Rechtssache T‑646/18
Laurence Bonnafous
gegen
Europäische Kommission
Urteil des Gerichts (Erste Kammer) vom 26. März 2020
„Zugang zu Dokumenten – Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 – Bericht über die Prüfung des Personalwesens der EACEA – Verweigerung des Zugangs – Ausnahmeregelung zum Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten“
Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Begründungspflicht – Umfang
(Art. 296 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. c; Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4)
(Rn. 22-25, 31, 35)
Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Verpflichtung des Organs zu einer konkreten und individuellen Prüfung der Dokumente – Umfang – Ausschluss der Verpflichtung – Voraussetzungen
(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2)
(Rn. 60, 61, 82, 83)
Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 966/2012 – Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten – Anwendung auf Feststellungen und Berichte des Internen Prüfers – Allgemeine Vermutung, dass die Ausnahme vom Zugangsrecht für die zu einer internen Prüfung gehörenden Dokumente gilt – Zulässigkeit – Grenzen
(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich)
(Rn. 68-77)
Organe der Europäischen Union – Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten – Verordnung Nr. 1049/2001 – Ausnahmen vom Recht auf Zugang zu Dokumenten – Überwiegendes öffentliches Interesse an der Verbreitung von Dokumenten – Verpflichtung des Organs, die widerstreitenden Interessen gegeneinander abzuwägen – Subjektives Interesse des Betroffenen an seiner Verteidigung – Ausschluss
(Verordnung Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates, Art. 4 Abs. 2 und 3)
(Rn. 89)
Zusammenfassung
Mit dem Urteil Bonnafous/Kommission (T‑646/18) vom 26. März 2020 hat das Gericht die Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Europäischen Kommission vom 9. Oktober 2018 ( 1 ) abgewiesen, mit dem der Klägerin gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 ( 2 ) der Zugang zum Abschließenden Prüfbericht des Internen Auditdiensts der Kommission betreffend die Verwaltung des Personalwesens der Exekutivagentur „Bildung, Audiovisuelles und Kultur“ (EACEA) vom 21. Januar 2018 verweigert worden war. Dieses Urteil hat dem Gericht Gelegenheit gegeben, bestimmte Aspekte der Ausnahmeregelung gemäß Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 ( 3 ) in Bezug auf den Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten zu klären.
Am 30. Juli 2018 sandte die Klägerin, Frau Laurence Bonnafous, eine ehemalige Vertragsbedienstete der EACEA, eine E‑Mail an den Internen Auditdienst der Kommission, um gemäß der Verordnung Nr. 1049/2001 Zugang zum angeforderten Abschließenden Prüfbericht zu beantragen. Am 9. Oktober 2018 erließ die Kommission den angefochtenen Beschluss, mit dem sie den Zweitantrag der Klägerin auf Zugang zu dem Dokument ablehnte. Sie vertrat im Wesentlichen die Auffassung, dass zum einen die Ausnahmeregelung gemäß Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, ausgelegt im Licht der Haushaltsordnung ( 4 ), der vorzeitigen Verbreitung eines Prüfberichts entgegenstehe, durch die der reibungslose Verlauf und die Unabhängigkeit der in Rede stehenden Prüfung gefährdet werden könne, indem sie die Umsetzung der in ihm enthaltenen Empfehlungen durch die EACEA behindern würde, und dass zum anderen kein überwiegendes öffentliches Interesse, das die Nichtanwendung dieser Ausnahmeregelung rechtfertigen könne, bestehe.
Mit ihrer Klage auf Nichtigerklärung dieses Beschlusses der Kommission wendet sich die Klägerin insbesondere gegen die Anwendung der Ausnahmeregelung gemäß Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001, ausgelegt im Licht der Haushaltsordnung, auf das angeforderte Dokument. Sie begründet dies damit, dass die Prüfung, in deren Rahmen das genannte Dokument erstellt worden sei, abgeschlossen gewesen sei, als sie ihren Antrag auf Zugang zu dem Dokument gestellt habe. Die Klägerin ist der Auffassung, es widerspreche dem Zweck der Verordnung Nr. 1049/2001 sowie dem Grundsatz der Transparenz ( 5 ), die Umsetzung der in einem Abschlussbericht enthaltenen Empfehlungen abzuwarten, bevor die damit zusammenhängenden Dokumente verbreitet werden könnten, ohne eine Beeinträchtigung des mit der Prüfung verfolgten Zwecks fürchten zu müssen.
