SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

JEAN RICHARD DE LA TOUR

vom 16. Juli 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑193/19

A

gegen

Migrationsverket

(Vorabentscheidungsersuchen des Förvaltningsrätt i Malmö, migrationsdomstolen [Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grenzkontrollen, Asyl und Einwanderung – Einwanderungspolitik – Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen – Art. 25 Abs. 1 – Richtlinie 2003/86/EG – Recht auf Familienzusammenführung – Voraussetzungen der Erteilung eines Aufenthaltstitels – Art. 5 Abs. 2 – Verpflichtung zur Vorlage eines Reisedokuments – Nationale Rechtsvorschriften, nach denen die Identität des Antragstellers mit Sicherheit nachgewiesen werden muss – Nationale Praxis, die zu diesem Zweck die Vorlage eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses verlangt – Antrag auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels, der von einem Familienangehörigen gestellt wird, der sich bereits im nationalen Hoheitsgebiet aufhält – Im Schengener Informationssystem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebener Familienangehöriger – Verweigerung der Verlängerung des Aufenthaltstitels mit der Begründung, die Identität sei nicht mit Sicherheit nachgewiesen – Zulässigkeit“

I. Einleitung

1.

Kann ein Mitgliedstaat die Verlängerung eines Aufenthaltstitels, der einem Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Familienzusammenführung erteilt worden war, davon abhängig machen, dass dieser seine Identität durch Vorlage eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses zweifelsfrei nachweist?

2.

Das ist im Wesentlichen der Gegenstand der Vorabentscheidungsfragen, die das Förvaltningsrätt i Malmö, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden) dem Gerichtshof vorgelegt hat.

3.

Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen A, einem gambischen Staatsangehörigen, und dem Migrationsverk (Einwanderungsbehörde, Schweden), das die Verlängerung des Aufenthaltstitels von A mit der Begründung abgelehnt hat, seine Identität habe nicht mit Sicherheit festgestellt werden können. Diese Entscheidung wurde in einem besonderen Kontext erlassen, weil die norwegischen Behörden den Betroffenen im Schengener Informationssystem (SIS) zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben hatten, unter anderem wegen zahlreicher Aliasnamen, die er mit Hilfe gefälschter Reisepässe verwendet hatte.

4.

Diese Rechtssache bietet dem Gerichtshof Gelegenheit, sich zur Art und zur Tragweite der Anforderungen zu äußern, die das Unionsrecht an den Nachweis der Identität eines Drittstaatsangehörigen stellt, der vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aus, in dem er sich aufhält, die Verlängerung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung beantragt, obwohl er im SIS zur Verweigerung der Einreise in den Schengen-Raum ausgeschrieben ist.

5.

Im ersten Teil meiner Schlussanträge werde ich dem Gerichtshof vorschlagen, zu entscheiden, dass Art. 25 Abs. 1 des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen ( 2 ), um dessen Auslegung das vorlegende Gericht ersucht, einer Entscheidung nicht entgegensteht, mit der ein Vertragsstaat ( 3 ) dem Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels eines im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittstaatsangehörigen stattgibt, obwohl dessen Identität nicht mit Sicherheit festgestellt werden kann. Ich werde jedoch die Gründe darlegen, aus denen eine solche Entscheidung erst nach einer Konsultation des Vertragsstaats ergehen darf, der diese Person ausgeschrieben hat, und auf einem gewichtigen Grund beruhen muss.

6.

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, werde ich dem Gerichtshof im zweiten Teil meiner Schlussanträge vorschlagen, sich zu den Bestimmungen der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ( 4 ) zu äußern.

7.

Zunächst werde ich erläutern, dass die in Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie genannten Voraussetzungen einer nationalen Rechtsvorschrift wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, die für die Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verlangt, dass der Drittstaatsangehörige seine Identität zweifelsfrei nachweist, indem er die beglaubigte Kopie eines für die Dauer der beantragten Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses beifügt. Sodann werde ich meine Prüfung auf die Einhaltung zweier Grundsätze für die Prüfung eines Antrags auf Familienzusammenführung im Sinne der Richtlinie 2003/86 konzentrieren, nämlich des Grundsatzes der Einzelfallprüfung des Antrags und des Grundsatzes der Wahrung des Rechts auf Achtung des Familienlebens des betroffenen Familienangehörigen. Schließlich werde ich zu dem Ergebnis kommen, dass die zuständige nationale Behörde in einem Fall, in dem es dem Betroffenen nicht gelingt, seinem Antrag das erforderliche Reisedokument beizufügen, diesen Antrag nicht allein aus diesem Grund zurückweisen darf. Ich werde erläutern, dass diese Behörde vor allem verpflichtet ist, eine Einzelfallprüfung des Antrags vorzunehmen und dabei insbesondere die Gründe, aus denen dieses Dokument nicht vorgelegt werden kann, sowie die Zusammenarbeit zu berücksichtigen, die der betroffene Familienangehörige an den Tag legt, um seine Identität mit jedem anderen geeigneten Mittel zweifelsfrei nachzuweisen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 2003/86

8.

Die Richtlinie 2003/86 legt die Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung durch Drittstaatsangehörige fest, die sich rechtmäßig im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten aufhalten.

9.

In Kapitel III dieser Richtlinie, das die Stellung und Prüfung von Anträgen auf Erteilung eines Aufenthaltstitels betrifft, bestimmt Art. 5 Abs. 1 bis 3:

„(1)   Die Mitgliedstaaten legen fest, ob zur Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung ein Antrag auf Einreise und Aufenthalt entweder vom Zusammenführenden[ ( 5 )] oder von dem oder den Familienangehörigen bei den zuständigen Behörden des betreffenden Mitgliedstaats gestellt werden muss.

(2)   Dem Antrag sind Unterlagen beizufügen, anhand derer die familiären Bindungen nachgewiesen werden und aus denen ersichtlich ist, dass die in den Artikeln 4 und 6 und gegebenenfalls in den Artikeln 7 und 8 vorgesehenen Bedingungen erfüllt sind, sowie beglaubigte Abschriften der Reisedokumente des oder der Familienangehörigen.

Zum Nachweis des Bestehens familiärer Bindungen können die Mitgliedstaaten gegebenenfalls eine Befragung des Zusammenführenden und seiner Familienangehörigen vornehmen und andere als zweckmäßig erachtete Nachforschungen anstellen.

(3)   Der Antrag ist zu stellen und zu prüfen, wenn sich die Familienangehörigen noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhalten, in dem sich der Zusammenführende aufhält.

Abweichend davon kann ein Mitgliedstaat gegebenenfalls zulassen, dass ein Antrag gestellt wird, wenn sich die Familienangehörigen bereits in seinem Hoheitsgebiet befinden.“

10.

In Kapitel VII der Richtlinie 2003/86, das Sanktionen und Rechtsmittel betrifft, bestimmt Art. 16 Abs. 2 und 4:

„(2)   Die Mitgliedstaaten können einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zwecke der Familienzusammenführung auch ablehnen oder den Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen entziehen oder seine Verlängerung verweigern, wenn feststeht,

a)

dass falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden, ge- oder verfälschte Dokumente verwendet wurden, auf andere Weise eine Täuschung verübt wurde oder andere ungesetzliche Mittel angewandt wurden;

(4)   Die Mitgliedstaaten können bei Vorliegen eines begründeten Verdachts auf Täuschung oder Scheinehe, Scheinpartnerschaft oder Scheinadoption im Sinne von Absatz 2 punktuelle Kontrollen durchführen. Punktuelle Kontrollen können auch bei der Verlängerung des Aufenthaltstitels eines Familienangehörigen durchgeführt werden.“

11.

Schließlich heißt es in Art. 17 der Richtlinie 2003/86:

„Im Fall der Ablehnung eines Antrags, dem Entzug oder der Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels sowie der Rückführung des Zusammenführenden oder seiner Familienangehörigen berücksichtigen die Mitgliedstaaten in gebührender Weise die Art und die Stärke der familiären Bindungen der betreffenden Person und die Dauer ihres Aufenthalts in dem Mitgliedstaat sowie das Vorliegen familiärer, kultureller oder sozialer Bindungen zu ihrem Herkunftsland.“

2. Der Schengen-Besitzstand

a) Das SDÜ

12.

Art. 25 des SDÜ in der durch die Verordnung (EU) Nr. 265/2010 ( 6 ) geänderten Fassung bestimmt:

„(1)   Beabsichtigt ein Mitgliedstaat, einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so ruft er systematisch die Daten im [SIS] ab. Beabsichtigt ein Mitgliedstaat, einem zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen, so konsultiert er vorab den ausschreibenden Mitgliedstaat und berücksichtigt dessen Interessen; der Aufenthaltstitel wird nur bei Vorliegen gewichtiger Gründe erteilt, insbesondere aus humanitären Gründen oder aufgrund internationaler Verpflichtungen.

Wird der Aufenthaltstitel erteilt, so zieht der ausschreibende Mitgliedstaat die Ausschreibung zurück, wobei es ihm unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.

(2)   Stellt sich heraus, dass der Drittausländer, der über einen von einer der Vertragsparteien erteilten gültigen Aufenthaltstitel verfügt, zum Zwecke der Einreiseverweigerung ausgeschrieben ist, konsultiert die ausschreibende Vertragspartei die Vertragspartei, die den Aufenthaltstitel erteilt hat, um zu prüfen, ob ausreichende Gründe für die Einziehung des Aufenthaltstitels vorliegen.

Wird der Aufenthaltstitel nicht eingezogen, so zieht die ausschreibende Vertragspartei die Ausschreibung zurück, wobei es ihr unbenommen bleibt, den betroffenen Drittausländer in die nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.

…“

13.

Art. 96 des SDÜ lautet wie folgt:

„(1)   Die Daten bezüglich Drittausländern, die zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sind, werden aufgrund einer nationalen Ausschreibung gespeichert, die auf Entscheidungen der zuständigen Verwaltungsbehörden und Gerichte beruht, wobei die Verfahrensregeln des nationalen Rechts zu beachten sind.

(2)   Die Entscheidungen können auf die Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung oder die nationale Sicherheit, die die Anwesenheit eines Drittausländers auf dem Hoheitsgebiet der Vertragspartei bedeutet, gestützt werden.

Dies kann insbesondere der Fall sein

a)

bei einem Drittausländer, der wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist;

(3)   Die Entscheidungen können ebenso darauf beruhen, dass der Drittausländer ausgewiesen, zurückgewiesen oder abgeschoben worden ist, wobei die Maßnahme nicht aufgeschoben oder aufgehoben worden sein darf, ein Verbot der Einreise oder des Aufenthalts enthalten oder davon begleitet sein muss und auf der Nichtbeachtung des nationalen Rechts über die Einreise oder den Aufenthalt von Ausländern beruhen muss.“

14.

Art. 134 des SDÜ bestimmt:

„Die Bestimmungen dieses Übereinkommens sind nur anwendbar, soweit sie mit dem [Unions]recht vereinbar sind.“

b) Verordnung (EG) Nr. 562/2006

15.

Art. 5 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) ( 7 ) in der durch die Verordnung (EG) Nr. 610/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 ( 8 ) geänderten Fassung bestimmt:

„Für einen geplanten Aufenthalt im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten von bis zu 90 Tagen je Zeitraum von 180 Tagen, wobei der Zeitraum von 180 Tagen, der jedem Tag des Aufenthalts vorangeht, berücksichtigt wird, gelten für einen Drittstaatsangehörigen folgende Einreisevoraussetzungen:

a)

Er muss im Besitz eines gültigen Reisedokuments sein, das seinen Inhaber zum Überschreiten der Grenze berechtigt …;

d)

Er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein;

e)

Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen und darf insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.“

B.   Schwedisches Recht

16.

Das Utlänningslag (Ausländergesetz) vom 29. September 2005 ( 9 ) sieht in Kapitel 2 § 1 vor:

„Ein Ausländer, der nach Schweden einreist oder sich dort aufhält, muss im Besitz eines Reisepasses sein.“

17.

Kapitel 5 § 3 dieses Gesetzes bestimmt:

„Ein Aufenthaltstitel wird vorbehaltlich der §§ 17 bis 17 b erteilt

1.   jedem Ausländer, dessen Ehegatte oder mit ihm zusammenlebender Partner seinen Wohnsitz in Schweden hat oder eine Erlaubnis für den Aufenthalt in Schweden erhalten hat,

…“

18.

