URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)
17. November 2022 ( *1 )
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 34 und 36 AEUV – Freier Warenverkehr – Geistiges Eigentum – Marken – Verordnung (EG) Nr. 207/2009 – Art. 9 Abs. 2 – Art. 13 – Richtlinie 2008/95/EG – Art. 5 Abs. 1 – Art. 7 – Recht aus der Marke – Erschöpfung des Rechts aus der Marke – Parallelimport von Arzneimitteln – Referenzarzneimittel und Generikum – Wirtschaftlich miteinander verbundene Unternehmen – Umpacken des Generikums – Neue äußere Verpackung – Anbringung der Marke des Referenzarzneimittels – Widerstand des Markeninhabers – Künstliche Abschottung der Märkte zwischen Mitgliedstaaten“
In den verbundenen Rechtssachen C‑253/20 und C‑254/20
betreffend Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Brussel (Appellationshof Brüssel, Belgien) mit Entscheidungen vom 25. Mai 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 9. Juni 2020, in den Verfahren
Impexeco NV
gegen
Novartis AG (C‑253/20)
und
PI Pharma NV
gegen
Novartis AG,
Novartis Pharma NV (C‑254/20)
erlässt
DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter D. Gratsias, M. Ilešič (Berichterstatter), I. Jarukaitis und Z. Csehi,
Generalanwalt: M. Szpunar,
Kanzler: A. Calot Escobar,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
unter Berücksichtigung der Erklärungen
– |
der Impexeco NV und der PI Pharma NV, vertreten durch F. Cornette, L. Coucke, V. Pede und T. Poels-Ryckeboer, Advocaten, |
– |
der Novartis AG und der Novartis Pharma NV, vertreten durch J. Figys, P. Maeyaert, J. Muyldermans, K. Roox, L. van Kruijsdijk und M. Van Nieuwenborgh, Advocaten, |
– |
der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier, P.‑J. Loewenthal und F. Thiran als Bevollmächtigte, |
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 13. Januar 2022
folgendes
Urteil
1 |
Die Vorabentscheidungsersuchen betreffen die Auslegung der Art. 34 und 36 AEUV. |
2 |
Sie ergehen im Rahmen zweier Rechtsstreitigkeiten, zum einen zwischen der Impexeco NV und der Novartis AG und zum anderen zwischen der PI Pharma NV auf der einen und Novartis sowie der Novartis Pharma NV auf der anderen Seite, wegen des Vertriebs von Generika in Belgien, die parallel aus den Niederlanden eingeführt und in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurden, auf der die Marke des Generikums, deren Inhaberin Novartis ist, durch die Marke des Referenzarzneimittels ersetzt wurde, deren Inhaberin ebenfalls Novartis ist. |
Rechtlicher Rahmen
Unionsrecht
Verordnung Nr. 207/2009
3 |
Art. 9 („Rechte aus der Unionsmarke“) der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke (ABl. 2009, L 78, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 (ABl. 2015, L 341, S. 21) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 207/2009) sah vor: „(1) Mit der Eintragung einer Unionsmarke erwirbt ihr Inhaber ein ausschließliches Recht an ihr. (2) Der Inhaber dieser Unionsmarke hat unbeschadet der von Inhabern vor dem Zeitpunkt der Anmeldung oder dem Prioritätstag der Unionsmarke erworbenen Rechte das Recht, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, wenn
(3) Sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden,
…“ |
4 |
Art. 13 („Erschöpfung des Rechts aus der Unionsmarke“) der Verordnung Nr. 207/2009 bestimmte: „(1) Eine Unionsmarke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, die Benutzung der Marke für Waren zu untersagen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung im Europäischen Wirtschaftsraum [(EWR)] in den Verkehr gebracht worden sind. (2) Absatz l findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“ |
Richtlinie 2008/95/EG
5 |
In Art. 5 („Rechte aus der Marke“) der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2008, L 299, S. 25) hieß es: „(1) Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Dieses Recht gestattet es dem Inhaber, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr
… (3) Sind die Voraussetzungen der Absätze 1 und 2 erfüllt, so kann insbesondere verboten werden:
…“ |
6 |
Art. 7 („Erschöpfung des Rechts aus der Marke“) dieser Richtlinie bestimmte: „(1) Die Marke gewährt ihrem Inhaber nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der Gemeinschaft in den Verkehr gebracht worden sind. (2) Absatz 1 findet keine Anwendung, wenn berechtigte Gründe es rechtfertigen, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“ |
Richtlinie 2001/83/EG
7 |
In Art. 10 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67) in der durch die Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 (ABl. 2004, L 136, S. 34) geänderten Fassung heißt es: „(1) Abweichend von Artikel 8 Absatz 3 Buchstabe i) und unbeschadet des Rechts über den Schutz des gewerblichen und kommerziellen Eigentums ist der Antragsteller nicht verpflichtet, die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass es sich bei dem Arzneimittel um ein Generikum eines Referenzarzneimittels handelt, das gemäß Artikel 6 seit mindestens acht Jahren in einem Mitgliedstaat oder in der Gemeinschaft genehmigt ist oder wurde. … (2) Im Sinne dieses Artikels bedeutet:
