SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MACIEJ SZPUNAR

vom 17. September 2020 ( 1 ) ( i )

Rechtssache C‑710/19

G. M. A.

gegen

État belge

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Belgien])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Freizügigkeit – Art. 45 AEUV – Arbeitsuchende – Aufenthaltsrecht zum Zweck der Stellensuche – Aufenthaltsdauer – Angemessene Frist, die dem Arbeitsuchenden eingeräumt wird (um von geeigneten Stellenangeboten Kenntnis erlangen und Maßnahmen ergreifen zu können, um eingestellt werden zu können) – Pflichten des Aufnahmemitgliedstaats – Pflicht des Arbeitsuchenden – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 14 Abs. 4 Buchst. b – Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts – Voraussetzungen – Art. 15 und 31 – Verfahrensgarantien – Befugnisse eines nationalen Gerichts im Rahmen der Prüfung einer Klage auf Nichtigerklärung einer Entscheidung, mit der einem arbeitsuchenden Unionsbürger die Anerkennung eines Aufenthaltsrechts von mehr als drei Monaten verweigert wird“

I. Einleitung

1.

Arbeitsuchende üben ihr Recht auf Freizügigkeit auf der Grundlage sowohl von Art. 45 als auch von 21 AEUV ( 2 ) aus: Ein Unionsbürger, der auf Arbeitsuche ist, ist Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV. Arbeitsuchende befinden sich somit an der Schnittstelle zwischen dem Binnenmarkt und der Unionsbürgerschaft.

2.

In diesem Kontext werde ich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen prüfen, das der Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) dem Gerichtshof zur Auslegung von Art. 45 AEUV und der Richtlinie 2004/38/EG ( 3 ), insbesondere deren Art. 14 Abs. 4 Buchst. b sowie Art. 15 und 31, vorgelegt hat.

3.

In der vorliegenden Rechtssache geht es um den Antrag eines griechischen Staatsangehörigen, der als Arbeitsuchender das Recht auf einen mehr als dreimonatigen Aufenthalt begehrt und dem dies von der zuständigen belgischen Behörde verweigert wurde mit der Anordnung, das belgische Hoheitsgebiet zu verlassen.

4.

Die vom vorlegenden Gericht in dieser Rechtssache aufgeworfenen Fragen betreffen zum einen den Umfang der Rechte und Pflichten von Arbeitsuchenden, insbesondere hinsichtlich der Beweislast im Rahmen von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38, und zum anderen die Frage, ob die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, diesen Personen für die Arbeitsuche eine angemessene Frist von nicht unter sechs Monaten einzuräumen. Diese Fragen geben dem Gerichtshof Gelegenheit, den Umfang der Verfahrensgarantien zu klären, welche nach der Richtlinie 2004/38 für Arbeitsuchende vorgesehen sind, gegen die eine Ausweisungsverfügung erlassen wurde.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

5.

Art. 6 („Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt:

„Ein Unionsbürger hat das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, wobei er lediglich im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses sein muss und ansonsten keine weiteren Bedingungen zu erfüllen oder Formalitäten zu erledigen braucht.“

6.

In Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie heißt es:

„Abweichend von den Absätzen 1 und 2 und unbeschadet der Bestimmungen des Kapitels VI darf gegen Unionsbürger oder ihre Familienangehörigen auf keinen Fall eine Ausweisung verfügt werden, wenn

b)

die Unionsbürger in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist sind, um Arbeit zu suchen. In diesem Fall dürfen die Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nicht ausgewiesen werden, solange die Unionsbürger nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.“

7.

Art. 15 („Verfahrensgarantien“) Abs. 1 dieser Richtlinie lautet:

„Die Verfahren der Artikel 30 und 31 finden sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird.“

8.

In Art. 31 („Verfahrensgarantien“) Abs. 1 und 3 dieser Richtlinie heißt es:

„(1)   Gegen eine Entscheidung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit müssen die Betroffenen einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können.

(3)   Im Rechtsbehelfsverfahren sind die Rechtmäßigkeit der Entscheidung sowie die Tatsachen und die Umstände, auf denen die Entscheidung beruht, zu überprüfen. Es gewährleistet, dass die Entscheidung insbesondere im Hinblick auf die Erfordernisse gemäß Artikel 28 nicht unverhältnismäßig ist.“

B. Belgisches Recht

9.

Art. 39/2 § 2 der Loi sur l’accès au territoire, le séjour, l’établissement et l’éloignement des étrangers (Gesetz über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern) vom 15. Dezember 1980 ( 4 ) (im Folgenden: Gesetz vom 15. Dezember 1980) bestimmt:

„Der Rat [für Ausländerstreitsachen] befindet auf dem Wege von Entscheiden über die übrigen Beschwerden wegen Verletzung wesentlicher oder zur Vermeidung der Nichtigkeit, der Befugnisüberschreitung oder des Befugnismissbrauchs vorgeschriebener Formen.“

10.

Art. 40 § 4 Nr. 1 dieses Gesetzes lautet:

„§ 4   Unionsbürger haben das Recht auf Aufenthalt im Königreich für einen Zeitraum von über drei Monaten, sofern sie die in Artikel 41 Absatz 1 erwähnte Bedingung erfüllen und:

1. im Königreich Arbeitnehmer oder Selbständige sind oder ins Königreich einreisen, um Arbeit zu suchen, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben eingestellt zu werden“.

11.

Art. 50 §§ 1 und 2 Nr. 3 Buchst. a und b des Arrêté royal du 8 octobre 1981 sur l’accès au territoire, le séjour, l’établissement et l’éloignement des étrangers (Königlicher Erlass vom 8. Oktober 1981 über die Einreise ins Staatsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und das Entfernen von Ausländern) ( 5 ) (im Folgenden: Königlicher Erlass vom 8. Oktober 1981) bestimmt:

„§ 1   Ein Unionsbürger, der sich länger als drei Monate auf dem Staatsgebiet des Königreichs aufhalten möchte und den Nachweis seiner Staatsangehörigkeit gemäß Artikel 41 Absatz 1 des Gesetzes [vom 15. Dezember 1980] erbringt, beantragt bei der Gemeindeverwaltung seines Aufenthaltsortes mit einem Dokument, das dem Muster in Anlage 19 entspricht, eine Anmeldebescheinigung.

§ 2   Bei Einreichung des Antrags oder spätestens drei Monate nach dessen Einreichung muss der Unionsbürger je nach Fall folgende Dokumente vorlegen:

3. für Arbeitsuchende:

a)

eine Eintragung beim zuständigen Amt für Arbeitsbeschaffung oder eine Kopie von Bewerbungsschreiben und

b)

einen Nachweis, dass unter Berücksichtigung der persönlichen Umstände des Betreffenden, insbesondere der Diplome, die er erhalten hat, der eventuell besuchten oder vorgesehenen Berufsausbildungen und der Dauer der Arbeitslosigkeit, eine begründete Aussicht eingestellt zu werden besteht“.

III. Sachverhalt des Ausgangsrechtsstreits, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

12.

Am 27. Oktober 2015 beantragte der griechische Staatsangehörige G. M. A., ihm eine Anmeldebescheinigung auszustellen, um das Recht zu erhalten, sich als Arbeitsuchender länger als drei Monate in Belgien aufzuhalten.

13.

Am 18. März 2016 wurde dieser Antrag durch eine Entscheidung des Office des étrangers de Belgique (Belgische Ausländerbehörde, im Folgenden: Amt) mit der Begründung abgelehnt, dass G. M. A. die nach belgischem Recht für ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten erforderlichen Voraussetzungen nicht erfülle (im Folgenden: streitige Entscheidung). Nach Auffassung des Amtes ließen zum einen die von G. M. A. vorgelegten Unterlagen nicht darauf schließen, dass er eine begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden. Zum anderen habe er seit seinem Antrag auf Ausstellung einer Anmeldebescheinigung noch kein Beschäftigungsverhältnis in Belgien gehabt. Folglich gaben die belgischen Behörden G. M. A. auf, das belgische Hoheitsgebiet innerhalb von 30 Tagen nach Erlass der streitigen Entscheidung zu verlassen.

14.

Mit Entscheid vom 28. Juni 2018 wies der Rat für Ausländerstreitsachen, der für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Entscheidungen des Amtes in erster Instanz zuständig ist, die von G. M. A. gegen die streitige Entscheidung erhobene Klage ab.

15.

G. M. A. legte daraufhin beim vorlegenden Gericht Rechtsmittel ein. Er machte zunächst geltend, aus Art. 45 AEUV und dem Urteil Antonissen ( 6 ) ergebe sich erstens, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, Arbeitsuchenden aus einem anderen Mitgliedstaat eine „angemessene Frist“ einzuräumen, um es ihnen zu ermöglichen, im Aufnahmemitgliedstaat von Stellenangeboten Kenntnis zu erlangen, die für sie geeignet sein könnten, und die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um eingestellt zu werden, zweitens, dass diese Frist keinesfalls auf weniger als sechs Monate bemessen sein dürfe, und drittens, dass der Aufnahmemitgliedstaat einem Arbeitsuchenden für die gesamte Dauer dieses Zeitraums den Aufenthalt in seinem Hoheitsgebiet gestatten müsse, ohne von ihm den Nachweis zu verlangen, dass er eine begründete Aussicht auf eine Einstellung habe. Darüber hinaus ergebe sich auch aus Art. 7 Abs. 3 in Verbindung mit den Art. 11 und 16 der Richtlinie 2004/38, dass eine Frist von weniger als sechs Monaten nicht als „angemessen“ anzusehen sei.

16.

Außerdem machte G. M. A. geltend, dass ihn das Europäische Parlament, nachdem die streitige Entscheidung erlassen worden sei, am 6. April 2016 als Praktikant eingestellt habe. Das zeige, dass er eine begründete Aussicht auf eine Einstellung gehabt habe und dass ihm deshalb ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten hätte eingeräumt werden können. Der Rat für Ausländerstreitsachen habe somit dadurch, dass er diese Einstellung nicht berücksichtigt habe, gegen die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 sowie gegen die Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) verstoßen. Aus diesen Bestimmungen ergebe sich nämlich, dass die Gerichte, die für die Überprüfung der Rechtmäßigkeit einer Verwaltungsentscheidung über das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers zuständig seien, alle relevanten Umstände umfassend prüfen und alle ihnen zur Kenntnis gebrachten Tatsachen berücksichtigen müssten, selbst wenn diese Umstände zeitlich nach der fraglichen Entscheidung eingetreten seien.

17.

