URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

16. Juli 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 1 Abs. 1 – Anwendungsbereich – Begriff ‚Zivil- und Handelssachen‘ – Von einer Behörde zum Schutz von Verbraucherinteressen erhobene Klage auf Einstellung unlauterer Geschäftspraktiken“

In der Rechtssache C‑73/19

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien) mit Entscheidung vom 24. Januar 2019, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Januar 2019, in dem Verfahren

Belgische Staat, vertreten durch den Minister van Werk, Economie en Consumenten, belast met Buitenlandse handel, und durch den Directeur-Generaal van de Algemene Directie Controle en Bemiddeling van de FOD Economie, K.M.O., Middenstand en Energie, jetzt Algemene Directie Economische Inspectie,

Directeur-Generaal van de Algemene Directie Controle en Bemiddeling van de FOD Economie, K.M.O., Middenstand en Energie, jetzt Algemene Directie Economische Inspectie,

gegen

Movic BV,

Events Belgium BV,

Leisure Tickets & Activities International BV

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot sowie der Richter M. Safjan und L. Bay Larsen, der Richterin C. Toader (Berichterstatterin) und des Richters N. Jääskinen,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: M. Ferreira, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 29. Januar 2020,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Movic BV, vertreten durch L. Savelkoul und B. Schildermans, advocaten,

der Events Belgium BV und der Leisure Tickets & Activities International BV, vertreten durch T. Baes, advocaat,

der belgischen Regierung, vertreten durch P. Cottin, L. Van den Broeck und C. Pochet als Bevollmächtigte im Beistand von E. Vervaeke, advocaat,

der Europäischen Kommission, vertreten durch M. Heller und G. Wils als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 23. April 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2012, L 351, S. 1).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits, in dem sich Belgische Staat (Belgischer Staat), vertreten durch den Minister van Werk, Economie en Consumenten, belast met de Buitenlandse Handel (Minister für Beschäftigung, Wirtschaft und Verbraucher, beauftragt mit dem Außenhandel), und durch den Directeur-Generaal van de Algemene Directie Controle en Bemiddeling van de FOD Economie, K.M.O., Middenstand en Energie (Generaldirektor der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, kleine und mittlere Betriebe, Mittelstand und Energie), jetzt Algemene Directie Economische Inspectie (Generaldirektion Wirtschaftsinspektion), sowie der Generaldirektor der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, kleine und mittlere Betriebe, Mittelstand und Energie (im Folgenden: die belgischen Behörden) auf der einen Seite und die Gesellschaften niederländischen Rechts Movic BV, Events Belgium BV und Leisure Tickets & Activities International BV auf der anderen Seite gegenüberstehen; Gegenstand des Rechtsstreits ist u. a. die Einstellung der Geschäftspraktik der genannten Gesellschaften, Eintrittskarten für in Belgien organisierte Veranstaltungen weiterzuverkaufen.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 7 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (ABl. 1993, L 95, S. 29) bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sorgen dafür, dass im Interesse der Verbraucher und der gewerbetreibenden Wettbewerber angemessene und wirksame Mittel vorhanden sind, damit der Verwendung missbräuchlicher Klauseln durch einen Gewerbetreibenden in den Verträgen, die er mit Verbrauchern schließt, ein Ende gesetzt wird.

(2)   Die in Absatz 1 genannten Mittel müssen auch Rechtsvorschriften einschließen, wonach Personen oder Organisationen, die nach dem innerstaatlichen Recht ein berechtigtes Interesse am Schutz der Verbraucher haben, im Einklang mit den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften die Gerichte oder die zuständigen Verwaltungsbehörden anrufen können, damit diese darüber entscheiden, ob Vertragsklauseln, die im Hinblick auf eine allgemeine Verwendung abgefasst wurden, missbräuchlich sind, und angemessene und wirksame Mittel anwenden, um der Verwendung solcher Klauseln ein Ende zu setzen.

…“

4

In Art. 11 („Durchsetzung“) der Richtlinie 2005/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 über unlautere Geschäftspraktiken von Unternehmen gegenüber Verbrauchern im Binnenmarkt und zur Änderung der Richtlinie 84/450/EWG des Rates, der Richtlinien 97/7/EG, 98/27/EG und 2002/65/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie der Verordnung (EG) Nr. 2006/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates (Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken) (ABl. 2005, L 149, S. 22) heißt es:

„(1)   Die Mitgliedstaaten stellen im Interesse der Verbraucher sicher, dass geeignete und wirksame Mittel zur Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken vorhanden sind, um die Einhaltung dieser Richtlinie durchzusetzen.

