SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 5. März 2020 ( 1 )

Rechtssache C‑66/18

Europäische Kommission

gegen

Ungarn

„Vertragsverletzungsverfahren – Art. 258 AEUV – Zuständigkeit des Gerichtshofs – Verstoß eines Mitgliedstaats gegen Verpflichtungen aus dem Allgemeinen Abkommen über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) – Dienstleistungsfreiheit – Richtlinie 2006/123/EG – Art. 16 – Art. 56 AEUV – Niederlassungsfreiheit – Art. 49 AEUV – Bildungsdienstleistungen – Hochschulunterricht – Drittstaatsangehöriger Dienstleistungserbringer – Gesetzliche Voraussetzungen für die Erbringung von Bildungsdienstleistungen in einem Mitgliedstaat – Erfordernis eines völkerrechtlichen Vertrags mit dem Herkunftsstaat – Erfordernis einer tatsächlichen Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat – Anwendbarkeit der Grundrechtecharta – Art. 13 – Wissenschaftsfreiheit – Art. 14 Abs. 3 – Freiheit zur Gründung von Lehranstalten“

I. Einleitung

1.

Gegenstand des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens sind zwei Änderungen des ungarischen Hochschulgesetzes aus dem Jahr 2017. Danach müssen Hochschulen aus Staaten außerhalb des EWR für die Aufnahme oder Fortführung ihrer Tätigkeit in Ungarn den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen Ungarn und ihrem Herkunftsstaat nachweisen, wobei dieser bei föderalen Staaten zwingend von der Zentralregierung geschlossen werden muss. Außerdem steht die Tätigkeit aller ausländischen Hochschulen unter der Bedingung, dass auch in dem jeweiligen Herkunftsstaat eine Hochschulausbildung angeboten wird.

2.

Kritikern zufolge verfolgt die ungarische Regierung mit diesem Gesetz einzig das Ziel, die Tätigkeit der Central European University (CEU) in Ungarn zu unterbinden. Daher wurde in der öffentlichen Debatte teilweise von einer „lex CEU“ gesprochen.

3.

Die CEU wurde 1991 durch eine Initiative gegründet, die sich nach eigener Aussage zum Ziel gesetzt hatte, die kritische Auseinandersetzung in der Ausbildung neuer Entscheidungsträger in den mittel- und osteuropäischen Staaten zu fördern, in denen Pluralismus zuvor ausgeschlossen war. Bei der CEU handelt es sich um eine nach dem Recht des Staates New York gegründete Universität, welche über eine von diesem Staat ausgestellte Betriebsgenehmigung (sogenannte Absolute Charter) verfügt. Hauptförderer sind die „Open Society“-Stiftungen des in manchen Kreisen umstrittenen US-amerikanischen Geschäftsmanns ungarischer Herkunft George Soros. ( 2 ) Aufgrund ihrer besonderen Zielsetzung hat die CEU zu keinem Zeitpunkt eine Lehr- oder Forschungstätigkeit in den Vereinigten Staaten entfaltet.

4.

Unter den sechs ausländischen Hochschulen, die zum Zeitpunkt der Änderung des Hochschulgesetzes einer genehmigungspflichtigen Tätigkeit in Ungarn nachgingen, war die CEU aufgrund ihres besonderen Modells die einzige, welche die neuen Anforderungen nicht erfüllen konnte. Sie hat daher den Betrieb in Ungarn eingestellt; im November 2019 eröffnete ein neuer Campus in Wien (Österreich).

5.

Vor diesem Hintergrund sieht die Kommission in den neuen Regelungen nicht nur eine Beschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs, sondern insbesondere auch einen Verstoß gegen die in der Europäischen Grundrechtecharta verbürgte Wissenschaftsfreiheit.

6.

Da eine der beiden neuen Anforderungen außerdem nur auf Hochschulen aus Staaten außerhalb des EWR Anwendung findet, erhält das Verfahren noch eine weitere besondere Dimension. Denn die Kommission wirft Ungarn insoweit eine Verletzung des Rechts der Welthandelsorganisation (World Trade Organization, im Folgenden: WTO), namentlich des GATS, vor. Der Gerichtshof wird mithin im vorliegenden Verfahren auch darüber zu entscheiden haben, inwieweit das Vertragsverletzungsverfahren als Instrument zur Durchsetzung und Effektivierung des Welthandelsrechts dienen kann.

II. Rechtlicher Rahmen

A. Unionsrecht

1.   Beschluss 94/800 des Rates über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde

7.

Mit dem Beschluss 94/800/EG vom 22. Dezember 1994 über den Abschluss der Übereinkünfte im Rahmen der multilateralen Verhandlungen der Uruguay-Runde (1986–1994) im Namen der Europäischen Gemeinschaft in Bezug auf die in ihre Zuständigkeiten fallenden Bereiche ( 3 ) genehmigte der Rat das Übereinkommen zur Errichtung der WTO sowie die Übereinkünfte in den Anhängen 1 bis 3 dieses Übereinkommens, zu denen das Allgemeine Übereinkommen über den Handel mit Dienstleistungen (General Agreement on Trade in Services, kurz: GATS) gehört.