Aus diesen Gründen hätte der Rat für Ausländerstreitsachen die nationale Verfahrensvorschrift, mit der die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 fehlerhaft umgesetzt worden seien, nämlich Art. 39/2 § 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980, nicht berücksichtigen dürfen, auf dessen Grundlage der Rat für Ausländerstreitsachen seine nach Erlass der streitigen Entscheidung erfolgte Einstellung als Praktikant außer Acht gelassen habe.

18.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits davon ab, wie der Gerichtshof die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Bestimmungen des Unionsrechts auslegt. Sollten Art. 45 AEUV und/oder die Art. 41 und 47 der Charta sowie die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 in dem von G. M. A. vertretenen Sinne auszulegen sein, müsse er ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten genießen.

19.

Unter diesen Umständen hat der Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit Entscheidung vom 12. September 2019, bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen am 25. September 2019, beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Ist Art. 45 AEUV so auszulegen und anzuwenden, dass der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet ist, erstens, einem Arbeitsuchenden einen angemessenen Zeitraum einzuräumen, um es ihm zu ermöglichen, von in Betracht kommenden Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen und die für eine Einstellung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, zweitens, anzuerkennen, dass der Zeitraum für die Arbeitsuche keinesfalls weniger als sechs Monate betragen dürfe, und, drittens, es einem Arbeitsuchenden zu gestatten, sich während dieses gesamten Zeitraums in seinem Hoheitsgebiet aufzuhalten, ohne von ihm den Nachweis zu verlangen, dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden?

2.

Sind die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 und die Art. 41 und 47 der Charta der Grundrechte sowie die allgemeinen Grundsätze des Vorrangs des Unionsrechts und der praktischen Wirksamkeit von Richtlinien so auszulegen und anzuwenden, dass die nationalen Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats im Rahmen einer Klage auf Aufhebung einer Entscheidung, mit der die Anerkennung eines mehr als dreimonatigen Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers verweigert wird, verpflichtet sind, neue Gesichtspunkte, die nach der Entscheidung der nationalen Behörden eingetreten sind, zu berücksichtigen, wenn sie eine Änderung der Situation des Betroffenen bewirken können, die keine Beschränkung seiner Aufenthaltsrechte im Aufnahmemitgliedstaat mehr zuließe?

20.

Schriftliche Stellungnahmen sind von G. M. A., den Regierungen Belgiens, Dänemarks, Polens und des Vereinigten Königreichs sowie von der Europäischen Kommission eingereicht worden. Der Gerichtshof hat entschieden, keine mündliche Verhandlung abzuhalten, da er sich für eine Entscheidung für ausreichend unterrichtet hält.

IV. Rechtliche Würdigung

A. Zum Fortbestand des Ausgangsrechtsstreits

21.

Der Gerichtshof hat bereits entschieden, dass sowohl aus dem Wortlaut als auch aus dem Aufbau des Art. 267 AEUV folgt, dass das Vorabentscheidungsverfahren voraussetzt, dass bei den nationalen Gerichten tatsächlich ein Rechtsstreit anhängig ist, in dessen Rahmen sie eine Entscheidung erlassen müssen, bei der das Vorabentscheidungsurteil des Gerichtshofs berücksichtigt werden kann. Folglich ist der Gerichtshof befugt, von Amts wegen zu prüfen, ob der Ausgangsrechtsstreit fortbesteht ( 7 ).

22.

Im Ausgangsrechtsstreit geht es um die Ablehnung eines am 27. Oktober 2015 von G. M. A. gestellten Antrags, ihm eine Bescheinigung darüber auszustellen, dass er in Belgien als Arbeitsuchender registriert ist. Mit dieser Bescheinigung wollte er in Belgien ein Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten erlangen. Nachdem der Rat für Ausländerstreitsachen die von G. M. A. gegen die streitige Entscheidung erhobene Klage mit Entscheid vom 28. Juni 2019 abgewiesen hat, ist nunmehr der Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) mit einem Rechtsmittel gegen dieses Urteil befasst.

23.

Aus der Vorlageentscheidung und den Erklärungen der Kommission geht hervor, dass G. M. A. auf einen von ihm am 25. April 2016 erneut gestellten Antrag hin von der Gemeinde Schaerbeek (Belgien) eine Anmeldebescheinigung erhalten hat und dass er seit dem 24. November 2016 im Besitz einer bis zum 7. Juli 2021 gültigen Karte E ist.

24.

Die Kommission meint daher, die zweite Vorlagefrage sei nicht zu beantworten, weil der von G. M. A. gestellte Antrag auf Registrierung als Arbeitsuchender gegenstandslos geworden sei.

25.

Das vorlegende Gericht meint jedoch, dass noch ein Interesse an dem Rechtsmittel bestehe, weil es im Fall einer Aufhebung der streitigen Entscheidung möglich sei, schneller ein Daueraufenthaltsrecht zu erlangen. Die nach Art. 16 der Richtlinie 2004/38 zur Erlangung eines Aufenthaltsrechts erforderliche ununterbrochene Aufenthaltsdauer von fünf Jahren würde dann nämlich zu dem Zeitpunkt beginnen, zu dem die Anmeldebescheinigung in Belgien beantragt worden sei, d. h. am 27. Oktober 2015.

26.

Ich bin daher der Ansicht, dass der Ausgangsrechtsstreit beim vorlegenden Gericht noch anhängig ist und dass eine Antwort des Gerichtshofs auf die zweite Vorlagefrage für die Entscheidung dieses Rechtsstreits nach wie vor sachdienlich ist.

B. Zur ersten Vorlagefrage

1.   Vorbemerkungen zum Umfang der ersten Vorlagefrage

27.

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung im Rahmen des Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof dessen Aufgabe ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat der Gerichtshof die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren ( 8 ).

28.

Insoweit betrifft die erste Vorlagefrage sicherlich die Auslegung von Art. 45 AEUV. Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben und in Anbetracht der in seiner Entscheidung enthaltenen Angaben, ist diese Frage jedoch so zu verstehen, dass das Gericht wissen möchte, ob Art. 45 AEUV und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass der Aufnahmemitgliedstaat drei Verpflichtungen hat: erstens, dem Arbeitsuchenden eine angemessene Frist einzuräumen, um es ihm zu ermöglichen, von in Betracht kommenden Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen und die für eine Einstellung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, zweitens anzuerkennen, dass der Zeitraum für die Arbeitsuche auf keinen Fall weniger als sechs Monate betragen darf, und drittens, einem Arbeitsuchenden zu gestatten, während dieses gesamten Zeitraums im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu verbleiben, ohne von ihm den Nachweis zu verlangen, dass er eine begründete Aussicht auf eine Beschäftigung hat.

29.

Um diese Frage zu beantworten, werde ich eine Prüfung in zwei Schritten durchführen. Zunächst werde ich die Tragweite des Freizügigkeitsrechts der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchen, darlegen, wie es sich aus Art. 45 AEUV in der Auslegung durch den Gerichtshof in seiner Rechtsprechung insbesondere im Urteil Antonissen ergibt ( 9 ). Sodann werde ich in Anbetracht der Umstände des vorliegenden Falles und im Rahmen der Richtlinie 2004/38 den Umfang der Rechte untersuchen, die Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38, ausgelegt im Lichte der Art. 21 und 45 AEUV, den Arbeitsuchenden einräumt.

2.   Kurze Darstellung der Rechtsprechung zum Aufenthaltsrecht von Arbeitsuchenden: Urteil Antonissen

30.

Erstens möchte ich darauf hinweisen, dass nach Art. 45 AEUV die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Union gewährleistet ist und vorbehaltlich der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen insbesondere das Recht umfasst, sich um tatsächlich angebotene Stellen zu bewerben und sich zu diesem Zweck im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen. Aus diesem Artikel ergibt sich daher, dass ein Arbeitsuchender aus einem Mitgliedstaat berechtigt ist, sich im Hoheitsgebiet anderer Mitgliedstaaten frei zu bewegen.

31.

Was zweitens das Recht der Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats betrifft, in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats einzureisen und sich dort zu den in Art. 45 AEUV vorgesehenen Zwecken aufzuhalten, insbesondere um dort eine unselbständige oder selbständige Berufstätigkeit zu suchen oder auszuüben, sind insbesondere die Urteile Royer ( 10 ), Antonissen ( 11 ) und Kommission/Belgien ( 12 ) zu beachten.

32.

Das Aufenthaltsrecht von Arbeitsuchenden ist vom Gerichtshof erstmals im Urteil Royer angesprochen worden. In diesem Urteil hat er festgestellt, dass dieses Recht unmittelbar aus Art. 48 EWG-Vertrag (jetzt Art. 45 AEUV) oder, je nach Sachlage, aus den zu seiner Durchführung ergangenen Bestimmungen fließt ( 13 ).

33.

Innerhalb dieser Rechtsprechung ist das Urteil Antonissen ( 14 ) insofern von besonderer Bedeutung, als es, wie der vorliegende Fall, die Frage betrifft, ob die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats das Recht von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, sich im Land aufzuhalten, um eine Arbeit zu suchen, zeitlich beschränken können. Dieses Urteil erging auf ein Vorabentscheidungsersuchen hin, das ein englisches Gericht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen einem belgischen Staatsangehörigen und den englischen Behörden vorgelegt hatte, der die Zurückweisung eines Rechtsbehelfs gegen eine Ausweisungsverfügung durch diese Behörden betraf.

34.

Der Gerichtshof hat zunächst darauf hingewiesen, dass die in Art. 48 Abs. 1 bis 3 EWG-Vertrag (jetzt Art. 45 Abs. 1 bis 3 AEUV) verankerte Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu den Grundlagen der Union gehört, dass die Bestimmungen, in denen diese Freiheit verankert ist, weit auszulegen sind und dass eine enge Auslegung dieses Artikels die Chancen eines Angehörigen eines Mitgliedstaats vermindern würde, in den anderen Mitgliedstaaten eine Stelle zu finden; sie nähme dieser Bestimmung damit ihre praktische Wirksamkeit ( 15 ). Außerdem hat der Gerichtshof festgestellt, dass Art. 48 Abs. 3 EWG-Vertrag (jetzt Art. 45 Abs. 3 AEUV) die Rechte, die den Angehörigen der Mitgliedstaaten im Rahmen der Freizügigkeit der Arbeitnehmer zustehen, nicht abschließend aufführt und dass diese Freiheit das Recht der Angehörigen der Mitgliedstaaten impliziert, sich im Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten frei zu bewegen und sich dort zum Zweck der Arbeitsuche aufzuhalten ( 16 ).

35.

