URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

17. Dezember 2020 ( *1 )

„Rechtsmittel – Zugang zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank (EZB) – Beschluss 2004/258/EG – Art. 4 Abs. 3 – Ausnahmen – Dokument, das die EZB erhalten hat – Einholung eines Gutachtens bei einem externen Dienstleister – Interner Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen – Verweigerung des Zugangs“

In der Rechtssache C‑342/19 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 30. April 2019,

Fabio De Masi, wohnhaft in Hamburg (Deutschland),

Yanis Varoufakis, wohnhaft in Athen (Griechenland),

vertreten durch A. Fischer-Lescano, Universitätsprofessor,

Rechtsmittelführer,

andere Partei des Verfahrens:

Europäische Zentralbank (EZB), vertreten durch F. von Lindeiner und A. Korb als Bevollmächtigte im Beistand von Rechtsanwalt H.‑G. Kamann,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot, des Richters L. Bay Larsen (Berichterstatter), der Richterin C. Toader sowie der Richter M. Safjan und N. Jääskinen,

Generalanwalt: P. Pikamäe,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 9. Juli 2020

folgendes

Urteil

1

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen Herr Fabio De Masi und Herr Yanis Varoufakis die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 12. März 2019, De Masi und Varoufakis/EZB (T‑798/17, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2019:154), mit dem das Gericht die Klagen abgewiesen hat, mit denen sie die Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Zentralbank (EZB) vom 16. Oktober 2017 (im Folgenden: streitiger Beschluss) beantragt hatten, mit dem ihnen der Zugang zu dem Dokument vom 23. April 2015, einem von einem externen Dienstleister im Auftrag der EZB erstellten Gutachten mit dem Titel „Antworten auf Fragen zur Auslegung von Art. 14.4 des Protokolls Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken und der Europäischen Zentralbank“ (im Folgenden: streitiges Dokument), verweigert worden war.

Rechtlicher Rahmen

Beschluss 2004/258

2

In den Erwägungsgründen 3 und 4 des Beschlusses 2004/258/EG der Europäischen Zentralbank vom 4. März 2004 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten der Europäischen Zentralbank (ABl. 2004, L 80, S. 42) in der durch den Beschluss (EU) der Europäischen Zentralbank vom 21. Januar 2015 (ABl. 2015, L 84, S. 64) geänderten Fassung (im Folgenden: Beschluss 2004/258) heißt es:

„(3)

Es sollte ein umfassender Zugang zu den Dokumenten der EZB gewährt werden, wobei gleichzeitig die in Artikel 108 des Vertrags und Artikel 7 der Satzung festgelegte Unabhängigkeit der EZB und der nationalen Zentralbanken (NZBen) sowie die Vertraulichkeit bestimmter Angelegenheiten, die speziell die Erfüllung der Aufgaben der EZB betreffen, geschützt werden sollte[n]. Zur Wahrung der Wirksamkeit der Entscheidungsprozesse, einschließlich der internen Beratungen und Vorbereitungen, sind die Aussprachen in den Sitzungen der Beschlussorgane der EZB vertraulich, es sei denn, das jeweilige Organ beschließt, das Ergebnis der Beratungen zu veröffentlichen.

(4)

Der Schutz bestimmter öffentlicher und privater Interessen sollte jedoch durch Ausnahmen gewährleistet werden. …“

3

Nach Art. 3 Buchst. a dieses Beschlusses bedeutet in dessen Sinne „Dokument“ und „Dokument der EZB“ Inhalte unabhängig von der Form des Datenträgers (auf Papier oder in elektronischer Form, Ton‑, Bild- oder audiovisuelles Material), die von der EZB erstellt wurden oder sich in ihrem Besitz befinden und im Zusammenhang mit ihren Politiken, Maßnahmen oder Entscheidungen stehen, sowie Dokumente, die vom Europäischen Währungsinstitut (EWI) und vom Ausschuss der Präsidenten der Zentralbanken der Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft stammen.

4

Art. 4 („Ausnahmeregelung“) Abs. 2, 3 und 5 dieses Beschlusses bestimmt:

„(2)   Die EZB verweigert den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz … der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3)   Der Zugang zu einem Dokument, das die EZB zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB oder im Rahmen des Meinungsaustauschs zwischen der EZB und den NZBen, nationalen zuständigen Behörden und nationalen benannten Behörden erstellt oder erhalten hat, wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(5)   Wenn nur Teile des angeforderten Dokuments einer der Ausnahmen unterliegen, werden die übrigen Teile des Dokuments freigegeben.“

5

In Art. 7 Abs. 2 des Beschlusses 2004/258 heißt es:

„Im Falle einer vollständigen oder teilweisen Ablehnung kann der Antragsteller binnen 20 Arbeitstagen nach Eingang des Antwortschreibens der EZB einen Zweitantrag an das Direktorium der EZB richten und es um eine Überprüfung des Standpunkts der EZB ersuchen. Antwortet darüber hinaus die EZB nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist von 20 Arbeitstagen für die Bearbeitung des Erstantrags, so hat der Antragsteller das Recht, einen Zweitantrag zu stellen.“

Verordnung (EG) Nr. 1049/2001

6

Die Erwägungsgründe 1 und 4 der Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43) lauten:

„(1)

In Artikel 1 Absatz 2 des Vertrags über die Europäische Union, wonach der Vertrag eine neue Stufe bei der Verwirklichung einer immer engeren Union der Völker Europas darstellt, in der die Entscheidungen möglichst offen und möglichst bürgernah getroffen werden, ist das Prinzip der Transparenz verankert.

