SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

GERARD HOGAN

vom 16. Mai 2019 ( 1 )

Rechtssache C‑484/18

Société de perception et de distribution des droits des artistes-interprètes de la musique et de la danse (Spedidam),

PG,

GF

gegen

Institut national de l’audiovisuel,

Beteiligte:

Syndicat indépendant des artistes-interprètes (SIA-UNSA),

Syndicat français des artistes-interprètes (CGT)

(Vorabentscheidungsersuchen der Cour de cassation [Kassationsgerichtshof, Frankreich])

,,Vorabentscheidungsersuchen – Urheberrechte und verwandte Schutzrechte – Richtlinie 2001/29/EG – Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 2 – Ausschließliche Rechte der ausübenden Künstler – Nationale Rechtsvorschriften, die zugunsten des französischen Nationalen Instituts für Bild und Ton (INA) eine Sonderregelung für die Verwertung audiovisueller Archive vorsehen, die in Art. 5 Abs. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 nicht vorgesehen ist – Genuss der Verwertungsrechte an audiovisuellen Archiven ohne die Notwendigkeit des Nachweises der Zustimmung des ausübenden Künstlers – Gesetzliche Vermutung der Zustimmung der ausübenden Künstler“

I. Einleitung

1.

Darf ein Mitgliedstaat in seinen Urheberrechtsvorschriften vorsehen, dass eine Vermutung dahin gilt, dass der ausübende Künstler eines bestimmten Werks einer öffentlichen Einrichtung, die die Aufgabe hat, audiovisuelle Aufnahmen zu erhalten, erlaubt hat, dieses Werk zu veröffentlichen und gegebenenfalls durch eine unterstellte Übertragung seiner Rechte zu verwerten? Dies ist im Wesentlichen die Kernfrage, die mit diesem Vorabentscheidungsersuchen gestellt wird.

2.

Das vorliegende Ersuchen, das am 20. Juli 2018 von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden ist, betrifft offensichtlich die Auslegung von Art. 2 Buchst. b, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ( 2 ).

3.

Das Ersuchen ergeht in einem Verfahren zwischen der Societé de perception et de distribution des droits des artites-interprètes de la musique et de la danse (im Folgenden: Spedidam), PG und GF – Söhne und Rechtsnachfolger des weltberühmten Jazzschlagzeugers ZV – einerseits und dem Institut national de l’audiovisuel (französisches Nationales Institut für Bild und Ton, im Folgenden: INA) andererseits, das eine Schadensersatzforderung wegen behaupteter Verletzung der von PG und GF gehaltenen Rechte des ausübenden Künstlers durch das INA betrifft.

4.

ZV verstarb 1985. Im Jahr 2009 entdeckten seine Söhne, dass das INA bestimmte Videoaufnahmen und einen gesonderten Tonträger von Konzertdarbietungen ihres Vaters aus den Jahren 1959 bis 1978 auf seiner Website zugänglich machte. Daraufhin leiteten sie das Ausgangsverfahren ein und forderten als Inhaber der Urheberrechte und der verwandten Schutzrechte Schadensersatz für die aus ihrer Sicht unerlaubte Wiedergabe der Darbietungen ihres verstorbenen Vaters durch das INA. Es ist unstreitig, dass die Söhne nie eine Erlaubnis zu dieser Art der Wiedergabe der Darbietungen ihres Vaters durch das INA erteilt haben. Wie wir sogleich sehen werden, sieht das französische Recht eine Übertragung verwandter Schutzrechte auf das INA vor. Die entscheidende Frage, die mit diesem Vorabentscheidungsersuchen vorgelegt wurde, lautet, ob diese französischen Rechtsvorschriften mit den Vorgaben der Richtlinie 2001/29 in Einklang stehen.

5.

Bevor ich mich mit diesen Rechtsfragen befasse, sind die einschlägigen Rechtsvorschriften darzulegen.

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

6.

Die Erwägungsgründe 15, 25, 26, 30 und 32 der Richtlinie 2001/29 lauten:

„(15)

Die Diplomatische Konferenz, die unter der Schirmherrschaft der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) im Dezember 1996 stattfand, führte zur Annahme von zwei neuen Verträgen, dem WIPO-Urheberrechtsvertrag und dem WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger, die den Schutz der Urheber bzw. der ausübenden Künstler und Tonträgerhersteller zum Gegenstand haben. In diesen Verträgen wird der internationale Schutz des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte, nicht zuletzt in Bezug auf die sog. ‚digitale Agenda‘, auf den neuesten Stand gebracht; gleichzeitig werden die Möglichkeiten zur Bekämpfung der Piraterie weltweit verbessert. Die Gemeinschaft und die meisten Mitgliedstaaten haben die Verträge bereits unterzeichnet, und inzwischen wurde mit den Vorbereitungen zu ihrer Genehmigung bzw. Ratifizierung durch die Gemeinschaft und die Mitgliedstaaten begonnen. Die vorliegende Richtlinie dient auch dazu, einigen dieser neuen internationalen Verpflichtungen nachzukommen.