Der Gerichtshof hat sodann geprüft, ob das Aufenthaltsrecht, das einem Angehörigen eines Mitgliedstaats, der in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung sucht, nach Art. 48 EWG-Vertrag (jetzt Art. 45 AEUV) zusteht, zeitlich begrenzt werden kann. Dazu hat er entschieden, dass die praktische Wirksamkeit dieses Artikels gewahrt ist, wenn der Zeitraum, den das Unionsrecht oder in Ermangelung einer unionsrechtlichen Regelung das Recht eines Mitgliedstaats dem Betroffenen einräumt, angemessen ist, um im jeweiligen Mitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können ( 17 ).

36.

Hinsichtlich der Dauer dieses Aufenthaltsrechts hat der Gerichtshof schließlich eine Frist von drei Monaten nicht als maßgeblich angesehen ( 18 ), jedoch hinzugefügt, dass in Ermangelung einer Unionsvorschrift, die für den Aufenthalt von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten zur Arbeitsuche eine Frist festlegt, ein Zeitraum von sechs Monaten grundsätzlich nicht als unzureichend erscheint und die praktische Wirksamkeit des Grundsatzes der Freizügigkeit nicht in Frage stellt. Erbringt der Betroffene nach Ablauf dieses Zeitraums allerdings den Nachweis, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, so darf er vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden ( 19 ).

37.

Außerdem möchte ich daran erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs der Begriff des Arbeitnehmers im Sinne von Art. 45 AEUV ein autonomer Begriff ist und nicht eng ausgelegt werden darf ( 20 ). Dieser Begriff ist nämlich, soweit er den Umfang einer im AEU-Vertrag vorgesehenen Grundfreiheit festlegt, weit auszulegen ( 21 ). So hat der Gerichtshof bereits klargestellt, dass eine „Person, die tatsächlich eine Arbeit sucht“, als Arbeitnehmer im Sinne von Art. 45 AEUV anzusehen ist ( 22 ).

38.

Drittens und letztens ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof nach der Aufnahme der Unionsbürgerschaft in die Verträge die im Urteil Antonissen ( 23 ) aufgestellten Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden u. a. in seinem Urteil Kommission/Belgien ( 24 ) bestätigt hat, in dem er entschieden hat, dass ein Mitgliedstaat gegen seine Verpflichtungen aus Art. 48 EG (jetzt Art. 45 AEUV) verstößt, wenn er Angehörige anderer Mitgliedstaaten, die in seinem Hoheitsgebiet Arbeit suchen, verpflichtet, dieses automatisch nach Ablauf von drei Monaten zu verlassen.

39.

Nach der Aufnahme der Unionsbürgerschaft in die Verträge und der Annahme der Richtlinie 2004/38 sind die im Urteil Antonissen ( 25 ) festgelegten Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden, über die der Gerichtshof im vorliegenden Fall zu befinden hat, in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie kodifiziert worden.

40.

Ich werde nun die erste Vorlagefrage im Lichte dieser Überlegungen prüfen.

3.   Zum Umfang der Rechte und Pflichten von Arbeitsuchenden im Rahmen von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 in seiner Auslegung im Licht der Art. 21 und 45 AEUV

41.

Art. 21 AEUV bestimmt jetzt, dass jeder Unionsbürger das Recht hat, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der in den Verträgen und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Was nun Arbeitsuchende angeht, sieht Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 vor, dass ein Unionsbürger, der in das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats eingereist ist, um Arbeit zu suchen, nicht ausgewiesen werden darf, solange er nachweisen kann, dass er weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden.

42.

Zwar hat der Unionsgesetzgeber die vom Gerichtshof aufgestellten Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden mit dieser Bestimmung kodifiziert, indem er den Wortlaut des Urteils Antonissen ( 26 ) wiedergegeben hat, doch stellt diese Bestimmung nicht klar, ob der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet ist, diesen Arbeitsuchenden eine angemessene Frist einzuräumen, um es ihnen zu ermöglichen, von in Betracht kommenden Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen und die für eine Einstellung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Außerdem ist festzustellen, dass in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 die sechsmonatige Frist, die der Gerichtshof in jenem Urteil als „angemessen“ angesehen hat, nicht erwähnt wird.

43.

Dem letztgenannten Punkt möchte ich mich nun zuwenden und bereits jetzt darauf hinweisen, dass ich die Auffassung der Kommission teile, wonach bei der Auslegung von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 zu berücksichtigen ist, dass das Aufenthaltsrecht von Arbeitsuchenden unmittelbar in Art. 45 AEUV in seiner Auslegung durch den Gerichtshof verankert ist.

a)   Zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine angemessene Frist zu gewähren

44.

Zunächst ist festzustellen, dass der Aufnahmemitgliedstaat nach Ansicht aller am Rechtsstreit Beteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, verpflichtet ist, Arbeitsuchenden eine angemessene Frist einzuräumen.

45.

Ich teile diese Ansicht. Wie ich oben festgestellt habe, ergibt sich aus dem Urteil Antonissen ( 27 ) und aus der nach diesem Urteil ergangenen Rechtsprechung ( 28 ), dass die Mitgliedstaaten – um Art. 45 AEUV nicht die praktische Wirksamkeit zu nehmen und soweit das Unionsrecht nicht ausdrücklich eine Beschränkung des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden vorsieht – verpflichtet sind, Arbeitsuchenden eine angemessene Frist einzuräumen, damit sie im Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats von Stellenangeboten, die ihren beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und gegebenenfalls die für eine Einstellung erforderlichen Maßnahmen ergreifen können ( 29 ).

46.

Es stellt sich jedoch die Frage, ob Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 in Verbindung mit Art. 45 AEUV in der Auslegung der Rechtsprechung des Gerichtshofs die Mitgliedstaaten verpflichtet, einem Unionsbürger, der im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung sucht, eine Mindestfrist von sechs Monaten einzuräumen.

b)   Zur Verpflichtung der Mitgliedstaaten, eine Frist von mindestens sechs Monaten zu gewähren, und zur Beweispflicht von Arbeitsuchenden während und nach Ablauf dieser Frist

47.

Die Parteien vertreten hinsichtlich der Auslegung von Rn. 21 des Urteils Antonissen ( 30 ) und damit von Art. 45 AEUV sowie von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 unterschiedliche Auffassungen. G. M. A. und die Kommission tragen in ihren schriftlichen Erklärungen vor, die Mitgliedstaaten seien verpflichtet, Arbeitsuchenden eine Frist von mindestens sechs Monaten einzuräumen. Innerhalb dieser Zeit müssten Arbeitsuchende nicht nachweisen, eine begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden. Die belgische und die dänische Regierung sowie die des Vereinigten Königreichs sind dagegen der Ansicht, dass Rn. 21 dieses Urteils nicht dahin ausgelegt werden könne, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet seien, Arbeitsuchenden eine solche Mindestfrist einzuräumen, zudem müssten Arbeitsuchende während der gesamten Dauer dieser Frist nachweisen, eine begründete Aussicht zu haben, eingestellt zu werden.

48.

Aus den Gründen, die ich in den vorliegenden Schlussanträgen darlegen werde, stimme ich keiner dieser beiden Ansichten uneingeschränkt zu.

1) Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 innerhalb der Systematik dieser Richtlinie: Das Recht eines Arbeitsuchenden auf einen Aufenthalt, der drei Monate überschreitet, ist nicht an die in Art. 7 dieser Richtlinie festgelegten Bedingungen geknüpft

49.

Erstens möchte ich daran erinnern, dass die Richtlinie 2004/38 u. a. gestützt auf Art. 40 EG-Vertrag (jetzt Art. 46 AEUV) erlassen wurde, die Maßnahmen zur Herstellung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer im Sinne von Art. 39 EG-Vertrag (jetzt Art. 45 AEUV) betraf.

50.

Zweitens ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2004/38 darauf abzielt, die Ausübung des den Unionsbürgern durch Art. 21 Abs. 1 AEUV unmittelbar gewährten grundlegenden und persönlichen Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt zu erleichtern und dieses Recht zu stärken ( 31 ).

51.

Im Hinblick auf dieses Ziel hat der Unionsgesetzgeber ein System geschaffen, das für verschiedene Kategorien von Bürgern verschiedene Arten von Rechten umfasst. Im Rahmen der vorliegenden Rechtssache geht es zum einen um das in Art. 6 der Richtlinie 2004/38 vorgesehene Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten, das an keine weiteren Bedingungen oder Formalitäten geknüpft ist, außer der Verpflichtung, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein ( 32 ), und zum anderen um das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate, das allerdings an die in Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen geknüpft ist. Nach Art. 6 der Richtlinie 2004/38 haben zwar alle Unionsbürger das Recht auf Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten, doch wird das in Art. 7 dieser Richtlinie ( 33 ) vorgesehene Recht auf Aufenthalt für einen Zeitraum von über drei Monaten nur bestimmten Kategorien von Bürgern (Erwerbstätige, Nichterwerbstätige, Studenten) zuerkannt, die die in diesem Artikel aufgeführten Voraussetzungen erfüllen (Arbeitnehmer oder Selbstständige, Besitz ausreichender Existenzmittel und eines umfassenden Krankenversicherungsschutzes, Absolvierung einer Ausbildung einschließlich einer Berufsausbildung usw.) ( 34 ).

52.

Art. 14 („Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts“) Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 bezieht sich jedoch auf eine Kategorie von Unionsbürgern ( 35 ), die in Art. 7 dieser Richtlinie nicht erwähnt wird und folglich nicht den in diesem Artikel festgelegten Voraussetzungen unterliegt, nämlich Arbeitsuchende, die erstmals im Aufnahmemitgliedstaat eine Arbeit suchen. Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 betrifft eine von den in Art. 14 Abs. 1 und 2 genannten Art. 6 und 7 abweichende Situation. Im System der Richtlinie 2004/38 wird das Aufenthaltsrecht von Arbeitsuchenden, das sich unmittelbar auf Art. 45 AEUV stützt, nur in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie behandelt, der die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Unionsbürgern vorsieht, die eine Erstanstellung suchen und die Voraussetzungen dieser Vorschrift erfüllen.

2) Die Voraussetzungen nach Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38

53.

In Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 werden die Voraussetzungen für das Aufenthaltsrecht wörtlich aufgegriffen, die der Gerichtshof in Rn. 21 des Urteils Antonissen ( 36 ) aufgestellt hat, wo er nach der Feststellung, dass ein Zeitraum von sechs Monaten grundsätzlich ausreichen dürfte, um den Betroffenen zu erlauben, im Aufnahmemitgliedstaat von Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen, die ihren beruflichen Qualifikationen entsprechen, und sich gegebenenfalls um solche Stellen zu bewerben, folgenden Hinweis gegeben hat: „Erbringt der Betroffene freilich nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, so darf er vom Aufnahmemitgliedstaat nicht ausgewiesen werden“ ( 37 ).