Diese Mittel umfassen Rechtsvorschriften, die es Personen oder Organisationen, die nach dem nationalen Recht ein berechtigtes Interesse an der Bekämpfung unlauterer Geschäftspraktiken haben, einschließlich Mitbewerbern, gestatten,

a)

gerichtlich gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken vorzugehen

und/oder

b)

gegen solche unlauteren Geschäftspraktiken ein Verfahren bei einer Verwaltungsbehörde einzuleiten, die für die Entscheidung über Beschwerden oder für die Einleitung eines geeigneten gerichtlichen Verfahrens zuständig ist.

Jedem Mitgliedstaat bleibt es vorbehalten zu entscheiden, welcher dieser Rechtsbehelfe zur Verfügung stehen wird und ob das Gericht oder die Verwaltungsbehörde ermächtigt werden soll, vorab die Durchführung eines Verfahrens vor anderen bestehenden Einrichtungen zur Regelung von Beschwerden, einschließlich der in Artikel 10 genannten Einrichtungen, zu verlangen. Diese Rechtsbehelfe stehen unabhängig davon zur Verfügung, ob die Verbraucher sich im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, in dem der Gewerbetreibende niedergelassen ist, oder in einem anderen Mitgliedstaat befinden.

(2)   Im Rahmen der in Absatz 1 genannten Rechtsvorschriften übertragen die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse, die sie ermächtigen, in Fällen, in denen sie diese Maßnahmen unter Berücksichtigung aller betroffenen Interessen und insbesondere des öffentlichen Interesses für erforderlich halten,

a)

die Einstellung der unlauteren Geschäftspraktiken anzuordnen oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung der Einstellung der betreffenden unlauteren Geschäftspraxis einzuleiten,

oder

b)

falls die unlautere Geschäftspraxis noch nicht angewandt wurde, ihre Anwendung jedoch bevorsteht, diese Praxis zu verbieten oder ein geeignetes gerichtliches Verfahren zur Anordnung des Verbots dieser Praxis einzuleiten,

auch wenn kein tatsächlicher Verlust oder Schaden bzw. Vorsatz oder Fahrlässigkeit seitens des Gewerbetreibenden nachweisbar ist.

Die Mitgliedstaaten sehen ferner vor, dass die in Unterabsatz 1 genannten Maßnahmen im Rahmen eines beschleunigten Verfahrens mit

vorläufiger Wirkung

oder

endgültiger Wirkung

getroffen werden können, wobei jedem Mitgliedstaat vorbehalten bleibt zu entscheiden, welche dieser beiden Möglichkeiten gewählt wird.

Außerdem können die Mitgliedstaaten den Gerichten oder Verwaltungsbehörden Befugnisse übertragen, die sie ermächtigen, zur Beseitigung der fortdauernden Wirkung unlauterer Geschäftspraktiken, deren Einstellung durch eine rechtskräftige Entscheidung angeordnet worden ist,

a)

die Veröffentlichung dieser Entscheidung ganz oder auszugsweise und in der von ihnen für angemessen erachteten Form zu verlangen;

b)

außerdem die Veröffentlichung einer berichtigenden Erklärung zu verlangen.

…“

5

Gemäß ihrem Art. 1 ist Ziel der Richtlinie 2009/22/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. April 2009 über Unterlassungsklagen zum Schutz der Verbraucherinteressen (ABl. 2009, L 110, S. 30) die Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über Unterlassungsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher, die unter die in Anhang I dieser Richtlinie aufgeführten Richtlinien fallen, um so das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten.

6

In Anhang I dieser Richtlinie werden bei den Richtlinien, die die Kollektivinteressen der Verbraucher schützen sollen, die Richtlinien 93/13 und 2005/29 genannt.

7

In den Erwägungsgründen 10 und 34 der Verordnung Nr. 1215/2012 heißt es:

„(10)

Der sachliche Anwendungsbereich dieser Verordnung sollte sich, von einigen genau festgelegten Rechtsgebieten abgesehen, auf den wesentlichen Teil des Zivil- und Handelsrechts erstrecken;

(34)

Um die Kontinuität zwischen dem … Übereinkommen [vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32)] …, der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 [des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12. S. 1)] und dieser Verordnung zu wahren, sollten Übergangsvorschriften vorgesehen werden. Dies gilt auch für die Auslegung [dieses] Übereinkommens … und der es ersetzenden Verordnungen durch den Gerichtshof der Europäischen Union.“