…“ |
Benelux-Übereinkommen
8 |
Art. 2.20 („Schutzumfang“) des Benelux-Übereinkommens über geistiges Eigentum (Marken und Muster oder Modelle) vom 25. Februar 2005, unterzeichnet in Den Haag vom Königreich Belgien, dem Großherzogtum Luxemburg und dem Königreich der Niederlande, in seiner auf die Ausgangsverfahren anwendbaren Fassung (im Folgenden: Benelux-Übereinkommen) sah vor: „1. Die eingetragene Marke gewährt ihrem Inhaber ein ausschließliches Recht. Unter Vorbehalt der etwaigen Anwendung des allgemeinen Rechts der zivilrechtlichen Haftung gewährt das ausschließliche Recht an der Marke dem Inhaber, es Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung:
… 2. Für die Anwendung von Abs. 1 versteht man unter Benutzung einer Marke oder eines ähnlichen Zeichens insbesondere:
…“ |
9 |
Art. 2.23 Abs. 3 dieses Übereinkommens lautete: „Das ausschließliche Recht umfasst nicht das Recht, sich der Benutzung der Marke für Waren zu widersetzen, die unter dieser Marke von ihrem Inhaber oder mit seiner Zustimmung in der Europäischen Gemeinschaft oder im [EWR] in den Verkehr gebracht worden sind, es sei denn, berechtigte Gründe rechtfertigen es, dass der Inhaber sich dem weiteren Vertrieb der Waren widersetzt, insbesondere wenn der Zustand der Waren nach ihrem Inverkehrbringen verändert oder verschlechtert ist.“ |
Belgisches Recht
10 |
Art. 3 § 2 des Königlichen Erlasses vom 19. April 2001 über den Parallelimport von Humanarzneimitteln und über den Parallelvertrieb von Humanarzneimitteln und Tierarzneimitteln (Moniteur belge vom 30. Mai 2001, S. 17954) in der durch den Königlichen Erlass vom 21. Januar 2011 (Moniteur belge vom 9. Februar 2011, S. 9864) geänderten Fassung lautet: „Abweichend von den Bestimmungen des Art. 4 § 1 Abs. 1 des Königlichen Erlasses vom 14. Dezember 2006 über Humanarzneimittel und Tierarzneimittel kann einer Person, die ein Arzneimittel parallel importieren möchte, hierfür eine Genehmigung erteilt werden, wenn es um ein Arzneimittel geht:
Wird nachgewiesen, dass das Arzneimittel, für das eine Genehmigung für den Parallelimport beantragt wurde und das Abs. 1 Nr. 3 Buchst. a und d entspricht, die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung aus Arzneiträgerstoffen aufweist und nach demselben Verfahren hergestellt wird, so wird davon ausgegangen, dass das Arzneimittel Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c entspricht. Stellt die Bundesagentur fest, dass nicht nachgewiesen wurde, dass das Kriterium des Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c erfüllt ist, so ersucht sie die zuständigen Behörden des Ursprungsmitgliedstaats um die erforderlichen Informationen, um beurteilen zu können, ob dieses Kriterium erfüllt ist. Dass das Kriterium des Abs. 1 Nr. 3 Buchst. c erfüllt ist, kann zumindest durch eine der folgenden Studien oder Experimente nachgewiesen werden:
Die in Abs. 4 genannten angewandten Studien oder Experimente werden an die spezifischen Merkmale des Arzneimittels angepasst.“ |
Ausgangsverfahren und Vorlagefragen
11 |
Novartis, eine Gesellschaft schweizerischen Rechts, ist die Muttergesellschaft des Novartis-Konzerns, der in der Herstellung von Arzneimitteln tätig ist. Zu diesem Konzern gehören u. a. die Abteilungen Pharmaceuticals und Sandoz, die jeweils für die Entwicklung von Markenarzneimitteln (Referenzarzneimitteln) und für die Herstellung von Generika zuständig sind. |
12 |
Impexeco und PI Pharma sind zwei im Parallelhandel mit Arzneimitteln tätige Gesellschaften belgischen Rechts. |
Rechtssache C‑253/20
13 |
Novartis entwickelte ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Letrozol, das in Belgien und den Niederlanden unter der Unionsmarke „Femara“ vertrieben wird, deren Inhaberin Novartis ist. |
14 |
Dieses Arzneimittel wird in Belgien in Packungen mit 30 und 100 Filmtabletten zu je 2,5 mg und in den Niederlanden in einer Packung mit 30 Filmtabletten zu je 2,5 mg in den Verkehr gebracht. |
15 |
Die Sandoz BV und die Sandoz NV vertreiben das Generikum „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ in den Niederlanden in Packungen mit 30 Filmtabletten und in Belgien in Packungen mit 30 und 100 Filmtabletten. |
16 |
Dem vorlegenden Gericht zufolge sind die unter den Bezeichnungen „Femara“ und „Letrozol Sandoz“ vertriebenen Arzneimittel identisch. |
17 |
Mit Schreiben vom 28. Oktober 2014 teilte Impexeco Novartis ihre Absicht mit, ab dem 1. Dezember 2014 das Arzneimittel „Femara 2,5 mg x 100 Tabletten (Letrozol)“ aus den Niederlanden einzuführen und in Belgien in den Verkehr zu bringen. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich bei diesem Arzneimittel in Wirklichkeit um das Arzneimittel „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ handelte, das in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der Impexeco die Marke „Femara“ anzubringen plante. |
