SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 7. Mai 2019 ( 1 )

Rechtssache C‑347/18

Alessandro Salvoni

gegen

Anna Maria Fiermonte

(Vorabentscheidungsersuchen des Tribunale di Milano [Gericht Mailand, Italien])

„Justizielle Zusammenarbeit in Zivilsachen – Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 – Art. 53 – Bescheinigung, mit der bestätigt wird, dass das durch das Ursprungsgericht ergangene Urteil vollstreckbar ist – Verfahren – Befugnisse des Ursprungsgerichts – Verbraucherschutz – Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“

I. Einleitung

1.

Nach dem System der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) ( 2 ) muss eine durch die Gerichte eines Mitgliedstaats ergangene Entscheidung in den anderen Mitgliedstaaten ohne ein besonderes Verfahren anerkannt werden. Wenn sie im Ursprungsmitgliedstaat vollstreckbar ist, ist sie in den anderen Mitgliedstaaten ohne Exequatur-Verfahren vollstreckbar.

2.

Um in einem Mitgliedstaat eine Entscheidung vollstrecken zu lassen, die in einem anderen Mitgliedstaat ergangen ist, muss der Antragsteller der zuständigen Behörde allerdings eine Ausfertigung der Entscheidung sowie eine – gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 ausgestellte – Bescheinigung vorlegen, mit der bestätigt wird, dass die betreffende Entscheidung vollstreckbar ist, und die einen Auszug aus der Entscheidung enthält (im Folgenden: Bescheinigung nach Art. 53).

3.

Welcher Art genau ist dieses Verfahren und welche Befugnisse hat das Ursprungsgericht insoweit? Dies sind im Wesentlichen die Fragen, die das Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) mit dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen aufgeworfen hat. Insbesondere möchte es wissen, ob das mit der Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 betraute Ursprungsgericht von Amts wegen prüfen darf, ob die Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen ergangen ist, um den Verbraucher gegebenenfalls über einen solchen Verstoß zu informieren und ihm die Prüfung zu ermöglichen, ob er sich der Vollstreckung der Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat widersetzen kann.

II. Unionsrecht

4.

Der 26. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet:

„Das gegenseitige Vertrauen in die Rechtspflege innerhalb der Union rechtfertigt den Grundsatz, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung in allen Mitgliedstaaten anerkannt wird, ohne dass es hierfür eines besonderen Verfahrens bedarf. Außerdem rechtfertigt die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten die Abschaffung der Vollstreckbarerklärung, die der Vollstreckung im ersuchten Mitgliedstaat bisher vorausgehen musste. Eine von den Gerichten eines Mitgliedstaats erlassene Entscheidung sollte daher so behandelt werden, als sei sie im ersuchten Mitgliedstaat ergangen.“

5.

Art. 17 Abs. 1 der Verordnung 1215/2012 bestimmt:

„Bilden ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 6 und des Artikels 7 Nummer 5 nach diesem Abschnitt,

c)

in allen anderen Fällen, wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt.“

6.

Nach Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 „[kann d]ie Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher … nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat.“

7.

Art. 42 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 lautet:

„Soll in einem Mitgliedstaat eine in einem anderen Mitgliedstaat ergangene Entscheidung vollstreckt werden, hat der Antragsteller der zuständigen Vollstreckungsbehörde Folgendes vorzulegen:

a)

eine Ausfertigung der Entscheidung, die die für ihre Beweiskraft erforderlichen Voraussetzungen erfüllt, und

b)

die nach Artikel 53 ausgestellte Bescheinigung, mit der bestätigt wird, dass die Entscheidung vollstreckbar ist, und die einen Auszug aus der Entscheidung sowie gegebenenfalls relevante Angaben zu den erstattungsfähigen Kosten des Verfahrens und der Berechnung der Zinsen enthält.“

8.

Art. 45 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 bestimmt:

„Die Anerkennung der Entscheidung wird auf Antrag eines Berechtigten versagt, wenn

e)

die Entscheidung unvereinbar ist

i)

mit Kapitel II Abschnitte 3, 4 oder 5, sofern der Beklagte Versicherungsnehmer, Versicherter, Begünstigter des Versicherungsvertrags, Geschädigter, Verbraucher oder Arbeitnehmer ist …“

9.

Gemäß Art. 46 der Verordnung Nr. 1215/2012 wird „[d]ie Vollstreckung einer Entscheidung … auf Antrag des Schuldners versagt, wenn festgestellt wird, dass einer der in Artikel 45 genannten Gründe gegeben ist“.

10.

Gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 „[stellt] das Ursprungsgericht … auf Antrag eines Berechtigten die Bescheinigung unter Verwendung des Formblatts in Anhang I aus“.

III. Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefrage

11.

Mit einer Klageschrift, die am 3. November 2015 eingereicht wurde, beantragte Herr Alessandro Salvoni, ein in Mailand ansässiger Rechtsanwalt, beim Tribunale di Milano (Gericht Mailand), den Erlass eines Mahnbescheids gegen Frau Anna Maria Fiermonte (die ihren Wohnsitz in Hamburg hat) über einen Betrag, den sie ihm als Gegenleistung für von ihm im Zusammenhang mit einem Gerichtsverfahren wegen eines Testaments erbrachte berufliche Dienstleistungen schuldete.

12.

Am 26. Oktober 2015 erließ das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) einen Mahnbescheid über 53297,68 Euro zuzüglich Zinsen und Kosten (im Folgenden: betreffender Mahnbescheid).

13.

Frau Fiermonte legte keinen Rechtsbehelf gegen diesen Mahnbescheid ein, der rechtskräftig wurde. Daraufhin beantragte Herr Salvoni beim Tribunale di Milano (Gericht Mailand) die Ausstellung einer Bescheinigung nach Art. 53 über diesen Mahnbescheid.

14.

Nach einer von Amts wegen durchgeführten Internetrecherche und nach Prüfung der Einlassung von Herrn Salvoni kam das vorlegende Gericht jedoch zu dem Schluss, dass erstens zwischen Herrn Salvoni und Frau Fiermonte eine Beziehung zwischen einem Verbraucher und einem Unternehmer bestehe und dass zweitens Herr Salvoni seine Tätigkeiten auf den Wohnsitzmitgliedstaat des Verbrauchers im Sinne von Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1215/2012 ausrichte. Vor diesem Hintergrund gelangte das Gericht zu der Auffassung, dass Herr Salvoni gemäß Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 die Klage gegen seine Mandantin vor den Gerichten des Mitgliedstaats hätte erheben müssen, in dem diese ihren Wohnsitz habe (Deutschland).

15.

Das Tribunale di Milano (Gericht Mailand), das nun im Rahmen des Verfahrens zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 tätig war, kam daher zu dem Schluss, dass es zuvor versäumt habe, seine Zuständigkeit nach der Verordnung Nr. 1215/2012 zu prüfen, wie es gemäß Art. 28 Abs. 1 dieser Verordnung beim Erlass des betreffenden Mahnbescheids vorgeschrieben sei.

16.

Unter diesen Umständen ist das vorlegende Gericht der Auffassung, dass die automatische Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 gegen Unionsrecht verstoßen könnte, da es der Person, gegen die der betreffende Mahnbescheid vollstreckt werden könne, einen wirksamen Rechtsbehelf entziehen könnte. Es erkennt an, dass es gemäß den Art. 42 und 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 nicht befugt ist, die Ausstellung der Bescheinigung zu verweigern, da der Mahnbescheid rechtskräftig geworden ist. Allerdings fragt es sich, ob Art. 53 dieser Verordnung ihm gleichwohl die Befugnis einräumen könne, zum Schutz des Verbrauchers andere Maßnahmen zu ergreifen, wenn die Vorschrift im Licht von Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ausgelegt werde.

17.

Das vorlegende Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach sich der Verbraucher gegenüber Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befinde, weshalb die nationalen Gerichte, gegebenenfalls von Amts wegen, zu positivem Eingreifen verpflichtet sein könnten, um diese Ungleichheit unter bestimmten Umständen auszugleichen ( 3 ). In einer Situation wie der des Ausgangsverfahrens müsse daher Ausgewogenheit zwischen dem Erfordernis, die zügige und effiziente Vollstreckung von Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union zu gewährleisten, und dem Erfordernis des wirksamen Verbraucherschutzes geschaffen werden.

