SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GIOVANNI PITRUZZELLA

vom 17. März 2022 ( 1 )

Rechtssache C‑713/20

Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank

gegen

X und Y

(Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep [Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer – Verordnung (EG) Nr. 883/2004 – Art. 11 Abs. 3 Buchst. a und e – Person, die in einem Mitgliedstaat wohnt und in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung ausübt – Arbeitsverhältnisse mit einem Leiharbeitsunternehmen – Bestimmung des anwendbaren Rechts in den Zeiträumen zwischen den Arbeitsverhältnissen“

1.

Ist in den zeitlichen Zwischenzeiträumen, in denen der Arbeitnehmer nicht arbeitet und kein Arbeitsvertrag besteht, auf einen Leiharbeitnehmer, der seinen Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem hat, in dem er gewöhnlich arbeitet, das Recht des Beschäftigungsstaats im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 ( 2 ) oder das Recht des Wohnstaats im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung anzuwenden?

2.

Dies ist im Wesentlichen die Frage, die der Gerichtshof in der vorliegenden Rechtssache, die ein Vorabentscheidungsersuchen des Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) im Rahmen zweier verbundener Rechtssachen zwischen zum einen dem Raad van bestuur van de Sociale verzekeringsbank (Verwaltungsrat der Sozialversicherungsanstalt, Niederlande, im Folgenden: SVB) und zum anderen X und Y betrifft, zu beantworten hat.

3.

Die vorliegende Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, den Inhalt der Bestimmung in Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 näher zu erläutern und einen weiteren Beitrag zur Definition der allgemeinen Systematik der Kollisionsnormen in Titel II dieser Verordnung zu leisten.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

4.

Die Verordnung Nr. 883/2004 (im Folgenden: Verordnung Nr. 883/2004) hat mit Wirkung vom 1. Mai 2010 die Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (im Folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) ( 3 ) aufgehoben.

5.

Art. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 883/2004 bestimmt:

„Für die Zwecke dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck:

a)

,Beschäftigung‘ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt;

b)

‚selbstständige Erwerbstätigkeit‘ jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt“.

6.

Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung Nr. 883/2004 umfasst die Art. 11 bis 16.

7.

Art. 11 („Allgemeine Regelung“) dieser Verordnung lautet:

„(1)   Personen, für die diese Verordnung gilt, unterliegen den Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats. Welche Rechtsvorschriften dies sind, bestimmt sich nach diesem Titel.

(2)   Für die Zwecke dieses Titels wird bei Personen, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbstständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen, davon ausgegangen, dass sie diese Beschäftigung oder Tätigkeit ausüben. Dies gilt nicht für Invaliditäts‑, Alters- oder Hinterbliebenenrenten oder für Renten bei Arbeitsunfällen oder Berufskrankheiten oder für Geldleistungen bei Krankheit, die eine Behandlung von unbegrenzter Dauer abdecken.

(3)   Vorbehaltlich der Artikel 12 bis 16 gilt Folgendes:

a)

eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

b)

ein Beamter unterliegt den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, dem die ihn beschäftigende Verwaltungseinheit angehört;

c)

eine Person, die nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats Leistungen bei Arbeitslosigkeit gemäß Artikel 65 erhält, unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

d)

eine zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Person unterliegt den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats;

e)

jede andere Person, die nicht unter die Buchstaben a) bis d) fällt, unterliegt unbeschadet anders lautender Bestimmungen dieser Verordnung, nach denen ihr Leistungen aufgrund der Rechtsvorschriften eines oder mehrerer anderer Mitgliedstaaten zustehen, den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats.“

8.

Die Art. 12 bis 16 der Verordnung Nr. 883/2004 enthalten Sonderregelungen, die für Personen gelten, die entsandt sind (Art. 12), die Tätigkeiten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten ausüben (Art. 13), die sich für eine freiwillige Versicherung oder eine freiwillige Weiterversicherung entschieden haben (Art. 14), die Vertragsbedienstete der Europäischen Organe sind (Art. 15), sowie Ausnahmen von den Art. 11 bis 15 dieser Verordnung (Art. 16).

B.   Niederländisches Recht

9.

Art. 6 der Algemene Ouderdomswet (Gesetz über die allgemeine Altersversicherung, im Folgenden: AOW) sieht Folgendes vor:

„1.   Nach den Bestimmungen dieses Gesetzes ist versichert, wer noch nicht das Rentenalter erreicht hat und

a)

Gebietsansässiger ist;

b)

nicht Gebietsansässiger ist, aber für die Arbeit, die er in den Niederlanden oder auf dem Festlandsockel verrichtet, der Einkommensteuer unterliegt.

3.   Abweichend von den Abs. 1 und 2 dieses Artikels kann der Kreis der Sozialversicherten durch eine Verordnung erweitert oder beschränkt werden.“

10.

Art. 6a AOW bestimmt:

„Gegebenenfalls abweichend von Art. 6 und den darauf beruhenden Vorschriften gilt

a)

als versichert eine Person, deren Versicherung aufgrund dieses Gesetzes sich aus der Anwendung von Bestimmungen eines Vertrags oder Beschlusses einer internationalen Organisation ergibt;

b)

nicht als versichert eine Person, die aufgrund eines Vertrags oder Beschlusses einer internationalen Organisation den Rechtsvorschriften eines anderen Staates unterliegt“.

11.

Nach Art. 13 Abs. 1 Buchst. a AOW werden die Rentenbeträge um 2 % für jedes Kalenderjahr gekürzt, in dem der Rentenberechtigte nach Vollendung des 15. Lebensjahrs, aber vor Vollendung des 65. Lebensjahrs nicht versichert gewesen ist.

12.

Art. 6 der Algemene Kinderbijlagwet (Allgemeines Kindergeldgesetz, im Folgenden: AKW) gibt den Wortlaut von Art. 6 AOW gleichlautend wieder.

13.

Art. 6a AKW lautet:

„Gegebenenfalls abweichend von Art. 6 und den darauf beruhenden Vorschriften gilt

a)

als versichert auch eine Person, deren Versicherung aufgrund dieses Gesetzes sich aus der Anwendung von Bestimmungen eines Vertrags oder Beschlusses einer internationalen Organisation ergibt;

b)

für die Zwecke des Kapitels 3 dieses Gesetzes als ‚Versicherter‘ auch eine Person, die nicht versichert ist und einen Anspruch auf Familienleistungen nach der Verordnung Nr. 883/2004 erworben hat;

c)

eine Person, die aufgrund eines Vertrags oder Beschlusses einer internationalen Organisation den Rechtsvorschriften eines anderen Staates unterliegt, nicht als versichert“.

