SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 18. März 2021 ( 1 )

Rechtssache C‑546/18

FN,

GM,

Adler Real Estate AG,

HL,

Petrus Advisers LLP,

Beteiligte:

Übernahmekommission

(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesverwaltungsgerichts [Österreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union – Bestandskraft von Entscheidungen, mit denen Verwaltungsverfahren abgeschlossen werden – Richtlinie 2004/25/EG – Unionsrechtskonforme Auslegung“

I. Einleitung

1.

Den Hintergrund zur vorliegenden Rechtssache bilden zwei gesonderte Verfahren, die von der österreichischen Übernahmekommission eingeleitet wurden. Im ersten Verfahren (einem Feststellungsverfahren) wurden die Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand eines Verstoßes gegen die Vorschriften über Pflichtangebote getroffen. Nach den österreichischen Verfahrensvorschriften haben die im Feststellungsverfahren getroffenen Feststellungen mit Eintritt der Rechtskraft Bindungswirkung für das zweite Verfahren (das Verwaltungsstrafverfahren), und zwar sowohl für die Prüfung, ob der (subjektive) Tatbestand des zur Last gelegten Verstoßes erfüllt ist, als auch für die Verhängung von Strafen gegen die betreffenden Personen.

2.

In diesem Zusammenhang stellt das Bundesverwaltungsgericht (Österreich) unter Berufung auf Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) und die Richtlinie 2004/25/EG ( 2 ) (im Folgenden: Übernahmerichtlinie) im Wesentlichen Fragen zu den im Unionsrecht vorgesehenen Verfahrensrechten für Personen, die in der „ersten Runde“ – im Feststellungsverfahren – nicht Verfahrenspartei waren, denen aber wegen ihrer jeweiligen Positionen in den Organen der Gesellschaften, die im ersten Verfahren Partei waren, in der „zweiten Runde“ – im Verwaltungsstrafverfahren – Strafen drohen.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

3.

Art. 4 Abs. 1 der Übernahmerichtlinie sieht vor, dass die Mitgliedstaaten eine Stelle oder mehrere Stellen benennen, die den Angebotsvorgang, soweit er durch gemäß der Richtlinie erlassene oder eingeführte Vorschriften geregelt wird, beaufsichtigen. In Art. 4 Abs. 5 heißt es:

„Die Aufsichtsstellen verfügen über alle zur Erfüllung ihrer Aufgaben notwendigen Befugnisse; im Rahmen ihrer Aufgaben haben sie auch dafür Sorge zu tragen, dass die Parteien des Angebots die gemäß dieser Richtlinie erlassenen oder eingeführten Vorschriften einhalten.“

4.

Art. 5 Abs. 1 der Richtlinie sieht die Verpflichtung zur Abgabe eines Übernahmeangebots vor. Diese Verpflichtung ergibt sich, sobald „eine natürliche oder juristische Person infolge ihres alleinigen Erwerbs oder des Erwerbs durch gemeinsam mit ihr handelnde Personen Wertpapiere einer Gesellschaft im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 [hält], die ihr bei Hinzuzählung zu etwaigen von ihr bereits mittels solcher Wertpapiere gehaltenen Beteiligungen und den Beteiligungen der gemeinsam mit ihr handelnden Personen unmittelbar oder mittelbar einen bestimmten, die Kontrolle begründenden Anteil an den Stimmrechten dieser Gesellschaft verschaffen …“

5.

Art. 17 („Sanktionen“) der Übernahmerichtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten legen die Sanktionen fest, die bei einem Verstoß gegen die einzelstaatlichen Vorschriften zur Umsetzung dieser Richtlinie zu verhängen sind, und treffen alle geeigneten Maßnahmen, um deren Durchsetzung zu gewährleisten. Die Sanktionen müssen wirksam, verhältnismäßig und abschreckend sein. Die Mitgliedstaaten teilen der Kommission diese Vorschriften spätestens zu dem in Artikel 21 Absatz 1 vorgesehenen Zeitpunkt und eventuelle spätere Änderungen so schnell wie möglich mit.“

B. Österreichisches Recht

6.

Das Allgemeine Verwaltungsverfahrensgesetz 1991 (im Folgenden: AVG) regelt das Verwaltungsverfahren der österreichischen Verwaltungsbehörden. § 24 des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 bestimmt, dass das AVG, soweit nichts Anderes bestimmt ist, auch im Verwaltungsstrafverfahren gilt.

7.

Im Bundesgesetz betreffend Übernahmeangebote – BGBl. I Nr. 127/1998 (im Folgenden: ÜbG) – sind die materiell- und verfahrensrechtlichen Aspekte für öffentliche Übernahmeangebote für börsennotierte Aktien und sonstige börsennotierte Wertpapiere geregelt.

8.

In § 1 Z 6 ÜbG ist der Begriff „Gemeinsam vorgehende Rechtsträger“ definiert. Gemäß § 23 Abs. 1 ÜbG sind gemeinsam vorgehenden Rechtsträgern bei der Anwendung von §§ 22 bis 22b ÜbG die von ihnen gehaltenen Beteiligungen oder Wertpapiere einer Zielgesellschaft wechselseitig zuzurechnen.

9.

In § 22 ÜbG ist das Pflichtangebot geregelt. Zur Abgabe eines Pflichtangebots verpflichtet ist, „wer eine unmittelbare oder mittelbare kontrollierende Beteiligung an einer Zielgesellschaft erlangt“, wobei das Pflichtangebot „innerhalb von 20 Börsentagen ab Kontrollerlangung“ abzugeben ist. § 22a ÜbG erstreckt die Verpflichtung zum Pflichtangebot auch auf gemeinsam vorgehende Rechtsträger, die zusammen eine „kontrollierende Beteiligung“ erlangen.

10.

§ 30 Abs. 2 ÜbG bestimmt, dass das Verfahren vor der Übernahmekommission nach dem AVG zu führen ist.

III. Sachverhalt, Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

11.

Am 22. November 2016 erließ die Übernahmekommission einen Bescheid (im Folgenden: Feststellungsbescheid) gegen die Adler Real Estate AG (im Folgenden: Adler), die Mountain Peak Trading LLP (im Folgenden: Mountain Peak), die Westgrund AG (im Folgenden: Westgrund), die Petrus Advisers LLP (im Folgenden: Petrus) und GM (natürliche Person). Dieser Bescheid erging im Zuge eines Verfahrens, das die Erlangung einer „kontrollierenden Beteiligung“ mit einem Stimmrechtsanteil von 31,36 % an der Conwert Immobilien SE (im Folgenden: Conwert) und die Nichterfüllung der damit verbundenen Verpflichtung zur Stellung des Pflichtangebots betraf.

12.

Im Feststellungsverfahren stellte die Übernahmekommission fest, dass bei wechselseitiger Zurechnung der Stimmrechte gemäß § 23 Abs. 1 ÜbG eine kontrollierende Beteiligung im Sinne von § 22 ÜbG erworben worden sei. Die von der Übernahmekommission festgestellte Überschreitung der Kontrollschwelle beruhte auf der Anwendung der für „gemeinsam vorgehende Rechtsträger“ im Sinne von § 1 Z 6 ÜbG geltenden Zurechnungskriterien. Gemäß § 23 Abs. 1 ÜbG seien diese Stimmrechte an der Conwert erstmals am 29. September 2015 Adler, Mountain Peak, Westgrund, Petrus und GM wechselseitig zuzurechnen gewesen. Grundsätzlich hätte nach Erlangung der „kontrollierenden Beteiligung“ an der Conwert durch „gemeinsam vorgehende Rechtsträger“ gemäß § 22a Z 1 ÜbG innerhalb von 20 Börsentagen ein Pflichtangebot gestellt werden müssen.

13.

Der Rekurs gegen den Feststellungsbescheid wurde vom Obersten Gerichtshof (Österreich) mit Beschluss vom 1. März 2017 zurückgewiesen. Der Feststellungsbescheid wurde rechtskräftig.

14.

In der Folge leitete die Übernahmekommission Verwaltungsstrafverfahren gegen u. a. GM, HL und FN (sämtlich natürliche Personen) ein. Die verwaltungsstrafrechtliche Verantwortlichkeit von HL und FN wurde auf die Funktionen gestützt, die sie im Tatzeitraum der zur Last gelegten Tat als Vorstandsmitglied von Adler bzw. als Direktor von Petrus innehatten.