(25)

Die Rechtsunsicherheit hinsichtlich der Art und des Umfangs des Schutzes der netzvermittelten Übertragung der urheberrechtlich geschützten Werke und der durch verwandte Schutzrechte geschützten Gegenstände auf Abruf sollte durch einen harmonisierten Rechtsschutz auf Gemeinschaftsebene beseitigt werden. Es sollte klargestellt werden, dass alle durch diese Richtlinie anerkannten Rechtsinhaber das ausschließliche Recht haben sollten, urheberrechtlich geschützte Werke und sonstige Schutzgegenstände im Wege der interaktiven Übertragung auf Abruf für die Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Derartige interaktive Übertragungen auf Abruf zeichnen sich dadurch aus, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind.

(26)

In Bezug auf Radio- und Fernsehproduktionen, die Musik aus gewerblichen Tonträgern enthalten und von den Sendeunternehmen auf Abruf angeboten werden, sind Vereinbarungen über Sammellizenzen zu fördern, um die Klärung im Zusammenhang mit den betreffenden Rechten zu erleichtern.

(30)

Die von dieser Richtlinie erfassten Rechte können unbeschadet der einschlägigen einzelstaatlichen Rechtsvorschriften über das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte übertragen oder abgetreten werden oder Gegenstand vertraglicher Lizenzen sein.

(32)

Die Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe sind in dieser Richtlinie erschöpfend aufgeführt. Einige Ausnahmen oder Beschränkungen gelten, soweit dies angemessen erscheint, nur für das Vervielfältigungsrecht. Diese Liste trägt den unterschiedlichen Rechtstraditionen in den Mitgliedstaaten Rechnung und soll gleichzeitig die Funktionsfähigkeit des Binnenmarkts sichern. Die Mitgliedstaaten sollten diese Ausnahmen und Beschränkungen in kohärenter Weise anwenden; dies wird bei der zukünftigen Überprüfung der Umsetzungsvorschriften besonders berücksichtigt werden.“

7.

Art. 2 („Vervielfältigungsrecht“) der Richtlinie 2001/29 sieht vor:

„Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten:

a)

für die Urheber in Bezug auf ihre Werke,

b)

für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen,

c)

für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger,

d)

für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und die Vervielfältigungsstücke ihrer Filme,

…“

8.

Art. 3 („Recht der öffentlichen Wiedergabe von Werken und Recht der öffentlichen Zugänglichmachung sonstiger Schutzgegenstände“) der Richtlinie 2001/29 bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten sehen vor, dass den Urhebern das ausschließliche Recht zusteht, die drahtgebundene oder drahtlose öffentliche Wiedergabe ihrer Werke einschließlich der öffentlichen Zugänglichmachung der Werke in der Weise, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind, zu erlauben oder zu verbieten.

(2)   Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, zu erlauben oder zu verbieten, dass die nachstehend genannten Schutzgegenstände drahtgebunden oder drahtlos in einer Weise der Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden, dass sie Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich sind:

a)

für die ausübenden Künstler in Bezug auf die Aufzeichnungen ihrer Darbietungen;

b)

für die Tonträgerhersteller in Bezug auf ihre Tonträger;

c)

für die Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen in Bezug auf das Original und auf Vervielfältigungsstücke ihrer Filme;

…“

9.

Art. 5 („Ausnahmen und Beschränkungen“) dieser Richtlinie legt in Abs. 2 fest:

„Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf das in Artikel 2 vorgesehene Vervielfältigungsrecht vorsehen:

c)

in Bezug auf bestimmte Vervielfältigungshandlungen von öffentlich zugänglichen Bibliotheken, Bildungseinrichtungen oder Museen oder von Archiven, die keinen unmittelbaren oder mittelbaren wirtschaftlichen oder kommerziellen Zweck verfolgen;

…“

10.

Art. 10 („Zeitliche Anwendbarkeit“) der Richtlinie 2001/29 sieht vor:

„(1)   Die Vorschriften dieser Richtlinie finden auf alle von ihr erfassten Werke und Schutzgegenstände Anwendung, die am 22. Dezember 2002 durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte geschützt sind oder die die Schutzkriterien im Sinne dieser Richtlinie oder der in Artikel 1 Absatz 2 genannten Bestimmungen erfüllen.

(2)   Die Richtlinie berührt Handlungen und Rechte nicht, die vor dem 22. Dezember 2002 abgeschlossen bzw. erworben wurden.“

B.   Französisches Recht

11.

