URTEIL DES GERICHTSHOFS (Zweite Kammer)

13. Januar 2022 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Sektor für Milch und Milcherzeugnisse – Quoten – Zusatzabgabe – Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 – Lieferungen, die die verfügbare Referenzmenge des Erzeugers übersteigen – Erhebung des Beitrags zur Zusatzabgabe durch den Abnehmer – Rückerstattung des Abgabenüberschusses – Verordnung (EG) Nr. 595/2004 – Art. 16 – Kriterien für die Aufteilung des Abgabenüberschusses“

In der Rechtssache C‑377/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) mit Entscheidung vom 4. April 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 13. Mai 2019, in dem Verfahren

Benedetti Pietro e Angelo Ss,

Capparotto Giampaolo e Lorenzino Ss,

Gonzo Dino Ss,

Mantovani Giuseppe e Giorgio Ss,

Azienda agricola Padovani Luigi,

Azienda agricola La Pila di Mastrotto Piergiorgio e C. Ss,

Azienda agricola Mastrotto Giuseppe,

Soc. agr. semplice F.lli Isolan

gegen

Agenzia per le Erogazioni in Agricoltura (AGEA)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Ersten Kammer A. Arabadjiev in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer, der Richterin I. Ziemele (Berichterstatterin) sowie der Richter T. von Danwitz, P. G. Xuereb und A. Kumin,

Generalanwalt: M. Bobek,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Benedetti Pietro e Angelo Ss, der Capparotto Giampaolo e Lorenzino Ss, der Gonzo Dino Ss, der Mantovani Giuseppe e Giorgio Ss, der Azienda agricola Padovani Luigi, der Azienda agricola La Pila di Mastrotto Piergiorgio e C. Ss und der Azienda agricola Mastrotto Giuseppe, vertreten durch M. Aldegheri, avvocata,

der Soc. agr. semplice F.lli Isolan, vertreten durch M. Aldegheri und E. Ermondi, avvocate,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von P. Gentili, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch D. Bianchi, A. Dawes und F. Moro als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 16 der Verordnung (EG) Nr. 595/2004 der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (ABl. 2004, L 94, S. 22).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Benedetti Pietro e Angelo Ss, der Capparotto Giampaolo e Lorenzino Ss, der Gonzo Dino Ss, der Mantovani Giuseppe e Giorgio Ss, der Azienda agricola Padovani Luigi, der Azienda agricola La Pila di Mastrotto Piergiorgio e C. Ss, der Azienda agricola Mastrotto Giuseppe und der Soc. agr. semplice F.lli Isolan, italienischen Milcherzeugerinnen, auf der einen und der Agenzia per le Erogazioni in Agricoltura (AGEA) (Agentur für Agrarzahlungen, Italien) auf der anderen Seite über die Berechnung der Zusatzabgabe zulasten dieser Erzeugerinnen für den Vermarktungszeitraum für Milch und Milcherzeugnisse vom 1. April 2005 bis zum 31. März 2006 (im Folgenden: Referenzzeitraum).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Wegen des fortbestehenden Ungleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage auf dem Milchsektor wurde im Jahr 1984 mit der Verordnung (EWG) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse (ABl. 1984, L 90, S. 10) in diesem Sektor eine Zusatzabgabenregelung eingeführt, die auf dem Grundsatz beruhte, dass auf Milch‑ und/oder Milchäquivalenzmengen, die eine zu bestimmende Referenzmenge überschritten, eine Abgabe zu zahlen war. Am selben Tag wurde auch die Verordnung (EWG) Nr. 857/84 des Rates über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5c der Verordnung (EWG) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse (ABl. 1984, L 90, S. 13) erlassen.

4

Die Zusatzabgabenregelung wurde mehrmals verlängert, u. a. mit der Verordnung (EWG) Nr. 3950/92 des Rates vom 28. Dezember 1992 über die Erhebung einer Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. 1992, L 405, S. 1), und die Bestimmungen zu ihrer Durchführung waren nacheinander in der Verordnung (EWG) Nr. 536/93 der Kommission vom 9. März 1993 mit Durchführungsbestimmungen zur Zusatzabgabe im Milchsektor (ABl. 1993, L 57, S. 12) und der Verordnung (EG) Nr. 1392/2001 der Kommission vom 9. Juli 2001 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung Nr. 3950/92 (ABl. 2001, L 187, S. 19) vorgesehen.

5

Insbesondere im Interesse der Vereinfachung und der Klarheit wurde die Verordnung Nr. 3950/92 durch die Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates vom 29. September 2003 über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor (ABl. 2003, L 270, S. 123) aufgehoben und ersetzt, die ihrerseits mit Wirkung vom 1. April 2008 durch die Verordnung (EG) Nr. 1234/2007 des Rates vom 22. Oktober 2007 über eine gemeinsame Organisation der Agrarmärkte und mit Sondervorschriften für bestimmte landwirtschaftliche Erzeugnisse (Verordnung über die einheitliche GMO) (ABl. 2007, L 299, S. 1) aufgehoben und ersetzt wurde.

6

Für den Ausgangsrechtsstreit gelten in zeitlicher Hinsicht die Verordnung Nr. 1788/2003 sowie die Verordnung Nr. 595/2004, mit der die Verordnung Nr. 1392/2001 aufgehoben wurde.

