktionierens oder der Beurteilung der Rechtmäßigkeit oder der Wirksamkeit der Ernennung von Richtern und ihrer richterlichen Befugnisse – Verpflichtung der betreffenden Gerichte und der für die Bestimmung und Änderung der Zusammensetzung von Spruchkörpern zuständigen Organe, die Maßnahmen zur Aufhebung der strafrechtlichen Immunität und zur Suspendierung des betreffenden Richters unangewendet zu lassen – Verpflichtung dieser Gerichte und Organe, die nationalen Vorschriften, in denen diese Verbote aufgestellt werden, außer Acht zu lassen“

In den verbundenen Rechtssachen C‑615/20 und C‑671/20

betreffend zwei Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) mit Entscheidungen vom 18. November 2020 und vom 9. Dezember 2020, beim Gerichtshof jeweils am selben Tag eingegangen, in den Strafverfahren gegen

YP u. a. (C‑615/20),

M. M. (C‑671/20),

Beteiligte:

Prokuratura Okręgowa w Warszawie,

Komisja Nadzoru Finansowego u. a. (C‑615/20),

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, des Vizepräsidenten L. Bay Larsen, des Kammerpräsidenten A. Arabadjiev, der Kammerpräsidentin A. Prechal (Berichterstatterin), des Kammerpräsidenten E. Regan, der Kammerpräsidentin L. S. Rossi, der Richter M. Ilešič, N. Piçarra, I. Jarukaitis, A. Kumin und N. Jääskinen, der Richterin I. Ziemele, der Richter J. Passer und Z. Csehi sowie der Richterin O. Spineanu-Matei,

Generalanwalt: A. M. Collins,

Kanzler: M. Siekierzyńska, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 2022,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Prokuratura Okręgowa w Warszawie, vertreten durch S. Bańko, M. Dubowski und A. Reczka,

von YP, vertreten durch B. Biedulski, Adwokat,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna, K. Straś und S. Żyrek als Bevollmächtigte,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und L. Van den Broeck als Bevollmächtigte,

der dänischen Regierung, vertreten durch J. Farver Kronborg, J. Nymann-Lindegren, V. Pasternak Jørgensen und M. Søndahl Wolff als Bevollmächtigte,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. K. Bulterman, M. A. M. de Ree und C. S. Schillemans als Bevollmächtigte,

der finnischen Regierung, vertreten durch H. Leppo als Bevollmächtigte,

der schwedischen Regierung, vertreten durch A. Runeskjöld und H. Shev als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch K. Herrmann und P. J. O. Van Nuffel als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. Dezember 2022

folgendes

Urteil

1

Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung von Art. 2 und Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts, des in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit und des Grundsatzes der Rechtssicherheit.

2

Sie ergehen zum einen im Rahmen eines von der Prokuratura Okręgowa w Warszawie (Regionalstaatsanwaltschaft Warschau, Polen) gegen YP u. a. eingeleiteten Strafverfahrens wegen verschiedener Straftaten und zum anderen im Rahmen eines von derselben Staatsanwaltschaft betriebenen Verfahrens gegen M. M. wegen der Bestellung einer Zwangshypothek auf eine ihm gehörende Immobilie.

Rechtlicher Rahmen

Verfassung

3

Art. 45 Abs. 1 der Konstytucja Rzeczypospolitej Polskiej (Verfassung der Republik Polen) (im Folgenden: Verfassung) sieht vor:

„Jedermann hat das Recht auf gerechte und öffentliche Verhandlung der Sache ohne unbegründete Verzögerung vor dem zuständigen, unabhängigen, unparteiischen Gericht.“

4

Nach Art. 179 der Verfassung werden die Richter vom Präsidenten der Republik auf Vorschlag der Krajowa Rada Sądownictwa (Landesjustizrat, Polen) (im Folgenden: KRS) auf unbestimmte Zeit ernannt.

5

Art. 180 der Verfassung bestimmt:

„1.   Die Richter sind unabsetzbar.

2.   Gegen seinen Willen darf ein Richter nur durch eine gerichtliche Entscheidung und nur in den gesetzlich bestimmten Fällen seines Amtes enthoben werden, von der Amtsausübung suspendiert oder an einen anderen Ort oder auf eine andere Stelle versetzt werden.

…“

6

Art. 181 der Verfassung bestimmt:

„Ohne vorherige Zustimmung des gesetzlich bestimmten Gerichts darf ein Richter weder strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden noch ist ein Freiheitsentzug zulässig. …“

Gesetz über das Oberste Gericht

7

Mit der Ustawa o Sądzie Najwyższym (Gesetz über das Oberste Gericht) vom 8. Dezember 2017 (Dz. U. 2018, Pos. 5) wurde u. a. innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht, Polen) eine neue, in Art. 3 Nr. 5 dieses Gesetzes angeführte Kammer namens Izba Dyscyplinarna (Disziplinarkammer) (im Folgenden: Disziplinarkammer) errichtet.

8

Mit der Ustawa o zmianie ustawy – Prawo o ustroju sądów powszechnych, ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit, des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 20. Dezember 2019 (Dz. U. 2020, Pos. 190), die am 14. Februar 2020 in Kraft trat, wurde das Gesetz über das Oberste Gericht u. a. dadurch geändert, dass in dessen Art. 27 § 1 eine neue Nr. 1a eingefügt wurde.

9

Art. 27 § 1 des so geänderten Gesetzes über das Oberste Gericht bestimmt:

„Die Disziplinarkammer ist zuständig für:

1)

Disziplinarsachen,

b)

die vom Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] im Zusammenhang mit Disziplinarverfahren geprüft werden, die auf der Grundlage folgender Gesetze betrieben werden:

[der Ustawa – Prawo o ustroju sądów powszechnych (Gesetz über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit) vom 27. Juli 2001 (Dz. U. 2001, Nr. 98, Pos. 1070)],

1a)

Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter, Gerichtsassessoren [(Richter auf Probe)], Staatsanwälte und Staatsanwaltsassessoren [(Staatsanwälte auf Probe)] strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder in Untersuchungshaft genommen werden.

…“

Gesetz über die ordentlichen Gerichte

10

Art. 41b des in Rn. 9 des vorliegenden Urteils angeführten Gesetzes über den Aufbau der ordentlichen Gerichtsbarkeit in der durch das in Rn. 8 dieses Urteils angeführte Gesetz vom 20. Dezember 2019 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz über die ordentlichen Gerichte) bestimmt:

„§ 1.   Für die Prüfung einer Beschwerde oder eines Antrags betreffend die Tätigkeit eines Gerichts ist der Präsident des Gerichts zuständig.

§ 3.   Für die Prüfung einer Beschwerde betreffend die Tätigkeit des Präsidenten eines Sąd Rejonowy [(Rayongericht, Polen)], des Präsidenten eines Sąd Okręgowy [(Regionalgericht, Polen)] oder des Präsidenten eines Sąd Apelacyjny [(Berufungsgericht, Polen)] ist der Präsident des Sąd Okręgowy [(Regionalgericht)] bzw. der Präsident des Sąd Apelacyjny [(Berufungsgericht)] bzw. die [KRS] zuständig.“

11

In Art. 42a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte heißt es:

„§ 1.   Im Rahmen der Tätigkeiten der Gerichte oder der Organe der Gerichte darf die Legitimität der Gerichte …, der Verfassungsorgane des Staates oder der Organe zur Kontrolle und zum Schutz des Rechts nicht in Frage gestellt werden.

§ 2.   Ein ordentliches Gericht oder anderes Organ der Staatsgewalt darf die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder die sich daraus ergebende Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung weder feststellen noch beurteilen.“

12

Art. 47a § 1 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sieht vor:

„Die Rechtssachen werden den Richtern und Gerichtsassessoren [(Richter auf Probe)] in den einzelnen Kategorien von Rechtssachen nach dem Zufallsprinzip zugewiesen, soweit eine Rechtssache nicht dem Richter zuzuweisen ist, der den Bereitschaftsdienst ausübt.“

13

In Art. 47b des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte heißt es:

„§ 1.   Eine Änderung der Besetzung eines Gerichts ist nur dann zulässig, wenn die Behandlung der Rechtssache in der bisherigen Besetzung unmöglich ist oder ihr ein dauerhaftes Hindernis entgegensteht. § 47a gilt entsprechend.

§ 3.   Die Entscheidungen in den in [§ 1] genannten Sachen werden vom Präsidenten des Gerichts oder von einem von ihm hierzu ermächtigten Richter getroffen.“

14

Art. 80 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte bestimmt:

„§ 1.   Ein Richter darf ohne Zustimmung des zuständigen Disziplinargerichts weder festgenommen noch strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden. …

§ 2c.   Das Disziplinargericht erlässt einen Beschluss, mit dem die Zustimmung dazu gegeben wird, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, wenn der hinreichend begründete Verdacht besteht, dass er eine Straftat begangen hat. Der Beschluss enthält die Entscheidung über die Zustimmung dazu, dass der betreffende Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, und die Begründung dafür.

