URTEIL DES GERICHTSHOFS (Große Kammer)

15. Juli 2021 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmenden – Arbeitszeitgestaltung – Mitglieder der Streitkräfte – Anwendbarkeit des Unionsrechts – Art. 4 Abs. 2 EUV – Richtlinie 2003/88/EG – Geltungsbereich – Art. 1 Abs. 3 – Richtlinie 89/391/EWG – Art. 2 Abs. 2 – Tätigkeiten der Militärangehörigen – Begriff ‚Arbeitszeit‘ – Bereitschaftszeit – Rechtsstreit über das Arbeitsentgelt des Arbeitnehmers“

In der Rechtssache C‑742/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) mit Entscheidung vom 10. September 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 10. Oktober 2019, in dem Verfahren

B. K.

gegen

Republika Slovenija (Ministrstvo za obrambo)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Große Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten K. Lenaerts, der Vizepräsidentin R. Silva de Lapuerta, der Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, M. Vilaras, E. Regan und N. Piçarra sowie der Richter T. von Danwitz, M. Safjan, D. Šváby und S. Rodin, der Richterin K. Jürimäe, der Richter C. Lycourgos (Berichterstatter) und P. G. Xuereb, der Richterin L. S. Rossi und des Richters I. Jarukaitis,

Generalanwalt: H. Saugmandsgaard Øe,

Kanzler: R. Șereș, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 21. September 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von B. K., vertreten durch M. Pukšič, odvetnik,

der slowenischen Regierung, vertreten durch A. Grum und A. Dežman Mušič als Bevollmächtigte,

der deutschen Regierung, vertreten durch J. Möller und S. Eisenberg als Bevollmächtigte,

der spanischen Regierung, vertreten durch S. Jiménez García als Bevollmächtigten,

der französischen Regierung, vertreten durch A.-L. Desjonquères, E. de Moustier, N. Vincent, T. Stehelin und A. Ferrand als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch B. Rous Demiri, N. Ruiz García und M. van Beek als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 28. Januar 2021

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (ABl. 2003, L 299, S. 9).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen B. K. und der Republika Slovenija (Ministrstvo za obrambo) (Republik Slowenien [Verteidigungsministerium]) wegen einer Zusatzvergütung für Überstunden.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

Richtlinie 76/207/EWG

3

Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 76/207/EWG des Rates vom 9. Februar 1976 zur Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen hinsichtlich des Zugangs zur Beschäftigung, zur Berufsbildung und zum beruflichen Aufstieg sowie in Bezug auf die Arbeitsbedingungen (ABl. 1976, L 39, S. 40) lautete:

„Die Anwendung des Grundsatzes der Gleichbehandlung beinhaltet, dass bei den Bedingungen des Zugangs – einschließlich der Auswahlkriterien – zu den Beschäftigungen oder Arbeitsplätzen – unabhängig vom Tätigkeitsbereich oder Wirtschaftszweig – und zu allen Stufen der beruflichen Rangordnung keine Diskriminierung auf Grund des Geschlechts erfolgt.“

Richtlinie 89/391/EWG

4

Art. 2 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. 1989, L 183, S. 1) bestimmt:

„(1)   Diese Richtlinie findet Anwendung auf alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche (gewerbliche, landwirtschaftliche, kaufmännische, verwaltungsmäßige sowie dienstleistungs- oder ausbildungsbezogene, kulturelle und Freizeittätigkeiten usw.).

(2)   Diese Richtlinie findet keine Anwendung, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, z. B. bei den Streitkräften oder der Polizei, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen.

In diesen Fällen ist dafür Sorge zu tragen, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.“

Richtlinie 89/656/EWG

5

Art. 1 der Richtlinie 89/656/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Dritte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. 1989, L 393, S. 18) sieht vor:

„(1)   Diese Richtlinie ist die dritte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG; sie legt Mindestvorschriften in bezug auf Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit fest.

(2)   Die Richtlinie 89/391/EWG findet auf den gesamten in Absatz 1 genannten Bereich in vollem Umfang Anwendung, unbeschadet strengerer oder spezifischer Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie.“

6

In Art. 2 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Im Sinne dieser Richtlinie gilt als persönliche Schutzausrüstung jede Ausrüstung, die dazu bestimmt ist, vom Arbeitnehmer benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen ein Risiko oder gegen Risiken zu schützen, die seine Sicherheit oder seine Gesundheit bei der Arbeit beeinträchtigen könnten, sowie jede mit demselben Ziel verwendete Zusatzausrüstung.

(2)   Nicht unter die Definition nach Absatz 1 fallen:

c)

persönliche Schutzausrüstungen für Militär, Polizei und Angehörige von Ordnungsdiensten,

…“

Richtlinie 2003/88

7

Art. 1 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/88 bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt unbeschadet ihrer Artikel 14, 17, 18 und 19 für alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche im Sinne des Artikels 2 der Richtlinie 89/391/EWG.“

8

Art. 2 („Begriffsbestimmungen“) dieser Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie sind:

1.

Arbeitszeit: jede Zeitspanne, während der ein Arbeitnehmer gemäß den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder Gepflogenheiten arbeitet, dem Arbeitgeber zur Verfügung steht und seine Tätigkeit ausübt oder Aufgaben wahrnimmt;

2.

Ruhezeit: jede Zeitspanne außerhalb der Arbeitszeit;

…“

9

Art. 17 Abs. 3 der Richtlinie sieht vor:

„Gemäß Absatz 2 dieses Artikels sind Abweichungen von den Artikeln 3, 4, 5, 8 und 16 zulässig:

b)

für den Wach- und Schließdienst sowie die Dienstbereitschaft, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Sachen und Personen zu gewährleisten, und zwar insbesondere in Bezug auf Wachpersonal oder Hausmeister oder Wach- und Schließunternehmen;

c)

bei Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss …;

…“

Richtlinie 2013/35/EU

10

Art. 1 der Richtlinie 2013/35/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 über Mindestvorschriften zum Schutz von Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer vor der Gefährdung durch physikalische Einwirkungen (elektromagnetische Felder) (20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/40/EG (ABl. 2013, L 179, S. 1) bestimmt:

„(1)   Mit dieser Richtlinie, der 20. Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG, werden Mindestanforderungen für den Schutz der Arbeitnehmer gegen tatsächliche oder mögliche Gefährdungen ihrer Gesundheit und Sicherheit durch Einwirkung von elektromagnetischen Feldern während ihrer Arbeit festgelegt.

(6)   Die Richtlinie 89/391/EWG findet unbeschadet strengerer oder spezifischerer Bestimmungen der vorliegenden Richtlinie für den gesamten in Absatz 1 genannten Bereich weiterhin in vollem Umfang Anwendung.“

11

Art. 10 Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Abweichend von Artikel 3, aber unbeschadet des Artikels 5 Absatz 1 gilt Folgendes:

b)

Die Mitgliedstaaten können gestatten, dass ein gleichwertiges oder spezifischeres Schutzsystem für das Personal angewandt wird, das in operativen militärischen Einrichtungen beschäftigt oder an militärischen Aktivitäten beteiligt ist, einschließlich gemeinsamer internationaler militärischer Übungen, sofern gesundheitsschädliche Wirkungen und Sicherheitsrisiken vermieden werden.