Art. L. 212-3 Abs. 1 des Code de la propriété intellectuelle (Gesetzbuch über das geistige Eigentum) sieht vor:

„Der schriftlichen Erlaubnis des ausübenden Künstlers bedarf die Aufzeichnung seiner Darbietung, deren Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe sowie jede gesonderte Nutzung von Ton und Bild der Darbietung, wenn diese in Ton und Bild aufgezeichnet wurde.“

12.

Art. L. 212-4 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum bestimmt:

„Die Unterzeichnung des Vertrags, der zwischen einem ausübenden Künstler und einem Hersteller zur Herstellung eines audiovisuellen Werks geschlossen wird, gilt als Erlaubnis, die Darbietung des ausübenden Künstlers aufzuzeichnen, zu vervielfältigen und öffentlich wiederzugeben.

Dieser Vertrag setzt eine gesonderte Vergütung für jede Art der Verwertung des Werks fest.“

13.

Art. 49 der Loi no 86‑1067 du 30 septembre 1986 relative à la liberté de communication (Gesetz Nr. 86‑1067 vom 30. September 1986 über die Kommunikationsfreiheit) in der durch Art. 44 des Gesetzes Nr. 2006/961 vom 1. August 2006 geänderten Fassung (im Folgenden: Gesetz über die Kommunikationsfreiheit) sieht vor:

„Das [INA], eine öffentliche Einrichtung des Staates mit gewerblichem Charakter, ist für die Erhaltung und Aufwertung des nationalen audiovisuellen Erbes zuständig.

II. Das [INA] verwertet Auszüge der audiovisuellen Archive der nationalen Programmgesellschaften nach den in den Spezifikationen niedergelegten Bedingungen. Hierfür verfügt es nach Ablauf eines Jahres seit ihrer ersten Ausstrahlung über die Verwertungsrechte an diesen Auszügen.

Das [INA] bleibt Eigentümer der Träger und des technischen Materials und Halter der Verwertungsrechte an den audiovisuellen Archiven der nationalen Programmgesellschaften …, die vor der Veröffentlichung des Gesetzes Nr. 2000‑719 vom 1. August 2000 … auf es übertragen wurden.

Das [INA] übt die in diesem Absatz genannten Verwertungsrechte unter Wahrung der Persönlichkeitsrechte und Eigentumsrechte der Inhaber von Urheberrechten oder dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten und ihrer Rechtsnachfolger aus. Abweichend von den Art. L. 212‑3 und L. 212‑4 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum werden die Bedingungen für die Verwertung der Darbietungen der ausübenden Künstler der im vorliegenden Artikel genannten Archive und die Vergütungen für diese Verwertung durch Vereinbarungen zwischen den ausübenden Künstlern selbst oder den die ausübenden Künstler vertretenden Arbeitnehmerorganisationen und dem [INA] geregelt. Diese Vereinbarungen müssen insbesondere die Vergütungstabelle und die Modalitäten der Auszahlung dieser Vergütungen festlegen.

…“

III. Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

14.

Das INA ist eine gewerbliche staatliche Einrichtung, die 1974 durch Gesetz errichtet wurde. Es ist für die Erhaltung und Aufwertung des nationalen audiovisuellen Erbes zuständig. Es führt die audiovisuellen Archive der „nationalen Programmgesellschaften“ (nationale Rundfunk- und Fernsehanstalten) und trägt zu ihrer Verwertung bei.

15.

Wie ich bereits angemerkt habe, sind PG und GF die beiden Söhne und die Rechtsnachfolger von ZV, einem weltberühmten Jazzschlagzeuger. Sie bringen vor, das INA habe auf seiner Website ohne ihre Erlaubnis 26 Videoaufnahmen und einen Tonträger vermarktet, die Darbietungen ihres verstorbenen Vaters wiedergeben. Sie haben auf der Grundlage des Art. L. 212‑3 des Gesetzbuchs über das geistige Eigentum, nach dem eine schriftliche Erlaubnis des ausübenden Künstlers für die Aufzeichnung seiner Darbietung, deren Vervielfältigung und öffentliche Wiedergabe erforderlich ist, Klage erhoben.

16.

Das INA erwidert, dass Art. 49 II des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit ihm erlaube, die Archive gegen Zahlung von Lizenzgebühren an die ausübenden Künstler zu verwerten. Diese Gebühren würden durch Tarifverträge mit den die Künstler vertretenden Gewerkschaften festgelegt. Dagegen wenden PG und GF u. a. ein, dass diese vom Schutz der ausübenden Künstler abweichenden gesetzlichen Vorschriften gegen die Vorschriften der Richtlinie 2001/29 verstießen.

17.

Mit Urteil vom 24. Januar 2013 hat das Tribunal de grande instance de Paris (Regionalgericht Paris, Frankreich) das INA dazu verurteilt, PG und GF 15000 Euro als Ersatz für den durch die unerlaubte Verwertung der fraglichen Interpretationen erlittenen Schaden zu zahlen. Mit Urteil vom 11. Juni 2014 hat die Cour d’appel de Paris (Berufungsgericht Paris, Frankreich) das erstinstanzliche Urteil in der Sache bestätigt.