…“

15

Art. 107 § 1 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte bestimmt:

„Ein Richter kann für Fehlverhalten im Amt (Disziplinarvergehen) disziplinarisch belangt werden, u. a. für:

2)

Handlungen oder Unterlassungen, die das Funktionieren eines Organs der Rechtsprechung unmöglich machen oder wesentlich erschweren können;

3)

Handlungen, mit denen das Bestehen des Dienstverhältnisses eines Richters, die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters oder die Legitimität eines Verfassungsorgans der Republik Polen in Frage gestellt wird;

…“

16

In Art. 110 § 2a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte heißt es:

„… In den Sachen nach … Art. 80 … entscheidet im ersten Rechtszug der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit einem Richter der Disziplinarkammer und im zweiten Rechtszug der Sąd Najwyższy [(Oberstes Gericht)] in der Besetzung mit drei Richtern der Disziplinarkammer.“

17

Art. 129 §§ 1 bis 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte bestimmt:

„§ 1.   Das Disziplinargericht kann einen Richter, gegen den ein [Disziplinarverfahren] eingeleitet wurde, von seinen Diensttätigkeiten suspendieren; dies gilt auch dann, wenn es mit einem Beschluss seine Zustimmung dazu gibt, dass ein Richter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird.

§ 2.   Wenn das Disziplinargericht mit einem Beschluss seine Zustimmung dazu gibt, dass ein Richter wegen einer vorsätzlichen Straftat, die von Amts wegen verfolgt wird, strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird, suspendiert es diesen Richter von Amts wegen von seinen Diensttätigkeiten.

§ 3.   Suspendiert das Disziplinargericht einen Richter von seinen Diensttätigkeiten, kürzt es für die Zeit der Suspendierung den Betrag seiner Vergütung um 25 bis 50 %; …“

Strafgesetzbuch

18

Art. 241 § 1 des Kodeks karny (Strafgesetzbuch) bestimmt: „Wer ohne Genehmigung Informationen aus einem Ermittlungsverfahren öffentlich verbreitet, bevor sie im Gerichtsverfahren offengelegt wurden, wird mit Geldstrafe, Freiheitsbeschränkung oder Freiheitsentzug bis zu zwei Jahren bestraft.“

Strafprozessordnung

19

Art. 439 § 1 des Kodeks postępowania karnego (Strafprozessordnung) bestimmt:

„Das Berufungsgericht hebt die angefochtene Entscheidung in der Verhandlung unabhängig davon, inwieweit sie angefochten wurde, welche Gründe geltend gemacht werden und inwieweit sich der Mangel auf den Inhalt der Entscheidung auswirkt, auf, wenn

1.

bei der Entscheidung eine Person mitgewirkt hat, die hierzu nicht berechtigt oder nicht fähig war oder gemäß Art. 40 auszuschließen war;

2.

das Gericht nicht vorschriftsmäßig besetzt war oder ein Mitglied des Gerichts nicht während der gesamten mündlichen Verhandlung anwesend war;

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

Rechtssache C‑615/20

20

Auf der Grundlage einer Anklage der Regionalstaatsanwaltschaft Warschau vom 7. Februar 2017 wird gegen YP und 13 andere Angeklagte ein Strafverfahren beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau, Polen) wegen einer Reihe von Straftaten zum Nachteil von 229 Geschädigten geführt. Diese Rechtssache wurde einem Spruchkörper dieses Gerichts zugewiesen, der mit Richter I. T. als Einzelrichter besetzt ist. Die Akten des Ausgangsverfahrens umfassen insgesamt 197 Bände, und vor diesem Richter haben bereits mehr als 100 Verhandlungstermine stattgefunden, in denen die Angeklagten, die Geschädigten und mehr als 150 Zeugen vernommen wurden. Am Tag der Einreichung des Vorabentscheidungsersuchens in der Rechtssache C‑615/20 näherte sich das Verfahren seiner Endphase, da nur noch einige Zeugen und Sachverständige zu vernehmen waren.

21

Am 14. Februar 2020 beantragte die Prokuratura Krajowa Wydział Spraw Wewnętrznych (Nationale Staatsanwaltschaft, Abteilung für innere Angelegenheiten, Polen) bei der Disziplinarkammer die Zustimmung dazu, Richter I. T. strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, weil er „am 18. Dezember 2017 in Warschau als Amtsträger … öffentlich seine Amtspflichten … nicht erfüllt und seine Befugnisse … überschritten [hat], indem er es Vertretern der Medien gestattet hat, während einer Sitzung des Sąd Okręgowy w Warszawie [(Regionalgericht Warschau)] … und bei der Verkündung der Entscheidung in der betreffenden Rechtssache und ihrer mündlichen Begründung Bild- und Tonaufnahmen zu machen, wodurch er Informationen aus dem Ermittlungsverfahren der Regionalstaatsanwaltschaft Warschau in der Sache …, die er im Zusammenhang mit der Ausübung seiner Diensttätigkeit erlangt hat, ohne die gesetzlich vorgeschriebene Genehmigung des Berechtigten an Unbefugte weitergegeben und dadurch zum Nachteil des öffentlichen Interesses gehandelt hat, was eine Straftat nach Art. 231 § 1 des Strafgesetzbuchs in Verbindung mit Art. 266 § 2, Art. 241 § 1 und Art. 11 § 2 des Strafgesetzbuchs darstellt“.

22

Diesen Antrag wies die Disziplinarkammer in erster Instanz in Einzelrichterbesetzung am 9. Juni 2020 zurück. Auf Beschwerde der nationalen Staatsanwaltschaft stimmte diese Kammer in zweiter Instanz in der Besetzung mit drei Richtern mit Beschluss vom 18. November 2020 (im Folgenden: streitiger Beschluss) der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter I. T. zu, suspendierte ihn vom Dienst und setzte seine Bezüge für die Dauer der Suspendierung um 25 % herab.

23

Das vorlegende Gericht, der mit Richter I. T. als Einzelrichter besetzte Spruchkörper des Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau), der derzeit für das in Rn. 20 des vorliegenden Urteils genannte Strafverfahren zuständig ist, weist darauf hin, dass der streitige Beschluss diesen Spruchkörper daran hindern könne, dieses Verfahren fortzusetzen.

24

Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das Unionsrecht – insbesondere Art. 47 der Charta sowie die darin vorgesehenen Rechte auf Einlegung eines wirksamen Rechtsbehelfs bei einem Gericht und darauf, dass eine Sache von einem unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gericht in einem fairen Verfahren, öffentlich und innerhalb angemessener Frist verhandelt wird – dahin auszulegen, dass es [Bestimmungen des nationalen Rechts wie Art. 80, Art. 110 § 2a und Art. 129 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte sowie Art. 27 § 1 Nr. 1a des Gesetzes über das Oberste Gericht entgegensteht], die es der Disziplinarkammer ermöglichen, die Immunität eines Richters aufzuheben und ihn von seiner Diensttätigkeit zu suspendieren und ihm dadurch de facto die ihm zugewiesenen Rechtssachen zu entziehen, insbesondere weil:

a)

die Disziplinarkammer kein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta, Art. 6 der [am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten] Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Art. 45 Abs. 1 der Verfassung ist (Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982);

b)

die Mitglieder der Disziplinarkammer deutliche Verbindungen zur Legislative und Exekutive aufweisen (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277);

c)

die Republik Polen verpflichtet wurde, die Anwendung einiger Bestimmungen des Gesetzes über das Oberste Gericht betreffend die Disziplinarkammer auszusetzen und es zu unterlassen, die bei der Disziplinarkammer anhängigen Verfahren an einen Spruchkörper zu verweisen, der die Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht erfüllt (Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen, C‑791/19 R, EU:C:2020:277)?

2.

Ist das Unionsrecht – insbesondere Art. 2 EUV und der dort ausgedrückte Wert der Rechtsstaatlichkeit sowie das in Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV geregelte Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes – dahin auszulegen, dass die „Regeln über die Disziplinarordnung für diejenigen, die mit der Aufgabe des Richtens betraut sind“, auch Bestimmungen umfassen, wonach ein Richter eines nationalen Gerichts strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder ihm seine Freiheit entzogen (er festgenommen) werden kann, wie Art. 181 der Verfassung in Verbindung mit den Art. 80 und 129 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte, wonach:

a)

die Zustimmung des zuständigen Disziplinargerichts erforderlich ist, wenn ein Richter eines nationalen Gerichts – grundsätzlich auf Antrag eines Staatsanwalts – strafrechtlich zur Verantwortung gezogen oder ihm seine Freiheit entzogen (er festgenommen) wird;

b)

das Disziplinargericht – wenn es die Zustimmung dazu erteilt, einen Richter eines nationalen Gerichts strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen oder ihm seine Freiheit zu entziehen (ihn festzunehmen) – diesen Richter von seiner Diensttätigkeit suspendieren kann (und in einigen Fällen muss);

c)

das Disziplinargericht bei der Suspendierung eines Richters eines nationalen Gerichts von seiner Diensttätigkeit gleichzeitig verpflichtet ist, die Bezüge dieses Richters in den durch diese Bestimmungen festgelegten Grenzen für die Dauer der Suspendierung zu kürzen?

3.

