BESCHLUSS DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

14. Februar 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Öffentliche Aufträge – Nachprüfungsverfahren – Richtlinie 89/665/EWG – Art. 1 und 2c – Klage gegen die Entscheidung, einen Bieter zuzulassen oder auszuschließen – Klagefrist – Ausschlussfrist von 30 Tagen – Nationale Regelung, durch die die Möglichkeit ausgeschlossen wird, die Rechtswidrigkeit einer Zulassungsentscheidung im Rahmen einer Klage gegen die ihr nachfolgenden Handlungen geltend zu machen – Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Art. 47 – Recht auf einen wirksamen gerichtlichen Rechtsschutz“

In der Rechtssache C‑54/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Regionales Verwaltungsgericht Piemont, Italien) mit Entscheidung vom 27. September 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 29. Januar 2018, in dem Verfahren

Cooperativa Animazione Valdocco Soc. coop. soc. Impresa Sociale Onlus

gegen

Consorzio Intercomunale Servizi Sociali di Pinerolo,

Azienda Sanitaria Locale To3 di Collegno e Pinerolo,

Beteiligte:

Ati Cilte Soc. coop. soc.,

Coesa Pinerolo Soc. coop. soc. arl,

La Dua Valadda Soc. coop. soc.,

Consorzio di Cooperative Sociali il Deltaplano Soc. coop. soc.,

La Fonte Soc. coop. soc. Onlus,

Società Italiana degli Avvocati Amministrativisti (SIAA),

Associazione Amministrativisti.it,

Camera degli Avvocati Amministrativisti,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten M. Vilaras (Berichterstatter), der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter D. Šváby, S. Rodin und N. Piçarra,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Cooperativa Animazione Valdocco Soc. coop. soc. Impresa Sociale Onlus vertreten durch A. Sciolla, S. Viale und C. Forneris, avvocati,

des Consorzio Intercomunale Servizi Sociali di Pinerolo, vertreten durch V. Del Monte, avvocato,

der Ati Cilte Soc. coop. soc., der Coesa Pinerolo Soc. coop. soc. arl und der La Dua Valadda Soc. coop. soc., vertreten durch L. Gili und A. Quilico, avvocati,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von C. Colelli und V. Nunziata, avvocati dello Stato,

der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Bulterman und J. M. Hoogveld als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch L. Haasbeek, G. Gattinara und P. Ondrůšek als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, gemäß Art. 99 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden,

folgenden

Beschluss

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge (ABl. 1989, L 395, S. 3) in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 (ABl. 2014, L 94, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 89/665), von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) sowie des Äquivalenzgrundsatzes und des Effektivitätsgrundsatzes.

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits der Cooperativa Animazione Valdocco Soc. coop. soc. Impresa Sociale Onlus (im Folgenden: Cooperativa Animazione Valdocco) gegen das Consorzio Intercomunale Servizi Sociali di Pinerolo (im Folgenden: CISS di Pinerolo) und die Azienda Sanitaria Locale To3 di Collegno e Pinerolo wegen der Vergabe eines öffentlichen Auftrags für häusliche Pflegedienste an eine Arbeitsgemeinschaft, die folgende Unternehmen umfasst: Ati Cilte Soc. coop. soc., Coesa Pinerolo Soc. coop. soc. arl und La Dua Valadda Soc. coop. soc. (im Folgenden: erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft).

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 1 Abs. 1 Unterabs. 4 und Abs. 3 der Richtlinie 89/665 sieht vor:

„(1)   …

Die Mitgliedstaaten ergreifen die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass hinsichtlich der in den Anwendungsbereich der Richtlinie 2014/24/EU [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 über die öffentliche Auftragsvergabe und zur Aufhebung der Richtlinie 2004/18/EG (ABl. 2014, L 94, S. 65)] beziehungsweise der Richtlinie [2014/23] fallenden Aufträge oder Konzessionen die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und vor allem möglichst rasch nach Maßgabe der Artikel 2 bis 2f dieser Richtlinie auf Verstöße gegen das Unionsrecht im Bereich des öffentlichen Auftragswesens oder gegen die nationalen Vorschriften, die dieses Recht umsetzen, überprüft werden können.