(4)

Diese Verordnung soll dem Recht auf Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten größtmögliche Wirksamkeit verschaffen und gemäß Artikel 255 Absatz 2 des EG-Vertrags die allgemeinen Grundsätze und Einschränkungen dafür festlegen.“

7

Art. 4 („Ausnahmeregelung“) Abs. 2 und 3 dieser Verordnung bestimmt:

„(2)   Die Organe verweigern den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung Folgendes beeinträchtigt würde:

der Schutz … der Rechtsberatung,

es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

(3)   Der Zugang zu einem Dokument, das von einem Organ für den internen Gebrauch erstellt wurde oder bei ihm eingegangen ist und das sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat, wird verweigert, wenn eine Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

Der Zugang zu einem Dokument mit Stellungnahmen zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb des betreffenden Organs wird auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert, wenn die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs ernstlich beeinträchtigen würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits und streitiger Beschluss

8

Für die Zwecke des Rechtsmittelverfahrens lässt sich die in den Rn. 1 bis 6 des angefochtenen Urteils dargestellte Vorgeschichte des Rechtsstreits wie folgt zusammenfassen.

9

Mit Schreiben vom 24. April 2017 beantragten Herr De Masi und Herr Varoufakis bei der EZB aufgrund des Beschlusses 2004/258 den Zugang zu allen externen Rechtsgutachten, die die EZB habe erstellen lassen, um ihre Beschlüsse vom 4. Februar und vom 28. Juni 2015 zur Bereitstellung von Notfallliquiditätshilfen, die die griechische Zentralbank griechischen Banken gewährte, zu prüfen.

10

Mit Schreiben vom 31. Mai 2017 teilte die EZB den Rechtsmittelführern mit, dass sie keine Rechtsgutachten für die genannten Beschlüsse eingeholt habe. Ferner informierte sie die Rechtsmittelführer über die Existenz des streitigen Dokuments.

11

Mit Schreiben vom 7. Juli 2017 beantragten die Rechtsmittelführer bei der EZB Zugang zu diesem Dokument.

12

Mit Schreiben vom 3. August 2017 verwehrte die EZB den Zugang zu dem streitigen Dokument zum einen aufgrund der Ausnahme in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 in Bezug auf den Schutz der Rechtsberatung und zum anderen aufgrund der Ausnahme in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Beschlusses für Dokumente zum internen Gebrauch.

13

Mit Schreiben vom 30. August 2017 stellten die Rechtsmittelführer in Bezug auf das streitige Dokument einen Zweitantrag nach Art. 7 Abs. 2 dieses Beschlusses.

14

Mit Schreiben vom 16. Oktober 2017 bestätigte die EZB den Beschluss vom 3. August 2017, mit dem der Zugang zu dem streitigen Dokument verweigert worden war, aufgrund der gleichen Ausnahmen wie in diesem Beschluss.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

15

Mit Klageschrift, die am 8. Dezember 2017 bei der Kanzlei des Gerichts einging, erhoben Herr De Masi und Herr Varoufakis Klage auf Nichtigerklärung des streitigen Beschlusses.

16

Sie stützten ihre Klage im Wesentlichen auf zwei Gründe, nämlich einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 und einen Verstoß gegen dessen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1.

17

Mit dem angefochtenen Urteil wies das Gericht die Klage der Rechtsmittelführer als unbegründet ab. Nach Prüfung des zweiten Klagegrundes stellte es in Rn. 74 dieses Urteils fest, dass die EZB ihre Weigerung, Zugang zu dem streitigen Dokument zu gewähren, auf die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehene Ausnahme habe stützen dürfen. Daher erübrige sich die Prüfung des ersten Klagegrundes betreffend die in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses vorgesehene Ausnahme vom Zugangsrecht.

18

Zum ersten Teil des zweiten Klagegrundes, mit dem eine fehlerhafte Anwendung der Ausnahme zum Schutz von Dokumenten für den internen Gebrauch geltend gemacht wurde, entschied das Gericht, dass im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 der Nachweis einer erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses nicht erforderlich sei. Hierzu führte es in Rn. 30 des angefochtenen Urteils aus, dass die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument nach dieser Bestimmung lediglich voraussetze, dass zum einen bewiesen werde, dass dieses Dokument zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB oder zum Meinungsaustausch zwischen der EZB und den betreffenden nationalen Behörden bestimmt sei, und zum anderen, dass kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments bestehe.