8

Art. 1 in Kapitel I („Anwendungsbereich und Begriffsbestimmungen“) der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht in Abs. 1 vor:

„Diese Verordnung ist in Zivil-und Handelssachen anzuwenden, ohne dass es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt. Sie gilt insbesondere nicht für Steuer- und Zollsachen sowie verwaltungsrechtliche Angelegenheiten oder die Haftung des Staates für Handlungen oder Unterlassungen im Rahmen der Ausübung hoheitlicher Rechte (acta iure imperii).“

Belgisches Recht

Gesetz vom 30. Juli 2013

9

Art. 5 Abs. 1 der Wet betreffende de verkoop van toegangsbewijzen tot evenementen (Gesetz über den Weiterverkauf von Eintrittskarten für Veranstaltungen) vom 30. Juli 2013 (Belgisch Staatsblad vom 6. September 2013, S. 63069, im Folgenden: Gesetz vom 30. Juli 2013) verbietet das Anbieten von Eintrittskarten zu Veranstaltungen im Hinblick auf regelmäßigen Weiterverkauf und das Bereitstellen von Mitteln, die für einen regelmäßigen Weiterverkauf verwendet werden. Art. 5 Abs. 2 dieses Gesetzes verbietet den gelegentlichen Weiterverkauf von Eintrittskarten zu Veranstaltungen zu einem Preis, der den Endpreis überschreitet.

10

Nach Art. 14 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 stellt der Präsident der Rechtbank van koophandel (Handelsgericht, Belgien), jetzt Ondernemingsrechtbank (Unternehmensgericht), das Vorliegen einer Handlung, die einen Verstoß gegen Art. 5 dieses Gesetzes darstellt, fest und ordnet ihre Unterlassung an. Diese Bestimmung sieht vor, dass eine Klage auf Unterlassung einer solchen Handlung auf Veranlassung des für Wirtschaft zuständigen Ministers oder des Generaldirektors der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, Klein- und Mittelbetriebe, Mittelstand und Energie erhoben wird.

WER

11

Buch VI des Wetboek economisch recht (Wirtschaftsgesetzbuch) vom 28. Februar 2013 in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (im Folgenden: WER) enthält in Titel 4 ein Kapitel 1 („Unlautere Geschäftspraktiken gegenüber Verbrauchern“), in dem sich die Art. VI.92 bis VI.100 dieses Gesetzbuchs befinden, mit denen die Richtlinie 2005/29 umgesetzt wird. In diesem Rahmen werden in den Art. VI.93, VI.97, VI.99 und VI.100 dieses Gesetzbuchs unlautere Geschäftspraktiken definiert.

12

Nach Art. XVII.1 WER stellt der Präsident der Rechtbank van koophandel (Handelsgericht) vorbehaltlich von Sonderbestimmungen das Vorliegen einer Handlung, die gegen die Bestimmungen dieses Gesetzbuchs verstößt, fest und ordnet ihre Unterlassung an.

13

Gemäß Art. XVII.7 WER wird eine auf Art. XVII.1 WER beruhende Klage u. a. auf Antrag der Betroffenen, des für Wirtschaft zuständigen Ministers oder des Generaldirektors der Generaldirektion Kontrolle und Vermittlung des Föderalen Öffentlichen Dienstes Wirtschaft, Klein- und Mittelbetriebe, Mittelstand und Energie, eines Berufsverbandes oder überberuflichen Verbandes mit Rechtspersönlichkeit oder einer Vereinigung zur Verteidigung von Verbraucherinteressen eingereicht, wenn diese zur Verteidigung ihrer in der Satzung definierten kollektiven Interessen vor Gericht auftritt.

14

Nach Art. XV.2 Abs. 2 WER haben die von den in diesem Bereich zuständigen Bediensteten aufgenommenen Protokolle Beweiskraft bis zum Beweis des Gegenteils.

15

Gemäß Art. XV.3.1 WER können die in Art. XV.2 WER erwähnten Bediensteten ein Verwarnungsprotokoll oder ein Protokoll erstellen oder eine Verwaltungsstrafe vorschlagen, die u. a. auf die gemachten Feststellungen gestützt wird.

Gerichtsgesetzbuch

16

Das Gerechtelijk Wetboek (Gerichtsgesetzbuch) enthält ein Kapitel XXIII („Zwangsgeld“), in dem Art. 1385bis WER bestimmt, dass das Gericht auf Antrag einer Partei die andere Partei zur Zahlung eines Zwangsgeld genannten Geldbetrags für den Fall verurteilen kann, dass der Hauptverurteilung nicht nachgekommen wird; etwaige Schadensersatzansprüche bleiben hiervon unberührt. Nach Art. 1385ter WER kann das Gericht für das Zwangsgeld u. a. einen bestimmten Betrag pro Verstoß festsetzen.