15.

Am 29. Januar 2018 erließ die Übernahmekommission Straferkenntnisse gegen GM (als natürliche Person), HL (in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied von Adler) und FN (in seiner Eigenschaft als Direktor von Petrus) (im Folgenden: Straferkenntnisse). Die Übernahmekommission verhängte Verwaltungsstrafen gegen GM, HL und FN und verpflichtete die von HL und FN vertretenen Gesellschaften jeweils zur akzessorischen Haftung.

16.

Diese Entscheidung stützte die Übernahmekommission auf die Tatsachenfeststellungen, die sie in ihrem Feststellungsbescheid getroffen hatte, insbesondere auf die zentrale Feststellung, dass die Parteien aufgrund einer am 29. September 2015 getroffenen Absprache „gemeinsam vorgehende Rechtsträger“ im Sinne von § 22a ÜbG gewesen seien. Indem sie es versäumt hätten, der Übernahmekommission innerhalb der gesetzlichen Frist von 20 Börsentagen ein Pflichtangebot anzuzeigen, hätten GM, HL und FN gegen § 22a Z 1 in Verbindung mit § 22 Abs. 1 ÜbG verstoßen. Deshalb verhängte die Übernahmekommission Geldstrafen gegen GM, HL und FN und verpflichtete Adler und Petrus zur akzessorischen Haftung für die HL und FN auferlegten Geldstrafen.

17.

Gegen diese Straferkenntnisse wurden Beschwerden beim Bundesverwaltungsgericht (Österreich), dem vorlegenden Gericht, eingelegt. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass nach österreichischem Verwaltungsverfahrensrecht ein rechtskräftiger Bescheid einer Verwaltungsbehörde über eine Vorfrage für (diese wie auch andere) Verwaltungsbehörden und Gerichte, die über dieselbe Sach- und Rechtslage zu entscheiden hätten, wie sie mit dem früheren Bescheid über die Vorfrage entschieden worden sei, Bindungswirkung habe. Voraussetzung für die Bindungswirkung sei, dass Parteiidentität gegeben sei. Diese Bindungswirkung sei, sofern in den beiden Verfahren Parteiidentität bestehe, auch von den Verwaltungsgerichten zu beachten.

18.

In Bezug auf GM hält das vorlegende Gericht die Parteiidentität in den Verfahren, in denen der Feststellungsbescheid und die Straferkenntnisse ergingen, für gegeben. Auch seien nach nationalem Recht hinsichtlich GM alle sonstigen Voraussetzungen für die Bindungswirkung des Feststellungsbescheids erfüllt.

19.

In Bezug auf HL und FN hat das vorlegende Gericht jedoch Zweifel an der Identität der Parteien im Feststellungs- und Verwaltungsstrafverfahren. HL und FN seien im Feststellungsverfahren nicht jeweils als „Partei“ aufgetreten, sondern hätten lediglich als Vertreter der Gesellschaften Adler (für die HL als Vorstandsmitglied gehandelt habe) und Petrus (für die FN als Direktor gehandelt habe) gehandelt. Die Rechtsstellung einer „Partei“ hätten HL und FN (persönlich) lediglich im Verwaltungsstrafverfahren gehabt. Dennoch habe die Übernahmekommission im Verwaltungsstrafverfahren eine „erweiterte Bindungswirkung“ festgestellt, so dass sich die Rechtskraft des Feststellungsbescheids auch auf HL und FN (persönlich) erstrecke.

20.

Vor diesem tatsächlichen und rechtlichen Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht (Österreich) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Stehen die Art. 4 und 17 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote – gelesen im Lichte des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes – einer Auslegung entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen dieselbe Person keine Bindungswirkung zuerkannt wird, womit dieser Person neuerlich alle tatsächlichen und rechtlichen Einreden und Beweismittel zur Verfügung stehen, um die in der bereits rechtskräftigen Entscheidung festgestellte Rechtsverletzung zu bestreiten?

2.

Stehen die Art. 4 und 17 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote – gelesen im Lichte des unionsrechtlichen Effektivitätsgrundsatzes – einer Auslegung entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer juristischen Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen das vertretungsbefugte Organ dieser juristischen Person keine Bindungswirkung zuerkannt wird, womit dieser Person (dem Organ) alle tatsächlichen und rechtlichen Einreden und Beweismittel zur Verfügung stehen, um die in der bereits rechtskräftigen Entscheidung festgestellte Rechtsverletzung zu bestreiten?

3.

(Bei Verneinung der Frage 1) Steht Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer innerstaatlichen Praxis entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen dieselbe Person Bindungswirkung zukommt, so dass diese Person gehindert ist, die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsverletzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestreiten?

4.

(Bei Verneinung der Frage 2) Steht Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union einer innerstaatlichen Praxis entgegen, nach der einer rechtskräftigen Entscheidung der Aufsichtsstelle gemäß Art. 4 der Richtlinie 2004/25/EG, mit der ein Verstoß einer juristischen Person gegen innerstaatliche Vorschriften, die in Umsetzung der Richtlinie 2004/25/EG ergangen sind, festgestellt wurde, im Rahmen eines von dieser Aufsichtsstelle anschließend geführten Verwaltungsstrafverfahrens gegen das vertretungsbefugte Organ dieser juristischen Person Bindungswirkung zuerkannt wird, so dass diese Person (das Organ) gehindert ist, die bereits rechtskräftig festgestellte Rechtsverletzung in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu bestreiten?

21.

Adler, HL, GM und die Übernahmekommission sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Mit Ausnahme der Kommission haben diese Verfahrensbeteiligten auch die Fragen des Gerichts beantwortet.

IV. Würdigung

22.

Diese Schlussanträge sind wie folgt gegliedert. Ich werde zunächst darlegen, wie ich das innerstaatliche Recht verstehe, und auf dieser Grundlage eine einfachere Formulierung der vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen vorschlagen (A). Sodann zeige ich den nach dem Unionsrecht anzuwendenden Maßstab auf (B), bevor ich mich der vorliegenden Rechtssache zuwende (C).

A. Hintergrund (innerstaatliche gesetzliche Regelungen) und Vorlagefragen

23.

Auf den ersten Blick wirken die vier vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen, wenn man sie im komplexen Rahmen der innerstaatlichen Regelungen und Verfahren betrachtet, recht kompliziert. Hinzu kommt, dass die Vorlagefragen ein recht breites Spektrum von Fragestellungen anzuschneiden scheinen: die Wirksamkeit des Unionsrechts; den Status oder die Bindungswirkung rechts- bzw. bestandskräftiger Verwaltungsbescheide, möglicherweise verbunden mit einer Pflicht zur nochmaligen Überprüfung dieser Bescheide; sowie die Grundrechte in Verfahren, in denen Strafen verhängt werden.

24.

Meines Erachtens lässt sich die Fragestellung in dieser Rechtssache viel enger eingrenzen. Dem vorlegenden Gericht können vielleicht nützliche Hinweise gegeben werden, ohne auf sämtliche vom vorlegenden Gericht ausführlich dargestellten Feinheiten des innerstaatlichen Rechts und die zum Teil widersprüchliche nationale Rechtsprechung einzugehen. Die Auseinandersetzung mit solchen Fragen kann zweifellos faszinierend sein, ich bin jedoch nicht sicher, ob sie im Kontext des vorliegenden Falles tatsächlich notwendig ist. Ich ziehe es vor, mich stattdessen auf das praktische Problem zu konzentrieren, und zwar unter dem Gesichtspunkt der Rechte auf Verteidigung und Zugang zu einem Gericht, die dem Einzelnen, gegen den ein solches Verfahren geführt wird, zustehen.

25.

Dies erfordert, im Vorfeld drei Punkte zu klären. Erstens: Worin genau liegt das sich aus dem innerstaatlichen Recht ergebende Problem? Zweitens: Wie ist das Zusammenspiel zwischen der Charta, insbesondere ihrem Art. 47, und der Übernahmerichtlinie gestaltet und wie fügt sich dies in das Gesamtbild des vorliegenden Falls? Drittens: Angesichts dieser beiden Punkte sehe ich mich gezwungen, die vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen umzuformulieren und zu vereinfachen – hoffentlich, ohne dabei das Problem aus den Augen zu verlieren.