Ist das Unionsrecht – insbesondere die in Frage 2 angeführten Bestimmungen – dahin auszulegen, dass es Bestimmungen eines Mitgliedstaats wie Art. 110 § 2a des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte und Art. 27 § 1 Nr. 1a des Gesetzes über das Oberste Gericht entgegensteht, wonach Rechtssachen betreffend die Zustimmung dazu, einen Richter am nationalen Gericht strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen oder ihm seine Freiheit zu entziehen (ihn festzunehmen), sowohl in erster als auch in zweiter Instanz zur ausschließlichen Zuständigkeit eines Organs wie der Disziplinarkammer gehören, wenn man insbesondere berücksichtigt (einzeln oder kumulativ), dass:

a)

die Errichtung der Disziplinarkammer zeitgleich mit der Änderung der Regeln für die Ernennung von Mitgliedern eines Organs wie der KRS, das am Verfahren zur Ernennung von Richtern beteiligt ist und auf dessen Antrag alle Mitglieder der Disziplinarkammer ernannt wurden, erfolgte;

b)

der nationale Gesetzgeber die Möglichkeit ausgeschlossen hat, Richter eines nationalen letztinstanzlichen Gerichts wie des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht), in dessen Strukturen die Disziplinarkammer tätig ist, in diese Kammer zu versetzen, so dass ihr nur neue, auf Antrag der KRS in geänderter Zusammensetzung ernannte Mitglieder angehören können;

c)

die Disziplinarkammer ein besonders hohes Maß an Autonomie innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) hat;

d)

der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinen Entscheidungen, die zur Durchführung des Urteils vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982), erlassen wurden, bestätigt hat, dass die KRS in geänderter Zusammensetzung kein von der Legislative und Exekutive unabhängiges Organ und die Disziplinarkammer kein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta, Art. 6 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten und Art. 45 Abs. 1 der Verfassung ist;

e)

ein Antrag auf Zustimmung dazu, einen Richter am nationalen Gericht strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen oder ihm seine Freiheit zu entziehen (ihn festzunehmen), grundsätzlich von einem Staatsanwalt gestellt wird, dessen Dienstvorgesetzter ein Organ der Exekutive wie der Justizminister ist, der Staatsanwälten verbindliche Weisungen zum Inhalt von Prozessmaßnahmen erteilen kann, und zugleich die Mitglieder der Disziplinarkammer und der KRS in geänderter Zusammensetzung, wie der Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) in seinen in … Buchst. d genannten Entscheidungen festgestellt hat, deutliche Verbindungen zur Legislative und Exekutive aufweisen, weshalb die Disziplinarkammer gegenüber der Verfahrenspartei nicht als Dritter angesehen werden kann;

f)

die Republik Polen mit dem Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277), verpflichtet wurde, die Anwendung einiger Bestimmungen des Gesetzes über das Oberste Gericht betreffend die Disziplinarkammer auszusetzen und es zu unterlassen, die bei der Disziplinarkammer anhängigen Verfahren an einen Spruchkörper zu verweisen, der die Anforderungen an die Unabhängigkeit nicht erfüllt?

4.

Wenn die Zustimmung dazu erteilt wird, einen Richter eines nationalen Gerichts strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, und er von seiner Diensttätigkeit suspendiert wird und gleichzeitig seine Bezüge für die Dauer der Suspendierung gekürzt werden, ist dann das Unionsrecht – insbesondere die in Frage 2 angeführten Bestimmungen sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts, der loyalen Zusammenarbeit nach Art. 4 Abs. 3 EUV und der Rechtssicherheit – dahin auszulegen, dass es der Bindungswirkung einer solchen Zustimmung insbesondere hinsichtlich der Suspendierung des Richters von seiner Diensttätigkeit entgegensteht, sofern die Zustimmung durch ein Organ wie die Disziplinarkammer erteilt wurde, so dass:

a)

alle staatlichen Organe (einschließlich des vorlegenden Gerichts, dessen Spruchkörper der von dieser Zustimmung betroffene Richter angehört, sowie der Organe, die zur Bestimmung und Änderung der Zusammensetzung nationaler Gerichte befugt sind) verpflichtet sind, diese Zustimmung außer Acht zu lassen und es dem Richter eines nationalen Gerichts, in Bezug auf den die Zustimmung erteilt wurde, zu ermöglichen, dem Spruchkörper dieses Gerichts anzugehören;

b)

das Gericht, dessen Spruchkörper der von dieser Zustimmung betroffene Richter angehört, ein zuvor durch Gesetz errichtetes bzw. unabhängiges und unparteiisches Gericht darstellt und deshalb – als „Gericht“ – über Fragen der Anwendung und Auslegung des Unionsrechts entscheiden kann?

25

In ihren schriftlichen Erklärungen haben YP, die Regionalstaatsanwaltschaft Warschau und die Europäische Kommission darauf hingewiesen, dass der Rechtsbehelf der Regionalstaatsanwaltschaft gegen die Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑615/20 mit Beschluss des Sąd Apelacyjny w Warszawie (Berufungsgericht Warschau, Polen) vom 24. Februar 2021 zurückgewiesen worden sei, da dieser die Auffassung vertreten habe, dass der streitige Beschluss möglicherweise nicht den Charakter einer gerichtlichen Entscheidung habe, weil er von der Disziplinarkammer erlassen worden sei, die kein unabhängiges Gericht sei.

Rechtssache C‑671/20

26

Die Regionalstaatsanwaltschaft Warschau legte M. M. verschiedene Straftaten zur Last, darunter die Nichteinreichung eines Insolvenzantrags in Bezug auf eine Gesellschaft, die Vereitelung der Befriedigung ihrer Gläubiger, die Nichteinreichung des Jahresabschlusses dieser Gesellschaft und einen Bankbetrug.

27

In diesem Zusammenhang ordnete der Staatsanwalt mit Verfügung vom 9. Juni 2020 die Bestellung einer Zwangshypothek an einem Gebäude an, das M. M. und seiner Ehefrau gehörte, um die Zahlung einer etwaigen Geldstrafe und etwaiger Prozesskosten, zu denen M. M. verurteilt werden könnte, zu sichern. M. M. legte gegen diese Verfügung Beschwerde beim Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) ein, bei dem die Rechtssache im Zusammenhang mit dieser Beschwerde Richter I. T. zugewiesen wurde.

28

Nach dem Erlass des streitigen Beschlusses, mit dem u. a. Richter I. T. vom Dienst suspendiert wurde, erließ der Präsident des Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) auf der Grundlage von Art. 47b §§ 1 und 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte am 24. November 2020 eine Verfügung, mit der er der Vorsitzenden der Abteilung, der Richter I. T. angehörte, aufgab, die Zusammensetzung des Spruchkörpers in den Rechtssachen zu ändern, die diesem Richter zugewiesen worden waren, mit Ausnahme der Rechtssache, in der Richter I. T. dem Gerichtshof das Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hatte, das Gegenstand der Rechtssache C‑615/20 ist. In der Folge erließ diese Abteilungsvorsitzende unter Nutzung einer IT‑Anwendung und gemäß Art. 47a und Art. 47b § 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte eine Verfügung über die Neuzuweisung der ursprünglich Richter I. T. zugewiesenen Rechtssachen, darunter die in Rn. 27 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtssache.

29

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts, d. h. eines anderen mit einem Einzelrichter besetzten Spruchkörpers des Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau), dem diese Rechtssache neu zugewiesen wurde, zeigt diese Abfolge von Ereignissen, dass der Präsident dieses Gerichts dem streitigen Beschluss Bindungswirkung zuerkannt hat, indem er den Standpunkt eingenommen hat, dass die Suspendierung von Richter I. T. dazu führe, dass im Sinne von Art. 47b § 1 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte eine Behandlung dieser Rechtssache durch diesen Richter unmöglich sei oder ihr ein dauerhaftes Hindernis entgegenstehe.

30

Unter diesen Umständen hat der Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist das Unionsrecht – insbesondere Art. 2 EUV und der dort ausgedrückte Wert der Rechtsstaatlichkeit, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts, der loyalen Zusammenarbeit und der Rechtssicherheit – dahin auszulegen, dass es es ausschließt, eine Regelung eines Mitgliedstaats wie Art. 41b §§ 1 und 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte so anzuwenden, dass der Präsident eines Gerichts – eigenständig und ohne gerichtliche Kontrolle – eine Entscheidung über die Änderung der Zusammensetzung des Gerichts treffen kann, wenn ein Organ wie die Disziplinarkammer seine Zustimmung dazu erteilt hat, einen Richter des ursprünglich bestimmten Spruchkörpers dieses Gerichts (Richter … am Sąd Okręgowy [Regionalgericht]) strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen, wodurch er zwingend von seiner Diensttätigkeit suspendiert wird und damit insbesondere nicht Spruchkörpern in ihm – auch vor Erteilung der genannten Zustimmung – zugewiesenen Rechtssachen angehören darf?

2.

Ist das Unionsrecht – insbesondere die in Frage 1 angeführten Bestimmungen – dahin auszulegen, dass es Folgendem entgegensteht:

a)

Regelungen eines Mitgliedstaats wie Art. 42a §§ 1 und 2 sowie Art. 107 § 1 Nr. 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte, nach denen es einem nationalen Gericht untersagt ist, im Rahmen der Kontrolle, ob es das Erfordernis der vorherigen Errichtung durch Gesetz erfüllt, die Bindungswirkung und die rechtlichen Umstände der in Frage 1 genannten Zustimmung der Disziplinarkammer, die den unmittelbaren Grund für die Änderung der Zusammensetzung des Gerichts bilden, zu prüfen, und in denen zugleich vorgesehen ist, dass der Versuch einer solchen Prüfung die Grundlage für eine disziplinarische Verantwortung eines Richters darstellt;

b)

der Rechtsprechung eines nationalen Organs wie des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof, Polen), wonach Rechtsakte staatlicher Organe wie des Präsidenten der Republik und der KRS betreffend die Ernennung von Personen in ein Organ wie die Disziplinarkammer unabhängig von Schwere und Ausmaß eines Verstoßes keiner gerichtlichen Kontrolle, einschließlich der Kontrolle unter unionsrechtlichen Gesichtspunkten, unterliegen und die Ernennung einer Person zum Richter endgültig und unwiderruflich ist?

3.