(3)   Die Mitgliedstaaten stellen sicher, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.“

4

Art. 2c („Fristen für die Beantragung einer Nachprüfung“) der Richtlinie 89/665 bestimmt:

„Legt ein Mitgliedstaat fest, dass alle Nachprüfungsanträge gegen Entscheidungen eines öffentlichen Auftraggebers, die im Rahmen von oder im Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren im Sinne der Richtlinie [2014/24] oder Richtlinie [2014/23] ergehen, vor Ablauf einer bestimmten Frist gestellt werden müssen, so beträgt diese Frist mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, entweder mindestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, oder mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers. Der Mitteilung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an jeden Bieter oder Bewerber wird eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe beigefügt. Wird ein Antrag auf Nachprüfung in Bezug auf die in Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe b der vorliegenden Richtlinie genannten Entscheidungen eingereicht, die keiner besonderen Mitteilungspflicht unterliegen, so beträgt die Frist mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Zeitpunkt der Veröffentlichung der betreffenden Entscheidung.“

Italienisches Recht

5

Art. 120 Abs. 2bis des Anhangs I des Decreto Legislativo n. 104 – Codice del processo amministrativo (Decreto Legislativo Nr. 104 – Verwaltungsprozessordnung) vom 2. Juli 2010 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 156 vom 7. Juli 2010) in der durch Art. 204 des Decreto Legislativo n. 50 – Codice dei contratti pubblici (Decreto Legislativo Nr. 50 – Gesetzbuch über öffentliche Aufträge) vom 18. April 2016 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 91 vom 19. April 2016) geänderten Fassung (im Folgenden: Verwaltungsprozessordnung) bestimmt:

„Die Entscheidung, mit der die Ausschlüsse vom Vergabeverfahren und die Zulassungen zu diesem nach der Bewertung der subjektiven, der wirtschaftlich-finanziellen sowie der fachlich-beruflichen Anforderungen beschlossen werden, ist innerhalb von 30 Tagen ab dem Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung im Beschafferprofil der Vergabestelle im Sinne von Art. 29 Abs. 1 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge... anzufechten. Erfolgt keine Anfechtung, ist die Möglichkeit ausgeschlossen, die abgeleitete Rechtswidrigkeit der nachfolgenden Handlungen der Vergabeverfahren, auch mit Anschlussrechtsmittel, geltend zu machen. Ferner ist die Anfechtung des Vergabevorschlags, soweit ein solcher erlassen wird, und der anderen verfahrensinternen Handlungen, die keine unmittelbare Verletzung bewirken, unzulässig.“

6

Art. 29 des Decreto Legislativo Nr. 50 – Gesetzbuch über öffentliche Aufträge vom 18. April 2016 in der durch das Decreto Legislativo Nr. 56 vom 19. April 2017 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 103 vom 5. Mai 2017) geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetzbuch über öffentliche Aufträge) sieht vor:

„… Um die etwaige Erhebung der Klage nach Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung zu ermöglichen, werden innerhalb von zwei Tagen nach ihrem Erlass die Entscheidung, mit der die Ausschlüsse vom Vergabeverfahren beschlossen werden, und die Zulassungen nach Prüfung der Belege für das Nichtvorliegen von Ausschlussgründen nach Art. 80 sowie für das Vorliegen der wirtschaftlich-finanziellen und der technisch-beruflichen Anforderungen veröffentlicht. Innerhalb derselben Frist von zwei Tagen werden die Bewerber und Bieter... benachrichtigt, wobei die Stelle oder die Internetverknüpfung mit beschränktem Zugang angeführt wird, bei der oder über die die betreffenden Rechtsakte verfügbar sind. Die Anfechtungsfrist nach Art. 120 Abs. 2bis beginnt zu dem Zeitpunkt zu laufen, zu dem die Rechtsakte, auf die im zweiten Satz Bezug genommen wird, konkret und mit Gründen versehen zur Verfügung gestellt werden.“

7

Art. 53 Abs. 2 und 3 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge bestimmt:

„2.   Unbeschadet der Bestimmungen dieses Gesetzbuchs für Aufträge, die vertraulich sind oder deren Durchführung besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, ist das Recht auf Zugang aufgeschoben:

a)

in offenen Verfahren in Bezug auf die Liste der Personen, die Angebote eingereicht haben, bis zum Ablauf der Frist für die Einreichung von Angeboten;

b)

in nicht offenen und Verhandlungsverfahren sowie bei informellen Ausschreibungen in Bezug auf die Liste der Personen, die eine Aufforderung zur Teilnahme beantragt oder ihr Interesse bekundet haben, und die Liste der zur Einreichung von Angeboten aufgeforderten Personen sowie die Liste der Personen, die Angebote eingereicht haben, bis zum Ablauf der Frist für die Einreichung dieser Angebote; Personen, deren Antrag auf Aufforderung zur Teilnahme abgelehnt wurde, wird der Zugang zu der Liste der Personen gewährt, die eine Aufforderung zur Teilnahme beantragt oder ihr Interesse bekundet haben, nachdem die Auftraggeber die Namen der zur Teilnahme aufgeforderten Bewerber offiziell mitgeteilt haben;

c)

in Bezug auf die Angebote bis zur Erteilung des Zuschlags;

d)

in Bezug auf das Verfahren zur Überprüfung von Angebotsanomalien bis zur Erteilung des Zuschlags.

