URTEIL DES GERICHTSHOFS (Fünfte Kammer)

11. Juni 2020 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Geistiges und gewerbliches Eigentum – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 bis 5 – Anwendungsbereich – Gebrauchsgegenstand – Begriff ‚Werk‘ – Urheberrechtlicher Schutz von Werken – Voraussetzungen – Zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderliche Form eines Erzeugnisses – Faltrad“

In der Rechtssache C‑833/18

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal de l’entreprise de Liège (Unternehmensgericht Lüttich, Belgien) mit Entscheidung vom 18. Dezember 2018, beim Gerichtshof eingegangen am 31. Dezember 2018, in dem Verfahren

SI,

Brompton Bicycle Ltd

gegen

Chedech/Get2Get

erlässt

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter I. Jarukaitis, E. Juhász (Berichterstatter), M. Ilešič und C. Lycourgos,

Generalanwalt: M. Campos Sánchez-Bordona,

Kanzler: M. Longar, Verwaltungsrat,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 14. November 2019,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

von SI und der Brompton Bicycle Ltd, vertreten durch B. Van Asbroeck, G. de Villegas und A. Schockaert, avocats,

von Chedech/Get2Get, vertreten durch A. Marín Melgar, abogado,

der belgischen Regierung, vertreten durch M. Jacobs, C. Pochet und J.‑C. Halleux als Bevollmächtigte,

der polnischen Regierung, vertreten durch B. Majczyna als Bevollmächtigten,

der Europäischen Kommission, vertreten durch É. Gippini Fournier und J. Samnadda als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. Februar 2020

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft (ABl. 2001, L 167, S. 10).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen SI und der Brompton Bicycle Ltd (im Folgenden: Brompton) auf der einen Seite und Chedech/Get2Get (im Folgenden: Get2Get) auf der anderen Seite betreffend eine gegen Get2Get eingereichte Klage wegen Urheberrechtsverletzung.

Rechtlicher Rahmen

Internationales Recht

Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst

3

Art. 2 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (Pariser Fassung vom 24. Juli 1971) in der am 28. September 1979 geänderten Fassung (im Folgenden: Berner Übereinkunft) sieht in den Abs. 1 und 7 vor:

„1)   Die Bezeichnung ‚Werke der Literatur und Kunst‘ umfasst alle Erzeugnisse auf dem Gebiet der Literatur, Wissenschaft und Kunst, ohne Rücksicht auf die Art und Form des Ausdrucks, wie: … Werke der zeichnenden Kunst; … Werke der angewandten Kunst …

7)   … bleibt der Gesetzgebung der [Länder des Verbandes für den mit der Berner Übereinkunft eingeführten Schutz der Rechte der Urheber an ihren Werken der Literatur und Kunst – Verbandsländer] vorbehalten, den Anwendungsbereich der Gesetze, die die Werke der angewandten Kunst und die gewerblichen Muster und Modelle betreffen, sowie die Voraussetzungen des Schutzes dieser Werke, Muster und Modelle festzulegen. Für Werke, die im Ursprungsland nur als Muster und Modelle geschützt werden, kann in einem anderen Verbandsland nur der besondere Schutz beansprucht werden, der in diesem Land den Mustern und Modellen gewährt wird, wird jedoch in diesem Land kein solcher besonderer Schutz gewährt, so sind diese Werke als Werke der Kunst zu schützen.“

WIPO-Urheberrechtsvertrag

4

Die Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) nahm am 20. Dezember 1996 in Genf den WIPO-Urheberrechtsvertrag an, der mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt wurde und am 14. März 2010 für die Europäische Union in Kraft trat (ABl. 2010, L 32, S. 1).

5

Art. 1 („Verhältnis zur Berner Übereinkunft“) des WIPO-Urheberrechtsvertrags sieht in Abs. 4 vor:

„Die Vertragsparteien kommen den Artikeln 1 bis 21 und dem Anhang der Berner Übereinkunft nach.“

6

Art. 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags bestimmt:

„Der Urheberrechtsschutz erstreckt sich auf Ausdrucksformen und nicht auf Gedanken, Verfahren, Methoden oder mathematische Konzepte als solche.“

Unionsrecht

Richtlinie 2001/29

7

In den Art. 2 bis 5 der Richtlinie 2001/29 werden die ausschließlichen Rechte der Urheber in Bezug auf die Vervielfältigung, die Wiedergabe und die Verbreitung ihrer Werke festgelegt.

