URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

4. Juni 2020 ( *1 )

„Rechtsmittel – Staatliche Beihilfen – Mutmaßliche Beihilfen – Beschluss, das Verfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV einzuleiten – Anordnung der Aussetzung der fraglichen Maßnahmen – Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen der Anordnung“

In der Rechtssache C‑456/18 P

betreffend ein Rechtsmittel nach Art. 56 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union, eingelegt am 12. Juli 2018,

Ungarn, vertreten durch M. Z. Fehér und G. Koós als Bevollmächtigte,

Rechtsmittelführer,

unterstützt durch:

Republik Polen, vertreten durch B. Majczyna, M. Rzotkiewicz und A. Kramarczyk als Bevollmächtigte,

Streithelferin im Rechtsmittelverfahren,

andere Verfahrensbeteiligte:

Europäische Kommission, vertreten durch L. Flynn, P.‑J. Loewenthal, V. Bottka und K. Talabér-Ritz als Bevollmächtigte,

Beklagte im ersten Rechtszug,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J.‑C. Bonichot (Berichterstatter), der Vizepräsidentin des Gerichtshofs R. Silva de Lapuerta in Wahrnehmung der Aufgaben eines Richters der Ersten Kammer, des Richters M. Safjan und der Richterinnen L. S. Rossi und C. Toader,

Generalanwältin: J. Kokott,

Kanzler: R. Şereş, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 2019,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 16. Januar 2020

folgendes

Urteil

1

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Ungarn die Aufhebung des Urteils des Gerichts der Europäischen Union vom 25. April 2018, Ungarn/Kommission (T‑554/15 und T‑555/15, im Folgenden: angefochtenes Urteil, EU:T:2018:220), mit dem seine Klagen abgewiesen wurden. Diese waren darauf gerichtet, den Beschluss C(2015) 4805 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA. 41187 (2015/NN) – Ungarn – Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie (ABl. 2015, C 277, S. 24) und den Beschluss C(2015) 4808 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA. 40018 (2015/C) (ex 2014/NN) – 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette (ABl. 2015, C 277, S. 12) (im Folgenden: streitige Beschlüsse) für nichtig zu erklären, soweit darin angeordnet wird, die Anwendung des progressiven Abgabensatzes für den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie bzw. die Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette, wie sie im Gesetz Nr. XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie und in der Änderung von 2014 des Gesetzes Nr. XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung geregelt sind, auszusetzen.

Rechtlicher Rahmen

2

Der zwölfte Erwägungsgrund der Verordnung (EG) Nr. 659/1999 des Rates vom 22. März 1999 über besondere Vorschriften für die Anwendung von Artikel [108 AEUV] (ABl. 1999, L 83, S. 1) in der durch die Verordnung (EU) Nr. 734/2013 des Rates vom 22. Juli 2013 (ABl. 2013, L 204, S. 15) geänderten Fassung (im Folgenden: Verordnung Nr. 659/1999) lautet:

„Bei rechtswidrigen Beihilfen sollte die Kommission das Recht haben, alle für ihre Entscheidung sachdienlichen Auskünfte einzuholen und gegebenenfalls sofort den unverfälschten Wettbewerb wiederherzustellen. Daher ist es angezeigt, dass sie gegenüber dem betreffenden Mitgliedstaat einstweilige Maßnahmen erlassen kann. Bei diesen einstweiligen Maßnahmen kann es sich um Anordnungen zur Auskunftserteilung sowie zur Aussetzung oder Rückforderung einer Beihilfe handeln. Die Kommission sollte bei Nichtbefolgung einer Anordnung zur Auskunftserteilung ihre Entscheidung auf die ihr vorliegenden Informationen stützen und bei Nichtbefolgung einer Aussetzungs- oder Rückforderungsanordnung den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften nach Artikel [108 Abs. 2 Unterabs. 2 AEUV] unmittelbar anrufen können.“

3

Art. 3 („Durchführungsverbot“) dieser Verordnung bestimmt:

„Anmeldungspflichtige Beihilfen nach Artikel 2 Absatz 1 dürfen nicht eingeführt werden, bevor die Kommission eine diesbezügliche Genehmigungsentscheidung erlassen hat oder die Beihilfe als genehmigt gilt.“

4

Art. 4 („Vorläufige Prüfung der Anmeldung und Entscheidungen der Kommission“) der Verordnung sieht vor:

„(1)   Die Kommission prüft die Anmeldung unmittelbar nach deren Eingang. Unbeschadet des Artikels 8 erlässt die Kommission eine Entscheidung nach den Absätzen 2, 3 oder 4.

(2)   Gelangt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung zu dem Schluss, dass die angemeldete Maßnahme keine Beihilfe darstellt, so stellt sie dies durch Entscheidung fest.

(3)   Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme, insoweit sie in den Anwendungsbereich des Artikels [107 Absatz 1 AEUV] fällt, keinen Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem [Binnenm]arkt gibt, so entscheidet sie, dass die Maßnahme mit dem [Binnenm]arkt vereinbar ist (nachstehend ‚Entscheidung, keine Einwände zu erheben‘ genannt). In der Entscheidung wird angeführt, welche Ausnahmevorschrift des Vertrags zur Anwendung gelangt ist.

(4)   Stellt die Kommission nach einer vorläufigen Prüfung fest, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem [Binnenm]arkt gibt, so entscheidet sie, das Verfahren nach Artikel [108 Absatz 2 AEUV] zu eröffnen (nachstehend ‚Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens‘ genannt).

…“

5

Kapitel III („Verfahren bei rechtswidrigen Beihilfen“) der Verordnung Nr. 659/1999 enthält die Art. 10 bis 14. Art. 10 der Verordnung bestimmt:

„(1)   Unbeschadet des Artikels 20 kann die Kommission von Amts wegen Auskünfte über mutmaßliche rechtswidrige Beihilfen prüfen, ungeachtet der Herkunft dieser Auskünfte.

(2)   Falls erforderlich verlangt die Kommission von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte. …“

6

Art. 11 („Anordnung zur Aussetzung oder einstweiligen Rückforderung der Beihilfe“) der Verordnung sieht vor:

„(1)   Die Kommission kann, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine Entscheidung erlassen, mit der dem Mitgliedstaat aufgegeben wird, alle rechtswidrigen Beihilfen so lange auszusetzen, bis die Kommission eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem [Binnenm]arkt erlassen hat (nachstehend ‚Aussetzungsanordnung‘ genannt).