26.

Erstens: In dieser Rechtssache sind zwei Aspekte des innerstaatlichen Verwaltungsrechts von entscheidender Bedeutung, nämlich zum einen die Verfahrensvorschriften über das von der Übernahmekommission bei Verdacht auf Verstoß gegen die Pflichtangebotsregeln durchzuführende Verwaltungsverfahren und zum anderen die innerstaatlichen Verfahrensvorschriften, die rechtskräftigen Verwaltungsbescheiden Bindungswirkung verleihen.

27.

Die Übernahmekommission ist befugt, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten, um u. a. zu untersuchen, ob ein Inhaber von Beteiligungspapieren es versäumt hat, nach Erlangung einer „kontrollierenden Beteiligung“ an der Zielgesellschaft ein Pflichtangebot gemäß § 22 Abs. 1 ÜbG zu stellen. Diese Möglichkeit besteht auch, wenn solche Beteiligungen von einer Gruppe „gemeinsam vorgehender“ Rechtsträger erlangt werden ( 3 ).

28.

Das Verfahren ist allerdings, was die Feststellungen zur Verwirklichung des objektiven und des subjektiven Tatbestands der Unterlassung des Pflichtangebots anbelangt, aufgeteilt ( 4 ). Diese beiden Feststellungen werden, wie die Verfahrensbeteiligten erklären, gesondert getroffen, wobei die Feststellung des objektiven Tatbestands – die Unterlassung des Pflichtangebots – im Feststellungsverfahren untersucht und durch Feststellungsbescheid festgestellt wird. Das Feststellungsverfahren lässt jedoch die Frage der verwaltungsstrafrechtlichen Verantwortlichkeit offen. Diesbezüglich wird anschließend die Verwirklichung des subjektiven Tatbestands einer Verwaltungsübertretung untersucht, die gegebenenfalls mit einer Verwaltungsstrafe geahndet wird.

29.

Die Rechtswege für die gerichtliche Kontrolle dieser Bescheide unterscheiden sich voneinander. Die Übernahmekommission erklärt dazu, dass im Feststellungs- und Verwaltungsstrafverfahren für Rechtsbehelfe jeweils ein eigener Instanzenzug vorgesehen sei. Im Feststellungsverfahren könne der Oberste Gerichtshof (Österreich) als Rekursgericht angerufen werden. Allerdings sei die Kontrolle durch den Obersten Gerichtshof in solchen Fällen auf Rechtsfragen beschränkt. Tatsachenfeststellungen könne er nicht überprüfen. Dagegen sei im Verwaltungsstrafverfahren die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht, in gewissen Fällen auch die Revision zum Verwaltungsgerichtshof, gegeben. Das Bundesverwaltungsgericht habe die „volle Zuständigkeit“, die im Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Straferkenntnisse in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen. Allerdings unterliege diese Zuständigkeit der Bindungswirkung einer zuvor getroffenen rechtskräftigen Entscheidung der Übernahmekommission oder aber einer anderen Behörde oder eines anderen Gerichts.

30.

Die Übernahmekommission führt aus, dass sie für beide Rechtsbehelfe als „Gericht erster Instanz“ fungiere. Folglich gebe es sowohl für das Feststellungsverfahren als auch für das Verwaltungsstrafverfahren mindestens zwei Rechtsbehelfsinstanzen.

31.

Das vorlegende Gericht führt aus, dass mit Eintritt der Rechtskraft des Feststellungsbescheids der Übernahmekommission sowohl die Übernahmekommission selbst als auch andere Verwaltungsbehörden an diesen vorherigen Bescheid gebunden seien. Diese Bindungswirkung gelte auch für das Bundesverwaltungsgericht, soweit es über dieselbe Sach- und Rechtslage zu entscheiden habe, mit der die Übernahmekommission befasst gewesen sei. Die Gliederung der in „zwei Runden“ durchgeführten Verfahren vor der Übernahmekommission laufe daher in der Praxis darauf hinaus, dass das anschließende Verwaltungsstrafverfahren, in dem es um den (subjektiven) Tatbestand der Unterlassung des Pflichtangebots gehe, der Bindungswirkung der zuvor im Feststellungsverfahren getroffenen Feststellungen zum (objektiven) Tatbestand unterliege, sobald der im Feststellungsverfahren ergangene Bescheid rechtskräftig werde.

32.

Kurz gesagt: So wie ich es verstehe, liegt hier das praktische Problem. Die im „ersten“ Verfahren, dem Feststellungsverfahren, getroffenen Feststellungen haben Bindungswirkung für alle späteren Verfahren, egal ob vor Verwaltungsbehörden oder vor Gerichten. Hinzu kommt noch, und dies ist von höchster Bedeutung, dass die „Bindungswirkung“ nicht nur für Verfahren gilt, an denen jeweils dieselben Parteien beteiligt sind (also Parteiidentität in den Verfahren besteht) ( 5 ). Sie tritt vielmehr, und dies ist entscheidend, auch dann ein, wenn eine solche „Identität“, milde gesagt, fraglich scheint (z. B., wenn in der „zweiten“ Runde natürliche Personen persönlich mit einer Strafe belegt werden, obwohl in der „ersten“ Runde lediglich deren Unternehmen förmlich am Feststellungsverfahren beteiligt war).

33.

Zweitens: Vor dem Hintergrund dieses Systems stellt das vorlegende Gericht vier Fragen. Die erste und die zweite Frage betreffen die Vereinbarkeit der nationalen österreichischen Verfahrensvorschriften über die Rechtskraft von Verwaltungsbescheiden unter dem Gesichtspunkt der Wahrung der materiellrechtlichen Wirkungen der Art. 4 und 17 der Übernahmerichtlinie. Die beiden Fragen unterscheiden sich hinsichtlich der Frage der Identität (oder vielmehr der fehlenden Identität) der Parteien in den verschiedenen Verfahren.

34.

Die Art. 4 und 17 der Übernahmerichtlinie regeln die Benennung der Aufsichtsstelle und ihre Befugnisse sowie die Verhängung von Sanktionen wegen Verstößen gegen die zur Umsetzung der Richtlinie erlassenen einzelstaatlichen Vorschriften. Es ist jedoch nicht offensichtlich (und das vorlegende Gericht gibt dazu auch keine Erklärungen), wie diese Bestimmungen zur Erhellung der spezifischen Fragen beitragen können, um die es im vorliegenden Verfahren geht.

35.

Die dritte und die vierte Frage betreffen dieselbe Problematik, jedoch unter dem Blickwinkel der Charta. Im Wesentlichen geht es darum, ob Art. 47 der Charta innerstaatlichen Verfahrensvorschriften entgegensteht, nach denen die Entscheidung einer Verwaltungsbehörde über Verstöße gegen die innerstaatlichen Übernahmeangebotsvorschriften mit Eintritt der Rechtskraft dieselbe Verwaltungsbehörde in einem späteren Verwaltungsstrafverfahren binde. Mit der dritten Frage wird um Hinweise dazu ersucht, wie die Vereinbarkeit zu beurteilen ist, wenn in den beiden von der Verwaltungsbehörde durchgeführten Verfahren Parteiidentität gegeben ist. Mit der vierten Vorlagefrage wird dieselbe Frage für den Fall gestellt, dass keine Parteiidentität besteht.

36.

Betrachtet man die vier vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen in ihrer Gesamtheit, wird also die Gewährung der „vollen Wirksamkeit“ der Übernahmerichtlinie der Wahrung der u. a. durch die Charta geschützten Verfahrensrechte gegenübergestellt. Das vorlegende Gericht sieht diese beiden Ziele wohl in einem gewissen Spannungsverhältnis. Ohne dass dies klar benannt würde, scheint die Annahme zu bestehen, dass es entweder wirksame Sanktionen oder aber Grundrechtsschutz geben könne, jedoch nicht beides. Möglicherweise liegt sogar eine weitere stillschweigende Annahme zugrunde, dass nämlich eine Sanktion, um „wirksam“ zu sein, nicht zu sehr durch die Rechte der Parteien gestört werden sollte.