18.

Das richtige Gleichgewicht bleibe gewahrt, wenn Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 dahin ausgelegt werde, dass er es dem Ursprungsgericht ermögliche, von Amts wegen Befugnisse auszuüben, um zu prüfen, ob gegen die Zuständigkeitsregeln in Kapitel II Abschnitt 4 der Verordnung (d. h. deren Art. 17 bis 19) verstoßen wurde, und den Verbraucher gegebenenfalls über einen möglichen Verstoß in Kenntnis zu setzen. Auf diese Weise würde der Verbraucher darauf hingewiesen, dass er auf die in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e und Art. 46 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Mittel zurückgreifen könne, um sich der Anerkennung und Vollstreckung der Entscheidung vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz habe, zu widersetzen.

19.

In Anbetracht dieser Erwägungen hat das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 und Art. 47 der Charta dahin auszulegen, dass es ihnen zuwiderläuft, wenn das Ursprungsgericht, bei dem die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 in Bezug auf eine rechtskräftige Entscheidung beantragt wurde, die Möglichkeit hat, von Amts wegen Befugnisse auszuüben, die darauf abzielen, das Vorliegen eines Verstoßes gegen die Vorschriften des Kapitels II Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 zu prüfen, um den Verbraucher über einen eventuell festgestellten Verstoß zu informieren und es ihm zu erlauben, in Kenntnis der Sachlage die Möglichkeit zu erwägen, von dem in Art. 45 dieser Verordnung vorgesehenen Rechtsbehelf Gebrauch zu machen?

20.

Die tschechische Regierung, Irland, die italienische Regierung und die Europäische Kommission haben im vorliegenden Verfahren schriftliche Erklärungen vorgelegt.

IV. Würdigung

A.   Vorbemerkungen

21.

Ich lege zunächst mein Verständnis der vorliegenden Rechtssache dar, um den Rahmen für die Würdigung der mit ihr aufgeworfenen Rechtsfragen abzustecken.

22.

Erstens ist der betreffende Mahnbescheid vom Tribunale di Milano (Gericht Mailand) erlassen worden, also auch dem nationalen Gericht, das als das mit dem Antrag auf Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 in Bezug auf diesen Mahnbescheid befasste Ursprungsgericht entschieden hat, ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen. Ich gehe davon aus, dass, obwohl es sich nominell um dasselbe Rechtsprechungsorgan handelt, ein anderer Spruchkörper (oder ein anderer Richter) dieses Gerichts den ursprünglichen Mahnbescheid erlassen hat.

23.

Zweitens ist der betreffende Mahnbescheid kein Europäischer Vollstreckungstitel im Sinne der Verordnung (EU) Nr. 805/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 zur Einführung eines europäischen Vollstreckungstitels für unbestrittene Forderungen ( 4 ). Es scheint sich um eine gerichtliche Entscheidung zu handeln, die ausschließlich auf nationalem Recht beruht und die, um grenzüberschreitend anerkannt und vollstreckt zu werden, dem in der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Mechanismus unterworfen werden muss.

24.

Drittens findet sich im Vorabentscheidungsersuchen des vorlegenden Gerichts kein Hinweis darauf, dass Frau Fiermonte, der in Deutschland ansässigen Antragsgegnerin, Dokumente zugestellt worden sind. Daher ist nicht klar, ob Frau Fiermonte überhaupt die Möglichkeit hatte, sich dem Erlass des von Herrn Salvoni beantragten Mahnbescheids zu widersetzen und ob ihr die betreffenden Dokumente tatsächlich ordnungsgemäß zugestellt worden sind. Auch wenn es sicherlich nicht Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist, mag es vielleicht sinnvoll sein, in Erinnerung zu rufen, dass das Fehlen einer ordnungsgemäßen Zustellung von Schriftstücken in einem anderen Mitgliedstaat im Allgemeinen Auswirkungen auf die Rechtskraft der ergangenen Entscheidung haben wird, sei es nach Unionsrecht, sei es nach nationalem Recht (je nach den Besonderheiten des Falles).

25.

Viertens und letztens wird für die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Vorgehensweise in dem Vorabentscheidungsersuchen auch keine Rechtsgrundlage im innerstaatlichen Recht erwähnt. In Anbetracht dessen sind zwei Szenarien denkbar.

26.

Zum einen ist denkbar, dass es Bestimmungen des nationalen Rechts gibt, die es dem mit einem Antrag auf Ausstellung einer Bescheinigung nach Art. 53 befassten Ursprungsgericht erlauben oder es sogar verpflichten, die Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, in irgendeiner Form zu überprüfen. Wäre dies der Fall, wäre davon auszugehen, dass das nationale Recht für den Fall, dass Mängel der ursprünglichen Entscheidung festgestellt würden, eine Form der Überprüfung der Entscheidung vorsähe. Ob ein solches Verfahren allerdings mit Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 vereinbar wäre, ist natürlich eine andere Frage. Man kann jedoch mit einiger Sicherheit annehmen, dass davon ausgehende mögliche rechtliche oder gerichtliche Reaktionen auf die zugrunde liegende Entscheidung abzielten.

27.

Zum anderen ist es – was hier der Fall zu sein scheint – möglich, dass die nationalen Vorschriften keinen solchen Überprüfungsmechanismus vorsehen und dass die potenzielle Grundlage für die vorgeschlagene Vorgehensweise des vorlegenden Gerichts allein im Unionsrecht liegt.

28.

Ungeachtet der Frage, ob eine solche Überprüfung nach Unionsrecht möglich wäre, muss ich erneut gestehen, dass mich die Art und Weise, in der das vorlegende Gericht vorzugehen beabsichtigt, etwas verwundert, insbesondere im Hinblick darauf, welche Folgen eine solche Überprüfung hätte, sofern sie möglich wäre. Sollte mein Verständnis dessen, was das Gericht vorschlägt, zutreffend sein, dann würde das Gericht einerseits die Bescheinigung nach Art. 53 ausstellen, gleichzeitig aber eine der Parteien des ursprünglichen Verfahrens benachrichtigen und sie darauf hinweisen, dass sie sich der Vollstreckung dieser Entscheidung, für die das Gericht soeben eine Bescheinigung ausgestellt hat, widersetzen könnte.

29.

So wohlmeinend und einfallsreich die vorgeschlagene Vorgehensweise auch sein mag, und unabhängig davon, ob eine solche Kommunikation zwischen dem Richter und dem Antragsgegner nach nationalem Recht zulässig ist, bin ich der Ansicht, dass eine solche Vorgehensweise mit einer Reihe von Rechtsgrundsätzen nur schwer vereinbar wäre.

30.

Erstens liefe die Ausstellung einer Bescheinigung, die verbindlich feststellt, dass eine gerichtliche Entscheidung vollstreckbar ist, durch das Ursprungsgericht und eine gleichzeitige Mitteilung des Ursprungsgerichts an die Antragsgegnerin, durch die diese von der angeblichen Fehlerhaftigkeit dieser Entscheidung in Kenntnis gesetzt wird, dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens zuwider, der die Grundlage für das System der gegenseitigen Anerkennung von Entscheidungen bildet ( 5 ). Es ist nämlich unwahrscheinlich, dass sich allein die Vollstreckungsbehörden des ersuchten Mitgliedstaats die Frage stellen müssen, ob man sich auf die Entscheidungen eines solchen Gerichts verlassen kann.

31.

Zweitens verstieße die von dem vorlegenden Gericht vorgeschlagene Vorgehensweise insofern auch gegen den Grundsatz der Rechtssicherheit, als sie im Grunde, wenn nicht direkt die Rechtsgültigkeit, so doch zumindest die faktische Verwendung der Bescheinigung nach Art. 53 und der zugrunde liegenden rechtskräftigen Entscheidung in Frage stellte.

32.