8

In Art. 9 („Weitere Anwendung anderer Rechtsvorschriften“) heißt es:

„Diese Richtlinie lässt andere Rechtsvorschriften insbesondere in folgenden Bereichen unberührt: Patentrechte, Marken, Musterrechte, Gebrauchsmuster …“

Verordnung (EG) Nr. 6/2002

9

Art. 8 der Verordnung (EG) Nr. 6/2002 des Rates vom 12. Dezember 2001 über das Gemeinschaftsgeschmacksmuster (ABl. 2002, L 3, S. 1), der mit „Durch ihre technische Funktion bedingte Geschmacksmuster und Geschmacksmuster von Verbindungselementen“ überschrieben ist, sieht in Abs. 1 vor:

„Ein [Unions‑]geschmacksmuster besteht nicht an Erscheinungsmerkmalen eines Erzeugnisses, die ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt sind.“

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

10

Brompton, eine Gesellschaft englischen Rechts, deren Gründer SI ist, vermarktet ein Faltrad, das in seiner derzeitigen Form seit dem Jahr 1987 verkauft wird (im Folgenden: Brompton-Fahrrad).

11

Das Brompton-Fahrrad, dessen Merkmal darin besteht, drei unterschiedliche Positionen einnehmen zu können (eine gefaltete Position, eine entfaltete Position und eine Zwischenposition, die es dem Fahrrad ermöglicht, auf dem Boden im Gleichgewicht zu bleiben), war durch ein inzwischen abgelaufenes Patent geschützt.

12

Get2Get ihrerseits vermarktet ein Fahrrad (im Folgenden: Chedech-Fahrrad), das dem Brompton-Fahrrad sehr ähnlich sieht und die drei in der vorstehenden Randnummer angeführten Positionen einnehmen kann.

13

Am 21. November 2017 riefen SI und Brompton das Tribunal de l’entreprise de Liège (Unternehmensgericht Lüttich, Belgien) an und begehrten, festzustellen, dass die Chedech-Fahrräder das Urheberrecht von Bromtpon und die Urheberpersönlichkeitsrechte von SI verletzten, und folglich anzuordnen, dass Get2Get ihre die Rechte von SI und Brompton verletzenden Tätigkeiten zu unterlassen und das Erzeugnis aus allen Verkaufsstellen zurückzurufen habe.

14

Get2Get wandte ein, dass das Erscheinungsbild des Chedech-Fahrrads durch die begehrte technische Lösung bedingt sei, die darin bestehe, sicherzustellen, dass dieses Fahrrad drei unterschiedliche Positionen einnehmen könne. Vor diesem Hintergrund sei dieses Erscheinungsbild nur patentrechtlich und nicht urheberrechtlich geschützt.

15

Die Kläger des Ausgangsverfahrens erwiderten, dass die drei Positionen des Brompton-Fahrrads durch andere Formen als die, die diesem Fahrrad von seinem Schöpfer zugedacht worden seien, erreicht werden könnten, so dass die Form des Brompton-Fahrrads urheberrechtlich geschützt werden könne.

16

Das Tribunal de l’entreprise de Liège (Unternehmensgericht Lüttich, Belgien) weist darauf hin, dass nach belgischem Recht jede Schöpfung, die sich in einer besonderen Form ausdrücke und eigenständig sei, urheberrechtlich geschützt sei, was bedeute, dass ein Gebrauchsgegenstand wie ein Fahrrad urheberrechtlich geschützt sein könne. Zwar seien die Formen, die durch die Erlangung eines technischen Ergebnisses bedingt seien, vom Urheberrechtsschutz ausgeschlossen, doch bestünden Zweifel, wenn dieses Ergebnis mit Hilfe anderer Formen erreicht werden könne.

17

Im Urteil vom 8. März 2018, DOCERAM (C‑395/16, EU:C:2018:172), das im Bereich des Geschmacksmusterrechts ergangen sei, habe der Gerichtshof Art. 8 Abs. 1 der Verordnung Nr. 6/2002 dahin ausgelegt, dass für die Beurteilung, ob Erscheinungsmerkmale eines Erzeugnisses ausschließlich durch dessen technische Funktion bedingt seien, zu ermitteln sei, ob diese Funktion der einzige diese Merkmale bestimmende Faktor sei. Das Bestehen alternativer Geschmacksmuster sei insoweit nicht ausschlaggebend.

18

Daher sei fraglich, ob man nicht im Bereich des Urheberrechts zu einer ähnlichen Lösung gelangen müsse, wenn das Erscheinungsbild des Erzeugnisses, für das gemäß der Richtlinie 2001/29 urheberrechtlicher Schutz begehrt werde, zur Erreichung einer genauen technischen Wirkung erforderlich sei.

19

Unter diesen Umständen hat das Tribunal de l’entreprise de Liège (Unternehmensgericht Lüttich, Belgien) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Sind das Unionsrecht und insbesondere die Richtlinie 2001/29, die u. a. in ihren Art. 2 bis 5 die verschiedenen ausschließlichen Rechte festlegt, die Inhabern des Urheberrechts zuerkannt werden, dahin auszulegen, dass Werke, deren Form zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, vom urheberrechtlichen Schutz ausgenommen sind?