3.   Die in Abs. 2 genannten Unterlagen dürfen bis zum Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht an Dritte weitergegeben oder in irgendeiner anderen Weise verbreitet werden.“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

8

Mit Entscheidung vom 19. Mai 2017 vergab das CISS di Pinerolo für den Zeitraum vom 1. Juni 2017 bis zum 31. Mai 2020 den öffentlichen Auftrag für häusliche Pflegedienste in dem in seine Zuständigkeit fallenden Gebiet an die erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft und wandte dabei das Kriterium des wirtschaftlich günstigsten Angebots an.

9

Die zweitplatzierte Cooperativa Animazione Valdocco erhob nach der Erteilung des Zuschlags bei dem vorlegenden Gericht, dem Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Regionales Verwaltungsgericht Piemont, Italien) Klage auf Nichtigerklärung der betreffenden Vergabeentscheidung sowie gegen die verschiedenen Handlungen des Vergabeverfahrens einschließlich der Entscheidung, die erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft nicht auszuschließen, und macht insbesondere geltend, dass diese Arbeitsgemeinschaft, da sie keine vorläufige Sicherheit in der erforderlichen Höhe geleistet und nicht nachgewiesen habe, dass sie die Teilnahmebedingungen erfülle, nicht zur Teilnahme an der Ausschreibung hätte zugelassen werden dürfen.

10

Das vorlegende Gericht legt dar, dass der öffentliche Auftraggeber und die erfolgreiche Arbeitsgemeinschaft die Einrede der Unzulässigkeit der Klage erhoben hätten, mit der Begründung, dass sie gegen die endgültige Vergabe gerichtet sei. Gemäß dem beschleunigten Verfahren, das durch Art. 29 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge in Verbindung mit Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung geregelt sei, hätte die Cooperativa Animazione Valdocco jedoch innerhalb von 30 Tagen ab der Mitteilung über die Zulassung der Bieter zur Teilnahme an der Ausschreibung Klage erheben müssen.

11

Insoweit weist es darauf hin, dass die Einführung des beschleunigten Verfahrens zur Anfechtung von Entscheidungen über den Ausschluss oder die Zulassung von Bietern gemäß Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung der Notwendigkeit Rechnung trage, den Streit zu entscheiden, bevor über die Vergabe entschieden werde, indem die zur Teilnahme an der Ausschreibung zugelassenen Personen abschließend bestimmt würden, bevor die Angebote geprüft würden und der erfolgreiche Bieter festgestellt werde.

12

Es betont jedoch, dass dieses beschleunigte Verfahren nichtsdestoweniger in einigen Punkten kritisierbar sei, insbesondere im Hinblick auf das Unionsrecht.

13

Insoweit weist es zunächst darauf hin, dass dieses Verfahren den Bieter, der nicht zur Teilnahme an dem Ausschreibungsverfahren zugelassen worden sei, verpflichte, Klage gegen die Entscheidung über die Zulassung oder den Nichtausschluss aller Bieter zu erheben, obwohl er zum einen zu diesem Zeitpunkt nicht wissen könne, wer der erfolgreiche Bieter sein werde, und zum anderen möglicherweise selbst keinerlei Vorteil von der Anfechtung habe, da er in der abschließenden Rangliste nicht entsprechend platziert sei. Dieser Bieter wäre daher gezwungen, ein gerichtliches Verfahren einzuleiten, ohne dass gewährleistet sei, dass er davon einen konkreten Nutzen haben werde, und gleichzeitig müsse er die Kosten, die mit der unmittelbaren Erhebung der Klage verbunden seien, tragen.

14

Das vorlegende Gericht führt weiter aus, dass der Bieter, der derart verpflichtet sei, eine Klage im beschleunigten Verfahren zu erheben, nicht nur kein konkretes und aktuelles Interesse daran habe, sondern zudem in Anwendung von Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung verschiedene Schäden erleide. Der erste ergebe sich aus den mit der mehrfachen Klageerhebung verbundenen erheblichen Kosten, der zweite daraus, dass seine Position in den Augen des öffentlichen Auftraggebers möglicherweise kompromittiert werde, und der dritte betreffe die schädlichen Auswirkungen auf seine Einstufung, da Art. 83 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge den Einfluss von Rechtsstreitigkeiten, die der Bieter angestrengt habe, als negatives Kriterium werte.