Drittens, und dies ist vielleicht am wichtigsten, hege ich ernsthafte Zweifel daran, dass die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Vorgehensweise mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens und der Waffengleichheit in Einklang steht, wie sie in der „Doktrin des äußeren Anscheins“ weiterentwickelt wurden, die der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte aus dem allgemein anerkannten Grundsatz, „Gerechtigkeit muss nicht nur geübt werden, es muss auch erkennbar sein, dass Gerechtigkeit geübt wird“, herausgearbeitet hat. Die Einhaltung von Art. 6 Abs. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention setzt voraus, dass ein gerichtliches Verfahren sowohl der Sache als auch dem äußeren Eindruck nach fair ist. Insbesondere müssen Mitglieder eines Gerichts nicht nur unparteiisch und unabhängig sein, sondern sie müssen sich während des gesamten Verfahrens auch in einer Weise verhalten, die keinen Grund zu der Annahme einer möglichen Befangenheit gibt ( 6 ). Ich würde doch annehmen, dass die gleichen Rechtsgrundsätze auch Bestandteil der Rechtsordnung der Union sind ( 7 ).

33.

Gemessen an diesen Maßstäben bedeutete die von dem vorlegenden Gericht vorgeschlagene Vorgehensweise in der Praxis, dass ein Gericht nicht mehr unparteiischer Schiedsrichter wäre, sondern dass es nach eigenem Ermessen und offensichtlich außerhalb jedes verfahrensrechtlichen Rahmens im Ergebnis die Rolle des Rechtsbeistands des Antragsgegners einnähme, indem es einer Partei rechtlichen Rat darüber erteilte, wie sie sich einer Entscheidung widersetzen kann, die dieses Gericht soeben erlassen und deren Vollstreckung die andere Partei beantragt hat.

34.

Für die Zwecke der vorliegenden Schlussanträge verstehe ich die vom nationalen Gericht vorgelegte Frage daher als eine allgemeinere, von der offensichtlich vom nationalen Gericht konkret in Betracht gezogenen Vorgehensweise losgelöste Frage: Ist ein nationales Gericht bei der Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 nach Unionsrecht berechtigt (oder sogar verpflichtet) zu prüfen, ob die zu bescheinigende gerichtliche Entscheidung unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen ergangen ist?

35.

So formuliert, wird die Beantwortung der Frage natürlich eine Antwort auf die beiden oben angesprochenen Fragen geben, nämlich die, ob eine solche Maßnahme unmittelbar nach dem Unionsrecht selbst zulässig (oder erforderlich) wäre, sowie die, ob nationale Rechtsvorschriften, die eine solche Überprüfung vorsehen, mit diesen Vorschriften des Unionsrechts vereinbar wären. In beiden Szenarien müsste die einzig denkbare verfahrensrechtliche Folge einer solchen Überprüfung jedoch auf die zugrunde liegende nationale Entscheidung selbst oder, unter Umständen, auf die Einstellung des Bescheinigungsverfahrens (durch Nichtausstellung der Bescheinigung nach Art. 53) gerichtet sein; mit anderen Worten: auf Folgen, die mit der richterlichen Funktion eines unabhängigen Schiedsrichters vereinbar sind.

36.

Dies vorausgeschickt und bevor ich mich der Beantwortung der Fragen zuwende, sind einige Bemerkungen zur Zuständigkeit des Gerichtshofs im vorliegenden Verfahren angezeigt. Obwohl keiner der Verfahrensbeteiligten, die Erklärungen eingereicht haben, diese Frage aufgeworfen hat, hat der Gerichtshof von Amts wegen zu prüfen, ob er für Entscheidungen in einem Verfahren zuständig ist, in dem die Voraussetzungen für die Zuständigkeit des Gerichtshofs gemäß Art. 267 AEUV möglicherweise nicht erfüllt sind.

B.   Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs (Teil 1)

37.

Nimmt ein Ursprungsgericht im Zusammenhang mit dem Verfahren gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 gerichtliche Aufgaben wahr? Oder handelt es sich bei der reinen „Umschreibung“ einer rechtskräftigen nationalen Entscheidung in die Form gemäß deren Anhang I lediglich um einen dem Wesen nach rein administrativen Vorgang, der daher möglicherweise von der Definition des „Gerichts“ im Sinne von Art. 267 AEUV nicht erfasst wird?

38.

Der Gerichtshof hat diese Frage in gewissem Umfang in seinem kürzlich ergangenen Urteil Gradbeništvo Korana erörtert, in dem er entschieden hat, dass das Verfahren zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 unter Umständen wie denen des dortigen Ausgangsverfahrens gerichtlichen Charakter aufweise, so dass das vorlegende Gericht befugt war, ein Vorabentscheidungsersuchen zu stellen ( 8 ).

39.

Diese auf die Umstände jenes Ausgangsverfahrens beschränkten Feststellungen werfen die Frage auf, ob das Verfahren zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 immer gerichtlichen Charakter aufweist oder zumindest, ob dieses Verfahren bei einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden ebenfalls gerichtlichen Charakter aufweist.

40.

Der Gerichtshof stellt nach ständiger Rechtsprechung zur Entscheidung über die – allein nach Unionsrecht zu beurteilenden – Frage, ob es sich bei der vorlegenden Einrichtung um ein „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV handelt, auf eine Reihe von Kriterien ab, die als die „Dorsch-Kriterien“ bekannt sind ( 9 ). Um als „Gericht“ zu gelten, das befugt ist, ein Ersuchen an den Gerichtshof zu stellen, sind die gesetzliche Grundlage der Einrichtung, der ständige Charakter, die obligatorische Gerichtsbarkeit, das streitige Verfahren, die Anwendung von Rechtsnormen durch die Einrichtung sowie deren Unabhängigkeit zu prüfen.

41.

Außerdem muss für die Feststellung, ob eine nationale Einrichtung, die nach dem Gesetz mit Aufgaben unterschiedlicher Art betraut ist, als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV zu qualifizieren ist, die spezifische Natur der Aufgaben, gerichtlicher oder administrativer Art, geprüft werden, die sie in dem konkreten normativen Kontext ausübt, in dem sie sich zur Anrufung des Gerichtshofs veranlasst sieht, damit geprüft werden kann, ob bei dieser Stelle ein Rechtsstreit anhängig ist und ob sie im Rahmen eines Verfahrens zu entscheiden hat, das auf eine Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter abzielt ( 10 ). Insbesondere kann eine nationale Einrichtung – selbst wenn sie nach den einschlägigen nationalen Vorschriften eine gerichtliche Instanz ist ( 11 ) – unter Umständen, unter denen sie Entscheidungen trifft, indem sie nicht gerichtliche Aufgaben, z. B. Aufgaben administrativer Art, wahrnimmt, nicht als „Gericht“ im Sinne von Art. 267 AEUV qualifiziert werden ( 12 ).

42.

Der Gerichtshof könnte an dieser Stelle eingehend erörtern, ob jedes einzelne Dorsch-Kriterium erfüllt ist, um festzustellen, ob er die durch das vorlegende Gericht gestellte Frage tatsächlich beantworten kann. Ich frage mich jedoch, wie nützlich ein solcher Ansatz wäre, aus dem einfachen Grund, dass im vorliegenden Fall die Sachfrage die Zulässigkeit bestimmt und umgekehrt. Ohne eine materiell-rechtliche Antwort auf die vom nationalen Gericht gestellte Frage (zum Anwendungsbereich und der Rechtsnatur des Verfahrens zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53) zu geben, lässt sich nicht feststellen, welche Aufgabe (gerichtlicher oder nur administrativer Art) ein nationales Gericht in diesem Verfahren nach Unionsrecht ausübt, und daher die Frage der Zulässigkeit entscheiden. Früher oder später müsste man im Rahmen der Erörterung der Zulässigkeit inhaltliche Fragen ansprechen, spätestens bei der Erörterung der Rechtsnatur des Verfahrens (gerichtlich, streitig) nach Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012. Das Ergebnis dieser Erörterung müsste dann auf die Frage der Zulässigkeit angewandt werden, während man gleichzeitig vorgäbe, dass dies die ganze Zeit über nur eine Prüfung der Zulässigkeit gewesen sei.

43.

Ich halte einen solchen Ansatz für wenig praktikabel. Er erforderte auch die Erörterung einer Reihe anderer Dorsch-Kriterien, die für den Kern des tatsächlichen vom nationalen Gericht angesprochenen Problems kaum oder gar nicht von Belang sind, sowie zusätzlich das vertiefte Befassen mit einigen Besonderheiten des nationalen Rechts, die schlicht nicht verfügbar sind.