2.

Sind bei der Beurteilung, ob eine Form zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, die folgenden Kriterien zu berücksichtigen:

das Vorliegen anderer möglicher Formen, mit denen das gleiche technische Ergebnis erreicht werden kann,

die Wirksamkeit der Form zur Erreichung dieses Ergebnisses,

der Wille des angeblichen Rechtsverletzers, dieses Ergebnis zu erreichen,

das Vorhandensein eines früheren und inzwischen ausgelaufenen Patents für das Verfahren, mit dem das begehrte technische Ergebnis erreicht werden kann?

Zu den Vorlagefragen

20

Mit seinen beiden Fragen, die gemeinsam zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 2 bis 5 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen sind, dass der in diesen Artikeln vorgesehene Urheberrechtsschutz auf ein Erzeugnis Anwendung findet, dessen Form, zumindest teilweise, zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist.

21

Gemäß den Art. 2 bis 5 der Richtlinie 2001/29 sind Urheber davor geschützt, dass ihre Werke ohne ihre Zustimmung vervielfältigt, öffentlich wiedergegeben und öffentlich verbreitet werden.

22

Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs hat der Begriff „Werk“ zwei Bestandteile. Zum einen muss es sich um ein Original handeln, das eine eigene geistige Schöpfung seines Urhebers ist, und zum anderen muss eine solche Schöpfung zum Ausdruck gebracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, Cofemel, C‑683/17, EU:C:2019:721, Rn. 29 und 32 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

23

Was den ersten Bestandteil angeht, kann nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs ein Gegenstand erst bzw. bereits dann als Original angesehen werden, wenn er die Persönlichkeit seines Urhebers widerspiegelt, indem er dessen freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt (Urteil vom 12. September 2019, Cofemel, C‑683/17, EU:C:2019:721, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung dann, wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen Raum gelassen haben, nicht davon ausgegangen werden kann, dass dieser Gegenstand die für die Einstufung als Werk erforderliche Originalität aufweist und folglich urheberrechtlich geschützt werden kann (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. September 2019, Cofemel, C‑683/17, EU:C:2019:721, Rn. 31 und die dort angeführte Rechtsprechung).

25

Hinsichtlich des zweiten in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Bestandteils hat der Gerichtshof klargestellt, dass der Begriff „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 zwangsläufig einen mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbaren Gegenstand voraussetzt (Urteil vom 12. September 2019, Cofemel, C‑683/17, EU:C:2019:721, Rn. 32 und die dort angeführte Rechtsprechung).

26

Daraus ergibt sich, dass ein Gegenstand, der der Voraussetzung der Originalität genügt, auch dann urheberrechtlich geschützt sein kann, wenn seine Schaffung durch technische Erwägungen bestimmt wurde, sofern dies seinen Urheber nicht daran hindert, seine Persönlichkeit in diesem Gegenstand widerzuspiegeln, indem er freie kreative Entscheidungen zum Ausdruck bringt.

27

Insoweit ist hervorzuheben, dass das Kriterium der Originalität nicht von den Komponenten eines Gegenstands erfüllt werden kann, die nur von ihrer technischen Funktion gekennzeichnet sind, da sich u. a. aus Art. 2 des WIPO-Urheberrechtsvertrags ergibt, dass sich der Urheberrechtsschutz nicht auf Gedanken erstreckt. Gedanken bzw. Ideen urheberrechtlich zu schützen, liefe nämlich darauf hinaus, zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung Ideen zu monopolisieren (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Mai 2012, SAS Institute, C‑406/10, EU:C:2012:259, Rn. 33 und 40). Ist der Ausdruck dieser Komponenten jedoch durch ihre technische Form vorgegeben, sind die verschiedenen Möglichkeiten der Umsetzung einer Idee so beschränkt, dass Idee und Ausdruck zusammenfallen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Dezember 2010, Bezpečnostní softwarová asociace, C‑393/09, EU:C:2010:816, Rn. 48 und 49).

28

Somit ist zu untersuchen, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Faltrad ein Werk darstellen kann, das den von der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Schutz genießt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass die Fragen des vorlegenden Gerichts nicht den zweiten in Rn. 22 des vorliegenden Urteils genannten Bestandteil betreffen, da dieses Fahrrad mit hinreichender Genauigkeit und Objektivität identifizierbar erscheint, sondern den ersten Bestandteil.

29

Im vorliegenden Fall ist die Form, die dieses Fahrrad aufweist, zwar offensichtlich zur Erreichung eines genauen technischen Ergebnisses erforderlich, nämlich der Eignung dieses Fahrrads, drei Positionen einzunehmen, von denen eine es ermöglicht, das Fahrrad auf dem Boden im Gleichgewicht zu halten.