18 |
Mit Schreiben vom 17. November 2014 widersetzte sich Novartis dem von Impexeco geplanten Parallelimport mit der Begründung, dass eine Neukennzeichnung dieses Arzneimittels mit der Marke des von Novartis hergestellten Referenzarzneimittels, nämlich der Marke „Femara“, eine offensichtliche Verletzung ihres Rechts aus dieser Marke und eine Irreführung der Öffentlichkeit darstelle. |
19 |
Ab Juli 2016 vertrieb Impexeco in Belgien das Arzneimittel „Letrozol Sandoz 2,5 mg“, das in eine neue Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke „Femara“ angebracht war. |
20 |
Dem vorlegenden Gericht zufolge ist der Einzelhandelspreis der Arzneimittel „Femara (Novartis) 2,5 mg“, „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ und „Femara (Impexeco) 2,5 mg“ in Belgien identisch. Dagegen sei der Einzelhandelspreis von „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ in den Niederlanden erheblich niedriger. |
21 |
Da Novartis der Ansicht war, dass der in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannte Vertrieb ihre Markenrechte verletze, erhob sie am 16. November 2016 beim Stakingsrechter te Brussel (Für Unterlassungsanordnungen zuständiges Gericht Brüssel, Belgien) Klage gegen Impexeco. |
22 |
Ferner teilte Impexeco Novartis mit Schreiben vom 10. April 2017 ihre Absicht mit, das Arzneimittel „Femara 2,5 mg“ in aus den Niederlanden eingeführten und neu etikettierten Verpackungen von 30 Filmtabletten in Belgien zu vertreiben. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich bei diesem Arzneimittel um das Arzneimittel „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ handelte und dass Impexeco plante, es neu zu etikettieren sowie die Marke „Femara“ anzubringen. |
Rechtssache C‑254/20
23 |
Novartis entwickelte ein Arzneimittel mit dem Wirkstoff Methylphenidat. Die Novartis Pharma NV vertreibt dieses Medikament in Belgien unter der Benelux-Wortmarke „Rilatine“, deren Inhaberin sie ist, u. a. in Packungen mit 20 Tabletten zu je 10 mg. In den Niederlanden wird das Medikament von der Novartis Pharma BV unter der Marke „Ritalin“ u. a. in Packungen mit 30 Tabletten zu je 10 mg vertrieben. |
24 |
Die Sandoz BV bringt das Generikum „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg“ in den Niederlanden in einer Verpackung mit 30 Tabletten in den Verkehr. |
25 |
Dem vorlegenden Gericht zufolge sind die unter den Bezeichnungen „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg Tablette“ und „Ritalin 10 mg Tablette“ vertriebenen Arzneimittel identisch. |
26 |
Mit Schreiben vom 30. Juni 2015 teilte PI Pharma der Novartis Pharma NV mit, dass sie beabsichtige, das Arzneimittel „Rilatine 10 mg x 20 Tabletten“ aus den Niederlanden einzuführen und in Belgien in den Verkehr zu bringen. Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass es sich bei diesem Arzneimittel in Wirklichkeit um das Arzneimittel „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg“ handelte, das in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der PI Pharma die Marke „Rilatine“ anzubringen plante. |
27 |
In einem Schreiben vom 22. Juli 2015 widersetzte sich Novartis dem von PI Pharma geplanten Parallelimport mit der Begründung, dass eine Neukennzeichnung des Arzneimittels „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg“ mit der Marke des Referenzarzneimittels von Novartis, nämlich der Marke „Rilatine“, eine offensichtliche Verletzung ihres Rechts aus dieser Marke und eine Irreführung der Öffentlichkeit darstelle. |
28 |
Ab Oktober 2016 vertrieb PI Pharma in Belgien dieses Arzneimittel, das in eine neue Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke „Rilatine“ angebracht war. |
29 |
Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass der Einzelhandelspreis des Arzneimittels „Rilatine 10 mg x 20 Tabletten Novartis“ in Belgien 8,10 Euro (bzw. 0,405 Euro pro Tablette) und der des Arzneimittels „Rilatine 10 mg x 20 Tabletten PI Pharma“ 7,95 Euro (bzw. 0,398 Euro pro Tablette) beträgt, während in den Niederlanden der Einzelhandelspreis des Arzneimittels „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg“ 0,055 Euro pro Tablette beträgt. |
30 |
Da Novartis der Ansicht war, dass der in Rn. 28 des vorliegenden Urteils genannte Vertrieb ihre Markenrechte verletze, erhob sie am 28. Juli 2017 beim Stakingsrechter te Brussel (Für Unterlassungsanordnungen zuständiges Gericht Brüssel) Klage gegen PI Pharma. |
Den Ausgangsverfahren gemeinsame Gesichtspunkte
31 |
Mit zwei Urteilen vom 12. April 2018 erklärte der Stakingsrechter te Brussel (Für Unterlassungsanordnungen zuständiges Gericht Brüssel) die beiden in den Rn. 21 und 30 des vorliegenden Urteils genannten Klagen für begründet, da insbesondere die Praxis der Anbringung der Marken „Femara“ und „Rilatine“ auf den aus den Niederlanden eingeführten umgepackten Generika „Letrozol Sandoz 2,5 mg“ bzw. „Methylphenidat HCl Sandoz 10 mg“ das Markenrecht von Novartis im Sinne von Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 und von Art. 2.20 Abs. 1 Buchst. a des Benelux-Übereinkommens verletze. Folglich ordnete der Stakingsrechter te Brussel (Für Unterlassungsanordnungen zuständiges Gericht Brüssel) die Unterlassung dieser Praxis an. |