Ist das Unionsrecht – insbesondere die in Frage 1 angeführten Bestimmungen – dahin auszulegen, dass es einer Bindungswirkung der in Frage 1 genannten Zustimmung insbesondere hinsichtlich der Suspendierung eines Richters von seiner Diensttätigkeit entgegensteht, wenn die Zustimmung durch ein Organ wie die Disziplinarkammer erteilt wurde, und dass angesichts dessen:

a)

alle staatlichen Organe (einschließlich des vorlegenden Gerichts sowie der Organe, die zur Bestimmung und Änderung der Zusammensetzung nationaler Gerichte befugt sind, insbesondere des Gerichtspräsidenten) verpflichtet sind, diese Zustimmung außer Acht zu lassen und es dem Richter eines nationalen Gerichts, in Bezug auf den die Zustimmung erteilt wurde, zu ermöglichen, dem Spruchkörper dieses Gerichts anzugehören;

b)

das Gericht, dessen Spruchkörper der Richter, dem die Rechtssache ursprünglich zur Entscheidung zugewiesen war, nicht mehr angehört – und zwar ausschließlich deshalb, weil er von der oben genannten Zustimmung betroffen ist –, kein zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht darstellt und deshalb nicht als „Gericht“ über Fragen der Anwendung und Auslegung des Unionsrechts entscheiden kann?

4.

Ist es für die Beantwortung der vorstehenden Fragen von Bedeutung, dass die Disziplinarkammer und das Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) wegen mangelnder Unabhängigkeit und festgestellter Verstöße gegen die Vorschriften über die Ernennung ihrer Mitglieder keinen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz gewährleisten?

Verfahren vor dem Gerichtshof

31

Die beiden verschiedenen Spruchkörper des Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau), die die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen eingereicht haben (im Folgenden: vorlegende Gerichte), haben beantragt, diese dem beschleunigten Verfahren nach Art. 105 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs zu unterwerfen. Zur Stützung dieser Anträge haben die vorlegenden Gerichte im Wesentlichen geltend gemacht, dass der Rückgriff auf ein solches Verfahren im vorliegenden Fall gerechtfertigt sei, da sich die Antworten auf die Vorlagefragen nicht nur auf ihre jeweilige Zusammensetzung auswirken könnten, sondern auch auf die Situation anderer Richter als des Richters I. T., in Bezug auf die die Disziplinarkammer Maßnahmen ergriffen habe oder zu ergreifen beabsichtige, die dem streitigen Beschluss entsprächen.

32

Nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung kann der Präsident des Gerichtshofs auf Antrag des vorlegenden Gerichts oder ausnahmsweise von Amts wegen, nach Anhörung des Berichterstatters und des Generalanwalts, entscheiden, eine Vorlage zur Vorabentscheidung einem beschleunigten Verfahren zu unterwerfen, wenn die Art der Rechtssache ihre rasche Erledigung erfordert.

33

Ein solches beschleunigtes Verfahren ist ein Verfahrensinstrument, mit dem auf eine außerordentliche Dringlichkeitssituation reagiert werden soll. Ferner geht aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs hervor, dass von einer Anwendung des beschleunigten Verfahrens abgesehen werden kann, wenn die Sensibilität und die Komplexität der durch einen Fall aufgeworfenen rechtlichen Fragen kaum mit der Anwendung des beschleunigten Verfahrens zu vereinbaren sind, insbesondere, wenn es nicht angebracht erscheint, das schriftliche Verfahren vor dem Gerichtshof zu verkürzen (Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Im vorliegenden Fall hat der Präsident des Gerichtshofs mit Entscheidungen vom 9. Dezember 2020 und vom 21. Januar 2021 nach Anhörung der Berichterstatterin und des Generalanwalts entschieden, den in Rn. 31 des vorliegenden Urteils genannten Anträgen nicht stattzugeben.

35

Denn die Vorlagefragen beziehen sich zwar auf grundlegende Bestimmungen des Unionsrechts, sie sind jedoch komplex und sensibel und fügen sich in einen nationalen Verfahrenskontext ein, der selbst relativ komplex ist, so dass sie sich kaum für ein von den gewöhnlichen Verfahrensvorschriften abweichendes Verfahren eigneten. Im Übrigen ist auch berücksichtigt worden, dass sich andere beim Gerichtshof anhängige Rechtssachen, die ähnliche Fragen wie die in den vorliegenden Rechtssachen gestellten aufwarfen, bereits in fortgeschrittenen Verfahrensstadien befanden.

36

In den Entscheidungen vom 9. Dezember 2020 und vom 21. Januar 2021 hat der Präsident des Gerichtshofs jedoch entschieden, dass die vorliegenden Rechtssachen gemäß Art. 53 Abs. 3 der Verfahrensordnung mit Vorrang behandelt werden. Im Übrigen sind die Rechtssachen C‑615/20 und C‑671/20 mit der Entscheidung vom 21. Januar 2021 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren und zu gemeinsamem Urteil verbunden worden.

37

Nach Abschluss des schriftlichen Verfahrens in diesen Rechtssachen sind diese mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 28. Oktober 2021 bis zum Abschluss des schriftlichen Verfahrens in der Rechtssache C‑204/21, Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern), wegen der engen Verbindungen zwischen den in diesen drei Rechtssachen aufgeworfenen Fragen ausgesetzt worden. Infolge des Abschlusses des schriftlichen Verfahrens in jener Rechtssache ist das Verfahren in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen am 23. Februar 2022 wieder aufgenommen worden.

Zur Zulässigkeit der Vorabentscheidungsersuchen

38

Die polnische Regierung und die Regionalstaatsanwaltschaft Warschau tragen vor, dass die Vorabentscheidungsersuchen aus verschiedenen Gründen unzulässig seien.

39

Erstens machen sie geltend, dass die Ausgangsverfahren, da sie ausschließlich dem nationalen Strafrecht unterlägen, das in die ausschließliche Zuständigkeit der Mitgliedstaaten falle, rein innerstaatlichen Charakter hätten und keine Verknüpfung mit den Vorschriften des Unionsrechts aufwiesen, auf die sich die dem Gerichtshof vorgelegten Fragen bezögen. Was insbesondere eine Maßnahme wie den streitigen Beschluss betreffe, ergebe sich somit aus Art. 5 EUV und den Art. 3 und 4 AEUV, dass es allein Sache der Mitgliedstaaten sei, zu entscheiden, den Richtern eine strafrechtliche Immunität zu gewähren, und, wenn sie dies täten, den Umfang dieser Immunität und das Verfahren zu ihrer etwaigen Aufhebung sowie die Folgen einer solchen Aufhebung der Immunität festzulegen.

40

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass die Organisation der Justiz in den Mitgliedstaaten, u. a. die Errichtung, die Besetzung, die Zuständigkeiten und die Arbeitsweise der nationalen Gerichte, sowie die Vorschriften über das Verfahren zur Ernennung von Richtern oder über ihren Status und ihre Amtsausübung, darunter die für sie geltende Disziplinarordnung oder die Bedingungen, unter denen ihre Immunität aufgehoben werden kann und sie vom Dienst suspendiert werden können, zwar in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen, dass diese bei der Ausübung dieser Zuständigkeit jedoch die Verpflichtungen einzuhalten haben, die sich für sie aus dem Unionsrecht und insbesondere aus den Art. 2 und 19 EUV ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen [Disziplinarordnung für Richter], C‑791/19, EU:C:2021:596, Rn. 56, 60 bis 62 und 95 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

41

Zum anderen ist festzustellen, dass das in Rn. 39 des vorliegenden Urteils wiedergegebene Vorbringen der polnischen Regierung im Wesentlichen die Tragweite und damit die Auslegung der Bestimmungen des Unionsrechts, auf die sich die Vorlagefragen beziehen, sowie die Wirkungen betrifft, die diese Bestimmungen insbesondere im Hinblick auf den Vorrang des Unionsrechts haben können. Das Vorbringen betrifft mithin den Inhalt der vorgelegten Fragen, so dass es ihrer Zulässigkeit von vornherein nicht entgegenstehen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2021, Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a., C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:931, Rn. 54 und die dort angeführte Rechtsprechung).

42

Zweitens sind die polnische Regierung und die Regionalstaatsanwaltschaft Warschau der Ansicht, dass die Vorabentscheidungsersuchen unzulässig seien, da die Antworten des Gerichtshofs auf die Vorlagefragen für den Ausgang der Ausgangsverfahren nicht erforderlich seien und insbesondere nicht zu Entscheidungen führen könnten, die die vorlegenden Gerichte im Rahmen dieser Verfahren erlassen könnten.

43

Nach Ansicht der polnischen Regierung ist nämlich weder das eine noch das andere dieser Gerichte in der Lage, den streitigen Beschluss in Frage zu stellen. Selbst wenn der Gerichtshof es einem von ihnen erlauben würde, diesen Beschluss außer Acht zu lassen, verfügten sie zudem im nationalen Recht über keine verfahrensrechtliche Grundlage, die es ihnen konkret erlauben würde, die Ausgangsverfahren wieder dem ursprünglich mit ihnen befassten Richter zuzuweisen.

44

Die Vorlagefragen seien, so die polnische Regierung, in Wirklichkeit nur im Rahmen des laufenden Strafverfahrens gegen Richter I. T. relevant. Mögliche Zweifel an der Auslegung von Bestimmungen des Unionsrechts wie den von den vorlegenden Gerichten angeführten müssten nämlich im Rahmen dieses Strafverfahrens, in dem der betreffende Richter Beteiligtenstellung habe, geprüft werden und nicht im Kontext der Ausgangsverfahren, mit denen er zufällig betraut gewesen sei, bevor er durch den streitigen Beschluss vom Dienst suspendiert worden sei. In der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof hat die polnische Regierung geltend gemacht, dass diese Analyse in der Zwischenzeit durch die Erkenntnisse aus den Rn. 60 und 71 des Urteils vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. (Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑508/19, EU:C:2022:201), bestätigt worden sei.

