URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

10. Juni 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Verbraucherschutz – Haftung für fehlerhafte Produkte – Richtlinie 85/374/EWG – Art. 2 – Begriff ‚fehlerhaftes Produkt‘ – Exemplar einer gedruckten Zeitung mit einem unrichtigen Gesundheitstipp – Ausnahme vom Anwendungsbereich“

In der Rechtssache C-65/20

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Entscheidung vom 21. Januar 2020, beim Gerichtshof eingegangen am 7. Februar 2020, in dem Verfahren

VI

gegen

KRONE – Verlag Gesellschaft mbH & Co KG

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.-C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: G. Hogan,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der KRONE – Verlag Gesellschaft mbH & Co KG, vertreten durch Rechtsanwalt S. Korn,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller, M. Hellmann und U. Bartl als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch A. C. Becker und G. Gattinara als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 15. April 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte (ABl. 1985, L 210, S. 29) in der durch die Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999 (ABl. 1999, L 141, S. 20) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 85/374) im Licht der Art. 1 und 6 dieser Richtlinie.

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen VI, einer österreichischen Staatsangehörigen, und der KRONE – Verlag Gesellschaft mbH & Co KG, einem Presseunternehmen mit Sitz in Österreich, wegen eines Schadenersatzbegehrens von VI in Bezug auf Verletzungen, die daraus resultierten, dass sie einen unrichtigen Gesundheitstipp befolgte, der in einer von diesem Unternehmen herausgegebenen Zeitung veröffentlicht worden war.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

In den Erwägungsgründen 2 bis 4 sowie 6 und 7 der Richtlinie 85/374 heißt es:

„Nur bei einer verschuldensunabhängigen Haftung des Herstellers kann das unserem Zeitalter fortschreitender Technisierung eigene Problem einer gerechten Zuweisung der mit der modernen technischen Produktion verbundenen Risiken in sachgerechter Weise gelöst werden.

Die Haftung darf sich nur auf bewegliche Sachen erstrecken, die industriell hergestellt werden. Folglich sind landwirtschaftliche Produkte und Jagderzeugnisse von der Haftung auszuschließen, außer wenn sie einer industriellen Verarbeitung unterzogen worden sind, die Ursache eines Fehlers dieses Erzeugnisses sein kann. Die in dieser Richtlinie vorzusehende Haftung muss auch für bewegliche Sachen gelten, die bei der Errichtung von Bauwerken verwendet oder in Bauwerke eingebaut werden.

Der Schutz des Verbrauchers erfordert es, dass alle am Produktionsprozess Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft war. ...

...

Damit der Verbraucher in seiner körperlichen Unversehrtheit und seinem Eigentum geschützt wird, ist zur Bestimmung der Fehlerhaftigkeit eines Produkts nicht auf dessen mangelnde Gebrauchsfähigkeit, sondern auf einen Mangel an Sicherheit abzustellen, die von der Allgemeinheit berechtigterweise erwartet werden darf. Bei der Beurteilung dieser Sicherheit wird von jedem missbräuchlichen Gebrauch des Produkts abgesehen, der unter den betreffenden Umständen als unvernünftig gelten muss.

Eine gerechte Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller bedingt, dass es dem Hersteller möglich sein muss, sich von der Haftung zu befreien, wenn er den Beweis für ihn entlastende Umstände erbringt.“

4

Art. 1 der Richtlinie 85/374 bestimmt:

„Der Hersteller eines Produkts haftet für den Schaden, der durch einen Fehler dieses Produkts verursacht worden ist.“

5

Art. 2 der Richtlinie 85/374 lautet:

„Bei der Anwendung dieser Richtlinie gilt als ‚Produkt‘ jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet. Unter ‚Produkt‘ ist auch Elektrizität zu verstehen.“

6

Art. 3 Abs. 1 der 85/374 Richtlinie sieht vor:

„‚Hersteller‘ ist der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.“

7

Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 85/374 bestimmt:

„Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere

a)

der Darbietung des Produkts,

b)

des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

c)

des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht wurde,

zu erwarten berechtigt ist.“

Österreichisches Recht

8

Mit dem Produkthaftungsgesetz (BGBl. Nr. 99/1988) in der Fassung der im BGBl. I Nr. 98/2001 veröffentlichten Änderung (im Folgenden: Produkthaftungsgesetz) wurde die Richtlinie 85/374 in österreichisches Recht umgesetzt.