15

Das vorlegende Gericht betont schließlich, dass Art. 53 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge den äußerst schwierigen Zugang zu den Verwaltungsgerichten noch weiter erschwere, da dessen Abs. 3 den Beamten oder den im öffentlichen Dienst Tätigen unter Androhung von Strafe verbiete, Unterlagen des Ausschreibungsverfahrens, für die der Zugang bis zur Erteilung des Zuschlags aufgeschoben sei, mitzuteilen oder öffentlich bekannt zu machen. Da dieses Verbot verbindlich sei, seien die für das Verfahren zuständigen Personen zurückhaltend, außer der Zulassungsentscheidung Verwaltungsunterlagen hinsichtlich der Bieter bekannt zu geben, wodurch die Wirtschaftsteilnehmer gezwungen seien, „aufs Geratewohl“ Klage zu erheben.

16

Unter diesen Umständen hat das Tribunale amministrativo regionale per il Piemonte (Regionales Verwaltungsgericht Piemont) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Stehen die unionsrechtlichen Vorschriften über die Verteidigungsrechte, ein faires Verfahren und den wirksamen Rechtsschutz, insbesondere die Art. 6 und 13 der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 47 der Charta und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/665 einer nationalen Regelung wie Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung entgegen, nach der der Wirtschaftsteilnehmer, der an einem Ausschreibungsverfahren teilnimmt, die Zulassung/den Nichtausschluss eines anderen Bieters innerhalb einer Frist von 30 Tagen ab der Mitteilung der Entscheidung, mit der die Zulassung/der Ausschluss der Teilnehmer verfügt wird, anfechten muss?

2.

Stehen die unionsrechtlichen Vorschriften über die Verteidigungsrechte, ein faires Verfahren und den wirksamen Rechtsschutz, insbesondere die Art. 6 und 13 der Europäischen Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, Art. 47 der Charta und Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/665 einer nationalen Regelung wie Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung entgegen, die es ausschließt, dass der Wirtschaftsteilnehmer nach dem Abschluss des Verfahrens, auch mit einer Inzidentklage, die Rechtswidrigkeit der Rechtsakte über die Zulassung der anderen Wirtschaftsteilnehmer, insbesondere des erfolgreichen Bieters oder des Hauptklägers, geltend macht, ohne zuvor den Rechtsakt über die Zulassung innerhalb der vorgenannten Frist angefochten zu haben?

Zu den Vorlagefragen

17

Nach Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Antwort auf eine zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage klar aus der Rechtsprechung abgeleitet werden kann, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschlusses zu entscheiden.

18

Dieser Artikel ist in der vorliegenden Sache anzuwenden.

Zur Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

19

Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass, wie aus den dem Gerichtshof vorgelegten Erklärungen hervorgeht, der Wert des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden öffentlichen Auftrags 5684000 Euro betrug; das ist ein deutlich über den in Art. 4 der Richtlinie 2014/24 festgelegten Schwellenwerten liegender Betrag.

20

Entgegen dem Vorbringen der italienischen Regierung gilt die Richtlinie 89/665 daher gemäß Art. 46 der Richtlinie 2014/23 für diesen Vertrag, und das Vorabentscheidungsersuchen kann demnach nicht allein deshalb für unzulässig erklärt werden, weil die Vorlageentscheidung den Wert dieses Vertrags nicht angibt.

21

Auch kann das Vorabentscheidungsersuchen nicht mit der Begründung für unzulässig erklärt werden, dass es den Gerichtshof auffordere, die Ermessensentscheidung des italienischen Gesetzgebers bei der Umsetzung der Richtlinie 89/665 zu überprüfen, wie das CISS di Pinerolo geltend macht. Die gestellten Fragen betreffen nämlich eindeutig die Auslegung mehrerer Bestimmungen dieser Richtlinie.

22

Somit ist das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen zulässig.

Zur ersten Frage

23

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/665 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach Klagen gegen Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung oder Ablehnung der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung an die Betroffenen zu erheben sind.

24

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten gemäß Art. 2c der Richtlinie 89/665 Fristen für die Nachprüfung von Entscheidungen eines Auftraggebers im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24 vorsehen können.

25

Diese Bestimmung sieht vor, dass diese Frist mindestens zehn Kalendertage beträgt, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, falls sie per Fax oder auf elektronischem Weg abgesendet wird, oder, falls andere Kommunikationsmittel verwendet werden, entweder mindestens 15 Kalendertage, gerechnet ab dem Tag, der auf den Tag folgt, an dem die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an den Bieter oder Bewerber abgesendet wurde, oder mindestens zehn Kalendertage, gerechnet ab dem Tag nach dem Eingang der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers. In derselben Bestimmung ist auch festgelegt, dass der Mitteilung der Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers an jeden Bieter oder Bewerber eine Zusammenfassung der einschlägigen Gründe beigefügt wird.

