URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

22. April 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 – Insolvenzverfahren – Art. 4 – Recht, das für das Insolvenzverfahren gilt – Recht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird – Art. 13 – Rechtshandlungen, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen – Ausnahme – Voraussetzungen – Rechtshandlung, für die das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staats der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist – Rechtshandlung, die nach diesem Recht nicht angreifbar ist – Verordnung (EG) Nr. 593/2008 – Auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendendes Recht – Art. 12 Abs. 1 Buchst. b – Geltungsbereich des auf den Vertrag anzuwendenden Rechts – Erfüllung der sich aus dem Vertrag ergebenden Pflichten – Zahlung, die in Erfüllung eines Vertrags erfolgt, der dem Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staats der Verfahrenseröffnung unterliegt – Erfüllung durch einen Dritten – Klage auf Rückgewähr dieser Zahlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens – Auf diese Zahlung anzuwendendes Recht“

In der Rechtssache C‑73/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Bundesgerichtshof (Deutschland) mit Entscheidung vom 23. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Februar 2020, in dem Verfahren

ZM als Insolvenzverwalter der Oeltrans Befrachtungsgesellschaft mbH

gegen

E. A. Frerichs

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta (Berichterstatterin), des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader und des Richters M. Safjan,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von ZM als Insolvenzverwalter der Oeltrans Befrachtungsgesellschaft mbH, vertreten durch Rechtsanwalt J. Froehner,

von E. A. Frerichs, vertreten durch J. van Zuethem, advocaat,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, P. Barros da Costa, L. Medeiros und S. Duarte Afonso als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Wilderspin und H. Leupold als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren (ABl. 2000, L 160, S. 1) und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) (ABl. 2008, L 177, S. 6).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen ZM als Insolvenzverwalter der Oeltrans Befrachtungsgesellschaft mbH und E. A. Frerichs über die Rückgewähr eines Betrags durch Letzteren, den Oeltrans Befrachtungsgesellschaft aufgrund eines Vertrags zwischen E. A. Frerichs und einer zur Oeltrans‑Gruppe gehörenden Gesellschaft an E. A. Frerichs gezahlt hat.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Verordnung Nr. 1346/2000

3

Die Verordnung Nr. 1346/2000 wurde durch die Verordnung (EU) 2015/848 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Mai 2015 über Insolvenzverfahren (ABl. 2015, L 141, S. 19) aufgehoben. Zu dem im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitpunkt war die Verordnung Nr. 1346/2000 jedoch anwendbar.

4

Die Erwägungsgründe 23 und 24 der Verordnung Nr. 1346/2000 lauten:

„(23)

Diese Verordnung sollte für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzen. Soweit nichts anderes bestimmt ist, sollte das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung (lex concursus) Anwendung finden. Diese Kollisionsnorm sollte für Hauptinsolvenzverfahren und Partikularverfahren gleichermaßen gelten. Die lex concursus regelt alle verfahrensrechtlichen wie materiellen Wirkungen des Insolvenzverfahrens auf die davon betroffenen Personen und Rechtsverhältnisse; nach ihr bestimmen sich alle Voraussetzungen für die Eröffnung, Abwicklung und Beendigung des Insolvenzverfahrens.

(24)

Die automatische Anerkennung eines Insolvenzverfahrens, auf das regelmäßig das Recht des Eröffnungsstaats Anwendung findet, kann mit den Vorschriften anderer Mitgliedstaaten für die Vornahme von Rechtshandlungen kollidieren. Um in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Verfahrenseröffnung Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewährleisten, sollten eine Reihe von Ausnahmen von der allgemeinen Vorschrift vorgesehen werden.“

5

In Art. 4 („Anwendbares Recht“) dieser Verordnung heißt es:

„(1)   Soweit diese Verordnung nichts anderes bestimmt, gilt für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Insolvenzrecht des Mitgliedstaats, in dem das Verfahren eröffnet wird, nachstehend ‚Staat der Verfahrenseröffnung‘ genannt.