9

§ 1 Abs. 1 des Produkthaftungsgesetzes bestimmt:

„Wird durch den Fehler eines Produkts ein Mensch getötet, am Körper verletzt oder an der Gesundheit geschädigt oder eine von dem Produkt verschiedene körperliche Sache beschädigt, so haftet für den Ersatz des Schadens

1. der Unternehmer, der es herstellt und in den Verkehr gebracht hat,

...“

10

In § 3 dieses Gesetzes heißt es:

„Hersteller ... ist derjenige, der das Endprodukt, einen Grundstoff oder ein Teilprodukt erzeugt hat, sowie jeder, der als Hersteller auftritt, indem er seinen Namen, seine Marke oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt.“

11

§ 4 dieses Gesetzes lautet:

„Produkt ist jede bewegliche körperliche Sache, auch wenn sie ein Teil einer anderen beweglichen Sache oder mit einer unbeweglichen Sache verbunden worden ist, einschließlich Energie.“

12

§ 5 Abs. 1 dieses Gesetzes bestimmt:

„Ein Produkt ist fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände zu erwarten berechtigt ist, besonders angesichts

1.

der Darbietung des Produkts,

2.

des Gebrauchs des Produkts, mit dem billigerweise gerechnet werden kann,

3.

des Zeitpunkts, zu dem das Produkt in den Verkehr gebracht worden ist.

...“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

13

KRONE – Verlag ist Medieninhaber und Verleger einer Regionalausgabe der „Kronen-Zeitung“.

14

Am 31. Dezember 2016 veröffentlichte sie im „Österreich“-Teil in der Rubrik „Hing‘schaut und g‘sund g‘lebt“ einen Artikel über die Vorzüge einer Auflage aus geriebenem Kren. Dieser Artikel wurde unter dem Namen eines Ordensmitglieds, nämlich des Kräuterpfarrers Benedikt, veröffentlicht, der als Experte auf dem Gebiet der kräuterkundlichen Heilkunst in einer von der Zeitung täglich veröffentlichten Kolumne unentgeltlich Ratschläge erteilt.

15

Der Artikel hatte folgenden Text:

„Rheumaschmerzen lindern

Frisch gerissener Kren kann mithelfen, die im Zuge von Rheuma auftretenden Schmerzen zu verringern. Die betroffenen Zonen werden vorher mit einem fettigen pflanzlichen Öl oder mit Schweineschmalz eingerieben, bevor man den geriebenen Kren darauf legt und anpresst. Diese Auflage kann man durchaus zwei bis fünf Stunden oben lassen, bevor man sie wiederum entfernt. Diese Anwendung besitzt eine gute ableitende Wirkung.“

16

Die im Artikel angeführte Dauer für die Auflage von zwei bis fünf Stunden war jedoch unrichtig; anstelle von „Stunden“ hätte es „Minuten“ heißen müssen.

17

Am 31. Dezember 2016 brachte die Klägerin des Ausgangsverfahrens, die auf die Richtigkeit der im Artikel angeführten Behandlungsdauer vertraute, Kren an ihrem Fußgelenk auf, beließ ihn dort für etwa drei Stunden und entfernte ihn erst, als es bereits zu starken Schmerzen aufgrund einer toxischen Hautreaktion gekommen war.

18

Die Klägerin des Ausgangsverfahrens erhob gegen KRONE – Verlag Klage auf Zahlung von 4400 Euro als Ersatz des ihr durch die Körperverletzung entstandenen Schadens und auf Feststellung, dass der Verlag ihr für alle nachteiligen gegenwärtigen und künftigen Folgen aus dem Vorfall vom 31. Dezember 2016 hafte.

19

Nachdem ihre Klage in erster Instanz und in der Berufungsinstanz abgewiesen worden war, erhob die Klägerin des Ausgangsverfahrens Revision an das vorlegende Gericht.