44.

Statt eine zweifellos leidenschaftliche Debatte darüber zu führen, ob das Ei vor der Henne da war und inwieweit die Henne das Ei definiert, wende ich mich daher direkt der Analyse des Inneren des Eis zu. Ich werde mich daher zunächst mit der Beantwortung der Fragen befassen und dann am Ende der vorliegenden Schlussanträge der Vollständigkeit halber kurz auf die Frage der Zuständigkeit zurückkommen ( 13 ).

C.   Prüfung der Vorlagefrage

45.

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012, ausgelegt im Licht von Art. 47 der Charta, das Ursprungsgericht, bei dem die Ausstellung der Bescheinigung in Bezug auf eine rechtskräftige gerichtliche Entscheidung beantragt wurde, daran hindert, von Amts wegen zu prüfen, ob diese Entscheidung unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen ergangen ist.

46.

Nach Ansicht der tschechischen Regierung, Irlands und der italienischen Regierung ist die Argumentation des vorlegenden Gerichts sowohl mit dem Wortlaut als auch mit dem Geist der Verordnung Nr. 1215/2012 unvereinbar. Die Kommission hingegen meint, dass Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 das Ursprungsgericht nicht daran hindere zu prüfen, ob gegen die Zuständigkeitsvorschriften dieser Verordnung verstoßen wurde und gegebenenfalls den Verbraucher darüber zu unterrichten. Allerdings verpflichte die Vorschrift das Ursprungsgericht nicht dazu.

47.

Ich teile weitgehend die Ansicht der tschechischen Regierung, Irlands und der italienischen Regierung.

1. Zweck und Funktion der Bescheinigung nach Art. 53

48.

Es ist wichtig, von vornherein den Zweck und die Funktion der Bescheinigung nach Art. 53 zu betonen.

49.

Gemäß Art. 42 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 muss der Antragsteller, der die Vollstreckung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung beantragt, der Vollstreckungsbehörde des ersuchten Mitgliedstaats eine Ausfertigung der betreffenden Entscheidung und die Bescheinigung nach Art. 53 vorlegen. Diese Bescheinigung muss gemäß Art. 43 Abs. 1 der Verordnung Nr. 1215/2012 vor der ersten Vollstreckungsmaßnahme auch dem Schuldner zugestellt werden ( 14 ).

50.

Der Zweck der Bescheinigung nach Art. 53 besteht in der verbindlichen Erklärung der Vollstreckbarkeit der Entscheidung. Die Bescheinigung enthält einen Auszug aus der Entscheidung und gegebenenfalls relevante Informationen über die Erstattung der Kosten des Verfahrens und die Berechnung der Zinsen. Sie ist daher ein Dokument von hohem Informationswert. Indem der Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, die Schlüsselinformationen entnommen und diese Informationen den Behörden sowie allen Beteiligten – dank des in Anhang I der Verordnung Nr. 1215/2012 festgelegten Standardformblatts, das verwendet werden muss – leicht verständlich gemacht werden, trägt die Bescheinigung nach Art. 53 zur raschen und effizienten Vollstreckung im Ausland ergangener Entscheidungen bei ( 15 ).

51.

Während in dem mit der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen ( 16 ) eingeführten System die Vorlage der betreffenden Bescheinigung nur fakultativ war ( 17 ), wurde sie mit Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1215/2012 verpflichtend Die neue Verordnung verzichtet nämlich auf ein Exequatur-Verfahren und sieht ein vereinfachtes Verfahren vor, das auf dem Grundsatz beruht, dass eine in einem Mitgliedstaat ergangene Entscheidung so zu behandeln ist, als wäre sie im ersuchten Mitgliedstaat erlassen worden ( 18 ). Ziel dieser Neuerung ist es, die Dauer und die Kosten grenzübergreifender Streitigkeiten zu verringern ( 19 ).

52.

Nach dem neuen System müssen die Behörden des ersuchten Mitgliedstaats die Entscheidung allein auf der Grundlage der in der Entscheidung und in der Bescheinigung nach Art. 53 enthaltenen Informationen vollstrecken. Aus diesem Grund stellt diese Bescheinigung – wie der Gerichtshof festgestellt hat – die Grundlage für die Umsetzung des Grundsatzes der unmittelbaren Vollstreckung der in den Mitgliedstaaten ergangenen Entscheidungen dar ( 20 ). Einfach ausgedrückt kann die Entscheidung ohne dieses Dokument nicht frei im europäischen Rechtsraum zirkulieren ( 21 ).

53.

Wichtig ist, dass das Ursprungsgericht nach der Verordnung Nr. 1215/2012 die einzige Ausstellungsbehörde für die Bescheinigung nach Art. 53 geworden ist, anders als nach dem früheren System, nach dem die zuständige Behörde nicht unbedingt mit dem Gericht identisch war, das die betreffende Entscheidung erlassen hatte ( 22 ). Aus diesem Grund hat der Unionsgesetzgeber entschieden, dass das Gericht, bei dem die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 beantragt wird, im Regelfall seine Zuständigkeit für die Entscheidung in der Hauptsache nicht prüfen muss. Die Zuständigkeit wird, implizit oder explizit, durch den Erlass der Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, ausdrücklich festgestellt worden sein. Das in Anhang I der Verordnung Nr. 1215/2012 enthaltene Formblatt schreibt vor, dass das Ursprungsgericht zur Zuständigkeit für die Entscheidung in der Hauptsache nur dann Stellung nehmen muss, wenn dieses Gericht „einstweilige Maßnahmen einschließlich Sicherungsmaßnahmen“ angeordnet hatte ( 23 ).

54.

Die vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Auslegung von Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 lässt sich nur schwer mit den oben dargelegten Erwägungen in Einklang bringen. Insbesondere würde man mit dieser Auslegung im Ergebnis einen Rückzieher von einem der Hauptmerkmale des mit der Verordnung Nr. 1215/2012 eingeführten neuen Systems machen. Die Kontrollen, die zuvor im ersuchten Mitgliedstaat bei der Ausstellung des Exequatur durchgeführt wurden, würden nämlich nicht beseitigt, sondern lediglich auf das Stadium der Ausstellung der Bescheinigung im Ursprungsmitgliedstaat verlagert. Diese Auslegung der Bestimmung verstieße daher gegen die Logik und den Geist der Verordnung Nr. 1215/2012.

55.

Eine Reihe weiterer Elemente bestätigt diese Auffassung.

2. Befugnisse des Ursprungsgerichts

56.

Im Urteil Trade Agency hat der Gerichtshof festgestellt, dass die Ausstellung der betreffenden Bescheinigung nach dem durch die Verordnung Nr. 44/2001 eingeführten System (damals in deren Art. 54 geregelt) „fast automatisch“ erfolgte ( 24 ). Mit Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 hat der Unionsgesetzgeber diesen Ansatz ganz offensichtlich bestätigt. Der unbedingte Wortlaut dieser Bestimmung lässt dies erkennen: „Das Ursprungsgericht stellt auf Antrag eines Berechtigten die Bescheinigung … aus“ ( 25 ).

57.

Was bedeutet dieser Quasi-Automatismus jedoch in der Praxis? Er bedeutet meines Erachtens, dass das gemäß Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 angerufene Ursprungsgericht zu prüfen hat, ob die Voraussetzungen für die Anwendung dieser Bestimmungen erfüllt sind. Insbesondere sollte das Gericht prüfen, ob die Verordnung Nr. 1215/2012 auf den vorliegenden Fall in zeitlicher und sachlicher Hinsicht anwendbar ist. Das Gericht sollte auch sicherstellen, dass die Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, durch dieses Gericht erlassen worden ist und dass der Antragsteller ein „Beteiligter“ im Sinne von Art. 53 ist.

58.

Umgekehrt kann das Ursprungsgericht bei der Prüfung der Rechtssache nicht darüber hinausgehen, indem es seine Überprüfung auf Aspekte der Streitigkeit erstreckt, die nicht in den Anwendungsbereich von Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 fallen. Insbesondere kann das Ursprungsgericht die materiell- und verfahrensrechtlichen Fragen, die in der Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, geklärt worden sind, nicht neu bewerten.