(2)   Das Recht des Staates der Verfahrenseröffnung regelt, unter welchen Voraussetzungen das Insolvenzverfahren eröffnet wird und wie es durchzuführen und zu beenden ist. Es regelt insbesondere:

m)

welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen.“

6

Art. 13 („Benachteiligende Handlungen“) der Verordnung bestimmt:

„Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe m) findet keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist,

dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates der Verfahrenseröffnung maßgeblich ist und

dass in diesem Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist.“

Verordnung Nr. 593/2008

7

Der 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 593/2008 lautet:

„Die Kollisionsnormen sollten ein hohes Maß an Berechenbarkeit aufweisen, um zum allgemeinen Ziel dieser Verordnung, nämlich zur Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum, beizutragen. Dennoch sollten die Gerichte über ein gewisses Ermessen verfügen, um das Recht bestimmen zu können, das zu dem Sachverhalt die engste Verbindung aufweist.“

8

In Art. 12 („Geltungsbereich des anzuwendenden Rechts“) Abs. 1 dieser Verordnung heißt es:

„Das nach dieser Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht ist insbesondere maßgebend für

b)

die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen,

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

9

Oeltrans Befrachtungsgesellschaft und die Tankfracht GmbH sind Gesellschaften mit Sitz in Deutschland. Sie gehörten zur Oeltrans‑Gruppe.

10

Zwischen Tankfracht und dem in den Niederlanden niedergelassenen E. A. Frerichs bestand ein Vertrag über ein Binnenschiff, aus dem Erstere Letzterem eine Vergütung in Höhe von 8259,30 Euro schuldete. Am 9. November 2010 zahlte Oeltrans Befrachtungsgesellschaft in Erfüllung dieses Vertrags den von Tankfracht geschuldeten Betrag an E. A. Frerichs.

11

Am 29. April 2011 wurde vom Amtsgericht Hamburg (Deutschland) ein Insolvenzverfahren über das Vermögen von Oeltrans Befrachtungsgesellschaft eröffnet. Am 21. Dezember 2014 erhob der ursprüngliche Insolvenzverwalter in diesem Verfahren beim zuständigen Gericht unter dem Gesichtspunkt der Insolvenzanfechtung Klage auf Rückgewähr dieses Betrags von 8259,30 Euro nebst Zinsen. Aufgrund von Versäumnissen dieses Gerichts gelang die Zustellung der Klageschrift an E. A. Frerichs erst im Dezember 2016. Seit dem 25. März 2016 ist ZM Insolvenzverwalter in diesem Verfahren.

12

Da das Landgericht (Deutschland) der Ansicht war, dass für die Klage des Ausgangsverfahrens deutsches Recht gelte, gab es der Klage des Insolvenzverwalters statt.

13

Das Berufungsgericht änderte, ebenfalls auf der Grundlage deutschen Rechts, die Entscheidung des Landgerichts ab und wies die Klage auf die von E. A. Frerichs erhobene Einrede der Verjährung ab.

14

ZM legte beim vorlegenden Gericht, dem Bundesgerichtshof (Deutschland), Revision ein und beantragte die Wiederherstellung des Urteils des Landgerichts.

15

Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts hängt der Erfolg der Revision von der Auslegung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 ab.

16

Nach Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m der Verordnung Nr. 1346/2000 regelt nämlich das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, insbesondere, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen. Das vorlegende Gericht führt aus, dass das Insolvenzverfahren gegen Oeltrans Befrachtungsgesellschaft in Deutschland eröffnet worden sei, so dass die Frage der Anfechtbarkeit der Zahlung des Betrags in Höhe von 8259,30 Euro, die Oeltrans Befrachtungsgesellschaft an E. A. Frerichs geleistet habe, nach deutschem Recht zu beurteilen sei. Nach diesem Recht sei der Klage, mit der es befasst sei, stattzugeben, da entgegen den Feststellungen des Berufungsgerichts der Anspruch, um den es im Ausgangsverfahren gehe, nicht verjährt sei.

17

E. A. Frerichs mache jedoch geltend, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 anwendbar und die Zahlung nach niederländischem Recht zu beurteilen sei, und habe unter Beweis gestellt, dass die Zahlung nach diesem Recht in keiner Weise angreifbar sei.

18

Hierzu stellt das vorlegende Gericht fest, dass der zwischen Tankfracht und E. A. Frerichs geschlossene Vertrag unabhängig von seiner rechtlichen Einordnung dem niederländischen Recht unterliege.

19

Gleichwohl hänge die Frage, ob die erste in Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 genannte Voraussetzung erfüllt sei, nämlich dass für die betreffende benachteiligende Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, maßgeblich sei, in dem von ihm zu entscheidenden Rechtsstreit davon ab, ob nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 die Zahlung, die ein Dritter, vorliegend Oeltrans Befrachtungsgesellschaft, geleistet habe, um die auf diesem Vertrag beruhende Forderung von E. A. Frerichs gegen Tankfracht zu erfüllen, ebenfalls dem niederländischen Recht unterliege.