(2)   Die Kommission kann, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine Entscheidung erlassen, mit der dem Mitgliedstaat aufgegeben wird, alle rechtswidrigen Beihilfen einstweilig zurückzufordern, bis die Kommission eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem [Binnenm]arkt erlassen hat (nachstehend ‚Rückforderungsanordnung‘ genannt), sofern folgende Kriterien erfüllt sind:

Nach geltender Praxis bestehen hinsichtlich des Beihilfecharakters der betreffenden Maßnahme keinerlei Zweifel, und

ein Tätigwerden ist dringend geboten, und

ein erheblicher und nicht wiedergutzumachender Schaden für einen Konkurrenten ist ernsthaft zu befürchten.

Die Rückforderung erfolgt nach dem Verfahren des Artikels 14 Absätze 2 und 3. Nachdem die Beihilfe wieder eingezogen worden ist, erlässt die Kommission eine Entscheidung innerhalb der für angemeldete Beihilfen geltenden Fristen.

Die Kommission kann den Mitgliedstaat ermächtigen, die Rückerstattung der Beihilfe mit der Zahlung einer Rettungsbeihilfe an das betreffende Unternehmen zu verbinden.

Dieser Absatz gilt nur für die nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung gewährten rechtswidrigen Beihilfen.“

7

In Art. 12 („Nichtbefolgung einer Anordnung“) der Verordnung heißt es:

„Kommt der betreffende Mitgliedstaat einer Aussetzungs- oder Rückforderungsanordnung nicht nach, so kann die Kommission die Prüfung aufgrund der ihr vorliegenden Informationen fortsetzen sowie den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften unmittelbar mit der Angelegenheit befassen und um die Feststellung ersuchen, dass die Nichtbefolgung der Anordnung einen Verstoß gegen den Vertrag darstellt.“

8

Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sieht vor:

„Nach Prüfung einer etwaigen rechtswidrigen Beihilfe ergeht eine Entscheidung nach Artikel 4 Absätze 2, 3 oder 4. Bei Entscheidungen zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens wird das Verfahren durch eine Entscheidung nach Artikel 7 abgeschlossen. Bei Nichtbefolgung der Anordnung zur Auskunftserteilung wird die Entscheidung auf der Grundlage der verfügbaren Informationen erlassen.“

Vorgeschichte des Rechtsstreits

9

Mit dem Gesetz Nr. XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie führte das ungarische Parlament eine neue Steuer ein, die gemäß einem progressiven Steuersatz auf den Jahresumsatz von Unternehmen erhoben wird, die mindestens 50 % ihres Umsatzes mit der Herstellung von oder dem Handel mit Tabakwaren erzielen. Außerdem führte es mit der Änderung von 2014 des Gesetzes Nr. XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung einen progressiven Satz für die Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette ein, die auf den Umsatz von Geschäften erhoben wird, die Waren des täglichen Bedarfs verkaufen.

10

Mit Schreiben vom 17. März und vom 13. April 2015 teilte die Kommission den ungarischen Behörden mit, dass der progressive Satz für die Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette einerseits und der progressive Satz für den Gesundheitsbeitrag und die Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen andererseits ihrer Ansicht nach zu einer unterschiedlichen Behandlung von Unternehmen führten, die sich in einer vergleichbaren Lage befänden. Daher könne davon ausgegangen werden, dass damit Beihilfen eingeführt würden, die mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien. In beiden Schreiben wies die Kommission auf die Möglichkeit hin, gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 eine Aussetzungsanordnung an Ungarn zu richten, und forderte Ungarn auf, zum etwaigen Erlass einer solchen Anordnung Stellung zu nehmen. Mit Schreiben vom 16. April und vom 12. Mai 2015 antworteten die ungarischen Behörden, dass die betreffenden Maßnahmen ihres Erachtens keine staatlichen Beihilfen seien.

11

Mit den streitigen Beschlüssen leitete die Kommission in beiden Sachen ein förmliches Prüfverfahren nach Art. 108 Abs. 2 AEUV ein und forderte Ungarn gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 auf, die Durchführung der in Rede stehenden abgaberechtlichen Maßnahmen auszusetzen.

12

Am 4. Juli 2016 erließ die Kommission zwei die förmlichen Prüfverfahren abschließende Beschlüsse, in denen sie feststellte, dass die angefochtenen Maßnahmen rechtswidrig und mit dem Binnenmarkt unvereinbar seien.

Verfahren vor dem Gericht und angefochtenes Urteil

13

Mit Klageschriften, die am 25. September 2015 bei der Kanzlei des Gerichts eingingen, erhob Ungarn Klage gegen die streitigen Beschlüsse, soweit darin die Aussetzung der Anwendung des progressiven Abgabensatzes für den Gesundheitsbeitrag bzw. die Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette sowie die Aussetzung der Ermäßigung des Gesundheitsbeitrags im Fall von Investitionen angeordnet wird.

14

Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht diese Klagen abgewiesen.

Verfahren vor dem Gerichtshof und Anträge der Parteien

15

Mit seinem Rechtsmittel beantragt Ungarn, das angefochtene Urteil aufzuheben, seinen im ersten Rechtszug gestellten Anträgen stattzugeben und der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

16

Mit Beschluss des Präsidenten des Gerichtshofs vom 15. Oktober 2018 ist die Republik Polen als Streithelferin zur Unterstützung von Ungarn zugelassen worden.

17

Die Kommission beantragt, das Rechtsmittel zurückzuweisen, Ungarn die Kosten aufzuerlegen und der Republik Polen die Kosten des Streitbeitritts aufzuerlegen.

Zum Rechtsmittel

Zur Zulässigkeit des Rechtsmittels

18

Die Kommission erhebt eine Unzulässigkeitseinrede, die sie damit begründet, dass die ungarische Regierung die Rechtsmittelgründe, auf die sie sich stütze, nicht klar und eindeutig darlege, nicht alle beanstandeten Punkte des angefochtenen Urteils genau angebe, sich weitgehend darauf beschränke, die bereits im ersten Rechtszug vorgebrachten und vom Gericht zurückgewiesenen Gründe und Argumente zu wiederholen, insbesondere die Begründung der streitigen Beschlüsse der Kommission statt die Begründung des angefochtenen Urteils beanstande und in Wirklichkeit eine erneute Prüfung der vom Gericht abgewiesenen Klagen begehre. Das Rechtsmittel genüge daher nicht den Vorgaben von Art. 256 AEUV in Verbindung mit Art. 58 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union und Art. 169 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs.

19

Hierzu ist festzustellen, dass das Vorbringen der Kommission keine Angaben enthält, anhand deren sich seine Stichhaltigkeit beurteilen ließe. Zudem macht Ungarn, anders als die Kommission vorträgt, insbesondere Rechtsmittelgründe geltend, mit denen es Rechtsfehler des Gerichts zum einen hinsichtlich des Ermessens der Kommission beim Erlass von Aussetzungsanordnungen und zum anderen hinsichtlich der Pflicht der Kommission zur Begründung dieser Anordnungen rügt.