Ausgangsrechtsstreitigkeiten und Vorlagefragen

17

Am 2. Dezember 2016 leiteten die belgischen Behörden gegen Movic, Events Belgium und Leisure Tickets & Activities International beim Präsidenten der Rechtbank van koophandel Antwerpen – afdeling Antwerpen (Handelsgericht, Abteilung Antwerpen, Antwerpen, Belgien) ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes ein; mit ihrem Hauptantrag begehrten sie, zum einen festzustellen, dass diese Gesellschaften in Belgien über von ihnen betriebene Websites Eintrittskarten für Veranstaltungen zu einem höheren als dem ursprünglichen Preis verkauften, was einen Verstoß gegen die Bestimmungen des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und gegen das WER darstelle, und zum anderen, die Einstellung dieser Geschäftspraktiken anzuordnen.

18

Im Wege akzessorischer Anträge beantragten die belgischen Behörden darüber hinaus, Maßnahmen zur Veröffentlichung der verkündeten Entscheidung auf Kosten dieser Gesellschaften anzuordnen, ein Zwangsgeld in Höhe von 10000 Euro pro festgestelltem Verstoß ab der Zustellung dieser Entscheidung zu verhängen und zu entscheiden, dass zukünftige Verstöße gemäß dem WER durch einfaches Protokoll eines vereidigten Beamten der Generaldirektion Wirtschaftsinspektion festgestellt werden können.

19

Die drei in Rede stehenden Gesellschaften erhoben die Einrede der internationalen Unzuständigkeit der belgischen Gerichte und trugen vor, dass die belgischen Behörden hoheitliche Rechte ausgeübt hätten, so dass ihre Klagen nicht in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fielen.

20

Mit Entscheidung vom 25. Oktober 2017 entschied der Präsident der Rechtbank van koophandel Antwerpen – afdeling Antwerpen (Handelsgericht, Abteilung Antwerpen, Antwerpen), dass er für die Klagen des Ausgangsverfahrens nicht international zuständig sei. Er entschied insoweit, dass die Verordnung Nr. 1215/2012 im vorliegenden Fall nicht anwendbar sei, weil diese Klagen nicht als „Zivil- oder Handelssachen“ im Sinne dieser Verordnung angesehen werden könnten.

21

Die belgischen Behörden legten gegen diese Entscheidung Berufung beim Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen, Belgien) ein.

22

Die Parteien des Ausgangsverfahren streiten über die Frage, ob eine Behörde, wenn sie eine Klage erhebt, die darauf gerichtet ist, Verstöße gegen das Gesetz vom 30. Juli 2013 und das WER abzustellen, in Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse handelt oder nicht.

23

Die belgischen Behörden machen geltend, dass sie in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten kein behördliches Interesse verteidigten, das dem ihrigen gleichzuachten sei, sondern ein Allgemeininteresse, das darin bestehe, auf dem Gebiet der Geschäftspraktiken die nationalen Vorschriften durchzusetzen, die wiederum den Schutz der privaten Interessen von Unternehmern und Verbrauchern zum Ziel hätten, wobei auf diese Geschäftspraktiken die im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Vorschriften anwendbar seien, so dass diese Streitigkeiten unter „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fielen.

24

Die Beklagten des Ausgangsverfahrens machen hingegen geltend, dass die belgischen Behörden aufgrund einer Befugnis tätig würden, die ihnen spezifisch als Behörde zustehe und auf deren Grundlage sie im Gegensatz zu einfachen Privatpersonen oder Unternehmen eine Unterlassungsklage erheben könnten, ohne über ein eigenes Interesse zu verfügen. Die belgischen Behörden handelten daher in Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse, da sie von den Geschäftspraktiken der fraglichen Gesellschaften nicht selbst betroffen seien.

25

Unter diesen Umständen hat der Hof van beroep te Antwerpen (Appellationshof Antwerpen) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist ein Rechtsstreit, dem eine durch die belgischen Behörden nach Art. 14 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und Art. XVII.7 WER eingereichte Klage auf Feststellung und Unterlassung von widerrechtlichen Markt- und/oder Geschäftspraktiken zulasten von Verbrauchern gegen niederländische Gesellschaften zugrunde liegt, die sich von den Niederlanden aus über Websites hauptsächlich an belgische Kunden für den Weiterverkauf von Tickets für Veranstaltungen in Belgien wenden, eine „Zivil- oder Handelssache“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012, und kann eine in einem solchen Rechtsstreit ergangene Gerichtsentscheidung aus diesem Grund in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fallen?