37.

Meines Erachtens ist diese Annahme kein guter Ausgangspunkt.

38.

Unstreitig ist vielmehr, dass die österreichischen Vorschriften über die Aufsicht über Übernahmeangebote, so wie diese unter anderem im ÜbG niedergelegt sind, die Übernahmerichtlinie umsetzen, so dass es sich um die Durchführung von Unionsrecht im Sinne von Art. 51 Abs. 1 der Charta handelt. Jedes innerstaatliche Verfahren, das im Rahmen der Übernahmerichtlinie durchgeführt wird, muss daher mit Art. 47 der Charta und den unionsrechtlich garantierten Rechten vereinbar sein.

39.

Das echte Problem kann meines Erachtens nicht darin liegen, sich entweder für „volle Wirksamkeit“ oder aber für „Grundrechte“ entscheiden zu müssen. Die Frage muss vielmehr sein, ob die österreichischen Verfahrensvorschriften, so wie sie ausweislich der vorliegenden Rechtssache Anwendung finden, mit den Art. 4 und 17 der Übernahmerichtlinie in Verbindung mit Art. 47 der Charta und den durch das Unionsrecht garantierten Rechten vereinbar sind.

40.

Drittens: In diesem Lichte betrachtet, handelt es sich bei den vier vom vorlegenden Gericht gestellten Fragen um nur zwei Fragen, genauer gesagt, um eine Frage mit zwei Unterfragen. Die Vorlagefragen lassen sich deshalb im Wesentlichen dahin gehend umformulieren, ob die Anwendung der nationalen Verfahrensvorschriften, so wie sie sich aus der vorliegenden Rechtssache ergibt, mit den Art. 4 und 17 der Übernahmerichtlinie vereinbar ist, wenn diese im Lichte des Grundsatzes der Achtung der Verteidigungsrechte und/oder des Art. 47 der Charta gelesen werden. Diese übergeordnete Frage umfasst zwei Unterfragen: zum einen zur Rechtslage, wenn in den Verfahren Parteiidentität gegeben ist (Fragen 1 und 3), zum anderen zur Rechtslage, wenn keine Identität besteht (Fragen 2 und 4).

41.

Diese Fragen werden insbesondere im Hinblick auf das Verwaltungsstrafverfahren gestellt. Das Problem hat jedoch, wie sich herausstellt, seinen Ursprung gar nicht im Verwaltungsstrafverfahren. Das Problem beginnt nämlich schon früher, mit dem Schutz der betreffenden Rechte in dem von der Übernahmekommission durchgeführten Feststellungsverfahren und der eingeschränkten Überprüfung der in diesem Verfahren getroffenen Feststellungen durch den Obersten Gerichtshof; diese Probleme setzen sich dann im anschließenden Verwaltungsstrafverfahren (und etwaigen weiteren Verfahren) fort.

42.

Im Hinblick auf die Bedeutung des Feststellungsverfahrens beginne ich also mit den Fragen 2 und 4 und dem Schutz der Grundrechte derjenigen Parteien, die nicht am Feststellungsverfahren beteiligt waren und (deshalb) keine Möglichkeit hatten, gegen den im Feststellungsverfahren ergangenen Feststellungsbescheid vorzugehen (C.1). Erst danach werde ich, wenn auch nur kurz, auf die Fragen 1 und 3 und die Rechtslage im Falle der Parteiidentität in den beiden Verfahren eingehen (C.2). Zuvor werde ich jedoch die für beide Fragenkomplexe geltenden grundrechtlichen Maßstäbe aufzeigen (B).

B. Zu den unionsrechtlichen Anforderungen

1.   Verwaltungsverfahren und Verteidigungsrechte

43.

Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts dar, der anwendbar ist, wann immer die Verwaltung beabsichtigt, eine beschwerende Maßnahme gegen eine Person zu erlassen ( 6 ). In einem solchen Fall muss der Adressat der Entscheidung in die Lage versetzt werden, seinen Standpunkt vorzutragen, bevor die Entscheidung getroffen wird ( 7 ). Diese Rechte sind in allen Verfahren, die zu einer beschwerenden Entscheidung führen können, unverzichtbar, unabhängig davon, ob es sich um ein Zivil‑, Straf‑, Verwaltungs- oder sonstiges Verfahren handelt ( 8 ).

44.

Der zentrale Punkt ist, dass die Verwaltungsbehörden bei der Durchführung ihrer Verfahren sicherstellen müssen, dass die subjektiven Verteidigungsrechte der Partei geachtet werden ( 9 ). Diese Rechte müssen zu dem Zeitpunkt gewährleistet sein, zu dem sie relevant werden ( 10 ). Nur auf diese Weise kann sichergestellt werden, dass die zuständige Behörde alle maßgeblichen Gesichtspunkte angemessen berücksichtigt und dass es der betroffenen Person möglich ist, Fehler zu berichtigen oder individuelle Umstände vorzutragen, die gegen den Erlass einer beschwerenden Entscheidung sprechen ( 11 ).

2.   Zu Gerichtsverfahren und Art. 47 der Charta

45.

In Art. 47 Abs. 1 der Charta ist das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht geregelt. Kernbestandteile dieses Rechts sind der Grundsatz der Waffengleichheit, einschließlich des Grundsatzes des kontradiktorischen Verfahrens ( 12 ), sowie der Grundsatz der verfahrensrechtlichen Gleichbehandlung ( 13 ). Durch Auferlegung der Verpflichtung, jeder Partei eine angemessene Möglichkeit zu bieten, ihre Sache unter Bedingungen zu vertreten, die sie gegenüber ihrem Gegner nicht klar benachteiligen ( 14 ), hat Art. 47 der Charta auch den Schutz der Verteidigungsrechte zum Gegenstand ( 15 ).

46.

Es stimmt, dass nur in Verfahren „strafrechtlicher“ Natur das gesamte Spektrum der sich aus Art. 6 Abs. 2 und 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (im Folgenden: EMRK) ergebenden Garantien, denen die Art. 47 und 48 der Charta entsprechen, zum Tragen kommt ( 16 ). Aus dem Wortlaut des Art. 47 der Charta wird jedoch auch deutlich, dass diese Bestimmung nicht auf Verfahren, die zur Verhängung „strafrechtlicher“ Sanktionen führen können, beschränkt ist. Die Bestimmung stellt vielmehr den Kern von Rechten dar, der in allen Gerichtsverfahren zu schützen ist ( 17 ).

47.

Es muss die Möglichkeit gegeben sein, die Beachtung dieses Kerns von Rechten sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht von einem „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta überprüfen zu lassen ( 18 ). Nach der Rechtsprechung muss eine solche Einrichtung auf gesetzlicher Grundlage beruhen, auf Dauer angelegt sein, verbindliche Entscheidungen erlassen, ein kontradiktorisches Verfahren vorsehen, Rechtsnormen anwenden und (intern und extern) unabhängig sein ( 19 ).

48.

Grundsätzlich ist eine gerichtliche Überprüfung nach Maßgabe von Art. 47 Abs. 1 der Charta nur dann wirksam, wenn zumindest in einer Instanz die volle gerichtliche Zuständigkeit gegeben ist ( 20 ). Der Umfang der Überprüfung durch ein solches „Gericht“ kann beschränkt sein, z. B. auf Rechtsfragen ( 21 ). In einem solchen Falle muss jedoch die Verwaltungsbehörde, die zum Erlass der in Rede stehenden Entscheidung befugt ist, ihrerseits sämtliche Voraussetzungen erfüllen, die an ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta zu stellen sind ( 22 ). Es muss also, auf dem einen oder auf dem anderen Wege, mindestens eine völlig unabhängige Instanz geben, die die Anforderungen an ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta erfüllt und die über die volle Zuständigkeit für die Beurteilung des Falls sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht verfügt.

C. Der vorliegende Fall

1.   Parteienverschiedenheit im anschließenden Verwaltungsstrafverfahren

49.