14.

Art. 11 Abs. 1 AKW hat folgenden Wortlaut:

„Nur eine Person, die am ersten Tag eines Quartals versichert ist, hat Anspruch auf Kindergeld für ein Kind im Sinne dieses Gesetzes.“

15.

Art. 6 („Vorübergehende Unterbrechung der Arbeit in den Niederlanden“) des Besluit uitbreiding en beperking kring van verzekerden volksverzekeringen 1999 vom 24. Dezember 1998 (Verordnung zur Erweiterung und Beschränkung des Kreises der Sozialversicherungspflichtigen 1999, im Folgenden: BUB) sieht Folgendes vor:

„Versichert im Rahmen der Sozialversicherung bleibt eine Person, die nicht in den Niederlanden wohnt, aber ausschließlich in den Niederlanden arbeitet und deren Arbeit vorübergehend unterbrochen wird:

a)

wegen Krankheit, Gebrechen, Schwangerschaft, Mutterschaft oder Arbeitslosigkeit; oder

b)

aus Gründen des Urlaubs, Streiks oder der Aussperrung“.

II. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

A.   Rechtssache zwischen der SVB und X

16.

X, eine niederländische Staatsangehörige, verlegte ihren Wohnort im Jahr 2012 nach Deutschland. Ohne jemals in Deutschland gearbeitet zu haben, arbeitete X seit 2013 mit Unterbrechungen über ein Leiharbeitsunternehmen in den Niederlanden ( 4 ).

17.

Insbesondere geht aus den Akten hervor, dass diese Tätigkeit auf der Grundlage befristeter Leiharbeitsverträge ausgeübt wurde, die eine „Leiharbeitsklausel“ ( 5 ) enthielten, nämlich eine Klausel, nach der das Arbeitsverhältnis mit dem Leiharbeitsunternehmen zu dem Zeitpunkt begann, zu dem der Arbeitnehmer seine Tätigkeit bei dem entleihenden Unternehmen ausübte, und bei Beendigung dieser Tätigkeit endete.

18.

In den Zeiten zwischen den verschiedenen Arbeitsverhältnissen – mit unterschiedlicher Dauer zwischen sechs Tagen und fünf Monaten – blieb X bei mehreren Leiharbeitsunternehmen in den Niederlanden eingeschrieben und übte dort ehrenamtliche Tätigkeiten und Hausarbeit für den Sohn gegen Zahlung eines geringfügigen Entgelts aus.

19.

Am 6. Juli 2015 stellte die SVB X eine Übersicht über die ihr zustehenden Rentenleistungen zur Verfügung. Aus dieser Übersicht ging hervor, dass ihre Rente nach der AOW auf 82 % herabgesetzt wurde, da X nach dem niederländischen Sozialversicherungsrecht nur in den Zeiträumen versichert gewesen sei, in denen sie in den Niederlanden tatsächlich als Leiharbeitnehmerin gearbeitet habe. In den Zeiträumen zwischen den verschiedenen Arbeiten hätten dagegen mangels eines Arbeitsverhältnisses und einer tatsächlichen Tätigkeit die Rechtsvorschriften des Wohnstaats, d. h. die deutschen Rechtsvorschriften, angewandt werden müssen.

20.

Aus der Vorlageentscheidung geht auch hervor, dass X keinen Anspruch auf eine Altersrente in Deutschland hat, weil sie keine Versicherungszeit zurückgelegt hat.

21.

X erhob Beschwerde und beantragte, die Zeiträume zwischen den Tätigkeiten als Leiharbeitnehmerin von der SVB als Versicherungszeiten im Sinne der AOW einzustufen.

22.

Nach Zurückweisung ihrer Beschwerde erhob X Klage bei der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande), die ihrem Antrag mit Urteil vom 3. Oktober 2016 stattgab. Insbesondere entschied die Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande), gestützt auf das Urteil Franzen u. a. ( 6 ), dass die Zeiträume zwischen den Tätigkeiten als Urlaubszeiten oder Zeiten der Arbeitslosigkeit im Sinne der nationalen Rechtsvorschriften, insbesondere Art. 6 BUB, und somit als Zeiträume einzustufen seien, in denen X nach den niederländischen Rechtsvorschriften versichert gewesen sei.

23.

Die SVB legte gegen dieses Urteil Berufung beim Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande), dem vorlegenden Gericht, ein.

B.   Rechtssache zwischen der SVB und Y

24.

Y wohnt mit seiner Familie in Polen und arbeitete ab 2007 mit einigen Unterbrechungen auf der Grundlage verschiedener befristeter Arbeitsverträge mit einem Leiharbeitsunternehmen in den Niederlanden.

25.

Soweit hier von Bedeutung, hat Y mit dem Unternehmen einen befristeten Leiharbeitsvertrag für einen Zeitraum von acht Monaten mit Wirkung vom 20. Juli 2015 geschlossen. In der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 7. Februar 2016 erbrachte Y jedoch keine Arbeitsleistungen und schloss ab dem 8. Februar 2016 einen neuen Arbeitsvertrag mit demselben Leiharbeitsunternehmen.

26.

Mit Bescheid vom 29. März 2016 teilte die SVB Y mit, dass er nach der AKW für die Monate Januar und Februar 2016 keinen Anspruch auf Kindergeld habe, weil er am ersten Arbeitstag dieser Monate in den Niederlanden keine Tätigkeit ausgeübt habe ( 7 ).

27.

Y erhob Beschwerde und beantragte bei der SVB, ihm auch das Kindergeld für die Monate Januar und Februar 2016 zuzuerkennen, wobei er geltend machte, dass er sich in diesem Zeitraum im Urlaub befunden habe und das Arbeitsverhältnis somit fortbestehe.

28.

Nach Zurückweisung seiner Beschwerde wiederholte Y seinen Antrag vor der Rechtbank Amsterdam (Bezirksgericht Amsterdam, Niederlande), die diesen mit Urteil vom 5. Januar 2017 zurückwies und die Beurteilungen der SVB bestätigte.

29.

Y legte gegen dieses Urteil Berufung beim Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande), dem vorlegenden Gericht, ein.

C.   Vorabentscheidungsersuchen

30.

Nachdem der Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) die beiden Rechtssachen in der mündlichen Verhandlung vom 29. Mai 2020 verbunden hatte, erließ er am 17. Dezember 2020 die Vorlageentscheidung.

31.