26

Aus dem Wortlaut von Art. 2c der Richtlinie 89/665 ergibt sich daher unmittelbar, dass eine Ausschlussfrist von 30 Tagen, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede steht, innerhalb der Klagen gegen die Entscheidungen von Auftraggebern über die Zulassung oder Ablehnung der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge im Sinne der Richtlinie 2014/24 ab dem Zeitpunkt, zu dem sie den Beteiligten mitgeteilt wurden, erhoben werden müssen, grundsätzlich mit dem Unionsrecht vereinbar ist, sofern die betreffenden Entscheidungen eine Angabe der einschlägigen Gründe enthalten.

27

Im Übrigen verpflichtet Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 die Mitgliedstaaten, sicherzustellen, dass die Entscheidungen der öffentlichen Auftraggeber wirksam und möglichst rasch nachgeprüft werden können. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, kann das mit der Richtlinie 89/665 verfolgte Ziel zügiger Behandlung, um die Wirtschaftsteilnehmer zu zwingen, in öffentlichen Vergabeverfahren ergangene Vorbereitungshandlungen oder Zwischenbescheide binnen kurzer Frist anzufechten, mit der Festlegung von Ausschlussfristen erreicht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Januar 2010, Kommission/Irland, C‑456/08, EU:C:2010:46, Rn. 60 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Außerdem hat der Gerichtshof entschieden, dass die Festsetzung angemessener Ausschlussfristen für die Einlegung von Rechtsbehelfen grundsätzlich dem sich aus der Richtlinie 89/665 ergebenden Effektivitätsgebot genügt, da sie ein Anwendungsfall des grundlegenden Prinzips der Rechtssicherheit ist (Urteile vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C‑470/99, EU:C:2002:746, Rn. 76, und vom21. Januar 2010, Kommission/Deutschland, C‑17/09, nicht veröffentlicht, EU:C:2010:33, Rn. 22), und dass sie mit dem Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz vereinbar ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, Fastweb, C‑19/13, EU:C:2014:2194, Rn. 58).

29

Das mit der Richtlinie 89/665 verfolgte Ziel der zügigen Behandlung muss indessen im nationalen Recht unter Beachtung der Erfordernisse der Rechtssicherheit verwirklicht werden. Somit müssen die Mitgliedstaaten Bestimmungen über Fristen erlassen, die so bestimmt, klar und vorhersehbar sind, dass der Einzelne wissen kann, welche Rechte und Pflichten er hat (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Mai 1991, Kommission/Deutschland, C‑361/88, EU:C:1991:224, Rn. 24, und vom 7. November 1996, Kommission/Luxemburg, C‑221/94, EU:C:1996:424, Rn. 22).

30

Insoweit müssen die Mitgliedstaaten bei der Bestimmung der Modalitäten gerichtlicher Verfahren zum Schutz der Rechte, die das Unionsrecht den durch Entscheidungen öffentlicher Auftraggeber geschädigten Bewerbern und Bietern einräumt, darauf achten, dass weder die Wirksamkeit der Richtlinie 89/665 noch der Schutz der Rechte, die das Unionsrecht Einzelnen einräumt, insbesondere das in Art. 47 der Charta verankerte Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, beeinträchtigt werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. September 2016, Star Storage u. a., C‑439/14 und C‑488/14, EU:C:2016:688, Rn. 43 bis 45).

31

Das in Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 89/665 gesetzte Ziel, das Bestehen wirksamer Nachprüfungsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge sicherzustellen, kann demnach nur dann erreicht werden, wenn die Fristen, die für die Einleitung der Nachprüfung vorgeschrieben sind, erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Antragsteller von dem geltend gemachten Verstoß gegen die genannten Vorschriften Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen (Urteile vom 28. Januar 2010, Uniplex [UK], C‑406/08, EU:C:2010:45, Rn. 32, vom 12. März 2015, eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 52, und vom 8. Mai 2014, Idrodinamica Spurgo Velox u. a., C‑161/13, EU:C:2014:307, Rn. 37).

32

Daraus folgt, dass eine nationale Regelung wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, wonach Klagen gegen Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung oder Ablehnung der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung an die Betroffenen zu erheben sind, nur dann mit der Richtlinie 89/665 vereinbar ist, wenn die insoweit mitgeteilten Entscheidungen eine Darlegung der maßgeblichen Gründe enthalten, durch die gewährleistet ist, dass die betroffenen Parteien von dem Verstoß gegen das Unionsrecht, den sie geltend machen, Kenntnis genommen haben oder nehmen konnten.