Verordnung Nr. 1392/2001

7

Art. 9 der Verordnung Nr. 1392/2001 lautete:

„(1)   Gegebenenfalls bestimmen die Mitgliedstaaten die vorrangigen Erzeugergruppen im Sinne von Artikel 2 Absatz 4 der Verordnung … Nr. 3950/92, indem sie eines oder mehrere der nachstehenden objektiven Kriterien in folgender Reihenfolge heranziehen:

a)

die amtliche Feststellung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, dass die Abgabe ganz oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde;

b)

die geografische Lage des Betriebs und insbesondere die Berggebiete …

c)

die maximale Besatzdichte der Tiere je Betrieb, die für eine Extensivierung der tierischen Erzeugung kennzeichnend ist;

d)

die Höhe der Überschreitung der einzelbetrieblichen Referenzmenge;

e)

die Höhe der dem Erzeuger zur Verfügung stehenden Referenzmenge.

(2)   Werden die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Finanzmittel durch die Anwendung der in Absatz 1 gena[n]nten Kriterien nicht ausgeschöpft, so legt der Mitgliedstaat nach Rücksprache mit der [Europäischen] Kommission weitere objektive Kriterien fest.“

Verordnung Nr. 1788/2003

8

Die Erwägungsgründe 5, 12 und 22 der Verordnung Nr. 1788/2003 lauten:

„(5)

Die Abgabe sollte auf eine abschreckende Höhe festgesetzt werden und vom Mitgliedstaat zu zahlen sein, sobald die einzelstaatliche Referenzmenge überschritten ist. Sie sollte anschließend vom Mitgliedstaat auf die Erzeuger aufgeteilt werden, die zu der Überschreitung beigetragen haben. Diese haben dem Mitgliedstaat, allein aufgrund der Tatsache, dass sie die ihnen verfügbare Referenzmenge überschritten haben, einen Beitrag zu der fälligen Abgabe zu zahlen.

(12)

Um die Effizienz der Regelung zu gewährleisten, sollte der Beitrag, den die Erzeuger zu der Abgabe zu leisten haben, durch den Abnehmer erhoben werden, der am besten in der Lage ist, die nötigen Vorgänge abzuwickeln, und dem daher die Mittel zur Beitragserhebung an die Hand zu geben sind. Andererseits erscheint es zweckmäßig vorzusehen, den über die fällige Abgabe des Mitgliedstaats hinaus erhobenen Betrag zur Finanzierung einzelstaatlicher Umstrukturierungsprogramme zu verwenden und/oder den Erzeugern bestimmter Kategorien oder Erzeugern, die sich in einer außergewöhnlichen Lage befinden, rückzuerstatten. Stellt sich indessen heraus, dass keine Abgabe des Mitgliedstaats fällig ist, werden die erhobenen Vorauszahlungen rückerstattet.

(22)

Die in dieser Verordnung vorgesehene Abgabe dient in erster Linie der Regulierung und Stabilisierung des Milchmarktes. Das Aufkommen aus dieser Abgabe sollte daher zur Finanzierung der Ausgaben im Milchsektor eingesetzt werden.“

9

Art. 1 („Gegenstand“) Abs. 1 und 2 dieser Verordnung sieht vor:

„(1)   Ab dem 1. April 2004 wird für elf aufeinander folgende Zeiträume von zwölf Monaten … beginnend mit dem 1. April auf die im jeweiligen Zwölfmonatszeitraum vermarkteten Mengen von Kuhmilch oder anderen Milcherzeugnissen, die die in Anhang I festgesetzten einzelstaatlichen Referenzmengen überschreiten, eine Abgabe erhoben …

(2)   Diese Mengen werden gemäß Artikel 6 auf die Erzeuger aufgeteilt, wobei zwischen Lieferungen und Direktverkäufen im Sinne der Begriffsbestimmungen des Artikels 5 unterschieden wird. Die Überschreitung der einzelstaatlichen Referenzmenge und die sich daraus ergebende Abgabe werden gemäß Kapitel 3 und getrennt nach Lieferungen und Direktverkäufen in jedem Mitgliedstaat auf nationaler Ebene festgestellt.“

10

Art. 4 („Beitrag der Erzeuger zu der fälligen Abgabe“) der Verordnung lautet:

„Die Abgabe wird gemäß den Artikeln 10 und 12 vollständig auf die Erzeuger aufgeteilt, die zu den jeweiligen Überschreitungen der einzelstaatlichen Referenzmengen nach Artikel 1 Absatz 2 beigetragen haben.