Kapitel 5 § 16 Abs. 1 dieses Gesetzes lautet:

„Ein Ausländer, dem nach § 8 eine befristete Aufenthaltserlaubnis aufgrund familiärer Bindungen erteilt wurde, kann eine neue befristete oder unbefristete Aufenthaltserlaubnis aus diesem Grund nur erhalten, wenn die betreffenden Bindungen fortbestehen.“

19.

Kapitel 5 § 17 a Abs. 1 und 2 des Ausländergesetzes bestimmt:

„In den in § 3 genannten Fällen kann die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis verweigert werden, wenn

1.

wissentlich unrichtige Angaben gemacht oder wissentlich Umstände verschwiegen wurden, die für die Erlangung der Aufenthaltserlaubnis von Bedeutung sind, [oder]

2.

ein Ausländer zu dem alleinigen Zweck, ihm das Recht auf einen Aufenthaltstitel zu verschaffen, adoptiert wurde oder eine Ehe geschlossen hat oder eine Lebensgemeinschaft eingegangen ist, oder

3.

der Ausländer eine Bedrohung für die öffentliche Ordnung und Sicherheit darstellt.

In den in § 3 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 Buchst. b genannten Fällen kann die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch verweigert werden, wenn

1.

die Ehegatten oder Lebensgefährten nicht zusammenleben oder zu zusammenzuleben beabsichtigen, [oder]

2.

die Person, mit der eine Verbundenheit geltend gemacht wird, oder der Ausländer, der den Aufenthaltstitel beantragt, bereits mit einer anderen Person verheiratet ist oder in einer Lebensgemeinschaft lebt; oder

3.

einer der Ehegatten oder Lebensgefährten jünger als 18 Jahre ist.“

III. Ausgangsverfahren, Vorlagefragen und Verfahren vor dem Gerichtshof

20.

A ist ein gambischer Staatsangehöriger ( 10 ), der in Schweden lebt. Zu einem in der Vorlageentscheidung nicht genannten Zeitpunkt erhielt er eine befristete Aufenthaltserlaubnis, um zu seiner schwedischen Ehefrau zu ziehen. Diesem Antrag wurde vor seiner Einreise nach Schweden stattgegeben. Das vorlegende Gericht führt aus, vernünftigerweise sei davon auszugehen, dass die zuständigen nationalen Behörden zu diesem Zeitpunkt angenommen hätten, dass die Identität des Betroffenen erwiesen sei und sein Reisepass die Anforderungen der schwedischen Rechtsvorschriften erfülle.

A.   Prüfung des Antrags auf Verlängerung des Aufenthaltstitels durch die Einwanderungsbehörde

21.

Zu einem in der Vorlageentscheidung nicht genannten Zeitpunkt stellte A bei der Einwanderungsbehörde einen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels. Nach Angaben des vorlegenden Gerichts lehnte die Einwanderungsbehörde diesen Antrag u. a. mit der Begründung ab, dass seine Identität nicht nachgewiesen sei (im Folgenden: streitige Entscheidung) ( 11 ).

22.

Anlässlich der Prüfung dieses Antrags wurde die Einwanderungsbehörde von der norwegischen Polizei darüber informiert, dass der Betroffene in Norwegen unter mehreren Aliasnamen aufgetreten sei, nämlich zunächst als B, ein (laut einem gefälschten Reisepass) am 18. August 1975 geborener gambischer Staatsangehöriger, dann als C, ein am 12. Dezember 1982 geborener Asylbewerber ohne Ausweispapiere, und schließlich als D, ein (laut einem weiteren bei einer Hausdurchsuchung vorgefundenen Reisepass) am 8. August 1980 geborener gambischer Staatsangehöriger. Unter der letztgenannten Identität sei der Betroffene in Norwegen wegen des Besitzes und Verkaufs von Betäubungsmitteln (Kokain) zu einer Freiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt worden. Ebenfalls unter der letztgenannten Identität sei gegen den Betroffenen eine Entscheidung über die Ausweisung aus dem norwegischen Hoheitsgebiet ergangen, die mit einem lebenslänglichen Einreiseverbot und einer Ausschreibung im SIS verbunden gewesen sei. In diesem System wurde der Betroffene unter dem Namen D mit dem Geburtsdatum 8. August 1980 als gambischer Staatsangehöriger eingetragen.

23.

Aus der Vorlageentscheidung geht hervor, dass der Betroffene, als er sich in Dakar (Senegal) aufhielt, unter der letztgenannten Identität einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt habe, der von den schwedischen Behörden geprüft worden sei. Dieser Antrag sei mit der Begründung abgelehnt worden, dass er sich auf eine Scheinehe stütze.

B.   Die beim vorlegenden Gericht erhobene Klage

24.

In seiner Vorlageentscheidung fragt das Förvaltningsrätt i Malmö, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen) nach den Anforderungen, die das Unionsrecht an den Nachweis der Identität eines Drittstaatsangehörigen stellt, der zu einem Zeitpunkt, zu dem er sich bereits im nationalen Hoheitsgebiet aufhält, einen weder auf Schutzbedürftigkeit noch auf humanitäre Gründe gestützten Antrag auf einen Aufenthaltstitel stellt.

25.

Das vorlegende Gericht führt erstens aus, dass die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels nach schwedischem Recht voraussetze, dass die Identität des Drittstaatsangehörigen mit Sicherheit festgestellt worden sei, was in der Praxis die Vorlage eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses erfordere. Das Ausländergesetz enthalte keine anderen Verpflichtungen als die, einen Reisepass zu besitzen. Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass es für Anträge von Drittstaatsangehörigen, deren Herkunftsland keine akzeptablen Personenstandsurkunden ausstelle, eine Ausnahme von dieser Regel gebe.

26.

Zweitens verweist das vorlegende Gericht auf die nationale Rechtsprechung, um seine die Auslegung des Unionsrechts betreffenden Zweifel zu veranschaulichen.

27.

In einem ersten Schritt habe der Migrationsöverdomstol (Berufungsgericht für Einwanderungssachen, Schweden) im Urteil Nr. MIG 2011:11 vom 12. Mai 2011 entschieden, dass es für die Erteilung eines befristeten Aufenthaltstitels, der auf einer Verbindung mit dem Königreich Schweden beruhe (z. B zum Zweck der Familienzusammenführung, des Studiums oder der Ausübung einer Erwerbstätigkeit), erforderlich sei, die Identität des Drittstaatsangehörigen mit Sicherheit festzustellen, um die im SDÜ und im SGK vorgesehenen Verpflichtungen zu erfüllen.

28.

In einem zweiten Schritt habe das Förvaltningsrätt i Stockholm, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Stockholm als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden) entschieden, dass die in § 16 f des Lag om tillfälliga begränsningar av möjligheten att få uppehållstillstånd i Sverige (Gesetz über die vorübergehende Beschränkung der Möglichkeit zur Erlangung eines Aufenthaltstitels in Schweden) ( 12 ) vom 22. Juni 2016 vorgesehenen Bestimmungen im Widerspruch zu den Bestimmungen des SDÜ und des SGK stünden, weil sie die Erteilung eines Aufenthaltstitels auch dann erlaubten, wenn die Identität des Drittstaatsangehörigen ungeklärt sei und er die von ihm angegebene Identität nicht glaubhaft machen könne.

29.

In einem dritten und letzten Schritt habe der Migrationsöverdomstol (Berufungsgericht für Einwanderungssachen, Schweden) entschieden, dass die in seinem Urteil Nr. MIG 2011:11 vom 12. Mai 2011 entwickelten Grundsätze nur Anträge auf Aufenthaltstitel beträfen, die von Drittstaatsangehörigen gestellt würden, während sie sich außerhalb des Schengen-Raums befänden. Außerdem habe er das in der vorstehenden Nummer der vorliegenden Schlussanträge angeführte Urteil des Förvaltningsrätt i Stockholm, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Stockholm – Gericht für Einwanderungssachen, Schweden) aufgehoben und die in § 16 f des Gesetzes über die vorläufige Beschränkung vorgesehene geringere Beweisanforderung zugelassen. So sei es möglich, einem sich bereits im Inland aufhaltenden Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel zum Zweck des Besuchs einer Sekundarschule selbst dann zu erteilen, wenn seine Identität ungeklärt sei und er die von ihm angegebene Identität nicht glaubhaft machen könne.

30.

In diesem Zusammenhang fragt sich das vorlegende Gericht, ob das Unionsrecht und insbesondere die Bestimmungen des SDÜ und des SGK verlangen, dass der Drittstaatsangehörige seine Identität mit Sicherheit nachweist, wenn er, während er sich bereits im nationalen Hoheitsgebiet aufhält, einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stellt, der weder auf Schutzbedürftigkeit noch auf humanitäre Gründe gestützt wird.

C.   Vorlagefragen

31.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen hat das Förvaltningsrätt i Malmö, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stehen die Bestimmungen des SDÜ, insbesondere die Vorschriften zu systematischen Abfragen im SIS, und des SGK, insbesondere das dort aufgestellte Erfordernis des Besitzes eines gültigen Passes, der Erteilung eines Aufenthaltstitels entgegen, wenn der Antrag in Schweden gestellt wurde, nicht auf Schutzbedürftigkeit oder humanitäre Gründe gestützt wird und die Identität des Antragstellers nicht geklärt ist?

2.

Falls dies der Fall sein sollte: Kann das nationale Recht oder die nationale Rechtsprechung für die Feststellung der Identität Ausnahmen zulassen?

3.

Falls die zweite Frage verneint wird: Welche Ausnahmen lässt das Unionsrecht gegebenenfalls zu?

32.

A, die Einwanderungsbehörde, die schwedische, die niederländische und die polnische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

33.

Nach der Aufhebung des für den 18. März 2020 anberaumten Termins der mündlichen Verhandlung ist im Einvernehmen mit dem Berichterstatter beschlossen worden, gemäß Art. 62 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs Fragen zu stellen, die A, die Einwanderungsbehörde, die schwedische Regierung und die Kommission fristgerecht schriftlich beantwortet haben.

IV. Würdigung

34.

Ich halte ich es für zweckmäßig, der Prüfung der Vorlagefragen einige Vorbemerkungen voranzustellen.

A.   Vorbemerkungen

35.

Die erste Bemerkung betrifft den Gegenstand der vom vorlegenden Gericht zur Vorabentscheidung vorgelegten Fragen.

36.

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob die Bestimmungen des SDÜ oder des SGK es einem Mitgliedstaat verwehren, einem Drittstaatsangehörigen, der vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aus, in dem er sich aufhält, einen Aufenthaltstitel beantragt, einen solchen Titel zu erteilen, wenn sein Antrag weder auf ein Schutzbedürfnis noch auf humanitäre Gründe gestützt ist und er seine Identität nicht zweifelsfrei nachweist. Gegebenenfalls möchte das vorlegende Gericht wissen, inwieweit ein Mitgliedstaat von dem Grundsatz der Identitätsfeststellung abweichen darf (zweite Frage) und ob das Unionsrecht Ausnahmen von diesem Grundsatz zulassen kann (dritte Frage).

37.

Wie aus der Vorlageentscheidung hervorgeht, stehen diese Fragen im Mittelpunkt einer Diskussion in der schwedischen Rechtsprechung. Interessanterweise lassen sich nämlich starke Ähnlichkeiten zwischen dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen und dem am 10. August 2018 vom Förvaltningsrätt i Göteborg, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Göteborg als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden) vorgelegten und wenig später zurückgenommenen ( 13 ) Vorabentscheidungsersuchen feststellen. Im Wesentlichen betraf dieses Ersuchen die Frage, ob das SDÜ und das SGK den Bestimmungen von § 16 f des Gesetzes über die vorübergehende Beschränkung entgegenstehen, die die Anforderungen an den Nachweis der Identität eines Drittstaatsangehörigen, der eine Sekundarschule besuchen möchte, wie in den Nrn. 28 und 29 der vorliegenden Schlussanträge wiedergegeben, lockern ( 14 ).

38.

Zwar unterscheidet sich das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen vom vorherigen, weil es die Zulässigkeit der allgemeinen Regelung betrifft, die im Gegenteil verlangt, dass die Identität desjenigen, der einen Aufenthaltstitel beantragt, mit Sicherheit, d. h. in der Praxis durch Vorlage eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses, nachgewiesen werden muss. Diese beiden Rechtssachen betreffen indes die Auslegung der einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts in Bezug auf die Anforderungen an den Nachweis der Identität eines Drittstaatsangehörigen, der vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aus, in dem er sich aufhält, einen Aufenthaltstitel (Rechtssache C‑526/18) oder dessen Verlängerung (Rechtssache C‑193/19) beantragt.

39.

