Rechtssache T‑65/18 RENV

Bolivarische Republik Venezuela

gegen

Rat der Europäischen Union

Urteil des Gerichts (Große Kammer) vom 13. September 2023

„Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Verbot des Verkaufs, der Lieferung, der Weitergabe oder der Ausfuhr bestimmter Güter und Dienstleistungen – Recht auf Anhörung – Begründungspflicht – Materielle Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellung – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Völkerrecht“

  1. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakt, der den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbietet – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit – Geltung – Bestimmung mit allgemeiner Geltung

    (Art. 215 Abs. 1 AEUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 30‑34)

  2. Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Recht auf Anhörung – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakt, der den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbietet – Recht auf Anhörung vor dem Erlass solcher Maßnahmen – Fehlen

    (Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 und Art. 29 EUV; Art. 215 Abs. 1 AEUV; Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 39, 40, 42‑44)

  3. Handlungen der Organe – Begründung – Pflicht – Geltung – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakte, die den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbieten – Pflicht, in der Begründung die Gesamtlage und die allgemeinen Ziele anzugeben, die die Maßnahme rechtfertigen

    (Art. 296 AEUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 49‑57)

  4. Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakt, der den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbietet – Umfang der Kontrolle – Eingeschränkte Kontrolle in Bezug auf allgemeine Regeln – Kontrolle, die sich auf die Beurteilung der Tatsachen und die Überprüfung der Beweise erstreckt

    (Art. 29 EUV; Art. 215 Abs. 1 AEUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 63‑67, 72, 76, 78)

  5. Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakt, der den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbietet – Umfang der Kontrolle – Beurteilung der politischen Lage in Venezuela durch den Rat – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Fehlen

    (Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 80, 81)

  6. Völkerrecht – Grundsätze – Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen – Regeln des Völkergewohnheitsrechts über Gegenstand und Grenzen von Gegenmaßnahmen – Möglichkeit für Rechtsunterworfene, diese Grundsätze geltend zu machen, um die Gültigkeit einer Verordnung anzugreifen, mit der restriktive Maßnahmen im Rahmen der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik verhängt werden – Zulässigkeit – Gerichtliche Kontrolle – Grenzen – Offensichtlicher Beurteilungsfehler – Fehlen

    (Art. 3 Abs. 5 EUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 87‑94)

  7. Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsgrundlage – Restriktive Maßnahmen, die in einem Beschluss und einer Verordnung vorgesehen sind, die auf der Grundlage von Art. 29 EUV bzw. Art. 215 AEUV erlassen wurden – Zuständigkeit des Rates für den Erlass von selbständigen restriktiven Maßnahmen, die sich von den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen empfohlenen unterscheiden

    (Art. 29 EUV; Art. 215 AEUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 95, 98)

  8. Europäische Union – Gerichtliche Kontrolle der Rechtmäßigkeit von Handlungen der Organe – Restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela – Rechtsakt, der den Verkauf bestimmter Güter, die zur internen Repression in Venezuela verwendet werden können, sowie die Bereitstellung bestimmter Dienste verbietet – Umfang der Kontrolle – Eingeschränkte Kontrolle – Kriterien für den Erlass der restriktiven Maßnahmen – Geltung – Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit

    (Art. 29 EUV; Art. 215 Abs. 1 AEUV; Verordnung 2017/2063 des Rates, Art. 2, Art. 3, Art. 6 und Art. 7)

    (vgl. Rn. 99‑103)

  9. Gerichtliches Verfahren – Vorbringen neuer Klage- und Verteidigungsgründe im Lauf des Verfahrens – Voraussetzungen – Klage- oder Verteidigungsgrund, der auf Gesichtspunkte gestützt wird, die erst während des Verfahrens zutage getreten sind – Fehlen – Erweiterung eines bereits vorgetragenen Angriffs- oder Verteidigungsmittels – Keine Erweiterung – Unzulässigkeit

    (Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 84 Abs. 1)

    (vgl. Rn. 116‑119)