Das vorlegende Gericht erklärt, dass die Übernahmekommission im (vorgeschalteten) Feststellungsverfahren geprüft habe, ob das Verhalten der Verfahrensbeteiligten (objektiv) als „gemeinsames Vorgehen“ zur Erlangung einer „kontrollierenden Beteiligung“ an der Conwert anzusehen und damit die Verpflichtung zur Abgabe eines Pflichtangebots entstanden sei. Im anschließenden (Verwaltungsstraf‑)verfahren habe sich die Übernahmekommission dann bei der Prüfung des subjektiven Tatbestands der Unterlassung des Pflichtangebots an ihre Feststellungen (zum objektiven Tatbestand) gebunden gesehen. Dabei sei sie, trotz der Verschiedenheit der Verfahrensbeteiligten im Feststellungsverfahren und im Verwaltungsstrafverfahren, vom Eintritt der Bindungswirkung ausgegangen.

50.

Meines Erachtens werden dadurch eindeutig unionsrechtliche Probleme aufgeworfen, und zwar in beiden vorgenannten Dimensionen: sowohl (a) hinsichtlich der Ausübung der Verteidigungsrechte der betroffenen Parteien als auch (b) wegen der fehlenden Möglichkeit einer Nachprüfung durch ein Gericht mit „voller Zuständigkeit“.

a)   Zur Ausübung der Verteidigungsrechte

51.

HL erklärt, dass es ihm im Feststellungsverfahren nicht möglich gewesen sei, seine Verteidigungsrechte auszuüben, weil er in diesem Verfahren keine „Parteistellung“ gehabt habe. Im Feststellungsverfahren sei er lediglich als „Beteiligter“ angesehen worden. Nach österreichischem Recht gelten für diese beiden Verfahrensstellungen offenbar jeweils unterschiedliche Verfahrensrechte und ‑garantien. So erklärt HL, er sei gar nicht über das Feststellungsverfahren unterrichtet worden; er habe weder Akteneinsicht nehmen noch von seinem Recht auf Aussageverweigerung Gebrauch machen oder gegen den Feststellungsbescheid Beschwerde einlegen können. Erst nach Einleitung des Verwaltungsstrafverfahrens habe er diese Rechte ausüben können, jedoch ausschließlich im Rahmen dieses zweiten Verfahrens. Zu diesem Zeitpunkt sei die Übernahmekommission jedoch, was die Feststellungen zum objektiven Tatbestand des „gemeinsamen Vorgehens“ betreffe, bereits an den inzwischen rechtskräftigen Feststellungsbescheid gebunden gewesen. Deshalb seien ihm im Hinblick auf seine Stellung als Vorstandsmitglied von Adler von Anfang an die Handlungen dieser Gesellschaft zugerechnet worden, ohne dass er die Möglichkeit gehabt hätte, seine (eigenen und persönlichen) Verteidigungsrechte auszuüben.

52.

In ihrer Erwiderung auf eine vom Gerichtshof gestellte Frage hat die Übernahmekommission ausgeführt, dass HL zur Teilnahme am Feststellungsverfahren berechtigt gewesen sei, nach § 51 AVG ein Aussageverweigerungsrecht gehabt habe und berechtigt gewesen sei, sich in diesem Verfahren zu verteidigen. In der Tat sei HL im Feststellungsverfahren auch „persönlich“ zur Teilnahme an der mündlichen Verhandlung eingeladen worden; er sei dabei anwesend gewesen und habe daran teilgenommen. Dies bedeute, dass HL einige seiner subjektiven Verfahrensrechte habe ausüben können.

53.

Es wird Sache des vorlegenden Gerichts sein, den Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache sowie die Auslegung des innerstaatlichen Rechts, die wohl nicht ganz unstreitig ist, zu beurteilen.

54.

Aus den Akten gewinne ich den Eindruck, dass HL am Feststellungsverfahren in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied von Adler teilnahm, wobei er namens und im Auftrag dieser Gesellschaft, jedoch nicht für sich persönlich handelte. Es gibt nämlich keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Übernahmekommission im Feststellungsverfahren Untersuchungen zur Verwirklichung des objektiven Tatbestands im Hinblick auf die persönliche Verantwortlichkeit von HL durchgeführt hätte. Die Untersuchung betraf vielmehr die Tatbeteiligung der Gesellschaft. Die Tatbeteiligung von HL persönlich wurde danach erst im Verwaltungsstrafverfahren zum Verfahrensgegenstand.

55.

Die Übernahmekommission wendet dazu ein, dass HL – trotz der Parteiverschiedenheit in den beiden Verfahren – im Feststellungsverfahren, in dem er die juristische Person in seiner Eigenschaft als Vorstandsmitglied vertreten habe, seine persönlichen Verteidigungsrechte stellvertretend hätte ausüben können, da zwischen den beiden Parteien ein Interessensgleichlauf bestehe.

56.

Dieser Logik vermag ich aus (mindestens) zwei Gründen nicht zu folgen.

57.

Erstens kann man nicht darüber hinwegsehen, dass das Potenzial für Interessenkonflikte und/oder Treupflichtverletzungen recht groß ist, wenn Organmitglieder von Gesellschaften in die von der Übernahmekommission beschriebene Situation gebracht werden. Die Annahme, dass die Gesellschaft und ihr(e) Organmitglied(er) wahrscheinlich dasselbe Interesse daran haben, dass ihre Gesellschaft nicht der Verletzung der Übernahmeangebotsvorschriften für schuldig befunden wird, dürfte sicherlich im Großen und Ganzen weitgehend richtig sein. Lässt sich aber hinsichtlich anderer Fragen, die sich im Zuge des Verfahrens ergeben könnten, wirklich ausschließen, dass Geschäftsführer oder Vorstandsmitglieder nicht in eine Situation geraten, in der sie zwischen dem besten Interesse der Gesellschaft und ihrem eigenen besten Interesse wählen müssen, insbesondere wenn es später um eine persönliche verwaltungsrechtliche Verantwortlichkeit der Organmitglieder von Gesellschaften geht, bei der verwaltungsstrafrechtliche Sanktionen drohen?

58.

Zweitens haben die Verteidigungsrechte subjektiven Charakter. Nach ständiger Rechtsprechung können diese Rechte keiner anderen natürlichen oder juristischen Person übertragen werden, und sie können sicherlich nicht für eine andere Person ausgeübt werden ( 23 ). Es sind die betroffenen Parteien selbst, die in der Lage sein müssen, die ihnen durch das Unionsrecht gewährten Rechte wirksam auszuüben, unabhängig von der Art des Verfahrens, dem sie unterliegen.

59.

Ohne übertrieben formalistisch klingen zu wollen, kann ich mir die Prämisse, dass es effektiv dasselbe ist, ob eine natürliche Person namens und im Auftrag einer Gesellschaft (was normalerweise dahin verstanden wird, dass sie als gesetzlicher Vertreter der juristischen Person als die Gesellschaft handelt) oder aber in ihrem persönlichen Interesse und auf eigene Rechnung handelt, nicht zu eigen machen. Erst recht nicht, wenn die Interessen der beiden Personen im Laufe solcher Verfahren unter Umständen voneinander abweichen und sogar in direkten Konflikt geraten können.

60.

Im vorliegenden Fall hat HL, was ihn persönlich angeht, seine eigenen Verteidigungsrechte offenbar erst im Verwaltungsstrafverfahren ausüben können. Zu diesem Zeitpunkt war der Feststellungsbescheid jedoch bereits rechtskräftig geworden. Damit war hinsichtlich der Feststellungen zum „objektiven“ Tatbestand, die die Übernahmekommission auf Grundlage ihrer Untersuchung der vorgeworfenen Unterlassung eines Pflichtangebots getroffen hatte, die Bindungswirkung für das Verwaltungsstrafverfahren schon eingetreten. Dies hatte zur Folge, dass über das Verhalten von HL bereits abschließend geurteilt worden war, ohne dass er sich vor Erlass des betreffenden Bescheides dazu hätte äußern können ( 24 ).

b)   Fehlender Zugang zu einem Gericht mit „voller Zuständigkeit“

61.