Über den Kontext der vorliegenden Rechtssache hinaus möchte ich darauf hinweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung nicht Aufgabe des Gerichtshofs ist, ein Gutachten zu allgemeinen oder hypothetischen Fragen abzugeben, sondern eine Vorschrift der Union auszulegen, um eine Antwort zu geben, die für die tatsächliche Entscheidung eines Rechtsstreits erforderlich ist ( 15 ). Ich werde meine Prüfung daher auf den Fall eines Drittstaatsangehörigen konzentrieren, der wie A im SIS zur Einreiseverweigerung in den Schengen-Raum ausgeschrieben ist und die Verlängerung seines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung beantragt.

40.

Die zweite Vorbemerkung betrifft die Tragweite der Erläuterungen des vorlegenden Gerichts und der Antworten der Parteien auf die Fragen des Gerichtshofs.

41.

Aus diesen Erläuterungen und Antworten ergibt sich, dass sich die persönliche Situation von A und insbesondere seine familiären Bindungen in Schweden seit dem Erlass der streitigen Entscheidung weitgehend verändert haben. Eingedenk der Aufgabenverteilung zwischen dem Gerichtshof und dem vorlegenden Gericht sehe ich es für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge als gegeben an, dass A am Tag des Erlasses dieser Entscheidung die Verlängerung seines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung mit einer schwedischen Staatsangehörigen beantragte, so wie es im Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich festgestellt und von keinem der Verfahrensbeteiligten in Zweifel gezogen wird. Ich gehe ferner davon aus, dass die Einwanderungsbehörde im Rahmen der Prüfung dieses Antrags auch den Umstand berücksichtigt hat, dass A Vater zweier norwegischer Kinder war und eine Beziehung zu der Mutter dieser Kinder unterhielt, die die norwegische Staatsangehörigkeit besaß, und dass sie alle in Schweden wohnten.

42.

Aus diesen Erläuterungen und Antworten geht auch hervor, dass im Rahmen der streitigen Entscheidung die erste familiäre Bindung, die sich aus der Ehe mit einer schwedischen Staatsangehörigen ergab, nicht als echte familiäre Bindung angesehen wurde. Die zweite Beziehung des A zu seinen Kindern und ihrer Mutter wurde offenbar nicht für wirksam befunden, so dass seiner Ausweisung aus dem schwedischen Hoheitsgebiet kein Hindernis entgegenstand ( 16 ). Aus diesen Schriftstücken ergibt sich ferner, dass A nach dem Erlass der streitigen Entscheidung von der schwedischen Staatsangehörigen geschieden wurde und dass seine Kinder, die norwegische Staatsangehörige sind, Schweden zusammen mit ihrer Mutter verlassen haben, um sich nach Norwegen zu begeben.

B.   Zu den Vorlagefragen

43.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht vom Gerichtshof im Wesentlichen wissen, ob das Unionsrecht und insbesondere Art. 25 Abs. 1 des SDÜ sowie Art. 5 Abs. 1 Buchst. a des SGK es einem Mitgliedstaat verwehren, einem Drittstaatsangehörigen einen weder auf Schutzbedürftigkeit noch auf humanitären Gründen beruhenden Aufenthaltstitel zu erteilen, wenn dieser Drittstaatsangehörige ihn vom Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats aus beantragt, in dem er sich aufhält, und er seine Identität nicht zweifelsfrei nachweist.

44.

Unter Berücksichtigung des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits stellt sich mit anderen Worten die Frage, ob und gegebenenfalls inwieweit das Unionsrecht die Feststellung der Identität eines Drittstaatsangehörigen verlangt, der die Verlängerung seines zum Zweck der Familienzusammenführung erteilten Aufenthaltstitels beantragt.

45.

Um dem vorlegenden Gericht eine sachdienliche Antwort zu geben, ist erstens auch die Frage zu prüfen, ob ein Mitgliedstaat die Erteilung eines solchen Aufenthaltstitels von der Vorlage eines für die Dauer der Aufenthaltsgenehmigung gültigen Reisepasses abhängig machen darf. Aus der Vorlageentscheidung geht nämlich hervor, dass die schwedischen Rechtsvorschriften die Vorlage eines solchen Dokuments verlangen, mit dem die Identität des Antragstellers mit Sicherheit festgestellt werden kann.

46.

Zweitens ist die Frage, da es sich um einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung handelt, meines Erachtens auch im Licht der Richtlinie 2003/86 und insbesondere im Hinblick auf die Regeln und Grundsätze zu prüfen, die diese Richtlinie für den Nachweis der Identität des betreffenden Familienangehörigen aufstellt.

47.

Der in Rede stehende Sachverhalt fällt selbstredend in den Anwendungsbereich von Art. 25 des SDÜ, auf den das vorlegende Gericht in seinem Vorabentscheidungsersuchen ausdrücklich Bezug nimmt, weil A einen Antrag auf Verlängerung eines ihm in Schweden zum Zweck der Familienzusammenführung erteilten Aufenthaltstitels gestellt hat, obwohl die norwegischen Behörden ihn im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben hatten.

48.

Zugleich ist jedoch auf eine harmonische Anwendung aller relevanten unionsrechtlichen Bestimmungen zu achten. Zu diesem Zweck müssen die im SDÜ festgelegten Bedingungen für den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen den Anforderungen des Unionsrechts Rechnung tragen. Wie die Rechtsprechung des Gerichtshofs zeigt, müssen diese Regeln ineinandergreifen ( 17 ). So bestimmt das dem Vertrag von Amsterdam beigefügte Protokoll zur Einbeziehung des Schengen-Besitzstands in den Rahmen der Europäischen Union ( 18 ) im dritten Absatz seiner Präambel, dass „die Bestimmungen des Schengen-Besitzstands nur in dem Maße anwendbar sind, in dem sie mit den Rechtsvorschriften der Europäischen Union … vereinbar sind“ ( 19 ). Art. 1 dieses Protokolls bestimmt, dass die verstärkte Zusammenarbeit im Rahmen des Schengen-Besitzstands innerhalb des institutionellen und rechtlichen Rahmens der Union und unter Beachtung der Verträge zu erfolgen hat. Die Verordnung Nr. 265/2010 ist ebenfalls unmissverständlich, weil sie in ihrem achten Erwägungsgrund klarstellt, dass ihre Anwendung „nicht die Verpflichtung der Mitgliedstaaten berühr[t], Aufenthaltstitel für bestimmte Gruppen von Drittstaatsangehörigen auszustellen, wie in anderen Unionsinstrumenten vorgesehen, insbesondere der Richtlinie … 2003/86“.

49.

Die vorliegende Rechtssache betrifft die Voraussetzungen, von denen ein Mitgliedstaat die von einem Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Familienzusammenführung beantragte Erteilung und insbesondere Verlängerung eines Aufenthaltstitels abhängig machen kann. Dieser Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels stützte sich ursprünglich zwar auf die familiären Bindungen von A zu einer schwedischen Staatsangehörigen, wurde anschließend aber auf die familiären Bindungen von A zu einer norwegischen Staatsangehörigen und den norwegischen Kindern des Paares gestützt.

50.

Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof nach ständiger Rechtsprechung dazu befugt ist, dem vorlegenden Gericht alle Hinweise zur Auslegung des Unionsrechts zu geben, die es diesem ermöglichen, für die Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache über die Frage der Vereinbarkeit nationalen Rechts oder einer nationalen Praxis mit dem Unionsrecht zu befinden ( 20 ).

51.

Sowohl die Einwanderungsbehörde als auch die schwedische Regierung erklären in ihren Antworten auf die Fragen des Gerichtshofs, dass die Auslegung der Richtlinie 2004/38/EG ( 21 ) für die Beantwortung der Frage, ob A nach den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften Anspruch auf einen Aufenthaltstitel haben könne, irrelevant sei. Sie weisen darauf hin, dass diese Richtlinie in einem anderen Kapitel des Ausländergesetzes in schwedisches Recht umgesetzt worden sei, nämlich nicht in Kapitel 5, das die streitige nationale Regelung enthalte, sondern in Kapitel 3 dieses Gesetzes, und außerdem nicht die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels betreffe, um die es in der vorliegenden Rechtssache gehe, sondern die Voraussetzungen eines Aufenthaltsrechts. Nach Auffassung der Einwanderungsbehörde sind die Bestimmungen über den Aufenthaltstitel, um die es im vorliegenden Fall geht, der Richtlinie 2004/38 daher völlig fremd, was durch die nationale Rechtsprechung bestätigt werde.

52.

Dagegen weisen alle Verfahrensbeteiligten mit Ausnahme von A darauf hin, dass sich das Königreich Schweden bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/86 in das nationale Recht dafür entschieden habe, die in den fraglichen nationalen Rechtsvorschriften vorgesehenen Bestimmungen auf jede Person anzuwenden, die ihren Wohnsitz in Schweden habe, unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit. Im Einklang mit den Erklärungen der schwedischen Regierung habe das vorlegende Gericht damit anerkannt, dass das nationale Recht in einem Fall, in dem der Betroffene Verbindungen sowohl zu einer schwedischen Staatsangehörigen als auch zu norwegischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz im schwedischen Hoheitsgebiet geltend mache, die Bestimmungen der Richtlinie 2003/86 im Sinne der Rechtsprechung des Gerichtshofs für unmittelbar und unbedingt anwendbar erklärt habe ( 22 ).

53.

Vor diesem Hintergrund sind die Vorlagefragen meines Erachtens nicht nur im Hinblick auf die einschlägigen Bestimmungen des SDÜ und des SGK, sondern auch im Licht der Bestimmungen der Richtlinie 2003/86 zu prüfen.

1. Die in Art. 5 des SGK vorgesehenen Voraussetzungen für die Einreise eines Drittstaatsangehörigen in den Schengen-Raum

54.

Nach Art. 1 Abs. 2 des SGK besteht dessen Gegenstand darin, Regeln für die Kontrolle von Personen festzulegen, die die Außengrenzen der Staaten des Schengenraums überschreiten ( 23 ).

55.

Zwar sieht Art. 5 Abs. 1 Buchst. a des SGK, auf den das vorlegende Gericht Bezug nimmt, für Drittstaatsangehörige die Verpflichtung vor, „im Besitz eines gültigen Reisedokuments [zu] sein, das seinen Inhaber zum Überschreiten der Grenze berechtigt“, doch gilt diese Voraussetzung für die Einreise in den Schengen-Raum und den Aufenthalt im Schengen-Raum „von bis zu 90 Tagen“. Diese Bestimmung regelt daher nicht die Situation eines Drittstaatsangehörigen wie A, der sich bereits im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats, im vorliegenden Fall in Schweden, aufhält und bereits im Besitz eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung ist ( 24 ). Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich, dass Art. 5 des SGK auf Drittstaatsangehörige Anwendung findet, die keinen vorherigen Bezug zum Gebiet der Union haben und denen, wie der Gerichtshof entschieden hat, kein Grundrecht zusteht, in das Gebiet eines bestimmten Staates einzureisen oder sich dort aufzuhalten ( 25 ).

56.

Daraus folgt, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. a des SGK nicht die auf A anwendbare einschlägige Bestimmung ist und es nicht ermöglicht, die Fragen des vorlegenden Gerichts zu beantworten.

2. Die in Art. 25 Abs. 1 des SDÜ vorgesehenen Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschriebenen Drittstaatsangehörigen

57.

Das vorlegende Gericht stellt auch die Frage nach der Auslegung von Art. 25 Abs. 1 des SDÜ.

58.

Ich stelle fest, dass diese Bestimmung für den Fall gilt, in dem ein Vertragsstaat beabsichtigt, einem Drittausländer einen Aufenthaltstitel zu erteilen ( 26 ). In Ermangelung gegenteiliger Hinweise ist diese Bestimmung meines Erachtens auch auf den Fall eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels anwendbar, mithin eines Antrags, der gestellt wird, während sich der Drittstaatsangehörige bereits im Hoheitsgebiet des Vertragsstaats aufhält. Art. 27 der Verordnung 2018/1861, der Art. 25 Abs. 1 des SDÜ ersetzt hat, verwendet im Übrigen den Ausdruck „Erwägt ein Mitgliedstaat, … einen Aufenthaltstitel … zu erteilen oder zu verlängern“ ( 27 ).

59.

Im Übrigen zielt Art. 25 Abs. 1 des SDÜ nicht darauf ab, die rechtlichen Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat festzulegen, die ein im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschriebener Drittstaatsangehöriger erfüllen muss, um den beantragten Aufenthaltstitel zu erhalten.

60.