20

Daher ist die von der Kommission gegen das Rechtsmittel erhobene Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen.

Zur Zulässigkeit der Streithilfegründe

Vorbringen der Parteien

21

Die Kommission macht geltend, dass der zweite Streithilfegrund der Republik Polen, der zwar an den zweiten Rechtsmittelgrund Ungarns anknüpfe, aber andere Stellen des angefochtenen Urteils beanstande, sowie der dritte Streithilfegrund der Republik Polen, der keinen Rechtsmittelgrund aufgreife, den Streitgegenstand änderten und daher unzulässig seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

22

Nach Art. 40 Abs. 4 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union können mit den aufgrund des Beitritts gestellten Anträgen nur die Anträge einer Partei unterstützt werden. Gemäß Art. 132 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 190 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, muss der Streithilfeschriftsatz die vom Streithelfer geltend gemachten Gründe und Argumente enthalten.

23

Diese Vorschriften verwehren es einem Streithelfer somit nicht, andere Argumente vorzubringen als die von ihm unterstützte Partei, solange er damit die Unterstützung der Anträge dieser Partei oder die Abweisung der Anträge der Gegenpartei bezweckt (Urteile vom 23. Februar 1961, De Gezamenlijke Steenkolenmijnen in Limburg/Hohe Behörde, 30/59, EU:C:1961:2, S. 41, und vom 19. November 1998, Vereinigtes Königreich/Rat, C‑150/94, EU:C:1998:547, Rn. 36).

24

Die zur Unterstützung der Anträge Ungarns vorgebrachten Gründe der Republik Polen können folglich nicht deshalb als unzulässig angesehen werden, weil sie den zweiten Rechtsmittelgrund ergänzen, indem sie andere Stellen des angefochtenen Urteils beanstanden, und ein nicht in der Rechtsmittelschrift angeführtes Argument enthalten.

25

Die von der Kommission gegen die Streithilfe der Republik Polen erhobene Einrede der teilweisen Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

Zur Begründetheit

26

Ungarn stützt sein Rechtsmittel auf drei Rechtsmittelgründe, mit denen es rügt, das Gericht habe erstens die Voraussetzungen für den Erlass von Aussetzungsanordnungen nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 falsch ausgelegt, zweitens einige seiner Argumente verfälscht sowie drittens gegen die Begründungspflicht verstoßen und Art. 296 AEUV und Art. 41 Abs. 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union falsch angewandt.

Zum vierten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

27

Nach Auffassung der ungarischen Regierung hat das Gericht verkannt, dass eine Aussetzungsanordnung mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts in Einklang stehen müsse. Zwar habe das Gericht in Rn. 86 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass „sich die Kontrolle durch den Unionsrichter … nicht auf die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen [beschränkt] und … sich insbesondere auf die Vereinbarkeit der Aussetzungsanordnung mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen erstrecken [kann]“. In den Rn. 70 und 71 des Urteils habe es die Voraussetzungen für den Erlass einer Aussetzungsanordnung jedoch auf die beiden in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen beschränkt. Auch in Rn. 87 des Urteils habe es seine Prüfung auf diese Vorschrift beschränkt. Derselbe Rechtsfehler sei dem Gericht in den Rn. 95 und 134 des angefochtenen Urteils unterlaufen, als es befunden habe, dass die Kommission bei Anordnung der Aussetzung einer Maßnahme nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 nicht verpflichtet sei, sich zu vergewissern, dass die Anordnung erforderlich und verhältnismäßig sei.

28

Die Kommission trägt dagegen vor, dass keine Inkohärenz zwischen den Rn. 71 und 95 des angefochtenen Urteils auf der einen und den Rn. 86 und 98 dieses Urteils auf der anderen Seite bestehe. Die Rn. 86 und 98 müssten nämlich unter Berücksichtigung der Rn. 130 und 134 ausgelegt werden, wonach die Zweckmäßigkeit des Erlasses einer Aussetzungsanordnung sich aus dem Vorliegen eines erwiesenen Verstoßes gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV ergebe und daher keiner weiteren Begründung bedürfe. Das in Art. 108 Abs. 3 AEUV vorgesehene Verbot gelte nämlich, bevor die Kommission überhaupt eine Entscheidung zur Eröffnung eines förmlichen Prüfverfahrens erlasse. Wenn ein Mitgliedstaat eine Beihilfemaßnahme durchführe, ohne sie bei der Kommission angemeldet zu haben, liege ein Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV vor. Die Einstufung der fraglichen nationalen Maßnahme als rechtswidrige staatliche Beihilfe stelle die materiell-rechtliche Voraussetzung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 dar. Es sei daher inkonsequent, dass das Gericht in den Rn. 135 bis 137 des angefochtenen Urteils entschieden habe, dass die Kommission in der Aussetzungsanordnung darlegen müsse, warum sie es für unwahrscheinlich halte, dass der Mitgliedstaat sich an dieses Verbot halten werde.

29

Angesichts dieses Widerspruchs ersucht die Kommission den Gerichtshof, die in den Rn. 135 bis 137 des angefochtenen Urteils angeführte Begründung zu ersetzen, damit sie mit den Ausführungen in den Rn. 70, 71, 130 und 134 des Urteils in Einklang stehe.

– Würdigung durch den Gerichtshof

30

Art. 108 Abs. 3 AEUV verpflichtet die Mitgliedstaaten, die Kommission von jeder beabsichtigten Einführung oder Umgestaltung von Beihilfen zu unterrichten. Nach Art. 109 AEUV kann der Rat der Europäischen Union u. a. die Bedingungen für die Anwendung von Art. 108 Abs. 3 AEUV festlegen. Auf dieser Grundlage erließ der Rat die Verordnung Nr. 659/1999.

31

Setzt der betreffende Mitgliedstaat die Durchführung der fraglichen Maßnahme nicht aus, um damit der Verpflichtung aus Art. 108 Abs. 3 Satz 3 AEUV und Art. 3 der Verordnung Nr. 659/1999 nachzukommen, vor Genehmigung durch die Kommission oder gegebenenfalls den Rat neue Beihilfen nicht durchzuführen oder bestehende Beihilfen nicht umzugestalten, so hat die Kommission nach Art. 11 Abs. 1 dieser Verordnung die Möglichkeit, nachdem sie dem Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine Entscheidung zu erlassen, mit der ihm aufgegeben wird, die Durchführung bis zur abschließenden Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe auszusetzen (Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 46).