20

Das vorlegende Gericht führt aus, der bei ihm anhängige Rechtsstreit werfe die Frage auf, ob ein Presseverlag oder ein Zeitungsinhaber nach der Richtlinie 85/374 für die nachteiligen Folgen haftbar gemacht werden könne, die sich aus unrichtigen Angaben ergäben, die in einem Artikel enthalten seien, dessen Veröffentlichung er genehmigt habe.

21

Ein Teil des Schrifttums beschränke die Haftung für fehlerhafte Produkte bei Informationsträgern auf jene Schäden, die durch den Träger als solchen – etwa durch den giftigen Einband eines Buches oder auch die giftige Druckfarbe – verursacht worden seien. Die Haftung für fehlerhafte Produkte sei nach diesem Teil der Lehre auf die Haftung für die Gefährlichkeit der Sache und nicht für den Ratschlag zu beschränken, da geistige Leistungen nicht als „Produkt“ im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 85/374 eingestuft werden könnten. Eine derart weite Auslegung des Begriffs „Produkt“ hätte zur Folge, dass in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie, die eine Haftung unabhängig vom Verschulden des Herstellers vorsehe, jegliche Verschriftlichung geistigen Inhalts fiele. Informationen seien aus dem Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374 auszunehmen, da die Anknüpfung der Haftung für fehlerhafte Produkte an den Umstand, dass die Information auf einem körperlichen Träger festgehalten worden sei, willkürlich sei.

22

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass ein anderer Teil des Schrifttums den Anwendungsbereich dieser Haftung auf die Fälle ausdehnen wolle, in denen Schäden durch eine fehlerhafte geistige Leistung verursacht würden. Zu den „Herstellern“, die für den durch einen Fehler ihres Produkts verursachten Schaden hafteten, gehörten der Verlag, der Autor und die Druckerei. Einem Teil dieser Lehre zufolge muss für Buchautoren, Medieninhaber oder Verlage eine Haftung nach der Richtlinie 85/374 aufgrund des Inhalts eines Druckwerks in Frage kommen, weil dieses gerade wegen seines Inhalts erworben worden sei. Daher beschränkten sich die Erwartungen der Verbraucher an ein solches Produkt nicht auf das Druckwerk als Sache, sondern beträfen auch dessen Inhalt.

23

Unter diesen Umständen hat der Oberste Gerichtshof (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 2 in Verbindung mit Art. 1 und Art. 6 der Richtlinie 85/374 dahin auszulegen, dass als (fehlerhaftes) Produkt auch ein körperliches Exemplar einer Tageszeitung anzusehen ist, die einen fachlich unrichtigen Gesundheitstipp enthält, dessen Befolgung einen Schaden an der Gesundheit verursacht?

Zur Vorlagefrage

24

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 2 der Richtlinie 85/374 im Licht von deren Art. 1 und 6 dahin auszulegen ist, dass ein Exemplar einer gedruckten Zeitung, die im Zuge der Behandlung eines Themas aus dem Umfeld der Medizin einen unrichtigen Gesundheitstipp zur Verwendung einer Pflanze erteilt, durch dessen Befolgung eine Leserin dieser Zeitung an der Gesundheit geschädigt wurde, ein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen ist.

25

Zunächst ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung bei der Auslegung einer Vorschrift des Unionsrechts nicht nur deren Wortlaut, sondern auch der Zusammenhang, in den sie sich einfügt, und die Ziele zu berücksichtigen sind, die mit dem Rechtsakt, zu dem sie gehört, verfolgt werden. Die Entstehungsgeschichte einer Bestimmung des Unionsrechts kann ebenfalls relevante Anhaltspunkte für ihre Auslegung liefern (Urteil vom 9. Oktober 2019, BGL BNP Paribas, C‑548/18, EU:C:2019:848, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Nach Art. 2 der Richtlinie 85/374 gilt als „Produkt“ jede bewegliche Sache, auch wenn sie einen Teil einer anderen beweglichen Sache oder einer unbeweglichen Sache bildet, und auch Elektrizität.

27

Aus dem Wortlaut dieses Artikels ergibt sich, dass Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen können.

28

Diese Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 85/374 wird durch deren Systematik bestätigt. Hierzu ist festzustellen, dass der Begriff „Produkt“ im Sinne dieses Artikels im allgemeinen Kontext der Haftung des Herstellers für diejenigen Schäden definiert wird, die durch die Fehlerhaftigkeit seiner Produkte verursacht wurden.