Alleiniger Zweck dieser Bestimmung ist es, einen Mechanismus zu schaffen, der auf einem abgestimmten und kohärenten Vorgehen der Vertragsstaaten beruht, um Situationen zu verhindern, in denen in Bezug auf ein und denselben Drittstaatsangehörigen gleichzeitig eine von einem Vertragsstaat (im Folgenden: ausschreibender Staat) veranlasste Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS und ein von einem anderen Vertragsstaat (im Folgenden: ersuchter Staat oder Staat der Erteilung) erteilter Aufenthaltstitel vorliegt. Diese Bestimmung ist denjenigen in Art. 6 in Verbindung mit Art. 11 der Richtlinie 2008/115 ähnlich, die nach denselben Modalitäten Situationen verhindern sollen, in denen für ein und denselben Drittstaatsangehörigen ein von einem Mitgliedstaat verhängtes Einreiseverbot und ein von einem anderen Mitgliedstaat erteilter Aufenthaltstitel nebeneinander bestehen.

61.

Als Erstes sieht Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 des SDÜ die Verpflichtung vor, systematisch die Daten im SIS abzurufen, bevor irgendein Aufenthaltstitel erteilt wird. Diese Verpflichtung, auf die das vorlegende Gericht in seiner Frage ausdrücklich Bezug nimmt, wurde durch die Verordnung Nr. 265/2010 eingeführt. Sie muss es jedem Vertragsstaat, bei dem ein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt wird, ermöglichen, von der Existenz einer Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im SIS Kenntnis zu erlangen, zu der der betreffende Drittstaatsangehörige von einem anderen Vertragsstaat ausgeschrieben ist ( 28 ).

62.

Nach Art. 96 des SDÜ kann eine solche Ausschreibung auf die Gefahr für die öffentliche Ordnung gestützt werden, wenn die betroffene Person wegen einer Straftat verurteilt worden ist, die mit Freiheitsstrafe von mindestens einem Jahr bedroht ist (Abs. 2 Unterabs. 2 Buchst. a), oder wenn gegen sie eine Maßnahme erlassen wurde, die auf der Nichtbeachtung nationaler Vorschriften über die Einreise und den Aufenthalt von Ausländern beruht (Abs. 3). Eine solche Ausschreibung hat ein Einreiseverbot für den gesamten Schengen-Raum und die Unmöglichkeit der Erlangung eines Visums zur Folge ( 29 ). Daraus folgt, dass nach dem im SDÜ vorgesehenen Mechanismus eine Person wie A grundsätzlich keinen Aufenthaltstitel im Schengen-Raum erhalten könnte. Der Mechanismus des Art. 25 Abs. 1 des SDÜ führt jedoch nicht zu einer systematischen Ablehnung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels.

63.

Als Zweites sieht Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 des SDÜ den Fall vor, dass der Drittstaatsangehörige zum Zweck der Einreiseverweigerung im SIS ausgeschrieben ist.

64.

Diese Bestimmung sieht einen Mechanismus der vorherigen Konsultation des ausschreibenden Staates für den Fall vor, dass der ersuchte Staat gleichwohl und trotz dieser Ausschreibung beabsichtigt, dem Betroffenen einen Aufenthaltstitel zu erteilen ( 30 ). Dieser Mechanismus muss den ersuchten Staat in die Lage versetzen, die der Ausschreibung zugrunde liegenden Gründe zu erfahren und gegebenenfalls Maßnahmen zum Schutz seiner öffentlichen Ordnung und Sicherheit zu ergreifen ( 31 ). In einer Situation wie der hier in Rede stehenden, die unter die Bestimmungen der Richtlinie 2003/86 fällt, versetzt dieser Mechanismus den ersuchten Staat auch in die Lage, über relevante Informationen für die Zwecke der individualisierten Beurteilung des Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu verfügen. Im Gegenzug hat der ersuchte Staat die Interessen des ausschreibenden Staates zu berücksichtigen.

65.

Darüber hinaus bestimmt Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 1 des SDÜ, dass die Gründe, auf denen die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen ausgeschriebenen Drittstaatsangehörigen beruht, „gewichtig“ sein müssen, wobei der Unionsgesetzgeber „insbesondere“ auf solche „wegen humanitärer Erwägungen oder infolge internationaler Verpflichtungen“ verweist ( 32 ). Mit der Verwendung des Adverbs „insbesondere“ will der Unionsgesetzgeber dem ersuchten Staat einen Ermessensspielraum hinsichtlich der Art der Gründe einräumen, auf die er sich berufen kann. Ausschlaggebend ist, dass die Gründe gewichtig sind ( 33 ). In ihrer Empfehlung vom 6. November 2006 ( 34 ) hat die Kommission ausgeführt, dass zu den „humanitären Gründen“ beispielsweise die Situation zählt, in der der Drittstaatsangehörige mit einer plötzlichen schweren Erkrankung oder dem Tod eines nahen Verwandten konfrontiert ist, und dass der Grund „infolge internationaler Verpflichtungen“ den Fall einer Person umfasst, die um internationalen Schutz nachsucht ( 35 ).

66.

Ich bin allerdings der Auffassung, dass der Begriff „gewichtige Gründe“ eng ausgelegt werden muss, um sowohl den Interessen des ausschreibenden Staates als auch den von den Mitgliedstaaten innerhalb des Raums der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts verfolgten Zielen Rechnung zu tragen. Der Staat, der eine Entscheidung über die Ausweisung trifft und ein Einreiseverbot für den Schengen-Raum ausspricht, handelt nämlich nicht nur in seinem eigenen Interesse und dem seiner Bürger, sondern auch für die Sicherheit all derer, die im Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts leben. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels unter Umständen wie denen des Ausgangsverfahrens würde nach Art. 25 Abs. 1 des SDÜ zur Rücknahme der Ausschreibung von A im SIS führen. Ich weise darauf hin, dass diese Person sich bereits innerhalb des Schengen-Raums bewegt hat, indem sie mehrere Identitäten auf der Grundlage gefälschter Dokumente benutzt hat, um in missbräuchlicher Weise ein Aufenthaltsrecht zu erlangen, und dass sie in einem anderen Mitgliedstaat zu denselben Machenschaften greifen könnte, indem sie die Abschaffung der Kontrollen an den Binnengrenzen ausnutzt. Um den auf dem Spiel stehenden Interessen Rechnung zu tragen, halte ich es daher für unerlässlich, den Begriff „gewichtige Gründe“ eng auszulegen. In diesem Zusammenhang sind meines Erachtens diejenigen Gründe als „gewichtig“ anzusehen, die dem betroffenen Drittstaatsangehörigen die Ausübung der Rechte ermöglichen, die ihm die Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) gewährt, insbesondere des Rechts auf Achtung des Familienlebens (Art. 7 der Charta) und der Rechte, die die Achtung der Rechte des Kindes gewährleisten (Art. 24 der Charta). Dies setzt jedoch voraus, dass der ersuchte Staat die Echtheit und das tatsächliche und wirksame Bestehen der geltend gemachten familiären Bindung prüft und, wie die Kommission in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen hervorhebt, die Interessen des betroffenen Drittstaatsangehörigen und der Mitgliedstaaten gegeneinander abwägt.

67.

Als Drittes sieht Art. 25 Abs. 1 Unterabs. 2 des SDÜ vor, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen Drittstaatsangehörigen durch den ersuchten Staat den ausschreibenden Staat zwingt, die Ausschreibung zurückzuziehen. Diesem bleibt es jedoch unbenommen, diesen Drittstaatsangehörigen in seine nationale Ausschreibungsliste aufzunehmen.

68.

Aus dieser wörtlichen Auslegung von Art. 25 Abs. 1 des SDÜ folgt, dass diese Bestimmung – im Gegensatz zu den Art. 5 und 15 dieses Übereinkommens – nicht die rechtlichen Voraussetzungen bestimmt, die ein Drittstaatsangehöriger erfüllen muss, um in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats einreisen und sich dort aufhalten zu können, zu denen auch der Nachweis seiner Identität gehört. Art. 25 Abs. 1 des SDÜ geht von der Prämisse aus, dass dieser Drittstaatsangehörige die Bedingungen, die die Vorschriften über die Einreise in den Schengen-Raum und den Aufenthalt dort vorsehen, nicht erfüllt, was der Grund für seine Ausschreibung ist. Mit dieser Bestimmung wollte der Unionsgesetzgeber lediglich ein zwischen den Vertragsstaaten abgestimmtes Verfahren für den Fall einführen, dass einer von ihnen beabsichtigt, eine Ausnahme von dem Einreiseverbot zu machen, dem ein Drittstaatsangehöriger aufgrund der Ausschreibung unterliegt.

69.

Aus dem Wortlaut von Art. 25 Abs. 1 des SDÜ geht nicht hervor, dass einem Mitgliedstaat die Möglichkeit, einen dem Drittstaatsangehörigen zum Zweck der Familienzusammenführung erteilten Aufenthaltstitel zu verlängern, allein deshalb genommen wäre, weil die Identität dieses Drittstaatsangehörigen nicht mit Sicherheit festgestellt worden sei.

70.

Die systematische und teleologische Auslegung dieser Bestimmung stützt diese Auslegung.

71.

Art. 25 Abs. 1 des SDÜ soll nämlich ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen den Sicherheitsanforderungen einerseits, die in einem Raum ohne Binnengrenzen wie dem Raum der Freiheit, der Sicherheit und des Rechts geboten sind, und dem Spielraum andererseits, über den die Mitgliedstaaten bei ihrer Einwanderungspolitik verfügen, sicherstellen. Die Mitgliedstaaten verfügen bei der Erteilung eines Aufenthaltstitels an eine illegal aufhältige Person über einen gewissen Spielraum und behalten so die Kontrolle über die Einreise und den Aufenthalt von Drittstaatsangehörigen in ihrem Hoheitsgebiet. Wie der Gerichtshof entschieden hat, fällt die Erteilung von Aufenthaltstiteln für eine Dauer von über 90 Tagen überwiegend unter das innerstaatliche Recht der Mitgliedstaaten ( 36 ). Art. 25 Abs. 1 des SDÜ verfolgt daher vor allem das Ziel, den Interessen beider Vertragsstaaten, des ausschreibenden und des ersuchten Staats, durch ein Konsultationsverfahren gerecht zu werden und gegebenenfalls die Erteilung von Aufenthaltstiteln auf solche zu beschränken, die auf gewichtigen Gründen beruhen.

72.

Diese Bestimmung ist nicht neu, weil entsprechende Bestimmungen nicht nur im SGK, sondern auch in der Richtlinie 2008/115 zu finden sind.

73.

So ermächtigt Art. 5 Abs. 4 Buchst. c des SGK die Vertragsstaaten, einem Drittstaatsangehörigen, der die Voraussetzungen des Abs. 1 dieser Bestimmung nicht erfüllt, die Einreise in sein Hoheitsgebiet für eine Dauer von nicht mehr als 90 Tagen aus humanitären Gründen oder Gründen des nationalen Interesses oder aufgrund internationaler Verpflichtungen zu gestatten. Liegt zu dem betreffenden Drittstaatsangehörigen im SIS eine Ausschreibung zur Einreiseverweigerung vor, braucht der Vertragsstaat keinen anderen zu konsultieren, muss aber alle Mitgliedstaaten unterrichten.

74.

In gleicher Weise erlaubt Art. 6 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 in Verbindung mit Art. 11 Abs. 4 dieser Richtlinie einem Mitgliedstaat, einem illegal in ihrem Hoheitsgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen jederzeit eine eigenständige Aufenthaltsberechtigung oder einen eigenen Aufenthaltstitel wegen Vorliegens eines Härtefalls oder aus humanitären oder sonstigen Gründen zu erteilen, selbst wenn ein anderer Mitgliedstaat eine Entscheidung erlassen hat, mit der dieser Person die Einreise in sein Hoheitsgebiet verboten wird. Unter diesen Umständen sieht der Unionsgesetzgeber in Art. 11 Abs. 4 der Richtlinie 2008/115 ein Verfahren zur vorherigen Konsultation vor, das dem in Art. 25 Abs. 1 des SDÜ vorgesehenen entspricht.

75.

In Anbetracht dieser Erwägungen bin ich der Auffassung, dass Art. 25 Abs. 1 des SDÜ dahin auszulegen ist, dass er es einem Vertragsstaat nicht verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel, den dieser vom Hoheitsgebiet dieses Staates aus beantragt, zu erteilen, obwohl dieser Drittstaatsangehörige seine Identität nicht zweifelsfrei nachweisen kann und zur Einreiseverweigerung im SIS ausgeschrieben ist, sofern diese Erteilung auf einem gewichtigen Grund beruht und ihr eine Konsultation des ausschreibenden Vertragsstaats vorausgegangen ist.