59.

Eine andere Auslegung der Bestimmung bedeutete einen „Kurzschluss“ des durch die Verordnung Nr. 1215/2012 eingeführten Systems, mit dem eine zusätzliche Ebene gerichtlicher Kontrolle selbst für den Fall eingeführt würde, dass das nationale Recht ein Rechtsbehelfsverfahren gegen die betreffende Entscheidung nicht (oder nicht mehr) vorsieht. Dieser Ansatz liefe daher Gefahr, den Grundsatz der Rechtskraft zu verletzen.

60.

Der Gerichtshof hat bereits die Bedeutung betont, die dem Grundsatz der Rechtskraft sowohl in der Rechtsordnung der Union als auch in den nationalen Rechtsordnungen zukommt. Zur Gewährleistung des Rechtsfriedens und der Beständigkeit rechtlicher Beziehungen sowie einer geordneten Rechtspflege sollen nach seiner Auffassung nach Ausschöpfung des Rechtswegs oder nach Ablauf der entsprechenden Rechtsmittelfristen unanfechtbar gewordene Gerichtsentscheidungen nicht mehr in Frage gestellt werden können ( 26 ).

61.

Auch wenn der Mahnbescheid, wie das vorlegende Gericht meint, unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften in Kapitel II Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 erlassen worden ist, kann dieser Umstand dem Mahnbescheid seine Endgültigkeit und folglich seine grenzüberschreitende Vollstreckbarkeit nicht nehmen.

62.

Ein weiterer Aspekt, der problematisch erscheint, ist in diesem Zusammenhang der Umstand, dass die Nachforschungen des vorlegenden Gerichts von Amts wegen durchgeführt worden sind.

63.

Art. 46 der Verordnung Nr. 1215/2012 sieht ausdrücklich vor, dass die Vollstreckung aus den in Art. 45 dieser Verordnung genannten Gründen nur auf „Antrag des Schuldners“ versagt werden kann. Ferner heißt es in Art. 45 Abs. 2 dieser Verordnung im Hinblick auf die Prüfung, ob die Voraussetzungen nach Art. 45 Abs. 1 Buchst. e erfüllt sind, dass das „Gericht an die tatsächlichen Feststellungen gebunden [ist], aufgrund deren das Ursprungsgericht seine Zuständigkeit angenommen hat“.

64.

Diesem Ansatz lassen sich die anderen Fälle in der Verordnung Nr. 1215/2012 gegenüberstellen, in denen der Unionsgesetzgeber ein Gericht ausdrücklich verpflichtet hat, von Amts wegen tätig zu werden. Dies ist insbesondere in den Art. 27 und 28 sowie in Art. 29 Abs. 1 dieser Verordnung der Fall.

65.

In ihrer Zusammenschau zeigen diese Bestimmungen, dass der Unionsgesetzgeber entschieden hat, es der Eigeninitiative des Schuldners zu überlassen, gegen die Vollstreckung vorzugehen. Diese Entscheidung steht wohl im Einklang mit dem Ziel, den freien Verkehr von Entscheidungen innerhalb der Europäischen Union so weit wie möglich zu fördern. Dieses Ziel setzt voraus, dass die Frist sowie die Art und Weise, in der ein Einspruch gegen die Vollstreckung einer im Ausland ergangenen Entscheidung eingelegt werden muss, sowie die Einspruchsgründe eindeutig festgelegt werden müssen.

66.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Ansicht, dass das vorlegende Gericht nicht berechtigt ist zu prüfen, ob der streitige Mahnbescheid rechtmäßig erlassen wurde und insbesondere, ob er den Zuständigkeitsvorschriften der Verordnung Nr. 1215/2012 entspricht. Schon gar nicht ist das vorlegende Gericht verpflichtet, dies von Amts wegen zu tun.

3. Zum Verfahren nach Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012

67.

Dieses Ergebnis wird auch durch die Erwägungen zum Charakter des in Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Verfahrens gestützt. Die Verordnung Nr. 1215/2012 enthält keinerlei Bestimmungen über das Verfahren zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53.

68.

Die administrativen und praktischen Elemente dieses Verfahrens (wie z. B. die interne Zuständigkeit innerhalb des Ursprungsgerichts, die beizubringenden Unterlagen, das Bestehen und die Höhe von Gebühren etc.) werden daher durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten geregelt. Dies jedoch nur unter der Voraussetzung, dass die Einhaltung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 gewährleistet ist sowie das Funktionieren des durch diese Verordnung errichteten Systems nicht beeinträchtigt und die Erreichung des mit dieser Verordnung verfolgten Ziels nicht verhindert werden.

69.

Wie oben in den Nrn. 56 bis 61 dargelegt, beruht die automatische Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 durch das Ursprungsgericht sowohl auf der Logik des neuen Systems der Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen als auch auf dem Wortlaut von Art. 53 dieser Verordnung. Sobald festgestellt worden ist, dass die Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 53 erfüllt sind, darf das Gericht die Ausstellung der Bescheinigung nicht verweigern.

70.

Vor diesem Hintergrund erfordert das von dem Ursprungsgericht einzuhaltende Verfahren – zwangsläufig, würde ich sagen – eine rasche Bearbeitung des durch den Antragsteller gestellten Ersuchens. Jeder zusätzliche Zeitraum, den das Ursprungsgericht benötigte, um eine über die reine Prüfung der in Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 genannten Voraussetzungen hinausgehende Frage zu untersuchen, führte offenkundig zu einer unnötigen Verzögerung des Verfahrens. Dies wiederum würde die Wirksamkeit des durch die Verordnung Nr. 1215/2012 geschaffenen Systems beeinträchtigen und die angestrebte Reduzierung des Zeit- und Kostenaufwands bei grenzüberschreitenden Rechtsstreitigkeiten vereiteln.

71.

Dies wäre insbesondere dann der Fall, wenn das Ursprungsgericht beschlösse, von Amts wegen Nachforschungen anzustellen, um die Fragen zu überprüfen, die Gegenstand der Entscheidung waren (oder hätten sein sollen), deren Vollstreckung beantragt wird. Dies könnte z. B. die Frage umfassen, ob die Entscheidung von dem nach den Vorschriften in Kapitel II der Verordnung Nr. 1215/2012 zuständigen nationalen Gericht erlassen wurde.

72.

Meine Schlussfolgerung in diesem Punkt wird durch die Rechtsprechung, in der der Gerichtshof die Art des Verfahrens geprüft hat, durch das eine Entscheidung als Europäischer Vollstreckungstitel gemäß der Verordnung Nr. 805/2004 bestätigt wird, nicht in Frage gestellt ( 27 ). Die Pflicht des Ursprungsgerichts, zu prüfen, ob alle Voraussetzungen für die Bestätigung als Europäischer Vollstreckungstitel erfüllt sind, ergibt sich ausdrücklich aus Art. 6 der Verordnung Nr. 805/2004, einer Bestimmung, die in der Verordnung Nr. 1215/2012 keine Entsprechung hat.

4. Der Verbraucherschutz im Rahmen der Verordnung Nr. 1215/2012

73.

An dieser Stelle ist es erforderlich zu prüfen, ob der Umstand, dass das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) im Rahmen des Erlasses des betreffenden Mahnbescheids angeblich die Vorschriften über die Zuständigkeit für Entscheidungen über Klagen gegen Verbraucher verletzt hat, gleichwohl zu einem anderen Ergebnis führen könnte.

74.

Wie oben in Nr. 17 dargelegt, orientiert sich das vorlegende Gericht an der – insbesondere im Zusammenhang mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen ( 28 ) entwickelten – Rechtsprechung des Gerichtshofs, wonach sich der Verbraucher gegenüber Gewerbetreibenden in einer schwächeren Verhandlungsposition befindet, weshalb die nationalen Gerichte, gegebenenfalls von Amts wegen, zu positivem Eingreifen verpflichtet sein können, um diese Ungleichheit unter bestimmten Umständen auszugleichen ( 29 ).

75.