…“

Slowenisches Recht

12

Art. 46 der Kolektivna pogodba za javni sektor (Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (Uradni list RS, Nr. 57/2008 ff.) bestimmte, dass die öffentlichen Bediensteten Anspruch auf eine Bereitschaftsdienstzulage in Höhe von 20 % des Stundensatzes des Grundgehalts haben, ohne dass diese Bereitschaftszeiten als Dienstzeit anzusehen wären.

13

In der Begründung dieses Tarifvertrags hieß es:

„Bereitschaftsdienst bedeutet, dass die öffentlich bedienstete Person erreichbar sein muss, damit sie sich außerhalb ihrer Dienstzeit in den Dienst begeben kann. Bereitschaftsdienst muss schriftlich angeordnet werden. Die Höhe der Bereitschaftsdienstzulage ist unabhängig davon, ob der öffentliche Bedienstete bei Tag, in der Nacht, an einem Werktag, an einem Sonntag oder an einem Feiertag Bereitschaftsdienst leistet, immer gleich.“

14

Art. 5 des Zakon o obrambi (Verteidigungsgesetz) vom 20. Dezember 1994 (Uradni list RS, Nr. 82/94) in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung (im Folgenden: ZObr) sieht in Nr. 14 vor, dass ein Militärangehöriger im Sinne dieses Gesetzes eine Person ist, die Militärdienst leistet, und bestimmt in Nr. 14a, dass es sich bei einem Bediensteten im Sinne dieses Gesetzes um einen Militärangehörigen, eine zivile Person, die hauptberuflich in der Armee tätig ist, oder eine andere Person, die hauptberuflich Verwaltungsaufgaben und fachspezifisch technische Aufgaben im Ministerium erledigt, handelt.

15

Nach Art. 51 ZObr kann ein Militärangehöriger unter bestimmten Voraussetzungen bei der Verrichtung des Wachdienstes Waffen benutzen.

16

Art. 97č des ZObr, der den Wachdienst betrifft, bestimmt:

„(1)   Wachdienste dauern in der Regel ununterbrochen 24 Stunden.

(2)   Für die Militärangehörigen, die Wachdienst leisten, gilt, dass sie zu gestaffelten Dienstzeiten tätig sind. Stunden, in denen sie nicht effektiv Dienst verrichten, gelten nicht als Dienstzeit, sondern als Bereitschaftsdienst am Dienstort.

(3)   Die tägliche Dienstverpflichtung während des Wachdienstes darf zwölf Stunden nicht überschreiten. Im Falle eines außerordentlichen Ereignisses bzw. zwecks Beendigung einer begonnenen Aufgabe kann sich die Dienstzeit des Militärangehörigen ausnahmsweise verlängern, wobei die Stunden, die er nach bereits geleisteten zwölf Stunden effektiven Dienstes erbringt, als Überstunden gelten.

(4)   Die Verrichtung des Wachdienstes kann ununterbrochen höchstens sieben Tage andauern. Die Militärangehörigen haben Anspruch auf eine Ruhepause am Ort, an dem der Wachdienst verrichtet wird, wobei ihnen zwölf Stunden als reguläre Dienstzeit, die übrigen zwölf Stunden aber als Bereitschaftsdienst angerechnet werden.“

17

Art. 97e des ZObr, der den Bereitschaftsdienst betrifft, bestimmt:

„(1)   Bereitschaftsdienst ist jene Zeit, in der sich ein Bediensteter am Dienstort, an einem bestimmten Ort oder zu Hause in Bereitschaft halten muss, um zu arbeiten.

(2)   Der Bereitschaftsdienst zählt nicht zur Stundenanzahl der wöchentlichen bzw. monatlichen Dienstverpflichtung. Falls der Bedienstete während des Bereitschaftsdienstes tatsächlich Dienst verrichten muss, werden diese Stunden des effektiven Dienstes zur Stundenanzahl der wöchentlichen bzw. monatlichen Dienstverpflichtung hinzugerechnet.

(3)   Der Minister legt die Fälle sowie die Art und Weise der Ausübung des Bereitschaftsdienstes in den dienstlichen Räumlichkeiten, an einem bestimmten Ort oder zu Hause fest. Die Fälle sowie die Art und Weise der Ausübung des Bereitschaftsdienstes in der Armee legt der Generalstabschef fest.

(4)   Bereitschaftsdienst an einem bestimmten Ort ist gleichbedeutend mit Bereitschaftsdienst am Dienstort.“

18

Die Pravila službe v Slovenski vojski (Dienstordnung der slowenischen Armee) (Uradni list RS, Nr. 84/09) definieren den Begriff „Wachdienst“ wie folgt:

„Der Wachdienst gilt als Kampfmission in Friedenszeiten…, bei der ein Wachsoldat auch Waffen und tödliche Gewalt gemäß § 51 ZObr nutzen darf. Der Wachdienst wird in Zeitblöcken (im Rahmen eines Zeitraums von sieben Tagen mit ständiger Präsenz, d. h. 24 Stunden pro Tag Präsenz am Arbeitsplatz) im Hinblick auf eine angemessene Arbeitsorganisation geleistet. Der Wachdienst wird auf der Ebene der Militäreinheit organisiert, die auch dafür sorgt, dass Personen in ein und derselben Abteilung in gleicher Weise zur Verrichtung der Wachdienste herangezogen werden. Der Wachdienst hat besondere militärische und strategische Bedeutung. Die Gewährleistung der durchgehenden Einsatzbereitschaft ist eine grundlegende Aufgabe der Armee in Friedenszeiten. Um ein angemessenes Maß an Vorbereitung in Friedenszeiten zu gewährleisten, stellt die Armee ständige Einsatzkräfte und ständige Maßnahmen zum Einschreiten bereit. Mit den ständigen Einsatzkräften kann sichergestellt werden, dass die Armee ununterbrochen in der Lage ist und alle Möglichkeiten hat, um in der Republik Slowenien militärisch und nicht militärisch an Land, auf See und in der Luft einzugreifen. Die Verteidigungskräfte gehören zu den ständigen Einsatzkräften.

Der Wachdienst wird durch eine bewaffnete Einheit oder eine militärische Gruppe wahrgenommen, die den physischen Schutz von Personen, Einrichtungen, Vermögenswerten und Territorium gewährleistet. …

Die allgemeinen Verpflichtungen der Wachleute bestehen darin, mit Wachsamkeit zu schützen und zu verteidigen, was ihnen anvertraut ist (Anlagen, Personen usw.), ihre Waffe nicht aus der Hand zu lassen und ständig bereit zu sein, davon Gebrauch zu machen, den Wachposten nicht zu verlassen, bis jemand sie ersetzt hat, niemandem, abgesehen von einem Vorgesetzten, einem stellvertretenden Befehlshaber oder einem Wachkommandanten, einem diensthabenden Offizier oder einem für die Aufsicht Verantwortlichen Zutritt zum Wachposten oder zum bewachten Gebäude oder zu einem verbotenen Bereich zu gewähren. Darüber hinaus müssen Wachleute Personen, wie dies für bestimmte Wachposten vorgesehen ist, festhalten, Kontakt halten und nur mit dem Wachkommandanten und anderen Wachorganen kommunizieren, den Wachkommandanten und im Fall einer Störung oder eines Brands in der Nähe zu informieren, wenn eine Gefahr für das bewachte Objekt oder die Streitkräfte aufgrund von Naturkatastrophen oder anderen Katastrophen besteht, wenn sie krank werden oder anderweitig Unterstützung brauchen.