32

Die Verordnung Nr. 659/1999 sieht in Art. 4 Abs. 4 vor, dass die Kommission, wenn sie nach einer vorläufigen Prüfung feststellt, dass die angemeldete Maßnahme Anlass zu Bedenken hinsichtlich ihrer Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt gibt, das förmliche Prüfverfahren eröffnet. Hat die Kommission Kenntnis von einer nicht angemeldeten Maßnahme, bei der es sich ihrer Auffassung nach um eine neue Beihilfe oder eine Umgestaltung einer bestehenden Beihilfe handeln könnte, kann sie auch gemäß Art. 10 Abs. 2 dieser Verordnung von dem betreffenden Mitgliedstaat Auskünfte verlangen und gegebenenfalls gemäß Art. 13 Abs. 1 Satz 2 dieser Verordnung entscheiden, das förmliche Prüfverfahren zu eröffnen.

33

In allen Fällen verpflichtet die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens in Bezug auf eine Maßnahme, die die Kommission als eine neue Beihilfe erachtet, den betreffenden Mitgliedstaat zur Aussetzung der Durchführung dieser Maßnahme (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 30. Juni 1992, Spanien/Kommission, C‑312/90, EU:C:1992:282, Rn. 17, vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission,C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 59, vom 10. Mai 2005, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2005:275, Rn. 39, und vom 9. Juni 2011, Diputación Foral de Vizcaya u. a./Kommission, C‑465/09 P bis C‑470/09 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2011:372, Rn. 92).

34

Die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens hinsichtlich einer nicht angemeldeten Maßnahme hat für den betreffenden Mitgliedstaat allerdings nicht dieselben Folgen wie der Erlass einer Aussetzungsanordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999. Der Mitgliedstaat muss die fragliche Maßnahme zwar in beiden Fällen aussetzen. Doch nur dann, wenn er einer Aussetzungsanordnung nicht Folge leistet, kann die Kommission nach Art. 12 der Verordnung Nr. 659/1999 beim Gerichtshof unmittelbar eine Vertragsverletzungsklage erheben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 60).

35

Der Gerichtshof hat entschieden, dass die Aussetzungsanordnung gleichzeitig mit der Entscheidung zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergehen oder ihr nachfolgen kann (Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 47). Eine Aussetzungsanordnung kann insbesondere dann nach der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergehen, wenn der betreffende Mitgliedstaat es unterlassen hat, die Durchführung der zu prüfenden Maßnahme zum Zeitpunkt dieser Eröffnung auszusetzen.

36

In den beiden Rechtssachen, in denen das angefochtene Urteil ergangen ist, klagte Ungarn beim Gericht gegen Aussetzungsanordnungen, die zur gleichen Zeit und mit denselben Beschlüssen erlassen wurden, mit denen auch das förmliche Prüfverfahren hinsichtlich der beiden beanstandeten abgaberechtlichen Maßnahmen eröffnet wurde.

37

Mit dem ersten Klagegrund machte Ungarn vor dem Gericht u. a. geltend, dass der Erlass einer Aussetzungsanordnung außer der Erfüllung der beiden in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen, nämlich der vorläufigen Einstufung der streitigen nationalen Maßnahme durch die Kommission als rechtswidrige staatliche Beihilfe und der Anhörung des betroffenen Mitgliedstaats zu der geplanten Anordnung, auch voraussetze, dass diese Anordnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre. Angesichts der aufschiebenden Wirkung der gleichzeitig beschlossenen Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens wäre die Aussetzungsanordnung nur gerechtfertigt gewesen, wenn die Kommission berechtigten Grund zu der Annahme gehabt hätte, dass Ungarn diesen Verpflichtungen nicht nachkommen werde, wofür es keinen Anhaltspunkt gegeben habe.

38

Mit dem vierten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes macht Ungarn geltend, das Gericht sei, als es in dem angefochtenen Urteil auf das in der vorstehenden Randnummer angeführte Vorbringen eingegangen sei, einem Rechtsfehler unterlegen. In den Rn. 70, 71, 95 und 134 des angefochtenen Urteils habe das Gericht wiederholt zu Unrecht festgestellt, dass für den Erlass einer Aussetzungsanordnung nur die beiden in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sein müssten, und dabei die Pflicht der Kommission, die Verhältnismäßigkeit der Aussetzungsanordnung zu prüfen, außer Acht gelassen.

39

Einleitend ist daran zu erinnern, dass Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 bestimmt, dass „[d]ie Kommission …, nachdem sie dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung gegeben hat, eine Entscheidung erlassen [kann], mit der dem Mitgliedstaat aufgegeben wird, alle rechtswidrigen Beihilfen so lange auszusetzen, bis die Kommission eine Entscheidung über die Vereinbarkeit der Beihilfe mit dem [Binnenm]arkt erlassen hat (nachstehend ‚Aussetzungsanordnung‘ genannt)“.

40

Bereits aus dem Wortlaut dieser Bestimmung geht hervor, dass die Kommission eine Aussetzungsanordnung erlassen kann, aber nicht muss (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Oktober 2001, Italien/Kommission, C‑400/99, EU:C:2001:528, Rn. 46). Da es sich dabei also nicht um eine gebundene Entscheidung handelt, verfügt die Kommission bei der Entscheidung über den Erlass einer solchen Maßnahme über ein Ermessen. Sobald sie aber über ein Ermessen verfügt, muss sie dieses unter Wahrung der allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts ausüben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 18. Juli 2013, Schindler Holding u. a./Kommission, C‑501/11 P, EU:C:2013:522, Rn. 59).

41

Nach ständiger Rechtsprechung dürfen nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der zu den allgemeinen Grundsätzen des Unionsrechts gehört, die Handlungen der Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung der mit der betreffenden Regelung zulässigerweise verfolgten Ziele geeignet und erforderlich ist, wobei zu beachten ist, dass, wenn mehrere geeignete Maßnahmen zur Auswahl stehen, die am wenigsten belastende zu wählen ist und dass die verursachten Nachteile gegenüber den angestrebten Zielen nicht unangemessen sein dürfen (Urteile vom 17. Mai 1984, Denkavit Nederland, 15/83, EU:C:1984:183, Rn. 25, und vom 30. April 2019, Italien/Rat [Fangquoten für Schwertfisch im Mittelmeer], C‑611/17, EU:C:2019:332, Rn. 55). Auf diesen Grundsatz verweist Art. 5 Abs. 4 EUV und Art. 1 des Protokolls (Nr. 2) über die Anwendung der Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit, das dem EU-Vertrag und dem AEU-Vertrag beigefügt ist.