Unbeschadet von Artikel 10 Absatz 3 und Artikel 12 Absatz 1 schulden die Erzeuger dem Mitgliedstaat ihren nach Maßgabe von Kapitel 3 berechneten Beitrag zur fälligen Abgabe allein aufgrund der Überschreitung ihrer verfügbaren Referenzmengen.“

11

Art. 5 („Begriffsbestimmungen“) der Verordnung lautet:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

i)

‚einzelstaatliche Referenzmenge‘ die für die einzelnen Mitgliedstaaten in Anhang I festgesetzte Referenzmenge;

j)

‚einzelbetriebliche Referenzmenge‘ die Referenzmenge eines Erzeugers zum 1. April eines jeden Zwölfmonatszeitraums;

k)

‚verfügbare Referenzmenge‘ die Referenzmenge, die dem Erzeuger am 31. März des Zwölfmonatszeitraums, für den die Abgabe berechnet wird, zur Verfügung steht, wobei alle in dieser Verordnung vorgesehenen Übertragungen, Überlassungen, Umwandlungen und zeitweiligen Neuzuweisungen, die während dieses Zwölfmonatszeitraums erfolgt sind, berücksichtigt werden.“

12

Kapitel 3 dieser Verordnung, das die Berechnung der Abgabe betrifft, umfasst die Art. 8 bis 12 der Verordnung. Art. 10 („Abgabe bei Lieferungen“) Abs. 3 der Verordnung sieht vor:

„Je nach Entscheidung des Mitgliedstaats wird der Beitrag der Erzeuger zur Zahlung der fälligen Abgabe, gegebenenfalls nach Neuzuweisung des ungenutzten Anteils der für Lieferungen zugewiesenen einzelstaatlichen Referenzmenge, die proportional zu den Referenzmengen der einzelnen Erzeuger oder nach objektiven, von den Mitgliedstaaten festzulegenden Kriterien erfolgt, wie folgt festgelegt:

a)

entweder auf nationaler Ebene nach Maßgabe der Überschreitung der verfügbaren Referenzmenge des einzelnen Erzeugers,

b)

oder zunächst auf der Ebene des Abnehmers und anschließend gegebenenfalls auf einzelstaatlicher Ebene.“

13

In Art. 11 („Rolle des Abnehmers“) der Verordnung Nr. 1788/2003 heißt es:

„(1)   Der Abnehmer ist für die Erhebung der Beiträge von den Erzeugern zuständig, die die Erzeuger als fällige Abgabe zu entrichten haben, und zahlt der zuständigen Stelle des Mitgliedstaats bis zu einem Zeitpunkt und nach Bedingungen, die beide nach dem in Artikel 23 Absatz 2 genannten Verfahren festzulegen sind, den Betrag dieser Beiträge, die er bei der Zahlung des Milchpreises an die Erzeuger, die für die Überschreitung verantwortlich sind, einbehält oder ansonsten auf andere geeignete Weise erhebt.

(3)   Überschreiten die von einem Erzeuger gelieferten Mengen im Laufe des Referenzzeitraums die für ihn verfügbare Referenzmenge, so kann der Mitgliedstaat entscheiden, dass der Abnehmer nach Bedingungen, die vom Mitgliedstaat festgelegt werden, bei jeder Lieferung des Erzeugers, die die für ihn verfügbare Referenzmenge für Lieferungen überschreitet, einen Teil des Milchpreises als Vorauszahlung auf den Beitrag des Erzeugers zur Abgabe einbehält. …“

14

Art. 13 („Überschussbeträge und nichtgezahlte Beträge“) dieser Verordnung in Kapitel 4 betreffend die Verwaltung der Abgabe sieht vor:

„(1)   Wird bei Lieferungen oder Direktverkäufen festgestellt, dass die Abgabe fällig ist und der von den Erzeugern erhobene Beitrag diese übersteigt, so kann der Mitgliedstaat

a)

den Überschussbetrag ganz oder teilweise zur Finanzierung der Maßnahmen nach Artikel 18 Absatz 1 Buchstabe a) verwenden und/oder

b)

ihn ganz oder teilweise Erzeugern rückerstatten, die vorrangigen Kategorien angehören, die von dem betreffenden Mitgliedstaat nach objektiven Kriterien und innerhalb von Fristen zu bestimmen sind, welche nach dem in Artikel 23 Absatz 2 genannten Verfahren festzulegen sind, oder Erzeugern, die infolge einer innerstaatlichen Bestimmung, die mit der vorliegenden Regelung in keinem Zusammenhang steht, von einer außergewöhnlichen Lage betroffen sind.

(2)   Wird festgestellt, dass keine Abgabe fällig ist, so werden die vom Abnehmer oder vom Mitgliedstaat gegebenenfalls erhobenen Vorauszahlungen auf die Abgabe spätestens am Ende des darauf folgenden Zwölfmonatszeitraums zurückgezahlt.

(3)   Ist der Abnehmer der Verpflichtung zur Erhebung des Beitrags der Erzeuger zur Abgabe gemäß Artikel 11 nicht nachgekommen, so kann der Mitgliedstaat unbeschadet etwaiger Sanktionen gegen den säumigen Abnehmer die nichtgezahlten Beträge direkt beim Erzeuger erheben.

(4)   Hält der Erzeuger bzw. der Abnehmer die Zahlungsfrist nicht ein, so gehen die nach dem in Artikel 23 Absatz 2 genannten Verfahren festzusetzenden Verzugszinsen an den Mitgliedstaat.“

Verordnung Nr. 595/2004

15

Im ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 595/2004 heißt es:

„Die Regelung einer Abgabe im Milchsektor ist mit der Verordnung … Nr. 1788/2003 um einen weiteren Elfmonatszeitraum ab dem 1. April 2004 verlängert worden. Es sind Durchführungsbestimmungen festzulegen, um den neuen Vorschriften der vorgenannten Verordnung Rechnung zu tragen. Diese Durchführungsbestimmungen sollten zum großen Teil auch die Bestimmungen der Verordnung … Nr. 1392/2001 … umfassen. Die Verordnung (EG) Nr. 1392/2001 ist daher aufzuheben.“