32 |
Impexeco und PI Pharma legten gegen diese zwei Urteile jeweils Berufung beim vorlegenden Gericht ein. |
33 |
Vor diesem Gericht machen sie geltend, die Verwendung unterschiedlicher Verpackungen und die Benutzung unterschiedlicher Marken für die gleiche Ware führten beide zu einer Abschottung der Märkte der Mitgliedstaaten und bewirkten damit die gleiche Beeinträchtigung des Handels innerhalb der Union. |
34 |
Auf der Grundlage der Rn. 38 bis 40 des Urteils vom 12. Oktober 1999, Upjohn (C‑379/97, EU:C:1999:494), tragen Impexeco und PI Pharma vor, dass der Widerstand des Markeninhabers gegen die Wiederanbringung einer Marke durch einen Parallelimporteur ein Hemmnis für den Binnenhandel der Gemeinschaft darstelle, das zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten führe, wenn der Parallelimporteur zu dieser Wiederanbringung gezwungen sei, um die betreffenden Waren im Einfuhrmitgliedstaat vertreiben zu können. Diese Rechtsprechung sei auf eine Situation übertragbar, in der ein Generikum durch Anbringung der Marke des Referenzarzneimittels neu gekennzeichnet werde, wenn diese Arzneimittel von wirtschaftlich verbundenen Unternehmen im EWR in den Verkehr gebracht worden seien. |
35 |
Novartis ist der Ansicht, dass gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 2.23 Abs. 3 des Benelux-Übereinkommens eine Erschöpfung des Rechts aus der Marke nur hinsichtlich Waren vorliegen könne, die „unter dieser Marke“ vom Inhaber oder mit seiner Zustimmung im EWR in den Verkehr gebracht worden seien, nicht aber in dem Fall, dass ein Parallelimporteur eine Neukennzeichnung der betreffenden Waren vornehme. |
36 |
Da der Hof van beroep te Brussel (Appellationshof Brüssel, Belgien) unter diesen Umständen der Ansicht ist, dass die bei ihm anhängigen Rechtsstreitigkeiten Fragen nach der Auslegung des Unionsrechts aufwerfen, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende, in den Rechtssachen C‑253/20 und C‑254/20 gleichlautende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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Verfahren vor dem Gerichtshof
37 |
Mit Entscheidung des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. Juli 2020 sind die Rechtssachen C‑253/20 und C‑254/20 zu gemeinsamem schriftlichen und mündlichen Verfahren sowie zu gemeinsamem Urteil verbunden worden. |
Zu den Vorlagefragen
Vorbemerkungen
38 |
Die Verordnung Nr. 207/2009 wurde mit Wirkung vom 1. Oktober 2017 durch die Verordnung (EU) 2017/1001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2017 über die Unionsmarke (ABl. 2017, L 154, S. 1) aufgehoben und ersetzt, während die Richtlinie 2008/95 mit Wirkung vom 15. Januar 2019 durch die Richtlinie (EU) 2015/2436 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 2015, L 336, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde. |
39 |
In Anbetracht der für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkte bleiben jedoch die Verordnung Nr. 207/2009 und die Richtlinie 2008/95 zeitlich auf die Ausgangsverfahren anwendbar. |
Zur Beantwortung der Vorlagefragen
40 |
Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren (Urteil vom 26. April 2022, Landespolizeidirektion Steiermark [Höchstdauer von Kontrollen an den Binnengrenzen], C‑368/20 und C‑369/20, EU:C:2022:298, Rn. 50 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof kann auch veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 8. September 2022, RTL Television, C‑716/20, EU:C:2022:643, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
41 |
Im vorliegenden Fall sind bei der Beantwortung der Vorlagefragen die in Art. 9 Abs. 2 und Art. 13 der Verordnung Nr. 207/2009 sowie in Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2008/95 vorgesehenen Bestimmungen des Sekundärrechts der Union zu berücksichtigen, da sie die Rechte der Markeninhaber und die Frage der Erschöpfung der Rechte aus der Marke betreffen. |
42 |
Mit seinen Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht somit im Wesentlichen wissen, ob Art. 9 Abs. 2 und Art. 13 der Verordnung Nr. 207/2009 sowie Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2008/95 im Licht der Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass der Inhaber der Marke eines Referenzarzneimittels und der Marke eines Generikums sich dem Inverkehrbringen dieses aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Generikums durch einen Parallelimporteur in einem Mitgliedstaat widersetzen kann, wenn das Generikum in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke des entsprechenden Referenzarzneimittels angebracht wurde. |
43 |
Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 der Inhaber einer Marke mit deren Eintragung ein ausschließliches Recht an ihr erwirbt, das es ihm nach Art. 9 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 5 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2008/95 gestattet, Dritten zu verbieten, ohne seine Zustimmung im geschäftlichen Verkehr ein mit dieser Marke identisches Zeichen für Waren oder Dienstleistungen zu benutzen, die mit denjenigen identisch sind, für die die Marke eingetragen worden ist. |
44 |
Art. 9 Abs. 3 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 5 Abs. 3 der Richtlinie 2008/95 zählen in nicht erschöpfender Weise mehrere Benutzungsformen auf, die der Markeninhaber verbieten kann (Urteil vom 25. Juli 2018, Mitsubishi Shoji Kaisha und Mitsubishi Caterpillar Forklift Europe, C‑129/17, EU:C:2018:594, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
45 |
Vor allem ergibt sich aus diesem Art. 9 Abs. 3 und diesem Art. 5 Abs. 3, dass der Inhaber es Dritten insbesondere verbieten kann, das in Rede stehende Zeichen auf Waren oder deren Verpackung anzubringen sowie Waren unter diesem Zeichen einzuführen und zu vertreiben. |
46 |
Das ausschließliche Recht des Markeninhabers wurde gewährt, um ihm den Schutz seiner spezifischen Interessen als Inhaber dieser Marke zu ermöglichen, d. h. um sicherzustellen, dass die Marke ihre Funktionen erfüllen kann. Die Ausübung dieses Rechts muss daher auf Fälle beschränkt bleiben, in denen die Benutzung des Zeichens durch einen Dritten die Funktionen der Marke beeinträchtigt oder beeinträchtigen kann. Zu diesen Funktionen gehören nicht nur die Hauptfunktion der Marke, d. h. die Gewährleistung der Herkunft der Ware oder Dienstleistung gegenüber den Verbrauchern, sondern auch ihre anderen Funktionen, wie insbesondere die Gewährleistung der Qualität dieser Ware oder dieser Dienstleistung oder die Kommunikations‑, Investitions- oder Werbefunktion (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 25. Juli 2018, Mitsubishi Shoji Kaisha und Mitsubishi Caterpillar Forklift Europe, C‑129/17, EU:C:2018:594, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
47 |
Nach ständiger Rechtsprechung kann das Umpacken einer mit einer Marke versehenen Ware durch einen Dritten ohne Zustimmung des Markeninhabers tatsächliche Gefahren für die Garantie der Herkunft dieser Ware begründen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb, C‑642/16, EU:C:2018:322, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
48 |
Nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2008/95 gewährt die Marke ihrem Inhaber jedoch nicht das Recht, einem Dritten zu verbieten, die Marke für Waren zu benutzen, die unter dieser Marke von ihm oder mit seiner Zustimmung in der Union in den Verkehr gebracht worden sind. Diese Bestimmungen sollen die grundlegenden Belange des Markenschutzes mit denen des freien Warenverkehrs im Binnenmarkt in Einklang bringen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Schweppes, C‑291/16, EU:C:2017:990, Rn. 35). |
49 |
In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die allgemein gefassten Art. 13 der Verordnung Nr. 207/2009 und Art. 7 der Richtlinie 2008/95 zwar die Frage der Erschöpfung des Rechts aus der Marke abschließend regeln, und, wenn die zum Schutz der in Art. 36 AEUV angeführten Belange notwendigen Maßnahmen harmonisiert wurden, alle sie betreffenden nationalen Maßnahmen zwar anhand der Bestimmungen dieser Verordnung oder dieser Richtlinie und nicht anhand der Art. 34 bis 36 AEUV zu beurteilen sind, die Verordnung und die Richtlinie dabei aber, wie jede sekundärrechtliche Regelung der Union, im Licht der Bestimmungen des AEU‑Vertrags über den freien Warenverkehr und insbesondere von Art. 36 AEUV auszulegen sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. Dezember 2017, Schweppes, C‑291/16, EU:C:2017:990, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
50 |
Insbesondere ergibt sich aus Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 207/2009 und aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2008/95, dass der Widerstand des Markeninhabers gegen das Umpacken, der eine Abweichung vom Grundsatz des freien Warenverkehrs darstellt, nicht zulässig ist, wenn die Ausübung des Rechts aus der Marke durch den Markeninhaber eine verschleierte Beschränkung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 36 Satz 2 AEUV darstellt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb, C‑642/16, EU:C:2018:322, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Markenrecht dient nämlich nicht dazu, den Markeninhabern die Möglichkeit zu geben, die nationalen Märkte abzuschotten und dadurch die Beibehaltung der eventuellen Preisunterschiede zwischen den Mitgliedstaaten zu fördern (Urteil vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a., C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282, Rn. 46). |
51 |