8.

Art. I GATS bestimmt:

„(1)   Dieses Übereinkommen findet Anwendung auf die Maßnahmen der Mitglieder, die den Handel mit Dienstleistungen beeinträchtigen.

(2)   Für die Zwecke dieses Übereinkommens bedeutet der Handel mit Dienstleistungen die Erbringung einer Dienstleistung

a)

aus dem Hoheitsgebiet eines Mitglieds in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds;

b)

im Hoheitsgebiet eines Mitglieds an den Dienstleistungsnutzer eines anderen Mitglieds;

c)

durch einen Dienstleistungserbringer eines Mitglieds mittels kommerzieller Präsenz im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds;

d)

durch einen Dienstleistungserbringer eines Mitglieds mittels Präsenz natürlicher Personen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitglieds.

…“

9.

Artikel XIV GATS sieht unter der Überschrift „Allgemeine Ausnahmen“ Folgendes vor:

„Unter der Voraussetzung, dass Maßnahmen nicht in einer Weise angewendet werden, die ein Mittel zu willkürlicher oder unberechtigter Diskriminierung unter Ländern, in denen gleiche Bedingungen herrschen, oder eine verdeckte Beschränkung für den Handel mit Dienstleistungen darstellen würde, darf dieses Übereinkommen nicht dahingehend ausgelegt werden, dass es die Annahme oder Durchsetzung von Maßnahmen eines Mitglieds verhindert,

a)

die erforderlich sind, um die öffentliche Moral oder die öffentliche Ordnung[ ( 4 )] aufrechtzuerhalten; …

c)

die erforderlich sind, um die Erhaltung von Gesetzen oder sonstigen Vorschriften zu gewährleisten, die nicht im Widerspruch zu diesem Übereinkommen stehen, einschließlich solcher

i

zur Verhinderung irreführender und betrügerischer Geschäftspraktiken oder zur Behandlung der Folgen einer Nichterfüllung von Dienstleistungsverträgen, …

iii)

zur Gewährleistung der Sicherheit; …“.

10.

Art. XVI GATS steht im Teil III des Abkommens über „Spezifische Verpflichtungen“. Unter dem Titel „Marktzugang“ bestimmt diese Vorschrift:

„(1)   Hinsichtlich des Marktzugangs … gewährt jedes Mitglied den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die, die nach den in seiner Liste … vereinbarten und festgelegten Bestimmungen, Beschränkungen und Bedingungen vorgesehen ist …“

(2)   In Sektoren, in denen Marktzugangsverpflichtungen übernommen werden, werden Maßnahmen, die ein Mitglied weder … aufrechterhalten noch einführen darf … wie folgt definiert:

a)

Beschränkungen der Anzahl der Dienstleistungserbringer in Form von zahlenmäßigen Quoten, Monopolen oder Dienstleistungserbringern mit ausschließlichen Rechten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedürfnisprüfung;

b)

Beschränkungen des Gesamtwerts der Dienstleistungsgeschäfte oder des Betriebsvermögens in Form zahlenmäßiger Quoten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedürfnisprüfung;

c)

Beschränkungen der Gesamtzahl der Dienstleistungen oder des Gesamtvolumens erbrachter Dienstleistungen durch Festsetzung bestimmter zahlenmäßiger Einheiten in Form von Quoten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedürfnisprüfung;

d)

Beschränkungen der Gesamtzahl natürlicher Personen, die in einem bestimmten Dienstleistungssektor beschäftigt werden dürfen oder die ein Dienstleistungserbringer beschäftigen darf und die zur Erbringung einer spezifischen Dienstleistung erforderlich sind und in direktem Zusammenhang damit stehen, in Form zahlenmäßiger Quoten oder des Erfordernisses einer wirtschaftlichen Bedürfnisprüfung;

e)

Maßnahmen, die bestimmte Arten rechtlicher Unternehmensformen oder von Gemeinschaftsunternehmen beschränken oder vorschreiben, durch die ein Dienstleistungserbringer eine Dienstleistung erbringen darf, und

f)

Beschränkungen der Beteiligung ausländischen Kapitals durch Festsetzung einer prozentualen Höchstgrenze für die ausländische Beteiligung oder für den Gesamtwert einzelner oder zusammengefasster ausländischer Investitionen.“

11.