Zur Vorlagefrage

26

Die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage betrifft im Wesentlichen die Bestimmung des Gerichts, das zuständig ist, um über die von den Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gesellschaften erhobenen Klagen auf Feststellung und Unterlassung von vermeintlich widerrechtlichen Geschäftspraktiken dieser Gesellschaften, die sich an Verbraucher im erstgenannten Mitgliedstaat richten, zu entscheiden.

27

Es ist darauf hinzuweisen, dass der vor diesem Gericht anhängige Rechtsstreit auch noch drei akzessorisch gestellte Anträge umfasst, die darauf gerichtet sind, dass Maßnahmen zur Veröffentlichung angeordnet werden, dass ein Zwangsgeld verhängt wird und dass entschieden wird, dass zukünftige Verstöße durch einfaches Protokoll festgestellt werden können, das von einem vereidigten Beamten einer dieser Behörden erstellt wird.

28

Wie der Generalanwalt in Nr. 14 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, muss das vorlegende Gericht daher für die Prüfung, ob es für die Entscheidung über die Ausgangsrechtsstreitigkeiten nach der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständig ist, feststellen, dass keiner der von den belgischen Behörden gestellten Anträge diese Rechtsstreitigkeiten ganz oder teilweise vom sachlichen Anwendungsbereich dieser Verordnung ausschließen kann.

29

Nach ständiger Rechtsprechung ist es Sache des Gerichtshofs, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, über den Rechtsstreit zu entscheiden, mit dem es befasst ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. Dezember 2008, Gysbrechts und Santurel Inter, C‑205/07, EU:C:2008:730, Rn. 31 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 12. Februar 2015, Baczó und Vizsnyiczai, C‑567/13, EU:C:2015:88, Rn. 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung), indem er gegebenenfalls die Vorlagefrage umformuliert.

30

Unter diesen Umständen wird das Vorabentscheidungsersuchen nicht nur in Bezug auf die beim vorlegenden Gericht gestellten Hauptanträge beantwortet, sondern auch in Bezug auf die bei diesem Gericht gestellten akzessorischen Anträge.

31

Es ist daher davon auszugehen, dass das vorlegende Gericht mit seiner Frage wissen möchte, ob Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in dieser Bestimmung eine Klage von Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gewerbetreibende fällt, in deren Rahmen diese Behörden mit ihrem Hauptantrag die Feststellung von Verstößen, die vermeintlich widerrechtliche unlautere Geschäftspraktiken darstellen, und die Anordnung von deren Unterlassung begehren sowie des Weiteren beantragen, dass Maßnahmen zur Veröffentlichung angeordnet werden, dass ein Zwangsgeld für die festgestellten Verstöße verhängt wird und dass festgestellt wird, dass zukünftige Verstöße durch einfaches Protokoll festgestellt werden können, das von einem vereidigten Beamten einer dieser Behörden erstellt wird.

32

Es ist vorab darauf hinzuweisen, dass, soweit die Verordnung Nr. 1215/2012 die Verordnung Nr. 44/2001 aufhebt und ersetzt, die selbst das im 34. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 genannte Übereinkommen ersetzt hat, die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung der Bestimmungen dieser Rechtsinstrumente auch für die Verordnung Nr. 1215/2012 gilt, wie aus dem genannten Erwägungsgrund hervorgeht, wenn die Bestimmungen dieser Rechtsinstrumente als „gleichwertig“ angesehen werden können.

33

Der Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 kann nicht als bloße Verweisung auf das innerstaatliche Recht eines Mitgliedstaats verstanden werden, da sichergestellt werden muss, dass sich aus dieser Verordnung für die Mitgliedstaaten und die betroffenen Personen so weit wie möglich gleiche und einheitliche Rechte und Pflichten ergeben. Dieser Begriff ist als autonomer Begriff anzusehen, bei dessen Auslegung die Zielsetzungen und die Systematik dieser Verordnung sowie die allgemeinen Rechtsgrundsätze, die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtsordnungen ergeben, berücksichtigt werden müssen (Urteil vom 7. Mai 2020, Rina, C‑641/18, EU:C:2020:349, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

34

Wie u. a. aus dem zehnten Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 hervorgeht, verlangen des Weiteren die Erfordernisse, das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts zu gewährleisten und es im Interesse einer abgestimmten Rechtspflege zu vermeiden, dass in den Mitgliedstaaten miteinander unvereinbare Entscheidungen ergehen, eine weite Auslegung des genannten Begriffs der „Zivil- und Handelssachen“ (Urteil vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana, C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

35

Schließlich hat der Gerichtshof wiederholt entschieden, dass zwar bestimmte Rechtsstreitigkeiten, in denen sich eine Behörde und eine Person des Privatrechts gegenüberstehen, in den Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen können, es sich jedoch anders verhält, wenn die Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig wird (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 11. April 2013, Sapir u. a., C‑645/11, EU:C:2013:228, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 12. September 2013, Sunico u. a., C‑49/12, EU:C:2013:545, Rn. 34).