19

Es stellte fest, dass die EZB zu Recht angenommen habe, dass das streitige Dokument ein Dokument zum internen Gebrauch im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 gewesen sei, da sie davon ausgegangen sei, dass dieses Dokument dem EZB-Rat Informationen zur Verfügung stellen und seine Beratungen im Rahmen der ihm durch Art. 14 Abs. 4 des Protokolls Nr. 4 über die Satzung des Europäischen Systems der Zentralbanken (ESZB) und der EZB übertragenen Befugnisse unterstützen solle.

20

Daher wies das Gericht in den Rn. 44 bis 47 des angefochtenen Urteils das Vorbringen von Herrn De Masi und Herrn Varoufakis zurück, dass die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehene Ausnahme auf das streitige Dokument nicht anwendbar sei, weil es ein Rechtsgutachten sei, das in den Anwendungsbereich der Ausnahme zum Schutz der Rechtsberatung nach Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses falle.

21

Es wies in den Rn. 48 bis 52 des angefochtenen Urteils auch das Vorbringen der Rechtsmittelführer zurück, dass die in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Voraussetzungen nicht erfüllt seien, weil das streitige Dokument zum einen kein internes Dokument und zum anderen nicht mit einem konkreten Verfahren verbunden sei.

22

In den Rn. 53 bis 58 des angefochtenen Urteils prüfte das Gericht außerdem die Rüge eines Verstoßes gegen die Begründungspflicht und wies diese zurück.

23

In den Rn. 62 bis 73 des angefochtenen Urteils wies das Gericht den zweiten Teil des zweiten Klagegrundes zurück, mit dem das Bestehen eines überwiegenden öffentlichen Interesses an der Verbreitung des streitigen Dokuments geltend gemacht wurde.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

24

Mit ihrem Rechtsmittel beantragen die Rechtsmittelführer,

das angefochtene Urteil in vollem Umfang aufzuheben;

den im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben und

der EZB die Kosten aufzuerlegen.

25

Die EZB beantragt,

das Rechtsmittel zurückzuweisen und

den Rechtsmittelführern die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

26

Die Rechtsmittelführer machen vier Rechtsmittelgründe geltend, nämlich erstens einen Verstoß gegen Art. 10 Abs. 3 EUV, Art. 15 Abs. 1 und Art. 298 Abs. 1 AEUV sowie Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) in Verbindung mit deren Art. 52 Abs. 1, zweitens einen Verstoß gegen die Begründungspflicht, drittens einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 2 und 3 des Beschlusses 2004/258 und viertens einen Verstoß gegen Art. 4 Abs. 3 dieses Beschlusses.

Zum ersten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

27

Mit dem ersten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe den in Art. 10 Abs. 3 EUV, Art. 15 Abs. 1 und Art. 298 Abs. 1 AEUV sowie in Art. 42 der Charta in Verbindung mit deren Art. 52 Abs. 1 niedergelegten Transparenzgrundsatz verkannt, in dessen Licht die im Beschluss 2004/258 vorgesehenen Ausnahmen hätten ausgelegt werden müssen.

28

Dieser Rechtsmittelgrund gliedert sich in zwei Teile.

29

Mit dem ersten Teil wird die Feststellung des Gerichts in Rn. 29 des angefochtenen Urteils beanstandet, dass im Rahmen der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme der Nachweis einer erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses nicht erforderlich sei. Hierzu machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe sich unzutreffend auf den Wortlaut dieser Bestimmung gestützt, und werfen ihm vor, diese in einer Weise ausgelegt zu haben, die nicht mit Art. 10 Abs. 3 EUV, Art. 15 Abs. 1 und Art. 298 Abs. 1 AEUV sowie Art. 42 der Charta in Verbindung mit dessen Art. 52 Abs. 1 im Einklang stehe. In diesen Bestimmungen seien nämlich das Ziel einer umfangreichen Transparenz und ein Anspruch auf Zugang zu Dokumenten verankert, die das Gericht verkannt habe.

30

Da sich die Schwelle für Beschränkungen des Transparenzgrundsatzes aus dem Primärrecht ergebe, könne die EZB diese Schwelle nicht absenken, indem sie das Erfordernis einer erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses außer Acht lasse, auch wenn ein solches Erfordernis in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Beschlusses nicht genannt sei.

31

Nach Ansicht der EZB ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen. Hilfsweise macht sie geltend, dass dieser Teil des ersten Rechtsmittelgrundes unbegründet sei.

32

Mit dem zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, der EZB in Rn. 54 des angefochtenen Urteils ein weites Ermessen eingeräumt und damit den Umfang seiner gerichtlichen Kontrolle unter Verstoß gegen das Primärrecht eingeschränkt zu haben, so dass die Abwägung in den Rn. 43 ff. des angefochtenen Urteils verfälscht worden sei. Aufgrund der Dimension des Transparenzgrundsatzes sei der Zugang zu Dokumenten keine Ermessensfrage. Art. 52 der Charta verlange indessen, dass etwaige Beschränkungen dieses Grundsatzes verhältnismäßig und die Voraussetzungen dieser Beschränkungen gerichtlich voll überprüfbar seien.