In der Rechtssache X führt das vorlegende Gericht aus, da der Arbeitsvertrag durch die angeführte Leiharbeitsklausel gekennzeichnet gewesen sei, wonach das Arbeitsverhältnis mit dem Ende der Tätigkeit bei dem entleihenden Unternehmen automatisch beendet werde, habe zwischen einer Arbeitstätigkeit und einer anderen kein Arbeitsverhältnis bestanden.

32.

Das vorlegende Gericht weist auch darauf hin, dass die von X ehrenamtlich und im Rahmen der Familie gegen Zahlung eines geringfügigen Entgelts ausgeübten Tätigkeiten nicht in einem wirtschaftlichen Kontext stünden und keinen Einkommenszweck gehabt hätten. Sie könnten daher nicht als Beschäftigung oder gleichgestellte Tätigkeit angesehen werden.

33.

In Bezug auf Y weist der Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) darauf hin, dass dieser nie bestritten habe, dass das Entgelt in der Zeit vom 1. Januar 2016 bis zum 7. Februar 2016 nicht gezahlt worden sei, und dass der neue Arbeitsvertrag zu einem Zeitpunkt geschlossen worden sei, der vor dem für den vorherigen Vertrag vorgesehenen Ablauf liege. Diese Umstände führten zu der Annahme, dass vom 1. Januar 2016 bis zum 7. Februar 2016 kein Arbeitsverhältnis zwischen Y und dem Leiharbeitsunternehmen bestanden habe.

34.

So weist das vorlegende Gericht darauf hin, dass die beiden Rechtsstreitigkeiten die Frage beträfen, ob X und Y, die ihre Erwerbstätigkeit gewöhnlich in den Niederlanden ausübten, aber in einem anderen Mitgliedstaat wohnten, während der Zeiträume zwischen den beschriebenen Leiharbeitsverhältnissen nach den sozialversicherungsrechtlichen Vorschriften der Niederlande versichert geblieben seien.

35.

Es stelle sich daher die Frage, ob diese Zeiträume Situationen darstellen könnten, die der Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 gleichgestellt seien, und damit die Anwendung der niederländischen Rechtsvorschriften rechtfertigen könnten.

36.

Da feststehe, dass die vorliegenden Fälle nicht unter die in Art. 11 Abs. 3 Buchst. b, c und d der Verordnung Nr. 883/2004 vorgesehenen Situationen fielen, würde eine Verneinung dieser Frage den Schluss erfordern, dass während der Zeiträume die anwendbaren Rechtsvorschriften diejenigen des Wohnstaats im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung seien, d. h. Deutschland in Bezug auf X und Polen in Bezug auf Y.

37.

Unter Hinweis darauf, dass die Frage ungelöst sei, nimmt das vorlegende Gericht auf das angeführte Urteil vom 23. April 2015, Franzen u. a., Bezug, das, obwohl es die Auslegung der Verordnung Nr. 1408/71 betreffe, auch als auf die Verordnung Nr. 883/2004 übertragbar angesehen werde.

38.

Aus einer möglichen Auslegung dieses Urteils – die sich im Wesentlichen auf den Wortlaut seiner Rn. 50 stützt ( 8 ) – ergebe sich, dass Personen, die gewöhnlich in einem Mitgliedstaat arbeiteten, unter Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 fielen, solange sie ihre Tätigkeit nicht endgültig oder vorübergehend beendet hätten. Für die Feststellung einer solchen Beendigung sei jedoch das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses nicht ausschlaggebend. Zu diesem Zweck seien vielmehr unterschiedliche Kriterien im Zusammenhang mit den Merkmalen der Arbeit, mit der Dauer des Zeitraums, in dem die Betroffenen die Arbeit ausübten, mit der Dauer der Zwischenzeiträume und mit der Ausrichtung auf einen einzigen nationalen Arbeitsmarkt zu bestimmen.

39.

Aus einer anderen möglichen Auslegung dieses Urteils ergebe sich hingegen, dass für die Anwendung des Rechts des Beschäftigungsstaats das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses erforderlich sei. Daher unterliege eine Person automatisch den Rechtsvorschriften des Wohnstaats, wenn das Arbeitsverhältnis auch nur vorübergehend beendet werde, und unabhängig vom Ausmaß dieser Unterbrechung.

40.

Das vorlegende Gericht weist außerdem darauf hin, dass die Lösung, die die Anwendbarkeit von Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 auf die Fälle beschränke, in denen ein Arbeitsverhältnis bestehe, es ermögliche, die anzuwendenden Rechtsvorschriften zum Zeitpunkt des Eintritts der Ereignisse mit Sicherheit zu bestimmen. Diese Lösung könne jedoch, auf Fälle wie den vorliegenden angewandt, eine sehr häufige Änderung der anwendbaren Rechtsvorschriften und erhebliche administrative Schwierigkeiten mit sich bringen und so zu einer möglichen Behinderung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer führen.

41.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hat auch die Lösung, nach der unabhängig vom Bestehen eines Arbeitsverhältnisses – anhand von Indizien wie den in der vorstehenden Nr. 38 genannten – zu prüfen sei, ob die Tätigkeit tatsächlich unterbrochen worden sei, Vor- und Nachteile. Die Vorteile wären, dass die Lösung es gestatten würde, die Änderung der anwendbaren Rechtsvorschriften zu vermeiden, wenn die Unterbrechungen zwischen den Arbeitsverhältnissen nur kurz seien. Die Nachteile wären, dass die Lösung aufgrund einer rückblickenden Beurteilung des Sachverhalts, die ex post zu erfolgen habe, durch eine größere Unsicherheit gekennzeichnet wäre.

42.

Unter diesen Umständen hat der Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer, der in einem Mitgliedstaat wohnt und im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats auf der Grundlage eines Leiharbeitsvertrags arbeitet, nach dem das Arbeitsverhältnis mit Beendigung der Überlassung endet und anschließend fortgesetzt wird, in den Zwischenzeiträumen weiterhin den Rechtsvorschriften des letzteren Mitgliedstaats unterliegt, solange er diese Arbeit nicht vorübergehend beendet hat?

2.

Welche Faktoren sind von Bedeutung, um bei dieser Art von Fällen festzustellen, ob eine vorübergehende Beendigung der Tätigkeit vorliegt?

3.

Nach Ablauf welchen Zeitraums ist davon auszugehen, dass ein Arbeitnehmer, der nicht mehr in einem vertraglichen Arbeitsverhältnis steht, seine Tätigkeit im Beschäftigungsstaat – vorbehaltlich konkreter Indizien für das Gegenteil – vorübergehend beendet hat?