45

Die Regionalstaatsanwaltschaft Warschau trägt in Bezug auf das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑615/20 vor, dass die Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens, die das vorlegende Gericht in dieser Rechtssache verfügt habe, dem Abschluss des Verfahrens durch den Erlass eines Urteils durch dieses Gericht in seiner derzeitigen Besetzung entgegenstehe und dass im Fall der Benennung eines neuen Spruchkörpers der Grund für diese Aussetzung wegfalle, da der streitige Beschluss allein Richter I. T. betreffe. Im Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑671/20 stelle die Suspendierung von Richter I. T. vom Dienst ein dauerhaftes Hindernis für die Fortsetzung des Verfahrens dar, was eine stichhaltige Rechtfertigung für die Neuzuweisung der Rechtssache, die Gegenstand dieses Verfahrens sei, dargestellt habe, um ein reibungsloses Verfahren unter Wahrung der Rechte der betroffenen Einzelnen sicherzustellen.

46

Insoweit ist jedoch darauf hinzuweisen, dass beide vorlegenden Gerichte im vorliegenden Fall im Kontext der bei ihnen anhängigen Ausgangsverfahren mit verfahrensrechtlichen Fragen konfrontiert sind, die in limine litis zu entscheiden sind und deren Entscheidung von einer Auslegung der Bestimmungen und Grundsätze des Unionsrechts abhängt, auf die sich die Vorlagefragen beziehen. In der Rechtssache C‑615/20 soll mit diesen Fragen nämlich im Wesentlichen geklärt werden, ob der Einzelrichter, der das vorlegende Gericht bildet, in Anbetracht dieser Bestimmungen und Grundsätze des Unionsrechts berechtigt bleibt, die Prüfung des Ausgangsverfahrens trotz des streitigen Beschlusses fortzusetzen, mit dem er vom Dienst suspendiert wurde. Mit den Fragen des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑671/20 soll im Wesentlichen geklärt werden, ob das vorlegende Gericht in Anbetracht dieser Bestimmungen und Grundsätze des Unionsrechts diesen Beschluss – ohne Gefahr zu laufen, die disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit des Einzelrichters auszulösen, mit dem es besetzt ist – für unverbindlich ansehen kann, was zur Folge hätte, dass es nicht berechtigt ist, über das ihm infolge des genannten Beschlusses neu zugewiesene Ausgangsverfahren zu entscheiden, und ob diese Rechtssache daher wieder dem ursprünglich damit betrauten Richter zuzuweisen ist.

47

Wie sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, sind Vorlagefragen, die es einem vorlegenden Gericht so ermöglichen sollen, vorab über verfahrensrechtliche Schwierigkeiten zu entscheiden, etwa im Zusammenhang mit seiner eigenen Zuständigkeit für die Entscheidung einer bei ihm anhängigen Rechtssache oder auch mit den Rechtswirkungen, die einer gerichtlichen Entscheidung, die der Fortsetzung der Prüfung einer solchen Rechtssache durch dieses Gericht potenziell entgegensteht, gegebenenfalls zuzuerkennen sind, nach Art. 267 AEUV zulässig (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 19. November 2019, A. K. u. a. [Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts], C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 100, 112 und 113 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 93 und 94, sowie vom 16. November 2021, Prokuratura Rejonowa w Mińsku Mazowieckim u. a., C‑748/19 bis C‑754/19, EU:C:2021:931, Rn. 47 bis 49).

48

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Ausgangsverfahren in den vorliegenden verbundenen Rechtssachen im Unterschied zu der Rechtssache, in der das Urteil vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. (Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑508/19, EU:C:2022:201), ergangen ist, auf das die polnische Regierung Bezug genommen hat, überhaupt nichts mit dem Strafverfahren gegen den vorlegenden Richter in der Rechtssache C‑615/20 zu tun haben und dazu nicht akzessorisch im Sinne von Rn. 71 jenes Urteils sind. Folglich lassen sich die Erkenntnisse aus jenem Urteil nicht auf die Ausgangsverfahren in den vorliegenden Rechtssachen übertragen.

49

Nach alledem sind die vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zu den Vorlagefragen

Zur ersten, zur zweiten und zur dritten Frage in der Rechtssache C‑615/20

50

Mit seiner ersten, seiner zweiten und seiner dritten Frage, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑615/20 im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 EUV, Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie nationalen Bestimmungen entgegenstehen, die einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, die Befugnis verleihen, der Einleitung von Strafverfahren gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzustimmen und im Fall der Erteilung einer solchen Zustimmung die betreffenden Richter vom Dienst zu suspendieren und ihre Bezüge während der Suspendierung zu kürzen.

51

Hierzu ist zunächst festzustellen, dass der Gerichtshof, der nach Einreichung der vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen von der Kommission mit einer Vertragsverletzungsklage gegen die Republik Polen befasst wurde, aus den in den Rn. 91 bis 103 des Urteils vom 5. Juni 2023, Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern) (C‑204/21, im Folgenden: Urteil Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], EU:C:2023:442), dargelegten Gründen – und wie sich aus Nr. 1 des Tenors jenes Urteils ergibt – für Recht erkannt hat, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV verstoßen hat, dass sie die Disziplinarkammer, deren Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, ermächtigt hat, in Sachen zu entscheiden, die sich unmittelbar auf den Status und die Amtsausübung von Richtern und Assessoren auswirken, etwa in Sachen betreffend die Zustimmung dazu, dass Richter und Assessoren strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden.

52

Insbesondere hat der Gerichtshof in Rn. 101 jenes Urteils hervorgehoben, dass die bloße Aussicht für Richter, Gefahr zu laufen, dass die Zustimmung zu einem gegen sie eingeleiteten Strafverfahren bei einem Organ beantragt und erlangt wird, dessen Unabhängigkeit nicht gewährleistet ist, ihre eigene Unabhängigkeit beeinträchtigen kann und dass dies auch für die Gefahr gilt, dass ein solches Organ über ihre etwaige Suspendierung vom Dienst und eine Kürzung ihrer Bezüge entscheidet.

53

In Rn. 102 jenes Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass er in Rn. 112 seines Urteils vom 15. Juli 2021, Kommission/Polen (Disziplinarordnung für Richter) (C‑791/19, EU:C:2021:596), bereits entschieden hatte, dass die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Disziplinarkammer aus den in den Rn. 89 bis 110 des letztgenannten Urteils angeführten Gründen nicht gewährleistet sind.

54

Im vorliegenden Fall geht indessen aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der streitige Beschluss, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Einzelrichter, der das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑615/20 bildet, d. h. ein ordentliches Gericht, das dazu berufen sein kann, gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV über Fragen im Zusammenhang mit der Anwendung oder Auslegung des Unionsrechts zu entscheiden, zugestimmt wurde und mit dem dieser Richter vom Dienst suspendiert wurde und gleichzeitig seine Bezüge gekürzt wurden, auf der Grundlage der nationalen Vorschriften erlassen wurde, die der Gerichtshof im Urteil Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern) als mit dieser Bestimmung des Unionsrechts unvereinbar angesehen hat, soweit sie die Zuständigkeit für den Erlass von Maßnahmen wie diesen Beschluss einem Organ zuweisen, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind.

55

Die Erkenntnisse in den Rn. 91 bis 103 des Urteils Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern), die der in Nr. 1 des Tenors jenes Urteils vorgenommenen Feststellung einer Vertragsverletzung zugrunde liegen, reichen somit aus, um die erste, die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑615/20 zu beantworten, ohne dass es in dieser Rechtssache einer Auslegung von Art. 2 EUV und Art. 47 der Charta bedarf und die übrigen in der ersten und der dritten Frage des vorlegenden Gerichts genannten Faktoren für die Beurteilung zu prüfen wären.

56

In diesem Zusammenhang ist auch darauf hinzuweisen, dass nach Art. 260 Abs. 1 AEUV, wenn der Gerichtshof feststellt, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus den Verträgen verstoßen hat, dieser Staat die Maßnahmen zu ergreifen hat, die sich aus dem Urteil des Gerichtshofs ergeben, dessen Rechtskraft sich auf Tatsachen- und Rechtsfragen erstreckt, die tatsächlich oder notwendigerweise Gegenstand der betreffenden gerichtlichen Entscheidung waren (Urteil vom 10. März 2022, Grossmania, C‑177/20, EU:C:2022:175, Rn. 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

So sind zwar die an der Ausübung der gesetzgebenden Gewalt beteiligten Behörden des betreffenden Mitgliedstaats verpflichtet, die nationalen Bestimmungen, die Gegenstand eines Vertragsverletzungsurteils waren, so zu ändern, dass sie den Anforderungen des Unionsrechts entsprechen, doch haben die Gerichte dieses Mitgliedstaats ihrerseits die Pflicht, bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben die Beachtung des betreffenden Urteils sicherzustellen, was insbesondere bedeutet, dass die nationalen Gerichte aufgrund der verbindlichen Wirkung, die diesem Urteil zukommt, gegebenenfalls den darin festgelegten rechtlichen Kriterien Rechnung zu tragen haben, um die Tragweite der von ihnen anzuwendenden Vorschriften des Unionsrechts zu bestimmen (Urteil vom 10. März 2022, Grossmania, C‑177/20, EU:C:2022:175, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑615/20 im vorliegenden Fall alle Konsequenzen zu ziehen hat, die sich aus den in den Rn. 51 und 55 des vorliegenden Urteils angeführten Erkenntnissen aus dem Urteil Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern) ergeben.