33

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ist nämlich für die Wirksamkeit der durch Art. 47 der Charta gewährleisteten gerichtlichen Kontrolle erforderlich, dass der Betroffene Kenntnis von den Gründen, auf denen die ihm gegenüber ergangene Entscheidung beruht, erlangen kann, entweder durch die Lektüre der Entscheidung selbst oder durch eine auf seinen Antrag hin erfolgte Mitteilung dieser Gründe, um es ihm zu ermöglichen, seine Rechte unter den bestmöglichen Bedingungen zu verteidigen und in Kenntnis aller Umstände zu entscheiden, ob es für ihn von Nutzen ist, das zuständige Gericht anzurufen, und um dieses vollständig in die Lage zu versetzen, die Kontrolle der Rechtmäßigkeit der fraglichen nationalen Entscheidung auszuüben (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 15. Oktober 1987, Heylens u. a., 222/86, EU:C:1987:442, Rn. 15, und vom 4. Juni 2013, ZZ, C‑300/11, EU:C:2013:363, Rn. 53).

34

Das vorlegende Gericht weist jedoch darauf hin, dass ein Bieter, der beabsichtige, die Entscheidung über die Zulassung eines Wettbewerbers anzufechten, seine Klage innerhalb von 30 Tagen ab der Mitteilung der Entscheidung erheben müsse, d. h. zu einem Zeitpunkt, zu dem er oft nicht feststellen könne, ob ein echtes Interesse bestehe, da er nicht wisse, ob dieser Wettbewerber letztendlich erfolgreich sein werde oder ob er selbst in der Lage sein werde, den Zuschlag zu erhalten.

35

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass die Mitgliedstaaten nach Art. 1 Abs. 3 der Richtlinie 89/665 verpflichtet sind, sicherzustellen, dass Nachprüfungsverfahren entsprechend den gegebenenfalls von den Mitgliedstaaten festzulegenden Bedingungen zumindest jeder Person zur Verfügung stehen, die ein Interesse an einem bestimmten Auftrag hat oder hatte und der durch einen behaupteten Verstoß ein Schaden entstanden ist bzw. zu entstehen droht.

36

Diese letztgenannte Bestimmung soll insbesondere auf die Situation jedes Bieters Anwendung finden, der der Ansicht ist, dass eine Entscheidung über die Zulassung eines Wettbewerbers zu einem Verfahren zur Vergabe eines öffentlichen Auftrags rechtswidrig ist und ihm daraus ein Schaden zu entstehen droht, wobei diese Gefahr ausreicht, um ein unmittelbares Interesse an einer Anfechtung dieser Entscheidung zu begründen, ohne Rücksicht auf den Schaden, der sich im Übrigen aus der Vergabe des Auftrags an einen anderen Bewerber ergeben könnte.

37

Der Gerichtshof hat jedenfalls anerkannt, dass die Entscheidung, mit der ein Bieter zu einem Vergabeverfahren zugelassen wird, eine Handlung darstellt, die gemäß Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 89/665 mit einem selbständigen Rechtsbehelf bei einem Gericht angefochten werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 5. April 2017, Marina del Mediterráneo u. a., C‑391/15, EU:C:2017:268, Rn. 26 bis 29 und 34).

38

Deshalb ist auf die erste Frage zu antworten, dass die Richtlinie 89/665 und insbesondere ihre Art. 1 und 2c im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach Klagen gegen Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung oder Ablehnung der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung an die Betroffenen zu erheben sind, vorausgesetzt, dass die insoweit mitgeteilten Entscheidungen eine Darlegung der maßgeblichen Gründe enthalten, durch die gewährleistet ist, dass die Betroffenen von dem Verstoß gegen das Unionsrecht, den sie geltend machen, Kenntnis genommen haben oder nehmen konnten.

Zur zweiten Frage

39

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 1 Abs. 1 und 2 der Richtlinie 89/665 im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen ist, dass er einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen entgegensteht, wonach es, wenn eine Klage gegen die Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung der Beteiligung der Bieter an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung erhoben wird, den Betroffenen nicht mehr möglich ist, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen im Rahmen einer Klage gegen die ihr nachfolgenden Handlungen und insbesondere gegen die Vergabeentscheidungen geltend zu machen.