Das vorlegende Gericht fragt daher, ob diese Rechtsprechung es dem Ursprungsgericht in einem Sachverhalt wie dem des Ausgangsverfahrens erlaubt, den Verbraucher von Amts wegen von dem behaupteten Verstoß in Kenntnis zu setzen, ohne der Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 entgegenzutreten oder diese zu versagen. Diese Information ermöglichte es dem Verbraucher, in voller Kenntnis der Sachlage zu prüfen, ob er sich der Anerkennung und Vollstreckung des Mahnbescheids vor dem Gericht des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, widersetzen möchte, indem er den in Art. 45 Abs. 1 Buchst. e der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Rechtsbehelf geltend macht.

76.

In dieser Frage bin ich mit der tschechischen Regierung, Irland, der italienischen Regierung und der Kommission der Auffassung, dass die Rechtsprechung des Gerichtshofs zur Richtlinie 93/13 nicht ohne Weiteres auf die Verordnung Nr. 1215/2012 übertragen werden kann.

77.

Die Richtlinie 93/13 zielte in erster Linie darauf ab, das materielle Recht der Mitgliedstaaten in Bezug auf missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen anzugleichen, wobei es im Einklang mit dem bekannten Grundsatz der Verfahrensautonomie ( 30 ) den Mitgliedstaaten überlassen blieb, die erforderlichen Verfahrensvorschriften festzulegen ( 31 ). Die vom vorlegenden Gericht angeführte Rechtsprechung war daher das Ergebnis von Sachverhalten, in denen der Gerichtshof der Auffassung war, dass das nationale Verfahrensrecht es Verbrauchern unmöglich oder übermäßig schwer machte, die ihnen durch die Richtlinie 93/13 verliehenen Rechte wahrzunehmen.

78.

In dieser Hinsicht sollte betont werden, dass Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 bestimmt, dass missbräuchliche Klauseln für den Verbraucher unverbindlich sind. Dabei handelt es sich, wie der Gerichtshof entschieden hat, um eine zwingende Bestimmung, die darauf abzielt, die formale Ausgewogenheit der Rechte und Pflichten der Vertragsparteien durch eine materielle Ausgewogenheit zu ersetzen und so deren Gleichheit wiederherzustellen ( 32 ). Umgekehrt werden in der Verordnung Nr. 1215/2012 gemeinsame Verfahrensvorschriften festgelegt. Sie enthält keine ergebnisorientierte und weitereichende materielle Vorschrift, die Art. 6 Abs. 1 der Richtlinie 93/13 entspricht.

79.

Dies ist kaum verwunderlich. Die Verordnung Nr. 1215/2012 enthält verschiedene verbraucherspezifische Bestimmungen, die den Verbrauchern besondere Verfahrensrechte gewähren. Im 18. Erwägungsgrund heißt es hierzu: „Bei Versicherungs‑, Verbraucher- und Arbeitsverträgen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung.“ ( 33 )

80.

Dementsprechend bestimmt sich die Zuständigkeit gemäß Art. 17 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 1215/2012 nach den Vorschriften ihres Kapitels II Abschnitt 4, sofern „ein Vertrag oder Ansprüche aus einem Vertrag, den eine Person, der Verbraucher, zu einem Zweck geschlossen hat, der nicht der beruflichen oder gewerblichen Tätigkeit dieser Person zugerechnet werden kann, den Gegenstand des Verfahrens [bilden], wenn der andere Vertragspartner in dem Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat, eine berufliche oder gewerbliche Tätigkeit ausübt oder eine solche auf irgendeinem Wege auf diesen Mitgliedstaat oder auf mehrere Staaten, einschließlich dieses Mitgliedstaats, ausrichtet und der Vertrag in den Bereich dieser Tätigkeit fällt“. Im Gegenzug kann gemäß Art. 18 Abs. 2 der Verordnung Nr. 1215/2012 „[d]ie Klage des anderen Vertragspartners gegen den Verbraucher … nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Verbraucher seinen Wohnsitz hat“.

81.

Darüber hinaus gewähren Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i und Art. 46 der Verordnung Nr. 1215/2012 Verbrauchern in Fällen, in denen die betreffende Entscheidung im Widerspruch zu den oben genannten besonderen Zuständigkeitsvorschriften steht, einen besonderen Grund für die Verweigerung der Anerkennung der Vollstreckung.

82.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen bin ich der Ansicht, dass der Unionsgesetzgeber in den unter die Verordnung Nr. 1215/2012 fallenden Angelegenheiten die besondere Lage der Verbraucher berücksichtigt und zu diesem Zweck Ad-hoc-Regelungen ausgearbeitet hat. Die Verordnung Nr. 1215/2012 enthält daher bereits eine Reihe zusätzlicher, für Verbraucher als notwendig erachteter Verfahrensgarantien. Innerhalb eines solchen Rahmenwerks, das bereits einen hohen Verbraucherschutz bietet, ist es nicht erforderlich, Art. 53 dieser Verordnung übermäßig „aufzublasen“, um – im Wege der Auslegung – zusätzliche Garantien wie die durch das vorlegende Gericht vorgeschlagene einzuführen.

83.

Systemisch ausgedrückt, sollte, falls das Bestehen einer zusätzlichen Schutzschicht für Verbraucher in die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 „hineinzulesen“ sein sollte, eine ähnliche Behandlung auch auf die anderen Personengruppen ausgeweitet werden, die der Unionsgesetzgeber als schutzwürdig erachtet hat, wenn sie als Beklagte auftreten ( 34 )?

84.

In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass der Gerichtshof gerade in der Rechtsprechung, auf die das vorlegende Gericht abstellt, anerkannt hat, dass der Verbraucherschutz keine absolute Geltung besitzt. Insbesondere hat er die Auffassung vertreten, dass das Unionsrecht es einem nationalen Gericht grundsätzlich nicht gebiete, von der Anwendung innerstaatlicher Verfahrensvorschriften, aufgrund derer eine Entscheidung Rechtskraft erlangt, abzusehen, selbst wenn dadurch ein Verstoß gegen die Richtlinie 93/13 abgestellt werden könnte ( 35 ). Dennoch käme die von dem vorlegenden Gericht vorgeschlagene Vorgehensweise, wie oben in den Nrn. 59 bis 61 dargelegt, der Infragestellung des endgültigen Charakters der Entscheidung gleich, für die die Bescheinigung nach Art. 53 beantragt worden ist.

5. Art. 47 der Charta

85.

Schließlich muss ich feststellen, dass mein Ergebnis hinsichtlich der zutreffenden Auslegung von Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 selbst dann unberührt bleibt, wenn zusätzlich Art. 47 der Charta berücksichtigt wird.

86.

Der Unionsgesetzgeber hat der Notwendigkeit Rechnung getragen, zu gewährleisten, dass die Beteiligten über angemessenen gerichtlichen Rechtsschutz verfügen, um sich der Vollstreckung im Ausland ergangener Entscheidungen zu widersetzen. Im 29. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012 hebt er hervor, dass „die unmittelbare Vollstreckung ohne Vollstreckbarerklärung einer in einem anderen Mitgliedstaat ergangenen Entscheidung im ersuchten Mitgliedstaat … nicht die Achtung der Verteidigungsrechte beeinträchtigen [sollte]“, und er fügt im 38. Erwägungsgrund hinzu, dass die Verordnung mit den Grundrechten im Einklang stehe, „insbesondere mit dem in Artikel 47 der Charta verbürgten Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf und ein unparteiisches Gericht“.

87.

Es gibt bereits eine Reihe von Garantien, die dieses Ziel in vollem Umfang gewährleisten.

88.

Wenn es zutrifft, dass der betreffende Mahnbescheid unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften in Kapitel II Abschnitt 4 der Verordnung Nr. 1215/2012 ergangen ist, kann Frau Fiermonte sich erstens der Anerkennung und Vollstreckung in Deutschland widersetzen, indem sie sich auf Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i in Verbindung mit Art. 46 der Verordnung beruft.

89.