Die Sicherheitskräfte gewährleisten die Sicherheit von Einrichtungen, Dokumenten, Personen, Waffen und militärischen Ausrüstungsgegenständen, Munition und anderem Material gegen verschiedene Bedrohungsformen. …“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

19

Im Zeitraum von Februar 2014 bis Juli 2015 leistete B. K. in seiner Eigenschaft als Unteroffizier der slowenischen Armee einen ununterbrochenen „Wachdienst“ von sieben Tagen pro Monat, in dem er in der Kaserne, in der er eingesetzt war, erreichbar und ständig präsent sein musste. Dieser „Wachdienst“ umfasste sowohl Zeiträume, in denen B. K. eine tatsächliche Überwachungstätigkeit ausüben sollte, als auch Zeiträume, in denen B. K. nur verpflichtet war, sich in Bereitschaft für seine Vorgesetzten zu halten. Im Fall des unangekündigten Erscheinens der Militärpolizei, der Inspektion oder einer Einsatzgruppe musste er dies auf dem Meldeformular vermerken und die Befehle ausführen, die ihm seine Vorgesetzten erteilten.

20

Das Verteidigungsministerium war der Ansicht, dass für jeden dieser Tage des „Wachdienstes“ acht Stunden als Dienstzeit anzusehen seien, so dass es B. K. das normale Gehalt für diese acht Dienststunden zahlte. Für die übrigen Stunden erhielt B. K. nur eine Bereitschaftsdienstzulage in Höhe von 20 % des Grundgehalts.

21

B. K. erhob bei den slowenischen Gerichten Klage, mit der er beantragte, ihm die Stunden, in denen er während des „Wachdienstes“ keine effektive Tätigkeit im Dienst seines Dienstgebers verrichtet habe, aber gezwungen gewesen sei, sich innerhalb der Kaserne in Bereitschaft für seine Vorgesetzten zu halten und von seinem Wohnort und seiner Familie entfernt zu sein, als Überstunden zu vergüten.

22

Nachdem seine Klage in erster und zweiter Instanz abgewiesen worden war, legte B. K. beim vorlegenden Gericht Revision ein.

23

Das vorlegende Gericht weist erstens darauf hin, dass die Richtlinie 2003/88 nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 2 der Richtlinie 89/391 nicht anwendbar sei, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst zwingend entgegenstünden. Das vorlegende Gericht vertritt unter Bezugnahme auf das Urteil vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a. (C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584), die Auffassung, dass diese Ausnahme nur vorgesehen worden sei, um das ordnungsgemäße Funktionieren der Dienste zu gewährleisten, die in Situationen von besonderem Ausmaß, die dadurch gekennzeichnet seien, dass eine Arbeitszeitplanung für die Einsatz- und Rettungsteams nicht möglich sei, für den Schutz der öffentlichen Sicherheit, Gesundheit und Ordnung absolut unerlässlich seien.

24

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass im vorliegenden Fall B. K. seine gewöhnliche Arbeit, d. h. einen „Wachdienst“ in Friedenszeiten, ordnungsgemäß versehen habe, ohne dass in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum irgendein unvorhersehbarer Umstand oder auch nur die geringste außergewöhnliche Situation eingetreten sei. Daher ist nach Ansicht dieses Gerichts die Arbeitszeitplanung des Betroffenen keineswegs unmöglich gewesen.

25

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob die in Art. 2 der Richtlinie 89/391 vorgesehene Ausnahme allgemein gegenüber den Militärangehörigen in Friedenszeiten und den Bediensteten des Verteidigungssektors geltend gemacht werden kann.

26

Zweitens möchte das vorlegende Gericht für den Fall, dass die Richtlinie 2003/88 im vorliegenden Fall anwendbar sein sollte, wissen, ob die Zeiträume, in denen B. K. während seines „Wachdienstes“ keine effektive Tätigkeit im Dienst seines Dienstgebers verrichtet hat, aber verpflichtet war, sich innerhalb der Kaserne für seine Vorgesetzten in Bereitschaft zu halten, als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 dieser Richtlinie anzusehen sind.

27

Nachdem das vorlegende Gericht betont hat, dass diese Frage zu bejahen sein dürfte, weist es darauf hin, dass solche Zeiten nach slowenischem Recht ebenso wie die Zeiträume, in denen ein Militärangehöriger an seinem Wohnsitz bleiben müsse, nicht zur Arbeitszeit zählten und dass für diese beiden Zeiträume gleich hohes Entgelt vorgesehen sei, was nach Ansicht des vorlegenden Gerichts nicht mit der Richtlinie 2003/88 vereinbar ist.

28

Unter diesen Umständen hat der Vrhovno sodišče (Oberster Gerichtshof, Slowenien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Findet Art. 2 der Richtlinie 2003/88 auch auf die im Verteidigungsbereich tätigen Bediensteten bzw. die Militärangehörigen, die Wachdienst zu Friedenszeiten leisten, Anwendung?

2.

Steht Art. 2 der Richtlinie 2003/88 einer nationalen Regelung entgegen, wonach der Bereitschaftsdienst von Bediensteten, die im Verteidigungsbereich tätig sind, am Dienstort oder an einem bestimmten Ort (also nicht zu Hause) bzw. die Anwesenheit von Militärangehörigen, die im Verteidigungsbereich in der Zeit der Wache im Einsatz sind, in der diese Militärangehörigen zwar keinen effektiven Dienst verrichten, aber physisch in der Kaserne anwesend sein müssen, nicht als Dienstzeit gilt?

Zu den Vorlagefragen

Zur Zulässigkeit

29

Mit seinen Vorlagefragen möchte das vorlegende Gericht wissen, ob bestimmte Zeiträume, in denen sowohl Militärangehörige als auch das im Verteidigungsbereich tätige Zivilpersonal ihren Vorgesetzten im Bedarfsfall weiterhin zur Verfügung stehen müssen, als „Arbeitszeit“ im Sinne von Art. 2 dieser Richtlinie angesehen werden können.

30

Es steht fest, dass der Ausgangsrechtsstreit nur einen Militärangehörigen betrifft. Daher ist festzustellen, dass die Vorlagefragen, soweit sie den Fall des im Verteidigungsbereich tätigen Zivilpersonals betreffen, in keinem Zusammenhang mit dem Gegenstand des Ausgangsrechtsstreits stehen und daher nach ständiger Rechtsprechung unzulässig sind (Urteil vom 2. Februar 2021, Consob, C‑481/19, EU:C:2021:84, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

Zur ersten Frage

31

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Rechtsstreits sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 7. August 2018, Smith, C‑122/17, EU:C:2018:631, Rn. 34 und die dort angeführte Rechtsprechung).

32

Insoweit ist zum einen darauf hinzuweisen, dass zur Klärung der Vorlagefrage, ob Art. 2 der Richtlinie 2003/88 auf eine Wachdiensttätigkeit eines Militärangehörigen in Friedenszeiten wie den von B. K. unter den in Rn. 19 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen geleisteten „Wachdienst“ anwendbar ist, geprüft werden muss, ob eine solche Tätigkeit in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt, der nicht durch ihren Art. 2, sondern durch ihren Art. 1 Abs. 3 festgelegt ist.