40

Der Gerichtshof hat insoweit wiederholt entschieden, dass die Richtlinie 89/665 dahin auszulegen ist, dass sie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, nach der die Nachprüfung einer Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers binnen einer bestimmten Frist beantragt werden muss, wobei sämtliche Mängel des Vergabeverfahrens, auf die der Antrag gestützt wird, innerhalb dieser Ausschlussfrist gerügt werden müssen, so dass bei Versäumung der Frist im weiteren Verlauf des Verfahrens weder die betreffende Entscheidung angefochten noch ein solcher Mangel geltend gemacht werden kann, sofern die fragliche Frist angemessen ist (Urteile vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C‑470/99, EU:C:2002:746, Rn. 79, vom 27. Februar 2003, Santex, C‑327/00, EU:C:2003:109, Rn. 50, und vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 50).

41

Diese Rechtsprechung beruht auf der Erwägung, dass die vollständige Verwirklichung der mit der Richtlinie 89/665 verfolgten Ziele gefährdet wäre, wenn Bewerber und Bieter in jedem Stadium des Vergabeverfahrens Verstöße gegen die Regeln über die Auftragsvergabe rügen und dadurch den öffentlichen Auftraggeber zwingen könnten, das gesamte Verfahren erneut durchzuführen, um den Verstoß zu beheben (Urteile vom 12. Dezember 2002, Universale-Bau u. a., C‑470/99, EU:C:2002:746, Rn. 75, vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 51, und vom 28. Januar 2010, Kommission/Irland, C‑456/08, EU:C:2010:46, Rn. 52). Ein solches Verhalten ist nämlich der wirksamen Durchsetzung der Richtlinien der Union über die Vergabe öffentlicher Aufträge abträglich, weil es geeignet ist, die Einleitung der Nachprüfungsverfahren, zu deren Einführung die Richtlinie 89/665 die Mitgliedstaaten verpflichtet hat, ohne sachlichen Grund zu verzögern (Urteil vom 12. Februar 2004, Grossmann Air Service, C‑230/02, EU:C:2004:93, Rn. 38).

42

Im konkreten Fall folgt aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, dass die Richtlinie 89/665, insbesondere ihr Art. 2c, dahin auszulegen ist, dass es grundsätzlich mit ihr vereinbar ist, dass es einem Bieter, wenn gegen die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers nicht innerhalb der in der italienischen Regelung vorgesehenen Frist von 30 Tagen Klage erhoben wird, nicht mehr möglich ist, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidung im Rahmen einer Klage gegen eine nachfolgende Handlung geltend zu machen.

43

Auch wenn nationale Ausschlussregeln als solche offensichtlich nicht im Widerspruch zu Art. 2c der Richtlinie 89/665 stehen, kann gleichwohl nicht ausgeschlossen werden, dass ihre Anwendung im Rahmen besonderer Umstände oder hinsichtlich bestimmter Modalitäten zu einem Verstoß gegen die den Einzelnen durch das Unionsrecht verliehenen Rechte führt, insbesondere das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht, das in Art. 47 der Charta verankert ist (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2003, Santex, C‑327/00, EU:C:2003:109, Rn. 57, und vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 55 und 56).

44

So hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass es mit der Richtlinie 89/665 nicht vereinbar ist, dass Ausschlussregelungen des innerstaatlichen Rechts in der Weise angewandt werden, dass einem Bieter der Zugang zu einem Rechtsbehelf gegen eine rechtswidrige Entscheidung versagt wird, obwohl er von dieser Rechtswidrigkeit im Wesentlichen erst nach Ablauf der Ausschlussfrist Kenntnis erlangen konnte (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 27. Februar 2003, Santex, C‑327/00, EU:C:2003:109, Rn. 60, und vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 59 bis 61 und 64).

45

Wie bereits in Rn. 31 des vorliegenden Beschlusses ausgeführt wurde, hat der Gerichtshof auch entschieden, dass wirksame Nachprüfungsmöglichkeiten bei Verstößen gegen die Vorschriften über die Vergabe öffentlicher Aufträge nur gewährleistet werden können, wenn die Fristen für die Einleitung der Nachprüfung erst ab dem Zeitpunkt zu laufen beginnen, zu dem der Antragsteller von dem geltend gemachten Verstoß gegen die genannten Vorschriften Kenntnis erlangt hat oder hätte erlangen müssen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. März 2015, eVigilo, C‑538/13, EU:C:2015:166, Rn. 52 und die dort angeführte Rechtsprechung).

46

Es ist daher Sache des vorlegenden Gerichts, festzustellen, ob die Cooperativa Animazione Valdocco unter den Umständen des Ausgangsverfahrens mit der Bekanntgabe der Entscheidung über die Zulassung der Arbeitsgemeinschaft durch den öffentlichen Auftraggeber gemäß Art. 29 des Gesetzbuchs über öffentliche Aufträge tatsächlich von den Gründen, die sie für die behauptete Rechtswidrigkeit der Entscheidung anführt, nämlich der fehlenden Sicherheitsleistung in der erforderlichen Höhe und dem fehlenden Nachweis, dass die Teilnahmebedingungen erfüllt seien, Kenntnis hatte oder hätte haben können und damit tatsächlich in die Lage versetzt wurde, innerhalb der in Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung vorgesehenen Ausschlussfrist von 30 Tagen Klage zu erheben.