16

Art. 13 („Mitteilung der Abgabe“) Abs. 1 dieser Verordnung bestimmt:

„Im Fall von Lieferungen teilt die zuständige Behörde dem Abnehmer die Höhe der von ihm zu entrichtenden Abgabe mit bzw. bestätigt sie, nachdem sie aufgrund einer entsprechenden Entscheidung des Mitgliedstaats die ungenutzten Referenzmengen gar nicht, ganz oder teilweise direkt den betreffenden Erzeugern bzw. den Abnehmern neu zugewiesen hat, damit sie auf die betreffenden Erzeuger aufgeteilt werden können.“

17

Art. 15 („Zahlungsfrist“) Abs. 1 der Verordnung sieht vor:

„Vor dem 1. September jedes Jahres zahlt der Abnehmer oder, im Fall von Direktverkäufen, der Erzeuger der zuständigen Behörde den geschuldeten Abgabebetrag nach den vom Mitgliedstaat festgelegten Modalitäten.“

18

In Art. 16 („Kriterien für die Aufteilung des Abgabenüberschusses“) der Verordnung Nr. 595/2004 heißt es:

„(1)   Gegebenenfalls bestimmen die Mitgliedstaaten die vorrangigen Erzeugerkategorien im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b) der Verordnung … Nr. 1788/2003, indem sie eines oder mehrere der nachstehenden objektiven Kriterien in folgender Reihenfolge heranziehen:

a)

die amtliche Feststellung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, dass die Abgabe ganz oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde;

b)

die geografische Lage des Betriebs und insbesondere die Berggebiete …

c)

die maximale Besatzdichte der Tiere je Betrieb, die für eine Extensivierung der tierischen Erzeugung kennzeichnend ist;

d)

die Höhe der Überschreitung der einzelbetrieblichen Referenzmenge;

e)

die Referenzmenge des Erzeugers.

(2)   Werden die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Überschussbeträge gemäß Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 1788/2003 durch die Anwendung der in Absatz 1 dieses Artikels gena[n]nten Kriterien nicht ausgeschöpft, so legt der Mitgliedstaat nach Rücksprache mit der Kommission weitere objektive Kriterien fest.

Die Neuaufteilung der Überschussbeträge muss spätestens 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Zwölfmonatszeitraums abgeschlossen sein.“

19

Art. 17 der Verordnung lautet:

„Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, um zu gewährleisten, dass die Abgabe ordnungsgemäß erhoben und auf die Erzeuger umgelegt wird, die zur Überschreitung beigetragen haben.“

Verordnung (EG) Nr. 1468/2006

20

Der fünfte Erwägungsgrund der am 12. Oktober 2006 in Kraft getretenen Verordnung (EG) Nr. 1468/2006 der Kommission vom 4. Oktober 2006 zur Änderung der Verordnung Nr. 595/2004 (ABl. 2006, L 274, S. 6) lautet:

„Gemäß Artikel 16 Absatz 1 der Verordnung … Nr. 595/2004 bestimmen die Mitgliedstaaten die vorrangigen Erzeugerkategorien, um die Überschussbeträge anhand eines oder mehrerer objektiver Kriterien neu aufzuteilen. Die Erfahrung hat gezeigt, dass die Mitgliedstaaten zur Festlegung der vorrangigen Erzeugerkategorien mehr Klarheit und Flexibilität benötigen.“

21

Art. 16 der Verordnung Nr. 595/2004 in der durch die Verordnung Nr. 1468/2006 geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 595/2004 in geänderter Fassung) lautet:

„(1)   Gegebenenfalls bestimmen die Mitgliedstaaten die vorrangigen Erzeugerkategorien im Sinne von Artikel 13 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung … Nr. 1788/2003, indem sie eines oder mehrere der nachstehenden objektiven Kriterien heranziehen:

a)

die amtliche Feststellung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, dass die Abgabe ganz oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde;

b)

die geografische Lage des Betriebs und insbesondere die Berggebiete …

c)

die maximale Besatzdichte der Tiere je Betrieb, die für eine Extensivierung der tierischen Erzeugung kennzeichnend ist;

d)

die Überschreitung der einzelbetrieblichen Referenzmenge beträgt weniger als 5 % bzw. weniger als 15000 kg, je nachdem welches der niedrigere Wert ist;

e)

die einzelbetriebliche Referenzmenge beträgt weniger als 50 % der durchschnittlichen einzelstaatlichen Referenzmenge;

f)

andere objektive Kriterien, die von den Mitgliedstaaten nach Rücksprache mit der Kommission festgelegt wurden.