Eine solche verschleierte Beschränkung im Sinne von Art. 36 Satz 2 AEUV liegt vor, wenn der Markeninhaber durch die Ausübung seines Rechts, sich dem Umpacken zu widersetzen, zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt und wenn das Umpacken zudem unter Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgt; dies setzt insbesondere voraus, dass das Umpacken den Originalzustand des Arzneimittels nicht beeinträchtigt und den Ruf der Marke nicht schädigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. November 2016, Ferring Lægemidler, C‑297/15, EU:C:2016:857, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb, C‑642/16, EU:C:2018:322, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
52 |
Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass, wenn der Markeninhaber sich dem Vertrieb von durch einen Importeur umgepackten Waren unter seiner Marke unter Berufung auf die Marke nicht widersetzen kann, dies zugleich bedeutet, dass dem Importeur damit eine bestimmte Befugnis eingeräumt wird, die unter normalen Umständen dem Markeninhaber selbst vorbehalten ist. Daher ist dem Importeur diese Befugnis im Interesse des Markeninhabers und zu dessen Schutz vor Missbrauch nur insoweit zuzuerkennen, als er bestimmte weitere Erfordernisse beachtet (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2011, Orifarm u. a., C‑400/09 und C‑207/10, EU:C:2011:519, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
53 |
So kann sich der Inhaber einer Marke nach ständiger Rechtsprechung dem weiteren Vertrieb eines mit seiner Marke versehenen und aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Arzneimittels in einem Mitgliedstaat widersetzen, wenn der Importeur dieses Mittels es umgepackt und diese Marke wieder darauf angebracht hat, es sei denn,
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54 |
Was insbesondere die erste der in der vorstehenden Randnummer des vorliegenden Urteils aufgeführten Voraussetzungen angeht, hat der Gerichtshof entschieden, dass es zur künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beiträgt, wenn sich der Inhaber der Marke einem Umpacken von Arzneimitteln widersetzt, das erforderlich ist, um die parallel importierte Ware im Einfuhrmitgliedstaat vertreiben zu können (Urteil vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 18). |
55 |
Diese Voraussetzung der Erforderlichkeit ist insbesondere dann erfüllt, wenn die zum Zeitpunkt des Vertriebs im Einfuhrmitgliedstaat bestehenden Umstände das Inverkehrbringen des Arzneimittels in der gleichen Verpackung, in der es im Ausfuhrmitgliedstaat vertrieben wird, verhindern und so das Umpacken objektiv erforderlich machen, damit das betreffende Arzneimittel vom Parallelimporteur in diesem Mitgliedstaat vertrieben werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. November 2016, Ferring Lægemidler, C‑297/15, EU:C:2016:857, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung). |
56 |
Dagegen ist die Voraussetzung nicht erfüllt, wenn das Umpacken der Ware seinen Grund ausschließlich darin hat, dass der Parallelimporteur einen wirtschaftlichen Vorteil erlangen möchte (Urteil vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a., C‑348/04, EU:C:2007:249, Rn. 37). |
57 |
Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs trägt es auch zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten bei, wenn der Markeninhaber, der in verschiedenen Mitgliedstaaten das gleiche Arzneimittel unter je nach Mitgliedstaat, in dem dieses Arzneimittel in den Verkehr gebracht wird, unterschiedlichen Marken vertreibt, sich der Ersetzung der im Ausfuhrmitgliedstaat verwendeten Marke durch die von diesem Inhaber im Einfuhrmitgliedstaat verwendete Marke widersetzt, und zwar dann, wenn die Ersetzung objektiv erforderlich ist, damit der Parallelimporteur das Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat vertreiben kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 1999, Upjohn, C‑379/97, EU:C:1999:494, Rn. 19 und 38 bis 40). |
58 |
Im vorliegenden Fall sind die Ausgangsrechtsstreitigkeiten jedoch dadurch gekennzeichnet, dass es sich bei den parallel gehandelten Arzneimitteln um Generika handelt, während die Marken, die von den betreffenden Parallelimporteuren auf den neuen äußeren Verpackungen dieser Arzneimittel angebracht wurden, die Marken der entsprechenden Referenzarzneimittel sind. |
59 |
Unter diesen Umständen ist als Erstes zu prüfen, ob solche Arzneimittel als identisch im Sinne der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung zur Erschöpfung des Rechts aus der Marke angesehen werden können. |
60 |
Zunächst definiert Art. 10 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/83 in der durch die Richtlinie 2004/27 geänderten Fassung das Generikum als „ein Arzneimittel, das die gleiche qualitative und quantitative Zusammensetzung aus Wirkstoffen und die gleiche Darreichungsform wie das Referenzarzneimittel aufweist und dessen Bioäquivalenz mit dem Referenzarzneimittel durch geeignete Bioverfügbarkeitsstudien nachgewiesen wurde“. |