54.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof im Urteil Antonissen entschieden hat, dass das Unionsrecht über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer es dem Recht eines Mitgliedstaats nicht verwehrt, einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats, der zum Zweck der Stellensuche in sein Gebiet eingereist ist, unbeschadet einer Klagemöglichkeit auszuweisen, wenn er nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht ( 38 ).

55.

Aus den gesamten Erwägungen des Gerichtshofs ergibt sich meines Erachtens, dass die Bedeutung der Wendungen „Erbringt der Betroffene freilich nach Ablauf dieses Zeitraums den Nachweis“ und „wenn er nach sechs Monaten keine Stelle gefunden hat, sofern der Betroffene nicht nachweist, dass…“, auf der Hand liegt. Aus diesem Urteil geht nämlich deutlich hervor ( 39 ), dass der Gerichtshof zwar die Voraussetzungen für eine weitere Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts klargestellt hat – welche der Unionsgesetzgeber später in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 kodifiziert hat, nämlich dass der Betroffene nachweisen kann, dass er weiterhin und mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht –, doch gilt das nur dann, wenn die als „angemessen“ angesehene Frist, d. h. ein Zeitraum von sechs Monaten, abgelaufen ist.

56.

Was die erste Voraussetzung betrifft, weise ich darauf hin, dass sich der Gerichtshof und anschließend der Unionsgesetzgeber dafür entschieden haben, die Wendung „weiterhin … Arbeit sucht“ zu verwenden. Aus der Wahl des Wortes „weiterhin“ ergibt sich eindeutig, dass der Arbeitsuchende zunächst, d. h. während der gesamten als „angemessen“ angesehenen Frist, nachweisen muss, dass er tatsächlich und aktiv auf Arbeitsuche ist, und in einem zweiten Schritt, d. h. nach Ablauf dieser Frist, dass er „weiterhin“ aktiv nach Arbeit sucht.

57.

Dagegen kann die zweite Voraussetzung, wonach der Arbeitsuchende nachzuweisen hat, dass er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, erst nach Ablauf der als „angemessen“ angesehenen Frist verlangt werden.

58.

Diese Auslegung ist nicht nur logisch, sondern steht auch im Einklang mit der Entscheidung des Gesetzgebers, die Stellung von Arbeitsuchenden im Rahmen der Richtlinie 2004/38 zu stärken, indem er in Art. 14 Abs. 4 dieser Richtlinie die durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegten Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Unionsbürgern, die im Aufnahmemitgliedstaat eine erste Beschäftigung suchen, kodifiziert hat.

59.

Zur zweiten Voraussetzung trägt die belgische Regierung in ihren schriftlichen Erklärungen außerdem vor, dass sich die gemäß Art. 40 § 4 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 bestehende Verpflichtung von G. M. A., nachzuweisen, dass er mit begründeter Aussicht auf Erfolg Arbeit sucht, aus Rn. 38 des Urteils Vatsouras und Koupatantze ergebe ( 40 ). Aus diesem Urteil gehe nämlich hervor, dass die Angehörigen eines Mitgliedstaats, die in einem anderen Mitgliedstaat eine Beschäftigung suchten, nachweisen müssten, eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt dieses zweiten Mitgliedstaats hergestellt zu haben.

60.

Dieser Ansatz überzeugt mich nicht, denn er beruht meiner Ansicht nach auf einem falschen Verständnis des fraglichen Urteils.

61.

Eine solche Anforderung an den Arbeitsuchenden, nachweisen zu müssen, dass er eine tatsächliche Verbindung mit dem Arbeitsmarkt des Aufnahmemitgliedstaats hergestellt hat, betrifft nämlich nur den Fall, dass der arbeitsuchende Unionsbürger in diesem Mitgliedstaat eine Leistung beantragt, die den Zugang zur Beschäftigung erleichtern soll, was bei G. M. A. keineswegs der Fall ist. So hat der Gerichtshof entschieden, dass es legitim ist, dass ein Mitgliedstaat eine solche Leistung erst dann gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats festgestellt wurde ( 41 ). Das Urteil Vatsouras und Koupatantze ( 42 ) ist nämlich auf das Urteil Collins gestützt, in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass jeder, der eine Arbeit sucht und sein Recht auf Freizügigkeit ausübt, eine „Verbindung“ mit dem Aufnahmestaat herstellen muss, um Beihilfen für Arbeitsuchende in Anspruch nehmen zu können ( 43 ).

3) Zweck und Entstehungsgeschichte von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38

62.

Auch der Zweck und die Entstehungsgeschichte von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 sprechen für die von mir oben in den Nrn. 51 bis 58 der vorliegenden Schlussanträge vorgeschlagene Auslegung.

63.

Was erstens den Zweck von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 anbelangt, so heißt es im neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie eindeutig, dass Unionsbürger das Aufenthaltsrecht im Aufnahmemitgliedstaat für einen Zeitraum von bis zu drei Monaten haben sollten, ohne jegliche Bedingungen oder Formalitäten außer der Pflicht, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein, unbeschadet einer günstigeren Behandlung für Arbeitsuchende gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs. Aus diesem Erwägungsgrund geht zum einen hervor, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere das Urteil Antonissen ( 44 ), für die Auslegung von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 weiterhin gilt, und zum anderen, dass nicht verlangt werden kann, dass die in dieser Bestimmung für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden vorgesehenen Voraussetzungen während des dreimonatigen rechtmäßigen Aufenthalts eines Unionsbürgers im Aufnahmemitgliedstaat erfüllt werden. Im 16. Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/38 wiederum heißt es, dass in keinem Fall eine Ausweisungsmaßnahme gegen Arbeitsuchende in dem vom Gerichtshof definierten Sinne erlassen werden sollte, außer aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit.

64.

Was zweitens die Entstehungsgeschichte von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 betrifft, erscheint es mir wichtig, daran zu erinnern, dass Art. 6 des ursprünglichen Kommissionsvorschlags ( 45 ) und Art. 8 der Legislativen Entschließung des Parlaments ( 46 ) ein Aufenthaltsrecht von bis zu sechs Monaten vorsahen, das an keinerlei Bedingungen geknüpft war. Diese Bestimmung wurde jedoch vom Rat der Europäischen Union, wie aus der Begründung seines Gemeinsamen Standpunkts ( 47 ) hervorgeht, geändert, um diesen Zeitraum gemäß dem neuen Art. 6 der Richtlinie 2004/38 auf drei Monate festzusetzen, wobei darauf hingewiesen wurde, dass Arbeitsuchende eine von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannte günstigere Behandlung erhalten. Diese im Zuge des Gesetzgebungsverfahrens der Richtlinie 2004/38 vorgenommene Änderung bestätigt, wie ich in Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, den Willen des Unionsgesetzgebers, die Stellung von Arbeitsuchenden zu stärken. Außerdem geht aus der Begründung dieses Gemeinsamen Standpunkts hervor, dass Art. 14 der Richtlinie 2004/38 „die Umstände [präzisiert], unter denen ein Mitgliedstaat Unionsbürger ausweisen kann, wenn sie die Bedingungen für das Aufenthaltsrecht nicht mehr erfüllen“ ( 48 ).

65.

Sowohl aus dem Zweck als auch aus der Entstehungsgeschichte von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 geht klar hervor, dass nach dem Willen des Unionsgesetzgebers ein Arbeitsuchender, der erstmals im Aufnahmemitgliedstaat eine Arbeit sucht, Anspruch auf eine günstigere Behandlung, wie sie von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannt wird, haben sollte.

66.

Diese Feststellung führt mich dazu, die folgende Frage zu prüfen: Was ist hinsichtlich der Frist für die Arbeitsuche unter einer von der Rechtsprechung des Gerichtshofs anerkannten „günstigeren Behandlung“ zu verstehen?

67.

Ich stelle erstens fest, dass die Entscheidung des Unionsgesetzgebers, auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere auf das Urteil Antonissen ( 49 ), zu verweisen, wie ich in Nr. 63 der vorliegenden Schlussanträge ausgeführt habe, deutlich den Willen des Gesetzgebers zeigt, die Bedeutung dieser Rechtsprechung für die Auslegung von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 anzuerkennen und somit Arbeitsuchenden eine günstigere Behandlung zu gewähren. Unter diesen Umständen ist nicht anzunehmen, dass der Gesetzgeber mit einem solchen Verweis den Zeitraum auf sechs Monate festlegen wollte. Es scheint mir, dass der Gerichtshof mit seiner in diesem Urteil getroffenen Feststellung, dass eine solche Frist „grundsätzlich als ausreichend [erscheint]“ und daher „nicht die praktische Wirksamkeit des Grundsatzes der Freizügigkeit [gefährdet]“, schlicht die Sechsmonatsfrist, die in den in jener Rechtssache in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften vorgesehen war, als eine angemessene Frist angesehen hat.

68.

Zweitens weise ich darauf hin, dass Art. 6 der Richtlinie 2004/38 für alle Unionsbürger ein Aufenthaltsrecht von bis zu drei Monaten im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats vorsieht, das an keinerlei Bedingungen geknüpft ist.

69.

Beschließt allerdings ein Unionsbürger, der seinen Herkunftsmitgliedstaat in der Absicht verlassen hat, im Aufnahmemitgliedstaat eine Beschäftigung zu suchen, sich während der ersten drei Monate seines Aufenthalts als Arbeitsuchender anzumelden, fällt er ab dem Zeitpunkt dieser Anmeldung in den Anwendungsbereich von Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38. Angesichts der Tatsache jedoch, dass ein Arbeitsuchender gemäß dem Unionsgesetzgeber, wie aus dem neunten Erwägungsgrund dieser Richtlinie ausdrücklich hervorgeht, eine günstigere Behandlung genießt, kann von einem Arbeitsuchenden nicht verlangt werden, dass er während der drei Monate des rechtmäßigen Aufenthalts, die jedem Unionsbürger zustehen, nachweist, dass er weiterhin Arbeit sucht und dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden ( 50 ). Dagegen können die nationalen Behörden ab dem Ende dieses legalen Aufenthalts während eines als „angemessen“ angesehenen Zeitraums, verlangen, dass der Arbeitsuchende den Nachweis erbringt, dass er weiterhin Arbeit sucht. Erst nach Ablauf dieser angemessenen Frist können diese Behörden von der betreffenden Person den Nachweis dafür verlangen, dass sie eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden.

70.