(2)   Die Neuaufteilung der Überschussbeträge muss spätestens 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Zwölfmonatszeitraums abgeschlossen sein.“

Italienisches Recht

Gesetzesdekret Nr. 49/2003

22

Art. 5 Abs. 1 und 2 des Decreto-legge n. 49 – Riforma della normativa in tema di applicazione del prelievo supplementare nel settore del latte e dei prodotti lattiero-caseari (Gesetzesdekret Nr. 49 – Reform der Rechtsvorschriften über die Anwendung der Zusatzabgabe im Sektor für Milch und Milcherzeugnisse) vom 28. März 2003 (GURI Nr. 75 vom 31. März 2003), durch das Gesetz Nr. 119 vom 30. Mai 2003 (GURI Nr. 124 vom 30. Mai 2003) mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 49/2003), sieht vor:

„(1)   Innerhalb des Monats, der auf den Referenzmonat folgt, übermitteln die Abnehmer den Regionen und autonomen Provinzen, von denen sie zugelassen worden sind, die Daten, die sich aus der Aktualisierung des gemäß Art. 14 Abs. 2 der Verordnung … Nr. 1392/2001 geführten Monatsregisters ergeben, und zwar auch dann, wenn sie keine Milch abgenommen haben. Die Abnehmer müssen die auf der Grundlage von Art. 1 der Verordnung … Nr. 3950/92 mit nachfolgenden Änderungen berechnete Zusatzabgabe auf Milch einbehalten, die über die den einzelnen Lieferanten zugeteilte einzelbetriebliche Referenzmenge hinaus geliefert wird, und dabei die innerhalb des Zeitraums eingetretenen Schwankungen berücksichtigen. …

(2)   Innerhalb von 30 Tagen nach Ablauf der in Abs. 1 bestimmten Frist überweisen die Abnehmer … die einbehaltenen Abgaben auf das dafür vorgesehene Girokonto der Abrechnungsstelle der AGEA und übersenden den Regionen und autonomen Provinzen Kopien der Einzahlungsnachweise oder der Bürgschaften gemäß Abs. 6.“

23

Art. 9 („Rückerstattung des Abgabenüberschusses“) des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 bestimmt:

„(1)   Am Ende jedes Zeitraums

a)

erfasst die AGEA die erfolgten Milchlieferungen und die insgesamt von den Abnehmern nach Erfüllung der sich aus Art. 5 ergebenden Verpflichtungen entrichtete Abgabe;

b)

berechnet die AGEA die nationale Abgabe, die der Europäischen Union insgesamt wegen Überschreitung der Liefermengen geschuldet wird;

c)

berechnet die AGEA den Betrag der zu viel gezahlten Abgabe.

(3)   Der in Abs. 1 Buchst. c genannte Betrag wird unter Abzug des in Abs. 2 genannten Betrags auf die Erzeuger, die über eine Quote verfügen und die Abgabe entrichtet haben, nach den folgenden Kriterien in der Reihenfolge ihrer Nennung verteilt:

a)

auf die Erzeuger, für die die Abgabe, die für sie gilt, insgesamt oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde oder nicht mehr geschuldet wird;

b)

auf die Erzeuger, deren Betrieb in Berggebieten liegt …

c)

auf die Erzeuger, deren Betrieb in benachteiligten Gebieten liegt …

c a) auf die Erzeuger, denen auf einen Beschluss der zuständigen Veterinärbehörde Tiertransporte in Gebieten, die von verbreiteten Infektionskrankheiten betroffen waren, für mindestens 90 Tage in einem Vermarktungszeitraum untersagt wurden und die aus diesem Grund gezwungen waren, eine größere Menge zu erzeugen …

(4)   Erschöpfen diese Erstattungen den verfügbaren Betrag nach Abs. 3 nicht, wird der Rest auf die Erzeuger, die über eine Quote verfügen und die Abgabe entrichtet haben, mit Ausnahme der Erzeuger, die ihre eigene einzelbetriebliche Referenzmenge um mehr als 100 % überschritten haben, nach den folgenden Kriterien in der Reihenfolge ihrer Nennung aufgeteilt …“

Gesetzesdekret Nr. 157/2004

24

Art. 2 Abs. 3 des Decreto-legge n. 157 – Disposizioni urgenti per l’etichettatura di alcuni prodotti agroalimentari, nonché in materia di agricoltura e pesca (Gesetzesdekret Nr. 157 – Dringlichkeitsvorschriften für die Etikettierung einiger Agrarerzeugnisse und im Bereich der Landwirtschaft und Fischerei) vom 24. Juni 2004 (GURI Nr. 147 vom 25. Juni 2004), durch das Gesetz Nr. 204 vom 3. August 2004 (GURI Nr. 186 vom 10. August 2004) mit Änderungen in ein Gesetz umgewandelt (im Folgenden: Gesetzesdekret Nr. 157/2004), in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung sieht vor:

„Die von den Erzeugern, die ihrer Zahlungspflicht nachgekommen sind, monatlich zu viel gezahlte Abgabe wird diesen Erzeugern gemäß Art. 9 des [Gesetzesdekrets Nr. 49/2003] erstattet. Übersteigt nach Abschluss dieses Vorgangs die verbleibende Summe der Abgabenzuweisung die der … Union geschuldete Abgabe um 5 %, hebt die AGEA die Abgabe, die von den Erzeugern, die die monatlichen Zahlungen noch nicht vorgenommen haben, zu viel verlangt wurde, in Anwendung der in Abs. 3 und 4 des genannten Art. 9 vorgesehenen Prioritätskriterien und unbeschadet der in Art. 5 Abs. 5 des genannten Gesetzesdekrets vorgesehenen Sanktionen auf.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

25

Am 2. Oktober 2006 richtete die AGEA an die Abnehmerin Latte Più Srl, eine Gesellschaft italienischen Rechts, eine Mitteilung über die Zusatzabgaben für den Referenzzeitraum zulasten der Klägerinnen des Ausgangsverfahrens.