Zusammenfassung

In Anbetracht der Beeinträchtigung der Menschenrechte, der Rechtsstaatlichkeit und der Demokratie erließ der Rat der Europäischen Union im Jahr 2017 restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in der Bolivarischen Republik Venezuela (im Folgenden: Venezuela). Die Art. 2, 3, 6 und 7 der Verordnung 2017/2063 ( 1 ) sehen im Wesentlichen ein Verbot des Verkaufs, der Lieferung, der Weitergabe oder der Ausfuhr von Ausrüstungen, die zur internen Repression verwendet werden können, sowie der Bereitstellung von Diensten im Zusammenhang mit diesen Ausrüstungen und Militärgütern an natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen in Venezuela oder zur Verwendung in Venezuela vor.

Im Jahr 2018 erhob Venezuela eine Klage auf Nichtigerklärung der Verordnung 2017/2063, soweit die Bestimmungen dieses Rechtsakts sie betreffen. Später passte Venezuela seine Klage an, damit sie sich auch auf den Beschluss 2018/1656 ( 2 ) und die Durchführungsverordnung 2018/1653 ( 3 ) – Rechtsakte, mit denen der Rat die erlassenen restriktiven Maßnahmen jeweils verlängert und geändert hatte – bezog. Mit Urteil vom 20. September 2019 wies das Gericht die Klage mit der Begründung als unzulässig ab, dass die Rechtsstellung Venezuelas von den streitgegenständlichen Bestimmungen nicht unmittelbar berührt sei ( 4 ). Auf das dagegen eingelegte Rechtsmittel hin hob der Gerichtshof mit Urteil vom 22. Juni 2021 ( 5 ) die Entscheidung des Gerichts auf und entschied, dass Venezuela sehr wohl befugt war, Klage gegen die Art. 2, 3, 6 und 7 der Verordnung 2017/2063 zu erheben ( 6 ). Er verwies zudem die Rechtssache zur Entscheidung über die Begründetheit an das Gericht zurück.

Die Große Kammer des Gerichts weist mit ihrem Urteil die Klage ab und äußert sich darin im Rahmen einer neuartigen Situation, nämlich hinsichtlich einer von einem Drittstaat im Bereich restriktiver Maßnahmen erhobenen Klage, zum Recht auf Anhörung von Venezuela und zu den von Venezuela geltend gemachten angeblichen Verstößen gegen das Völkerrecht.

Würdigung durch das Gericht

Vorab stellt das Gericht fest, dass es sich bei den in den Art. 2, 3, 6 und 7 der angefochtenen Verordnung vorgesehenen restriktiven Maßnahmen um restriktive Maßnahmen mit allgemeiner Geltung handelt, die gemäß Art. 215 Abs. 1 AEUV Maßnahmen darstellen, die die Wirtschaftsbeziehungen zu einem Drittland in Bezug auf bestimmte Güter und Dienstleistungen aussetzen oder einschränken. Diese Maßnahmen richten sich nicht gegen bestimmte natürliche oder juristische Personen, sondern gelten für objektiv bestimmte Situationen und für eine allgemein und abstrakt umschriebene Personengruppe.