30

Gleichwohl ist es Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu untersuchen, ob dieses Fahrrad trotz dieses Umstands ein aus einer geistigen Schöpfung entspringendes Originalwerk darstellt.

31

Wie in den Rn. 24, 26 und 27 des vorliegenden Urteils ausgeführt wurde, ist dies nicht der Fall, wenn die Schaffung eines Gegenstands durch technische Erwägungen, durch Regeln oder durch andere Zwänge bestimmt wurde, die der Ausübung künstlerischer Freiheit keinen oder nur einen so beschränkten Raum gelassen haben, dass die Idee und ihr Ausdruck zusammenfallen.

32

Auch wenn hinsichtlich der Form eines Gegenstands eine Wahlmöglichkeit besteht, kann nicht die Schlussfolgerung gezogen werden, dass dieser Gegenstand zwangsläufig unter den Begriff „Werk“ im Sinne der Richtlinie 2001/29 fällt. Um zu bestimmen, ob dies tatsächlich der Fall ist, obliegt es dem vorlegenden Gericht, zu prüfen, ob die in den Rn. 22 bis 27 des vorliegenden Urteils genannten Voraussetzungen erfüllt sind.

33

Ist die Form des Erzeugnisses ausschließlich durch seine technische Funktion bedingt, wäre dieses Erzeugnis nicht nach dem Urheberrecht schutzfähig.

34

Folglich ist es, um festzustellen, ob das betroffene Erzeugnis nach dem Urheberrecht schutzfähig ist, Aufgabe des vorlegenden Gerichts, zu bestimmen, ob der Urheber des Erzeugnisses mit der Wahl von dessen Form seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck gebracht hat, indem er freie und kreative Entscheidungen getroffen und das Erzeugnis dahin gehend gestaltet hat, dass es seine Persönlichkeit widerspiegelt.

35

In diesem Kontext, und da bloß die Originalität des betroffenen Erzeugnisses zu beurteilen ist, lässt die Existenz anderer möglicher Formen, mit denen das gleiche technische Ergebnis erreicht werden kann, zwar darauf schließen, dass eine Wahlmöglichkeit besteht, ist aber für die Beurteilung der Frage, von welchen Faktoren sich der Schöpfer in seiner Wahl leiten hat lassen, nicht ausschlaggebend. Auch kommt es im Rahmen dieser Beurteilung nicht auf den Willen des angeblichen Rechtsverletzers an.

36

Das Vorhandensein eines früheren und inzwischen ausgelaufenen Patents in der Ausgangsrechtssache sowie die Wirksamkeit der Form zur Erreichung des gleichen technischen Ergebnisses wären nur dann zu berücksichtigen, wenn es möglich wäre, aufgrund dieser Aspekte die Erwägungen zu Tage zu fördern, die bei der Wahl der Form des betreffenden Erzeugnisses berücksichtigt wurden.

37

In jedem Fall ist es für die Beurteilung der Frage, ob das im Ausgangsverfahren in Rede stehende Faltrad eine eigenständige Schöpfung und somit urheberrechtlich geschützt ist, Aufgabe des vorlegenden Gerichts, alle einschlägigen Aspekte des vorliegenden Falles zu berücksichtigen, wie sie bei der Ausgestaltung dieses Gegenstands vorlagen, und zwar unabhängig von äußeren und nach der Schaffung des Erzeugnisses aufgetretenen Faktoren.

38

Folglich ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass die Art. 2 bis 5 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen sind, dass der in diesen Artikeln vorgesehene Urheberrechtsschutz auf ein Erzeugnis Anwendung findet, dessen Form, zumindest teilweise, zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, wenn es sich bei diesem Erzeugnis um ein aus einer geistigen Schöpfung entspringendes Originalwerk handelt, weil der Urheber des Werkes mit der Wahl der Form des Erzeugnisses seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck bringt, indem er freie und kreative Entscheidungen trifft, so dass diese Form seine Persönlichkeit widerspiegelt. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller einschlägigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob dies der Fall ist.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Fünfte Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Art. 2 bis 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind dahin auszulegen, dass der in diesen Artikeln vorgesehene Urheberrechtsschutz auf ein Erzeugnis Anwendung findet, dessen Form, zumindest teilweise, zur Erreichung eines technischen Ergebnisses erforderlich ist, wenn es sich bei diesem Erzeugnis um ein aus einer geistigen Schöpfung entspringendes Originalwerk handelt, weil der Urheber des Werkes mit der Wahl der Form des Erzeugnisses seine schöpferische Fähigkeit in eigenständiger Weise zum Ausdruck bringt, indem er freie und kreative Entscheidungen trifft, so dass diese Form seine Persönlichkeit widerspiegelt. Es ist Aufgabe des nationalen Gerichts, unter Berücksichtigung aller einschlägigen Aspekte des Ausgangsrechtsstreits zu prüfen, ob dies der Fall ist.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.