26

Aus dieser Mitteilung geht hervor, dass gemäß Art. 9 und Art. 10 Abs. 27 und 28 des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 Berechnungen vorgenommen worden waren, um die überschüssige Abgabe für die Lieferungen von Kuhmilch im Milchwirtschaftsjahr 2005/2006 auf der Grundlage der einzelbetrieblichen Referenzmengen sowie der von den abnehmenden Unternehmen vorgelegten monatlichen Liefer- und Zahlungserklärungen zugunsten der Erzeuger erstatten zu können. Gemäß dieser Mitteilung würde den Erzeugern, die der Verpflichtung zur Zahlung der Zusatzabgabe vollständig nachgekommen sind, auf der Grundlage der von den Abnehmern vorgelegten Zahlungserklärungen und nach deren Überprüfung die genannte Erstattung zugutekommen.

27

Der Anlage zu der in Rn. 25 des vorliegenden Urteils genannten Mitteilung hatte die AGEA ein Blatt mit dem Titel „Liste der Abgaben nach Abnehmern – Zeitraum 2005/2006“ beigefügt, in dem für jeden Erzeuger die nach Art. 9 Abs. 3 und 4 des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 berechneten Beträge der bereits entrichteten und bestätigten Abgaben sowie die zu erstattenden Beträge angegeben waren. Insoweit hat die AGEA klargestellt, dass das abnehmende Unternehmen verpflichtet gewesen sei, die erstatteten Beträge an die Erzeuger zu zahlen, die die Lieferungen vorgenommen hätten, und stellvertretend für die Erzeuger die in diesem Blatt geforderten Beträge an die AGEA zu zahlen, um es der AGEA zu ermöglichen, der Verpflichtung der Italienischen Republik nachzukommen, diese Beträge an den Europäischen Ausrichtungs- und Garantiefonds für die Landwirtschaft (EAGFL) zurückzuzahlen.

28

Mit einer beim Tribunale amministrativo regionale del Lazio – sede di Roma (Regionales Verwaltungsgericht Latium – Rom, Italien) erhobenen Klage beantragten die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens die Nichtigerklärung dieser Mitteilung und machten u. a. geltend, dass der italienische Gesetzgeber mit der Einführung des in Art. 2 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 157/2004 vorgesehenen Erstattungssystems gegen Art. 13 der Verordnung Nr. 1788/2003 und gegen Art. 16 der Verordnung Nr. 595/2004 verstoßen habe.

29

Nachdem diese Klage abgewiesen worden war, riefen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens den Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien), das vorlegende Gericht, an.

30

In Bezug auf die Neuverteilung des Abgabenüberschusses weist dieses Gericht u. a. darauf hin, dass der italienische Gesetzgeber zwar eine vorrangige Kategorie von Erzeugern auf der Grundlage des in Art. 9 Abs. 3 Buchst. a des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 vorgesehenen objektiven Kriteriums vorgesehen habe, nämlich die der „Erzeuger, für die die Abgabe, die für sie gilt, insgesamt oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde oder nicht mehr geschuldet wird“, in Art. 2 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 157/2004 aber offenbar auch eine vorrangige Kategorie von Erzeugern vorgesehen habe, die nicht nur das genannte objektive Kriterium erfüllten, sondern für die darüber hinaus die Abgabe regelmäßig auf monatlicher Basis entrichtet worden sei.

31

Das vorlegende Gericht führt außerdem aus, dass nach dem Gesetzesdekret Nr. 157/2004 die Phase der Zahlung der Abgabe an die AGEA, die in die Verantwortung des Abnehmers falle und die dieser vorzunehmen habe, mit der Phase der Erstattung der zu Unrecht erhobenen Abgabe an den Erzeuger verbunden sei, da dieses Gesetzesdekret im Rahmen der Erstattungen den Erzeugern, für die der Abnehmer die Abgabe nicht nur erhoben, sondern auch monatlich und regelmäßig an die AGEA abgeführt habe, ein vorrangiges „Recht“ zuerkenne.

32

Ferner ist das vorlegende Gericht der Ansicht, dass im Unterschied zu dem rechtlichen Rahmen, der in der Rechtssache in Rede gestanden habe, in der das Urteil vom 11. September 2019, Caseificio Sociale San Rocco u. a. (C‑46/18, EU:C:2019:706), ergangen sei, das Inkrafttreten der Verordnungen Nr. 1788/2003 und Nr. 595/2004 für den Abnehmer die Verpflichtung – und nicht die bloße Möglichkeit – begründet habe, die von den Erzeugern, die zu viel Milch geliefert hätten, geschuldeten Beträge als Zusatzabgabe an der Quelle einzubehalten, was es in der vorliegenden Rechtssache rechtfertigen würde, dem Gerichtshof eine Frage vorzulegen, die von den in der Rechtssache, in der das genannte Urteil ergangen sei, vorgelegten Fragen verschieden und eigenständig sei.

33

Unter diesen Umständen hat der Consiglio di Stato (Staatsrat) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Steht in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens Art. 16 der Verordnung Nr. 595/2004 einer nationalen Regelung wie Art. 9 des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 in Verbindung mit Art. 2 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 157/2004 entgegen, die als Kriterium für die Bestimmung der vorrangigen Erzeugerkategorie, der die zu Unrecht erhobene Abgabe zu erstatten ist, die ordnungsgemäße monatliche Abführung der Abgabe durch den Abnehmer vorgesehen hat?