59

Nach alledem ist auf die erste, die zweite und die dritte Frage in der Rechtssache C‑615/20 zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, die einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, die Befugnis verleihen, der Einleitung von Strafverfahren gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzustimmen und im Fall der Erteilung einer solchen Zustimmung die betreffenden Richter vom Dienst zu suspendieren und ihre Bezüge während der Suspendierung zu kürzen.

Zur vierten Frage in der Rechtssache C‑615/20

60

Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑615/20 im Wesentlichen wissen, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit und der Grundsatz der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass

zum einen ein mit einer Rechtssache befasster Spruchkörper eines nationalen Gerichts, der mit einem Einzelrichter besetzt ist, in Bezug auf den ein Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, einen Beschluss erlassen hat, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens zugestimmt wird und seine Suspendierung vom Dienst sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet werden, berechtigt ist, einen solchen Beschluss, der der Ausübung seiner Zuständigkeit in dieser Rechtssache entgegensteht, unangewendet zu lassen, und

zum anderen auch die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper dieses nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane diesen Beschluss, der den betreffenden Spruchkörper an der Ausübung dieser Zuständigkeit hindert, unangewendet lassen müssen.

61

Nach ständiger Rechtsprechung besagt der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, dass das Unionsrecht dem Recht der Mitgliedstaaten vorgeht. Dieser Grundsatz verpflichtet daher alle mitgliedstaatlichen Stellen, den verschiedenen unionsrechtlichen Vorschriften volle Wirksamkeit zu verschaffen, wobei das Recht der Mitgliedstaaten die diesen Vorschriften zuerkannte Wirkung in ihrem Hoheitsgebiet nicht beeinträchtigen darf (Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 156 und die dort angeführte Rechtsprechung).

62

Dieser Grundsatz verpflichtet somit u. a. jedes nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, dazu, für die volle Wirksamkeit der Anforderungen des Unionsrechts in dem bei ihm anhängigen Rechtsstreit Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede nationale Regelung oder Praxis, die einer Bestimmung des Unionsrechts mit unmittelbarer Wirkung zuwiderläuft, aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser nationalen Regelung oder Praxis auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 53 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Einhaltung dieser Verpflichtung ist insbesondere erforderlich, um die Achtung der Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen sicherzustellen, und ist Ausdruck des in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatzes der loyalen Zusammenarbeit (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Februar 2022, RS [Wirkung der Urteile eines Verfassungsgerichts], C‑430/21, EU:C:2022:99, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Der Gerichtshof hat indessen entschieden, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV – ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta –, der den Mitgliedstaaten eine klare und präzise und an keine Bedingung geknüpfte Ergebnispflicht auferlegt, insbesondere in Bezug auf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der zur Auslegung und Anwendung des Unionsrechts berufenen Gerichte sowie das Erfordernis, dass diese Gerichte zuvor durch Gesetz errichtet wurden, eine solche unmittelbare Wirkung hat, die bedeutet, dass jede nationale Bestimmung, Rechtsprechung oder Praxis, die mit diesen unionsrechtlichen Bestimmungen in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof unvereinbar ist, unangewendet bleiben muss (Urteil Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

64

Nach ebenfalls ständiger Rechtsprechung obliegt es den nationalen Gerichten, selbst wenn eine vom Gerichtshof festgestellte Vertragsverletzung nicht durch nationale gesetzgeberische Maßnahmen abgestellt wurde, alle Maßnahmen zu ergreifen, um entsprechend den Vorgaben des Urteils, mit dem diese Vertragsverletzung festgestellt wurde, die volle Wirksamkeit des Unionsrechts zu erleichtern. Im Übrigen sind diese Gerichte nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV vorgesehenen Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. März 2022, Grossmania, C‑177/20, EU:C:2022:175, Rn. 38 und 63 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

65

Um den in den Rn. 61 bis 64 des vorliegenden Urteils genannten Verpflichtungen nachzukommen, muss ein nationales Gericht eine Maßnahme wie den streitigen Beschluss, mit der unter Missachtung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Suspendierung eines Richters vom Dienst angeordnet wurde, unangewendet lassen, wenn dies in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 159 und 161).

66

Da im Rahmen eines Verfahrens nach Art. 267 AEUV allein das vorlegende Gericht für die endgültige Beurteilung des Sachverhalts sowie die Anwendung und die Auslegung des nationalen Rechts zuständig ist, wird es Sache dieses Gerichts sein, die konkreten Folgen, die sich aus dem in der vorstehenden Randnummer angeführten Grundsatz für das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑615/20 ergeben, abschließend zu bestimmen. Nach ständiger Rechtsprechung kann der Gerichtshof dem vorlegenden Gericht jedoch anhand der Akten Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts geben, die ihm insoweit von Nutzen sein könnten (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. März 2021, A. B. u. a. [Ernennung von Richtern am Obersten Gericht – Rechtsbehelf], C‑824/18, EU:C:2021:153, Rn. 96 und die dort angeführte Rechtsprechung).

67

Insoweit hat die polnische Regierung in der mündlichen Verhandlung vor dem Gerichtshof auf den Erlass der Ustawa o zmianie ustawy o Sądzie Najwyższym oraz niektórych innych ustaw (Gesetz zur Änderung des Gesetzes über das Oberste Gericht und einiger anderer Gesetze) vom 9. Juni 2022 (Dz. U. 2022, Pos. 1259) verwiesen, die am 15. Juli 2022 in Kraft getreten ist. Nach den Erläuterungen dieser Regierung wurde mit diesem neuen Gesetz u. a. die Disziplinarkammer abgeschafft und eine Übergangsregelung eingeführt, wonach jeder Richter, der Gegenstand eines Beschlusses dieser Kammer gewesen sei, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen ihn zugestimmt worden sei, nunmehr die Möglichkeit habe, eine erneute Prüfung der Sache durch eine neue Kammer zu beantragen, die durch dieses Gesetz innerhalb des Sąd Najwyższy (Oberstes Gericht) eingerichtet worden sei, wobei die letztgenannte Kammer in diesem Fall innerhalb einer Frist von höchstens zwölf Monaten über einen solchen Antrag entscheiden müsse.

68

Die Existenz dieses neuen Rechtsbehelfs könne es dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑615/20 somit ermöglichen, eine etwaige Überprüfung des streitigen Beschlusses zu erreichen, so dass es für die Nichtanwendung dieses Beschlusses im vorliegenden Fall keinen Grund mehr gebe. Der Gerichtshof habe nämlich selbst in Rn. 161 des Urteils vom 6. Oktober 2021, W. Ż. (Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung) (C‑487/19, EU:C:2021:798), entschieden, dass eine derartige Abhilfe nur gerechtfertigt sei, wenn sie in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich sei, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten.

69

Aus diesen Erläuterungen der polnischen Regierung geht jedoch nicht hervor, dass der streitige Beschluss aufgrund des Inkrafttretens des in Rn. 67 des vorliegenden Urteils genannten Gesetzes vom 9. Juni 2022 seine Wirkungen verloren hätte, und damit auch nicht, dass das Hindernis für die Fortführung des Ausgangsverfahrens in der Rechtssache C‑615/20 durch das vorlegende Gericht in seiner gegenwärtigen Zusammensetzung entfallen wäre. Auch der Umstand, dass der betreffende Richter nunmehr die Möglichkeit hätte, die Überprüfung des streitigen Beschlusses bei einem neu geschaffenen Organ zu beantragen, das innerhalb einer Frist von höchstens einem Jahr zu entscheiden hat, erscheint – vorbehaltlich der insoweit dem vorlegenden Gericht obliegenden abschließenden Überprüfungen – nicht zu gewährleisten, dass dieses Hindernis auf eine etwaige Initiative der für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane unter Bedingungen, die geeignet sind, die Wahrung des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts zu gewährleisten, unverzüglich beseitigt werden kann.

70

Schließlich kann, wenn eine Maßnahme wie der streitige Beschluss von einem Organ erlassen wurde, das kein unabhängiges und unparteiisches Gericht im Sinne des Unionsrechts ist, keine Erwägung, die auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit beruht oder mit einer behaupteten Rechtskraft dieses Beschlusses zusammenhängt, mit Erfolg geltend gemacht werden, um das vorlegende Gericht und die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane daran zu hindern, einen solchen Beschluss unangewendet zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2021, W. Ż. [Kammer für außerordentliche Überprüfung und öffentliche Angelegenheiten des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑487/19, EU:C:2021:798, Rn. 160).

71

Insoweit ist insbesondere darauf hinzuweisen, dass das Ausgangsverfahren in der Rechtssache C‑615/20 vom vorlegenden Gericht bis zum Erlass des vorliegenden Urteils ausgesetzt worden ist. In diesem Zusammenhang erscheint die Fortsetzung dieses Verfahrens durch den Richter, der als Einzelrichter den Spruchkörper des vorlegenden Gerichts bildet, insbesondere in dem fortgeschrittenen Stadium, in dem sich dieses Verfahren, das besonders komplex sein soll, befindet, a priori nicht geeignet, die Rechtssicherheit zu beeinträchtigen. Sie scheint es vielmehr zu ermöglichen, dass die Behandlung des Ausgangsverfahrens zu einer Entscheidung führen kann, die zum einen den Anforderungen gemäß Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und zum anderen dem Recht der betroffenen Einzelnen auf ein faires Verfahren innerhalb einer angemessenen Frist entspricht.