33

Zum anderen geht das vorlegende Gericht von der Prämisse aus, dass der Ausgangsrechtsstreit in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fällt. Da dieser Rechtsstreit einen Militärangehörigen betrifft, ist jedoch vorab zu prüfen, ob es zutrifft, dass, wie die französische und die spanische Regierung vorgetragen haben, das Unionsrecht nicht dazu gedacht ist, die Arbeitszeitgestaltung der Militärangehörigen zu regeln, weil diese Arbeitszeitgestaltung zu den Organisationsmodalitäten der Streitkräfte der Mitgliedstaaten gehöre, die ihrem Wesen nach gemäß Art. 4 Abs. 2 EUV vom Anwendungsbereich dieses Rechts ausgeschlossen seien.

34

Unter diesen Umständen ist, um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, die es ihm ermöglicht, den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zu entscheiden, die erste Frage umzuformulieren und davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht damit wissen möchte, ob Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV dahin auszulegen ist, dass die von einem Militärangehörigen in Friedenszeiten ausgeübte Wachdiensttätigkeit vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgenommen ist.

35

Als Erstes ist zu prüfen, ob Art. 4 Abs. 2 EUV verlangt, die Mitglieder der Streitkräfte zur Gänze vom Anwendungsbereich des Unionsrechts, insbesondere von den Vorschriften über die Arbeitszeitgestaltung, auszuschließen.

36

Nach Art. 4 Abs. 2 EUV achtet die Union zum einen die Gleichheit der Mitgliedstaaten vor den Verträgen und ihre jeweilige nationale Identität, die in ihren grundlegenden politischen und verfassungsmäßigen Strukturen zum Ausdruck kommt, und zum anderen die grundlegenden Funktionen des Staates, insbesondere die Wahrung der territorialen Unversehrtheit, die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung und den Schutz der nationalen Sicherheit. Nach dieser Bestimmung bleibt die nationale Sicherheit in der alleinigen Verantwortung jedes Mitgliedstaats.

37

Hierzu ist festzustellen, dass die Hauptaufgaben der Streitkräfte der Mitgliedstaaten, nämlich die Wahrung der territorialen Unversehrtheit und der Schutz der nationalen Sicherheit, ausdrücklich zu den grundlegenden Funktionen des Staates gehören, die die Union nach Art. 4 Abs. 2 EUV zu achten hat.

38

Im Übrigen ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass Entscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der militärischen Organisation, die die Verteidigung ihres Hoheitsgebiets oder ihrer unabdingbaren Interessen zum Ziel haben, als solche nicht unter das Unionsrecht fallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. März 2003, Dory, C‑186/01, EU:C:2003:146, Rn. 35).

39

Allerdings leitet sich aus der in Art. 4 Abs. 2 EUV verankerten Achtung der grundlegenden Funktionen des Staates durch die Union nicht ab, dass die Entscheidungen der Mitgliedstaaten hinsichtlich der Organisation ihrer Streitkräfte dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen wären, insbesondere wenn es um Vorschriften über die Arbeitszeitgestaltung geht.

40

Denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist es zwar Sache der Mitgliedstaaten, ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen festzulegen und die geeigneten Maßnahmen zu ergreifen, um ihre innere und äußere Sicherheit zu gewährleisten, einschließlich der Entscheidungen hinsichtlich der Organisation ihrer Streitkräfte, doch kann die bloße Tatsache, dass eine nationale Maßnahme zum Schutz der nationalen Sicherheit getroffen wurde, nicht dazu führen, dass das Unionsrecht unanwendbar ist und die Mitgliedstaaten von der erforderlichen Beachtung dieses Rechts entbunden werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar, C‑273/97, EU:C:1999:523, Rn. 15, vom 11. Januar 2000, Kreil, C‑285/98, EU:C:2000:2, Rn. 15, sowie vom 6. Oktober 2020, Privacy International, C‑623/17, EU:C:2020:790, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Das Gleiche muss für nationale Maßnahmen gelten, die zur Wahrung der territorialen Unversehrtheit eines Mitgliedstaats erlassen werden.

41

Im Übrigen steht diese Feststellung, wie der Generalanwalt in den Nrn. 44 und 45 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nicht im Widerspruch zum Urteil vom 11. März 2003, Dory (C‑186/01, EU:C:2003:146).

42

Während nämlich die Einführung einer Wehrpflicht, um die es sich in der Rechtssache handelte, in der jenes Urteil ergangen ist, keine vom Unionsrecht erfasste Frage ist, ist die Arbeitszeitgestaltung ein Bereich, der gemäß Art. 153 Abs. 2 AEUV durch die Richtlinie 2003/88 harmonisiert wurde.

43

Auch wenn die der Union obliegende Achtung der grundlegenden Funktionen des Staates nicht bedeutet, dass die Arbeitszeitgestaltung der Militärangehörigen vollständig dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen wird, verlangt Art. 4 Abs. 2 EUV gleichwohl, dass die Anwendung der Unionsvorschriften über die Arbeitszeitgestaltung auf die Militärangehörigen nicht dazu führt, die ordnungsgemäße Erfüllung dieser grundlegenden Funktionen zu behindern. Daher dürfen diese Vorschriften nicht so ausgelegt werden, dass sie die Streitkräfte an der Erfüllung ihrer Aufgaben hindern und folglich die grundlegenden Funktionen des Staates, nämlich die Wahrung seiner territorialen Unversehrtheit und den Schutz der nationalen Sicherheit, beeinträchtigen.

44

Daraus folgt, dass die Besonderheiten, die jeder Mitgliedstaat der Arbeitsweise seiner Streitkräfte vorbehält, vom Unionsrecht gebührend zu berücksichtigen sind und dass sich diese Besonderheiten u. a. aus den besonderen internationalen Verantwortlichkeiten dieses Mitgliedstaats, aus Konflikten oder Bedrohungen, denen er sich stellen muss, oder aber aus dem geopolitischen Kontext, in dem sich dieser Staat bewegt, ergeben.

45

Somit kann die Anwendung der Bestimmungen des Unionsrechts und insbesondere der Bestimmungen über die Arbeitszeitgestaltung nicht die Erfüllung der besonderen Aufgaben verhindern, die jeder Mitgliedstaat in Anbetracht seiner Sachzwänge und seiner eigenen Verantwortlichkeiten seinen Streitkräften übertragen hat, um seine territoriale Unversehrtheit zu wahren oder seine nationale Sicherheit zu schützen.

46

Nach alledem bewirkt Art. 4 Abs. 2 EUV nicht, dass die Arbeitszeitgestaltung sämtlicher Militärangehörigen vom Anwendungsbereich des Unionsrechts ausgenommen ist.

47

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass mit der Richtlinie 2003/88 Mindestvorschriften festgelegt werden sollen, um die Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeitnehmer durch eine Angleichung namentlich der innerstaatlichen Arbeitszeitvorschriften zu verbessern. Diese Harmonisierung der Arbeitszeitgestaltung auf der Ebene der Europäischen Union bezweckt, durch die Gewährung von – u. a. täglichen und wöchentlichen – Mindestruhezeiten und angemessenen Ruhepausen sowie durch die Festlegung einer Obergrenze für die wöchentliche Arbeitszeit einen besseren Schutz der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 25 und die dort angeführte Rechtsprechung).