36

Die Wahrnehmung von Hoheitsrechten durch eine der Parteien des Rechtsstreits schließt einen solchen Rechtsstreit nämlich von den „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 aus, da diese Partei Befugnisse ausübt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Regeln abweichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Februar 2007, Lechouritou u. a., C‑292/05, EU:C:2007:102, Rn. 34 sowie die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana, C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 49 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

37

Daraus folgt, dass für die Feststellung, ob eine Sache unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 und infolgedessen in den Anwendungsbereich dieser Verordnung fällt, die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehende Rechtsbeziehung und der Gegenstand dieses Rechtsstreits zu ermitteln oder, alternativ, die Grundlage der Klage und die Modalitäten ihrer Erhebung zu prüfen sind (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 14. Oktober 1976, LTU, 29/76, EU:C:1976:137, Rn. 4, und vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana, C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

38

Was die Grundlage eines Antrags wie desjenigen betrifft, der in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten als Hauptantrag gestellt wurde, ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 93/13 vorsieht, dass die Mitgliedstaaten Klagen auf Unterlassung der Verwendung missbräuchlicher Klauseln in Verbraucherverträgen einführen müssen.

39

Ebenso sieht die Richtlinie 2005/29 in ihrem Art. 11 („Durchsetzung“) verschiedene Modalitäten zur Feststellung der Rechtswidrigkeit von Geschäftspraktiken und zur Anordnung ihrer Unterlassung vor.

40

In ihrem Anhang I schließlich verweist die Richtlinie 2009/22 im Rahmen der Instrumente des Unionsrechts, die die kollektiven Interessen der Verbraucher schützen, auf die Richtlinien 93/13 und 2005/29.

41

In Bezug auf Unterlassungsklagen und den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Klage auf Untersagung, dass Gewerbetreibende in Verträgen, die sie mit Verbrauchern schließen, missbräuchliche Klauseln im Sinne der Richtlinie 93/13 verwenden, unter den Begriff „Zivilsache“ fällt, da sie darauf abzielt, Rechtsverhältnisse des Privatrechts einer gerichtlichen Kontrolle zu unterwerfen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Oktober 2002, Henkel, C‑167/00, EU:C:2002:555, Rn. 30). Diese Rechtsprechung wurde später bestätigt und allgemeiner auf Unterlassungsklagen im Sinne der Richtlinie 2009/22 ausgedehnt (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Juli 2016, Verein für Konsumenteninformation, C‑191/15, EU:C:2016:612, Rn. 38 und 39).

42

Daraus folgt, dass Klagen, die darauf abzielen, unlautere Geschäftspraktiken im Sinne der Richtlinie 2005/29 festzustellen und zu untersagen, auch unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen.

43

Im vorliegenden Fall zielen die vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Klagen darauf ab, das von der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Regelung vorgesehene Verbot des regelmäßigen Weiterverkaufs von Eintrittskarten zu Veranstaltungen oder des gelegentlichen Weiterverkaufs solcher Eintrittskarten zu einem Preis, der den Endpreis übersteigt, durchzusetzen, da solche Weiterverkäufe in Anbetracht dieser Regelung als unlautere Geschäftspraktiken angesehen werden können.

44

Was die Modalitäten der Einreichung der erhobenen Klage anbelangt, ist jedoch zu bemerken, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Klagen nicht von Personen des Privatrechts wie Verbrauchern oder Verbraucherschutzorganisationen erhoben wurden, sondern von den belgischen Behörden, die von dem betreffenden Mitgliedstaat damit beauftragt waren, u. a. für den Verbraucherschutz Sorge zu tragen.

45

Im vorliegenden Fall stellen die Beklagten des Ausgangsverfahrens in Abrede, dass die Klagen unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fallen könnten, und machen zunächst geltend, dass die belgischen Behörden nicht verpflichtet seien, nachzuweisen, dass sie ein eigenes Interesse an der Einleitung von Verfahren wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden hätten.

