20.12.2021   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 513/11


Urteil des Gerichtshofs (Zweite Kammer) vom 21. Oktober 2021 (Vorabentscheidungsersuchen des Spetsializiran nakazatelen sad — Bulgarien) — Strafverfahren gegen ZX

(Rechtssache C-282/20) (1)

(Vorlage zur Vorabentscheidung - Justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen - Richtlinie 2012/13/EU - Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren - Art. 6 Abs. 3 - Anspruch der Verdächtigen oder der beschuldigten Personen auf Belehrung über ihre Rechte - Art. 47 und 48 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union - Nationale Rechtsvorschriften, in denen kein Verfahrensweg für die Behebung einer inhaltlichen Unklarheit und Unvollständigkeit der Anklageschrift nach einer vorbereitenden Verhandlung vorgesehen ist)

(2021/C 513/17)

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Spetsializiran nakazatelen sad

Parteien des Ausgangsverfahrens

ZX

Beteiligte: Spetsializirana prokuratura

Tenor

1.

Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2012/13/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2012 über das Recht auf Belehrung und Unterrichtung in Strafverfahren und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass sie nationalen Rechtsvorschriften entgegenstehen, in denen kein Verfahrensweg vorgesehen ist, der es ermöglicht, nach der vorbereitenden Verhandlung in einem Strafverfahren eine inhaltliche Unklarheit und Unvollständigkeit der Anklageschrift, die zur Verletzung des Rechts der beschuldigten Person auf Übermittlung detaillierter Informationen über den Tatvorwurf führt, zu beheben.

2.

Art. 6 Abs. 3 der Richtlinie 2012/13 und Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union sind dahin auszulegen, dass das vorlegende Gericht verpflichtet ist, die nationalen Rechtsvorschriften über die Änderung des Tatvorwurfs, die der Staatsanwaltschaft die Behebung einer inhaltlichen Unklarheit und Unvollständigkeit der Anklageschrift in der Hauptverhandlung unter tatsächlicher und wirksamer Wahrung der Verteidigungsrechte der beschuldigten Person ermöglichen, so weit wie möglich unionsrechtskonform auszulegen. Lediglich in dem Fall, in dem das vorlegende Gericht zu der Auffassung gelangen sollte, dass es keine Möglichkeit einer entsprechenden unionsrechtskonformen Auslegung gibt, hat es die nationale Bestimmung, die eine Aussetzung des Gerichtsverfahrens und eine Zurückverweisung der Sache an die Staatsanwaltschaft zur Erstellung einer neuen Anklageschrift verbietet, unangewendet zu lassen.


(1)  ABl. C 287 vom 31.8.2020.