48

Im Übrigen präzisieren die Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 das in Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ausdrücklich verbürgte Grundrecht auf eine Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche und wöchentliche Ruhezeiten und sind daher im Licht der Charta auszulegen (Urteil vom 17. März 2021, Academia de Studii Economice din Bucureşti, C‑585/19, EU:C:2021:210, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung). Daraus folgt insbesondere, dass diese Bestimmungen nicht zu Ungunsten der Rechte, die sie dem Arbeitnehmer gewährt, restriktiv ausgelegt werden dürfen (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

Insoweit ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass der Begriff „Arbeitnehmer“ für die Zwecke der Anwendung der Richtlinie 2003/88 anhand objektiver Kriterien zu definieren ist, die das Arbeitsverhältnis unter Berücksichtigung der Rechte und Pflichten der betroffenen Personen kennzeichnen. Das wesentliche Merkmal des Arbeitsverhältnisses besteht darin, dass eine Person während einer bestimmten Zeit für eine andere nach deren Weisung Leistungen erbringt, für die sie als Gegenleistung eine Vergütung erhält. Hieraus folgt, dass ein Arbeitsverhältnis das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses zwischen dem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber voraussetzt. Ob ein solches gegeben ist, muss in jedem Einzelfall anhand aller Gesichtspunkte und aller Umstände, die die Beziehungen zwischen den Beteiligten kennzeichnen, geprüft werden (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanța u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

50

Im vorliegenden Fall steht fest, dass B. K. in dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zeitraum ein Gehalt bezog und sich in seiner Eigenschaft als Unteroffizier der slowenischen Armee im Verhältnis zu seinem Dienstgeber im Sinne der vorstehenden Randnummer in einem Unterordnungsverhältnis befand. Daher ist die Richtlinie 2003/88 a priori auf seinen Fall anwendbar.

51

Drittens ist zu prüfen, ob die Tätigkeiten der Streitkräfte im Allgemeinen oder zumindest einige von ihnen nach Art. 1 Abs. 3 im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 auszuschließen sind.

52

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 definiert den Anwendungsbereich dieser Richtlinie durch einen Verweis auf Art. 2 der Richtlinie 89/391. Nach deren Art. 2 Abs. 1 findet letztere Richtlinie auf „alle privaten oder öffentlichen Tätigkeitsbereiche“ Anwendung.

53

Art. 2 Abs. 2 der Richtlinie 89/391 sieht in seinem Unterabs. 1 aber vor, dass diese Richtlinie keine Anwendung findet, soweit dem Besonderheiten bestimmter spezifischer Tätigkeiten im öffentlichen Dienst, insbesondere bei den Streitkräften, oder bestimmter spezifischer Tätigkeiten bei den Katastrophenschutzdiensten zwingend entgegenstehen, und stellt in seinem Unterabs. 2 klar, dass in diesen Fällen dafür Sorge zu tragen ist, dass unter Berücksichtigung der Ziele dieser Richtlinie eine größtmögliche Sicherheit und ein größtmöglicher Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gewährleistet ist.

54

Daher ist zu prüfen, ob die Tätigkeiten der Streitkräfte im Allgemeinen oder zumindest einige von ihnen deshalb vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 auszuschließen sind, weil sie unter die in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 vorgesehene Ausnahme fallen, wobei dem Umstand gebührend Rechnung getragen wird, dass dieser Anwendungsbereich zwingend im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV auszulegen ist.

55

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs ist Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 so auszulegen, dass sich seine Tragweite auf das beschränkt, was zur Wahrung der Interessen, die er den Mitgliedstaaten zu schützen erlaubt, unbedingt erforderlich ist (Urteile vom 5. Oktober 2004, Pfeiffer u. a., C‑397/01 bis C‑403/01, EU:C:2004:584, Rn. 54, sowie vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség, C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 32).

56

Zudem beruht das in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 verwendete Kriterium zur Ausnahme bestimmter Tätigkeiten vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie und damit auch vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 nicht auf der Zugehörigkeit der Arbeitnehmer zu einem der in dieser Bestimmung allgemein beschriebenen Tätigkeitsbereichen, sondern ausschließlich auf der spezifischen Natur bestimmter von den Arbeitnehmern in den von dieser Vorschrift umfassten Sektoren wahrgenommener besonderer Aufgaben, die wegen der unbedingten Notwendigkeit, einen wirksamen Schutz des Gemeinwesens zu gewährleisten, eine Ausnahme von den Vorschriften im Bereich des Schutzes der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer rechtfertigt (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 55 und die dort angeführte Rechtsprechung).

57

Zu den Besonderheiten dieser spezifischen Tätigkeiten, die nach Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 eine Ausnahme von den Regeln im Bereich des Schutzes der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer rechtfertigen, zählt der Umstand, dass eine Arbeitszeitplanung wegen der Art der Tätigkeiten nicht möglich ist (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa, u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 64 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 erlaubt es somit, die Wirksamkeit der spezifischen Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes zu wahren, deren Kontinuität unerlässlich ist, um die wirksame Ausübung der grundlegenden Funktionen des Staates zu gewährleisten. Dieses Kontinuitätserfordernis ist unter Berücksichtigung der spezifischen Art der in Rede stehenden Tätigkeit zu beurteilen (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanța u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 65 und 66 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

59

Insoweit hat der Gerichtshof zum einen entschieden, dass das Erfordernis der Kontinuität der Dienste in den Bereichen Gesundheit, Sicherheit und öffentliche Ordnung dem nicht entgegensteht, dass die Tätigkeiten dieser Dienste, wenn sie unter normalen Bedingungen stattfinden, auch hinsichtlich der Arbeitszeit ihrer Arbeitnehmer organisiert werden können, so dass die in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 vorgesehene Ausnahme auf diese Dienste nur in Umständen außergewöhnlicher Schwere und eines außergewöhnlichen Umfangs anwendbar ist, wie Natur- oder Technologiekatastrophen, Attentate oder schwere Unglücksfälle, die Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit des Gemeinwesens unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung in Frage gestellt wäre, wenn alle Vorschriften der Richtlinie 2003/88 beachtet werden müssten. In solchen Fällen ist dem Ziel des Schutzes der Bevölkerung absoluter Vorrang einzuräumen, zulasten der Befolgung der Vorschriften dieser Richtlinie, die innerhalb dieser Dienste vorübergehend außer Acht gelassen werden können (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 67, und vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség, C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

60

Zum anderen hat der Gerichtshof entschieden, dass bestimmte besondere Tätigkeiten des öffentlichen Dienstes, selbst wenn sie unter normalen Bedingungen ausgeübt werden, so spezifische Merkmale aufweisen, dass ihre Art zwingend einer Arbeitszeitplanung entgegensteht, die die Vorgaben der Richtlinie 2003/88 beachtet (Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 68).

61

Dies ist insbesondere der Fall bei Tätigkeiten, die, um das ihnen im Allgemeininteresse liegende Ziel wirksam zu erreichen, nur kontinuierlich und von ein und demselben Arbeitnehmer ausgeübt werden können, ohne dass es möglich wäre, ein Rotationssystem einzuführen, das es ermöglicht, diesem Arbeitnehmer in regelmäßigen Abständen nach einer bestimmten Anzahl geleisteter Arbeitsstunden oder ‑tagen das Recht auf Ruhestunden oder ‑tage zu gewähren (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 70 bis 74, und vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség, C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 43 und 44).

62

Solche Tätigkeiten sind nach Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 zur Gänze vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 auszuschließen.