Ebenso fällt ein Angehöriger eines Mitgliedstaats, der als Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, der ursprünglich nicht den Wunsch hatte, im Aufnahmemitgliedstaat Arbeit zu suchen ( 51 ), und der sich nach Ablauf der anfänglichen Aufenthaltsdauer von drei Monaten entscheidet, sich als Arbeitsuchender registrieren zu lassen, von diesem Zeitpunkt an unter Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38. Dieser Bürger muss daher über eine angemessene Zeit verfügen, um im Aufnahmemitgliedstaat von Stellenangeboten, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen, Kenntnis nehmen und sich gegebenenfalls bewerben zu können, ohne nachweisen zu müssen, dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden.

71.

In den beiden in den Nrn. 69 und 70 der vorliegenden Schlussanträge dargelegten Fällen handelt es sich nämlich um Bürger, die erstmals eine Beschäftigung im Aufnahmemitgliedstaat anstreben.

72.

Außerdem kann der Zeitraum, über den ein Arbeitsuchender nach der anfänglichen Frist von drei Monaten rechtmäßigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat verfügt, nur dann als angemessen angesehen werden, wenn er ausreichend ist, um das in Art. 45 AEUV anerkannte Recht nicht auszuhöhlen ( 52 ). So erscheint mir insbesondere eine Frist von drei Monaten nach Ablauf des ursprünglichen Zeitraums von drei Monaten rechtmäßigen Aufenthalts nicht unangemessen zu sein oder, um es mit den Worten des Gerichtshofs zu sagen, sie erscheint „grundsätzlich als ausreichend“ und gefährdet daher nicht die praktische Wirksamkeit von Art. 45 AEUV ( 53 ).

73.

Außerdem ist eine angemessene Frist ab dem Ende des Zeitraums von drei Monaten rechtmäßigen Aufenthalts geeignet, im Rahmen des in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen und unmittelbar durch Art. 45 AEUV garantierten Aufenthaltsrechts ein gewisses Maß an Rechtssicherheit und Transparenz zu gewährleisten, indem sie es den Unionsbürgern ermöglicht, ihre Rechte und Pflichten unzweideutig zu erkennen.

74.

Gleichwohl halte ich es für wünschenswert, dass den Arbeitsuchenden für die erste Arbeitsuche im Aufnahmemitgliedstaat eine feste Frist eingeräumt wird, während der sie nicht nachweisen müssen, dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Der Gerichtshof kann sich jedoch nicht an die Stelle des Unionsgesetzgebers setzen, und es ist dessen Sache, eine solche Frist einzuführen. Meines Erachtens würde im Rahmen des Aufenthaltsrechts von Arbeitsuchenden die Festlegung einer festen Frist ein höheres Maß an Rechtssicherheit und Transparenz bieten.

75.

Drittens und letztens möchte ich hinzufügen, dass bestimmte vorherige Überprüfungen erforderlich sind, um davon ausgehen zu können, dass ein Arbeitsuchender gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 weiterhin Arbeit sucht und eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Daher ist es Sache der nationalen Behörde oder des nationalen Gerichts zu prüfen, ob dieser Bürger ernsthaft und tatsächlich auf Arbeitsuche ist, und es ist auch deren Sache, u. a. zu prüfen, ob dieser Bürger bei der für Arbeitsuchende zuständigen Stelle registriert ist, regelmäßig Bewerbungen (Anschreiben mit Lebenslauf) verschickt oder Vorstellungsgespräche über Stellenangebote führt, die seinen beruflichen Qualifikationen entsprechen.

76.

Außerdem müssen die nationalen Behörden oder das nationale Gericht bei diesen Überprüfungen die Realität des nationalen Arbeitsmarktes berücksichtigen, d. h. die durchschnittliche Zeit, die in dem betreffenden Mitgliedstaat für eine Arbeitsuche in dem Bereich, der den beruflichen Qualifikationen des Betroffenen entspricht, aufzuwenden ist ( 54 ). Hat diese Person Angebote, die ihren beruflichen Qualifikationen nicht entsprechen, abgelehnt, so ist dies kein Grund für die Annahme, dass sie die Voraussetzungen des Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht erfüllt.

77.

Zudem kann, wenn Arbeitsuchende im Aufnahmemitgliedstaat eine erste Beschäftigung suchen, der Umstand, dass sie dort noch nie gearbeitet haben, im Rahmen der genannten Überprüfungen kein Grund für die Annahme sein, dass sie keine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

4.   Zwischenergebnis

78.

Aus der vorstehenden Analyse ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, Unionsbürgern, die eine Beschäftigung suchen, einen angemessenen Zeitraum zu gewähren, in dem sie nachweisen müssen, dass sie auf Arbeitsuche sind. Erst nach Ablauf dieser Zeitspanne müssen diese Bürger gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht nur nachweisen, dass sie weiterhin auf Arbeitsuche sind, sondern auch, dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden. Insofern erscheint ein Zeitraum von drei Monaten nach Ablauf des ersten Zeitraums von drei Monaten rechtmäßigen Aufenthalts im Aufnahmemitgliedstaat nicht unangemessen.

C. Zur zweiten Vorlagefrage

79.

Gemäß der Vorlageentscheidung und den dem Gerichtshof vorliegenden Akten hat G. M. A. in seiner Klage vor dem Rat für Ausländerstreitsachen als Nachweis dafür, dass er eine begründete Aussicht gehabt habe, eingestellt zu werden, und dass die streitige Entscheidung für nichtig erklärt werden müsse, geltend gemacht, dass er am 6. April 2016 vom Europäischen Parlament als Praktikant eingestellt worden sei.

80.

Der Rat für Ausländerstreitsachen hat ausgeführt, dass er gemäß Art. 39/2 § 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 hinsichtlich der Entscheidungen des Amtes eine Rechtmäßigkeitskontrolle ausübe. Eine Befugnis zur Abänderung dieser Entscheidungen, die es ihm erlauben würde, die Einstellung von G. M. A. durch das Europäische Parlament zu berücksichtigen, habe er nicht. Er hat daher diese veränderten Umstände nicht berücksichtigt.

81.

In diesem Zusammenhang möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 sowie der in Art. 47 der Charta verankerte Grundsatz des effektiven gerichtlichen Rechtsschutzes dahin auszulegen sind, dass die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der einem arbeitsuchenden Unionsbürger das Recht, sich länger als drei Monate im Land aufzuhalten, verweigert wird, jede Änderung der die Situation des Arbeitsuchenden betreffenden Umstände – gegebenenfalls in Abweichung von den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften – berücksichtigen müssen, die eingetreten ist, nachdem die zuständigen Behörden eine Entscheidung über die Beschränkung seines Aufenthaltsrechts getroffen haben, wenn eine derartige Änderung der Umstände zeigt, dass der Arbeitsuchende ein solches Aufenthaltsrecht hatte.

82.

Die belgische Regierung und G. M. A. vertreten insoweit entgegengesetzte Standpunkte.

83.

Die belgische Regierung trägt vor, dass sich in einer Situation wie der von G. M. A. weder aus den Vorarbeiten zur Richtlinie 2004/38 noch aus dem Umstand, dass die Bestimmungen dieser Richtlinie mit Art. 47 der Charta in Einklang stehen müssten, eine Berechtigung der nationalen Gerichte ergebe, Entscheidungen der nationalen Behörden, durch die das Freizügigkeitsrecht eines Unionsbürgers eingeschränkt werde, abzuändern.

84.

G. M. A. macht dagegen geltend, dass die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 im Einklang mit Art. 47 der Charta ausgelegt werden müssten. Folglich müssten die nationalen Gerichte bei ihrer Kontrolle der Rechtmäßigkeit von in Anwendung der Unionsvorschriften über die Freizügigkeit getroffenen Entscheidungen Umstände berücksichtigen, die nach diesen Entscheidungen eingetreten seien, soweit diese Umstände belegen könnten, dass der Arbeitsuchende eine begründete Aussicht habe, eingestellt zu werden. Das Urteil Orfanopoulos und Oliveri ( 55 ) sei insofern auf den vorliegenden Fall anwendbar.

85.

Bevor ich auf die Analyse der Rechtsprechung des Gerichtshofs zum gerichtlichen Rechtsschutz nach den Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 eingehe, werde ich kurz die in diesen Artikeln vorgeschriebenen Verfahrensgarantien und ihre Anwendung auf Entscheidungen prüfen, mit denen die Freizügigkeit von arbeitsuchenden Unionsbürgern beschränkt wird.

1.   Die Anwendung der in den Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 vorgeschriebenen Verfahrensgarantien auf Arbeitsuchende

86.

Art. 15 („Verfahrensgarantien“) Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 bestimmt Folgendes: „Die Verfahren der Artikel 30 und 31 finden sinngemäß auf jede Entscheidung Anwendung, die die Freizügigkeit von Unionsbürgern und ihren Familienangehörigen beschränkt und nicht aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassen wird“ ( 56 ). Dieser Artikel regelt somit die Verfahrensgarantien bezüglich der Ausweisung von Unionsbürgern, die sich im Aufnahmemitgliedstaat als „Berechtigte“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 dieser Richtlinie aufgehalten haben.

87.

Im vorliegenden Fall steht fest, dass G. M. A., der griechischer Staatsangehöriger und damit Unionsbürger ist, von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hat, indem er in einen anderen Mitgliedstaat als den, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt, gereist ist und sich dort aufgehalten hat. Daraus folgt, dass er „Berechtigter“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 ist und dass seine Situation in den Anwendungsbereich von Art. 15 dieser Richtlinie fällt.

88.

Außerdem steht Art. 15 der Richtlinie 2004/38, wie erwähnt, in deren Kapitel III, das u. a. das Recht auf Aufenthalt bis zu drei Monaten (Art. 6), das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate (Art. 7) und die in den Art. 6 und 7 dieser Richtlinie vorgesehene Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts betrifft, sofern die Berechtigten die in diesen Artikeln festgelegten Voraussetzungen erfüllen (Art. 14). Art. 14 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 betrifft, wie ich bereits erwähnt habe ( 57 ), eine von den in Art. 14 Abs. 1 und 2 genannten Art. 6 und 7 abweichende Situation. Insofern regelt Art. 14 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie das Aufenthaltsrecht arbeitsuchender Unionsbürger ( 58 ) sowie die Voraussetzungen, die sie erfüllen müssen, um dieses Recht aufrechterhalten zu können.

89.

Daher ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38, sondern auch aus seinem Kontext und dem Zweck dieser Richtlinie ( 59 ), dass diese Vorschrift auf Situationen anwendbar ist, die unter Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie fallen. Der Anwendungsbereich von Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 erfasst somit eine Entscheidung, mit der ein Antrag auf Anerkennung eines Aufenthaltsrechts für mehr als drei Monate abgelehnt wird, die mit der Anordnung verbunden ist, das Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats zu verlassen, und die, wie im Ausgangsverfahren, aus Gründen erlassen wurde, die in keinem Zusammenhang mit einer Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit stehen.