42

Daraus folgt, dass eine nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 getroffene Aussetzungsanordnung den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahren muss, also nicht die Grenzen dessen überschreiten darf, was zur Erreichung des mit dieser Bestimmung verfolgten Ziels geeignet und erforderlich ist. Wie in Rn. 33 des vorliegenden Urteils ausgeführt, soll die der Kommission verliehene Befugnis, solche Anordnungen an die Mitgliedstaaten zu richten, sicherstellen, dass das Verbot der Durchführung von Beihilfevorhaben bis zur abschließenden Entscheidung über deren Rechtmäßigkeit beachtet wird. Sie wird ergänzt durch die Befugnis der Kommission, den Gerichtshof binnen kurzer Frist unmittelbar mit der Angelegenheit zu befassen und um Feststellung einer Vertragsverletzung zu ersuchen, die darin besteht, dass ein Mitgliedstaat eine Maßnahme durchführt, bei der der Verdacht besteht, dass sie eine rechtswidrige Beihilfe darstellt.

43

In Anbetracht dieses Ziels ist der Erlass einer Aussetzungsanordnung gerechtfertigt, wenn der betreffende Mitgliedstaat, wie in Rn. 35 des vorliegenden Urteils ausgeführt, nach Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens die Durchführung der geprüften Maßnahme nicht ausgesetzt hat. Es kann jedoch auch angebracht sein, gleichzeitig mit dem Beschluss zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens eine Aussetzungsanordnung zu erlassen, und zwar dann, wenn ausreichende Anhaltspunkte die Kommission vermuten lassen, dass der betreffende Mitgliedstaat nicht beabsichtigt, die Durchführung der geprüften Maßnahme auszusetzen, wozu er aufgrund der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens verpflichtet ist, und vorhersehen lassen, dass der Gerichtshof daher mit einer Vertragsverletzungsklage befasst werden muss.

44

Im Zusammenhang mit dem in Rn. 37 des vorliegenden Urteils wiedergegebenen ersten Klagegrund hat das Gericht in den Rn. 70 und 71 des angefochtenen Urteils die Voraussetzungen für die Rechtmäßigkeit einer Aussetzungsanordnung wie folgt dargelegt:

„70 Die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 festgelegten Voraussetzungen für den Erlass einer solchen Anordnung beschränken sich auf eine materielle Voraussetzung, nämlich die Einstufung der betreffenden nationalen Maßnahme in diesem Stadium des Verfahrens als rechtswidrige staatliche Beihilfe durch die Kommission, und eine prozessrechtliche Voraussetzung, die darin besteht, dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit zur Äußerung zu geben.

71 Es muss keine andere Voraussetzung erfüllt sein, damit die Kommission eine Anordnung nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 erlassen kann, und es ist darauf hinzuweisen, dass diese Situation die Folge einer Willensentscheidung und nicht, wie Ungarn vorträgt, einer Unterlassung des Gesetzgebers ist. Der Wortlaut dieses Artikels, der die Rechtslage widerspiegelt, die sich aus der oben in Rn. 30 angeführten Rechtsprechung ergibt, wurde durch die Änderungen der Verordnung Nr. 659/1999 nicht geändert und in der ursprünglichen Formulierung in die neue Verordnung 2015/1589 aufgenommen.“

45

Zwar könnten diese Randnummern für sich genommen so verstanden werden, dass die Kommission, wenn sie eine Aussetzungsanordnung erlässt, nur die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 ausdrücklich vorgesehenen Voraussetzungen beachten muss und daher nicht verpflichtet ist, die Erforderlichkeit dieser Aussetzungsanordnung zu prüfen.

46

Sie sind jedoch im Kontext der Erwägungen des Gerichts insgesamt zu sehen. Dieses hat in Rn. 86 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass „sich die Kontrolle durch den Unionsrichter … nicht auf die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen [beschränkt] und … sich insbesondere auf die Vereinbarkeit der Aussetzungsanordnung mit dem AEU-Vertrag und den allgemeinen Rechtsgrundsätzen erstrecken [kann]“. Außerdem hat das Gericht in den Rn. 94 ff. des Urteils geprüft, ob die Kommission beim Erlass der streitigen Aussetzungsanordnungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachtet hat. Insbesondere hat es in den Rn. 98 und 99 des Urteils untersucht, ob diese Anordnungen geeignet und erforderlich waren, um die mit den Art. 107 und 108 AEUV zulässigerweise verfolgten Ziele zu erreichen, und auch, ob die durch sie verursachten Nachteile in einem angemessenen Verhältnis zu den mit diesen Bestimmungen verfolgten Zielen standen. Das Gericht ist schließlich in Rn. 102 des angefochtenen Urteils zu dem Schluss gelangt, dass die Kommission mit dem Erlass der streitigen Anordnungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit nicht verletzt habe.

47

Nach alledem hat die Kommission nicht gegen die Pflicht der Organe verstoßen, bei allen ihren Handlungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zu beachten. Der vierte Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist daher zurückzuweisen.

Zum ersten Teil des dritten Rechtsmittelgrundes

– Vorbringen der Parteien

48

Mit dem dritten Rechtsmittelgrund wirft die ungarische Regierung dem Gericht vor, die Anforderungen an die Begründung der Aussetzungsanordnungen rechtsfehlerhaft beurteilt zu haben.

49

Mit dem ersten Teil dieses Rechtsmittelgrundes macht die ungarische Regierung im Wesentlichen geltend, das Gericht habe den Sachverhalt rechtlich falsch gewürdigt, indem es die Aussetzungsanordnung für hinreichend begründet erachtet habe.

50

Das Gericht habe zwar in Rn. 135 des angefochtenen Urteils zutreffend ausgeführt, dass die Begründung der Aussetzungsanordnung, wenn diese im Beschluss zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthalten sei, es ermöglichen müsse, zu verstehen, warum der betreffende Mitgliedstaat der Pflicht, die Durchführung der geprüften Maßnahmen auszusetzen, nicht nachkommen werde. Es habe jedoch irrigerweise angenommen, dass es die Angaben in den streitigen Beschlüssen ermöglicht hätten, zu verstehen, dass Ungarn in den Augen der Kommission beabsichtigt habe, die in Rede stehenden Maßnahmen während des Prüfverfahrens nicht auszusetzen.

51

Erstens habe das Gericht die in diesen Beschlüssen getroffene Feststellung, dass die ungarischen Behörden der vorläufigen Einstufung als staatliche Beihilfen widersprochen hätten, in Rn. 136 des angefochtenen Urteils zu Unrecht als Indiz für eine solche Absicht ausgelegt. Wäre dies zulässig, könnte ein Mitgliedstaat der Bewertung der Kommission nicht widersprechen, ohne in den Verdacht zu geraten, die nationalen Maßnahmen trotz der Eröffnung eines sie betreffenden Prüfverfahrens durchführen zu wollen.