61 |
Sodann ergibt sich, wie der Generalanwalt in Nr. 65 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus dem Wortlaut von Art. 10 Abs. 2 Buchst. b Sätze 2 und 3 dieser Richtlinie, dass sich die Zusammensetzung des Generikums von der des Referenzarzneimittels in Bezug auf die Darreichungsform, die chemische Form des Wirkstoffs und seine Arzneiträgerstoffe unterscheiden kann. |
62 |
Schließlich kann es, wie der Generalanwalt in Nr. 66 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, aus medizinischen Gründen kontraindiziert sein, ein Arzneimittel im Verlauf der Behandlung durch ein gleichwertiges Arzneimittel zu ersetzen, sei es ein Referenzarzneimittel oder ein Generikum. Dies ist insbesondere bei sogenannten „Arzneimitteln mit geringer therapeutischer Breite“ der Fall. |
63 |
Unter diesen Umständen würde die Annahme, dass ein Referenzarzneimittel und sein Generikum, sofern sie aus therapeutischer Sicht gleichwertig sind, identische Waren im Sinne der in Rn. 57 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung darstellen, die Gefahr einer Irreführung von medizinischem Fachpersonal und Patienten über die genaue Zusammensetzung des betreffenden Arzneimittels mit potenziell schwerwiegenden Folgen für die Gesundheit der Patienten bergen. |
64 |
Daher kann nur ein Arzneimittel, das in jeder Hinsicht mit einem anderen Arzneimittel identisch ist, in eine neue äußere Verpackung umgepackt werden, auf der die Marke dieses anderen Arzneimittels angebracht wurde. |
65 |
Dies kann insbesondere bei einem Referenzarzneimittel und einem Generikum der Fall sein, die von demselben Unternehmen oder von wirtschaftlich miteinander verbundenen Unternehmen hergestellt werden und in Wirklichkeit ein und dieselbe Ware darstellen, die unter zwei verschiedenen Regelungen vertrieben wird. |
66 |
In einem solchen Fall können weder der Unterschied der für diese Arzneimittel geltenden rechtlichen Regelung noch die unterschiedliche Wahrnehmung der Arzneimittel durch medizinisches Fachpersonal oder Patienten rechtfertigen, dass sich der Inhaber der betreffenden Marken der Ersetzung der Marke, die er im Ausfuhrmitgliedstaat benutzt, durch die Marke, die er auf den von ihm im Einfuhrmitgliedstaat vertriebenen Arzneimitteln anbringt, widersetzen kann, wenn feststeht, dass die Ersetzung objektiv erforderlich ist, damit diese Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat vertrieben werden können. Andernfalls könnte der Inhaber nämlich zu einer künstlichen Abschottung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten beitragen, indem er ein identisches Arzneimittel mal als Referenzarzneimittel, mal als Generikum vertreibt. |
67 |
Im vorliegenden Fall ist das vorlegende Gericht, wie in den Rn. 16 und 25 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Ansicht, dass das in den Ausgangsverfahren jeweils in Rede stehende Generikum mit dem entsprechenden Referenzarzneimittel identisch sei. |
68 |
Daher ist als Zweites zu prüfen, ob unter Umständen wie denen der Ausgangsverfahren der Widerstand des Markeninhabers gegen die Ersetzung der Marke eines im Ausfuhrmitgliedstaat in den Verkehr gebrachten Generikums durch die Marke des entsprechenden im Einfuhrmitgliedstaat vertriebenen Referenzarzneimittels ein Hindernis für den tatsächlichen Zugang des betreffenden Arzneimittels zum Markt des Einfuhrmitgliedstaats darstellt. |
69 |
Wie sich aus den Rn. 55 und 57 des vorliegenden Urteils ergibt, wäre dies der Fall, wenn das betreffende Arzneimittel im Einfuhrmitgliedstaat unter seiner ursprünglichen Marke nicht vertrieben werden könnte, und so deren Ersetzung objektiv erforderlich gemacht würde, um den freien Verkehr dieses Arzneimittels im Binnenmarkt zu gewährleisten. |
70 |
In einer solchen Situation kann sich der Inhaber einer Marke der Ersetzung dieser Marke durch einen Parallelimporteur nicht widersetzen, wenn dieser nachweisen kann, dass zum Zeitpunkt des Vertriebs der betreffenden Ware bestehende Umstände es objektiv erforderlich machen, die ursprüngliche Marke durch die des Einfuhrmitgliedstaats zu ersetzen, um die Ware in diesem Mitgliedstaat in den Verkehr bringen zu können (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Oktober 1999, Upjohn, C‑379/97, EU:C:1999:494, Rn. 42 und 43), und wenn die Ersetzung zudem unter Beachtung der berechtigten Interessen des Markeninhabers erfolgt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2011, Orifarm u. a., C‑400/09 und C‑207/10, EU:C:2011:519, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung), d. h. im Einklang mit den in den Urteilen vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282), vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), sowie vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb (C‑642/16, EU:C:2018:322) aufgestellten Voraussetzungen. |
71 |