Das Gericht hat das diesbezügliche Vorbringen der Klägerin zurückgewiesen. Es hat zunächst klargestellt, dass nach Art. 99 Abs. 6 der Haushaltsordnung „[d]ie Berichte und Feststellungen des Internen Prüfers … erst dann der Öffentlichkeit zugänglich gemacht [werden], wenn der Interne Prüfer die zu ihrer Umsetzung getroffenen Maßnahmen validiert hat“. Sodann hat es festgestellt, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 und die Haushaltsordnung unterschiedliche Ziele haben. Die Verordnung Nr. 1049/2001 soll die Ausübung des Rechts auf Zugang zu Dokumenten so weit wie möglich erleichtern und eine gute Verwaltungspraxis fördern. Die Haushaltsordnung dagegen soll die Haushaltsregeln für den Gesamthaushaltsplan der Union festlegen. Ferner weist das Gericht darauf hin, dass die Verordnung Nr. 1049/2001 und die Haushaltsordnung keine Vorschrift enthalten, mit der ausdrücklich der Vorrang der einen vor der anderen normiert wird. Nach ständiger Rechtsprechung kann aber grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, dass die in Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1049/2001 vorgesehenen Ausnahmen im Licht bestimmter spezifischer Regelungen des Unionsrechts ausgelegt werden. Daher ist in einem solchen Fall eine Anwendung beider Verordnungen sicherzustellen, die mit der Anwendung der jeweils anderen vereinbar ist und somit eine kohärente Anwendung ermöglicht.
Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass es Zweck des Art. 99 Abs. 6 der Haushaltsordnung ist, den Zugang zu den Berichten und Feststellungen des Internen Prüfers einzuschränken, indem die genannten Dokumente bis zur Validierung der Umsetzungsmaßnahmen durch den Internen Prüfer vor der Verbreitung in der Öffentlichkeit geschützt werden. Wollte man daher auf der Grundlage der Verordnung Nr. 1049/2001 einen allgemeinen Zugang zu den Berichten des Internen Prüfers gestatten, dessen Umsetzungsmaßnahmen von ihm noch nicht validiert wurden, könnte dies das Gleichgewicht gefährden, das der Unionsgesetzgeber in der Haushaltsordnung zwischen dem möglichst umfassenden Recht der Öffentlichkeit auf Zugang zu den Dokumenten der Organe und der Möglichkeit des Internen Prüfers, seine Prüfungen erfolgreich durchzuführen, sicherstellen wollte.
Dem Gericht zufolge ist bei der Auslegung der Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 demnach von einer allgemeinen Vermutung auszugehen, dass die Verbreitung der Feststellungen und Berichte des Internen Prüfers, die vor der Validierung der in ihnen enthaltenen Umsetzungsmaßnahmen durch den Prüfer erfolgt, den Zweck seiner Prüfungen gefährden kann, wobei diese vermutete Gefährdung nicht ausschließt, dass die Beteiligten insbesondere den Nachweis führen können, dass ein bestimmtes Dokument, dessen Verbreitung beantragt wird, von dieser Vermutung nicht erfasst wird.
Das Gericht hat jedenfalls klargestellt, dass der Umstand, dass die zu einer internen Prüfung gehörenden Dokumente von der Ausnahmeregelung nach Art. 4 Abs. 2 dritter Gedankenstrich der Verordnung Nr. 1049/2001 insoweit erfasst werden, als die Umsetzungsmaßnahmen der betreffenden Prüfung vom Internen Prüfer nicht validiert wurden, nur zu einer Beschränkung des Grundrechts der Öffentlichkeit auf Zugang zu Dokumenten führt, die in zweifacher Hinsicht Beschränkungen unterliegt. Zum einen nämlich betrifft diese Auslegung, was die Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten angeht, nur die besondere Kategorie der vom Internen Prüfer ausgeführten Audittätigkeiten. Zum anderen ist sie zeitlich beschränkt, da sie den Unionsorganen die Verweigerung des Zugangs zu Berichten und Feststellungen bezüglich dieser internen Prüfungen nur erlaubt, bis der Interne Prüfer die zu deren Umsetzung getroffenen Maßnahmen validiert.
( 1 ) Beschluss C(2018) 6753 final der Kommission vom 9. Oktober 2018 (Beschluss der Kommission zur Billigung der Antwort auf den Zweitantrag auf Zugang zu Dokumenten (GESTDEM 2018/4141).
( 2 ) Verordnung (EG) Nr. 1049/2001 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 30. Mai 2001 über den Zugang der Öffentlichkeit zu Dokumenten des Europäischen Parlaments, des Rates und der Kommission (ABl. 2001, L 145, S. 43).
( 3 ) Gemäß dieser Bestimmung verweigern die Organe den Zugang zu einem Dokument, durch dessen Verbreitung der Schutz des Zwecks von Inspektions‑, Untersuchungs- und Audittätigkeiten beeinträchtigt würde, es sei denn, es besteht ein überwiegendes öffentliches Interesse an dieser Verbreitung.
( 4 ) Art. 99 Abs. 6 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1, im Folgenden: Haushaltsordnung).
( 5 ) Der Grundsatz der Transparenz ist in Art. 15 AEUV und Art. 42 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union anerkannt.