46

Hierzu ist als Erstes festzustellen, dass die Liste der Personen, die berechtigt sind, gemäß Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und Art. XVII.7 WER eine solche Klage vor Gericht zu erheben, vom nationalen Gesetzgeber festgelegt wurde.

47

In diesem Zusammenhang hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass der Umstand, dass eine Zuständigkeit oder eine Befugnis durch ein Gesetz eingeräumt wurde, als solcher nicht ausschlaggebend für den Schluss ist, dass eine staatliche Behörde in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat (vgl. entsprechend in Bezug auf den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne der Verordnung [EG] Nr. 1393/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. November 2007 über die Zustellung gerichtlicher und außergerichtlicher Schriftstücke in Zivil- oder Handelssachen in den Mitgliedstaaten und zur Aufhebung der Verordnung [EG] Nr. 1348/2000 des Rates [ABl. 2007, L 324, S. 79] Urteil vom 11. Juni 2015, Fahnenbrock u. a., C‑226/13, C‑245/13 und C‑247/13, EU:C:2015:383, Rn. 56).

48

Im vorliegenden Fall geht aus dem Wortlaut von Art. 14 Abs. 1 des Gesetzes vom 30. Juli 2013 und aus Art. XVII.7 WER hervor, dass die belgischen Behörden in gleicher Weise wie Betroffene und Verbraucherschutzvereinigungen die Möglichkeit haben, zur Feststellung des Verstoßes gegen die nationale Regelung in diesem Bereich und zum Erlass einer Unterlassungsverfügung den Präsidenten der Rechtbank van koophandel (Handelsgericht), jetzt der Ondernemingsrechtbank (Unternehmensgericht), anzurufen.

49

Daraus folgt, dass die verfahrensrechtliche Stellung der belgischen Behörden insoweit mit der einer Verbraucherschutzorganisation vergleichbar ist.

50

Als Zweites scheint die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung für die in ihr erwähnten belgischen Behörden auch keine Vorschriften über die Anerkennung eines Rechtsschutzinteresses zu enthalten, die für die Rechtsbehelfe der Behörden Bedingungen vorsähen, die von denjenigen abwichen, die für die anderen Kläger vorgesehen sind.

51

Insbesondere sind diese belgischen Behörden – vorbehaltlich der Überprüfungen, die dem vorlegenden Gericht obliegen – genauso wenig wie die beiden anderen in Art. XVII.7 WER genannten Kategorien von Klägern davon befreit, ein eigenes Rechtsschutzinteresse zu haben.

52

So trifft es zwar zu, dass in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten die belgischen Behörden für ihr Rechtsschutzinteresse offenbar keinen Beweis antreten mussten, doch liegt dies zwangsläufig daran, dass sie lediglich auf der Grundlage einer Zuständigkeit tätig werden konnten, die ihnen im Bereich der Bekämpfung bestimmter unlauterer Geschäftspraktiken durch das Gesetz verliehen wird.

53

Wie der Generalanwalt in Nr. 29 seiner Schlussanträge im Übrigen ausgeführt hat, darf zudem die Verteidigung des Allgemeininteresses nicht mit der Ausübung hoheitlicher Befugnisse verwechselt werden.

54

Im Ausgangsverfahren scheinen somit die aufgestellten Voraussetzungen für das Vorliegen eines Rechtsschutzinteresses der belgischen Behörden vorbehaltlich der Überprüfung durch das vorlegende Gericht keine Ausübung hoheitlicher Befugnisse darzustellen.

55

Des Weiteren heben die Beklagten des Ausgangsverfahrens hervor, dass die belgischen Behörden ihre eigenen Feststellungen und Erklärungen als Beweise vor Gericht verwendeten, so dass die Kernstücke der Akte aus einer Reihe von Berichten und Feststellungen bestünden, die von staatlichen Kontrolleuren stammten, was eine Ausübung hoheitlicher Befugnisse darstelle.

56

Wie der Generalanwalt in Nr. 59 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, würde es die praktische Wirksamkeit der vom Unionsgesetzgeber anerkannten Modelle zur Umsetzung des Verbraucherschutzes verringern, wenn man annähme, dass eine von einer Behörde erhobene Klage allein deshalb vom Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgenommen wäre, weil diese Behörde Beweise verwendet hat, die sie dank ihrer Befugnisse zusammengetragen hat. Im Unterschied zum Modell, in dem die Verwaltungsbehörde selbst über die Folgen eines Verstoßes entscheidet, ist nämlich unter Umständen wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden eine Behörde mit der Verteidigung der Verbraucherinteressen vor Gericht betraut.