63

Im vorliegenden Fall ist zu klären, inwieweit die in den Rn. 57 bis 61 des vorliegenden Urteils angeführte Rechtsprechung auf die Tätigkeiten der Mitglieder der Streitkräfte anwendbar ist, wobei, wie in den Rn. 43 und 45 dieses Urteils ausgeführt, darauf zu achten ist, dass die Anwendung der Richtlinie 2003/88 auf diese die ordnungsgemäße Erfüllung der grundlegenden Funktionen der Mitgliedstaaten im Sinne von Art. 4 Abs. 2 EUV nicht beeinträchtigt.

64

Hierzu ist erstens festzustellen, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 nicht dahin ausgelegt werden kann, dass die Mitglieder der Streitkräfte der Mitgliedstaaten zur Gänze und dauerhaft vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossen sind.

65

Wie nämlich in den Rn. 55, 56 und 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt, ist Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391, auch wenn er die wirksame Erfüllung der grundlegenden Funktionen des Staates wahren soll, eng auszulegen und hat nicht den Zweck, von dem Anwendungsbereich dieser Richtlinie und in der Folge von jenem der Richtlinie 2003/88 bestimmte Sektoren des öffentlichen Dienstes als Ganzes betrachtet auszuschließen, sondern den Zweck, nur bestimmte Arten von Tätigkeiten in diesen Sektoren aufgrund ihrer Besonderheit diesem Anwendungsbereich zu entziehen.

66

Zum einen hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 den vollständigen Ausschluss des nicht zivilen Personals der öffentlichen Verwaltungen vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie nicht rechtfertigen kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Januar 2006, Kommission/Spanien, C‑132/04, nicht veröffentlicht, EU:C:2006:18, Rn. 30 bis 40).

67

Im Übrigen wären, wie der Generalanwalt in Fn. 88 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, die speziellen Ausnahmen in Bezug auf Militärangehörige, die sowohl in Art. 2 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 89/656 als auch in Art. 10 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/35 ausdrücklich vorgesehen sind, überflüssig gewesen, wenn Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 die Mitglieder der Streitkräfte generell von deren Anwendung ausgenommen hätte. Dieser Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 legt nämlich auch den Anwendungsbereich der Richtlinien 89/656 und 2013/35 fest, wie sich aus Art. 1 Abs. 2 der Richtlinie 89/656 bzw. aus Art. 1 Abs. 6 der Richtlinie 2013/35 ergibt.

68

Zum anderen kann, wie auch der Generalanwalt in den Nrn. 82 und 83 seiner Schlussanträge im Wesentlichen ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche von Militärangehörigen ausgeübten Tätigkeiten Besonderheiten aufweisen, die einer den Anforderungen der Richtlinie 2003/88 entsprechenden Arbeitszeitplanung entgegenstehen.

69

Vielmehr können bestimmte Tätigkeiten, die von den Mitgliedern der Streitkräfte ausgeübt werden können, wie z. B. diejenigen, die u. a. mit Dienstleistungen der Verwaltung, der Wartung, der Instandsetzung, der Gesundheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung oder der Verfolgung von Straftaten zusammenhängen, nicht zur Gänze vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossen werden.

70

Es steht nämlich fest, dass solche Tätigkeiten grundsätzlich in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fallen, wenn sie unter ähnlichen Bedingungen von Arbeitnehmern des öffentlichen Dienstes ausgeübt werden, die keinen militärischen Status haben.

71

Die Ausnahme in Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 ist in gleicher Weise auf alle Arbeitnehmer anwendbar, die identische spezifische Tätigkeiten im Dienst des Gemeinwesens ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 20. November 2018, Sindicatul Familia Constanţa u. a., C‑147/17, EU:C:2018:926, Rn. 59).

72

Im Übrigen trifft es zwar zu, dass jeder Militärangehörige einem Erfordernis der Verfügbarkeit in der Form unterliegt, dass er in der Lage sein muss, sehr kurzfristig eingesetzt zu werden, doch kann die Anwendung der Bestimmungen der Richtlinie 2003/88 auf diesen Militärangehörigen während der in Rn. 69 des vorliegenden Urteils genannten Tätigkeiten der wirksamen Einhaltung eines solchen Erfordernisses der Verfügbarkeit zumindest nicht entgegenstehen, solange diese Tätigkeiten nicht im Rahmen einer militärischen Operation, einschließlich ihrer unmittelbaren Vorbereitung, ausgeübt werden.

73

Gleichwohl ergibt sich zweitens zum einen aus der in Rn. 59 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung, dass Tätigkeiten von Mitgliedern der Streitkräfte, wenn diese mit Umständen außergewöhnlicher Schwere und eines außergewöhnlichen Umfangs im Sinne dieser Rechtsprechung konfrontiert sind, gemäß Art. 1 Abs. 3 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossen sind.

74

Dies ist der Fall, wenn es in Anbetracht der Schwere und des Umfangs aller relevanten Umstände offensichtlich unmöglich ist, gleichzeitig die Bevölkerung zu schützen und die Tätigkeiten der Streitkräfte so zu organisieren, dass jedes ihrer Mitglieder insbesondere durch einen Mechanismus der Personalrotation in den Genuss der in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Garantien im Bereich der Arbeits- und Ruhezeit kommen kann (vgl. entsprechend Urteil vom 30. April 2020, Készenléti Rendőrség, C‑211/19, EU:C:2020:344, Rn. 47 bis 50).

75

Zum anderen kann aus der in Rn. 60 des vorliegenden Urteils angeführten Rechtsprechung abgeleitet werden, dass bestimmte Kategorien militärischer Tätigkeiten zur Gänze nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen, wenn diese Tätigkeiten so spezifisch sind, dass sie der Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie zwingend und dauerhaft entgegenstehen.

76

Dies ist bei den Tätigkeiten der Mitglieder der Streitkräfte der Fall, die aufgrund ihrer hohen Qualifikationen oder des äußerst heiklen Charakters der ihnen übertragenen Aufgaben nur schwer durch andere Mitglieder der Streitkräfte mittels eines Rotationssystems ersetzt werden können, das sowohl die Einhaltung der in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Höchstarbeits- und Ruhezeiten als auch die ordnungsgemäße Erfüllung der ihnen übertragenen wesentlichen Aufgaben gewährleistet.

77

Drittens ist darauf hinzuweisen, dass alle Militärangehörigen, die an Operationen teilnehmen sollen, die mit einem militärischen Einsatz der Streitkräfte eines Mitgliedstaats einhergehen, unabhängig davon, ob diese ständig oder gelegentlich, innerhalb seiner Grenzen oder außerhalb dieser Grenzen erfolgen, eine Tätigkeit ausüben, die nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 und im Licht des Art. 4 Abs. 2 EUV naturgemäß zur Gänze vom Anwendungsbereich der Richtlinie auszuschließen ist.

78

Die Einhaltung der durch die Richtlinie 2003/88 aufgestellten Anforderungen während dieser Operationen würde nämlich ein erhebliches Risiko für deren Erfolg, der voraussetzt, dass von den beteiligten Mitgliedern der Streitkräfte während langer Zeiträume totales Engagement gefordert werden kann, und damit ein erhebliches Risiko für die ordnungsgemäße Erfüllung der grundlegenden Funktionen des Schutzes der nationalen Sicherheit oder der Wahrung der territorialen Unversehrtheit der Mitgliedstaaten mit sich bringen.