33

Die EZB hält diesen Teil des Rechtsmittelgrundes für unzulässig, jedenfalls aber unbegründet.

Würdigung durch den Gerichtshof

34

Zum ersten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 170 Abs. 1 Satz 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs das Rechtsmittel den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern kann. Außerdem könnte eine Partei, wie sich aus ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt, wäre es ihr erlaubt, vor dem Gerichtshof erstmals eine Rüge vorzubringen, die sie vor dem Gericht nicht geltend gemacht hat, den Gerichtshof, dessen Befugnisse im Rechtsmittelverfahren beschränkt sind, letztlich mit einem weiter reichenden Rechtsstreit befassen, als ihn das Gericht zu entscheiden hatte. Im Rechtsmittelverfahren ist die Zuständigkeit des Gerichtshofs daher auf die Prüfung beschränkt, wie das Gericht die vor ihm erörterten Klagegründe und Argumente gewürdigt hat (vgl. u. a. Beschluss vom 15. Januar 2020, BS/Parlament, C‑642/19 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2020:32, Rn. 24).

35

Die von den Rechtsmittelführern vorgeschlagene Auslegung der oben angeführten Bestimmungen des Primärrechts kann aber sinnvoll nur zur Begründung einer Einrede der Rechtswidrigkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 geltend gemacht werden. Aus dem Wortlaut dieser Bestimmung ergibt sich nämlich, dass die EZB beabsichtigte, den Zugang zu ihren Dokumenten zu verweigern, wenn die darin vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind.

36

Insoweit ist festzustellen, dass in dieser Bestimmung keine Voraussetzung wie diejenige genannt ist, auf die sich die Rechtsmittelführer berufen. Die Annahme, dass eine Verweigerung des Zugangs zu Dokumenten der EZB aufgrund von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 einer anderen Voraussetzung als der dort festgelegten unterliege, wäre somit eine Auslegung contra legem dieser Bestimmung.

37

Daher ist, da die Rechtsmittelführer vor dem Gericht nicht ausdrücklich geltend gemacht haben, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 deshalb gegen den in den Vorschriften des AEU-Vertrags oder der Charta, auf die sie sich berufen, verankerten Transparenzgrundsatz verstoße, davon auszugehen, dass eine solche Einrede der Rechtswidrigkeit im ersten Rechtszug nicht erhoben wurde und daher auch nicht erstmals im Rahmen des Rechtsmittels geltend gemacht werden kann.

38

Zwar kann ein Argument, das im ersten Rechtszug nicht geltend gemacht wurde, dann nicht als ein neues, im Rechtsmittelverfahren unzulässiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel angesehen werden, wenn es lediglich eine Erweiterung eines bereits vor dem Gericht geltend gemachten Arguments darstellt (Urteil vom 16. November 2017, Ludwig-Bölkow-Systemtechnik/Kommission, C‑250/16 P, EU:C:2017:871, Rn. 29). Dies ist hier jedoch nicht der Fall.

39

Zwar haben die Rechtsmittelführer diese Vorschriften des Primärrechts in ihrer Klageschrift angeführt, doch wurden sie darin nicht ausdrücklich zur Stützung einer Argumentation geltend gemacht, mit der die fehlende Vereinbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 mit diesen Vorschriften dargetan werden sollte.

40

Da mit der von den Rechtsmittelführern im ersten Rechtszug vertretenen These nicht die Unvereinbarkeit von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 mit den angeführten Vorschriften des Primärrechts geltend gemacht wurde und die Vereinbarkeit dieser Bestimmung erstmals vor dem Gerichtshof in Frage gestellt wird, kann folglich dieser Teil des ersten Rechtsmittelgrundes nicht als Erweiterung der in der Klageschrift geltend gemachten Angriffsmittel angesehen werden.

41

Demnach ist der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen.

42

Zum zweiten Teil dieses Rechtsmittelgrundes ist darauf hinzuweisen, dass das vom Gericht in Rn. 54 des angefochtenen Urteils der EZB zuerkannte Ermessen und die Beschränkung der durch das Gericht ausgeübten Rechtmäßigkeitskontrolle lediglich die Frage betrafen, ob durch die Verbreitung des streitigen Dokuments ein überwiegendes öffentliches Interesse beeinträchtigt werden könnte. Diese Erwägungen konnten daher die Würdigung nicht verfälschen, die das Gericht in den Rn. 43 bis 52 dieses Urteils vorgenommen hat, in denen es nicht um das Vorliegen einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses, sondern um die Gründe, die die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument der EZB rechtfertigen können, und das Wesen des streitigen Dokuments ging. Daher kann die Argumentation der Rechtsmittelführer zu diesem Punkt keinen Erfolg haben.