Verfahren vor dem Gerichtshof

34

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 4. Juli 2019 ist das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache bis zur endgültigen Entscheidung in der Rechtssache C‑46/18, Caseificio Sociale San Rocco u. a., ausgesetzt worden.

35

Nach Verkündung des Urteils vom 11. September 2019, Caseificio Sociale San Rocco u. a. (C‑46/18, EU:C:2019:706), hat der Gerichtshof das vorlegende Gericht gefragt, ob es sein Vorabentscheidungsersuchen aufrechterhalten oder es zurückziehen wolle, worauf das vorlegende Gericht nicht geantwortet hat.

36

Das Verfahren in der vorliegenden Rechtssache ist am 1. Juli 2020 wieder aufgenommen worden.

Zur Vorlagefrage

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Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass im Rahmen des Verfahrens nach Art. 267 AEUV, das auf einer klaren Aufgabentrennung zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof beruht, allein das nationale Gericht dafür zuständig ist, den Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits festzustellen und zu würdigen sowie die genaue Bedeutung der nationalen Rechts- oder Verwaltungsvorschriften zu bestimmen (Urteil vom 3. Oktober 2019, Fonds du Logement de la Région de Bruxelles-Capitale, C‑632/18, EU:C:2019:833, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung). Die Zuständigkeit des Gerichtshofs beschränkt sich darauf, sich anhand der Sach- und Rechtslage, wie sie das vorlegende Gericht dargestellt hat, zur Auslegung oder zur Gültigkeit des Unionsrechts zu äußern, um dem vorlegenden Gericht sachdienliche Hinweise für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu geben (Urteil vom 17. Dezember 2020, Onofrei, C‑218/19, EU:C:2020:1034, Rn. 18 und die dort angeführte Rechtsprechung).

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Folglich ist die Vorlagefrage – obgleich die italienische Regierung die Auslegung des nationalen Rechts durch das vorlegende Gericht beanstandet, wonach mit Art. 2 Abs. 3 des Gesetzesdekrets Nr. 157/2004 eine vorrangige Kategorie von Erzeugern eingeführt worden sein soll, bei der nicht nur die Abgabe zu Unrecht erhoben sein muss, wie es Art. 9 Abs. 3 Buchst. a des Gesetzesdekrets Nr. 49/2003 vorsieht, sondern bei der der Abnehmer die Abgabe auch monatlich und regelmäßig erhoben und an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats abgeführt haben muss – ausgehend von der in der Vorlageentscheidung dargelegten Prämisse, wonach das italienische Recht eine solche Kategorie festlegt, zu beantworten.

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Die Vorlagefrage ist daher so zu verstehen, dass mit ihr geklärt werden soll, ob Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die zur Folge hat, dass die Rückerstattung des Überschussbetrags der Zusatzabgabe vorrangig den Erzeugern zugutekommen muss, bezüglich deren die Abnehmer ihrer Verpflichtung zur monatlichen Abführung dieser Abgabe nachgekommen sind.

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Wie aus seinem Wortlaut hervorgeht, sieht Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1788/2003 vor, dass, wenn bei Lieferungen oder Direktverkäufen festgestellt wird, dass die Abgabe fällig ist und der von den Erzeugern erhobene Beitrag den geschuldeten Betrag übersteigt, der Mitgliedstaat den Überschussbetrag ganz oder teilweise Erzeugern rückerstatten kann, die vorrangigen Kategorien angehören, die von dem betreffenden Mitgliedstaat nach objektiven Kriterien und innerhalb von Fristen zu bestimmen sind, oder Erzeugern, die infolge einer innerstaatlichen Bestimmung, die mit der Zusatzabgabenregelung in keinem Zusammenhang steht, von einer außergewöhnlichen Lage betroffen sind.

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Nach Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1788/2003 werden, wenn festgestellt wird, dass keine Abgabe fällig ist, die vom Abnehmer oder vom Mitgliedstaat gegebenenfalls erhobenen Vorauszahlungen auf die Abgabe spätestens am Ende des darauf folgenden Zwölfmonatszeitraums zurückgezahlt.

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Die Durchführungsbestimmungen zu Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1788/2003 sind in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 geregelt, der die Kriterien für die Aufteilung des Abgabenüberschusses festlegt. Gemäß der letztgenannten Vorschrift bestimmen die Mitgliedstaaten die vorrangigen Erzeugerkategorien im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1788/2003, indem sie eines oder mehrere der in Art. 16 Abs. 1 Buchst. a bis e der Verordnung Nr. 595/2004 aufgeführten objektiven Kriterien in absteigender Reihenfolge heranziehen. In Art. 16 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 595/2004 ist das Kriterium der amtlichen Feststellung der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, dass die Abgabe ganz oder teilweise zu Unrecht erhoben wurde, aufgeführt.

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Art. 16 Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 bestimmt, dass, wenn die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Überschussbeträge gemäß Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1788/2003 durch die Anwendung der in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 genannten Kriterien nicht ausgeschöpft werden, der Mitgliedstaat nach Rücksprache mit der Kommission weitere objektive Kriterien festlegt.