18.

Diese beiden Gerichte waren insbesondere der Auffassung, die Anwendung von Art. 49 II des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit setze die vorherige Erlaubnis durch den ausübenden Künstler voraus, die das INA jedoch nicht vorgelegt habe.

19.

Das zweitinstanzliche Urteil wurde jedoch von der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) mit Urteil vom 14. Oktober 2015 aufgehoben. Dieses Gericht hat entschieden, die Cour d’appel (Berufungsgericht) habe rechtsfehlerhaft befunden, dass die Anwendung der Ausnahmeregelung den Nachweis voraussetze, dass der ausübende Künstler die erste Verwertung seiner Darbietung erlaubt habe, und damit dem Gesetz eine Bedingung hinzugefügt, die es nicht umfasse. Auf dieses Urteil hin hat die Cour d’appel de Versailles (Berufungsgericht Versailles, Frankreich) auf Antrag des INA die gegen dieses erhobene Schadensersatzklage abgewiesen.

20.

Nach der mündlichen Verhandlung in dem Verfahren über das von den Rechtsnachfolgern gegen letzteres Urteil eingelegte Rechtsmittel hegt die Cour de Cassation (Kassationsgerichtshof) Zweifel hinsichtlich der Vereinbarkeit der französischen Rechtsvorschriften mit dem Unionsrecht und der Auslegung verschiedener Vorschriften der Richtlinie 2001/29.

21.

Diesem Gericht zufolge fällt die Sonderregelung zugunsten des INA nicht unter eine der in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen der in den Art. 2 und 3 der Richtlinie erwähnten Rechte. Die vom Gerichtshof im Urteil Soulier und Doke ( 3 ) gewählte Lösung sei auf die vorliegende Rechtssache nicht übertragbar. In jener Rechtssache sei es um die Vervielfältigung vergriffener Bücher gegangen. Zwar treffe es zu, dass die im Urteil Soulier und Doke in Rede stehenden Rechtsvorschriften von dem durch die Richtlinie 2001/29 garantierten Urheberschutz abwichen, die im Allgemeininteresse zugunsten des INA eingeführte Regelung solle aber die Rechte ausübender Künstler und diejenigen der Hersteller, die nach dem System dieser Richtlinie gleichwertig seien, miteinander in Einklang bringen.

IV. Vorabentscheidungsersuchen und Verfahren vor dem Gerichtshof

22.

Unter diesen Umständen hat die Cour de cassation (Kassationsgerichtshof) entschieden, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof die folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 2 Buchst. b, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung wie jener, die sich aus Art. 49 II des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit, geändert durch Art. 44 des Gesetzes Nr. 2006‑961 vom 1. August 2006, ergibt, entgegenstehen, die zugunsten des INA, das die Verwertungsrechte der nationalen Programmgesellschaften an den audiovisuellen Archiven innehat, eine Ausnahmeregelung einführt, nach der die Bedingungen für die Verwertung der Darbietungen der ausübenden Künstler und die Vergütungen für diese Verwertung durch Vereinbarungen zwischen den ausübenden Künstlern selbst oder den die ausübenden Künstler vertretenden Arbeitnehmerorganisationen und diesem Institut geregelt werden, wobei diese Vereinbarungen u. a. die Vergütungstabelle und die Modalitäten der Auszahlung dieser Vergütungen festlegen müssen?

23.

Spedidam, das INA, die französische Regierung und die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht und in der Sitzung vom 21. März 2019 mündlich verhandelt.

V. Würdigung

A.   Vorbemerkung zur zeitlichen Anwendbarkeit der Richtlinie 2001/29

24.

Zunächst sei darauf hingewiesen, dass Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 vorsieht, dass die Vorschriften dieser Richtlinie auf alle von ihr erfassten Werke und Schutzgegenstände Anwendung finden, die am 22. Dezember 2002 durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte geschützt sind.

25.

In der vorliegenden Rechtssache ist unstreitig, dass das letzte in Rede stehende Ereignis am 15. Dezember 2009 festgestellt wurde und dass es sich auf Aufführungen bezieht, die bereits am 22. Dezember 2002 nach nationalem Recht geschützt waren. Unter diesen Umständen ist die Richtlinie 2001/29 daher auf diese Verwertungshandlungen anwendbar ( 4 ), ohne, wie in Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2001/29 festgelegt, Handlungen und Rechte zu berühren, die vor dem 22. Dezember 2002 abgeschlossen bzw. erworben wurden.

B.   Rolle und Funktionsweise des INA

26.

Wie bereits ausgeführt, ist das INA für die Sicherung, Erhaltung und Förderung der Sendungen der französischen öffentlichen Fernseh- und Rundfunksender seit 1949 verantwortlich. Es erfüllt somit eine wichtige im öffentlichen Interesse liegende Aufgabe, nämlich die Sicherung und Aufwertung des französischen audiovisuellen Erbes.