47

Insbesondere hat es sich zu vergewissern, dass unter den Umständen des Ausgangsverfahrens die gemeinsame Anwendung der Bestimmungen von Art. 29 und Art. 53 Abs. 2 und 3 des Gesetzes über öffentliche Aufträge, die den Zugang zu und die Verbreitung von Angebotsunterlagen regeln, für die Cooperativa Animazione Valdocco nicht jegliche Möglichkeit ausschloss, tatsächlich Kenntnis von der von ihr geltend gemachten Rechtswidrigkeit der Entscheidung über die Zulassung der erfolgreichen Arbeitsgemeinschaft zu haben, und ab dem Zeitpunkt, zu dem sie davon Kenntnis erlangte, innerhalb der in Art. 120 Abs. 2bis der Verwaltungsprozessordnung vorgesehenen Ausschlussfrist Klage zu erheben.

48

Weiter ist zu bemerken, dass es Sache des nationalen Gerichts ist, das innerstaatliche Recht, das es anzuwenden hat, im Einklang mit dem Ziel der Richtlinie 89/665 auszulegen. Wenn eine solche Auslegung nicht möglich ist, hat es die der Richtlinie zuwiderlaufenden nationalen Vorschriften unangewendet zu lassen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 62 und 63), da Art. 1 Abs. 1 dieser Richtlinie unbedingt und hinreichend genau ist, um gegenüber einem öffentlichen Auftraggeber geltend gemacht werden zu können (Urteile vom 2. Juni 2005, Koppensteiner, C‑15/04, EU:C:2005:345, Rn. 38, und vom 11. Oktober 2007, Lämmerzahl, C‑241/06, EU:C:2007:597, Rn. 63).

49

Nach alledem ist auf die zweite Frage zu antworten, dass die Richtlinie 89/665 und insbesondere ihre Art. 1 und 2c im Licht von Art. 47 der Charta dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach es, wenn eine Klage gegen die Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung der Beteiligung der Bieter an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung erhoben wird, den Betroffenen nicht mehr möglich ist, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen im Rahmen einer Klage gegen die ihr nachfolgenden Handlungen und insbesondere gegen die Vergabeentscheidungen geltend zu machen, unter dem Vorbehalt, dass eine solche Präklusion den Betroffenen nur dann entgegengehalten werden kann, wenn sie durch die genannte Mitteilung von der Rechtswidrigkeit, die sie geltend machen, Kenntnis genommen haben oder nehmen konnten.

Kosten

50

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

1.

Die Richtlinie 89/665/EWG des Rates vom 21. Dezember 1989 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Anwendung der Nachprüfungsverfahren im Rahmen der Vergabe öffentlicher Liefer- und Bauaufträge in der durch die Richtlinie 2014/23/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Februar 2014 geänderten Fassung und insbesondere ihre Art. 1 und 2c sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach Klagen gegen Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung oder Ablehnung der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung an die Betroffenen zu erheben sind, vorausgesetzt, dass die insoweit mitgeteilten Entscheidungen eine Darlegung der maßgeblichen Gründe enthalten, durch die gewährleistet ist, dass die Betroffenen von dem Verstoß gegen das Unionsrecht, den sie geltend machen, Kenntnis genommen haben oder nehmen konnten.

 

2.

Die Richtlinie 89/665 in der durch die Richtlinie 2014/23 geänderten Fassung und insbesondere ihre Art. 1 und 2c sind im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen nicht entgegenstehen, wonach es, wenn eine Klage gegen die Entscheidungen von öffentlichen Auftraggebern über die Zulassung der Beteiligung der Bieter an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Aufträge nicht innerhalb einer Ausschlussfrist von 30 Tagen ab ihrer Mitteilung erhoben wird, den Betroffenen nicht mehr möglich ist, die Rechtswidrigkeit dieser Entscheidungen im Rahmen einer Klage gegen die ihr nachfolgenden Handlungen und insbesondere gegen die Vergabeentscheidungen geltend zu machen, unter dem Vorbehalt, dass eine solche Präklusion den Betroffenen nur dann entgegengehalten werden kann, wenn sie durch die genannte Mitteilung von der Rechtswidrigkeit, die sie geltend machen, Kenntnis genommen haben oder nehmen konnten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Italienisch.