20

Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 dahin auszulegen, dass das nach der zuletzt genannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgebend ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet?

Zur Vorlagefrage

21

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 dahin auszulegen sind, dass das nach der letztgenannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgeblich ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet, wenn diese Zahlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als Handlung, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt, angefochten wird.

22

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 eine Ausnahme zu der in Art. 4 Abs. 1 der Verordnung festgelegten allgemeinen Regel vorsieht, wonach für das Insolvenzverfahren und seine Wirkungen das Recht des Mitgliedstaats gilt, in dem das Verfahren eröffnet wird (Urteil vom 16. April 2015, Lutz, C‑557/13, EU:C:2015:227, Rn. 34).

23

Gemäß Art. 13 dieser Verordnung findet deren Art. 4 Abs. 2 Buchst. m keine Anwendung, wenn die Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, nachweist, dass für diese Handlung das Recht eines anderen Mitgliedstaats als des Staates, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde, maßgeblich ist und dass im gegebenen Fall diese Handlung in keiner Weise nach diesem Recht angreifbar ist.

24

Wie im 24. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1346/2000 ausgeführt, ist diese Ausnahme, die zum Ziel hat, in den anderen Mitgliedstaaten als dem Staat der Eröffnung des Insolvenzverfahrens Vertrauensschutz und Rechtssicherheit zu gewährleisten, eng auszulegen, und ihre Tragweite darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um dieses Ziel zu erreichen (Urteil vom 15. Oktober 2015, Nike European Operations Netherlands, C‑310/14, EU:C:2015:690, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

In Bezug auf das mit Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 verfolgte Ziel hat der Gerichtshof entschieden, dass dieser Artikel das berechtigte Vertrauen der Person, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurde, schützen soll, indem er vorsieht, dass diese Handlung auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin dem Recht unterliegt, das für sie zum Zeitpunkt ihrer Vornahme galt (Urteil vom 8. Juni 2017, Vinyls Italia, C‑54/16, EU:C:2017:433, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Der Gerichtshof hat ferner entschieden, dass die Art. 4 und 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 gegenüber der Verordnung Nr. 593/2008 als lex specialis anzusehen und im Licht der mit der Verordnung Nr. 1346/2000 verfolgten Ziele auszulegen sind (Urteil vom 8. Juni 2017, Vinyls Italia, C‑54/16, EU:C:2017:433, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Da im vorliegenden Fall das im Ausgangsverfahren fragliche Insolvenzverfahren in Deutschland eröffnet wurde, gilt nach Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1346/2000 für dieses Verfahren und seine Wirkungen das deutsche Recht.

28

Daraus folgt, dass, wie das vorlegende Gericht ausführt, gemäß Art. 4 Abs. 2 Satz 2 Buchst. m dieser Verordnung, wonach das Recht des Mitgliedstaats, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wird, insbesondere regelt, welche Rechtshandlungen nichtig, anfechtbar oder relativ unwirksam sind, weil sie die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligen, die Frage, ob die Zahlung von Oeltrans Befrachtungsgesellschaft an E. A. Frerichs in Höhe von 8259,30 Euro anfechtbar ist, grundsätzlich nach deutschem Recht zu beurteilen ist.

29

Da diese Zahlung jedoch erfolgte, um eine vertragliche Verpflichtung von Tankfracht aus dem mit E. A. Frerichs geschlossenen Vertrag zu erfüllen und dieser Vertrag niederländischem Recht unterliegt, stellt sich für das vorlegende Gericht die Frage, ob für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 diese Zahlung ebenfalls niederländischem Recht unterliegt.

30

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass diese Verordnung nach ihrem 23. Erwägungsgrund für den Insolvenzbereich einheitliche Kollisionsnormen formulieren sollte, die die Vorschriften des internationalen Privatrechts der einzelnen Staaten ersetzen.

31

Im Übrigen ist im Einklang mit den mit Art. 13 dieser Verordnung verfolgten Zielen, wie sie in Rn. 25 des vorliegenden Urteils dargelegt sind, festzustellen, dass eine Partei eines Vertrags, die in Erfüllung dieses Vertrags eine Zahlung erhalten hat, davon ausgehen können muss, dass das auf diesen Vertrag anwendbare Recht auch für diese Zahlung gilt, und zwar auch nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens.