27.

Insoweit verfügt das INA nach Art. 49 des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit über Verwertungsrechte an Auszügen aus den audiovisuellen Archiven der nationalen Programmgesellschaften. Es übt diese Rechte unter Wahrung der Persönlichkeits- und Eigentumsrechte der Inhaber der Urheberrechte und verwandten Schutzrechte und ihrer Rechtsnachfolger aus.

28.

Das INA sah sich anfangs nicht in der Lage, einige der Archive zu verwerten, da es feststellte, dass in den Produktionsunterlagen der fraglichen Sendungen nicht selten die mit den betroffenen ausübenden Künstlern geschlossenen Arbeitsverträge fehlten. In vielen Fällen war eine möglicherweise erteilte Zustimmung zur Übertragung der Sendung entweder verloren gegangen oder nur schwer ausfindig zu machen oder aus anderen Gründen einfach nicht verfügbar. In solchen Fällen sah sich das INA verpflichtet, die schriftliche Erlaubnis der ausübenden Künstler oder ihrer Rechtsnachfolger einzuholen, die zu identifizieren und zu lokalisieren sich häufig als schwierig oder sogar unmöglich herausstellte.

29.

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass, um das INA in die Lage zu versetzen, seinen öffentlichen Dienstleistungsauftrag zu erfüllen, Art. 49 II des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit am 1. August 2006 dahin geändert worden sei, dass die Verwertung der Werke ausübender Künstler aus den Archiven Vereinbarungen voraussetze, die vom INA mit den ausübenden Künstlern oder mit den die ausübenden Künstler vertretenden Organisationen abgeschlossen würden.

C.   Rechtmäßigkeit einer Regelung wie der zugunsten des INA eingeführten unter Berücksichtigung der Richtlinie 2001/29

1. Anwendbarkeit von Art. 2 Buchst. b, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 2001/29

30.

Es ist unstreitig, dass die Verwertungshandlungen, die dem INA im vorliegenden Verfahren vorgeworfen werden, Handlungen der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe nach Art. 2 Buchst. b bzw. Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 darstellen, soweit es die Video- und Tonträger mit den Darbietungen der betroffenen ausübenden Künstler auf seiner Website zugänglich gemacht hat. Wie der Gerichtshof bereits entschieden hat, „[verletzt] eine Handlung, mit der ein Schutzgegenstand auf einer Website ohne Zustimmung der Rechtsinhaber der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wird, das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte“, die durch die Richtlinie 2001/29 geschützt werden ( 5 ).

31.

Wie auch vom vorlegenden Gericht ausgeführt, fällt Art. 49 II des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit nicht unter eine der Ausnahmen und Beschränkungen, die die Mitgliedstaaten nach Art. 5 der Richtlinie 2001/29 festzulegen berechtigt sind ( 6 ). Dem stimmen alle Beteiligten, die schriftliche Erklärungen eingereicht haben, zu.

2. Auslegung von Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29

32.

Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 sehen vor, dass die Mitgliedstaaten den ausübenden Künstlern das ausschließliche Recht, die unmittelbare oder mittelbare Vervielfältigung der Aufzeichnungen ihrer Darbietungen auf jede Weise und in jeder Form zu erlauben oder zu verbieten, bzw. das ausschließliche Recht, jede öffentliche Wiedergabe der Aufzeichnung ihrer Darbietungen zu erlauben oder zu verbieten, einräumen.

33.

Im Urteil Soulier und Doke hat der Gerichtshof entschieden, dass der den Urhebern für die Vervielfältigung ihrer Werke und deren öffentliche Wiedergabe gewährte vergleichbare Schutz so zu verstehen ist, „dass er sich nicht auf den Genuss der durch Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 garantierten Rechte beschränkt, sondern sich auch auf die Ausübung dieser Rechte erstreckt“ ( 7 ). Der Gerichtshof hat weiter ausgeführt, dass „die den Urhebern in Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 garantierten Rechte insofern vorbeugender Art sind, als jede Handlung der Vervielfältigung oder der öffentlichen Wiedergabe eines Werks durch einen Dritten der vorherigen Zustimmung seines Urhebers bedarf“ ( 8 ). Gleichwohl hat der Gerichtshof – entgegen der vom Generalanwalt vertretenen Auslegung ( 9 ) – festgestellt, dass „in Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 nicht ausgeführt [wird], auf welche Art und Weise die vorherige Zustimmung des Urhebers zu erfolgen hat, so dass diese Bestimmungen nicht dahin ausgelegt werden können, dass sie zwingend eine ausdrückliche Zustimmung verlangen. Vielmehr ist davon auszugehen, dass diese Bestimmungen auch eine implizite Zustimmung zulassen“ ( 10 ), sofern strenge Bedingungen erfüllt werden. Denn nach Ansicht des Gerichtshofs mussten die nationalen Rechtsvorschriften einen Mechanismus vorsehen, durch den die tatsächliche und individuelle Information der Urheber gewährleistet wird, und der Genuss und die Ausübung des Vervielfältigungsrechts und des Rechts der öffentlichen Wiedergabe, die den Urhebern zugewiesen werden, dürfen nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten gebunden werden ( 11 ).