GM, HL und Adler sind der Auffassung, dass unter den vorliegenden Umständen Art. 47 der Charta der Anerkennung der Bindungswirkung des Feststellungsbescheids für die Zwecke des Verwaltungsstrafverfahrens entgegenstehe. Zu Art. 47 Abs. 1 der Charta führen diese Parteien im Hinblick auf die nur eingeschränkte gerichtliche Überprüfung durch den Obersten Gerichtshof aus, dass die Anerkennung der mit der Rechtskraft des Feststellungsbescheids eingetretenen Bindungswirkung für das Verwaltungsstrafverfahren wie auch für Gerichtsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht das ihnen in der Charta gewährte Recht auf wirksamen Rechtsschutz untergrabe.

62.

Dieser Auffassung tritt die Übernahmekommission entgegen. Ihrer Ansicht nach sind die sowohl dem Feststellungsverfahren als auch dem Verwaltungsstrafverfahren zugrunde liegenden Verfahrensgarantien solcher Art, dass die in den Verfahren ergehenden Entscheidungen von einem unabhängigen und unparteiischen „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta erlassen würden. Da die Übernahmekommission somit in beiden Fällen als das „erstinstanzliche Gericht“ fungiere, sei es mit Art. 47 der Charta vereinbar, den Umfang der vom Obersten Gerichtshof vorgenommenen Überprüfung auf Rechtsfragen zu beschränken.

63.

Die Logik der in Art. 47 Abs. 1 der Charta genannten Anforderungen erfordert eine in zwei Schritten vorzunehmende Beurteilung ( 25 ). Erstens, ob die Übernahmekommission tatsächlich, wie von ihr behauptet, die Anforderungen an ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta erfüllt (1). Sollte dies nicht der Fall sein, zweitens, ob ihre Entscheidungen der Überprüfung durch ein Gericht mit „voller Zuständigkeit“ unterliegen (2).

1) Ist die Übernahmekommission ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta?

64.

Eine der kumulativen Voraussetzungen für ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta ist, dass die betreffende Behörde „unabhängig“ sein muss ( 26 ). Diese Voraussetzung stellt sicher, dass die am Verfahren beteiligten Parteien und ihre jeweiligen Interessen bezüglich des Verfahrensgegenstands denselben Bedingungen unterliegen ( 27 ). Mit anderen Worten: Die betreffende Stelle darf nicht als Partei in eigener Sache handeln, weil sie dann entgegen dem Grundsatz nemo iudex in causa sua Richterin in eigener Sache wäre ( 28 ).

65.

Es ist nicht erforderlich, sämtliche Voraussetzungen durchzugehen, die ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta erfüllen muss, da offensichtlich ist, dass die Übernahmekommission dem Erfordernis der „Unabhängigkeit“ nicht genügt.

66.

In Erwiderung auf eine Frage des Gerichtshofs hat GM angemerkt, dass gemäß § 29 Abs. 1 ÜbG die Übernahmekommission für die Durchführung des ÜbG zuständig sei und ihr zu diesem Zweck umfassende Befugnisse zur Tätigkeit von Amts wegen eingeräumt seien, einschließlich der Befugnis zur Einleitung von Feststellungs- und Verwaltungsstrafverfahren. Im Rahmen solcher Verfahren entscheide die Übernahmekommission selbst über Umfang und Gegenstand des Verfahrens und führe selbst die Ermittlungen für das Verfahren durch. Aus § 33 Abs. 4 ÜbG ergebe sich – was aber vom vorlegenden Gericht zu bestätigen wäre –, dass in einem auf begründeten Antrag hin eingeleiteten Verfahren die Zuständigkeit für die Entscheidung über die Fortsetzung des Verfahrens allein bei der Übernahmekommission liege, auch dann, wenn der Antrag später zurückgezogen werde.

67.

Die Übernahmekommission hat, kurz gesagt, nach dem innerstaatlichen Recht verschiedene Funktionen inne: Sie ist Ermittler, Ankläger und „Richter“. Es gibt keine Anzeichen dafür, dass die Übernahmekommission im internen Betrieb eine strikte funktionale Trennung vornähme, so dass es auf der einen Seite Abteilungen der Behörde gäbe, die für die Ermittlungen und die Entscheidungsfindung im Rahmen der Anwendung der Übernahmerichtlinie zuständig wären, und auf der anderen Seite eine Stelle, die über Beschwerden gegen die von diesen Abteilungen erlassenen Bescheide entschiede ( 29 ).

68.

Tatsächlich ist ersichtlich, dass die Übernahmekommission in späteren Gerichtsverfahren, die Rechtsbehelfe gegen die von ihr im Feststellungs- oder Verwaltungsstrafverfahren erlassenen Entscheidungen betreffen, als Beschwerdegegner in eigener Sache auftritt, um sich vor dem zuständigen österreichischen Gericht zu verteidigen ( 30 ). Sie handelt also nicht als ein unparteiischer Dritter, der zwischen dem Beschuldigten auf der einen Seite und der für die Überwachung der Einhaltung der Pflichtangebotsregeln zuständigen Behörde auf der anderen Seite steht.

69.

Über alle diese Fragen muss natürlich das vorlegende Gericht entscheiden. Angesichts der dem Gerichtshof gegebenen Antworten wie auch aus den vorstehend in diesen Schlussanträgen dargelegten Gründen bin ich allerdings nicht überzeugt, dass die Übernahmekommission die Anforderungen an ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta erfüllt. Ich möchte betonen, dass mit dieser vorläufigen Schlussfolgerung, deren Überprüfung allein dem vorlegenden Gericht vorbehalten ist, keinesfalls in Frage gestellt wird, dass es gewisse nationale Verwaltungsbehörden geben wird, die mit einem höheren Maß an Unabhängigkeit ausgestattet sind und die in ihren jeweiligen Tätigkeitsgebieten die höchste Fachkompetenz haben.

70.

Das ist jedoch nicht, was ein „unabhängiges“ Gericht ausmacht. Ein unabhängiges Gericht im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta ist durch seine völlige, sowohl „interne“ als auch „externe“, Unabhängigkeit gekennzeichnet. Was die beiden beteiligten Parteien betrifft, ist es ein unabhängiger Dritter. Nach dieser Logik sind nicht nur Spruchkammern, die Teil einer Verwaltungsbehörde sind, sondern auch funktional höchst unabhängige Beschwerdekammern einer Verwaltungsbehörde doch eher der öffentlichen Verwaltung als der Judikative zuzurechnen ( 31 ).

71.

Da die Übernahmekommission offenbar kein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta ist, stellt sich somit die Frage, ob im vorliegenden Fall die zuständigen nationalen Gerichte die „volle Zuständigkeit“ für die Überprüfung der Entscheidungen der Übernahmekommission behalten.

2) Findet eine Überprüfung durch ein Gericht mit „voller Zuständigkeit“ statt?

72.

Die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Übernahmekommission ist, je nachdem, in welchem Verfahren sie ergehen, unterschiedlich ausgestaltet. Gegen Bescheide, die im (vorgeschalteten) Feststellungsverfahren ergehen, ist der Rekurs zum Obersten Gerichtshof möglich. Die von ihm vorgenommene Überprüfung ist auf Rechtsfragen beschränkt ( 32 ). Er hat somit wohl keine „volle Zuständigkeit“ zur Prüfung der Tatsachenfragen ( 33 ). Dagegen kann gegen die im (nachgeschalteten) Verwaltungsstrafverfahren ergangenen Straferkenntnisse Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt werden (das in dieser Rechtssache das vorlegende Gericht ist) ( 34 ). Dieses Gericht hat ersichtlich die „volle Zuständigkeit“, die Entscheidungen der Übernahmekommission in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht zu überprüfen.

73.

Das vorlegende Gericht erklärt allerdings, dass es in der Praxis dennoch keine „volle Zuständigkeit“ ausübe, da es den Feststellungsbescheid der Übernahmekommission nicht überprüfen dürfe. Aus den österreichischen Verfahrensvorschriften ergebe sich eine weitreichende Bindungswirkung rechtskräftiger Verwaltungsentscheidungen, weshalb das vorlegende Gericht an die (inzwischen rechtskräftigen) Feststellungen der Übernahmekommission im Feststellungsbescheid gebunden sei und diese Feststellungen nicht überprüfen dürfe.

74.