32

Dies gilt auch für den Fall, dass die Zahlung nicht durch den Vertragspartner dieser Partei, sondern durch einen Dritten erfolgt, da für diese Partei offensichtlich ist, dass dieser Dritte mit der betreffenden Zahlung beabsichtigt, die dem Vertragspartner obliegende vertragliche Zahlungsverpflichtung zu erfüllen. In diesem Fall muss die betreffende Partei daher auch erwarten können, dass für die fragliche Zahlung auch nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin das Recht gilt, dem der Vertrag unterliegt, der ihre Rechtsgrundlage bildet.

33

Eine Vertragspartei, die von ihrem Vertragspartner oder von einem Dritten in Erfüllung des Vertrags eine Zahlung erhalten hat, kann nämlich vernünftigerweise nicht verpflichtet sein, vorherzusehen, dass gegen diesen Vertragspartner oder den Dritten eventuell ein Insolvenzverfahren eröffnet wird und in welchem Mitgliedstaat dies gegebenenfalls erfolgen wird.

34

Außerdem würde, wie die portugiesische Regierung und die Europäische Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen geltend gemacht haben, eine gegenteilige Auslegung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 die praktische Wirksamkeit dieser Bestimmung beeinträchtigen und ihrem Zweck zuwiderlaufen, der darin besteht, eine Abweichung von der allgemeinen Regel nach Art. 4 Abs. 1 dieser Verordnung zuzulassen, um u. a. das berechtigte Vertrauen von Personen, die durch eine die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligende Handlung begünstigt wurden, zu schützen, da diese dazu führen würde, dass solche Zahlungen Dritter stets dem Recht des Mitgliedstaats unterliegen würden, in dem das Insolvenzverfahren eröffnet wurde.

35

Im Übrigen wird die Auslegung, wonach für die Zwecke der Anwendung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 die Erfüllung einer Vertragspflicht durch eine Vertragspartei oder einen Dritten dem Recht unterliegt, das für den Vertrag gilt, aus dem sich diese Verpflichtung ergibt, durch den Wortlaut von Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 bestätigt.

36

Gemäß dieser Bestimmung ist das nach der letztgenannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht nämlich insbesondere maßgeblich für die Erfüllung der durch ihn begründeten Verpflichtungen.

37

Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich somit, dass für die Erfüllung einer vertraglichen Zahlungsverpflichtung das Recht maßgeblich ist, dem der Vertrag unterliegt, der die Rechtsgrundlage dieser Vertragspflicht bildet.

38

Im Übrigen sollten, wie im 16. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 593/2008 ausgeführt, die in dieser Verordnung vorgesehenen Kollisionsnormen ein hohes Maß an Berechenbarkeit aufweisen, um zur Verwirklichung des allgemeinen Ziels der Verordnung, nämlich der Rechtssicherheit im europäischen Rechtsraum, beizutragen.

39

Eine Auslegung von Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 dahin gehend, dass das auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Erfüllung einer Verpflichtung aus diesem Vertrag durch eine Vertragspartei oder einen Dritten maßgeblich ist, steht mit diesem Ziel der Rechtssicherheit im Einklang, da sie es ermöglicht, sicherzustellen, dass diese Verpflichtung auch nach der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens weiterhin diesem Recht unterliegt.

40

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 13 der Verordnung Nr. 1346/2000 und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 593/2008 dahin auszulegen sind, dass das nach der letztgenannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgeblich ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet, wenn diese Zahlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als Handlung, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt, angefochten wird.

Kosten

41

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 13 der Verordnung (EG) Nr. 1346/2000 des Rates vom 29. Mai 2000 über Insolvenzverfahren und Art. 12 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung (EG) Nr. 593/2008 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 17. Juni 2008 über das auf vertragliche Schuldverhältnisse anzuwendende Recht (Rom I) sind dahin auszulegen, dass das nach der letztgenannten Verordnung auf einen Vertrag anzuwendende Recht auch für die Zahlung maßgeblich ist, die ein Dritter zur Erfüllung der vertraglichen Zahlungsverpflichtung einer Vertragspartei leistet, wenn diese Zahlung im Rahmen eines Insolvenzverfahrens als Handlung, die die Gesamtheit der Gläubiger benachteiligt, angefochten wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.