34.

Es ist klar, dass diese Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 zumindest analog auf Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a dieser Richtlinie in Hinblick auf die ausübenden Künstler anwendbar ist.

35.

Erstens sind die verschiedenen Vorschriften, die diese Rechte schützen, gleichlautend und unbedingt formuliert. Zweitens wird, ebenso wie die Auslegung von Art. 2 Buchst. a und Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 2001/29 durch Art. 5 Abs. 2 der Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst ( 12 ) – nach dem der Genuss und die Ausübung der Rechte der Vervielfältigung und der öffentlichen Wiedergabe nicht an die Erfüllung irgendwelcher Förmlichkeiten gebunden sind – gestützt wird, eine identische Auslegung von Art. 2 Buchst. b und Art. 3 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 2001/29 durch Art. 20 des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger (im Folgenden: WPPT), angenommen in Genf am 20. Dezember 1996, gestützt, der ein vergleichbares Verbot enthält ( 13 ). Drittens besteht zwischen den Rechten der Urheber und den Rechten der ausübenden Künstler keine Hierarchie ( 14 ).

36.

Parallel zu dieser Auslegung der Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 ist festzustellen, dass der Gerichtshof im Urteil Luksan entschieden hat, „dass das Unionsrecht dahin auszulegen ist, dass es den Mitgliedstaaten die Möglichkeit lässt, eine Vermutung der Abtretung der Verwertungsrechte an dem Filmwerk, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen (Recht zur Ausstrahlung über Satellit, Vervielfältigungsrecht und jedes andere Recht zur Wiedergabe im Wege der öffentlichen Zugänglichmachung), an den Produzenten des Filmwerks aufzustellen, vorausgesetzt, dass eine solche Vermutung nicht unwiderlegbar ist und damit die Möglichkeit für den Hauptregisseur des Filmwerks ausschlösse, eine anderslautende Vereinbarung zu treffen“ ( 15 ). In diesem Zusammenhang muss, wie es der Gerichtshof im Urteil Soulier und Doke getan hat, betont werden, dass „die Voraussetzungen, unter denen eine implizite Zustimmung zugelassen werden kann, eng zu fassen sind, damit der Grundsatz der vorherigen Zustimmung des Urhebers nicht ausgehöhlt wird“ ( 16 ).

37.

Wenn die Antwort im Urteil Luksan auf den Produzenten eines Filmwerks beschränkt ist, liegt dies nur an dem besonderen Sachverhalt dieser Rechtssache. Wenn es darüber hinaus zutrifft, dass der Gerichtshof seinen Gedankengang in diesem Urteil hauptsächlich auf Art. 3 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums gestützt hat, die eine Vermutung der Übertragung des Vermietrechts auf den Filmproduzenten vorsehen ( 17 ), reicht die vom Gerichtshof vorgenommene Auslegung dieses Grundsatzes der Übertragungsvermutung gleichwohl weiter. Sie muss unabhängig von der Art des betroffenen Werks auch auf die von der Richtlinie 2001/29 garantierten Rechte Anwendung finden können. In der Tat sind, wie der Gerichtshof in jener Rechtssache ausgeführt hat, beträchtliche Investitionen erforderlich, um Produkte wie Filme oder Multimediaprodukte herstellen zu können, und zwar in beiden Fällen ( 18 ). Deshalb hat der Gerichtshof ganz allgemein entschieden, „dass der Unionsgesetzgeber … beim Erlass der Richtlinie 2001/29 … in Bezug auf die mit dieser Richtlinie geregelten Verwertungsrechte die Anwendung eines Konzepts wie desjenigen der Abtretungsvermutung nicht ausschließen wollte“ ( 19 ).

38.

Nach alledem bin ich daher der Ansicht, dass eine Regelung der Zustimmungsvermutung grundsätzlich auch bei Verwertungsrechten an einem audiovisuellen Werk, wie Vervielfältigungsrechten oder jedem anderen Recht der öffentlichen Wiedergabe durch Zugänglichmachung, gemäß der Richtlinie 2001/29 Anwendung finden können muss ( 20 ).

39.