Umgekehrt ist die in Rn. 55 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung der Erforderlichkeit nicht erfüllt, wenn der Parallelimporteur in der Lage ist, die Ware unter ihrer ursprünglichen Marke zu vertreiben, indem er gegebenenfalls die Verpackung anpasst, um den Anforderungen des Marktes des Einfuhrmitgliedstaats zu genügen. In einem solchen Fall ist nämlich der freie Warenverkehr, der, wie sich aus den Rn. 48 und 50 des vorliegenden Urteils ergibt, der Regel der Erschöpfung des Markenrechts im Handel zwischen den Mitgliedstaaten zugrunde liegt, in seinem Wesensgehalt nicht gefährdet und kann daher keinen Vorrang vor den berechtigten Interessen des Markeninhabers haben. |
72 |
Außerdem kann, wie der Generalanwalt in Nr. 73 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ein Mitgliedstaat die Erteilung einer Genehmigung für den Parallelimport eines Generikums, wenn dem entsprechenden Referenzarzneimittel in diesem Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde, grundsätzlich nicht versagen, es sei denn, eine solche Versagung ist aus Gründen des Schutzes der Gesundheit und des Lebens von Menschen gerechtfertigt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. Juli 2019, Delfarma, C‑387/18, EU:C:2019:556, Rn. 26, 29 und 41). Folglich kann die in Rn. 55 des vorliegenden Urteils genannte Voraussetzung der Erforderlichkeit nicht erfüllt sein, wenn ein Generikum in jeder Hinsicht dem Referenzarzneimittel entspricht, für das eine solche Genehmigung erteilt wurde, da in diesem Fall davon auszugehen ist, dass der Parallelimporteur in der Lage ist, das Generikum unter seiner ursprünglichen Marke zu vertreiben. |
73 |
Schließlich kann, wie sich aus Rn. 56 des vorliegenden Urteils ergibt, das Recht des Inhabers einer Marke, sich dem Vertrieb von umgepackten Waren unter dieser Marke durch einen Parallelimporteur zu widersetzen, nicht eingeschränkt werden, wenn die Ersetzung der ursprünglichen Marke durch eine andere Marke des Inhabers ihren Grund ausschließlich in der Verfolgung eines wirtschaftlichen Vorteils hat, wie dies insbesondere dann der Fall ist, wenn ein Wirtschaftsteilnehmer versucht, vom Ruf der Marke eines Referenzarzneimittels zu profitieren oder eine Ware in einer einträglicheren Warengruppe zu positionieren. |
74 |
Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 9 Abs. 2 und Art. 13 der Verordnung Nr. 207/2009 sowie Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2008/95 im Licht der Art. 34 und 36 AEUV dahin auszulegen sind, dass der Inhaber der Marke eines Referenzarzneimittels und der Marke eines Generikums sich dem Inverkehrbringen dieses aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Generikums durch einen Parallelimporteur in einem Mitgliedstaat widersetzen kann, wenn das Generikum in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke des entsprechenden Referenzarzneimittels angebracht wurde, es sei denn, dass die beiden Arzneimittel in jeder Hinsicht identisch sind und für die Ersetzung der Marke die in Rn. 79 des Urteils vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282), in Rn. 32 des Urteils vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), sowie in Rn. 28 des Urteils vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb (C‑642/16, EU:C:2018:322), aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. |
Kosten
75 |
Für die Beteiligten der Ausgangsverfahren ist das Verfahren Teil der bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidungen sind daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig. |
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt: |
Art. 9 Abs. 2 und Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 des Rates vom 26. Februar 2009 über die Unionsmarke in der durch die Verordnung (EU) 2015/2424 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2015 geänderten Fassung sowie Art. 5 Abs. 1 und Art. 7 der Richtlinie 2008/95/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Oktober 2008 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken sind im Licht der Art. 34 und 36 AEUV |
dahin auszulegen, dass |
der Inhaber der Marke eines Referenzarzneimittels und der Marke eines Generikums sich dem Inverkehrbringen dieses aus einem anderen Mitgliedstaat eingeführten Generikums durch einen Parallelimporteur in einem Mitgliedstaat widersetzen kann, wenn das Generikum in eine neue äußere Verpackung umgepackt wurde, auf der die Marke des entsprechenden Referenzarzneimittels angebracht wurde, es sei denn, dass die beiden Arzneimittel in jeder Hinsicht identisch sind und für die Ersetzung der Marke die in Rn. 79 des Urteils vom 11. Juli 1996, Bristol-Myers Squibb u. a. (C‑427/93, C‑429/93 und C‑436/93, EU:C:1996:282), in Rn. 32 des Urteils vom 26. April 2007, Boehringer Ingelheim u. a. (C‑348/04, EU:C:2007:249), sowie in Rn. 28 des Urteils vom 17. Mai 2018, Junek Europ-Vertrieb (C‑642/16, EU:C:2018:322), aufgestellten Voraussetzungen erfüllt sind. |
Unterschriften |
( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.