76.

Diese Schlussfolgerung muss allerdings nuanciert werden.

77.

Die in Art. 25 Abs. 1 des SDÜ genannten Voraussetzungen unterscheiden nämlich weder danach, ob der Aufenthaltstitel für humanitäre Zwecke, zur Familienzusammenführung oder aus einem anderen Grund beantragt wird, noch danach, ob der Antrag bei den Behörden eines Mitgliedstaats oder denen eines Vertragsstaats gestellt wird. Folglich umfasst dieser Artikel nicht die Voraussetzungen, die der Unionsgesetzgeber in Art 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 ausdrücklich für den Fall aufführt, dass der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels in einem Mitgliedstaat zum Zweck der Familienzusammenführung gestellt wird. Aus den bereits in meinen Vorbemerkungen dargelegten Gründen sind die betreffenden Bestimmungen folglich im Licht der zuletzt genannten Richtlinie zu untersuchen.

3. Die Anforderungen an den Nachweis der Identität im Rahmen der Richtlinie 2003/86

78.

Ich beginne meine Prüfung mit einer Analyse des Wortlauts von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86. Da sich diese Bestimmung darauf beschränkt, die Übermittlung beglaubigter Abschriften der Reisedokumente der Familienangehörigen des Zusammenführenden zu verlangen, ohne jedoch die Folgen ihres Fehlens klarzustellen, werde ich den Kontext und die Ziele der Regelung untersuchen, in die sich diese Bestimmung einfügt. Ich werde auch die engen Grenzen berücksichtigen, die die Rechtsprechung des Gerichtshofs dem Gebrauch des Ermessensspielraums der Mitgliedstaaten setzt. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht nämlich hervor, dass die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zur Umsetzung der Bestimmungen dieser Richtlinie sowohl die Ziele und die praktische Wirksamkeit dieser Richtlinie als auch die durch die Charta garantierten Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten müssen und einer Einzelfallprüfung des Antrags auf Familienzusammenführung nicht entgegenstehen dürfen ( 37 ).

a) Analyse des Wortlauts von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86

79.

Wie in der vorstehenden Nummer dieser Schlussanträge dargelegt, sieht Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 erstens vor, dass dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zur Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung beglaubigte Abschriften der Reisedokumente der Familienangehörigen des Zusammenführenden beizufügen sind ( 38 ).

80.

Die Reisedokumente, auf denen ein Visum angebracht werden kann, sollen nicht nur die Identität und die Staatsangehörigkeit des Drittstaatsangehörigen nachweisen, sondern gegebenenfalls auch bescheinigen, dass er die Grenzen des Mitgliedstaats oder die Außengrenzen des Schengen-Raums rechtmäßig überschritten hat. Es handelt sich daher nicht nur um eine reine Verwaltungsformalität, wie sie in Art. 4 Abs. 1 der Richtlinie 2004/38 vorgesehen ist. Diese Bestimmung, die die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses vorsieht, bezweckt nämlich allein, dem Betroffenen den Nachweis seiner Unionsbürgerschaft zu ermöglichen, um sein Recht auf Freizügigkeit auszuüben, und die zuständige nationale Behörde in die Lage zu versetzen, ein Recht festzustellen, das sich unmittelbar aus diesem Status ergibt.

81.

Die in Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 vorgesehene Verpflichtung, ein Reisedokument vorzulegen, verfolgt mehrere Ziele.

82.

Diese Verpflichtung ermöglicht es zunächst, die Identität und die Staatsangehörigkeit des Drittstaatsangehörigen festzustellen.

83.

Der Nachweis der Identität, auf den sich die Frage des vorlegenden Gerichts bezieht, ist nämlich notwendiger Bestandteil des Nachweises des Bestehens einer familiären Bindung, die das Recht auf Familienzusammenführung begründet. Im Urteil vom 25. Juli 2002, MRAX ( 39 ), hat der Gerichtshof nämlich entschieden, dass „der Betroffene … grundsätzlich ohne gültigen Personalausweis oder Reisepass, die es ihrem Inhaber ermöglichen sollen, Beweis für seine Identität und seine Staatsangehörigkeit zu erbringen …, seine Identität und damit seine Familienzugehörigkeit nicht ordnungsgemäß nachweisen [kann]“ ( 40 ).

84.

Die Verpflichtung zur Vorlage eines Reisedokuments ermöglicht es ferner, das rechtmäßige Überschreiten der Grenzen des Mitgliedstaats bzw. der Außengrenzen des Schengen-Raums zu belegen. Im besonderen Kontext des Schengen-Raums stellt sie ein unerlässliches Instrument zur Kontrolle der Einreisen und Migrationsströme innerhalb eines Hoheitsgebiets ohne Binnengrenzen dar, die den freien Personenverkehr gewährleisten und zugleich die Gefahren illegaler Einwanderung begrenzen muss. Diese Verpflichtung erlaubt es somit, Anträge von Drittstaatsangehörigen abzulehnen, die versuchen, vom Verfahren der Familienzusammenführung Gebrauch zu machen, um ihre Einreise in einen Mitgliedstaat und ihren Aufenthalt dort in missbräuchlicher Weise zu legalisieren.

85.

Schließlich ermöglicht es diese Verpflichtung, die Unterlagen zu untermauern, die nicht nur zum Nachweis der familiären Bindungen, sondern auch zum Nachweis der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung ausgestellt wurden. Diese Voraussetzungen sind u. a. in Art. 7 der Richtlinie 2003/86 aufgeführt. Nach dieser Bestimmung kann der betreffende Mitgliedstaat von der Person, die die Familienzusammenführung beantragt, den Nachweis verlangen, dass der Zusammenführende über eine Wohnung, eine Krankenversicherung oder auch Einkünfte für seinen Lebensunterhalt verfügt. Um diese Anforderung zu erfüllen, muss diese Person auf ihren Namen lautende Dokumente vorlegen wie z. B. einen Mietvertrag, eine Krankenversicherungsbescheinigung, einen Arbeitsvertrag oder auch Gehaltsabrechnungen sowie alle Unterlagen, die durch einen Reisepass untermauert werden können ( 41 ).

86.

Das in Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 aufgestellte Erfordernis setzt voraus, dass die Reisedokumente gültig, verlässlich und echt sind, um betrügerische oder missbräuchliche Anträge zu verhindern. Außerdem setzt dieses Erfordernis voraus, dass der Mitgliedstaat, bei dem der Antrag gestellt wird, diese Dokumente als gültig anerkennt. Die Anerkennung der Gültigkeit der Reisedokumente fällt in die alleinige Zuständigkeit der Mitgliedstaaten. Auf der Grundlage der Informationen, die im Rahmen der im Schengen-Raum eingerichteten Zusammenarbeit gesammelt werden, erstellt die Kommission eine Liste dieser von den Mitgliedstaaten und den Vertragsstaaten anerkannten Dokumente ( 42 ). Gegenwärtig geht aus dieser Liste hervor, dass Schweden in Bezug auf die von Gambia ausgestellten Reisedokumente sowohl Reisepässe (gewöhnliche Pässe, Diplomaten- und Dienstpässe) als auch Reiseausweise, die auf der Grundlage des am 28. Juli 1951 in Genf unterzeichneten Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge ( 43 ) ausgestellt wurden, als gültig anerkennt.

87.

Zweitens kann die Vorlage eines gültigen Reisedokuments meines Erachtens sowohl bei der erstmaligen Beantragung eines Aufenthaltstitels als auch bei der Beantragung seiner Verlängerung verlangt werden. Hinsichtlich des Nachweises der Identität unterscheidet der Unionsgesetzgeber nämlich nicht danach, ob der Antrag gestellt wird, während sich der Familienangehörige noch außerhalb des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats aufhält, in dem sich der Zusammenführende aufhält (in Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 1 der Richtlinie 2003/86 genannter Fall), oder ob er sich bereits in diesem Hoheitsgebiet befindet (in Art. 5 Abs. 3 Unterabs. 2 der Richtlinie 2003/86 genannter Fall). Außerdem sieht Art. 16 Abs. 4 dieser Richtlinie vor, dass die Mitgliedstaaten bei Vorliegen eines begründeten Verdachts auf Täuschung befugt sind, punktuelle Kontrollen durchzuführen, und zwar auch anlässlich eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels.

88.

Drittens weise ich darauf hin, dass der Unionsgesetzgeber keine Lockerungen oder Ausnahmen von der Regel vorsieht, wonach dem Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels beglaubigte Abschriften der Reisedokumente beizufügen sind. Er sieht auch nicht vor, welche Konsequenzen der Mitgliedstaat aus dem Fehlen dieser Unterlagen zu ziehen hat. Die Richtlinie 2003/86 stellt nicht klar, ob dieses Fehlen einen hinreichenden Grund für die Ablehnung des Antrags darstellen kann.

89.

Die Modalitäten des Nachweises der Identität unterscheiden sich deutlich von den besonderen Vorschriften über den Nachweis familiärer Bindungen. Der zuletzt genannte Nachweis ist in Art. 5 Abs. 2 Unterabs. 2 und 3 der Richtlinie 2003/86 vorgesehen. Diese Bestimmung stellt klar, dass die Mitgliedstaaten bei fehlender Übermittlung von Belegen zum Nachweis der familiären Bindungen auf ergänzende Untersuchungsmaßnahmen wie z. B. Befragungen des Zusammenführenden und seiner Familienangehörigen zurückzugreifen dürfen. Diese Möglichkeit, ergänzende Untersuchungsmaßnahmen durchzuführen, ist jedoch nur „[z]um Nachweis des Bestehens familiärer Bindungen“ vorgesehen. Vergleichbare Bestimmungen für den Fall, dass der Familienangehörige die erforderlichen Reisedokumente nicht vorlegt, sieht der Unionsgesetzgeber nicht vor.

90.

Die in Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 festgelegten Modalitäten für den Nachweis der Identität von Drittstaatsangehörigen unterscheiden sich auch von der Sonderregelung, die Art. 11 Abs. 2 dieser Richtlinie für diejenigen vorsieht, denen der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde. Die letztgenannte Bestimmung sieht nämlich unmissverständlich vor, dass „[d]ie Ablehnung eines [von einem Flüchtling gestellten] Antrags … nicht ausschließlich mit dem Fehlen von [amtlichen] Belegen [für die familiären Bindungen] begründet werden [darf]“ und dass „der Mitgliedstaat andere Nachweise für das Bestehen dieser Bindungen [prüft]“. Ich stelle jedoch fest, dass der Unionsgesetzgeber in der allgemeinen Regelung des Art. 5 Abs. 2 dieser Richtlinie keine vergleichbaren Bestimmungen vorgesehen und somit nicht klargestellt hat, ob eine ablehnende Entscheidung, die einen Drittstaatsangehörigen wie A betrifft, allein auf das Fehlen der erforderlichen Reisedokumente gestützt werden kann.

91.

Angesichts dieser wörtlichen Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 kann ein Mitgliedstaat daher meines Erachtens zum Zweck der Erteilung eines Aufenthaltstitels verlangen, dass der betreffende Familienangehörige seinem Antrag die Reisedokumente beifügt, die die Feststellung seiner Identität und seiner Staatsangehörigkeit ermöglichen und auf deren Grundlage ihm gegebenenfalls gestattet wurde, die Außengrenzen des Schengen-Raums zu überschreiten.

92.

Da Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 jedoch keinen Hinweis auf die Folgen enthält, die ein Mitgliedstaat aus dem Fehlen von Reisedokumenten ziehen kann, die die Identität und Staatsangehörigkeit des betreffenden Familienangehörigen belegen, erscheint es mir notwendig, eine systematische und teleologische Analyse der Richtlinie 2003/86 durchzuführen, um zu beurteilen, ob und inwieweit diese Frage in das Ermessen der Mitgliedstaaten fällt.

b) Systematische Analyse der Richtlinie 2003/86

93.

Falls es dem Familienangehörigen nicht gelingt, seine Identität durch die Vorlage des vom Mitgliedstaat verlangten Reisedokuments nachzuweisen, darf dieser Mitgliedstaat einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung meines Erachtens angesichts der Systematik der Richtlinie 2003/86 nicht allein aus diesem Grund ablehnen, ohne ihn zuvor einer individualisierten Prüfung unterzogen zu haben, insbesondere wenn es sich um einen Antrag auf Verlängerung handelt.

94.