79

In diesem Rahmen ist die Wechselbeziehung zu berücksichtigen, die gegebenenfalls nicht nur zwischen diesen erwähnten Operationen, sondern auch zwischen diesen und anderen von den Mitgliedern der Streitkräfte erbrachten Tätigkeiten besteht, auf die die Vorschriften dieser Richtlinie aufgrund der Tatsache, dass sie den betreffenden Behörden die Einführung eines Rotationssystems oder eines Arbeitszeitplanungssystems vorschreiben, entgegen den Anforderungen von Art. 4 Abs. 2 EUV nur zulasten eben dieser Operationen Anwendung finden könnten. Wenn dies für die ordnungsgemäße Durchführung der eigentlichen Militäroperationen erforderlich ist, kann daher nicht ausgeschlossen werden, dass bestimmte Tätigkeiten der Streitkräfte, die nicht unmittelbar damit zusammenhängen, für die Dauer dieser Operationen ebenfalls nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen.

80

Außerdem gebietet es Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 89/391 und im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV ebenso, alle Tätigkeiten, die entweder zur Grundausbildung der Militärangehörigen, die dem Pflichtwehrdienst gleichzustellen ist, oder zu den Trainingsoperationen, zu denen die Mitglieder der Streitkräfte in der Folge regelmäßig herangezogen werden, gehören, vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 auszuschließen.

81

Wie die französische Regierung ausgeführt hat, müssen die Militärangehörigen nämlich, um die operative Wirksamkeit der Streitkräfte zu gewährleisten, während ihrer Grundausbildung und ihren Trainingsoperationen mit Situationen konfrontiert werden können, die auch den extremsten Bedingungen, unter denen die eigentlichen Militäroperationen stattfinden, möglichst nahekommen. Ein solches legitimes Ziel ließe sich aber nicht erreichen, wenn die in der Richtlinie 2003/88 vorgesehenen Vorschriften über die Arbeitszeitgestaltung während dieser Grundausbildung und diesen Trainingsoperationen eingehalten werden müssten.

82

Im Übrigen tragen die Mitgliedstaaten dadurch, dass sie den Militärangehörigen solche Ausbildungs- und Trainingsanforderungen auferlegen, auch dafür Sorge, dass die Gesundheit und die Sicherheit dieser Militärangehörigen während der eigentlichen Operationen der Streitkräfte bestmöglich geschützt werden, da sie mittels dieser Anforderungen einen hohen Standard an Durchhaltevermögen bei verschlechterten Lebensbedingungen erreichen und erhalten können.

83

Der Umstand, dass die Grundausbildung, die Trainingsoperationen und die eigentlichen Militäroperationen in Friedenszeiten erfolgen, vermag an der Schlussfolgerung, dass diese Tätigkeiten zur Gänze vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 auszuschließen sind, nichts zu ändern. Denn die Aufgaben, die von den Streitkräften wahrgenommen werden, um den Schutz der nationalen Sicherheit und die Wahrung der territorialen Unversehrtheit zu gewährleisten, müssen vollständig erfüllt werden können, auch in Friedenszeiten.

84

Hinzuzufügen ist, dass es in die alleinige Verantwortung jedes Mitgliedstaats fällt, unter Berücksichtigung insbesondere der Bedrohungen, denen er ausgesetzt ist, der ihm eigenen internationalen Verantwortlichkeiten oder des spezifischen geopolitischen Kontexts, in dem er sich bewegt, diejenigen Militäroperationen vorzunehmen, die er für geeignet hält, und die Intensität der Grundausbildung und der von ihm für die erfolgreiche Durchführung dieser Operationen für nützlich erachteten Trainingsoperationen festzulegen, ohne dass eine diesbezügliche Kontrolle durch den Gerichtshof in Betracht kommt, da bei solchen Fragen davon auszugehen ist, dass sie, wie in Rn. 38 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dem Anwendungsbereich des Unionsrechts entzogen sind.

85

Im vorliegenden Fall ist es Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob der von B. K. geleistete Wachdienst unter einen der in den Rn. 73 bis 83 des vorliegenden Urteils genannten Fälle zu subsumieren ist. Andernfalls wird davon auszugehen sein, dass diese Tätigkeit unter die Richtlinie 2003/88 fällt. Insoweit kann angesichts der dem Gerichtshof vorliegenden Akte nicht ausgeschlossen werden, dass das vorlegende Gericht den Standpunkt einnehmen kann, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wachdiensttätigkeit eine eigentliche Militäroperation darstellt, so dass sie nicht in den Anwendungsbereich dieser Richtlinie fällt.

86

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2003/88 selbst dann, wenn Militärangehörige Tätigkeiten ausüben, die vollständig in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 fallen, entgegen dem Vorbringen der französischen Regierung Ausnahmen von den durch diese Richtlinie begründeten Rechten enthält, auf die sich die Mitgliedstaaten gegenüber diesen Militärangehörigen berufen können.

87

Dies trifft jedenfalls auf Art. 17 Abs. 3 Buchst. b und c dieser Richtlinie zu, der es erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen von den Art. 3, 4, 5, 8 und 16 abzuweichen, sowohl für den Wach- und Schließdienst sowie die Dienstbereitschaft, die durch die Notwendigkeit gekennzeichnet sind, den Schutz von Sachen und Personen zu gewährleisten, als auch bei Tätigkeiten, die dadurch gekennzeichnet sind, dass die Kontinuität des Dienstes oder der Produktion gewährleistet sein muss.

88

Nach alledem ist Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88 im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV dahin auszulegen, dass eine von einem Militärangehörigen ausgeübte Wachdiensttätigkeit vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist,

wenn diese Tätigkeit im Rahmen seiner Grundausbildung, einer Trainingsoperation oder einer eigentlichen Militäroperation erfolgt,

oder wenn sie eine Tätigkeit darstellt, die so speziell ist, dass sie sich nicht für ein Personalrotationssystem eignet, mit dem die Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie gewährleistet werden kann,

oder wenn angesichts aller relevanten Umstände offensichtlich ist, dass diese Tätigkeit im Rahmen außergewöhnlicher Situationen erfolgt, deren Schwere und Ausmaß den Erlass von Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit der Allgemeinheit unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung gefährdet wäre, wenn sämtliche Vorschriften der genannten Richtlinie eingehalten werden müssten,

oder wenn die Anwendung der genannten Richtlinie auf eine solche Tätigkeit aufgrund der Tatsache, dass sie den betreffenden Behörden die Einführung eines Rotations- oder Arbeitszeitplanungssystems vorschreibt, nur zulasten der ordnungsgemäßen Durchführung der eigentlichen Militäroperationen erfolgen könnte.

Zur zweiten Frage

89

Vorab ist klarzustellen, dass im Rahmen der Beantwortung der zweiten Frage des vorlegenden Gerichts der Ausdruck „Bereitschaftszeit“ verwendet wird, um sämtliche Zeiten zu bezeichnen, in denen sich der Militärangehörige während seiner Wachdiensttätigkeit nur für seine Vorgesetzten in Bereitschaft hält, ohne tatsächlich eine Überwachungstätigkeit auszuüben.

90

Im Übrigen geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass der Ausgangsrechtsstreit ausschließlich die Vergütung der von B. K. geleisteten Bereitschaftszeiten als Überstunden betrifft.

91

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist daher die zweite Frage umzuformulieren und festzustellen, dass das vorlegende Gericht damit wissen möchte, ob Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen ist, dass er verlangt, dass eine Bereitschaftszeit, in der der Militärangehörige innerhalb der Kaserne, in der er eingesetzt wird, bleiben muss, dort aber keinen effektiven Dienst verrichtet, für die Zwecke der Festlegung der diesem Militärangehörigen für diesen Zeitraum geschuldeten Vergütung als Dienstzeit anzusehen ist.