Art. XVII GATS mit dem Titel „Inländerbehandlung“ sieht vor:

„(1)   In den in seiner Liste aufgeführten Sektoren gewährt jedes Mitglied unter den darin festgelegten Bedingungen und Vorbehalten den Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds hinsichtlich aller Maßnahmen, welche die Erbringung von Dienstleistungen beeinträchtigen, eine Behandlung, die nicht weniger günstig ist als die, die es seinen eigenen gleichen Dienstleistungen und Dienstleistungserbringern gewährt.

(3)   Eine formal identische oder formal unterschiedliche Behandlung gilt dann als weniger günstig, wenn sie die Wettbewerbsbedingungen zugunsten von Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringern des Mitglieds gegenüber gleichen Dienstleistungen oder Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds verändert.“

12.

Art. XX des GATS bestimmt:

„(1)   Jedes Mitglied legt in einer Liste die spezifischen Verpflichtungen fest, die es nach Teil III übernimmt. Jede Liste enthält für die Sektoren, für die derartige Verpflichtungen übernommen werden, folgende Angaben:

a)

Bestimmungen, Beschränkungen und Bedingungen für den Marktzugang;

b)

Bedingungen und Qualifikationen für die Inländerbehandlung; …

(2)   Maßnahmen, die sowohl mit Artikel XVI als auch mit Artikel XVII nicht vereinbar sind, werden in die für Artikel XVI vorgesehene Spalte eingetragen. In diesem Fall gilt der Eintrag als Bedingung oder Qualifikation auch zu Artikel XVII.

(3)   Die Listen spezifischer Verpflichtungen werden diesem Übereinkommen als Anlagen beigefügt und bilden einen wesentlichen Bestandteil des Übereinkommens.“

2.   Beschluss 2019/485 des Rates über den Abschluss von Abkommen nach Artikel XXI des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen

13.

Mit Beschluss (EU) 2019/485 des Rates vom 5. März 2019 über den Abschluss von Abkommen nach Artikel XXI des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen mit Argentinien, Australien, Brasilien, China, dem gesonderten Zollgebiet Taiwan, Penghu, Kinmen und Matsu (Chinesisch-Taipeh), Ecuador, Hongkong (China), Indien, Japan, Kanada, Kolumbien, Korea, Kuba, Neuseeland, den Philippinen, der Schweiz und den Vereinigten Staaten über die notwendigen Ausgleichsregelungen aufgrund des Beitritts Tschechiens, Estlands, Zyperns, Lettlands, Litauens, Ungarns, Maltas, Österreichs, Polens, Sloweniens, der Slowakei, Finnlands und Schwedens zur Europäischen Union ( 5 ) hat der Rat die im Titel bezeichneten Abkommen genehmigt, welche Voraussetzung für das Inkrafttreten der sogenannten konsolidierten Liste der EU-25-GATS-Verpflichtungen waren. Die konsolidierte Liste trat am 15. März 2019 in Kraft. Sie übernimmt die Verpflichtungen Ungarns aus dessen Liste der spezifischen Zugeständnisse ( 6 ) unverändert. ( 7 )

14.

Die Liste der spezifischen Zugeständnisse Ungarns besteht aus zwei Teilen, wobei Teil I Vorbehalte betreffend horizontaler Verpflichtungen enthält, während Teil II Vorbehalte zu einzelnen vertikalen (sektorspezifischen) Verpflichtungen betrifft.

15.

In Teil II der Liste werden die Sektoren aufgeführt, in welchen spezifische Verpflichtungen nach Art. XVI (Marktzugang) oder Art. XVII GATS (Inländerbehandlung) eingegangen werden. Für Hochschulbildungsdienstleistungen (Higher Education Services) ( 8 ) gilt hinsichtlich des Marktzugangs für die hier relevante dritte Erbringungsart („geschäftliche Anwesenheit“): „Establishment of schools is subject to licences from the central authorities“. In der Spalte betreffend die Inländerbehandlung wurden keine Vorbehalte eingetragen („None“).

3.   Charta der Grundrechte der Europäischen Union

16.

Art. 13 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (im Folgenden: Charta) ( 9 ) bestimmt unter dem Titel „Freiheit der Kunst und der Wissenschaft“:

„Kunst und Forschung sind frei. Die akademische Freiheit wird geachtet.“

17.

Art. 14 Abs. 3 der Charta hat folgenden Wortlaut:

„Die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten unter Achtung der demokratischen Grundsätze sowie das Recht der Eltern, die Erziehung und den Unterricht ihrer Kinder entsprechend ihren eigenen religiösen, weltanschaulichen und erzieherischen Überzeugungen sicherzustellen, werden nach den einzelstaatlichen Gesetzen geachtet, welche ihre Ausübung regeln.“

18.

Art. 16 der Charta lautet:

„Die unternehmerische Freiheit wird nach dem Unionsrecht und den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und Gepflogenheiten anerkannt.“

4.   Richtlinie 2006/123

19.

Gemäß ihrem Art. 2 Abs. 1 gilt die Richtlinie 2006/123/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden: Dienstleistungsrichtlinie) ( 10 )„für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden“.