Dieses Erfordernis wird in Art. 17 der Richtlinie 2003/86 aufgestellt, der die Fälle betrifft, in denen ein Mitgliedstaat beabsichtigt, einen Antrag abzulehnen, einen Aufenthaltstitel zu entziehen oder nicht zu verlängern oder die Rückführung des Zusammenführenden oder seiner Familienangehörigen anzuordnen. Nach Auffassung des Gerichtshofs stellt die Verpflichtung zur Durchführung einer individualisierten Prüfung ein Verfahrenserfordernis dar, das auch für die Beurteilung der Beweiskraft der für das Bestehen familiärer Bindungen beigebrachten Beweismittel gilt ( 44 ).

95.

Bei der Prüfung der Unterlagen, die der Antragsteller, der die Zusammenführung beantragt, zum Nachweis seiner Identität vorlegt, ist den gleichen Erwägungen zu folgen.

96.

Zunächst ist Art. 17 der Richtlinie 2003/86 nämlich allgemein formuliert, so dass er nicht die Gründe angibt, auf denen die Entscheidung über die Ablehnung eines Antrags oder den Entzug oder die Nichtverlängerung des Aufenthaltstitels beruhen kann.

97.

Sodann weise ich darauf hin, dass Art. 16 Abs. 2 Buchst. a und Abs. 4 dieser Richtlinie vorsehen, dass die Mitgliedstaaten befugt sind, einen Antrag auf Einreise und Aufenthalt zum Zweck der Familienzusammenführung abzulehnen oder den Aufenthaltstitel eines Familienangehörigen zu entziehen oder seine Verlängerung zu verweigern, wenn nach den punktuellen Kontrollen, zu denen sie bei Vorliegen eines Verdachts befugt sind, festgestellt wird, dass zum Zweck der Erlangung des Aufenthaltstitels falsche oder irreführende Angaben gemacht wurden. Dazu zählen meines Erachtens sowohl Reisedokumente als auch Dokumente, die familiäre Bindungen belegen sollen, wie etwa Heiratsurkunden oder auch Geburtsurkunden. Eine solche Feststellung durch die zuständige nationale Behörde setzt jedoch voraus, dass eine Reihe von Tatsachen und Umständen zusammentreffen, die sich z. B. aus der Veränderung des vorgelegten Dokuments, aus der Persönlichkeit oder auch aus der Vorgeschichte der Person und aus den erhaltenen Informationen ergeben, was eindeutig eine Einzelfallbeurteilung des Antrags erfordert ( 45 ).

98.

Eine solche Auslegung ergibt sich schließlich auch aus Ziff. 5.1. der Leitlinien für die Anwendung der Richtlinie 2003/86. Darin heißt es: „Wenn der Zugang zu den Reisedokumenten … besonders schwierig oder gefährlich ist und somit unter Umständen ein unverhältnismäßig hohes Risiko oder ein praktisches Hindernis für die wirksame Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung darstellt, sollten die Mitgliedstaaten den Besonderheiten des Falles und den Umständen im Herkunftsland Rechnung … tragen. In Ausnahmefällen, z. B. im Zusammenhang mit einem gescheiterten Staat oder in einem Land mit großen Risiken für die innere Sicherheit, werden die Mitgliedstaaten aufgefordert, durch das Internationale Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) ausgestellte Rückkehrausweise zu akzeptieren, nationale Laissez-passer für eine einfache Strecke (one way) auszustellen oder Familienangehörigen die Möglichkeit in Aussicht stellen, dass ihnen bei ihrer Ankunft in dem betreffenden Mitgliedstaat ein Visum erteilt wird“.

99.

All diese Bestimmungen zeigen auf, dass der betroffene Familienangehörige und die zuständige nationale Behörde bei der Prüfung eines Antrags auf Familienzusammenführung zusammenwirken müssen, insbesondere wenn der Antrag ohne die erforderlichen Dokumente gestellt wird ( 46 ).

100.

Nach ständiger Rechtsprechung erfordert eine individualisierte Prüfung, dass die zuständige nationale Behörde die Situation des betroffenen Familienmitglieds konkret prüft, alle relevanten Gesichtspunkte seines Antrags umfassend bewertet und alle auf dem Spiel stehenden Interessen in ausgewogener und angemessener Weise berücksichtigt, bevor sie über den Antrag entscheidet ( 47 ). So hat der Gerichtshof im Urteil vom 4. März 2010, Chakroun ( 48 ), entschieden, dass Art. 17 der Richtlinie 2003/86 einer nationalen Regelung entgegensteht, die ein Mindesteinkommen vorgibt, unterhalb dessen jede Familienzusammenführung abgelehnt würde, sofern der Antrag auf Familienzusammenführung unabhängig von „eine[r] konkrete[n] Prüfung der Situation des einzelnen Antragstellers“ abzulehnen wäre ( 49 ).

101.

Ich bin der Ansicht, dass der Mitgliedstaat im Fall eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels, dessen Ablehnung die Beendigung des Familienlebens zur Folge hätte, die konkreten Gründe, aus denen es dem Drittstaatsangehörigen nicht gelingt, das erforderliche Reisedokument vorzulegen, sowie die von ihm an den Tag gelegte Zusammenarbeit und Gutgläubigkeit berücksichtigen muss. Es kann nämlich z. B. nicht ausgeschlossen werden, dass dieser Drittstaatsangehörige nicht in der Lage ist, ein noch gültiges Reisedokument vorzulegen, weil es im Lauf des von der ersten Aufenthaltserlaubnis erfassten Zeitraums abgelaufen ist.

102.

Angesichts dieser Gesichtspunkte und mit Ausnahme der Fälle, in denen völlig offensichtlich ist, dass der Drittstaatsangehörige seine Mitwirkungspflicht in eklatanter Weise verletzt oder einen betrügerischen Antrag stellt, bin ich der Ansicht, dass ein Mitgliedstaat, um die Wahrung der mit der Richtlinie 2003/86 verfolgten Ziele zu gewährleisten, einen Antrag auf Familienzusammenführung nicht allein deshalb, weil der Familienangehörige das erforderliche Reisedokument nicht vorlegt, ablehnen darf, ohne zuvor eine Einzelprüfung der Situation vorgenommen zu haben.

c) Teleologische Analyse der Richtlinie 2003/86

103.

Ziel der Richtlinie 2003/86 ist es, die Familienzusammenführung zu fördern, indem sie es ermöglicht, Personen, die die Voraussetzungen für die Familienzusammenführung tatsächlich erfüllen, die sich aus dieser Richtlinie ergebende Rechtsstellung zuzuerkennen ( 50 ).

104.

Die Verpflichtung des Drittstaatsangehörigen, ein Reisedokument vorzulegen, trägt offenkundig zur Erreichung dieses Ziels bei. Ich weise darauf hin, dass diese Verpflichtung es ermöglicht, die Staatsangehörigkeit des Drittstaatsangehörigen festzustellen und die Unterlagen zu untermauern, die nicht nur zum Nachweis der familiären Bindungen, sondern auch zum Nachweis der Erfüllung der übrigen Voraussetzungen für die Ausübung des Rechts auf Familienzusammenführung ausgestellt wurden. Ich weise darauf hin, dass sie es darüber hinaus gegebenenfalls ermöglicht, das rechtmäßige Überschreiten der Außengrenzen des Schengen-Raums zu belegen.

105.

Nach ständiger Rechtsprechung stellt die Genehmigung der Familienzusammenführung jedoch die Grundregel dar ( 51 ). Um dieses Ziel zu gewährleisten und die Gefahr zu vermeiden, dass einem Familienangehörigen dieser Vorteil ungerechtfertigterweise vorenthalten wird, darf ein Mitgliedstaat einen Antrag auf Familienzusammenführung nicht allein deshalb ablehnen, weil ihm das erforderliche Reisedokument nicht beigefügt ist, ohne zuvor eine individualisierte Prüfung der Situation vorzunehmen.

106.

Diese Auslegung von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 ermöglicht es somit, zu gewährleisten, dass sowohl die durch die Charta garantierten Grundrechte als auch der von den Mitgliedstaaten zu beachtende Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden.

d) Die Wahrung der Grundrechte und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

107.

Nach ständiger Rechtsprechung sind die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der in der Richtlinie 2003/86 vorgesehenen Bestimmungen verpflichtet, von ihrem Ermessensspielraum unter Beachtung der in der Charta verankerten Grundrechte Gebrauch zu machen ( 52 ). Gemäß dem zweiten Erwägungsgrund dieser Richtlinie sind deren Bestimmungen insbesondere im Licht des Art. 7 der Charta, der das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens anerkennt, und des Art. 24 Abs. 2 und 3 der Charta auszulegen und anzuwenden, wonach dem Wohl des Kindes und dem Erfordernis Rechnung zu tragen ist, dass das Kind regelmäßig persönliche Beziehungen zu beiden Eltern unterhält ( 53 ).

108.

Darüber hinaus verlangt der Gerichtshof, dass die Mitgliedstaaten von dem Ermessensspielraum, über den sie bei der Umsetzung der Richtlinie 2003/86 verfügen, im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, einem allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts, Gebrauch machen ( 54 ). Die für die Einreichung und Prüfung von Anträgen auf Familienzusammenführung festgelegten Voraussetzungen, aber auch die von den Mitgliedstaaten ergriffenen Kontrollmaßnahmen müssen verhältnismäßig sein. Auch wenn die Betrugsbekämpfung ein legitimes Ziel ist, das Kontrollmaßnahmen rechtfertigt, müssen diese nämlich geeignet sein, dieses Ziel zu erreichen, dürfen nicht über das hinausgehen, was zur seiner Erreichung erforderlich ist, und dürfen nicht dazu führen, dass das Recht auf Familienzusammenführung ausgehöhlt wird.

109.

Die Beachtung sowohl dieser Grundsätze als auch der in Art. 17 der Richtlinie 2003/86 genannten Pflichten gebietet es meines Erachtens, zwischen den folgenden Fallgestaltungen zu unterscheiden.

110.

Bei der ersten Fallgestaltung verletzt der Drittstaatsangehörige in eklatanter Weise seine Pflicht zur Zusammenarbeit, indem er weder eines der erforderlichen Reisedokumente noch irgendein anderes Dokument übermittelt, das seine Identität und Staatsangehörigkeit belegen könnte. Die Beweislast obliegt dem Zusammenführenden oder dem betroffenen Familienangehörigen. Allein er leitet das Verfahren ein, um in den Genuss eines Rechts zu gelangen, und allein er verfügt über die Dokumente, die geeignet sind, seine Identität nachzuweisen. In einem Fall, in dem der Drittstaatsangehörige keinerlei Anstrengungen unternimmt, seinen Antrag formgerecht einzureichen, und dieser offensichtlich unvollständig ist, spricht meines Erachtens nichts dagegen, dass die zuständige nationale Behörde ihn auf der Grundlage von Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 von vornherein ablehnen kann.

111.

Bei der zweiten Fallgestaltung geht aus den objektiven Erkenntnissen, die der zuständigen nationalen Behörde vorliegen, klar hervor, dass der Antrag betrügerisch oder missbräuchlich ist. In diesem Fall ist diese Behörde berechtigt, den Antrag im Anschluss an seine nach Art. 17 der Richtlinie 2003/86 erforderliche individualisierte Prüfung gemäß Art. 16 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie abzulehnen.

112.

Bei der dritten Fallgestaltung schließlich legt der Drittstaatsangehörige zwar nicht das vom Mitgliedstaat für die Feststellung seiner Identität erforderliche Reisedokument vor, z. B. einen gültigen Reisepass, genügt aber der ihm obliegenden Mitwirkungspflicht, indem er seine Identität und Staatsangehörigkeit auf andere geeignete Weise eindeutig nachweist.

113.