90.

Vor diesem Hintergrund stellt sich nun die Frage, ob die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 im Lichte von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass die nationalen Gerichte Änderungen der Umstände, die nach dem Erlass von Entscheidungen eingetreten sind, die das Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt beschränken, berücksichtigen und dabei, falls erforderlich, die nationalen Verfahrensvorschriften unangewendet lassen müssen, falls diese Änderungen zeigen, dass der Arbeitsuchende ein solches Aufenthaltsrecht hatte.

2.   Die einschlägige Rechtsprechung des Gerichtshofs zum gerichtlichen Rechtsschutz nach den Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38

91.

Wie sich aus dem Vorstehenden ergibt, gelten, da Art. 15 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 auf die in deren Art. 14 Abs. 4 Buchst. b genannten Fälle anwendbar ist ( 60 ), die in den Art. 30 und 31 dieser Richtlinie festgelegten Verfahrensgarantien entsprechend auch für Unionsbürger, die eine Arbeit suchen. Diese Artikel sehen eine Reihe von Verfahrensgarantien vor, die die Mitgliedstaaten im Hinblick auf eine etwaige Beschränkung des Aufenthaltsrechts eines Unionsbürgers zu beachten haben.

92.

Meines Erachtens müssen wir daher eine Analyse dieser Bestimmungen in der Auslegung durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs zugrunde legen.

93.

Wie sich aus dieser Rechtsprechung ergibt, ist Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38 im Rahmen von Art. 15 dieser Richtlinie anwendbar ( 61 ).

94.

Nach Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 müssen Unionsbürger einen Rechtsbehelf bei einem Gericht und gegebenenfalls bei einer Behörde des Aufnahmemitgliedstaats einlegen können, um eine gegen sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit erlassene Entscheidung anzufechten, mit der ihr Recht auf Freizügigkeit und Aufenthalt in den Mitgliedstaaten eingeschränkt wird.

95.

Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof insbesondere zu Art. 31 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 und zu dem in dieser Bestimmung verankerten Recht, bei einem Gericht einen Rechtsbehelf einlegen zu können, ausgeführt hat, dass solche Rechtsbehelfe unter die Durchführung des Unionsrechts im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta fallen und die Verfahrensmodalitäten für solche Rechtsbehelfe, die den Schutz der in der Richtlinie 2004/38 vorgesehenen Rechte gewährleisten sollen, deshalb insbesondere die Anforderungen beachten müssen, die nach Art. 47 der Charta für das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf gelten ( 62 ).

96.

Außerdem müssen nach Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 die Rechtsbehelfsverfahren nicht nur eine Überprüfung der Rechtmäßigkeit der betreffenden Entscheidung sowie der Tatsachen und Umstände, auf denen sie beruht, ermöglichen, sondern auch gewährleisten, dass die fragliche Entscheidung nicht unverhältnismäßig ist ( 63 ).

97.

Bei der gerichtlichen Überprüfung des Ermessensspielraums der zuständigen nationalen Behörden muss das nationale Gericht, wie der Gerichtshof festgestellt hat, insbesondere prüfen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer hinreichend gesicherten tatsächlichen Grundlage beruht. Die Überprüfung muss sich auf die Wahrung der Verfahrensgarantien beziehen, der eine grundlegende Bedeutung zukommt, und die dem Gericht die Prüfung ermöglicht, ob die für die Ausübung des Ermessensspielraums [sic] maßgeblichen sachlichen und rechtlichen Umstände vorgelegen haben ( 64 ).

98.

Was bedeutet dies in der Praxis für die vom vorlegenden Gericht im Ausgangsverfahren vorzunehmende Prüfung? Dieses Gericht scheint davon auszugehen, dass es Änderungen der Umstände, die nach der von den zuständigen Behörden getroffenen Entscheidung eingetreten sind, prüfen können muss, wenn sie eine Änderung der Situation des betreffenden Unionsbürgers bewirken können, die eine Beschränkung seines Aufenthaltsrechts im Aufnahmemitgliedstaat nicht mehr zulassen würde.

99.

Für die Beantwortung dieser Frage und für die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits erscheint es mir zweckmäßig, das Urteil Orfanopoulos und Oliveri ( 65 ) zu untersuchen, auf das die Parteien Bezug nehmen.

3.   Urteil Orfanopoulos und Oliveri

100.

Ich beginne meine Analyse mit der Feststellung, dass die im Urteil Orfanopoulos und Oliveri ( 66 ) entwickelte Lösung meines Erachtens im Rahmen des Ausgangsverfahrens mutatis mutandis auf die Situation von G. M. A. anwendbar ist.

101.

Der Gerichtshof hat in diesem Urteil Art. 3 der Richtlinie 64/221/EWG ( 67 ) ausgelegt, die der Richtlinie 2004/38 vorausgegangen ist ( 68 ). Nach dem Hinweis darauf, dass die gerichtliche Kontrolle, die im Rahmen der Verfahrensautonomie grundsätzlich dem nationalen Verfahrensrecht unterliegt, wirksam sein muss ( 69 ), hat der Gerichtshof in Rn. 82 dieses Urteils festgestellt, dass Art. 3 der Richtlinie 64/221 einer innerstaatlichen Praxis entgegensteht, wonach die innerstaatlichen Gerichte nicht verpflichtet sind, bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit der gegen einen Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats verfügten Ausweisung tatsächliche Umstände zu berücksichtigen, die nach der letzten Behördenentscheidung eingetreten sind und die den Wegfall oder eine nicht unerhebliche Verminderung der gegenwärtigen Gefährdung mit sich bringen können, die das Verhalten des Betroffenen für die öffentliche Ordnung darstellen würde ( 70 ).

102.

Der Gerichtshof hat diesen Ansatz mit der Feststellung begründet, dass sich weder dem Wortlaut des Art. 3 der Richtlinie 64/221 noch der Rechtsprechung des Gerichtshofs Genaueres in Bezug auf den Zeitpunkt entnehmen lässt, der der Feststellung der „Gegenwärtigkeit“ der Gefährdung zugrunde zu legen ist ( 71 ). Insoweit scheinen mir auch, wie sich aus den vorstehenden Ausführungen ergibt, weder Art. 31 Abs. 1 und 3 der Richtlinie 2004/38 noch die Rechtsprechung des Gerichtshofs genaue und konkrete Hinweise in Bezug auf die Berücksichtigung von Umständen zu geben, die sich nach Erlass einer das Aufenthaltsrecht eines Unionsbürgers beschränkenden Entscheidung einer nationalen Behörde geändert haben. Gleichwohl stimme ich der Bemerkung der Kommission in ihrer Antwort auf die vom Gerichtshof gestellten Fragen zu, dass die in dem Urteil Orfanopoulos und Oliveri ( 72 ) getroffene Feststellung zwar nicht ausdrücklich in Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie 2004/38 wiedergegeben wurde, bei ihrer Auslegung aber zweifellos nicht außer Acht gelassen werden darf ( 73 ).

103.

In diesem Zusammenhang und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass wir es hier mit der Freizügigkeit von Arbeitnehmern und der Unionsbürgerschaft zu tun haben, erscheint es mir angebracht, die zweite Frage eher unter dem Blickwinkel des Grundsatzes der Effektivität als unter dem des Art. 47 der Charta zu prüfen.

104.

Erstens möchte ich darauf hinweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung jedes nationale Verfahren einer gerichtlichen Nachprüfung es dem mit einer Anfechtungsklage gegen eine solche Entscheidung befassten Gericht ermöglichen muss, im Rahmen der Überprüfung der Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung die maßgebenden Grundsätze und Vorschriften des Unionsrechts tatsächlich anzuwenden ( 74 ).

105.

Zweitens erfordert meines Erachtens der Grundsatz der Effektivität, dass die nationalen Gerichte, die den Ermessensspielraum der zuständigen nationalen Behörden überprüfen, in der Lage sein müssen, geänderte Umstände zu berücksichtigen, die nach dem Erlass einer Verwaltungsentscheidung über die Situation eines Unionsbürgers eingetreten sind. Die Situation eines Unionsbürgers, der auf Arbeitsuche ist, kann sich nämlich naturgemäß nach einer solchen Entscheidung ändern. Jede Änderung der Lebensumstände des betroffenen Bürgers, die eingetreten ist, nachdem die zuständigen Behörden eine sein Aufenthaltsrecht einschränkende Entscheidung erlassen haben, ist deshalb bei der gerichtlichen Überprüfung ebenfalls zu berücksichtigen ( 75 ).

106.

Insbesondere muss das Gericht, das diese Kontrolle vornimmt, eine solche Änderung berücksichtigen können, wenn es um die Anwendung der in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen geht. Diese Vorschrift bestimmt, dass Unionsbürger nicht ausgewiesen werden dürfen, solange sie nachweisen können, dass sie weiterhin Arbeit suchen und dass sie eine begründete Aussicht haben, eingestellt zu werden.

107.

Im vorliegenden Fall ist es unstreitig, dass die Änderung der Umstände, die nach der Entscheidung der nationalen Behörden zur Beschränkung des Aufenthaltsrechts von G. M. A. eingetreten ist, nämlich die Tatsache, dass er nach der streitigen Entscheidung vom Europäischen Parlament eingestellt wurde, mit den in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 genannten Anwendungsvoraussetzungen eng zusammenhängt.

108.

Meines Erachtens verstößt eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, die es nicht erlaubt, die Entwicklung der Situation eines Unionsbürgers zu berücksichtigen, gegen den Grundsatz der Effektivität, da sie das nationale Gericht daran hindert, Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 im Licht von Art. 45 AEUV wirksam anzuwenden. Mit anderen Worten, wenn sich die von den zuständigen Gerichten vorzunehmende Kontrolle nicht auf die in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen erstrecken könnte, wäre die Wirksamkeit dieser Kontrolle erheblich verringert. Unter diesen Umständen ist es Sache des Gerichts, das die gerichtliche Kontrolle ausübt, einen wirksamen Schutz der sich aus dem Vertrag und der Richtlinie 2004/38 ergebenden Rechte zu gewährleisten, indem es die fragliche nationale Rechtsvorschrift unangewendet lässt.

109.

Da sich aus meinem Vorschlag ergibt, dass das vorlegende Gericht verpflichtet ist, die betreffenden nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen, halte ich es nicht für erforderlich, die Vereinbarkeit dieser Vorschriften mit Art. 47 der Charta zu prüfen.