29

Wie sich aus dem dritten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ergibt, darf sich die in ihr normierte Haftung nur auf bewegliche Sachen erstrecken, die industriell hergestellt werden oder bei der Errichtung von Bauwerken verwendet oder in Bauwerke eingebaut werden.

30

Ausweislich des vierten Erwägungsgrundes dieser Richtlinie erfordert es der Schutz des Verbrauchers, dass alle am Produktionsprozess Beteiligten haften, wenn das Endprodukt oder der von ihnen gelieferte Bestandteil oder Grundstoff fehlerhaft war.

31

In diesem Zusammenhang ergibt sich aus Art. 1 in Verbindung mit dem zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 85/374 der Grundsatz der verschuldensunabhängigen Haftung des „Herstellers“ – das ist nach Art. 3 der Richtlinie der Hersteller des Endprodukts, eines Grundstoffs oder eines Teilprodukts sowie jede Person, die sich als Hersteller ausgibt, indem sie ihren Namen, ihr Warenzeichen oder ein anderes Erkennungszeichen auf dem Produkt anbringt – für den Schaden, der durch einen Fehler seines Produkts verursacht worden ist.

32

Aus den vorstehenden Erwägungen ergibt sich, dass Dienstleistungen nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374 fallen. Um die Frage des vorlegenden Gerichts beantworten zu können, ist jedoch zu prüfen, ob ein – an sich als Dienstleistung einzustufender – Gesundheitstipp, der in eine bewegliche körperliche Sache – im vorliegenden Fall eine gedruckte Zeitung – aufgenommen wird, aufgrund der Tatsache, dass er sich als unrichtig erwiesen hat, dazu führen kann, dass die Zeitung selbst fehlerhaft wird.

33

Ein Produkt ist nach Art. 6 der Richtlinie fehlerhaft, wenn es nicht die Sicherheit bietet, die man unter Berücksichtigung aller Umstände, insbesondere der Darbietung des Produkts, seines Gebrauchs und des Zeitpunkts, zu dem es in den Verkehr gebracht wurde, zu erwarten berechtigt ist. Nach dem sechsten Erwägungsgrund der genannten Richtlinie ist diese Beurteilung anhand der berechtigten Erwartungen der Allgemeinheit vorzunehmen (Urteil vom 5. März 2015, Boston Scientific Medizintechnik, C-503/13 und C-504/13, EU:C:2015:148, Rn. 37).

34

Die Sicherheit, die zu erwarten man nach dieser Bestimmung berechtigt ist, ist damit vor allem unter Berücksichtigung des Verwendungszwecks und der objektiven Merkmale und Eigenschaften des in Rede stehenden Produkts sowie der Besonderheiten der Benutzergruppe, für die es bestimmt ist, zu beurteilen (Urteil vom 5. März 2015, Boston Scientific Medizintechnik, C-503/13 und C-504/13, EU:C:2015:148, Rn. 38).

35

Wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, wird die Fehlerhaftigkeit eines Produkts anhand bestimmter Faktoren ermittelt, die dem Produkt selbst innewohnen und insbesondere mit seiner Darbietung, seinem Gebrauch und dem Zeitpunkt seines Inverkehrbringens zusammenhängen.

36

Im vorliegenden Fall ist festzustellen, dass sich die fragliche Dienstleistung – d. h. der unrichtige Ratschlag – nicht auf die gedruckte Zeitung bezieht, die ihren Träger bildet. Konkret betrifft diese Dienstleistung weder die Darbietung noch den Gebrauch dieser Zeitung. Folglich gehört diese Dienstleistung nicht zu den der gedruckten Zeitung innewohnenden Faktoren, die als Einzige die Beurteilung ermöglichen, ob dieses Produkt fehlerhaft ist.