Zwar stellt die Vorlage der Reisedokumente in diesem Fall keine bloße Verwaltungsformalität dar. Ich weise darauf hin, dass die Tragweite dieser Verpflichtung nicht mit derjenigen vergleichbar ist, die im Rahmen der Richtlinie 2004/38 der Verpflichtung eines Unionsbürgers zukommt, im Besitz eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu sein, wenn er sich in einem anderen Mitgliedstaat als dem aufhalten möchte, dessen Staatsangehörigkeit er besitzt. Während die erste Verpflichtung die Erteilung eines Aufenthaltstitels an einen Drittstaatsangehörigen betrifft, der mittelbar in den Genuss der Bestimmungen des Unionsrechts zu kommen beantragt, geht es bei der zweiten um die Gewährung eines Aufenthaltsrechts in einem Mitgliedstaat, das sich unmittelbar aus der Unionsbürgerschaft ergibt. Deshalb sind die Grundsätze, die der Gerichtshof im Urteil vom 17. Februar 2005, Oulane ( 55 ), auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs zum Aufenthaltsrecht der Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten innerhalb der Union entwickelt hat, nach meiner Auffassung auf einen Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen nicht anwendbar. Ich weise darauf hin, dass der Gerichtshof in diesem Urteil, das zur Auslegung der durch die Richtlinie 2004/38 aufgehobenen und ersetzten Richtlinie 73/148/EWG ( 56 ) ergangen ist, entschieden hat, dass der Aufnahmemitgliedstaat das Aufenthaltsrecht eines Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats nicht ohne Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit allein deshalb in Frage stellen kann, weil der Betroffene keinen gültigen Personalausweis oder Reisepass vorlegt, wenn dieser gleichwohl in der Lage ist, seine Staatsangehörigkeit mit anderen Mitteln zweifelsfrei nachzuweisen ( 57 ).

114.

Die Sachverhalte, die unter die Richtlinie 2004/38 fallen, und diejenigen, die unter die Richtlinie 2003/86 fallen, sind nicht vergleichbar. Allerdings könnten bestimmte Sachverhalte, an denen Drittstaatsangehörige beteiligt sind, ebenfalls eine Erleichterung der Beweislast erfordern. Dann wäre es Sache der zuständigen nationalen Behörde, diesen Sachverhalt anhand einer individualisierten Prüfung festzustellen.

115.

Im Gegensatz zu den ersten beiden Fallgestaltungen (eklatanter Verstoß gegen die Pflicht zur Zusammenarbeit und betrügerischer oder missbräuchlicher Antrag) würde eine ablehnende Entscheidung der zuständigen nationalen Behörde, die weder die Gründe für das Fehlen der erforderlichen Reisedokumente noch die Mitwirkung berücksichtigt, die die betroffene Person zum Zweck der Feststellung ihrer Identität an den Tag legt, Gefahr laufen, sowohl die in Nr. 107 der vorliegenden Schlussanträge genannten Grundrechte als auch den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verletzen. Im Fall eines Antrags auf Verlängerung eines Aufenthaltstitels, bei dem der Drittstaatsangehörige seine Reisedokumente nicht vorlegen kann, hätte eine solche Ablehnung darüber hinaus zur Folge, die Fortsetzung des Familienlebens dieses Drittstaatsangehörigen zu beenden, und könnte somit einen unverhältnismäßigen Eingriff in das in Art. 7 der Charta verankerte Recht darstellen.

116.

Ich stelle fest, dass der Gerichtshof diesem Ansatz im Urteil vom 25. Juli 2002, MRAX ( 58 ), im Hinblick auf das Aufenthaltsrecht eines Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist, gefolgt ist. Er hat anerkannt, dass ein Mitgliedstaat angesichts der Bedeutung, die der Unionsgesetzgeber dem Schutz des Familienlebens beimisst ( 59 ), einen Drittstaatsangehörigen, der mit einem Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats verheiratet ist und der versucht, in sein Hoheitsgebiet einzureisen, ohne über einen gültigen Personalausweis oder Reisepass oder gegebenenfalls ein Visum zu verfügen, nicht an der Grenze zurückweisen darf, ohne gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu verstoßen, wenn dieser Drittstaatsangehörige seine Identität und die Ehe nachweisen kann und wenn es keinen Beweis dafür gibt, dass er eine Gefahr für die öffentliche Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit im Sinne von Art. 10 der Richtlinie 68/360/EWG ( 60 ) und Art. 8 der Richtlinie 73/148 darstellt ( 61 ).

117.

Abschließend weise ich darauf hin, dass der Gerichtshof im Urteil vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. ( 62 ), entschieden hat, dass der Umstand, dass sich ein Mitgliedstaat mit einer hohen Zahl von Rechtsmissbrauchs- oder Betrugsfällen konfrontiert sieht, die von Drittstaatsangehörigen begangen werden, nicht den Erlass von Maßnahmen rechtfertigt, die unter Ausschluss jeder spezifischen Beurteilung des eigenen Verhaltens der Betroffenen auf generalpräventiven Erwägungen beruhen ( 63 ).

118.

Aufgrund all dieser Erwägungen bin ich daher der Auffassung, dass Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 dahin auszulegen ist, dass er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die für die Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zum Zweck der Familienzusammenführung verlangen, dass der betroffene Familienangehörige seine Identität zweifelsfrei nachweist, indem er die beglaubigte Kopie eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses beifügt.

119.

Sollte es dem betroffenen Familienangehörigen jedoch nicht gelingen, dieses Dokument beizubringen, darf die zuständige nationale Behörde den Antrag nicht allein aus diesem Grund ablehnen, ohne zuvor eine individualisierte Prüfung vorgenommen zu haben, bei der insbesondere die Gründe, aus denen der Familienangehörige diese Dokumente nicht vorlegen kann, sowie die Zusammenarbeit, die er an den Tag legt, um seine Identität auf andere geeignete Weise eindeutig nachzuweisen, zu berücksichtigen sind.

120.

Damit sind die zweite und die dritte Frage des vorlegenden Gerichts beantwortet.

V. Ergebnis

121.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Förvaltningsrätt i Malmö, migrationsdomstolen (Verwaltungsgericht Malmö als Gericht für Ausländer‑, Migrations- und Flüchtlingsfragen, Schweden) wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 25 Abs. 1 des am 19. Juni 1990 in Schengen unterzeichneten Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen in der durch die Verordnung (EU) Nr. 265/2010 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2010 geänderten Fassung ist dahin auszulegen, dass er es einem Vertragsstaat nicht verwehrt, einem Drittstaatsangehörigen einen Aufenthaltstitel, den dieser vom Hoheitsgebiet dieses Staates aus beantragt, zu erteilen, obwohl dieser Drittstaatsangehörige seine Identität nicht zweifelsfrei nachweisen kann und zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem ausgeschrieben ist, sofern diese Erteilung auf einem gewichtigen Grund beruht und ihr eine Konsultation des ausschreibenden Vertragsstaats vorausgegangen ist.

2.

Art. 5 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86/EG des Rates vom 22. September 2003 betreffend das Recht auf Familienzusammenführung ist dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften nicht entgegensteht, die für die Prüfung eines Antrags auf Erteilung eines Aufenthaltstitels verlangen, dass der betroffene Familienangehörige seine Identität zweifelsfrei nachweist, indem er die beglaubigte Kopie eines für die Dauer der Aufenthaltserlaubnis gültigen Reisepasses beifügt.

Sollte es dem betroffenen Familienangehörigen jedoch nicht gelingen, seinem Antrag das erforderliche Reisedokument beizufügen, darf die zuständige nationale Behörde den Antrag nicht allein aus diesem Grund ablehnen, ohne zuvor eine individualisierte Prüfung vorgenommen zu haben, bei der insbesondere die Gründe, aus denen der Familienangehörige dieses Dokument nicht vorlegen kann, sowie die Zusammenarbeit, die er an den Tag legt, um seine Identität auf andere geeignete Weise eindeutig nachzuweisen, zu berücksichtigen sind.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) Übereinkommen zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen vom 14. Juni 1985 zwischen den Regierungen der Staaten der Benelux-Wirtschaftsunion, der Bundesrepublik Deutschland und der Französischen Republik betreffend den schrittweisen Abbau der Kontrollen an den gemeinsamen Grenzen, unterzeichnet am 19. Juni 1990 in Schengen und in Kraft getreten am 26. März 1995 (ABl. 2000, L 239, S. 19, im Folgenden: SDÜ).

( 3 ) Ich verwende hier den Ausdruck, den der Gerichtshof in seinem Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8) verwendet hat.

( 4 ) ABl. 2003, L 251, S. 12.

( 5 ) Nach Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck „Zusammenführender“ den sich rechtmäßig in einem Mitgliedstaat aufhaltenden Drittstaatsangehörigen, der oder dessen Familienangehörige einen Antrag auf Familienzusammenführung mit ihm stellt bzw. stellen.

( 6 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. März 2010 zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 in Bezug auf den Verkehr von Personen mit einem Visum für den längerfristigen Aufenthalt (ABl. 2010, L 85, S. 1). Später wurde Art. 25 des SDÜ durch die Art. 27 bis 30 der Verordnung (EU) Nr. 2018/1861 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. November über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems (SIS) im Bereich der Grenzkontrollen, zur Änderung des Übereinkommens zur Durchführung des Übereinkommens von Schengen und zur Änderung und Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 (ABl. 2018, L 312, S. 14) aufgehoben und ersetzt.

( 7 ) ABl. 2006, L 105, S. 1.

( 8 ) ABl. 2013, L 182, S. 1 (im Folgenden: SGK). Diese Verordnung wurde zum 12. April 2016 durch die Verordnung (EU) 2016/399 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. März 2016 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) (ABl. 2016, L 77, S. 1) aufgehoben. Die Vorlageentscheidung gibt den Zeitpunkt, zu dem der Betroffene seinen Antrag auf Verlängerung seines Aufenthaltstitels gestellt hat, nicht an, so dass Zweifel bestehen, welche Verordnung in zeitlicher Hinsicht anwendbar ist. In den vorliegenden Schlussanträgen werde ich die Bestimmungen des SGK in der ihrerseits geänderten Fassung der Verordnung Nr. 562/2006 prüfen, weil das vorlegende Gericht in seiner Vorlageentscheidung ausdrücklich auf diese Verordnung Bezug nimmt. Ich möchte jedoch klarstellen, dass Art. 5 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung, um dessen Auslegung hier ersucht wird, wortgleich in Art. 6 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung 2016/399 enthalten ist.

( 9 ) SFS 2005, Nr. 716.

( 10 ) Gambische Staatsangehörige müssen nach Art. 1 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (ABl. 2001, L 81, S. 1) beim Überschreiten der Außengrenzen der Mitgliedstaaten im Besitz eines Visums sein.

( 11 ) In der Vorlageentscheidung ist das Datum des Erlasses der streitigen Entscheidung nicht angegeben.

( 12 ) SFS 2016, Nr. 752 (im Folgenden: Gesetz über die vorübergehende Beschränkung).

( 13 ) Streichungsbeschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 23. Oktober 2018, AA (C‑526/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:894).

( 14 ) Die Vorlagefragen lauteten: „1. Stehen die Bestimmungen des [SDÜ] oder des [SGK] nationalen Bestimmungen wie denen in § 16 f des [Gesetzes über die vorübergehende Beschränkung] entgegen, wonach einem Drittstaatsangehörigen, der sich in einem Mitgliedstaat aufhält, ein Aufenthaltstitel zum Zweck des Besuchs einer Sekundarschule selbst dann erteilt werden darf, wenn seine Identität nicht geklärt ist oder er die von ihm angegebene Identität nicht glaubhaft machen kann? 2. Sollte davon auszugehen sein, dass der Schengen-Besitzstand in einem solchen Fall eine den Nachweis oder die Glaubhaftmachung der Identität betreffende Anforderung enthält, können die Bestimmungen der Richtlinie [2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (ABl. 2008, L 348, S. 98)] oder andere unionsrechtliche Vorschriften dahin ausgelegt werden, dass sie eine Ausnahme von dieser Identitätsanforderung zulassen?“

( 15 ) Urteil vom 10. Dezember 2018, Wightman u. a. (C‑621/18, EU:C:2018:999, Rn. 28 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Die dem Gerichtshof vorgelegte Frage betrifft nicht die Ausweisung des Betroffenen aus dem schwedischen Hoheitsgebiet. In Ermangelung einer tatsächlichen familiären Bindung und im Fall eines Betrugs wären nämlich die Bestimmungen der Richtlinie 2008/115 anzuwenden, weil es sich dann im Sinne von Art. 3 Abs. 2 dieser Richtlinie um einen „illegalen Aufenthalt“ des Betroffenen auf dem Gebiet der Union gehandelt hätte. Nach dieser Bestimmung hält sich ein Drittstaatsangehöriger, der die Einreisevoraussetzungen nach Art. 5 des SGK oder andere Voraussetzungen für die Einreise in einen Mitgliedstaat oder den dortigen Aufenthalt nicht oder nicht mehr erfüllt, „illegal“ im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats auf.