92

Es ist noch darauf hinzuweisen, dass die Antwort auf diese Frage für den Ausgangsrechtsstreit nur dann erheblich sein wird, wenn das vorlegende Gericht zu dem Ergebnis gelangen sollte, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Wachdiensttätigkeit nicht vom Anwendungsbereich der Richtlinie 2003/88 ausgeschlossen ist.

93

In Anbetracht dieser einleitenden Klarstellungen ist erstens darauf hinzuweisen, dass unter den Begriff „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 sämtliche Bereitschaftszeiten fallen, während deren dem Arbeitnehmer Einschränkungen von solcher Art auferlegt werden, dass sie seine Möglichkeit, während der Bereitschaftszeiten die Zeit, in der seine beruflichen Leistungen nicht in Anspruch genommen werden, frei zu gestalten und sie seinen eigenen Interessen zu widmen, objektiv gesehen ganz erheblich beeinträchtigen. Umgekehrt stellt, wenn die dem Arbeitnehmer während einer bestimmten Bereitschaftszeit auferlegten Einschränkungen keinen solchen Intensitätsgrad erreichen und es ihm erlauben, über seine Zeit zu verfügen und sich ohne größere Einschränkungen seinen eigenen Interessen zu widmen, nur die Zeit, die auf die gegebenenfalls während eines solchen Zeitraums tatsächlich erbrachte Arbeitsleistung entfällt, „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie dar (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 37 und 38 und die dort angeführte Rechtsprechung).

94

Bei Bereitschaftszeiten an Arbeitsorten, die wie im vorliegenden Fall nicht mit dem Wohnsitz des Arbeitnehmers zusammenfallen, ist der entscheidende Faktor für die Annahme, dass die charakteristischen Merkmale des Begriffs „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 vorliegen, der Umstand, dass der Arbeitnehmer verpflichtet ist, an dem vom Arbeitgeber bestimmten Ort physisch anwesend zu sein und sich dort für diesen in Bereitschaft zu halten, damit er seine Leistungen im Bedarfsfall unmittelbar erbringen kann, wobei unter dem Arbeitsplatz jeder Ort zu verstehen ist, an dem der Arbeitnehmer nach Weisung seines Arbeitgebers eine Tätigkeit auszuüben hat, auch wenn es sich nicht um den Ort handelt, an dem er seine berufliche Tätigkeit gewöhnlich ausübt. Da sich der Arbeitnehmer während einer solchen Bereitschaftszeit außerhalb seines familiären und sozialen Umfelds aufhalten muss und weniger frei über die Zeit verfügen kann, in der seine beruflichen Dienste nicht in Anspruch genommen werden, ist dieser gesamte Zeitraum, unabhängig von den Arbeitsleistungen, die der Arbeitnehmer darin tatsächlich erbringt, als „Arbeitszeit“ im Sinne der Richtlinie 2003/88 einzustufen (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 33 bis 35 und die dort angeführte Rechtsprechung).

95

Aus dem Vorstehenden folgt, dass unter der Annahme, dass die Richtlinie 2003/88 auf eine Bereitschaftszeit Anwendung findet, die einem Militärangehörigen auferlegt wird und zu seiner kontinuierlichen Anwesenheit an seinem Dienstort führt, diese Bereitschaftszeit als Arbeitszeit im Sinne von Art. 2 Nr. 1 dieser Richtlinie anzusehen ist, wenn dieser Dienstort nicht mit seinem Wohnsitz zusammenfällt.

96

Zweitens ist jedoch darauf hinzuweisen, dass sich die Richtlinie 2003/88 mit Ausnahme des in ihrem Art. 7 Abs. 1 geregelten Sonderfalls des bezahlten Jahresurlaubs darauf beschränkt, bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung zu regeln, um den Schutz der Sicherheit und der Gesundheit der Arbeitnehmer zu gewährleisten, so dass sie grundsätzlich keine Anwendung auf die Vergütung der Arbeitnehmer findet (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 57 und die dort angeführte Rechtsprechung).

97

Die Art und Weise der Vergütung von Arbeitnehmern für von ihnen geleistete Bereitschaftszeiten unterliegt somit nicht der Richtlinie 2003/88, sondern den einschlägigen Vorschriften des innerstaatlichen Rechts. Die Richtlinie steht daher der Anwendung von Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, eines Tarifvertrags oder einer Entscheidung des Arbeitgebers nicht entgegen, wonach bei der Vergütung eines Bereitschaftsdienstes Zeiten, in denen tatsächlich Arbeitsleistungen erbracht werden, und Zeiten, in denen keine tatsächliche Arbeit geleistet wird, in unterschiedlicher Weise berücksichtigt werden, selbst wenn diese Zeiten insgesamt als „Arbeitszeit“ für die Zwecke der Anwendung dieser Richtlinie anzusehen sind (Urteil vom 9. März 2021, Radiotelevizija Slovenija [Rufbereitschaft an einem abgelegenen Ort], C‑344/19, EU:C:2021:182, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

98

Nach alledem ist Art. 2 der Richtlinie 2003/88 dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass eine Bereitschaftszeit, in der ein Militärangehöriger innerhalb der Kaserne bleiben muss, in der er eingesetzt wird, dort aber keinen effektiven Dienst verrichtet, anders vergütet wird als eine Bereitschaftszeit, in der er Leistungen eines effektiven Dienstes erbringt.

Kosten

99

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Große Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung im Licht von Art. 4 Abs. 2 EUV ist dahin auszulegen, dass eine von einem Militärangehörigen verrichtete Wachdiensttätigkeit vom Anwendungsbereich dieser Richtlinie ausgeschlossen ist,

wenn diese Tätigkeit im Rahmen seiner Grundausbildung, einer Trainingsoperation oder einer eigentlichen Militäroperation erfolgt,

oder wenn sie eine Tätigkeit darstellt, die so speziell ist, dass sie sich nicht für ein Personalrotationssystem eignet, mit dem die Einhaltung der Anforderungen dieser Richtlinie gewährleistet werden kann,

oder wenn angesichts aller relevanten Umstände offensichtlich ist, dass diese Tätigkeit im Rahmen außergewöhnlicher Situationen erfolgt, deren Schwere und Ausmaß den Erlass von Maßnahmen erfordern, die zum Schutz des Lebens, der Gesundheit und der Sicherheit der Allgemeinheit unerlässlich sind und deren ordnungsgemäße Durchführung gefährdet wäre, wenn sämtliche Vorschriften der genannten Richtlinie eingehalten werden müssten,

oder wenn die Anwendung der genannten Richtlinie auf eine solche Tätigkeit aufgrund der Tatsache, dass sie den betreffenden Behörden die Einführung eines Rotations- oder Arbeitszeitplanungssystems vorschreibt, nur zulasten der ordnungsgemäßen Durchführung der eigentlichen Militäroperationen erfolgen könnte.

 

2.

Art. 2 der Richtlinie 2003/88 ist dahin auszulegen, dass er dem nicht entgegensteht, dass eine Bereitschaftszeit, in der ein Militärangehöriger innerhalb der Kaserne bleiben muss, in der er eingesetzt wird, dort aber keinen effektiven Dienst verrichtet, anders vergütet wird als eine Bereitschaftszeit, in der er Leistungen eines effektiven Dienstes erbringt.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Slowenisch.