43

Was die Rn. 53 bis 58 des angefochtenen Urteils betrifft, hat das Gericht darin den Klagegrund geprüft, mit dem die Rechtsmittelführer einen Verstoß gegen die Begründungspflicht in Bezug auf eine mögliche Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses geltend gemacht haben. In Anbetracht des Umstands, dass im Rahmen der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme der Nachweis einer erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses nicht erforderlich ist, wie das Gericht in Rn. 29 des angefochtenen Urteils entschieden hat, hatten die Erwägungen zu Art und Intensität der Kontrolle der Gerichte der Europäischen Union in Bezug auf das Vorliegen einer Beeinträchtigung des öffentlichen Interesses jedenfalls keine Auswirkungen auf die Entscheidung über diesen Klagegrund.

44

Folglich sind die von den Rechtsmittelführern im Rahmen des zweiten Teils des ersten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Argumente zurückzuweisen.

45

In Anbetracht der obigen Erwägungen ist der erste Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und teilweise unbegründet insgesamt zurückzuweisen.

Zum zweiten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

46

Mit dem zweiten Rechtsmittelgrund werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, in den Rn. 53 bis 57 des angefochtenen Urteils die vom Gerichtshof in Bezug auf die Verordnung Nr. 1049/2001 entwickelten Begründungsanforderungen verkannt zu haben. Insbesondere habe das Gericht zugelassen, dass die EZB die Verweigerung des Zugangs zu ihren Dokumenten auf „hypothetische Wirkungen“ stützen könne. Abstrakte und allgemeine Gefahren reichten aber für eine Verweigerung des Zugangs nicht aus. So habe die EZB nicht erläutert, wie der Zugang zu dem angeforderten Dokument den „Reflexionsspielraum“ der EZB schmälern und das durch die Ausnahme in Art. 4 des Beschlusses 2004/258 geschützte Interesse tatsächlich konkret beeinträchtigen könnte.

47

Die EZB schlägt vor, dieses Rechtsmittel als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

48

Vorab ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 auf das streitige Dokument keine Anwendung findet. Der Zugang zu diesem Dokument unterliegt dem Beschluss 2004/258.

49

Zu dem von den Rechtsmittelführern geltend gemachten Verstoß gegen die vom Gerichtshof in Bezug auf die Verordnung Nr. 1049/2001 aufgestellten Anforderungen an die Begründung von Rechtsakten der Organe, ist festzustellen, dass, während Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 dieser Verordnung den Nachweis verlangt, dass die Verbreitung des Dokuments den Entscheidungsprozess des Organs erheblich beeinträchtigt, ein solcher Nachweis im Rahmen der Ausnahme in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 nicht verlangt wird. Daraus folgt, dass das Gericht keineswegs verpflichtet war, zu prüfen, ob die EZB Erläuterungen hinsichtlich der Gefahr einer erheblichen Beeinträchtigung ihres Entscheidungsprozesses, die durch den Zugang zu dem streitigen Dokument entstehen könnte, gegeben hatte.

50

Die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 setzt nämlich lediglich voraus, dass zum einen nachgewiesen wird, dass dieses Dokument u. a. zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB bestimmt ist, und zum anderen, dass kein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung dieses Dokuments besteht.

51

Somit hat das Gericht ohne Verkennung der Anforderungen an die Begründung von Rechtsakten der Unionsorgane in Rn. 55 des angefochtenen Urteils die Begründung des streitigen Beschlusses geprüft und festgestellt, dass darin ausgeführt wird, dass das streitige Dokument für den internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen des EZB‑Rats bestimmt gewesen sei, die Verbreitung des Dokuments die Möglichkeit eines effektiven, informellen und vertraulichen Meinungsaustauschs zwischen den Mitgliedern der Entscheidungsgremien und folglich den „Reflexionsspielraum“ innerhalb der EZB untergrabe und dass ferner die Verbreitung des streitigen Dokuments, wenn es isoliert aus dem Kontext gerissen betrachtet würde, die Unabhängigkeit der Mitglieder des EZB‑Rats gefährden könnte.

52

Ebenfalls zutreffend hat das Gericht in Rn. 57 des angefochtenen Urteils entschieden, dass die Begründungspflicht die EZB keineswegs daran hinderte, sich auf Erwägungen zu stützen, die die hypothetischen Wirkungen berücksichtigen, die die Offenlegung des streitigen Dokuments auf den Reflexionsspielraum der EZB haben könnte.

53

Folglich ist der zweite Rechtsmittelgrund als unbegründet zurückzuweisen.

Zum dritten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

54

Mit dem dritten Rechtsmittelgrund, der sich in zwei Teile gliedert und sich im Wesentlichen auf die Rn. 43 bis 50 des angefochtenen Urteils bezieht, werfen die Rechtsmittelführer dem Gericht vor, zum einen den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 in Bezug auf Dokumente zum internen Gebrauch sowie Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses in Bezug auf Rechtsberatung verkannt zu haben und zum anderen die erstgenannte Bestimmung fehlerhaft ausgelegt zu haben, indem es ihre Anwendungsvoraussetzungen im vorliegenden Fall als erfüllt angesehen habe.