52

Zweitens lasse sich entgegen den Ausführungen des Gerichts auch die Feststellung in den streitigen Beschlüssen, wonach die nationalen Behörden auf die Aufforderung der Kommission, zum möglichen Erlass von Aussetzungsanordnungen Stellung zu nehmen, nicht reagiert hätten, nicht als Bestandteil der Begründung ansehen. Damit würde ein Schweigen missbräuchlich ausgelegt, das die Kommission im Übrigen selbst nicht in diesem Sinne ausgelegt habe.

53

Drittens habe das Gericht in Rn. 137 des angefochtenen Urteils zu Unrecht die Haltung der ungarischen Behörden in einem anderen Prüfverfahren als Bestandteil der Begründung der streitigen Beschlüsse betrachtet, obwohl diese Haltung in den Beschlüssen nicht erwähnt werde und nichts darauf hinweise, dass sie von der Kommission berücksichtigt worden sei. Das Gericht habe diesen Gesichtspunkt irrigerweise als Teil der Begründung angesehen.

54

Viertens ließen die streitigen Beschlüsse die ihnen vom Gericht gegebene Auslegung umso weniger zu, als sie keinen Hinweis auf eine Gefahr enthielten, dass die geprüften Maßnahmen von den nationalen Behörden während des Prüfverfahrens durchgeführt würden.

55

Fünftens werde der Bewertung der Begründung der streitigen Beschlüsse durch das Gericht im Übrigen von der Kommission selbst widersprochen, die während des gesamten Verfahrens und insbesondere in der mündlichen Verhandlung stets die Auffassung vertreten habe, sie habe nur die in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 genannten materiellen und verfahrensrechtlichen Voraussetzungen beachten müssen.

56

Die Kommission ist der Auffassung, dass das Gericht in Anbetracht der Umstände, unter denen die Aussetzungsanordnungen ergangen seien, zutreffend festgestellt habe, dass die ungarischen Behörden in der Lage gewesen seien, zu verstehen, warum die Kommission sie erlassen habe.

– Würdigung durch den Gerichtshof

57

Nach gefestigter Rechtsprechung muss die in Art. 296 AEUV vorgeschriebene Begründung von Rechtsakten der Unionsorgane der Natur des betreffenden Rechtsakts angepasst sein und die Überlegungen des Organs, das den Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig zum Ausdruck bringen, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die erlassene Maßnahme entnehmen können und das zuständige Gericht seine Kontrolle durchführen kann. Das Begründungserfordernis ist anhand aller Umstände des Einzelfalls zu beurteilen, insbesondere des Inhalts des Rechtsakts, der Art der angeführten Gründe und des Interesses, das die Adressaten des Rechtsakts oder andere unmittelbar und individuell von ihm betroffene Personen an Erläuterungen haben können. In der Begründung brauchen nicht alle tatsächlich und rechtlich einschlägigen Gesichtspunkte genannt zu werden, da die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts den Erfordernissen des Art. 296 AEUV genügt, nicht nur anhand seines Wortlauts zu beurteilen ist, sondern auch anhand seines Kontexts sowie sämtlicher Rechtsvorschriften auf dem betreffenden Gebiet (Urteil vom 10. März 2016, HeidelbergCement/Kommission, C‑247/14 P, EU:C:2016:149, Rn. 16 und die dort angeführte Rechtsprechung).

58

Wie in Rn. 40 des vorliegenden Urteils ausgeführt, stellt der Erlass einer Aussetzungsanordnung für die Kommission auch dann nur eine Möglichkeit dar, wenn die beiden in Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 vorgesehenen Voraussetzungen erfüllt sind. Es ist daher erforderlich, dass besondere Gründe die Kommission zum Erlass einer solchen Entscheidung bewegen. Wie in der vorstehenden Randnummer ausgeführt, müssen gemäß der Pflicht zur Begründung von Rechtsakten der Organe die Gründe jeder Entscheidung ihrem Adressaten mitgeteilt werden, damit er ihre Stichhaltigkeit beurteilen und gegebenenfalls sein Klagerecht in Kenntnis der Sachlage ausüben kann. Die Mitteilung der Gründe ist auch erforderlich, damit der Unionsrichter die Aussetzungsanordnung – wie jeden anderen Rechtsakt – auf ihre Rechtmäßigkeit im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit überprüfen kann und damit er nachprüfen kann, ob die Kommission die ihr durch Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 eingeräumte Befugnis sachgemäß ausgeübt hat.

59

Im dem Fall, in dem – wie hier – die Aussetzungsanordnung gleichzeitig mit dem Beschluss zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergeht, beziehen sich die Gründe, die die Kommission zu ihrem Erlass bewegen, zwangsläufig auf die Vorhersage, dass der betreffende Mitgliedstaat die Durchführung der fraglichen Maßnahme trotz der Eröffnung des Prüfverfahrens nicht aussetzen wird. Wie in Rn. 34 des vorliegenden Urteils ausgeführt, besteht die einzige zusätzliche Wirkung der Aussetzungsanordnung gegenüber der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nämlich darin, dass die Kommission den Gerichtshof nach Art. 12 der Verordnung Nr. 659/1999 unmittelbar mit einer Vertragsverletzungsklage befassen kann, wenn der betreffende Mitgliedstaat seiner Pflicht, die Durchführung der geprüften Maßnahme auszusetzen, nicht nachkommt. Müsste die Kommission in dem Fall, dass die Aussetzungsanordnung gleichzeitig mit dem Beschluss zur Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens ergeht, nicht begründen, weshalb sie davon ausgeht, dass der Mitgliedstaat der Aussetzungspflicht nicht nachkommen werde, und daher von vornherein ins Auge fasst, den Gerichtshof anzurufen, wäre sie unter Verstoß gegen die Begründungspflicht von einer Begründung dieser Aussetzungsanordnung befreit.

60

So hat das Gericht in Rn. 135 des angefochtenen Urteils zu Recht darauf hingewiesen, dass „in einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens, in der die Aussetzungsanordnung in einer Entscheidung über die Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens enthalten ist, unter Berücksichtigung des Ermessens, über das die Kommission nach Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 verfügt, sowie der spezifischen Rechtswirkungen, die eine Aussetzungsanordnung nach Art. 12 dieser Verordnung erzeugt, festzustellen [ist], dass die Entscheidung über den Erlass einer solchen Anordnung so gestaltet sein muss, dass man verstehen kann, warum der betreffende Mitgliedstaat nach Ansicht der Kommission der Verpflichtung nach Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht nachkommen und die Durchführung der nach der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens geprüften Maßnahmen nicht aussetzen wird“.