III. Rechtliche Würdigung

43.

Meines Erachtens können die drei Vorlagefragen zusammen behandelt werden, da die sich daraus ergebende Frage im Wesentlichen einheitlich ist.

44.

Es steht fest, dass im vorliegenden Fall sowohl X als auch Y in den persönlichen Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 883/2004 fallen und dass die in Rede stehenden Leistungen – nämlich die Altersrente und das Kindergeld – in den sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.

45.

Was den Fall von X angeht, ist, wie bereits oben in den Nrn. 31 und 32 ausgeführt, darauf hinzuweisen, dass die Arbeitsverträge mit dem Leiharbeitsunternehmen durch das Vorliegen einer „Leiharbeitsklausel“ gekennzeichnet waren, nach der das Arbeitsverhältnis mit dem Ende der Tätigkeit beim entleihenden Unternehmen automatisch beendet wird. Aus diesem Grund bestanden diese Arbeitsverhältnisse nach den Feststellungen des Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) in den Zeiträumen zwischen einer Erwerbstätigkeit und einer anderen nicht. Das vorlegende Gericht hat auch ausgeschlossen, dass die von X ehrenamtlich und im Rahmen der Familie gegen Zahlung eines geringfügigen Entgelts ausgeübten Tätigkeiten als Beschäftigung oder gleichgestellte Tätigkeit angesehen werden können.

46.

In Bezug auf Y hat das vorlegende Gericht, wie bereits in Nr. 33 ausgeführt, festgestellt, dass zwischen dem 1. Januar 2016 und dem 7. Februar 2016 kein Arbeitsverhältnis bestand.

47.

Die Ereignisse in Bezug auf X und Y können daher zusammengefasst werden, da beide sich auf Zeiträume beziehen, in denen kein Arbeitsverhältnis bestand und diese Personen, die in einem anderen Staat als dem Staat der gewöhnlichen Beschäftigung wohnten, keine Erwerbstätigkeit ausübten.

48.

Daher kann davon ausgegangen werden, dass das vorlegende Gericht mit seinen Vorlagefragen, die zusammen zu behandeln sind, im Wesentlichen wissen möchte, ob auf X und Y, die ihren Wohnsitz in einem anderen Mitgliedstaat als dem hatten, in dem sie aufgrund von Leiharbeitsverhältnissen gewöhnlich arbeiteten, in den Zwischenzeiträumen, in denen sie keine Erwerbstätigkeit ausübten und in denen diese Arbeitsverhältnisse beendet waren, das Recht des Beschäftigungsstaats im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 oder das Recht des Wohnstaats im Sinne von Art. 11 Abs. 3 Buchst. e dieser Verordnung anzuwenden ist. Die Kommission hat sich für die erste Lösung ausgesprochen. Die SVB und die niederländische Regierung haben dagegen die zweite unterstützt.

49.

Zur Beantwortung der Frage halte ich es für zweckmäßig, zunächst kurz den Rahmen der Verordnung Nr. 883/2004 darzustellen.

50.

Das Ziel der Verordnung Nr. 883/2004, die die Vorschriften der Verordnung Nr. 1408/71 unter Beibehaltung der Zielsetzung dieser Verordnung modernisiert und vereinfacht hat, besteht darin, die Systeme der sozialen Sicherheit in den Mitgliedstaaten zu koordinieren, um sicherzustellen, dass das Recht auf Freizügigkeit wirksam ausgeübt werden kann ( 9 ).

51.

Mit der Verordnung Nr. 883/2004 wird kein gemeinsames System der sozialen Sicherheit geschaffen, sondern sie lässt unterschiedliche nationale Systeme bestehen ( 10 ), indem sie eine Reihe von gemeinsamen Grundsätzen festlegt, denen die Rechtsvorschriften aller Mitgliedstaaten im Bereich der sozialen Sicherheit gerecht werden müssen. Auf diese Weise soll sichergestellt werden, dass Personen, die ihr Freizügigkeits- und Aufenthaltsrecht innerhalb der Union ausüben, durch die unterschiedlichen nationalen Systeme nicht benachteiligt werden, wenn sie von dieser Freiheit Gebrauch machten ( 11 ).

52.

In diesem Kontext enthält Titel II („Bestimmung des anwendbaren Rechts“) der Verordnung Nr. 883/2004 Kollisionsnormen, anhand deren sich bestimmen lässt, welche Rechtsvorschriften auf Sachverhalte anzuwenden sind, die in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen.

53.

Es handelt sich um Kollisionsnormen, die sich auf Anknüpfungsregeln gründen, die denen des internationalen Privatrechts entsprechen. Ihr Ziel ist nämlich die Bestimmung der Rechtsvorschriften, die auf Sachverhalte anwendbar sind, die Anknüpfungspunkte zu verschiedenen Mitgliedstaaten aufweisen, da sie gerade Arbeitnehmer und Selbständige betreffen, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit im Gebiet der Union Gebrauch machen ( 12 ).

54.

Der Gerichtshof hat mehrfach darauf hingewiesen, dass die Vorschriften des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004 ein geschlossenes und einheitliches System von Kollisionsnormen darstellen, mit denen die gleichzeitige Anwendung von Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten vermieden und verhindert werden soll, dass Personen, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fallen, der Schutz auf dem Gebiet der sozialen Sicherheit vorenthalten wird, weil keine nationalen Rechtsvorschriften auf sie anwendbar sind ( 13 ). Mit anderen Worten soll damit zum einen verhindert werden, dass die Wanderarbeitnehmer aufgrund einer negativen Kollision zwischen den nationalen Rechtsvorschriften ohne sozialen Schutz gelassen werden, und zum anderen, dass sie aufgrund einer positiven Kollision gleichartige Leistungen anhäufen oder nach den Rechtsvorschriften mehrerer Mitgliedstaaten beitragspflichtig sind.

55.

Diese Bestimmungen sollen jedoch nicht die inhaltlichen Voraussetzungen für den Beitritt zu einem System der sozialen Sicherheit oder das Vorliegen eines Anspruchs auf die entsprechenden Leistungen festlegen. Es ist grundsätzlich Sache der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten, diese Voraussetzungen festzulegen ( 14 ).

56.

Die Kollisionsnormen der Verordnung Nr. 883/2004 sind für die Mitgliedstaaten zwingend, d. h., sie können nicht bestimmen, inwieweit ihre eigenen Rechtsvorschriften oder die eines anderen Mitgliedstaats anwendbar sind ( 15 ). Sie dürfen daher die Personen, auf die ihre eigenen Rechtsvorschriften nach der Verordnung anwendbar sind, nicht vom Anwendungsbereich dieser Rechtsvorschriften ausschließen ( 16 ).