55

Insbesondere machen die Rechtsmittelführer im Rahmen des ersten Teils des dritten Rechtsmittelgrundes geltend, dass Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 in Anbetracht seines Wortlauts „Rechtsberatung“ betreffe, während Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Beschlusses ausschließlich Dokumente betreffe, die andere Beratungen als die Rechtsberatung umfassten. Das Gericht sei aber auf die Frage, ob es sich bei dem streitigen Dokument um Rechtsberatung im Sinne der erstgenannten Bestimmung handele, nicht eingegangen.

56

Da es sich bei dem streitigen Dokument um eine abstrakte und wissenschaftliche Antwort auf eine Rechtsfrage und nicht um Rechtsberatung handele, könne das streitige Dokument nicht als solche im Sinne von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 qualifiziert werden.

57

Folglich hätte, anders als das Gericht in Rn. 43 des angefochtenen Urteils entschieden habe, die Anwendung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 wegen der Sperrwirkung von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses, der eine Spezialnorm gegenüber der erstgenannten Bestimmung sei, ausgeschlossen werden müssen, da die Ausnahmen von dem auf diese Art von Dokumenten anwendbaren Transparenzgrundsatz in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses abschließend geregelt seien.

58

Im Rahmen des zweiten Teils dieses Rechtsmittelgrundes wenden sich die Rechtsmittelführer gegen die Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 durch das Gericht. Hierzu machen sie erneut geltend, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 wie Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Integrität des internen Entscheidungsprozesses der EZB schützen solle. Das Dokument, dessen Offenlegung beantragt werde, falle aber nicht in den Anwendungsbereich von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258, da es nicht für den internen Gebrauch in einem konkreten Entscheidungsprozess bestimmt sei, sondern eine externe Stellungnahme zur Bestimmung des „externen Rahmens“ der Kompetenzen der EZB darstelle.

59

Die EZB tritt diesem Vorbringen entgegen und schlägt vor, diesen Rechtsmittelgrund insgesamt zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

60

Zum ersten Teil ist einleitend darauf hinzuweisen, dass der Wortlaut von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich des Beschlusses 2004/258 keine Anhaltspunkte dafür enthält, dass es sich um eine Spezialnorm gegenüber Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 dieses Beschlusses handelt.

61

Wie sich aus der letztgenannten Bestimmung ergibt, erfasst die darin vorgesehene Ausnahme nämlich Dokumente, die die EZB zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB oder im Rahmen des Meinungsaustauschs zwischen der EZB und den nationalen Behörden erstellt oder erhalten hat.

62

Außerdem schließt nichts in dem Wortlaut von Art. 4 des Beschlusses 2004/258 aus, dass ein und derselbe Teil eines Dokuments unter mehrere der in Artikel vorgesehenen Ausnahmen fallen kann.

63

Daher hat das Gericht in den Rn. 44 bis 47 des angefochtenen Urteils zu Recht entschieden, dass die EZB bei der Prüfung eines Antrags auf Zugang zu Dokumenten, die sich in ihrem Besitz befinden, mehrere der in Art. 4 des Beschlusses 2004/258 enthaltenen Ablehnungsgründe berücksichtigen kann, d. h. im vorliegenden Fall sowohl den Ablehnungsgrund in Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses als auch den in dessen Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1.

64

Im Übrigen spielt es im Hinblick auf die Anwendung der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme keine Rolle, dass das streitige Dokument auch als von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses erfasstes „Rechtsgutachten“ qualifiziert werden könnte. Der Unionsgesetzgeber hat die Möglichkeit, sich auf die in der erstgenannten Bestimmung bezeichnete Ausnahme zu berufen, nämlich nicht daran geknüpft, dass es sich bei den dort genannten Dokumenten nicht um „Rechtsberatung“ im Sinne von Art. 4 Abs. 2 zweiter Gedankenstrich dieses Beschlusses handelt.

65

Daher ist der erste Teil des dritten Rechtsmittelgrundes als unbegründet zurückzuweisen.

66

Zum zweiten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist festzustellen, dass nach Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 der Zugang zu einem Dokument, das die EZB zum internen Gebrauch im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB oder im Rahmen des Meinungsaustauschs zwischen der EZB und den nationalen Behörden erstellt oder erhalten hat, auch dann, wenn der Beschluss gefasst worden ist, verweigert wird, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung.

67

Was zum einen die Voraussetzung des internen Gebrauchs der Dokumente betrifft, wurde das streitige Dokument bei einem externen Dienstleister in Auftrag gegeben, um die internen Überlegungen der Entscheidungsgremien der EZB zu bereichern und deren Beratungen und Diskussionen zu unterstützen.