61

Mit dem dritten Klagegrund machte Ungarn vor dem Gericht geltend, dass die streitigen Aussetzungsanordnungen unzureichend begründet seien, weil die Kommission die Gründe für ihren Erlass nicht dargelegt habe.

62

Das Gericht hat diesen Klagegrund aus drei Gründen zurückgewiesen.

63

Erstens hat es in Rn. 136 des angefochtenen Urteils ausgeführt, aus den streitigen Beschlüssen gehe hervor, dass die ungarischen Behörden in Beantwortung der Mitteilungen der Kommission vom 17. März und vom 13. April 2015 geltend gemacht hätten, dass die fraglichen nationalen Maßnahmen keine staatlichen Beihilfen darstellten. Es ist jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 93 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, das gute Recht eines Mitgliedstaats, sich damit zu verteidigen, dass die betreffende Maßnahme keine Beihilfe darstelle. Eine gesteigerte Gefahr, dass der Mitgliedstaat den Rechtsfolgen des Art. 108 Abs. 3 AEUV nicht nachkommt, kann dem folglich nicht entnommen werden, und zwar insbesondere dann nicht, wenn es sich um eine umstrittene Rechtsfrage wie im vorliegenden Fall handelt.

64

Zweitens hat das Gericht in dieser Rn. 136 des angefochtenen Urteils darauf hingewiesen, dass in den streitigen Beschlüssen erwähnt worden sei, dass die ungarischen Behörden der Aufforderung der Kommission, zu den Aussetzungsanordnungen, deren Erlass geplant war, Stellung zu nehmen, nicht nachgekommen seien. Dies ließ sich nach Auffassung des Gerichts angesichts der Umstände dahin verstehen, dass zu befürchten gewesen sei, dass die betreffenden nationalen Maßnahmen trotz der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durchgeführt würden.

65

Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 sieht zwar vor, dass die Kommission, bevor sie eine Aussetzungsanordnung erlässt, dem betreffenden Mitgliedstaat Gelegenheit geben muss, zu dieser Maßnahme Stellung zu nehmen, verpflichtet jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 94 ihrer Schlussanträge zutreffend ausgeführt hat, diesen Mitgliedstaat keineswegs dazu, eine Stellungnahme abzugeben. Dass Ungarn sich zum möglichen Erlass einer Aussetzungsanordnung nicht äußerte, reicht daher nicht aus, um die Befürchtung der Kommission, dieser Mitgliedstaat werde die streitigen Maßnahmen durchführen, zu rechtfertigen.

66

Drittens und letztens hat das Gericht in Rn. 137 des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die ungarischen Behörden einige Monate vor dem Erlass der streitigen Aussetzungsanordnungen ungarische Steuermaßnahmen, die auf dem gleichen Schema beruht hätten wie die in der vorliegenden Rechtssache fraglichen nationalen Maßnahmen, nicht ausgesetzt hätten, obwohl die Kommission insoweit ein förmliches Prüfverfahren eröffnet hatte. Dies ist jedoch, wie die Generalanwältin in Nr. 99 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, entgegen den Ausführungen des Gerichts in Rn. 137 des angefochtenen Urteils nicht Teil des Kontexts, in dem die streitigen Anordnungen erlassen wurden. Außerdem hätte die Kommission, wenn dieses Vorverhalten Ungarns ein maßgebliches Indiz für sie war, es in den streitigen Beschlüssen erwähnen müssen, was sie aber nicht getan hat.

67

Nach alledem hat das Gericht in Rn. 138 des angefochtenen Urteils zu Unrecht festgestellt, dass „die ungarischen Behörden in der Lage waren, zu verstehen, warum die Kommission in den streitigen Beschlüssen entschieden hat, tatsächlich Aussetzungsanordnungen anzuwenden“. Somit ist dem dritten Rechtsmittelgrund stattzugeben.

Zum dritten Streithilfegrund der Republik Polen

– Vorbringen der Parteien

68

Mit dem dritten Streithilfegrund macht die Republik Polen geltend, das Gericht habe dadurch gegen Art. 264 Abs. 1 AEUV verstoßen, dass es, um das Vorbringen Ungarns zurückzuweisen, der Beurteilung in den streitigen Beschlüssen seine eigene hinzugefügt habe. So habe das Gericht in den Rn. 135 und 136 des angefochtenen Urteils, um zu der Feststellung zu gelangen, dass der Erlass der Beschlüsse, mit denen die Aussetzung angeordnet worden sei, gerechtfertigt gewesen sei, die Auffassung vertreten, dass die Kommission berücksichtigt habe, dass zu befürchten sei, dass Ungarn die fraglichen nationalen Maßnahmen trotz der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens durchführen werde. Diese Beurteilung ergebe sich aus den Überlegungen des Gerichts selbst, die in den Gründen der streitigen Beschlüsse keinerlei Stütze fänden. Das Gericht könne aber keinesfalls die vom Urheber des Rechtsakts gegebene Begründung durch seine eigene ersetzen.

69

Die Kommission räumt ein, dass die streitigen Beschlüsse nicht die Gründe enthielten, aus denen sie der Ansicht gewesen sei, dass Ungarn nicht beabsichtige, die Gewährung der in Rede stehenden Beihilfen auszusetzen. Sie habe diese Beschlüsse jedoch hinreichend begründet, indem sie darauf hingewiesen habe, dass die Beihilfemaßnahmen vor ihrer Anmeldung in Kraft getreten seien.

– Würdigung durch den Gerichtshof

70

In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, dass der Gerichtshof und das Gericht im Rahmen der Rechtmäßigkeitskontrolle nach Art. 263 AEUV für Klagen zuständig sind, die wegen Unzuständigkeit, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, Verletzung des AEU-Vertrags oder einer bei seiner Durchführung anzuwendenden Rechtsnorm oder wegen Ermessensmissbrauchs erhoben werden. Ist die Klage begründet, so ist die angefochtene Handlung nach Art. 264 AEUV für nichtig zu erklären. Der Gerichtshof und das Gericht dürfen somit keinesfalls die vom Urheber der angefochtenen Handlung gegebene Begründung durch ihre eigene ersetzen (Urteil vom 28. Februar 2013, Portugal/Kommission, C‑246/11 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2013:118, Rn. 85 und die dort angeführte Rechtsprechung).