57.

Um etwaige – positive oder negative – Kollisionen nationaler Rechtsvorschriften zu lösen, sollen die Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004 sicherstellen, dass die Betroffenen dem System der sozialen Sicherheit nur eines Mitgliedstaats unterliegen.

58.

Art. 11 („Allgemeine Regelung“) der Verordnung Nr. 883/2004, der den „Eckpfeiler“ des Systems darstellt, stellt nämlich in Abs. 1 den Grundsatz der Anwendung nur eines Rechts auf.

59.

Wenn eine Person in den in Art. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 definierten persönlichen Geltungsbereich dieser Verordnung fällt, sind somit grundsätzlich die Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats anwendbar, die sich nach den Vorschriften des Titels II dieser Verordnung bestimmen ( 17 ).

60.

Sodann stellt Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004, soweit hier von Bedeutung, den Grundsatz der lex loci laboris auf, indem er bestimmt, dass „eine Person, die in einem Mitgliedstaat eine Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit ausübt, … den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats [unterliegt]“ ( 18 ).

61.

Der Begriff „Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit“ wird in Art. 1 Buchst. a und b der Verordnung Nr. 883/2004 definiert. Nach dieser Bestimmung bezeichnet für die Zwecke dieser Verordnung der Ausdruck „Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit“„jede Tätigkeit oder gleichgestellte Situation, die für die Zwecke der Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit des Mitgliedstaats, in dem die Tätigkeit ausgeübt wird oder die gleichgestellte Situation vorliegt, als solche gilt“.

62.

Aus einer Zusammenschau dieser Bestimmungen ergibt sich somit, dass die Anwendung der lex loci laboris von der Voraussetzung abhängt, dass die Person eine Tätigkeit ausübt, die nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit des fraglichen Staates als „Beschäftigung oder selbstständige Erwerbstätigkeit“ angesehen wird ( 19 ). Ich bin daher der Ansicht, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses – das im Hinblick auf die Rechtsvorschriften in dem Staat, in dem es ausgeübt wird, als solches eingestuft wird – für die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats wesentlich ist.

63.

Das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses ist nur im Ausnahmefall von Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 unerheblich, der den Personen, die eine Beschäftigung oder eine selbständige Erwerbstätigkeit ausüben, diejenigen Personen gleichstellt, die aufgrund oder infolge ihrer Beschäftigung oder selbständigen Erwerbstätigkeit eine Geldleistung beziehen.

64.

Das vorlegende Gericht hat bereits ausdrücklich festgestellt, dass die Situation von X und Y in den Zeiträumen, die zwischen den befristeten Arbeitsverhältnissen liegen, nach den niederländischen Rechtsvorschriften nicht als Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit angesehen wird ( 20 ).

65.

Zum anderen steht fest, dass diese Personen während der fraglichen Zeiträume nicht die in Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2004 genannten Leistungen erhalten haben.

66.

Die Ausführungen in den vorstehenden Absätzen gebieten es, im vorliegenden Fall die Anwendbarkeit des Rechts des Beschäftigungsstaats sowohl nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 als auch nach Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung auszuschließen.

67.

Diese Lösung erscheint am besten geeignet, die Ziele der Verordnung Nr. 883/2004 zu verfolgen. Durch die Koppelung der Zuständigkeit des Beschäftigungsstaats an das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses lässt sich nämlich zum Zeitpunkt des Eintritts der Ereignisse mit sofortiger Wirkung und mit der erforderlichen Sicherheit bestimmen, welches nationale Recht anwendbar ist.

68.

Damit wird die Rechtssicherheit gewahrt, die einen wesentlichen Wert in einem System darstellt, das, wie oben ausgeführt, die Koordinierung der nationalen Rechtsvorschriften und die Vermeidung von Kollisionen zwischen ihnen nach den typischen Schemata des internationalen Privatrechts ermöglichen soll.

69.

Im Übrigen verfolgt diese Verordnung, wie bereits erwähnt, nicht das Ziel, das Bestehen der Ansprüche auf Leistungen der sozialen Sicherheit sicherzustellen, deren Regelung den Mitgliedstaaten überlassen bleibt.

70.

Das Unionsrecht garantiert einem Arbeitnehmer nicht, dass ein Umzug in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat in sozialer Hinsicht neutral ist: Ein solcher Umzug kann aufgrund der Unterschiede, die zwischen den Systemen und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bestehen, für die betreffende Person je nach Einzelfall Vorteile oder Nachteile in diesem Bereich haben ( 21 ).

71.

Daher hat der Umstand, dass die Betroffenen keinen Anspruch auf die in Rede stehende Sozialleistung in ihrem Wohnmitgliedstaat haben, keine Auswirkung auf die Anwendung der Kollisionsnormen des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004. Im Übrigen könnte das Recht des Wohnstaats abstrakt gesehen sehr wohl günstiger sein als das des Beschäftigungsstaats.

72.

Eine Auslegung, die auf die Kriterien betreffend die Merkmale des Arbeitsverhältnisses, die Dauer des Zeitraums, in dem die Betroffenen diese Arbeit ausgeübt haben, die Dauer der Zwischenzeiträume und die Ausrichtung auf einen einzigen Markt – wie sie die Kommission in ihren Erklärungen darlegt – gestützt wäre, wäre Grund für eine größere Fraglichkeit und Unsicherheit und könnte das Entstehen von Kollisionen zwischen nationalen Rechtsvorschriften erleichtern.

73.

Im Übrigen sind die Dauer der Zwischenzeiträume und die etwaige Rückkehr in den früheren Beschäftigungsstaat erst nachträglich bestimmbare Umstände, so dass es während dieser Zeiträume nicht möglich wäre, die anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften zu bestimmen, mit daraus folgenden praktischen Problemen, insbesondere bei der Gewährung von Leistungen – wie z. B. dem Kindergeld –, die nicht von der tendenziell endgültigen Beendigung der Erwerbstätigkeit abhängen.

74.

Nach alledem bin ich der Ansicht, dass die Notwendigkeit, die auf einen einzigen Arbeitnehmer anwendbaren Rechtsvorschriften nicht übermäßig zu fragmentieren ( 22 ), gegenüber den Erfordernissen der Rechtssicherheit, die dem fraglichen Regelungssystem zugrunde liegen, in den Hintergrund tritt.

75.

Insoweit weise ich auch darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber, wann immer er eine solche Fragmentierung verhindern wollte, dies ausdrücklich tat.