Zweitens könnte Frau Fiermonte sich auch auf den in Art. 45 Abs. 1 Buchst. b der Verordnung Nr. 1215/2012 vorgesehenen Versagungsgrund für im Versäumnisverfahren ergangene Entscheidungen berufen, sollten dessen Voraussetzungen erfüllt sein. Nach dieser Vorschrift wird ein Versäumnisurteil nicht anerkannt, „wenn dem Beklagten das verfahrenseinleitende Schriftstück oder ein gleichwertiges Schriftstück nicht so rechtzeitig und in einer Weise zugestellt worden ist, dass … er sich verteidigen konnte, es sei denn, der Beklagte hat gegen die Entscheidung keinen Rechtsbehelf eingelegt, obwohl er die Möglichkeit dazu hatte“.

90.

Drittens wird das in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 verankerte Schutzsystem durch den Grundsatz der Staatshaftung weiter ergänzt. Sollte Frau Fiermonte der Auffassung sein, aufgrund eines durch das Ursprungsgericht begangenen Verstoßes gegen die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 und hinsichtlich der möglichen Kosten, die aufgrund einer rechtswidrigen Entscheidung des Ursprungsgerichts möglicherweise bereits entstanden sind, einen Schaden erlitten zu haben, hätte sie daher ungeachtet des weiteren Vorgehens des zuständigen Gerichts des ersuchten Mitgliedstaats die Möglichkeit, von dem entsprechenden Mitgliedstaat (bzw. den entsprechenden Mitgliedstaaten) Schadensersatz zu verlangen.

91.

Nach ständiger Rechtsprechung gilt der Grundsatz der Haftung eines Mitgliedstaats für Verluste oder Schäden, die dem Einzelnen durch dem Staat zuzurechnende Verstöße gegen das Unionsrecht entstehen, nämlich für jeden Verstoß eines Mitgliedstaats gegen das Unionsrecht unabhängig davon, welches mitgliedstaatliche Organ den Verstoß begangen hat, auch wenn der betreffende Verstoß aus einer Entscheidung eines Gerichts folgt ( 36 ).

92.

In Anbetracht der vorstehenden Erwägungen bin ich der Ansicht, dass Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 es dem Ursprungsgericht, bei dem die Ausstellung der Bescheinigung in Bezug auf eine rechtskräftige Entscheidung beantragt wurde, verbietet, von Amts wegen zu prüfen, ob die Entscheidung unter Verstoß gegen die Zuständigkeitsvorschriften bei Verbrauchersachen ergangen ist.

D.   Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs (Teil 2)

93.

Nachdem ich mich mit der Beantwortung der Fragen befasst habe, komme ich schließlich, nur der Vollständigkeit halber, auf die Frage der Zuständigkeit zurück.

94.

Aufgrund verschiedener Erwägungen gehe ich davon aus, dass die Aufgaben, die das Ursprungsgericht wahrnimmt, wenn bei ihm die Ausstellung einer Bescheinigung nach Art. 53 beantragt wird, gerichtlichen Charakter haben. Ein solches Gericht ist daher befugt, einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zu stellen.

95.

Erstens habe ich oben in Nr. 52 die Bedeutung der Bescheinigung nach Art. 53 innerhalb des Systems der Verordnung Nr. 1215/2012 hervorgehoben. Diese Bescheinigung bildet die Grundlage für die Umsetzung des Grundsatzes der unmittelbaren Vollstreckung von im Ausland ergangenen Entscheidungen. Sobald die Bescheinigung nach Art. 53 der zuständigen Vollstreckungsbehörde vorgelegt wird, erwirbt sie in der Praxis ein Eigenleben. Alle für die Vollstreckung der zugehörigen Entscheidung erforderlichen Informationen sollen grundsätzlich, in einer „benutzerfreundlichen“ Weise, in der Bescheinigung enthalten sein. Es besteht daher Grund zu der Annahme, dass die Vollstreckungsbehörden die Richtigkeit dieser Angaben, sofern sie nicht ausdrücklich in Zweifel gezogen wird, nicht erneut überprüfen werden, indem sie den Wortlaut der betreffenden Entscheidung prüfen, die oft in einer Sprache abgefasst sein wird, die sie nicht lesen können. In der Praxis wird die Bescheinigung nach Art. 53 daher wahrscheinlich die Grundlage für die Vollstreckung der Entscheidung bilden.

96.

Zweitens ist die Aufgabe der Behörde, die für die Entnahme der Informationen aus dem Text der Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, und die Übernahme dieser Informationen in das konkrete Formblatt zuständig ist, möglicherweise oft eher mechanischer Art. Dies ist jedoch möglicherweise nicht immer der Fall. Das Ausfüllen des Formblatts in Anhang I der Verordnung Nr. 1215/2012 erfordert ziemlich detaillierte Informationen. Es ist durchaus möglich, dass sich ein Teil dieser Informationen nicht aus der Entscheidung, deren Vollstreckung beantragt wird, ergibt. Einige dieser Fragen können natürlich streitig sein. Andere wiederum mögen eine Auslegung der rechtskräftigen Entscheidung erfordern.

97.

Ob die oben in Nr. 57 erörterten Voraussetzungen für die Anwendung von Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 erfüllt sind, könnte zudem zwischen den Parteien streitig sein. Die Rechtssache Gradbeništvo Korana ( 37 ) ist ein gutes Beispiel dafür.

98.

Aufgrund all dieser Elemente und Möglichkeiten gelange ich zu einer klaren Schlussfolgerung: Das Ausfüllen der Bescheinigung nach Art. 53 kann kaum als ein „administratives“ Verfahren angesehen werden, das einer Situation gleichsteht, in der jemand lediglich ohne großen gedanklichen Aufwand oder einen inhaltlichen Beitrag ein Dokument abstempeln soll.

99.

Drittens halte ich in Anbetracht dieses Verständnisses eine Auslegung von Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012, wonach der (administrative oder gerichtliche) Charakter der durch die Einrichtung, die die Bescheinigung ausstellt, wahrgenommenen Aufgaben jeweils von der Art der Fragen abhängt, mit denen sich die Einrichtung während dieses konkreten Verfahrens befassen muss, für nicht zufriedenstellend. Der Charakter dieser Aufgaben, die in den Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012 festgelegt sind, muss vom Beginn bis zum Ende des Verfahrens derselbe sein, unabhängig davon, ob sich die Fragen, mit denen sich das Ursprungsgericht befassen muss, mehr oder weniger kompliziert gestalten oder ob es sich um Einschätzungen handelt, die bis zu einem gewissen Grad über das hinausgehen, was ausdrücklich Gegenstand der Entscheidung ist, deren Vollstreckung beantragt wird. Einfach gewendet finde ich es schwierig, einen Ansatz zu verfolgen, nach dem die Besonderheiten und (Miss‑)Geschicke eines konkreten Falles Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 in ein Verfahren der variablen Geometrie verwandeln könnten, das manchmal gerichtlich sein wird und manchmal nicht.

100.

Schließlich könnte es viertens auch auf einer allgemeineren Ebene sinnvoll sein, sich in Erinnerung zu rufen, dass das Verfahren zur Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 auf nationaler Ebene in der Praxis durch verschiedene Arten „interner Delegation“ vonstattengeht ( 38 ). Die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 kann durch einen einzelnen Richter erfolgen oder vielleicht sogar auf einen Rechtspfleger oder einen anderen Bediensteten des Gerichts übertragen werden, aber sie erfolgt immer noch innerhalb eines nationalen Gerichts.

101.

Handelt es sich bei der vorlegenden Einrichtung nach der allgemeinen und institutionellen Definition im nationalen Recht um ein „Gericht“, müssen meines Erachtens gute Argumente vorgebracht werden, um zu beweisen, dass die Einrichtung trotz ihres allgemein gerichtlichen Charakters in einem bestimmten Fall im Ausgangsverfahren eindeutig nur administrative Aufgaben wahrnimmt ( 39 ). Der Gerichtshof scheint mir nur dann zu diesem Schluss gekommen zu sein, wenn die betreffende Tätigkeit, obwohl sie durch eine gerichtliche Einrichtung ausgeführt wurde, unbestreitbar nicht zu einer Entscheidung mit Rechtsprechungscharakter geführt hat ( 40 ). Im Gegensatz dazu hat der Gerichtshof in Fällen, in denen der Sachverhalt weniger eindeutig war, dem Anschein nach „den Zweifel“ dem nationalen Gericht „zugutekommen lassen“ ( 41 ).