71

Im vorliegenden Fall war das Gericht, wie in den Rn. 63 und 64 des vorliegenden Urteils ausgeführt, der Auffassung, dass die streitigen Aussetzungsanordnungen der Pflicht der Organe zur Begründung ihrer Rechtsakte genügten. Dabei hat es sich darauf gestützt, dass sich aus den streitigen Beschlüssen ergebe, dass die ungarischen Behörden zum einen die fraglichen nationalen Maßnahmen nicht als staatliche Beihilfen ansähen und zum anderen der Aufforderung der Kommission, zu den geplanten Aussetzungsanordnungen Stellung zu nehmen, nicht nachgekommen seien. Diese Gründe ließen erkennen, dass die Kommission befürchtet habe, dass die streitigen Maßnahmen durchgeführt würden. Außerdem müsse, auch wenn in den streitigen Beschlüssen hierauf nicht Bezug genommen worden sei, als Kontext berücksichtigt werden, dass die ungarischen Behörden steuerliche Maßnahmen, auf die sich ein früheres, einige Monate zuvor eröffnetes förmliches Prüfverfahren bezogen habe, nicht ausgesetzt hätten.

72

Unabhängig davon, dass diese Gesichtspunkte, wie bereits festgestellt, zur Begründung der streitigen Beschlüsse nicht ausreichen konnten, ist festzustellen, dass sie in diesen Beschlüssen nicht aufgeführt sind, was die Kommission im Übrigen selbst einräumt. In ihrer Klagebeantwortung macht sie nämlich vielmehr geltend, sie habe nicht darlegen müssen, weshalb sie es für wahrscheinlich gehalten habe, dass Ungarn die Beschlüsse, mit denen ihm die Aussetzung der Durchführung der fraglichen Maßnahmen aufgegeben werde, nicht einhalten werde. Zudem stünden die Ausführungen in den Rn. 135 bis 137 des angefochtenen Urteils im Widerspruch zu den in den Rn. 70, 71, 130 und 134 dieses Urteils dargelegten Gründen. Die Kommission hat in ihrer Stellungnahme zum Streithilfeschriftsatz der Republik Polen auch eingeräumt, dass die streitigen Beschlüsse keine konkreten Erläuterungen zu den Gründen enthielten, aus denen sie davon ausgegangen sei, dass Ungarn nicht beabsichtige, die Gewährung der in Rede stehenden Beihilfe auszusetzen. Dieses Vorbringen entspricht im Übrigen, wie aus den Schriftsätzen der Kommission vor dem Gericht und vor dem Gerichtshof hervorgeht, dem Umfang des Ermessens, über das sie ihrer Ansicht nach gemäß Art. 11 Abs. 1 der Verordnung Nr. 659/1999 beim Erlass einer Aussetzungsanordnung verfügt.

73

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass das Gericht den von der Kommission dargelegten Gründen Gründe hinzugefügt und damit die Grenzen seiner Befugnisse überschritten hat.

74

Folglich ist auch dem dritten Streithilfegrund der Republik Polen stattzugeben.

75

Nach alledem ist das angefochtene Urteil aufzuheben.

Zur Klage vor dem Gericht

76

Nach Art. 61 Abs. 1 der Satzung des Gerichtshofs der Europäischen Union kann der Gerichtshof, wenn er die Entscheidung des Gerichts aufhebt, die Sache zur Entscheidung an das Gericht zurückverweisen oder den Rechtsstreit selbst endgültig entscheiden, wenn dieser zur Entscheidung reif ist.

77

Im vorliegenden Fall ist der Rechtsstreit, der zur Entscheidung reif ist, vom Gerichtshof endgültig zu entscheiden.

78

Wie in Rn. 69 des vorliegenden Urteils ausgeführt, hat die Kommission selbst eingeräumt, dass die streitigen Beschlüsse keine Erläuterungen zu den Gründen enthielten, aus denen sie der Auffassung gewesen sei, dass Ungarn die fraglichen Maßnahmen trotz der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens nicht aussetzen werde. Wie in Rn. 58 des vorliegenden Urteils ausgeführt und auch vom Gericht in Rn. 135 des angefochtenen Urteils festgestellt, hätten die Aussetzungsanordnungen insoweit begründet werden müssen. Daraus folgt, dass die streitigen Aussetzungsanordnungen unzureichend begründet sind und gegen Art. 296 AEUV verstoßen. Damit ist dem von Ungarn geltend gemachten dritten Klagegrund ebenfalls stattzugeben.

79

Nach alledem sind die mit den streitigen Beschlüssen erlassenen Aussetzungsanordnungen aufzuheben, ohne dass die übrigen Klagegründe geprüft zu werden brauchen.

Kosten

80

Nach Art. 184 Abs. 2 der Verfahrensordnung entscheidet der Gerichtshof über die Kosten, wenn das Rechtsmittel begründet ist und er den Rechtsstreit selbst endgültig entscheidet.

81

Nach Art. 138 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag Ungarns neben ihren eigenen Kosten die Kosten aufzuerlegen, die Ungarn durch das Verfahren im ersten Rechtszug und das Rechtsmittelverfahren entstanden sind.

82

Nach Art. 140 Abs. 1 der Verfahrensordnung, der nach ihrem Art. 184 Abs. 1 ebenfalls auf das Rechtsmittelverfahren Anwendung findet, tragen die Mitgliedstaaten und die Organe, die dem Rechtsstreit als Streithelfer beigetreten sind, ihre eigenen Kosten.

83

Die Republik Polen trägt als Streithelferin im Rechtsmittelverfahren ihre eigenen Kosten.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Das Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 25. April 2018, Ungarn/Kommission (T‑554/15 und T‑555/15, EU:T:2018:220), wird aufgehoben.

 

2.

Der Beschluss C(2015) 4805 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA.41187 (2015/NN) – Ungarn – Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie und der Beschluss C(2015) 4808 final der Kommission vom 15. Juli 2015 über die staatliche Beihilfe SA.40018 (2015/C) (ex 2014/NN) – 2014 beschlossene Änderung der ungarischen Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette werden für nichtig erklärt, soweit darin angeordnet wird, die Anwendung des progressiven Abgabensatzes für den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie bzw. die Gebühr für die Inspektion der Lebensmittelkette, wie sie im Gesetz Nr. XCIV von 2014 über den Gesundheitsbeitrag der Unternehmen der Tabakindustrie und in der Änderung von 2014 des Gesetzes Nr. XLVI von 2008 über die Lebensmittelkette und die diesbezügliche amtliche Überwachung geregelt sind, auszusetzen.

 

3.

Die Europäische Kommission trägt neben ihren eigenen Kosten die Ungarn im Verfahren des ersten Rechtszugs und im Rechtsmittelverfahren entstandenen Kosten.

 

4.

Die Republik Polen trägt ihre eigenen Kosten.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Ungarisch.