( 17 ) Zur Veranschaulichung vgl. Urteile vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien (C‑503/03, EU:C:2006:74), und vom 12. Dezember 2019, E.P. (Gefahr für die öffentliche Ordnung) (C‑380/18, EU:C:2019:1071). Dieses Zusammenspiel wird auch durch Durchführungsbestimmungen wie die Erklärung des vom SDÜ eingesetzten Exekutivausschusses vom 18. April 1996 zur Bestimmung des Begriffs „Drittausländer“ (ABl. 2000, L 239, S. 458) oder den Durchführungsbeschluss 2011/406/EU der Kommission vom 1. Juli 2011 zur Änderung des SIRENE‑Handbuchs (ABl. 2011, L 186, S. 1) veranschaulicht (Abschnitt 4.7 der Anlage).

( 18 ) ABl. 1997, C 340, S. 93.

( 19 ) Dieses Protokoll lehnt sich hier an den Wortlaut von Art. 134 des SDÜ an.

( 20 ) Vgl. Beschluss vom 8. April 2020, Kommission/Polen (C‑791/19 R, EU:C:2020:277, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77).

( 22 ) Urteil vom 13. März 2019, E. (C‑635/17, EU:C:2019:192, Rn. 35 und 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 23 ) Vgl. entsprechend zu Art. 1 der Verordnung 2016/399 Urteil vom 5. Februar 2020, J. u. a. (Anmustern von Seeleuten im Hafen von Rotterdam) (C‑341/18, EU:C:2020:76, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 24 ) Vgl. Urteil vom 22. Oktober 2009, Zurita García und Choque Cabrera (C‑261/08 und C‑348/08, EU:C:2009:648, Rn. 45).

( 25 ) Vgl. Urteil vom 27. Juni 2006, Parlament/Rat (C‑540/03, EU:C:2006:429, Rn. 53).

( 26 ) Dagegen betrifft Art. 25 Abs. 2 des SDÜ den Fall, in dem ein Vertragsstaat beabsichtigt, den Aufenthaltstitel einzuziehen. Für eine Auslegung dieser Bestimmung vgl. Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8).

( 27 ) Hervorhebung nur hier.

( 28 ) Die Voraussetzungen für Ausschreibungen von Drittstaatsangehörigen zur Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung sind in den Art. 20 bis 30 der Verordnung (EG) Nr. 1987/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über die Einrichtung, den Betrieb und die Nutzung des Schengener Informationssystems der zweiten Generation (SIS II) (ABl. 2006, L 381, S. 4) festgelegt.

( 29 ) Nach Art. 5 Abs. 1 des SDÜ kann einem Drittausländer „[f]ür einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten … die Einreise in das Hoheitsgebiet der Vertragsparteien gestattet werden, wenn er die nachstehenden Voraussetzungen erfüllt: … d) Er darf nicht zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein“, und nach Art. 15 des SDÜ dürfen Sichtvermerke für einen kurzfristigen Aufenthalt „nur einem Drittausländer erteilt werden, der die in Art. 5 Abs. 1 Buchst. … d … aufgeführten Einreisevoraussetzungen erfüllt“. Vgl. auch Art. 6 Abs. 1 Buchst. d und Art. 14 Abs. 1 der Verordnung 2016/399.

( 30 ) Im Urteil vom 31. Januar 2006, Kommission/Spanien (C‑503/03, EU:C:2006:74), hat der Gerichtshof festgestellt, dass dem Schengen-Besitzstand der Grundsatz der Zusammenarbeit zwischen den Vertragsstaaten zugrunde liegt und dass dieser für das Funktionieren eines integrierten Verwaltungssystems, das als Folge des freien Übertritts der Grenzen innerhalb des Schengen-Raums ein hohes einheitliches Kontroll- und Überwachungsniveau an den Außengrenzen gewährleisten soll, unerlässlich ist (Rn. 37).

( 31 ) Vgl. hierzu Art. 93 und 96 des SDÜ.

( 32 ) In Art. 27 der Verordnung 2018/1861, der – wie in Fn. 6 der vorliegenden Schlussanträge angegeben – den Art. 25 Abs. 1 des SDÜ ersetzt hat, ist diese Voraussetzung nicht mehr enthalten.

( 33 ) Wie die Kommissionen in ihren Antworten auf die schriftlichen Fragen zutreffend festgestellt hat, unterscheidet sich die schwedische Fassung von Art. 25 Abs. 1 des SDÜ insofern, als sie den Ausdruck „i särskilda fall“ verwendet, was im Deutschen mit „in besonderen Fällen“ oder „in begründeten Fällen“ wiedergegeben werden kann. Ich stelle jedoch fest, dass die meisten Sprachfassungen dieser Bestimmung denselben Ausdruck wie in der französischen Sprachfassung dieser Bestimmung verwenden. Es handelt sich u. a. um die spanische („motivos serios“), die deutsche („gewichtiger Gründe“), die englische („substantive reasons“), die italienische („motivi seri“), die niederländische („ernstige redenen“) oder auch die finnische („painavista syistä“) Fassung.

( 34 ) Empfehlung der Kommission über einen gemeinsamen „Leitfaden für Grenzschutzbeamte (Schengen-Handbuch)“, der von den zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten bei der Durchführung von Grenzkontrollen bei Personen heranzuziehen ist (K[2006] 5186 endg.)

( 35 ) Vgl. Ziff. 6.2 und 7.5 dieser Empfehlung.

( 36 ) Urteil vom 16. Januar 2018, E (C‑240/17, EU:C:2018:8, Rn. 41).

( 37 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 12. Dezember 2019, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Familienzusammenführung – Schwester des Flüchtlings) (C‑519/18, EU:C:2019:1070, Rn. 62 bis 67), dessen Begründung dieses Prüfungsschema klar erkennen lässt.

( 38 ) Die Verpflichtung zur Vorlage eines Reisedokuments ist auch ein Erfordernis nach Art. 5 Abs. 1 Buchst. a und b des SDÜ, der die Personenkontrollen an den Außengrenzen betrifft, in Verbindung mit Art. 5 Abs. 1 des SGK – für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten – und Art. 12 der Verordnung (EG) Nr. 810/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über einen Visakodex der Gemeinschaft (Visakodex) (ABl. 2009, L 243, S. 1).

( 39 ) C‑459/99, EU:C:2002:461.

( 40 ) Rn. 58 dieses Urteils und die dort angeführte Rechtsprechung.

( 41 ) Vgl. hierzu Ziff. 4.2 bis 4.4 der Mitteilung der Kommission an das Europäische Parlament und den Rat – Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2003/86/EG des Rates betreffend das Recht auf Familienzusammenführung, COM(2014) 210 final (im Folgenden: Leitlinien zur Anwendung der Richtlinie 2003/86).

( 42 ) Vgl. „Teil I: Von Drittländern und Gebietseinheiten ausgestellte Reisedokumente“, am 30. April 2020 erstellte Liste, abrufbar im Internet unter https://www.consilium.europa.eu/prado/de/prado-recognised-documents.html. Diese Zusammenarbeit beruht auf dem Beschluss Nr. 1105/2011/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2011 über die Liste der visierfähigen Reisedokumente, die den Inhaber zum Überschreiten der Außengrenzen berechtigen, und über die Schaffung eines Verfahrens zur Aufstellung dieser Liste (ABl. 2011, L 287, S. 9). Vgl. auch Beschluss des Exekutivausschusses vom 16. Dezember 1998 zur Schaffung eines Handbuchs visierfähiger Dokumente (SCH/Com‑ex [98] 56) (ABl. 2000, L 239, S. 207).

( 43 ) United Nations Treaty Series, Bd. 189, S. 150, Nr. 2545 (1954).

( 44 ) Urteil vom 13. März 2019, E. (C‑635/17, EU:C:2019:192, Rn. 63). Vgl. auch Ziff. 3.2 der Leitlinien für die Anwendung der Richtlinie 2003/86.

( 45 ) Vgl. entsprechend Urteil vom 18. Dezember 2014, McCarthy u. a. (C‑202/13, EU:C:2014:2450), zur Auslegung von Art. 35 der Richtlinie 2004/38, dem zufolge die Mitgliedstaaten jedes durch diese Richtlinie verliehene Recht im Fall von Rechtsmissbrauch oder Betrug verweigern, aufheben oder widerrufen können. In Rn. 52 dieses Urteils hat der Gerichtshof entschieden, dass die auf dieser Grundlage erlassenen Maßnahmen „auf eine individuelle Prüfung des Einzelfalls gestützt werden müssen“.

( 46 ) In ihren Antworten auf die Fragen des Gerichtshofs hat die schwedische Regierung darauf hingewiesen, dass die zuständige nationale Behörde nach § 23 Abs. 1 und 3 des Förvaltningslag (Verwaltungsgesetz) vom 28. September 2017 (SFS 2017, Nr. 900) zu einer sorgfältigen Prüfung verpflichtet ist, indem sie dem Antragsteller Gelegenheit gibt, seinen Antrag zu erläutern und zu ergänzen, so dass sie eine in materieller Hinsicht gerechte Entscheidung auf der Grundlage aller relevanten Gesichtspunkte treffen kann.

( 47 ) Vgl. dazu Urteil vom 13. März 2019, E. (C‑635/17, EU:C:2019:192, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch Ziff. 6.1.2 und 7.4 der Leitlinien für die Anwendung der Richtlinie 2003/86.

( 48 ) C‑578/08, EU:C:2010:117.

( 49 ) Rn. 48 dieses Urteils. Vgl. im selben Sinne Ziff. 6.1 der Leitlinien für die Anwendung der Richtlinie 2003/86, in denen die Kommission darauf hinweist, dass kein Faktor für sich allein genommen automatisch zu einer Entscheidung führen kann.

( 50 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Familienzusammenführung – Schwester des Flüchtlings) (C‑519/18, EU:C:2019:1070, Rn. 42 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 51 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 6. Dezember 2012, O. u. a. (C‑356/11 und C‑357/11, EU:C:2012:776, Rn. 74 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 52 ) Ich weise darauf hin, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 51 der Charta verpflichtet sind, die in der Charta verankerten Rechte und Grundsätze zu beachten, wenn sie das Recht der Union durchführen, was auch die Maßnahmen einschließt, die sie im Rahmen des ihnen bei der Umsetzung einer Richtlinie eingeräumten Ermessensspielraums erlassen. Vgl. zum Ermessensspielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung von Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2003/86 verfügen, Urteil vom 12. Dezember 2019, Bevándorlási és Menekültügyi Hivatal (Familienzusammenführung – Schwester des Flüchtlings) (C‑519/18, EU:C:2019:1070, Rn. 64 und 65 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 53 ) Vgl. dazu Urteil vom 13. März 2019, E. (C‑635/17, EU:C:2019:192, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 54 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2019, E.P. (Gefahr für die öffentliche Ordnung), (C‑380/18, EU:C:2019:1071, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 55 ) C‑215/03, EU:C:2005:95. Vgl. auch Urteil vom 9. Januar 2007, Jia (C‑1/05, EU:C:2007:1, Rn. 41 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 56 ) Richtlinie des Rates vom 21. Mai 1973 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten innerhalb der Gemeinschaft auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs (ABl. 1973, L 172, S. 14).

( 57 ) Im Urteil vom 17. Februar 2005, Oulane (C‑215/03, EU:C:2005:95), hat der Gerichtshof das Erfordernis, dass ein solcher Nachweis in allen Fällen durch Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zu erbringen ist, als im Hinblick auf die mit dieser Richtlinie verfolgten Ziele unverhältnismäßig erachtet. Der Gerichtshof hat nämlich festgestellt, dass die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses zum Nachweis der Unionsbürgerschaft eine Verwaltungsformalität darstellt, die nur der Feststellung eines aus der Eigenschaft des Betroffenen unmittelbar fließenden Rechts durch die nationalen Behörden dient (Rn. 24). Er ist jedoch der Auffassung, dass der Nachweis der Identität und der Staatsangehörigkeit mit anderen Mitteln geführt werden kann und dass aus dem Fehlen näherer Angaben zur Art des Nachweises zu schließen ist, dass dieser Nachweis mit jedem geeigneten Mittel geführt werden kann (Rn. 53).

( 58 ) C‑459/99, EU:C:2002:461.

( 59 ) Rn. 53 dieses Urteils.

( 60 ) Richtlinie des Rates vom 15. Oktober 1968 zur Aufhebung der Reise- und Aufenthaltsbeschränkungen für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen innerhalb der Gemeinschaft (ABl. 1968, L 257, S. 13).

( 61 ) Rn. 62 dieses Urteils.

( 62 ) C‑202/13, EU:C:2014:2450.

( 63 ) Rn. 55 dieses Urteils, in dem es um die Auslegung von Art. 35 der Richtlinie 2004/38 geht, die den Rechtsmissbrauch betrifft.