Insgesamt würde dies bedeuten, dass nach dem innerstaatlichen Recht die Übernahmekommission, (i) ohne selbst Gerichtscharakter zu besitzen, einen Bescheid erließe, (ii) der vom Obersten Gerichtshof nicht umfassend überprüft werden könnte und (iii) mit Eintritt seiner Rechtskraft (iv) nicht nur die Übernahmekommission in künftigen Verfahren mit denselben Parteien (wobei die Übernahmekommission den Begriff der Parteienidentität recht weit fasse), demselben Sachverhalt und Gegenstand binden würde, sondern auch (v) jedes im Rahmen seiner gewöhnlichen Aufgaben für die Überprüfung der damit zusammenhängenden Verfahren zuständige Gericht.

75.

Sollte dies in der Tat der Fall sein, so verstieße eine solche Situation meines Erachtens gegen Art. 47 der Charta und gegen das Erfordernis eines wirksamen gerichtlichen Rechtsschutzes.

76.

Dabei möchte ich betonen, dass diese Unvereinbarkeit für jeden der Beteiligten am „ersten“ Verfahren, dem Feststellungsverfahren, gilt, da es ein „Gericht“ mit voller Zuständigkeit, wie es nach Art. 47 Abs. 1 der Charta erforderlich wäre, anscheinend nicht gibt. Abgesehen von diesem ersten Problem ergibt sich in Bezug auf diejenigen, die nicht einmal am ersten Verfahren (dem Feststellungsverfahren) teilgenommen haben, ein zusätzliches Problem.

2.   Parteiidentität in späteren Verfahren

77.

GM macht geltend, dass er zwar als „Partei“ am Feststellungsverfahren beteiligt gewesen, jedoch nicht darüber unterrichtet worden sei, dass das Verfahren zur Verhängung einer Verwaltungsstrafe im Verwaltungsstrafverfahren führen könne. Auch sei ihm im Feststellungsverfahren kein Recht auf Aussageverweigerung gewährt worden.

78.

Nach Ansicht der Übernahmekommission wurden die Grundrechte von GM sowohl im Feststellungs- als auch im Verwaltungsstrafverfahren geachtet.

79.

Dies wird im Einzelnen vom vorlegenden Gericht zu prüfen sein; jedenfalls ist die Lage, was den Schutz der Grundrechte von GM angeht, die gleiche wie im spezifischen Fall von HL und von Adler. Das Problem, das sich in der ersten Runde stellt, ist sozusagen für alle Parteien das gleiche. Der einzige Unterschied ist, dass in Fällen der Parteiidentität in beiden Verfahren das zusätzliche Problem, nämlich das Fehlen von Verteidigungsrechten, möglicherweise nicht entsteht (sofern nämlich die in der „ersten Runde“ entstandenen Rechte dann auch hätten ausgeübt werden können).

80.

Darüber hinaus sehe ich keinen Grund, warum in einem früheren Verwaltungsverfahren getroffene Tatsachenfeststellungen grundsätzlich nicht auch in einem parallelen oder späteren Verwaltungsverfahren, das auf demselben Sachverhalt beruht, sollten angeführt werden können ( 35 ). Es ist allgemein üblich, spätere Verwaltungsentscheidungen auf Feststellungen, Informationen oder sogar Beweismittel in früheren Entscheidungen derselben oder auch anderer Verwaltungsbehörden zu stützen.

81.

Eines muss aber in allen solchen Fällen, in denen Feststellungen aus anderen Verfahren übernommen werden, gewährleistet sein: Zu dem Zeitpunkt, zu dem die Verteidigungsrechte entstehen oder entstanden wären, muss die betroffene Partei weiterhin in der Lage sein, diese in vollem Umfang auszuüben ( 36 ). Es kann nicht sein, dass eine solche Partei plötzlich vor vollendete Tatsachen gestellt wird, über ihre Position also in erheblichem Umfang bereits vorab entschieden worden wäre, ohne dass man ihr je Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hätte.

82.

Soweit als GM ersichtlich an beiden Verfahren als Partei teilnahm, wobei er jeweils für sich persönlich handelte, ergibt sich das grundsätzliche Problem der fehlenden Parteiidentität in den verschiedenen Verfahren nicht ( 37 ). Ob in diesem spezifischen Fall seine Verteidigungsrechte in jedem der beiden Verfahren geachtet wurden oder nicht, wird vom vorlegenden Gericht zu beurteilen sein.

3.   Schlussbemerkung

83.

Ich halte es für erforderlich, darauf hinzuweisen, dass die Möglichkeit, die Bindungswirkung rechts- bzw. bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen nach innerstaatlichem Recht auf andere Verfahren zu erstrecken, durch die vorliegenden Schlussanträge in keiner Weise in Frage gestellt wird. Es ist, um es nochmals zu betonen, durchaus üblich, dass eine Entscheidung die Grundlage für eine andere Entscheidung bilden kann oder in einem anderen Verfahren berücksichtigt wird ( 38 ). Häufig sind es Gesichtspunkte wie Verwaltungseffizienz sowie Gleichbehandlung und Vorhersehbarkeit des Verwaltungshandelns, die dafür sprechen, bestimmte Feststellungen auch auf andere Verfahren zu erstrecken ( 39 ).

84.

Ob, und auf welche Weise, nach der innerstaatlichen Rechtsordnung die Bindungswirkung rechts- bzw. bestandskräftiger Verwaltungsentscheidungen eintritt, bleibt der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überlassen. Diese Autonomie wird durch den unionsrechtlichen Grundrechtsschutz nur insoweit beschränkt, als es für den wirksamen Schutz dieser Rechte erforderlich ist ( 40 ).

85.

Klar ist auch, dass die Mitgliedstaaten nicht gehalten sind, ihre Verwaltungsverfahrensordnung so zu gestalten, dass die Verwaltungsbehörde selbst die Anforderungen an ein „Gericht“ im Sinne von Art. 47 der Charta erfüllt. Das Unionsrecht erfordert jedoch, wenn es um auf das Unionsrecht gestützte Rechte geht, dass die (gerichtliche) Überprüfung der Entscheidungen der Verwaltungsbehörde auf der „nächsthöheren“ Stufe erfolgt, d. h durch die zuständigen nationalen Gerichte.

86.

Vor diesem Hintergrund wird in diesen Schlussanträgen lediglich aufgezeigt, dass das spezifische Zusammenspiel der vom nationalen Gesetzgeber getroffenen institutionellen und verfahrensrechtlichen Regelungen aus zwei Gründen problematisch ist. Erstens muss das vorgeschaltete Feststellungsverfahren in irgendeiner Phase die Möglichkeit vorsehen, den Feststellungsbescheid vor einem Gericht mit „voller Zuständigkeit“ anzufechten, falls die Parteien dagegen vorzugehen wünschen. Zweitens gestattet der Schutz (ihrer Art nach) subjektiver Rechte keine Verwertung in „fremden“ Verfahren getroffener Feststellungen mit Wirkung für andere Verwaltungsverfahren, wenn diese dazu führt, dass jemand zum Teil vorverurteilt wird, weil Feststellungen aus einem früheren Verfahren, an dem er gar nicht beteiligt war, zu seinen Lasten gewertet werden.

V. Ergebnis

87.

Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Bundesverwaltungsgerichts (Österreich) wie folgt zu beantworten:

„Die Art. 4 und 17 der Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 betreffend Übernahmeangebote sind in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und den Verteidigungsrechten dahin auszulegen, dass sie der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften entgegenstehen, wenn diese bewirken, dass die betroffenen Parteien in einem späteren Verwaltungsstrafverfahren, in dem es um deren subjektive Verantwortlichkeit für einen Verstoß gegen die Richtlinie 2004/25 geht, an der vollen Ausübung ihrer Verteidigungsrechte gehindert werden, oder den Parteien keinen Zugang zu einem wirksamen Rechtsbehelf bei einem Gericht im Sinne von Art. 47 Abs. 1 der Charta gewähren.“


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie 2004/25/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Übernahmeangebote (ABl. 2004, L 142, S. 12).

( 3 ) § 22a Z 1 ÜbG.

( 4 ) Gemäß §§ 33 und 35 ÜbG.

( 5 ) Was nach Angaben des vorlegenden Gerichts nach innerstaatlichem Recht normalerweise Voraussetzung ist (vgl. oben Nr. 17 der vorliegenden Schlussanträge).