Was als Erstes den Klagegrund der Verletzung des Rechts auf Anhörung betrifft, weist das Gericht zunächst darauf hin, dass sich das Recht auf Anhörung nicht auf den Erlass einer Maßnahme mit allgemeiner Geltung wie im vorliegenden Fall übertragen lässt und dass es keine Bestimmung gibt, die den Rat verpflichtet, jede möglicherweise von einem neuen Kriterium mit allgemeiner Geltung erfasste Person von der Verwendung dieses Kriteriums zu unterrichten. Außerdem gilt Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union für „individuelle Maßnahme[n]“, die gegenüber einer Person getroffen werden, so dass diese Bestimmung im Rahmen des Erlasses von Maßnahmen mit allgemeiner Geltung nicht geltend gemacht werden kann. Das Gericht fügt im Übrigen hinzu, dass die angefochtene Verordnung eine Entscheidung der Union im Bereich der internationalen Politik widerspiegelt. Die Aussetzung oder Einschränkung der Wirtschaftsbeziehungen mit einem Drittland gemäß Art. 215 Abs. 1 AEUV ist nämlich gerade Teil der Festlegung der Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik (GASP) ( 7 ) durch und nach Ermessen der Unionsbehörden, und zwar als Reaktion auf eine besondere internationale Situation, um auf eine solche Situation Einfluss zu nehmen. Die vorherige Anhörung des betreffenden Drittlandes liefe darauf hinaus, den Rat zu verpflichten, Gespräche zu führen, die internationalen Verhandlungen mit diesem Land nahekämen, und würde damit die mit der Verhängung dieser Maßnahmen gegenüber dem Land angestrebte Wirkung – nämlich Druck auf dieses auszuüben, um eine Änderung seines Verhaltens herbeizuführen – in ihrem Kern aushöhlen. Schließlich kann auch der Umstand, dass Venezuela von den Art. 2, 3, 6 und 7 der angefochtenen Verordnung unmittelbar betroffen ist, dem Land für sich genommen kein Recht auf Anhörung verleihen. In Anbetracht dieser verschiedenen Elemente gelangt das Gericht zu dem Schluss, dass sich Venezuela im Hinblick auf die vom Rat in der angefochtenen Verordnung erlassenen restriktiven Maßnahmen nicht auf dieses Recht berufen kann.

Was als Zweites den Klagegrund der materiellen Unrichtigkeit der Tatsachenfeststellung und des offensichtlichen Fehlers bei der Beurteilung der politischen Lage in Venezuela betrifft, weist das Gericht darauf hin, dass der Rat bei der Beurteilung der Umstände, die beim Erlass von restriktiven Maßnahmen auf der Grundlage von Art. 29 EUV und Art. 215 AEUV zu berücksichtigen sind, über ein weites Ermessen verfügt und dass sich die diesbezüglich vorgenommene Kontrolle durch den Unionsrichter auf die Prüfung beschränkt, ob die Verfahrensvorschriften und die Begründungspflicht beachtet worden sind, die Tatsachen richtig festgestellt wurden und weder ein offensichtlicher Fehler in der Beurteilung der Tatsachen noch ein Ermessensmissbrauch vorliegt. Diese eingeschränkte Kontrolle gilt insbesondere für die Beurteilung der Zweckmäßigkeitserwägungen, auf denen solche Maßnahmen beruhen. Das Gericht merkt vorliegend an, dass die Art. 2, 3, 6 und 7 der angefochtenen Verordnung im Wesentlichen den im Beschluss 2017/2074 zum Ausdruck kommenden politischen Standpunkt der Union aufgreifen. Es stellt in diesem Zusammenhang fest, dass sich aus den Erwägungsgründen 1 und 8 dieses Beschlusses ergibt, dass die in den besagten Artikeln vorgesehenen restriktiven Maßnahmen auf der anhaltenden Beeinträchtigung der Demokratie, der Rechtsstaatlichkeit und der Menschenrechte in Venezuela sowie insbesondere auf dem Auftreten von Gewalttätigkeiten beruhen, deren Wiederholung durch diese restriktiven Maßnahmen verhindert werden sollte.

Was zunächst die Beweise anbelangt, die der Rat vorgebracht hat, um die Richtigkeit der den besagten Maßnahmen zugrunde gelegten Tatsachen zu belegen, befindet das Gericht, dass diese aus glaubwürdigen Quellen stammen und detailliert insbesondere die brutalen Repressionen gegen die Dissidenten und Regimegegner durch das Regime sowie den auf die wegen der Machenschaften der Sicherheitskräfte ermittelnde Generalstaatsanwältin von Venezuela ausgeübten Druck dokumentieren.

Was sodann die Beweise betrifft, die Venezuela als Antwort hierauf vorgelegt hat, kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass Venezuela nicht nachgewiesen hat, dass die Tatsachen, auf die sich der Rat beim Erlass der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gestützt hat, inhaltlich falsch wären, da sich fast alle dieser Beweise nicht auf Venezuela beziehen und sich auf zwei interne Berichte des Regimes stützen, ohne dass diese durch Beweise aus externen Quellen außerhalb des Regimes bestätigt würden.