57

Nur dann, wenn sich eine Behörde wegen des Gebrauchs, den sie von bestimmten Beweisen gemacht hat, nicht konkret in der gleichen Situation befindet wie eine Person des Privatrechts im Rahmen eines entsprechenden Rechtsstreits, wäre zu erwägen, dass eine solche Behörde im betreffenden Fall hoheitliche Befugnisse ausgeübt hat.

58

Das bloße Sammeln und Zusammenstellen von Beschwerden oder Beweisen, wie es auch ein Kollektiv von Gewerbetreibenden oder Verbrauchern tun könnte, kann der Ausübung derartiger hoheitlicher Befugnisse nicht gleichkommen.

59

Insoweit geht aus den dem Gerichtshof zur Verfügung stehenden Informationen nicht hervor, dass die belgischen Behörden im Rahmen des vor dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens in irgendeiner Form Beweise verwendet hätten, die mittels ihrer hoheitlichen Befugnisse erlangt worden wären, was gegebenenfalls zu überprüfen Sache des vorlegenden Gerichts ist.

60

Daraus folgt, dass eine Klage von Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gewerbetreibende, in deren Rahmen diese Behörden beantragen, dass das Vorliegen von Verstößen festgestellt wird, die vermeintlich widerrechtliche unlautere Geschäftspraktiken darstellen, und dass deren Unterlassung angeordnet wird, unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ im Sinne von Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 fällt.

61

Was die in den Ausgangsrechtsstreitigkeiten gestellten akzessorischen Anträge betrifft, ist festzustellen, wie der Generalanwalt in den Nrn. 71 und 72 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, dass diejenigen, die darauf gerichtet sind, dass Maßnahmen zur Veröffentlichung angeordnet werden und ein Zwangsgeld verhängt wird, gebräuchliche zivilprozessrechtliche Maßnahmen darstellen, mit denen die Durchführung der zu erlassenden gerichtlichen Entscheidung sichergestellt werden soll.

62

Was hingegen den von den belgischen Behörden beim vorlegenden Gericht gestellten Antrag auf Einräumung der Befugnis betrifft, das Vorliegen zukünftiger Verstöße durch einfaches von einem vereidigten Beamten der Generaldirektion Wirtschaftsinspektion erstelltes Protokoll festzustellen, kann, wie der Generalanwalt in den Nrn. 75 bis 77 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, nicht davon ausgegangen werden, dass ein solcher Antrag unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ fällt, denn dieser Antrag betrifft in Wirklichkeit Befugnisse, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden allgemeinen Rechtsvorschriften abweichen.

63

Die Verordnung Nr. 1215/2012 verpflichtet nach ihrem gesamten System allerdings nicht dazu, das Schicksal eines akzessorischen Antrags unbedingt an das des Hauptantrags zu binden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Oktober 2015, Aannemingsbedrijf Aertssen und Aertssen Terrassements, C‑523/14, EU:C:2015:722, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung), so dass die internationale Zuständigkeit eines Gerichts eines Mitgliedstaats, über einen Hauptantrag zu entscheiden, auf diese Verordnung gestützt werden kann, ohne dass dies auch in Bezug auf akzessorische Anträge der Fall sein muss, und umgekehrt.

64

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 1 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin auszulegen ist, dass unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in dieser Bestimmung eine Klage von Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gewerbetreibende fällt, in deren Rahmen diese Behörden im Wege eines Hauptantrags beantragen, das Vorliegen von Verstößen, die vermeintlich widerrechtliche unlautere Geschäftspraktiken darstellen, festzustellen und deren Unterlassung anzuordnen, sowie im Wege akzessorischer Anträge beantragen, dass Maßnahmen zur Veröffentlichung angeordnet werden und ein Zwangsgeld verhängt wird.

Kosten

65

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ist dahin auszulegen, dass unter den Begriff „Zivil- und Handelssachen“ in dieser Bestimmung eine Klage von Behörden eines Mitgliedstaats gegen in einem anderen Mitgliedstaat ansässige Gewerbetreibende fällt, in deren Rahmen diese Behörden im Wege eines Hauptantrags beantragen, das Vorliegen von Verstößen, die vermeintlich widerrechtliche unlautere Geschäftspraktiken darstellen, festzustellen und deren Unterlassung anzuordnen, sowie im Wege akzessorischer Anträge beantragen, dass Maßnahmen zur Veröffentlichung angeordnet werden und ein Zwangsgeld verhängt wird.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.