76.

Dieser Hinweis betrifft die Regelung in Art. 12 der Verordnung Nr. 883/2004 im Bereich der Entsendung, wonach eine Person, die in einem Mitgliedstaat für Rechnung eines Arbeitgebers, „der gewöhnlich dort tätig ist, [eine Beschäftigung ausübt] und die von diesem Arbeitgeber in einen anderen Mitgliedstaat entsandt wird, um dort eine Arbeit für dessen Rechnung auszuführen, … weiterhin den Rechtsvorschriften des ersten Mitgliedstaats [unterliegt], sofern die voraussichtliche Dauer dieser Arbeit 24 Monate nicht überschreitet und diese Person nicht eine andere entsandte Person ablöst“.

77.

Diese Bestimmung – die den Zweck hat, zu vermeiden, dass ein in einem Mitgliedstaat ansässiges Unternehmen seine normalerweise den Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit dieses Staates unterliegenden Arbeitnehmer beim Träger der sozialen Sicherheit eines anderen Mitgliedstaats anmelden muss, in den sie zur Verrichtung von Arbeiten von begrenzter Dauer entsandt werden ( 23 ) – hat offensichtlich Ausnahmecharakter und kann daher außerhalb der in ihr ausdrücklich vorgesehenen Fälle nicht entsprechend angewandt werden. Sie bezieht sich im Übrigen auf Fälle, die – im Gegensatz zu den Fällen, die Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind – durch das fortdauernde Bestehen der Arbeitsverhältnisse gekennzeichnet sind.

78.

Sodann lässt sich dem angeführten Urteil Franzen meines Erachtens nichts entnehmen, was für die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats auch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses spricht.

79.

Rn. 50 des angeführten Urteils nennt als Voraussetzung für die Anwendung der Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats den Umstand, dass der Betroffene „seine Berufstätigkeit im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt“.

80.

Außerdem hat der Gerichtshof in den Rn. 51 und 52 dieses Urteils den dort vorliegenden Fall von denen unterschieden, die Gegenstand bestimmter früherer Urteile waren ( 24 ), in denen es um eine endgültige oder vorübergehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses ging.

81.

Insbesondere heißt es in Rn. 52, dass „der Zeitraum, in dem die Tätigkeiten im Rahmen von Gelegenheitsarbeit nicht ausgeübt werden, nicht als vorübergehende Beendigung der Beschäftigung angesehen werden [kann]“, da „sich aus den dem Gerichtshof übermittelten Akten [ergibt], dass das Arbeitsverhältnis … ununterbrochen fünf Jahre gedauert hat“.

82.

Daraus folgt, dass der Gerichtshof das fortdauernde Bestehen eines Arbeitsverhältnisses als wesentlich angesehen, aber festgestellt hat, dass die konkreten Modalitäten der Ausübung der Arbeitsleistung nicht relevant sind – so wie im Urteil vom 3. Mai 1990, Kits van Hejningen ( 25 ) –, da die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats auch auf Gelegenheitsarbeit und Teilzeitbeschäftigung Anwendung finden können.

83.

Es ist daher verständlich, dass der Gerichtshof bei dieser Gelegenheit festgestellt hat, dass Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 auch an den Tagen anwendbar war, an denen die Gelegenheitsarbeit nicht ausgeübt wurde, da der Fall, mit dem er befasst war, anders als die vorliegende Rechtssache durch ein ständig aufrechtes Arbeitsverhältnis gekennzeichnet war.

84.

Eine weitere Bestätigung der von mir befürworteten Ansicht findet sich auch im Urteil vom 13. September 2017, X ( 26 ) – ebenfalls zur Verordnung Nr. 1408/71, aber, wie ausgeführt, auf die Verordnung Nr. 883/2004 übertragbar –, zu einer in den Niederlanden arbeitenden Person, die mit ihrem Arbeitgeber einen unbezahlten Urlaub vereinbart hatte und während dieses Urlaubs eine zusätzliche Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hatte.

85.

Nach Rn. 24 dieses Urteils „kann, wenn eine Person während des von ihrem Arbeitgeber bewilligten unbezahlten Urlaubs ihre Arbeitnehmereigenschaft behält, davon ausgegangen werden, dass sie im Sinne des Titels II der Verordnung Nr.1408/71 abhängig beschäftigt ist, auch wenn die sich aus dem Arbeitsverhältnis ergebenden Hauptpflichten während dieses eingegrenzten Zeitraums ruhen“.

86.

Diese Feststellung bestätigt meines Erachtens, dass für die Anwendung der lex loci laboris das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses, unabhängig von einem etwaigen Ruhen der sich daraus ergebenden konkreten Verpflichtungen, stets erforderlich ist ( 27 ).

87.

Im Ergebnis bin ich der Ansicht, dass die Situation, in der sich X und Y in den Zwischenzeiträumen befanden, nicht unter Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 (ebenso wie unter Art. 11 Abs. 2 dieser Verordnung) subsumiert werden kann und dass daher auszuschließen ist, dass auf solche Situationen die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats anwendbar sind.

88.

Außerdem steht fest, dass sich die Betroffenen nicht in den Situationen nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. b, c und d der Verordnung Nr. 883/2004 befanden, die sich auf Beamte, auf Personen, die Leistungen bei Arbeitslosigkeit erhalten, und auf zum Wehr- oder Zivildienst eines Mitgliedstaats einberufene oder wiedereinberufene Personen beziehen.

89.

Daraus ist zu schließen, dass die in Rede stehenden Fälle unter die Auffangbestimmung nach Art. 11 Abs. 3 Buchst. e fallen, der für alle Personen gilt, die nicht unter die Buchst. a bis d dieser Bestimmung fallen ( 28 ), und insbesondere sowohl für Personen, die endgültig jede Berufstätigkeit beendet haben, als auch für Personen, die ihre Tätigkeit nur vorübergehend beendet haben ( 29 ).

90.

Ich weise darauf hin, dass dieses Ergebnis im Einklang mit dem Ziel der Bestimmungen des Titels II der Verordnung Nr. 883/2004 steht, die sicherstellen sollen, dass die betreffenden Personen dem Sozialrecht nur eines Mitgliedstaats unterliegen, nicht aber die Gewährung von Leistungen der sozialen Sicherheit garantieren, die weiterhin davon abhängt, dass die inhaltlichen Voraussetzungen erfüllt sind, die in dem Mitgliedstaat vorgesehen sind, dessen Rechtsvorschriften im vorliegenden Fall anwendbar sind.

91.