Zur Beurteilung der politischen Lage in Venezuela durch den Rat führt das Gericht schließlich aus, dass die von der Klägerin hierzu beigebrachten Beweise tatsächlich einem Bestreiten der Zweckmäßigkeit des Erlasses der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gleichkommen. Es ist jedoch nicht Sache des Gerichts, seine eigene Beurteilung dieser Frage an die Stelle der vom Rat geäußerten Beurteilung zu setzen, der gemäß Art. 29 EUV bei der Festlegung der Standpunkte der Union zu einer die GASP betreffenden Frage über ein weites politisches Ermessen verfügt.

Was als Drittes und Letztes den Klagegrund der Verhängung rechtswidriger Gegenmaßnahmen und des Verstoßes gegen das Völkerrecht anbelangt, verweist das Gericht zunächst auf den Wortlaut von Art. 49 („Gegenstand und Grenzen von Gegenmaßnahmen“) des Entwurfs der Artikel über die Verantwortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen, der von der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen angenommen wurde ( 8 ). Hierzu hebt es hervor, dass die angefochtene Verordnung im Kontext einer Reaktion auf die anhaltende Beeinträchtigung der Lage in Venezuela mit dem Ziel erlassen wurde, der Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten und Menschenrechtsverletzungen in diesem Land vorzubeugen. Das Gericht stellt zudem fest, dass die in den Art. 2, 3, 6 und 7 der angefochtenen Verordnung vorgesehenen restriktiven Maßnahmen nicht darauf abzielen, auf eine Venezuela zuzurechnende völkerrechtswidrige Handlung mit einer vorübergehenden Nichterfüllung internationaler Verpflichtungen der Union zu reagieren. Es folgert daraus, dass sie keine Gegenmaßnahmen im Sinne des Art. 49 des Entwurfs der Artikel der ILC darstellen, und weist infolgedessen das Vorbringen von Venezuela bezüglich der angeblichen Verstöße des Rates gegen den Grundsatz der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten von Venezuela zurück.

Ebenso weist das Gericht das Argument des Erlasses der in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen ohne vorherige Genehmigung durch den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen zurück. Es erinnert daran, dass die Verträge dem Rat die Zuständigkeit für den Erlass von Rechtsakten verleihen, die selbständige restriktive Maßnahmen enthalten ( 9 ), die sich von den vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen besonders empfohlenen Maßnahmen unterscheiden. Es befindet, dass Venezuela insofern das Bestehen einer „allgemeinen, als Recht anerkannten Übung“ nach Art. 38 Abs. 1 Buchst. b des Statuts des Internationalen Gerichtshofs, wonach vor dem Erlass restriktiver Maßnahmen durch den Rat eine vorherige Genehmigung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen einzuholen wäre, nicht nachgewiesen hat.

Des Weiteren stellt das Gericht zur behaupteten Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit fest, dass die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen in einem angemessenen Verhältnis zu dem verfolgten Ziel stehen, der Gefahr weiterer Gewalttätigkeiten, übermäßiger Gewaltanwendung und Menschenrechtsverletzungen vorzubeugen. Das Gericht führt aus, dass angesichts der beschränkten Natur der in den Art. 2, 3, 6 und 7 der angefochtenen Verordnung vorgesehenen Maßnahmen sowie der in der Verordnung vorgesehenen Ausnahmen die besagten Maßnahmen weder offensichtlich ungeeignet sind noch über das zur Erreichung des verfolgten Ziels Erforderliche hinausgehen und dass somit keine Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit vorliegt.

Daher weist das Gericht das Vorbringen Venezuelas zum Verstoß gegen das Völkergewohnheitsrecht durch die angebliche Verhängung rechtswidriger Gegenmaßnahmen zurück.