Dies trifft insbesondere im Kontext (relativ) alter audiovisueller Aufnahmen – wie denen der vorliegenden Rechtssache – zu, bei denen es heute mit diesem Zeitabstand schwierig sein dürfte, das Dokumentationsmaterial – falls es überhaupt existiert hat – aufzuspüren, aus dem sich die Zustimmung des ausübenden Künstlers zur Verwertung dieses Werks durch einen Dritten ergibt. Ferner ist von Bedeutung, dass die fraglichen Rechtsvorschriften, wie in der Rechtssache Soulier und Doke, ein Ziel verfolgen, das einer Form von vermuteter Urheberrechtslizenzierung „im kulturellen Interesse der Verbraucher und der Gesellschaft insgesamt“ ( 21 ) gleichkommt.

40.

Gleichzeitig muss der Gerichtshof sein Möglichstes tun, um zu gewährleisten, dass eine solche gesetzliche Vermutung nicht so weitreichend ist, dass sie faktisch die Ausschließlichkeit der den Rechteinhabern eingeräumten Rechte untergräbt.

41.

Der im Urteil Luksan dargestellte Begriff „Vermutung“ kann zwar grundsätzlich auch in der vorliegenden Rechtssache Anwendung finden, doch bestehen auch wichtige Unterschiede zwischen den beiden Rechtssachen. Ein wichtiger Aspekt des Urteils Luksan besteht darin, dass der Gerichtshof entschieden hat, dass es den Mitgliedstaaten freistand, nationale Rechtsvorschriften zu erlassen, die die Vermutung der Übertragung der Vermietrechte an einem Film von einem Filmregisseur auf den Filmproduzenten vorsehen, da dies einem der Ziele entspricht, auf das der fünfte Erwägungsgrund in der Präambel der Richtlinie 2006/115 verweist, nämlich, „dem Produzenten eine Amortisierung der von ihm zur Verwirklichung des Filmwerks getätigten Investitionen zu ermöglichen“ ( 22 ).

42.

Diese Erwägungen sind nicht auf die vorliegende Rechtssache übertragbar, da zwischen ZV und dem INA keine frühere Geschäftsbeziehung bestand und erst recht nichts darauf hindeutet, dass das INA als Dritter die Filmaufnahmen der fraglichen Darbietungen finanziert hatte. In der vorliegenden Rechtssache besteht die gesamte Grundlage für die gesetzliche Vermutung daher in einer bestimmten Vorstellung des öffentlichen Interesses, nämlich dass es wünschenswert ist, das televisuelle Erbe auch dann verwerten zu können, wenn es übermäßig schwierig oder sogar unmöglich ist, die Zustimmung der ausübenden Künstler (oder ihrer Erben) einzuholen.

43.

Jede derartige urheberrechtliche Regelung, die auf dem Grundsatz unterstellter oder vermuteter Zustimmung beruht, darf das ausschließliche Recht des ausübenden Künstlers nur insoweit beeinträchtigen, als es notwendig ist, um den Gesetzeszweck zu erreichen. Nur unter diesen Umständen ließe sich sagen, dass die nationalen Rechtsvorschriften den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in Hinblick auf den Schutz von Urheberrechten wahren ( 23 ).

44.

Insoweit ist jedoch zu beachten, dass Art. 49 des Gesetzes über die Kommunikationsfreiheit zugunsten des INA eine Übertragung der Rechte des ausübenden Künstlers auf der Grundlage einer impliziten Zustimmung zu organisieren und bewirken scheint. Ich bin der Auffassung, dass dies aus den bereits angeführten Gründen unter den gegebenen Umständen einem unverhältnismäßigen Eingriff in die Ausschließlichkeit der Rechte des ausübenden Künstlers gleichkommt. Meines Erachtens ergibt sich zumindest implizit aus den Erwägungen des Gerichtshofs im Urteil Soulier und Doke ( 24 ), dass derartige Vermutungen die Verhältnismäßigkeit wahren müssen und die Ausschließlichkeit dieses Rechts nur insoweit schmälern dürfen, als dies hierfür eindeutig erforderlich ist.

45.

Dies ist, so meine ich, der Kern des Problems mit dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Gesetz, denn hätte es zugunsten des INA lediglich eine Form der impliziten Urheberrechtslizenzvereinbarung eingeführt, wäre dies mit den Vorgaben der Richtlinie 2001/29 vereinbar. Das vorliegende Gesetz geht aber weit darüber hinaus, indem es zugunsten des INA keine implizite Lizenz vorsieht, sondern die implizite Zustimmung zur Übertragung dieser Rechte der ausübenden Künstler. Es ist somit die unverhältnismäßige Wirkungsweise des nationalen Gesetzes, die es mit den Vorgaben des Unionrechts unvereinbar macht.

VI. Ergebnis

46.