4.   Zwischenergebnis

110.

Nach alledem bin ich der Auffassung, dass jede Änderung der Umstände im Zusammenhang mit der Situation eines arbeitsuchenden Unionsbürgers, die eintritt, nachdem die zuständigen Behörden entschieden haben, sein Aufenthaltsrecht zu beschränken, bei der gerichtlichen Überprüfung dieser Situation zu berücksichtigen ist, insbesondere wenn diese Änderung die in Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 genannten Voraussetzungen für die Aufrechterhaltung des Aufenthaltsrechts eines Arbeitsuchenden betrifft. Unter diesen Umständen obliegt es dem Gericht, das die gerichtliche Kontrolle ausübt, einen wirksamen Schutz der Rechte zu gewährleisten, die sich aus dem Vertrag und der Richtlinie 2004/38 ergeben, indem es die fragliche nationale Rechtsvorschrift unangewendet lässt.

V. Ergebnis

111.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die Vorlagefragen des Conseil d’État (Staatsrat, Belgien) wie folgt zu antworten:

1.

Art. 45 AEUV und Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG in der durch die Verordnung (EU) Nr. 492/2011 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2011 geänderten Fassung sind dahin auszulegen, dass der Aufnahmemitgliedstaat verpflichtet ist, zum einen einem Arbeitsuchenden nach Ablauf des ursprünglichen Zeitraums von drei Monaten rechtmäßigen Aufenthalts einen angemessenen Zeitraum einzuräumen, um es ihm zu ermöglichen, von in Betracht kommenden Stellenangeboten Kenntnis zu nehmen und die für eine Einstellung erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, und zum anderen, es einem Arbeitsuchenden zu gestatten, sich während dieses gesamten Zeitraums in seinem Hoheitsgebiet aufzuhalten, ohne von ihm den Nachweis zu verlangen, dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden. Erst nach Ablauf dieser Frist muss der Arbeitsuchende gemäß Art. 14 Abs. 4 Buchst. b der Richtlinie 2004/38 nicht nur nachweisen, dass er weiterhin Arbeit sucht, sondern auch, dass er eine begründete Aussicht hat, eingestellt zu werden.

2.

Die Art. 15 und 31 der Richtlinie 2004/38 sowie der Grundsatz der Effektivität sind dahin auszulegen, dass die Gerichte des Aufnahmemitgliedstaats bei der Prüfung der Rechtmäßigkeit einer Entscheidung, mit der einem arbeitsuchenden Unionsbürger das Recht, sich länger als drei Monate im Land aufzuhalten, verweigert wird, jede Änderung der die Situation des Arbeitsuchenden betreffenden Umstände, die eingetreten ist, nachdem die zuständigen Behörden eine Entscheidung über die Beschränkung seines Aufenthaltsrechts getroffen haben, – gegebenenfalls in Abweichung von den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften – berücksichtigen müssen, wenn diese Änderung zeigt, dass der Arbeitsuchende ein solches Aufenthaltsrecht hatte.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( i ) Die vorliegende Sprachfassung ist in den Fn. 2 und 35 gegenüber der ursprünglich online gestellten Fassung geändert worden.

( 2 ) Vgl. Reynolds, S., „(D)econstructing the Road to Brexit: Paving the Way to Further Limitations on Free Movement and Equal Treatment“, Thym, D. (Hrsg.), Questioning EU Citizenship. Judges and the Limits of Free Movement and Solidarity in the EU, Hart Publishing, London 2017, S. 57 bis 87, insbesondere S. 73.

( 3 ) Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77, mit Berichtigung in ABl. 2004, L 229, S. 35, und ABl. 2005, L 197, S. 34) (im Folgenden: Richtlinie 2004/38).

( 4 ) Moniteur belge vom 31. Dezember 1980, S. 14584.

( 5 ) Moniteur belge vom 27. Oktober 1981, S. 13740.

( 6 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 7 ) Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 24 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 8 ) Vgl. zuletzt Urteil vom 14. Mai 2020, Országos Idegenrendészeti Főigazgatóság Dél-alföldi Regionális Igazgatóság (C‑924/19 PPU und C‑925/19 PPU, EU:C:2020:367, Rn. 179 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 9 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 10 ) Urteil vom 8. April 1976 (48/75, EU:C:1976:57).

( 11 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 12 ) Urteil vom 20. Februar 1997 (C‑344/95, EU:C:1997:81).

( 13 ) Siehe Urteil vom 8. April 1976, Royer (48/75, EU:C:1976:57, Rn. 31 und Tenor). Siehe auch Urteil vom 23. März 1982, Levin (53/81, EU:C:1982:105, Rn. 9), wo der Gerichtshof festgestellt hat, dass „der Anknüpfungspunkt … für das Recht auf Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats und auf Aufenthalt in diesem Staat, … die Arbeitnehmereigenschaft bzw. der Umstand [ist], dass eine Person eine Tätigkeit im Lohn‑ und Gehaltsverhältnis ausübt oder aufnehmen will“. Hervorhebung nur hier.

( 14 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 15 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 11 und 12).

( 16 ) Vgl. Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 13). Außerdem heißt es in Rn. 14 dieses Urteils: „Diese Auslegung des EWG-Vertrags entspricht im Übrigen der Auffassung der rechtsetzenden Organe der [Union], wie sie sich aus den Bestimmungen zur Durchführung der Freizügigkeit, insbesondere den Artikeln 1 und 5 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, L 257, S. 2), ergibt, die das Recht der [Union]sangehörigen, sich zur Stellensuche in einen anderen Mitgliedstaat zu begeben, und folglich auch das Aufenthaltsrecht dort voraussetzen“. Hervorhebung nur hier.

( 17 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 16). Siehe auch Urteil vom 26. Mai 1993, Tsiotras (C‑171/91, EU:C:1993:215, Rn. 13).

( 18 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 20).

( 19 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 21). Siehe auch Urteil vom 26. Mai 1993, Tsiotras (C‑171/91, EU:C:1993:215, Rn. 13).

( 20 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 26. Februar 1992, Bernini (C‑3/90, EU:C:1992:89, Rn. 14), vom 8. Juni 1999, Meeusen (C‑337/97, EU:C:1999:284, Rn. 13), vom 7. September 2004, Trojani (C‑456/02, EU:C:2004:488, Rn. 15), vom 17. Juli 2008, Raccanelli (C‑94/07, EU:C:2008:425, Rn. 33), vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 26), vom 21. Februar 2013, N. (C‑46/12, EU:C:2013:97, Rn. 39), sowie vom 1. Oktober 2015, O (C‑432/14, EU:C:2015:643, Rn. 22).

( 21 ) Siehe hierzu Urteile vom 21. Februar 2013, N. (C‑46/12, EU:C:2013:97, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie vom 19. Juni 2014, Saint Prix (C‑507/12, EU:C:2014:2007, Rn. 33).

( 22 ) Urteil vom 12. Mai 1998, Martínez Sala (C‑85/96, EU:C:1998:217, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung). Der Gerichtshof hat in diesem Urteil einen Anspruch der Unionsbürger auf Gleichbehandlung über die Bestimmungen zur Freizügigkeit der Arbeitnehmer hinaus zuerkannt. Siehe hierzu meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Rendón Marín und CS (C‑165/14 und C‑304/14, EU:C:2016:75, Nr. 109).

( 23 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 24 ) Urteil vom 20. Februar 1997 (C‑344/95, EU:C:1997:81, Rn. 12 bis 19). Vgl. in Bezug auf Beihilfen für die Arbeitsuche, Urteil vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, EU:C:2004:172, Rn. 37), in dem der Gerichtshof die Bestimmungen des Vertrags über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zum ersten Mal im Lichte der Bestimmungen des Vertrags über die Unionsbürgerschaft ausgelegt hat. Vgl. im Rahmen des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei Urteil vom 23. Januar 1997, Tetik (C‑171/95, EU:C:1997:31, Rn. 32 bis 34).

( 25 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 26 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 27 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 28 ) Siehe Nr. 38 der vorliegenden Schlussanträge.

( 29 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 13 und 16). Siehe auch Urteil vom 26. Mai 1993, Tsiotras (C‑171/91, EU:C:1993:215, Rn. 13).

( 30 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑-292/89, EU:C:1991:80).

( 31 ) Siehe insbesondere Urteil vom 11. April 2019, Tarola (C‑483/17, EU:C:2019:309, Rn. 23 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 32 ) Nach Art. 14 Abs. 1 dieser Richtlinie haben Unionsbürger und ihre Familienangehörigen dieses Recht, solange sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats nicht unangemessen in Anspruch nehmen.

( 33 ) Nach Art. 14 Abs. 2 dieser Richtlinie haben Unionsbürger und ihre Familienangehörigen nämlich das Recht auf Aufenthalt für mehr als drei Monate, wenn sie die u. a. in Art. 7 der Richtlinie festgelegten Voraussetzungen erfüllen, die verhindern sollen, dass sie die Sozialhilfeleistungen des Aufnahmemitgliedstaats unangemessen belasten.

( 34 ) Den Ausführungen von G. M. A. ist zu entnehmen, dass jeder Unionsbürger, der beabsichtigt, sich länger als drei Monate in Belgien aufzuhalten, gemäß Art. 50 § 1 des Königlichen Erlasses vom 8. Oktober 1981 in Verbindung mit Art. 42 § 4 Nr. 2 des Gesetzes vom 15. Dezember 1980 verpflichtet ist, innerhalb von drei Monaten nach seiner Ankunft bei der Gemeindeverwaltung seines Aufenthaltsortes eine Anmeldebescheinigung zu beantragen, und dass diese Verpflichtung gemäß Art. 50 § 2 dieses Königlichen Erlasses auch für Arbeitsuchende gilt. Die Kommission weist in diesem Zusammenhang in ihren Erklärungen zu Recht darauf hin, dass Art. 8 („Verwaltungsformalitäten für Unionsbürger“) der Richtlinie 2004/38 den Mitgliedstaaten, falls sich Unionsbürger für einen Zeitraum von mehr als drei Monaten im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats aufhalten wollen, die Möglichkeit, die Registrierung bei den zuständigen Behörden vorzuschreiben, nur für die in Art. 7 Abs. 1 dieser Richtlinie genannten Kategorien von Unionsbürgern einräumt. Das ergibt sich ausdrücklich aus Art. 8 Abs. 3 dieser Richtlinie. Folglich kann Arbeitsuchenden eine solche Meldepflicht nicht auferlegt werden, selbst wenn sie seit mehr als drei Monaten auf Arbeitsuche sind. Eine solche Verpflichtung würde sowohl gegen Art. 45 AEUV als auch gegen Art. 8 der Richtlinie 2004/38 verstoßen.