37

Im Übrigen offenbart der Umstand, dass in der Richtlinie 85/374 keine Bestimmungen darüber enthalten sind, dass für Schäden, die durch eine Dienstleistung verursacht wurden, in Bezug auf die das Produkt nur den körperlichen Träger bildet, die Haftung für fehlerhafte Produkte eingreifen kann, den Willen des Unionsgesetzgebers. Die vom Unionsgesetzgeber vorgenommenen Abgrenzungen des Anwendungsbereichs dieser Richtlinie sind das Ergebnis einer komplexen Abwägung u. a. verschiedener Interessen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Dutrueux, C-495/10, EU:C:2011:869, Rn. 22 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Die Haftung von Dienstleistern und die Haftung von Herstellern von Endprodukten stellen also zwei unterschiedliche Haftungsregelungen dar, da die Tätigkeit von Dienstleistern nicht derjenigen von Herstellern, Importeuren und Lieferanten gleichgesetzt wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Dezember 2011, Dutrueux, C-495/10, EU:C:2011:869, Rn. 32 und 33). Wie sich nämlich auch aus dem von der Kommission am 9. November 1990 vorgelegten Vorschlag KOM(90) 482 endg. für eine Richtlinie des Rates über die Haftung bei Dienstleistungen (ABl. 1991, C 12, S. 8) ergibt, sollte das System der Haftung bei Dienstleistungen aufgrund der Besonderheiten von Dienstleistungen Gegenstand einer gesonderten Regelung sein.

39

Somit fällt ein unrichtiger Gesundheitstipp, der in einer gedruckten Zeitung veröffentlicht wird und der den Gebrauch einer anderen körperlichen Sache betrifft, nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374 und ist nicht geeignet, eine Fehlerhaftigkeit dieser Zeitung zu begründen und nach der genannten Richtlinie die verschuldensunabhängige Haftung des „Herstellers“ auszulösen, ungeachtet dessen, ob es sich bei diesem um den Zeitungsverleger oder deren Druckerei oder um den Autor des Artikels handelt.

40

Würden solche Ratschläge in den Anwendungsbereich der Richtlinie 85/374 fallen, hätte dies nicht nur zur Folge, dass die vom Unionsgesetzgeber getroffene Unterscheidung zwischen Produkten und Dienstleistungen und der Ausschluss Letzterer aus dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie negiert würden, sondern auch, dass Zeitungsverlage verschuldensunabhängig haften würden und keine oder nur eine eingeschränkte Möglichkeit hätten, sich von dieser Haftung zu befreien. Eine solche Folge würde aber dem im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Ziel, eine gerechte Verteilung der Risiken zwischen dem Geschädigten und dem Hersteller sicherzustellen, zuwiderlaufen.

41

Ferner ist in Übereinstimmung mit den Ausführungen der Kommission in ihren schriftlichen Erklärungen klarzustellen, dass die in der Richtlinie 85/374 vorgesehene verschuldensunabhängige Haftung für fehlerhafte Produkte zwar nicht auf eine Rechtssache wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende anwendbar ist, dass aber andere Regelungen der vertraglichen oder außervertraglichen Haftung anwendbar sein können, die wie die Haftung für verdeckte Mängel oder für Verschulden auf anderen Grundlagen beruhen (vgl. entsprechend Urteil vom 25. April 2002, González Sánchez, C-183/00, EU:C:2002:255, Rn. 31).

42

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 der Richtlinie 85/374 im Licht von deren Art. 1 und 6 dahin auszulegen ist, dass ein Exemplar einer gedruckten Zeitung, die im Zuge der Behandlung eines Themas aus dem Umfeld der Medizin einen unrichtigen Gesundheitstipp zur Verwendung einer Pflanze erteilt, durch dessen Befolgung eine Leserin dieser Zeitung an der Gesundheit geschädigt wurde, kein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen ist.

Kosten

43

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 2 der Richtlinie 85/374/EWG des Rates vom 25. Juli 1985 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Haftung für fehlerhafte Produkte in der durch die Richtlinie 1999/34/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 10. Mai 1999 geänderten Fassung ist im Licht der Art. 1 und 6 dieser Richtlinie dahin auszulegen, dass ein Exemplar einer gedruckten Zeitung, die im Zuge der Behandlung eines Themas aus dem Umfeld der Medizin einen unrichtigen Gesundheitstipp zur Verwendung einer Pflanze erteilt, durch dessen Befolgung eine Leserin dieser Zeitung an der Gesundheit geschädigt wurde, kein „fehlerhaftes Produkt“ im Sinne dieser Bestimmungen ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.