72

Unter diesen Umständen ist das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑615/20 berechtigt, den streitigen Beschluss unangewendet zu lassen, so dass es – unter diesem Blickwinkel – die Prüfung des Ausgangsverfahrens in seiner gegenwärtigen Besetzung fortsetzen kann, ohne dass die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane dies verwehren könnten.

73

Nach alledem ist auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑615/20 zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit dahin auszulegen sind, dass

zum einen ein mit einer Rechtssache befasster Spruchkörper eines nationalen Gerichts, der mit einem Einzelrichter besetzt ist, in Bezug auf den ein Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, einen Beschluss erlassen hat, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens zugestimmt wird und seine Suspendierung vom Dienst sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet werden, berechtigt ist, einen solchen Beschluss, der der Ausübung seiner Zuständigkeit in dieser Rechtssache entgegensteht, unangewendet zu lassen, und

zum anderen auch die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper dieses nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane diesen Beschluss, der den betreffenden Spruchkörper an der Ausübung dieser Zuständigkeit hindert, unangewendet lassen müssen.

Zur ersten und zur dritten Frage sowie zum ersten Teil der vierten Frage in der Rechtssache C‑671/20

74

Mit seiner ersten und seiner dritten Frage sowie dem ersten Teil der vierten Frage zu den Bedingungen der Ernennung der Mitglieder der Disziplinarkammer, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑671/20 im Wesentlichen wissen, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts, der loyalen Zusammenarbeit und der Rechtssicherheit dahin auszulegen sind, dass

zum einen ein Spruchkörper eines nationalen Gerichts, dem eine bis dahin einem anderen Spruchkörper dieses Gerichts zugewiesene Rechtssache neu zugewiesen wurde – infolge eines von einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, erlassenen Beschlusses, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Einzelrichter, der den letztgenannten Spruchkörper bildet, zugestimmt wurde und dessen Suspendierung vom Dienst und die Kürzung seiner Bezüge angeordnet wurden –, diesen Beschluss unangewendet lassen und von einer weiteren Prüfung der Rechtssache absehen muss und

zum anderen die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper dieses nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane in einem solchen Fall verpflichtet sind, die Rechtssache wieder dem ursprünglich damit befassten Spruchkörper zuzuweisen.

75

Aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑671/20 geht hervor, dass der Präsident des Sąd Okręgowy w Warszawie (Regionalgericht Warschau) auf der Grundlage von Art. 47b §§ 1 und 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte nach dem Erlass des streitigen Beschlusses, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen Richter I. T. zugestimmt und er vom Dienst suspendiert wurde, eine Verfügung erlassen hat, mit der der Vorsitzenden der Abteilung, der Richter I. T. angehörte, aufgegeben wurde, die Besetzung des Spruchkörpers in den Rechtssachen, die diesem Richter zugewiesen worden waren, mit Ausnahme der Rechtssache, in der dieser Richter dem Gerichtshof das Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt hat, das Gegenstand der Rechtssache C‑615/20 ist, zu ändern. In der Folge erließ diese Abteilungsvorsitzende mit Hilfe einer zu diesem Zweck vorgesehenen IT‑Anwendung eine Verfügung, mit der die Ausgangsrechtssache einem anderen Spruchkörper, nämlich dem vorlegenden Gericht in der Rechtssache C‑671/20, zugewiesen wurde.

76

Aus den Erwägungen, die der Antwort auf die vierte Frage in der Rechtssache C‑615/20 zugrunde liegen, ergibt sich, dass die unmittelbare Wirkung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV impliziert, dass die nationalen Gerichte einen Beschluss unangewendet lassen, der unter Missachtung dieser Bestimmung die Suspendierung eines Richters vom Dienst bewirkt, wenn dies in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten.

77

Um die Wirksamkeit von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV zu gewährleisten, gilt diese Verpflichtung u. a. für den Spruchkörper, dem die in Rede stehende Rechtssache aufgrund eines solchen Beschlusses gegebenenfalls zugewiesen wurde, so dass dieser Spruchkörper von der Behandlung dieser Rechtssache absehen muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. März 2022, Prokurator Generalny u. a. [Disziplinarkammer des Obersten Gerichts – Ernennung], C‑508/19, EU:C:2022:201, Rn. 74). Diese Verpflichtung bindet auch die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Stellen, die daher die Rechtssache wieder dem ursprünglich damit befassten Spruchkörper zuzuweisen haben.

78

Im vorliegenden Fall kann aus dem in Rn. 70 des vorliegenden Urteils genannten Grund keine Erwägung, die auf dem Grundsatz der Rechtssicherheit beruht oder mit einer behaupteten Rechtskraft des betreffenden Beschlusses zusammenhängt, mit Erfolg geltend gemacht werden.

79

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus der Vorlageentscheidung in der Rechtssache C‑671/20 hervorgeht, das Ausgangsverfahren in dieser Rechtssache im Unterschied zu anderen Richter I. T. zugewiesenen Rechtssachen, die in der Zwischenzeit ebenfalls anderen Spruchkörpern zugewiesen wurden, deren Prüfung aber durch die neuen Spruchkörper fortgesetzt oder gegebenenfalls sogar durch den Erlass einer Entscheidung abgeschlossen wurde, bis zum Erlass des vorliegenden Urteils ausgesetzt worden ist. Unter diesen Umständen scheint eine Wiederaufnahme dieses Verfahrens durch Richter I. T. es zu ermöglichen, dass dieses Verfahren – trotz der durch den streitigen Beschluss verursachten Verzögerung – zu einer Entscheidung führen kann, die sowohl den Anforderungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV als auch denen entspricht, die sich aus dem Recht des betroffenen Einzelnen auf ein faires Verfahren ergeben.

80

Nach alledem ist auf die erste und die dritte Frage sowie den ersten Teil der vierten Frage in der Rechtssache C‑671/20 zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit dahin auszulegen sind, dass

zum einen ein Spruchkörper eines nationalen Gerichts, dem eine bis dahin einem anderen Spruchkörper dieses Gerichts zugewiesene Rechtssache neu zugewiesen wurde – infolge eines von einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, erlassenen Beschlusses, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Einzelrichter, der den letztgenannten Spruchkörper bildet, zugestimmt wurde und dessen Suspendierung vom Dienst und die Kürzung seiner Bezüge angeordnet wurden – und der das Verfahren in dieser Rechtssache bis zum Erlass einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt hat, diesen Beschluss unangewendet lassen und von einer weiteren Prüfung der Rechtssache absehen muss und

zum anderen die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane in einem solchen Fall verpflichtet sind, die Rechtssache wieder dem ursprünglich damit befassten Spruchkörper zuzuweisen.

Zur zweiten Frage und zum zweiten Teil der vierten Frage in der Rechtssache C‑671/20

81

Mit seiner zweiten Frage und dem zweiten Teil seiner vierten Frage zu den Bedingungen der Ernennung der Mitglieder des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof), die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑671/20 im Wesentlichen wissen, ob Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit dahin auszulegen sind, dass sie

zum einen nationalen Bestimmungen entgegenstehen, die es einem nationalen Gericht unter Androhung von Disziplinarstrafen gegen die Richter, mit denen es besetzt ist, verbieten, die Verbindlichkeit einer Maßnahme eines Organs, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind und das der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter zugestimmt und die Suspendierung des betreffenden Richters sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet hat, zu prüfen und diese Maßnahme gegebenenfalls unangewendet zu lassen, und

zum anderen der Rechtsprechung eines Verfassungsgerichts, wonach die Ernennungen der Richter, aus denen ein solches Organ besteht, nicht gerichtlich überprüft werden können, insoweit entgegenstehen, als diese Rechtsprechung dieser Prüfung entgegensteht.

82

Was erstens die nationalen Vorschriften betrifft, auf die das vorlegende Gericht in der Rechtssache C‑671/20 Bezug genommen hat, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 42a §§ 1 und 2 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte es den ordentlichen Gerichten u. a. verbietet, die Legitimität der Gerichte in Frage zu stellen oder die Rechtmäßigkeit der Ernennung eines Richters oder seiner Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung zu beurteilen. Nach Art. 107 § 1 Nr. 3 dieses Gesetzes stellt u. a. jede Handlung der Richter der ordentlichen Gerichte, mit der die Wirksamkeit der Ernennung eines Richters in Frage gestellt wird, ein Disziplinarvergehen dar.

83

Wie sich aus den Erläuterungen dieses vorlegenden Gerichts ergibt, ist es der Ansicht, dass solche nationalen Bestimmungen es daran hindern, über die fehlende Bindungswirkung einer Maßnahme wie des streitigen Beschlusses zu entscheiden und diesen gegebenenfalls unangewendet zu lassen, auch wenn es aufgrund der Antworten des Gerichtshofs auf seine anderen Fragen dazu verpflichtet wäre. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts würde es dadurch nämlich veranlasst, die Legitimität eines Organs der Rechtsprechung, d. h. der Disziplinarkammer, in Frage zu stellen und deren Funktionieren wesentlich zu erschweren. Eine solche Prüfung der Bindungswirkung des streitigen Beschlusses würde gleichzeitig verlangen, dass das vorlegende Gericht die Rechtmäßigkeit der Ernennungen der Richter dieser Kammer und ihrer Befugnis zur Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Rechtsprechung beurteilt und über die Wirksamkeit dieser Ernennungen entscheidet.