Dementsprechend schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage der Cour de cassation (Kassationsgerichtshof, Frankreich) wie folgt zu beantworten:

Art. 2 Buchst. b, Art. 3 Abs. 2 Buchst. a und Art. 5 der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Bestimmung wie der des Art. 49 II der Loi no 86‑1067 du 30 septembre 1986 relative à la liberté de communication (Gesetz Nr. 86‑1067 vom 30. September 1986 über die Kommunikationsfreiheit) in der durch Art. 44 des Gesetzes Nr. 2006/961 vom 1. August 2006 geänderten Fassung entgegenstehen, soweit sie die Übertragung der Rechte der ausübenden Künstler auf das Institut national de l’audiovisuel (französisches Nationales Institut für Bild und Ton) vorsieht.


( 1 ) Orginalsprache: Englisch.

( 2 ) ABl. 2001, L 167, S. 10.

( 3 ) Urteil vom 16. November 2016 (C‑301/15, EU:C:2016:878).

( 4 ) Vgl. in diesem Sinne Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in der Rechtssache Pelham und Haas (C‑476/17, EU:C:2018:1002, Nrn. 21 bis 24).

( 5 ) Urteil vom 27. März 2014, UPC Telekabel Wien (C‑314/12, EU:C:2014:192, Rn. 25).

( 6 ) Zur Erinnerung sei darauf hingewiesen, dass es im 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 heißt, dass die Liste der Ausnahmen und Beschränkungen in Bezug auf das Vervielfältigungsrecht und das Recht der öffentlichen Wiedergabe erschöpfend ist. Der Gerichtshof hat den erschöpfenden Charakter dieser Vorschrift bestätigt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 16. November 2016, Soulier und Doke, C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 26, und vom 7. August 2018, Renckhoff, C‑161/17, EU:C:2018:634, Rn. 16).

( 7 ) Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 31).

( 8 ) Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 33).

( 9 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wathelet in der Rechtssache Soulier und Doke (C‑301/15, EU:C:2016:536, Nrn. 38 und 39).

( 10 ) Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 35).

( 11 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 16. November 2016, Soulier und Doke (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 43 und 50).

( 12 ) Pariser Fassung vom 24. Juli 1971, geändert am 28. September 1979 (im Folgenden: Berner Übereinkunft).

( 13 ) Der WPPT wurde mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 (ABl. 2000, L 89, S. 6) im Namen der Europäischen Gemeinschaft genehmigt. Nach Art. 20 WPPT „[unterliegen] der Genuss und die Ausübung der in diesem Vertrag vorgesehenen Rechte … keinerlei Formvorschriften“. Es ist müßig, daran zu erinnern, dass „[f]est steht, dass die Richtlinie 2001/29, wie sich aus ihrem 15. Erwägungsgrund ergibt, dazu dient, einigen der neuen Verpflichtungen der Union aus dem … WPPT nachzukommen. … Daher … [ist] die Richtlinie … nach Möglichkeit im Licht der Definitionen diese[s] … [Vertrags] auszulegen“ (vgl. Urteil vom 15. März 2012, SCF Consorzio Fonografici, C‑135/10, EU:C:2012:140, Rn. 52). Eine vergleichbare Vorschrift findet sich im Vertrag von Peking zum Schutz von audiovisuellen Darbietungen, der von der World Intellectual Property Organisation (WIPO) am 24. Juni 2012 in Peking angenommen wurde. Dieser Vertrag ist von der Europäischen Union unterzeichnet worden, jedoch noch nicht in Kraft getreten.

( 14 ) Mit Ausnahme der Urheberpersönlichkeitsrechte. Vgl. in diesem Sinne Visscher, F., und Michaud, B., Précis du droit d’auteur et des droits voisins, Brüssel, Bruylant, 2000, Nr. 304.

( 15 ) Urteil vom 9. Februar 2012 (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 87). Hervorhebung nur hier.

( 16 ) Urteil vom 16. November 2016 (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 37).

( 17 ) ABl. 2006, L 376, S. 28.

( 18 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 83).

( 19 ) Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 85).

( 20 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. Februar 2012, Luksan (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 86), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass „eine Regelung der Abtretungsvermutung, wie sie hinsichtlich des Vermiet- und Verleihrechts ursprünglich in Art. 2 Abs. 5 und 6 der Richtlinie 92/100 vorgesehen war und dann im Wesentlichen in Art. 3 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2006/115 übernommen worden ist, auch in Bezug auf die Verwertungsrechte an dem Filmwerk, wie sie im Ausgangsverfahren in Rede stehen (Recht zur Ausstrahlung über Satellit, Vervielfältigungsrecht und jedes andere Recht zur Wiedergabe im Wege der öffentlichen Zugänglichmachung), Anwendung finden können [muss]“.

( 21 ) Urteil vom 16. November 2016 (C‑301/15, EU:C:2016:878, Rn. 45).

( 22 ) Urteil vom 9. Februar 2012 (C‑277/10, EU:C:2012:65, Rn. 79).

( 23 ) Vgl. Art. 17 und Art. 52 Abs. 1 der Charta der Grundrechte.

( 24 ) Urteil vom 16. November 2016 (C‑301/15, EU:C:2016:878).