Was schließlich das Vorbringen Venezuelas anbelangt, wonach die vom Rat erlassenen Maßnahmen die Ausübung einer extraterritorialen Zuständigkeit durch die Union und damit einen Völkerrechtsverstoß implizierten, weist das Gericht erneut auf die dem Rat durch die Verträge ( 10 ) verliehene Befugnis im Bereich des Erlasses restriktiver Maßnahmen hin, die insbesondere „die Aussetzung, Einschränkung oder vollständige Einstellung der Wirtschafts- und Finanzbeziehungen zu einem oder mehreren Drittländern“ vorsehen. Es betont, dass sich die in Rede stehenden restriktiven Maßnahmen gegen Personen und Situationen richten, die in räumlicher oder persönlicher Hinsicht der Gerichtsbarkeit der Mitgliedstaaten unterliegen. Die Befugnis des Rates zum Erlass restriktiver Maßnahmen fügt sich in den Rahmen der autonomen Maßnahmen der Union ein, die diese im Rahmen der GASP im Einklang mit den Zielen und Werten der Union ( 11 ) erlässt, und zwar insbesondere dem Ziel, weltweit Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, die universelle Gültigkeit und Unteilbarkeit der Menschenrechte und Grundfreiheiten zu fördern, das nach der Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs ( 12 ) ein gemeinsames „rechtliches Interesse“ am Schutz der betreffenden Rechte darstellt.

Nach alledem weist das Gericht die Klage ab.


( 1 ) Verordnung (EU) 2017/2063 des Rates vom 13. November 2017 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela (ABl. 2017, L 295, S. 21, im Folgenden: angefochtene Verordnung).

( 2 ) Beschluss (GASP) 2018/1656 des Rates vom 6. November 2018 zur Änderung des Beschlusses (GASP) 2017/2074 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela (ABl. 2018, L 276, S. 10).

( 3 ) Durchführungsverordnung (EU) 2018/1653 des Rates vom 6. November 2018 zur Durchführung der Verordnung (EU) 2017/2063 über restriktive Maßnahmen angesichts der Lage in Venezuela (ABl. 2018, L 276, S. 1).

( 4 ) Urteil vom 20. September 2019, Venezuela/Rat (T‑65/18, EU:T:2019:649).

( 5 ) Urteil vom 22. Juni 2021, Venezuela/Rat (Beeinträchtigung eines Drittstaats) (C‑872/19 P, EU:C:2021:507).

( 6 ) In diesem Urteil wies der Gerichtshof darauf hin, dass das ursprüngliche Urteil hinsichtlich der Unzulässigkeit der Klage im Hinblick auf die Durchführungsverordnung 2018/1653 und den Beschluss 2018/1656 rechtskräftig geworden ist.

( 7 ) Im Sinne von Art. 24 Abs. 1 Unterabs. 2 EUV.

( 8 ) Im Jahr 2001 von der Völkerrechtskommission (International Law Commission, ILC) angenommener Entwurf (im Folgenden: Entwurf der Artikel der ILC). Art. 49 bestimmt: „1. Ein geschädigter Staat darf Gegenmaßnahmen gegen einen für eine völkerrechtswidrige Handlung verantwortlichen Staat nur ergreifen, um diesen Staat zur Erfüllung seiner Verpflichtungen nach dem Zweiten Teil zu veranlassen. 2. Die Gegenmaßnahmen beschränken sich auf die vorübergehende Nichterfüllung internationaler Verpflichtungen des Staates, der die Maßnahmen ergreift, gegenüber dem verantwortlichen Staat. 3. Die Gegenmaßnahmen müssen so weit wie möglich in einer Weise ergriffen werden, die die Wiederaufnahme der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen ermöglicht.“

( 9 ) Art. 29 EUV und Art. 215 AEUV.

( 10 ) Art. 29 EUV und Art. 215 AEUV.

( 11 ) Art. 3 Abs. 5 EUV und Art. 21 EUV.

( 12 ) Urteile des Internationalen Gerichtshofs vom 5. Februar 1970, Barcelona Traction, Light and Power Company, Limited (Belgien/Spanien) (ICJ Reports 1970, S. 3, Rn. 33 und 34), und vom 20. Juli 2012, Questions relating to the Obligation to Prosecute or Extradite (Fragen betreffend die Verpflichtung zur Verfolgung oder Auslieferung) (Belgien/Senegal) (ICJ Reports 2012, S. 422, Rn. 68 bis 70).