84

Insoweit geht aus der Antwort auf die erste und die dritte Frage sowie den ersten Teil der vierten Frage in der Rechtssache C‑671/20 hervor, dass die nationalen Gerichte, die dazu berufen sind, einem Beschluss Wirkung zu verleihen, der unter Missachtung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die Suspendierung eines Richters vom Dienst bewirkt, einen solchen Beschluss unangewendet lassen müssen, wenn dies in Anbetracht der in Rede stehenden Verfahrenslage unerlässlich ist, um den Vorrang des Unionsrechts zu gewährleisten.

85

Unter diesen Umständen kann es einem nationalen Gericht definitionsgemäß nicht untersagt werden, die ihm durch die Verträge übertragenen Aufgaben wahrzunehmen und die ihm nach den Verträgen obliegenden Verpflichtungen zu beachten, indem es einer Bestimmung wie Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV Wirkung verleiht, und dies kann auch nicht als Disziplinarvergehen der Richter, die ein solches Gericht bilden, gewertet werden (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], Rn. 132).

86

So hat der Gerichtshof im Urteil Kommission/Polen (Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern) aus den in den Rn. 198 bis 219 jenes Urteils dargelegten Gründen – und wie sich aus Nr. 3 des Tenors jenes Urteils ergibt – entschieden, dass die Republik Polen dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta und aus dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts verstoßen hat, dass sie Art. 42a §§ 1 und 2 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte erlassen und beibehalten hat, wonach allen nationalen Gerichten die Prüfung, ob die sich aus dem Unionsrecht ergebenden Anforderungen in Bezug auf die Gewährleistung eines unabhängigen, unparteiischen und zuvor durch Gesetz errichteten Gerichts erfüllt sind, untersagt ist.

87

Der Gerichtshof hat in jenem Urteil aus den in dessen Rn. 125 bis 163 dargelegten Gründen – und wie sich aus Nr. 2 des Tenors jenes Urteils ergibt – auch entschieden, dass die Republik Polen dadurch u. a. gegen ihre Verpflichtungen aus Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV in Verbindung mit Art. 47 der Charta verstoßen hat, dass sie Art. 107 § 1 Nrn. 2 und 3 des Gesetzes über die ordentlichen Gerichte erlassen und beibehalten hat, wonach die Prüfung, ob die Anforderungen der Union in Bezug auf ein unabhängiges, unparteiisches und zuvor durch Gesetz errichtetes Gericht erfüllt sind, als Disziplinarvergehen gewertet werden kann.

88

In den Rn. 56, 58 und 61 bis 64 des vorliegenden Urteils ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es in Anbetracht der den Urteilen, mit denen der Gerichtshof eine solche Vertragsverletzung feststellt, zukommenden Rechtskraft sowie der unmittelbaren Wirkung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV und des Grundsatzes des Vorrangs des Unionsrechts Sache der nationalen Gerichte und somit insbesondere des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑671/20 ist, die auf diese Weise für mit dieser Bestimmung des Unionsrechts unvereinbar erklärten nationalen Bestimmungen in den bei ihnen anhängigen Rechtssachen unangewendet zu lassen. Daraus folgt, dass die betreffenden nationalen Bestimmungen und insbesondere die in Rede stehenden Verbote, die damit für die ordentlichen Gerichte aufgestellt werden, dieses Gericht nicht daran hindern können, die Bindungswirkung des streitigen Beschlusses zu prüfen und ihn unangewendet zu lassen – wozu es verpflichtet ist.

89

Was zweitens die Rechtsprechung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) betrifft, auf die sich das vorlegende Gericht bezogen hat, geht aus dessen Erläuterungen hervor, dass es der Ansicht ist, dass diese Rechtsprechung es auch daran hindere, die Umstände, unter denen die Ernennungen der Mitglieder der Disziplinarkammer erfolgt seien, zu prüfen, um sich der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit dieses Organs zu vergewissern und gegebenenfalls zu dem Ergebnis zu gelangen, dass der streitige Beschluss nicht anwendbar sei.

90

Ohne dass der zweite Teil der vierten Frage, der die Bedingungen der Ernennung der Mitglieder dieses Verfassungsgerichtshofs betrifft, geprüft zu werden braucht, genügt insoweit der Hinweis, dass in Anbetracht der unmittelbaren Wirkung von Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV die nationalen Gerichte nach dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts jede nationale Rechtsprechung unangewendet lassen müssen, die gegen diese Bestimmung des Unionsrechts in ihrer Auslegung durch den Gerichtshof verstößt (vgl. in diesem Sinne Urteil Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben von Richtern], Rn. 78 und die dort angeführte Rechtsprechung).

91

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass in dem Fall, dass ein nationales Gericht infolge von Urteilen des Gerichtshofs zu der Auffassung gelangen sollte, dass die Rechtsprechung eines Verfassungsgerichts nicht mit dem Unionsrecht vereinbar ist, der Umstand, dass ein solches nationales Gericht diese Verfassungsrechtsprechung gemäß dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts unangewendet lässt, nicht seine disziplinarrechtliche Verantwortlichkeit auslösen kann (Urteil Kommission/Polen [Unabhängigkeit und Privatleben der Richter], Rn. 151 und die dort angeführte Rechtsprechung).

92

Somit wird es Sache des vorlegenden Gerichts in der Rechtssache C‑671/20 sein, die in den Rn. 86 und 87 des vorliegenden Urteils genannten nationalen Bestimmungen sowie die in Rn. 89 dieses Urteils angeführte Rechtsprechung des Trybunał Konstytucyjny (Verfassungsgerichtshof) außer Acht zu lassen, soweit sich herausstellen sollte, dass diese Bestimmungen und diese Rechtsprechung das vorlegende Gericht daran hindern, den streitigen Beschluss unangewendet zu lassen und folglich von einer Entscheidung über das Ausgangsverfahren abzusehen.

93

Nach alledem ist auf die zweite Frage in der Rechtssache C‑671/20 zu antworten, dass Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit dahin auszulegen sind, dass sie

zum einen nationalen Bestimmungen entgegenstehen, die es einem nationalen Gericht unter Androhung von Disziplinarstrafen gegen die Richter, mit denen es besetzt ist, verbieten, die Verbindlichkeit einer Maßnahme eines Organs, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind und das der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter zugestimmt und die Suspendierung des betreffenden Richters sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet hat, zu prüfen und diese Maßnahme gegebenenfalls unangewendet zu lassen, und

zum anderen der Rechtsprechung eines Verfassungsgerichts, wonach die Ernennungen der Richter nicht gerichtlich überprüft werden können, insoweit entgegenstehen, als diese Rechtsprechung dieser Prüfung entgegensteht.

Kosten

94

Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass er nationalen Bestimmungen entgegensteht, die einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, die Befugnis verleihen, der Einleitung von Strafverfahren gegen Richter der ordentlichen Gerichtsbarkeit zuzustimmen und im Fall der Erteilung einer solchen Zustimmung die betreffenden Richter vom Dienst zu suspendieren und ihre Bezüge während der Suspendierung zu kürzen.

 

2.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV, der Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts und der in Art. 4 Abs. 3 EUV verankerte Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit sind dahin auszulegen, dass

zum einen ein mit einer Rechtssache befasster Spruchkörper eines nationalen Gerichts, der mit einem Einzelrichter besetzt ist, in Bezug auf den ein Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, einen Beschluss erlassen hat, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens zugestimmt wird und seine Suspendierung vom Dienst sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet werden, berechtigt ist, einen solchen Beschluss, der der Ausübung seiner Zuständigkeit in dieser Rechtssache entgegensteht, unangewendet zu lassen, und

zum anderen auch die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper dieses nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane diesen Beschluss, der den betreffenden Spruchkörper an der Ausübung dieser Zuständigkeit hindert, unangewendet lassen müssen.

 

3.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit sind dahin auszulegen, dass

zum einen ein Spruchkörper eines nationalen Gerichts, dem eine bis dahin einem anderen Spruchkörper dieses Gerichts zugewiesene Rechtssache neu zugewiesen wurde – infolge eines von einem Organ, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind, erlassenen Beschlusses, mit dem der Einleitung eines Strafverfahrens gegen den Einzelrichter, der den letztgenannten Spruchkörper bildet, zugestimmt wurde und dessen Suspendierung vom Dienst und die Kürzung seiner Bezüge angeordnet wurden – und der das Verfahren in dieser Rechtssache bis zum Erlass einer Vorabentscheidung des Gerichtshofs ausgesetzt hat, diesen Beschluss unangewendet lassen und von einer weiteren Prüfung der Rechtssache absehen muss und

zum anderen die für die Bestimmung und Änderung der Besetzung der Spruchkörper des nationalen Gerichts zuständigen Justizorgane in einem solchen Fall verpflichtet sind, die Rechtssache wieder dem ursprünglich damit befassten Spruchkörper zuzuweisen.

 

4.

Art. 19 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV sowie die Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der loyalen Zusammenarbeit sind dahin auszulegen, dass sie

zum einen nationalen Bestimmungen entgegenstehen, die es einem nationalen Gericht unter Androhung von Disziplinarstrafen gegen die Richter, mit denen es besetzt ist, verbieten, die Verbindlichkeit einer Maßnahme eines Organs, dessen Unabhängigkeit und Unparteilichkeit nicht gewährleistet sind und das der Einleitung eines Strafverfahrens gegen einen Richter zugestimmt und die Suspendierung des betreffenden Richters sowie die Kürzung seiner Bezüge angeordnet hat, zu prüfen und diese Maßnahme gegebenenfalls unangewendet zu lassen, und

zum anderen der Rechtsprechung eines Verfassungsgerichts, wonach die Ernennungen der Richter nicht gerichtlich überprüft werden können, insoweit entgegenstehen, als diese Rechtsprechung dieser Prüfung entgegensteht.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Polnisch.