102.

Ich halte diesen Ansatz für vernünftig und für möglicherweise gerade im Zusammenhang mit dem durch die Verordnung Nr. 1215/2012 eingeführten System der justiziellen Zusammenarbeit gerechtfertigt. Das Funktionieren des gesamten Systems, in dem Art. 53 ein wichtiger Bestandteil ist, hängt von der zentralen Funktion ab, die den Justizbehörden zukommt. Hegt daher ein Gericht Zweifel in Bezug auf die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1215/2012, liegt es im Interesse der Gewährleistung der Rechtseinheit und ‑klarheit, dass der Zugang zum Gerichtshof gemäß Art. 267 AEUV nicht übermäßig eng ausgelegt wird.

103.

Im vorliegenden Fall besteht kein Zweifel daran, dass das Tribunale di Milano (Gericht Mailand) und der offenbar für die Ausstellung der Bescheinigung nach Art. 53 zuständige einzelne Richter Teil der italienischen ordentlichen Gerichtsbarkeit sind. Darüber hinaus hat das Verfahren nach Art. 53 der Verordnung Nr. 1215/2012 aus den oben dargelegten Gründen eindeutig nicht lediglich administrativen Charakter.

104.

Angesichts der vorstehenden Erwägungen bin ich der Auffassung, dass der Gerichtshof für die Beantwortung der in diesem Verfahren aufgeworfenen Vorlagefrage zuständig ist.

V. Ergebnis

105.

Ich schlage dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Tribunale di Milano (Gericht Mailand, Italien) wie folgt zu beantworten:

Art. 53 der Verordnung (EU) Nr. 1215/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2012 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (Neufassung) verbietet es dem Ursprungsgericht, bei dem die Ausstellung der Bescheinigung in Bezug auf eine rechtskräftige Entscheidung beantragt worden ist, von Amts wegen Befugnisse auszuüben, um zu prüfen, ob diese Entscheidung unter Verstoß gegen die Zuständigkeit bei Verbrauchersachen ergangen ist.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) ABl. 2012, L 351, S. 1 (auch bekannt als „Brüssel‑Ia‑Verordnung“).

( 3 ) Das Gericht verweist u. a. auf die Urteile vom 6. Oktober 2009, Asturcom Telecomunicaciones (C‑40/08, EU:C:2009:615), vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito (C‑618/10, EU:C:2012:349), vom 4. Juni 2015, Faber (C‑497/13, EU:C:2015:357), vom 18. Februar 2016, Finanmadrid EFC (C‑49/14, EU:C:2016:98), und vom 26. Januar 2017, Banco Primus (C‑421/14, EU:C:2017:60).

( 4 ) ABl. 2004, L 143, S. 15.

( 5 ) Siehe den 26. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012.

( 6 ) Vgl. insbesondere Urteile des EGMR vom 17. Januar 1970, Delcourt/Belgien (CE:ECHR:1970:0117JUD000268965, § 31), und vom 7. Juni 2001, Kress/Frankreich (CE:ECHR:2001:0607JUD003959498, § 41).

( 7 ) Vgl. aus jüngerer Zeit insbesondere Urteil vom 27. Februar 2018, Associação Sindical dos Juízes Portugueses (C‑64/16, EU:C:2018:117, Rn. 41 bis 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 8 ) Urteil vom 28. Februar 2019 (C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 41).

( 9 ) Vgl. Urteile vom 17. September 1997, Dorsch Consult (C‑54/96, EU:C:1997:413, Rn. 23), und, aus jüngerer Zeit, vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 17 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Vgl. u. a. Urteil vom 17. Juli 2014, Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:2088, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Vgl. z. B. Urteil vom 19. Oktober 1995, Job Centre (C‑111/94, EU:C:1995:340, Rn. 11 und 12).

( 12 ) Vgl. z. B. Urteil vom 31. Januar 2013, Belov (C‑394/11, EU:C:2013:48, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 13 ) Siehe unten, Nrn. 93 bis 104 der vorliegenden Schlussanträge.

( 14 ) Siehe auch den 32. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012.

( 15 ) Vgl. Urteil vom 6. September 2012, Trade Agency (C‑619/10, EU:C:2012:531, Rn. 41), sowie die Schlussanträge der Generalanwältin Kokott in jener Rechtssache (EU:C:2012:247, Nr. 38).

( 16 ) ABl. 2001, L 12, S. 1.

( 17 ) Vgl. Art. 53 bis 55 der Verordnung Nr. 44/2001. Vgl. auch Urteil vom 6. September 2012, Trade Agency (C‑619/10, EU:C:2012:531, Rn. 36).

( 18 ) Vgl. Art. 39 der Verordnung Nr. 1215/2012.

( 19 ) Vgl. in diesem Sinne den 26. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012.

( 20 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 28. Februar 2019, Gradbeništvo Korana (C‑579/17, EU:C:2019:162, Rn. 37).

( 21 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Bot in der Rechtssache Gradbeništvo Korana (C‑579/17, EU:C:2018:863, Nr. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 22 ) Gemäß Art. 54 der Verordnung Nr. 44/2001 musste die Bescheinigung durch „das Gericht oder die sonst befugte Stelle des Mitgliedstaats, in dem die Entscheidung ergangen ist“ ausgestellt werden (Hervorhebung nur hier).

( 23 ) Siehe Punkt 4.6.2.2 des Standardformblatts in Anhang I der Verordnung Nr. 1215/2012. Vgl. auch Art. 42 Abs. 2 dieser Verordnung.

( 24 ) Urteil vom 6. September 2012 (C‑619/10, EU:C:2012:531, Rn. 41).

( 25 ) Hervorhebung nur hier.

( 26 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 16. März 2006, Kapferer (C‑234/04, EU:C:2006:178, Rn. 20).

( 27 ) Vgl. insbesondere Urteile vom 17. Dezember 2015, Imtech Marine Belgium (C‑300/14, EU:C:2015:825, Rn. 46 und 47), und vom 16. Juni 2016, Pebros Servizi (C‑511/14, EU:C:2016:448, Rn. 25).

( 28 ) ABl. 1993, L 95, S. 29.

( 29 ) Vgl. die oben in Fn. 3 angeführte Rechtsprechung.

( 30 ) Vgl. insbesondere die Erwägungsgründe 10 und 24 der Richtlinie 93/13.

( 31 ) Vgl., neben vielen anderen, Urteil vom 26. Oktober 2006, Mostaza Claro (C‑168/05, EU:C:2006:675, Rn. 24).

( 32 ) Vgl. u. a. Urteil vom 14. Juni 2012, Banco Español de Crédito (C‑618/10, EU:C:2012:349, Rn. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 33 ) Hervorhebung nur hier. Vgl. auch den 14. Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 1215/2012.

( 34 ) Zum Beispiel Versicherungsnehmer, Versicherte oder Begünstigte von Versicherungsverträgen, Angestellte (um nur diejenigen zu nennen, auf die Art. 45 Abs. 1 Buchst. e Ziff. i der Verordnung Nr. 1215/2012 Bezug nimmt).

( 35 ) Vgl. z. B. Urteil vom 26. Januar 2017, Banco Primus (C‑421/14, EU:C:2017:60, Rn. 47 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 36 ) Vgl. insbesondere Urteil vom 30. September 2003, Köbler (C‑224/01, EU:C:2003:513, Rn. 30 bis 59).

( 37 ) Urteil vom 28. Februar 2019 (C‑579/17, EU:C:2019:162).

( 38 ) Zur Unterscheidung zwischen einer solchen internen Delegation und externen Delegation vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache (C‑551/15, EU:C:2016:825, Nrn. 96 und 97).

( 39 ) Vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Wahl in den verbundenen Rechtssachen Torresi (C‑58/13 und C‑59/13, EU:C:2014:265, Nrn. 72 und 73).

( 40 ) Vgl. z. B. Urteil vom 19. Oktober 1995, Job Centre (C‑111/94, EU:C:1995:340).

( 41 ) Vgl. z. B. Urteil vom 16. Dezember 2008, Cartesio (C‑210/06, EU:C:2008:723, Rn. 54 bis 63).