( 35 ) Auch in der Rechtslehre wird dieser Aspekt hervorgehoben. Vgl. u. a. Shuibhne, N. N., und Shaw, J., „General Report“, Neergaard, U., Jacqueson, C., und Holst-Christensen, N., Union Citizenship: Development, Impact and Challenges, The XXVI FIDE Congress in Copenhagen, 2014, Congress Publications, Kopenhagen 2014, Bd. 2, S. 65 bis 226, insbesondere S. 112: „The position of jobseekers has long been – and continues to be – treated distinctively.“

( 36 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 37 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 21). Hervorhebung nur hier.

( 38 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 22 und Tenor).

( 39 ) Urteil vom 26. Februar 1991, Antonissen (C‑292/89, EU:C:1991:80, Rn. 21 und 22).

( 40 ) Urteil vom 4. Juni 2009 (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 21 und 22).

( 41 ) Insoweit weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof, nachdem er in Rn. 37 dieses Urteils ausgeführt hat, dass „es angesichts der Einführung der Unionsbürgerschaft und der Auslegung, die das Recht der Unionsbürger auf Gleichbehandlung in der Rechtsprechung erfahren hat, nicht mehr möglich [ist], vom Anwendungsbereich des Art. 39 Abs. 2 EG eine finanzielle Leistung auszunehmen, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll“, in Rn. 38 desselben Urteils Folgendes festgestellt hat: „Es ist … legitim, dass ein Mitgliedstaat eine [finanzielle Leistung, die den Zugang zum Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats erleichtern soll], erst gewährt, nachdem das Bestehen einer tatsächlichen Verbindung des Arbeitsuchenden mit dem Arbeitsmarkt dieses Staates festgestellt wurde“. Urteil vom 4. Juni 2009, Vatsouras und Koupatantze (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344, Rn. 38 und 39).

( 42 ) Urteil vom 4. Juni 2009 (C‑22/08 und C‑23/08, EU:C:2009:344).

( 43 ) Urteil vom 23. März 2004, Collins (C‑138/02, EU:C:2004:172). Siehe Fn. 24 der vorliegenden Schlussanträge.

( 44 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 45 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, KOM(2001) 257 endg. (ABl. 2001, C 270 E, S. 150).

( 46 ) Legislative Entschließung des Europäischen Parlaments zu dem Vorschlag für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, KOM(2001) 257 – C5‑0336/2001 – 2001/0111(COD) (ABl. 2004, C 43 E, S. 42).

( 47 ) Gemeinsamer Standpunkt (EG) Nr. 6/2004 vom 5. Dezember 2003, vom Rat festgelegt … im Hinblick auf den Erlass der Richtlinie 2004/[38]/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom … über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, C 54 E, S. 12).

( 48 ) Hervorhebung nur hier.

( 49 ) Urteil vom 26. Februar 1991 (C‑292/89, EU:C:1991:80).

( 50 ) Vgl. in diesem Zusammenhang Shuibhne, N. N., „In search of a status: where does the jobseeker fit in EU free movement law?“, Edward, D., Komninos, A., MacLennan, J., Ian S. Forrester – A Scot without Borders – Liber Amicorum, Bd. 1, 2017, S. 139 bis 152, insbesondere S. 148.

( 51 ) Die Gründe dafür, dass Angehörige eines Mitgliedstaats in andere Mitgliedstaaten reisen, können sehr unterschiedlich sein.

( 52 ) Cieśliński, A., Szwarc, M., Prawo rynku wewnętrznego. System Prawa Unii Europejskiej, Bd. 7, unter der Leitung von Kornobis-Romanowska, D., Warschau, C. H. Beck, 2020, S. 310.

( 53 ) In der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament, den Rat, den Europäischen Wirtschafts‑ und Sozialausschuss und den Ausschuss der Regionen vom 25. November 2013 über die Freizügigkeit der EU-Bürger und ihrer Familien: fünf grundlegende Maßnahmen (COM[2013] 837 endg.) heißt es: „Arbeitsuchende können sich – ohne weitere Bedingungen zu erfüllen – bis zu sechs Monate in einem anderen Mitgliedstaat aufhalten oder gegebenenfalls länger, wenn sie nachweisen, dass sie realistische Aussichten auf einen Arbeitsplatz haben.“ Siehe auch die Website der Kommission „Ihr Europa“ https://europa.eu/youreurope/citizens/residence/residence-rights/jobseekers/index_de.htm#just-moved: „Wenn Sie während der ersten sechs Monate Ihres Aufenthalts keine Stelle gefunden haben, können die nationalen Behörden prüfen, ob Ihr Aufenthaltsrecht verlängert werden kann. Hierfür erwarten sie Nachweise, dass Sie aktiv eine Stelle suchen und gute Chancen haben, eine zu finden.“

( 54 ) Gemäß den Ausführungen von G. M. A. dauert eine Arbeitsuche in Belgien durchschnittlich sieben Monate.

( 55 ) Urteil vom 29. April 2004 (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262).

( 56 ) Hervorhebung nur hier.

( 57 ) Siehe Nr. 52 der vorliegenden Schlussanträge.

( 58 ) Dieses Recht leitet sich unmittelbar aus Art. 45 AEUV ab.

( 59 ) Siehe Nr. 50 der vorliegenden Schlussanträge.

( 60 ) Siehe Nrn. 86 bis 89 der vorliegenden Schlussanträge.

( 61 ) Urteil vom 10. September 2019, Chenchooliah (C‑94/18, EU:C:2019:693, Rn. 82). Dagegen ergibt sich aus Rn. 83 dieses Urteils, dass diese Anwendbarkeit nicht für Art. 30 Abs. 2, Art. 31 Abs. 2 dritter Gedankenstrich und Art. 31 Abs. 4 der Richtlinie 2004/38 gilt. Die Anwendung dieser Bestimmungen ist streng auf Ausweisungsverfügungen aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit zu beschränken. Diese Bestimmungen gelten daher nicht für die in Art. 15 dieser Richtlinie genannten Ausweisungen. Siehe auch meine Schlussanträge in jener Rechtssache (C‑94/18, EU:C:2019:433).

( 62 ) Urteil vom 10. September 2019, Chenchooliah (C‑94/18, EU:C:2019:693, Rn. 84). Siehe auch Urteile vom 12. Juli 2018, Banger (C‑89/17, EU:C:2018:570, Rn. 48), und vom 4. Juni 2013, ZZ (C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 50).

( 63 ) Urteil vom 10. September 2019, Chenchooliah (C‑94/18, EU:C:2019:693, Rn. 85). Siehe auch Urteile vom 12. Juli 2018, Banger (C‑89/17, EU:C:2018:570, Rn. 48), und vom 17. November 2011, Gaydarov (C‑430/10, EU:C:2011:749, Rn. 41): „[Diese Personen müssen also nach dieser Bestimmung] einen wirksamen gerichtlichen Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung haben, der es ermöglicht, die Rechtmäßigkeit dieser Entscheidung im Hinblick auf das Unionsrecht in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu prüfen“.

( 64 ) Hervorhebung nur hier. Urteil vom 12. Juli 2018, Banger (C‑89/17, EU:C:2018:570, Rn. 51).

( 65 ) Urteil vom 29. April 2004 (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262).

( 66 ) Urteil vom 29. April 2004 (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262).

( 67 ) Richtlinie des Rates vom 25. Februar 1964 zur Koordinierung der Sondervorschriften für die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern, soweit sie aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt sind (ABl. 56 vom 4. April 1964, S. 850).

( 68 ) Art. 3 der Richtlinie 64/221 sah vor, dass bei den fraglichen Maßnahmen ausschließlich das persönliche Verhalten der in Betracht kommenden Einzelpersonen ausschlaggebend sein darf und dass strafrechtliche Verurteilungen allein diese Maßnahme nicht ohne Weiteres begründen können.

( 69 ) Urteil vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262, Rn. 80): „Es trifft zwar zu, dass die Ausgestaltung von Gerichtsverfahren, die den Schutz der dem Bürger aus dem Gemeinschaftsrecht erwachsenden Rechte gewährleisten sollen, Sache der innerstaatlichen Rechtsordnung der einzelnen Mitgliedstaaten ist; gleichwohl dürfen diese Verfahren die Ausübung der durch die Gemeinschaftsrechtsordnung verliehenen Rechte nicht praktisch unmöglich machen oder übermäßig erschweren.“

( 70 ) Urteil vom 29. April 2004 (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262). Dieser Ansatz wurde u. a. im Rahmen der Auslegung des Assoziierungsabkommens EWG-Türkei in dem Urteil vom 11. November 2004, Cetinkaya (C‑467/02, EU:C:2004:708, Rn. 45 und 46), bestätigt. Die aus diesem Urteil gezogenen Lehren sind in mehreren Vorschriften der Richtlinie 2004/38 kodifiziert worden. So verlangt Art. 27 Abs. 2 dieser Richtlinie, dass sich „Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit“ u. a. auf die gegenwärtigen Umstände gründen, die die Person betreffen, gegen die solche Maßnahmen gerichtet sind. Siehe auch Art. 33 Abs. 2 der Richtlinie 2004/38 und Urteil vom 11. November 2004, Cetinkaya (C‑467/02, EU:C:2004:708, Rn. 46).

( 71 ) Urteil vom 29. April 2004, Orfanopoulos und Oliveri (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262, Rn. 77).

( 72 ) Urteil vom 29. April 2004 (C‑482/01 und C‑493/01, EU:C:2004:262).

( 73 ) Siehe dazu Urteil vom 17. April 2018, B und Vomero (C‑316/16 und C‑424/16, EU:C:2018:256, Rn. 94).

( 74 ) Urteil vom 6. Oktober 2015, East Sussex County Council (C‑71/14, EU:C:2015:656, Rn. 58 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 75 ) Guild, E., Peers, S., und Tomkin, J., The EU Citizenship Directive A Commentary, 2. Aufl., Oxford University Press, Oxford, 2019, S. 297: „Der Wortlaut von [Art. 31 Abs. 3 der Richtlinie] weist darauf hin, dass sich die gerichtliche Überprüfung auf den Sachverhalt und die Umstände beschränken kann, auf die sich der Entscheidungsvorschlag stützt. Allerdings ist jede seit der Entscheidung der staatlichen Behörden eingetretene Änderung der Umstände bei der gerichtlichen Kontrolle ebenfalls zu berücksichtigen. Da es sich hier um einen Eingriff in das unionsrechtliche Einreise- und Aufenthaltsrecht des Einzelnen handelt, sollte die Situation zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung maßgeblich sein.“