Es ist natürlich Sache des nationalen Gerichts, diese Grundsätze konkret anzuwenden, indem es sie auf den vorliegenden Fall anwendet und die nationalen Rechtsvorschriften im Einklang mit dem Unionsrecht auslegt.

IV. Ergebnis

92.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Centrale Raad van Beroep (Berufungsgericht in Sachen der sozialen Sicherheit und des öffentlichen Dienstes, Niederlande) wie folgt zu beantworten.

Art. 11 Abs. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 883/2004 ist dahin auszulegen, dass ein Arbeitnehmer mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, der gewöhnlich seine Erwerbstätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausübt, während der Zeiträume, in denen er nach den Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit dieses Staates keinen bestehenden Arbeitsvertrag hat und keine nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats als Beschäftigung oder selbständige Erwerbstätigkeit zu betrachtende Arbeitsleistung ausübt, nicht weiterhin den Rechtsvorschriften des Beschäftigungsstaats unterliegt. In diesen Zwischenzeiträumen finden hingegen gemäß Art. 11 Abs. 3 Buchst. e der Verordnung Nr. 883/2004 die Rechtsvorschriften des Wohnstaats Anwendung.


( 1 ) Originalsprache: Italienisch.

( 2 ) Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2004, L 166, S. 1, und Berichtigung im ABl. 2004, L 200, S. 1), in der durch die Verordnung (EU) 2019/1149 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 zur Errichtung einer Europäischen Arbeitsbehörde und zur Änderung der Verordnungen (EG) Nr. 883/2004, (EU) Nr. 492/2011 und (EU) 2016/589 sowie zur Aufhebung des Beschlusses (EU) 2016/344 (ABl. 2019, L 186, S. 21) geänderten Fassung.

( 3 ) Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern (ABl. 1971, L 149, S. 2), in der durch die Verordnung (EG) Nr. 118/97 des Rates vom 2. Dezember 1996 zur Änderung und Aktualisierung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, und der Verordnung (EWG) Nr. 574/72 über die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 (ABl. 1997, L 28, S. 1) geänderten Fassung.

( 4 ) Ich weise bereits jetzt darauf hin, dass die beiden Ausgangsverfahren Leiharbeitsverhältnisse betreffen. Bekanntlich handelt es sich um eine Art von Arbeit, die auf Unionsebene durch die Richtlinie 2008/104/EG über Leiharbeit geregelt ist und an der drei Personen beteiligt sind: das Leiharbeitsunternehmen, der Arbeitnehmer und das entleihende Unternehmen. Diese Beziehungen zeichnen sich durch ein Dreiecksschema aus, das auf dem gleichzeitigen Bestehen zweier Verträge beruht: einem Arbeitsvertrag zwischen dem Leiharbeitsunternehmen und dem Arbeitnehmer und einem Vertrag, aufgrund dessen das Leiharbeitsunternehmen dem entleihenden Unternehmen einen oder mehrere Arbeitnehmer zur Verfügung stellt. Diese bleiben also formal von dem Leiharbeitsunternehmen eingestellt und werden von diesem entlohnt, leisten aber ihre Arbeit unter Aufsicht und Leitung des entleihenden Unternehmers. Der Arbeitsvertrag zwischen dem Leiharbeitsunternehmen und dem Arbeitnehmer kann unbefristet oder befristet geschlossen werden. Nur im ersten Fall hat der Arbeitnehmer Anspruch auf eine Verfügbarkeitsentschädigung für die Zeiträume, in denen er auf seine Überlassung an ein entleihendes Unternehmen wartet.

( 5 ) Dieses Vertragsschema ist in Art. 7:691 Abs. 2 des Burgerlijk Wetbook (niederländisches Bürgerliches Gesetzbuch) geregelt.

( 6 ) Urteil vom 23. April 2015, Franzen u. a. (C‑382/13, EU:C:2015:261).

( 7 ) Wie die SVB in ihren Erklärungen (Rn. 19) ausgeführt hat, ist in diesem Zusammenhang auch Art. 59 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 über die Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (ABl. 2009, L 284, S. 1) von Bedeutung, wonach, „[wenn] sich zwischen den Mitgliedstaaten während eines Kalendermonats die Rechtsvorschriften und/oder die Zuständigkeit für die Gewährung von Familienleistungen [ändern], so setzt der Träger, der die Familienleistungen nach den Rechtsvorschriften gezahlt hat, nach denen die Leistungen zu Beginn dieses Monats gewährt wurden, unabhängig von den in den Rechtsvorschriften dieser Mitgliedstaaten für die Gewährung von Familienleistungen vorgesehenen Zahlungsfristen die Zahlungen bis zum Ende des laufenden Monats fort“.

( 8 ) In Rn. 50 des Urteils Franzen hat der Gerichtshof festgestellt, dass „die Rechtsvorschriften des Beschäftigungsmitgliedstaats so lange anwendbar bleiben, wie der Betroffene seine Berufstätigkeit im Gebiet dieses Mitgliedstaats ausübt. Deshalb sind das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses und die Art des Arbeitsverhältnisses, wie z. B. Teilzeit- oder Gelegenheitsarbeit, oder auch die Zahl der vom Arbeitnehmer geleisteten Stunden nicht erheblich“ (Hervorhebung nur hier).

( 9 ) Vgl. Erwägungsgründe 1, 3, 4 und 45 der Verordnung Nr. 883/2004. Vgl. auch Urteile vom 30. September 2021, Raad van bestuur van het Uitvoeringsinstituut werknemersverzekeringen (Uwv) (C‑285/20, EU:C:2021:785, Rn. 42), vom 29. Oktober 2020, Veselības ministrija (C‑243/19, EU:C:2020:872, Rn. 22), und vom 21. März 2018, Klein Schiphorst (C‑551/16, EU:C:2018:200, Rn. 31).

( 10 ) Vgl. Urteile vom 25. November 2021, Finanzamt Österreich (Familienbeihilfe für Entwicklungshelfer) (C‑372/20, EU:C:2021:962, Rn. 71), vom 14. Juni 2016, Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑308/14, EU:C:2016:436, Rn. 67), und vom 21. März 2018, Klein Schiphorst (C‑551/16, EU:C:2018:200, Rn. 44).

( 11 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Cruz Villalón in der Rechtssache Kommission/Vereinigtes Königreich (C‑308/14, EU:C:2015:666, Nr. 49) sowie meine Schlussanträge in der Rechtssache SF (C‑631/17, EU:C:2019:10, Nr. 21).

( 12 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Franzen u. a. (C‑382/13, EU:C:2014:2190, Nr. 63).