68

Hierzu ist darauf hinzuweisen, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 so formuliert ist, dass er interne vorbereitende Dokumente schützt, wobei das streitige Dokument auch von einem externen Dienstleister verfasst sein kann, da diese Bestimmung ausdrücklich auf ein Dokument verweist, dass die EZB „erhalten“ hat.

69

Außerdem wird in dem streitigen Beschluss, wie das Gericht in Rn. 49 zutreffend ausgeführt hat, nicht vorgetragen, dass das streitige Dokument ein internes Dokument sei, sondern dass dieses Dokument für den internen Gebrauch bestimmt sei.

70

Somit hat das Gericht in Rn. 41 des angefochtenen Urteils zur Recht entschieden, dass die EZB davon ausgehen durfte, dass das streitige Dokument für den internen Gebrauch bestimmt im Sinne von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 gewesen sei.

71

Zum anderen kann der Wortlaut von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 nicht dahin verstanden werden, dass der in dieser Bestimmung gewährte Schutz Dokumenten vorbehalten ist, die im Zusammenhang mit einem konkreten Entscheidungsprozess stehen. Diese Bestimmung sieht nämlich lediglich vor, dass ein Dokument „im Rahmen von Beratungen und Vorgesprächen innerhalb der EZB“ gebraucht wird. Wie die EZB vorträgt, können diese Beratungen und Vorgespräche zwar ein konkretes Verfahren betreffen, aber auch einen umfassenderen Gegenstand haben und allgemeine Fragen betreffen. In diesem Sinne bewirkt diese Bestimmung, indem sie auch Dokumente im Rahmen des Meinungsaustauschs zwischen der EZB und den nationalen Behörden nennt, dass in umfassender Weise Dokumente im Zusammenhang mit internen Prozessen der EZB erfasst sind.

72

Eine solche Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 wird nicht durch das Ergebnis in Frage gestellt, das im Urteil vom 13. Juli 2017, Saint-Gobain Glass Deutschland/Kommission (C‑60/15 P, EU:C:2017:540), festgehalten wurde, auf das sich die Rechtsmittelführer berufen.

73

In diesem Urteil hat der Gerichtshof im Wesentlichen entschieden, dass der Zugang zu einem Dokument aufgrund von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 nur verweigert werden kann, wenn sich der Entscheidungsprozess auf die Beschlussfassung bezieht.

74

Im Unterschied zu dieser Verordnung und anders als die Rechtsmittelführer insoweit geltend machen, ist der Zweck des in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 und in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Schutzes nicht identisch. Diese Bestimmung des Beschlusses 2004/258 nimmt nämlich Bezug auf Beratungen und Vorgespräche innerhalb der EZB, während eine solche Bezugnahme in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 der Verordnung Nr. 1049/2001 fehlt.

75

Außerdem knüpft Art. 4 Abs. 3 dieser Verordnung die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument daran, dass dieses „sich auf eine Angelegenheit bezieht, in der das Organ noch keinen Beschluss gefasst hat“, während Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 eine solche Präzisierung nicht enthält. Vielmehr beabsichtigte die EZB im Rahmen des Beschlusses 2004/258, ihre Dokumente auch im Fall eines abgeschlossenen Entscheidungsprozesses unter Schutz zu stellen, da nach der letztgenannten Bestimmung der Zugang zu dem Dokument „auch dann“ verweigert wird, wenn der Beschluss gefasst worden ist.

76

Darüber hinaus ist darauf hinzuweisen, dass die EZB mit dem Beschluss 2004/258 entschieden hat, ein Recht auf Zugang zu ihren Dokumenten vorbehaltlich der in diesem Beschluss festgelegten Bedingungen und Einschränkungen zu gewähren. Dieser Beschluss bezweckt somit, dieses Zugangsrecht unter Berücksichtigung der Besonderheit der EZB zu wahren, die gemäß Art. 130 AEUV die ihren Aufgaben zugewiesenen Ziele durch die unabhängige Ausübung der besonderen Befugnisse, über die sie zu diesen Zwecken nach dem Vertrag und der Satzung des ESZB verfügt, wirksam verfolgen können muss.

77

Im Übrigen unterscheidet sich der rechtliche Rahmen des nach den Verträgen vorgesehenen Zugangs zu Dokumenten der EZB gemäß Art. 15 Abs. 3 Unterabs. 4 AEUV danach, ob die EZB Verwaltungsaufgaben wahrnimmt oder nicht. Doch selbst wenn die Vorschriften hinsichtlich des Zugangs zu Dokumenten der diesem Absatz unterliegenden Organe im Einklang mit der Verordnung Nr. 1049/2001 festzulegen wären, kann nicht angenommen werden, dass sich ein Dokument wie das streitige, das eine rechtliche Beratung zur Auslegung von Art. 14 Abs. 4 des Protokolls Nr. 4 der Satzung des Systems der Europäischen Zentralbanken und der EZB enthält, auf die Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben der EZB bezieht.