( 6 ) Vgl. Urteile vom 22. Oktober 2013, Sabou (C‑276/12, EU:C:2013:678, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 84), und vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 7 ) Urteile vom 19. Februar 2009, Kamino International Logistics (C‑376/07, EU:C:2009:105, Rn. 42 bis 43), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 47), und vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 41).

( 8 ) Urteile vom 14. September 2010, Akzo Nobel Chemicals und Akcros Chemicals/Kommission (C‑550/07 P, EU:C:2010:512, Rn. 92 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 5. März 2015, Kommission u. a./Versalis u. a. (C‑93/13 und C‑123/13 P, EU:C:2015:150, Rn. 94 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 6. Oktober 2020, Bank Refah Kargaran/Rat (C‑134/19 P, EU:C:2020:793, Rn. 56).

( 9 ) Vgl. Urteile vom 26. September 2013, Texdata Software (C‑418/11, EU:C:2013:588, Rn. 83 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 17. März 2016, Bensada Benallal (C‑161/15, EU:C:2016:175, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 22. November 2012, M. (C‑277/11, EU:C:2012:744, Rn. 90), vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 47 bis 49), und vom 2. Februar 2021, Consob (C‑481/19, EU:C:2021:84, Rn. 42 und 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Urteile vom 21. Dezember 2011, Frankreich/People’s Mojahedin Organization of Iran (C‑27/09 P, EU:C:2011:853, Rn. 65 und die dort angeführte Rechtsprechung), vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 47), und vom 16. Oktober 2019, Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:861, Rn. 41).

( 12 ) Urteil vom 21. September 2010, Schweden u. a./API und Kommission (C‑514/07 P, C‑528/07 P und C‑532/07 P, EU:C:2010:541, Rn. 88 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 13 ) Urteil vom 30. Juni 2016, Toma und Toma and Biroul Executorului Judecătoresc Horațiu-Vasile Cruduleci (C‑205/15, EU:C:2016:499, Rn. 36 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 14 ) Urteil vom 17. Juli 2014, Sánchez Morcillo und Abril García (C‑169/14, EU:C:2014:2099, Rn. 49).

( 15 ) Urteile vom 25. Juli 2018, Minister for Justice and Equality (Mängel des Justizsystems) (C‑216/18 PPU, EU:C:2018:586, Rn. 67), und vom 24. Juni 2019, Kommission/Polen (Unabhängigkeit des Obersten Gerichts) (C‑619/18, EU:C:2019:531, Rn. 77 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 16 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 2. Februar 2021, Consob (C‑481/19, EU:C:2021:84, Rn. 42 und 43). Vgl. auch EGMR, 10. Dezember 2020, Edizioni del Roma Società Cooperativa a.r.l. und Edizioni del Roma s.r.l./Italien (ECLI:CE:ECHR:2020:1210JUD006895413, § 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 17 ) Vgl. in diesem Sinne Urteile vom 17. Dezember 2020, Centraal Israëlitisch Consistorie van België u. a. (C‑336/19, EU:C:2020:1031, Rn. 56 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 2. Februar 2021, Consob (C‑481/19, EU:C:2021:84, Rn. 37 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. September 2014, CB/Kommission (C‑67/13 P, EU:C:2014:2204, Rn. 43 bis 46). Vgl. auch EGMR, 10. Dezember 2020, Edizioni del Roma Società Cooperativa a.r.l. und Edizioni del Roma s.r.l./Italien (ECLI:CE:ECHR:2020:1210JUD006895413, § 90 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 19 ) Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 38 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch hinsichtlich des das „Innenverhältnis“ betreffenden Aspekts der Unabhängigkeit, Urteil vom 19. November 2019, A. K. u. a. (Unabhängigkeit der Disziplinarkammer des Obersten Gerichts) (C‑585/18, C‑624/18 und C‑625/18, EU:C:2019:982, Rn. 122).

( 20 ) Urteile vom 6. November 2012, Otis u. a. (C‑199/11, EU:C:2012:684, Rn. 49), und vom 16. Mai 2017, Berlioz Investment Fund (C‑682/15, EU:C:2017:373, Rn. 54 bis 56 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 21 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 61). Vgl. auch EGMR, 18. Januar 2000, Pesti und Frodl/Österreich (ECLI:CE:ECHR:2000:0118DEC002761895, § 4 und die dort angeführte Rechtsprechung), und vom 22. November 1985, Bryan/Vereinigtes Königreich (ECLI:CE:ECHR:1995:1122JUD001917891, § 47).

( 22 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 19. September 2006, Wilson (C‑506/04, EU:C:2006:587, Rn. 61 und 62). Vgl. auch EGMR, 27. Oktober 2009, Crompton/Vereinigtes Königreich (ECLI:CE:ECHR:2009:1027JUD004250905, §§ 70 bis 73).

( 23 ) Vgl. z. B. Urteile vom 9. Juni 2011, Evropaïki Dynamiki/EZB (C‑401/09 P, EU:C:2011:370, Rn. 49), und vom 10. September 2015, Fliesen-Zentrum Deutschland (C‑687/13, EU:C:2015:573, Rn. 73). Vgl. auch aus jüngerer Zeit Urteil vom 19. September 2019, Zhejiang Jndia Pipeline Industry/Kommission (T‑228/17, EU:T:2019:619, Rn. 36).

( 24 ) Urteil vom 5. November 2014, Mukarubega (C‑166/13, EU:C:2014:2336, Rn. 46 und 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 25 ) Vgl. oben, Nr. 48 der vorliegenden Schlussanträge.

( 26 ) Siehe oben, Nr. 47 dieser Schlussanträge.

( 27 ) Vgl. z. B. Urteil vom 22. Dezember 2010, RTL Belgium (C‑517/09, EU:C:2010:821, Rn. 38 bis 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 62 und die dort angeführte Rechtsprechung). Vgl. auch EGMR, 10. Dezember 2020, Edizioni del Roma Società Cooperativa a.r.l. und Edizioni del Roma s.r.l./Italien (ECLI:CE:ECHR:2020:1210JUD006895413, § 64).

( 29 ) Vgl. Urteil vom 21. Januar 2020, Banco de Santander (C‑274/14, EU:C:2020:17, Rn. 72 bis 77).

( 30 ) Ebd., Rn. 42.

( 31 ) Vgl. entsprechend die Rechtsprechung zur Zulässigkeit von Vorabentscheidungsersuchen verschiedener (zur Überprüfung von Bescheiden berechtigter oder gerichtsähnlicher) Kammern von Einrichtungen innerhalb der öffentlichen Verwaltung, z. B. Urteile vom 31. Mai 2005, Syfait u. a. (C‑53/03, EU:C:2005:333, Rn. 31 bis 37), oder vom 30. Mai 2002, Schmid (C‑516/99, EU:C:2002:313, Rn. 34 bis 38).

( 32 ) Vgl. im Einzelnen Nr. 29 dieser Schlussanträge.

( 33 ) Vgl. hierzu § 30a Abs. 1 und 2 ÜbG. Vgl. dagegen z. B. das im deutschen Recht vorgesehene Verfahren für Beschwerden gegen Verfügungen der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Deutschland), das die rechtliche und tatsächliche Überprüfung vorsieht. Vgl. § 48 des deutschen Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes.

( 34 ) § 35 Abs. 3 ÜbG.

( 35 ) Vgl. dazu meine Schlussanträge in der Rechtssache Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:462, Nr. 39).

( 36 ) Siehe oben, Nr. 44 dieser Schlussanträge.

( 37 ) Siehe. oben, Nrn. 54 bis 60 dieser Schlussanträge.

( 38 ) Im Bereich der Mehrwertsteuer vgl. z. B. Urteil vom 17. Dezember 2015, WebMindLicenses (C‑419/14, EU:C:2015:832, Rn. 68 und 90). Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Glencore Agriculture Hungary (C‑189/18, EU:C:2019:462, Nr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 39 ) Gründe der Verwaltungseffizienz können jedoch nicht als „Freibrief“ für die Beschränkung des Grundrechtsschutzes dienen. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 30. Juni 2011, Zeturf (C‑212/08, EU:C:2011:437, Rn. 48).

( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 11. November 2015, Klausner Holz Niedersachsen (C‑505/14, EU:C:2015:742, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).