( 13 ) Vgl. Urteile vom 3. Juni 2021, TEAM POWER EUROPE (C‑784/19, EU:C:2021:427, Rn. 32), und vom 16. Juli 2020, AFMB (C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) Vgl. Urteil vom 15. Juli 2021, A (Öffentliche Gesundheitsversorgung) (C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Urteil vom 11. Juni 1998, Kuusijärvi (C‑275/96, EU:C:1998:279, Rn. 29).

( 15 ) Vgl. Urteile vom 15. Juli 2021, A (Öffentliche Gesundheitsversorgung) (C‑535/19, EU:C:2021:595, Rn. 48), und vom 25. Oktober 2018, Walltopia (C‑451/17, EU:C:2018:861, Rn. 48).

( 16 ) Vgl. Urteil vom 11. Juni 1998, Kuusijärvi (C‑275/96, EU:C:1998:279, Rn. 30).

( 17 ) Vgl. Urteile vom 3. Juni 2021, TEAM POWER EUROPE (C‑784/19, EU:C:2021:427, Rn. 33), und vom 16. Juli 2020, AFMB (C‑610/18, EU:C:2020:565, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Dieser allgemeine Grundsatz soll sicherstellen, dass alle Arbeitnehmer, die in demselben Staat arbeiten, in den Geltungsbereich derselben Rechtsvorschriften über die soziale Sicherheit fallen und die gleichen Sozialleistungen erhalten (vgl. Urteil vom 6. September 2018, Alpenrind u. a.,C‑527/16, EU:C:2018:669, Rn. 97 und 98). So kann unerwünschten Formen von Lohnkostenwettbewerb und damit einem Druck auf die nationalen Sozialversicherungssysteme entgegengewirkt werden. Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Pikamäe in der Rechtssache AFMB (C‑610/18, EU:C:2019:1010, Nr. 29).

( 19 ) Vgl. hierzu Urteil vom 13. September 2017, X (C‑569/15, EU:C:2017:673, Rn. 23 bis 26).

( 20 ) Vgl. Rn. 4.3 bis 4.7 der Vorlageentscheidung.

( 21 ) Vgl. Urteil vom 19. September 2019, van den Berg u. a. (C‑95/18 und C‑96/18, EU:C:2019:767, Rn. 64). Aus diesem Urteil – das ein Vorabentscheidungsersuchen des Hoge Raad der Nederlanden (Oberster Gerichtshof der Niederlande) im Rahmen desselben Verfahrens betrifft, das zum Urteil vom 23. April 2015, Franzen u. a. geführt hatte, das aber die letzte Instanz erreicht hatte – geht hervor, dass der Beschäftigungsstaat nicht verpflichtet ist, den in einem anderen Mitgliedstaat wohnenden Arbeitnehmer für Zeiträume, für die die Rechtsvorschriften des Wohnstaats nach Titel II der Verordnung Nr. 883/2004 anwendbar sind, in sein Versicherungssystem aufzunehmen.

( 22 ) Vgl. hierzu Urteil vom 17. Dezember 1970, Manpower (C‑35/70, EU:C:1970:120). Zwar wurde in diesem Urteil festgestellt, dass es im Interesse der Wanderarbeitnehmer liegt, nicht während kurzer Zeiträume den Rechtsvorschriften verschiedener Länder unterworfen zu werden, da sie meist dadurch beeinträchtigt würden, dass die nationalen Rechtsvorschriften im Allgemeinen kurze Zeiträume für die Gewährung bestimmter Sozialleistungen ausschließen. Dieses Urteil, das ein Vorabentscheidungsersuchen zu Art. 13 Buchst. a der Verordnung Nr. 3 des Rates vom 25. September 1958 über die Soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer zum Gegenstand hatte, hat jedoch den Arbeitnehmer eines französischen Leiharbeitsunternehmens betroffen, der entsandt wurde, um in einem deutschen Unternehmen zu arbeiten. Es handelte sich somit um ein einziges, festes und andauerndes, Arbeitsverhältnis zwischen dem Arbeitnehmer und dem Leiharbeitsunternehmen (vgl. Rn. 17 bis 19 dieses Urteils), das im Gegensatz zu den vorliegenden Fällen nicht unterbrochen war. Es ist verständlich, dass der Gerichtshof in einer solchen Situation bei einer weiten Auslegung von Art. 13 Buchst. a der oben angeführten Verordnung, der sich ausdrücklich nur auf Fälle der Entsendung bezog, die Auffassung vertreten hat, dass das Recht des Mitgliedstaats anzuwenden ist, in dem das Leiharbeitsunternehmen ansässig war.

( 23 ) Vgl. Urteile vom 3. Juni 2021, TEAM POWER EUROPE (C‑784/19, EU:C:2021:427, Rn. 60), und vom 25. Oktober 2018, Walltopia (C‑451/17, EU:C:2018:861, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 24 ) Verwiesen wurde auf das Urteil vom 11. Juni 1998, Kuusijärvi (C‑275/96, EU:C:1998:279, Rn. 39 und 40) und auf das Urteil vom 11. November 2004, Adanez-Vega (C‑372/02, EU:C:2004:705, Rn. 24).

( 25 ) Vgl. Urteil vom 3. Mai 1990, Kits van Heijningen (C‑2/89, EU:C:1990:183). In den Rn. 14 und 15 dieses Urteils hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 nicht danach unterschied, „ob die Beschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis als Voll- oder Teilzeitbeschäftigung ausgeübt wird“. Deshalb hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 13 Abs. 2 Buchst. a der Verordnung Nr. 1408/71 dahin auszulegen ist, dass eine Person, die in den Geltungsbereich dieser Verordnung fällt und die im Gebiet eines Mitgliedstaats einer Teilzeitbeschäftigung im Lohn- oder Gehaltsverhältnis nachgeht, den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats sowohl während der Tage unterliegt, an denen sie dieser Beschäftigung nachgeht, als auch während der Tage, an denen sie ihr nicht nachgeht.

( 26 ) Vgl. Urteil vom 13. September 2017, X (C‑569/15, EU:C:2017:673).

( 27 ) Vgl. in diesem Sinne auch Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache X (C‑569/15, EU:C:2017:181, Nrn. 31 bis 36).

( 28 ) Vgl. Urteil vom 8. Mai 2019, SF (C‑631/17, EU:C:2019:381, Rn. 40).

( 29 ) Vgl. Urteil vom 11. November 2004, Adanez-Vega (C‑372/02, EU:C:2004:705, Rn. 24).