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Somit ergibt sich bereits aus dem Wortlaut von Art. 16 der Verordnung Nr. 595/2004, dass die Mitgliedstaaten nur dann über die in Art. 16 Abs. 1 dieser Verordnung festgelegten Kriterien hinaus weitere Kriterien vorsehen dürfen, wenn die Überschussbeträge nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1788/2003 durch die nach diesen Kriterien erfolgte Aufteilung nicht ausgeschöpft worden sind.

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Diese Auslegung wird durch den Regelungszusammenhang bestätigt, in den sich Art. 16 der Verordnung Nr. 595/2004 einfügt.

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So enthält erstens dieser Art. 16 die Durchführungsbestimmungen zu Art. 13 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1788/2003. Aus dieser Bestimmung ergibt sich aber, dass es den Mitgliedstaaten zwar freisteht, den Überschussbetrag zurückzuerstatten oder dies nicht zu tun, die Rückerstattung aber, wenn sie sich zu dieser entschließen, an Erzeuger zu erfolgen hat, die vorrangigen Kategorien angehören, die von dem betreffenden Mitgliedstaat nach den objektiven Kriterien zu bestimmen sind, die nach dem in dieser Verordnung bezeichneten Verfahren festzulegen sind, oder an Erzeuger, die infolge einer innerstaatlichen Bestimmung, die mit der Zusatzabgabenregelung in keinem Zusammenhang steht, von einer außergewöhnlichen Lage betroffen sind. Daraus folgt, dass das Ermessen, das dem Mitgliedstaat bei der Bestimmung der vorrangigen Kategorien vorbehalten ist, durch die in der Verordnung Nr. 595/2004 festgelegten Kriterien begrenzt ist.

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Zweitens ergibt sich aus dem ersten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 595/2004, dass deren Bestimmungen zum großen Teil die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1392/2001 umfassen. Der Wortlaut von Art. 16 Abs. 1 und Abs. 2 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 entspricht dem von Art. 9 Abs. 1 und 2 der Verordnung Nr. 1392/2001.

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Der Gerichtshof hat aber entschieden, dass die in Art. 9 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1392/2001 vorgesehenen Kriterien erschöpfend waren und die Mitgliedstaaten zusätzliche Kriterien nur hinzufügen konnten, wenn die Anwendung der Kriterien in absteigender Reihenfolge die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Finanzmittel nicht aufbrauchte (Urteil vom 11. September 2019, Caseificio Sociale San Rocco u. a., C‑46/18, EU:C:2019:706, Rn. 38).

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Drittens wurde durch die Verordnung Nr. 1468/2006, wie aus ihrem fünften Erwägungsgrund hervorgeht, Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 geändert, um dem Bedürfnis der Mitgliedstaaten nach mehr Klarheit und Flexibilität bei der Bestimmung der vorrangigen Kategorien zu entsprechen. Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 in geänderter Fassung sieht nicht mehr vor, dass die in diese Vorschrift aufgenommenen objektiven Kriterien in absteigender Reihenfolge anzuwenden sind, und sieht in Buchst. f für die Mitgliedstaaten die Möglichkeit vor, nach Rücksprache mit der Kommission andere objektive Kriterien festzulegen. Erst durch diese Bestimmung, die nach dem Erlass der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, in Rn. 25 des vorliegenden Urteils angeführten Mitteilung in Kraft getreten ist, wurde die Voraussetzung aufgehoben, wonach die Mitgliedstaaten zusätzliche Kriterien zu den in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 vorgesehenen Kriterien nur hinzufügen konnten, wenn die Anwendung der letztgenannten Kriterien in absteigender Reihenfolge die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Finanzmittel nicht aufbrauchte.

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Daher ist davon auszugehen, dass die in Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 in der im Referenzzeitraum geltenden Fassung vorgesehenen Kriterien erschöpfend waren und die Mitgliedstaaten zusätzliche Kriterien nur hinzufügen konnten, wenn die Anwendung der Kriterien in absteigender Reihenfolge die für einen bestimmten Zeitraum zur Verfügung stehenden Finanzmittel nicht aufbrauchte.

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Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 nennt als Kriterium für die Aufteilung des Abgabenüberschusses aber nicht die Zugehörigkeit zur Gruppe der Milcherzeuger, für die die Milchabnehmer ihrer Verpflichtung zur regelmäßigen monatlichen Abführung der Zusatzabgabe an die zuständige Behörde des Mitgliedstaats nachgekommen sind.

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Nach alledem ist somit auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 16 Abs. 1 der Verordnung Nr. 595/2004 dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die zur Folge hat, dass die Rückerstattung des Überschussbetrags der Zusatzabgabe vorrangig den Erzeugern zugutekommen muss, bezüglich deren die Abnehmer ihrer Verpflichtung zur monatlichen Abführung dieser Abgabe nachgekommen sind.

Kosten

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Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 16 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 595/2004 der Kommission vom 30. März 2004 mit Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1788/2003 des Rates über die Erhebung einer Abgabe im Milchsektor ist dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, die zur Folge hat, dass die Rückerstattung des Überschussbetrags der Zusatzabgabe vorrangig den Erzeugern zugutekommen muss, bezüglich deren die Abnehmer ihrer Verpflichtung zur monatlichen Abführung dieser Abgabe nachgekommen sind.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.