78

Daraus folgt, dass Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 die Verweigerung des Zugangs zu einem Dokument nur in Bezug auf eine konkrete Entscheidung vorsieht, während im Rahmen von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 der Schutz der Vertraulichkeit der Dokumente der EZB auch dann gewährleistet ist, wenn diese Dokumente nicht zu einem Prozess gehören, in dem eine solche Entscheidung getroffen wird.

79

Somit hat das Gericht das erstinstanzliche Vorbringen der Rechtsmittelführer nach einer rechtsfehlerfreien Auslegung von Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 zurückgewiesen.

80

Der zweite Teil des dritten Rechtsmittelgrundes ist daher als unbegründet zurückzuweisen. Folglich kann der dritte Rechtsmittelgrund insgesamt keinen Erfolg haben.

Zum vierten Rechtsmittelgrund

Vorbringen der Parteien

81

Mit dem vierten Rechtsmittelgrund machen die Rechtsmittelführer geltend, das Gericht habe in den Rn. 62 bis 72 des angefochtenen Urteils verkannt, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Veröffentlichung des streitigen Dokuments vorliege.

82

Selbst wenn die Anwendungsvoraussetzungen der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme vorlägen, änderte dies nichts daran, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung des streitigen Dokuments gegeben sei.

83

Hierfür sprächen Erwägungen hinsichtlich der Kontrolle der Rechtmäßigkeit der Handlungen der EZB. An der Feststellung einer etwaigen Rechtswidrigkeit einer Entscheidung der EZB bestehe nämlich ein öffentliches Interesse. Außerdem ergebe sich aus dem ersten Erwägungsgrund des Beschlusses 2004/258, dass eine größere Transparenz zu einer besseren Beteiligung der Bürger an Entscheidungsprozessen führe. Schließlich werfen sie dem Gericht vor, eine Interessensabwägung vorgenommen zu haben, ohne eine Interessensbeeinträchtigung der EZB konkret und substantiiert zu bezeichnen.

84

Außerdem habe das Gericht, indem es auf den Nachweis der erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses verzichtet und seine Rechtsprüfung damit auf eine Ermessensmissbrauchsprüfung reduziert habe, für die Überprüfung des öffentlichen Interesses einen unzutreffenden Maßstab gebildet. Eine Gefährdung oder erhebliche Beeinträchtigung sei weder in Bezug auf den Schutz der Rechtsberatung noch auf den Schutz des internen Entscheidungsprozesses dargetan.

85

Entgegen der Auffassung des Gerichts genügten abstrakte und rein hypothetische Erwägungen nicht, um eine Gefährdung des geschützten Interesses darzutun.

86

Nach Ansicht der EZB ist dieser Rechtsmittelgrund als unzulässig, hilfsweise als unbegründet zurückzuweisen.

Würdigung durch den Gerichtshof

87

Zu diesem Rechtsmittelgrund ist festzustellen, dass die Rechtsmittelführer mit ihren Argumenten hinsichtlich der Verneinung eines überwiegenden öffentlichen Interesses durch das Gericht die von ihnen bereits im ersten Rechtszug vorgebrachten Argumente wiederholen. Somit bezwecken die Rechtsmittelführer mit ihrem Vorbringen in Wirklichkeit nur eine erneute Prüfung der beim Gericht eingereichten Klage, was nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt (vgl. u. a. Urteil vom 9. September 2015, Lito Maieftiko Gynaikologiko kai Cheirourgiko Kentro/Kommission, C‑506/13 P, EU:C:2015:562, Rn. 62 und 63).

88

Die Argumentation der Rechtsmittelführer, die EZB müsse eine erhebliche Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses substantiiert bezeichnen, beruht auf einer unzutreffenden Prämisse, da ein derartiger Nachweis im Rahmen der in Art. 4 Abs. 3 Unterabs. 1 des Beschlusses 2004/258 vorgesehenen Ausnahme nicht verlangt wird, worauf bereits in Rn. 43 des vorliegenden Urteils hingewiesen worden ist. Wie sich aus dieser Randnummer ergibt, geht die Argumentation der Rechtsmittelführer hinsichtlich des Nachweises einer erheblichen Beeinträchtigung des Entscheidungsprozesses ins Leere.

89

Folglich ist dieser Rechtsmittelgrund als teilweise unzulässig und teilweise ins Leere gehend zurückzuweisen.

90

Nach alledem können die Rechtsmittelführer mit keinem ihrer Rechtsmittelgründe durchdringen.

91

Das Rechtsmittel ist daher in vollem Umfang zurückzuweisen.

Kosten

92

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs, der nach deren Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die EZB beantragt hat, die Rechtsmittelführer zur Tragung der Kosten zu verurteilen, und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten aufzuerlegen.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

 

2.

Herr Fabio de Masi und Herr Yanis Varoufakis tragen die Kosten.

 

Bonichot

Bay Larsen

Toader

Safjan

Jääskinen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 17. Dezember 2020.

Der Kanzler

A. Calot Escobar

Der Präsident der Ersten Kammer

J.-C. Bonichot


( *1 ) Verfahrenssprache: Deutsch.