20.

Art. 4 Nr. 1 dieser Richtlinie definiert den Begriff der Dienstleistung als „jede von Artikel [57 AEUV] erfasste selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“.

21.

Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie bestimmt:

„(1)   Die Mitgliedstaaten achten das Recht der Dienstleistungserbringer, Dienstleistungen in einem anderen Mitgliedstaat als demjenigen ihrer Niederlassung zu erbringen.

Der Mitgliedstaat, in dem die Dienstleistung erbracht wird, gewährleistet die freie Aufnahme und freie Ausübung von Dienstleistungstätigkeiten innerhalb seines Hoheitsgebiets.

Die Mitgliedstaaten dürfen die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nicht von Anforderungen abhängig machen, die gegen folgende Grundsätze verstoßen:

a)

Nicht-Diskriminierung: [D]ie Anforderung darf weder eine direkte noch eine indirekte Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit oder – bei juristischen Personen – aufgrund des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, darstellen;

b)

Erforderlichkeit: [D]ie Anforderung muss aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sein;

c)

Verhältnismäßigkeit: [D]ie Anforderung muss zur Verwirklichung des mit ihr verfolgten Ziels geeignet sein und darf nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist.

(3)   Der Mitgliedstaat, in den sich der Dienstleistungserbringer begibt, ist nicht daran gehindert, unter Beachtung des Absatzes 1 Anforderungen in Bezug auf die Erbringung von Dienstleistungen zu stellen, die aus Gründen der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit, der öffentlichen Gesundheit oder des Schutzes der Umwelt gerechtfertigt sind. …“

B. Nationales Recht

22.

Das ungarische Hochschulrecht ist im Nemzeti felsőoktatásról szóló 2011. évi CCIV. törvény (Gesetz Nr. CCIV von 2011 über das nationale Hochschulwesen) geregelt. Dieses Gesetz wurde 2017 durch das Nemzeti felsőoktatásról szóló 2011. évi CCIV. törvény módosításáról szóló 2017. évi XXV. törvény (Gesetz Nr. XXV von 2017 zur Abänderung des Gesetzes Nr. CCIV von 2011 über das nationale Hochschulwesen, im Folgenden: Hochschulgesetz) novelliert.

23.

Nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes darf eine ausländische Hochschule eine zu einem Abschluss führende Lehrtätigkeit nur dann auf dem Gebiet Ungarns ausüben, wenn „die zwingende Geltung eines zwischen der Regierung Ungarns und dem aufgrund des Sitzes der ausländischen Hochschule zuständigen Staat – im Falle eines föderalen Staates, in dem nicht die zentrale Regierung für die Anerkennung der Bindungswirkung eines völkerrechtlichen Vertrags zuständig ist, aufgrund einer vorherigen Vereinbarung mit der zentralen Regierung – geschlossenen völkerrechtlichen Vertrages über die grundsätzliche Unterstützung der Tätigkeit in Ungarn von den Parteien anerkannt wurde“.

24.

Nach Art. 77 Abs. 2 des Hochschulgesetzes gilt dieses Erfordernis für ausländische Hochschulen, deren Sitz sich in einem Staat außerhalb des EWR befindet.

25.

Nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes darf eine ausländische Hochschule eine zu einem Abschluss führende Lehrtätigkeit nur dann auf dem Gebiet Ungarns ausüben, wenn „sie in dem aufgrund ihres Sitzes zuständigen Staat als staatlich anerkannte und dort eine tatsächliche Hochschullehrtätigkeit ausübende Hochschule gilt“.

26.

Nach Art. 77 Abs. 3 findet dieses Erfordernis auch auf ausländische Hochschulen Anwendung, deren Sitz sich in einem Staat des EWR befindet.

27.

Art. 115 Abs. 7 des Hochschulgesetzes sah in der zum Zeitpunkt der begründeten Stellungnahme der Kommission geltenden Fassung vor, dass das Erfordernis aus Art. 76 Abs. 1 Buchst. a dieses Gesetzes bis zum 1. Januar 2018 zu erfüllen war. Im Fall von föderalen Staaten sollte die Vereinbarung mit der zentralen Regierung innerhalb von sechs Monaten ab der Bekanntmachung des Gesetzes Nr. XXV aus 2017 abgeschlossen sein. Ferner stellt Art. 115 Abs. 7 klar, dass ausländische Hochschulen, die den gesetzlichen Anforderungen zum Zeitpunkt des Fristablaufs nicht genügen, ihre Genehmigung verlieren. In diesem Fall dürfen sie ab dem 1. Januar 2018 keine Studienanfänger mehr zu einem Studiengang in Ungarn zulassen, wobei zu diesem Zeitpunkt bereits laufende Studiengänge spätestens im akademischen Jahr 2020/2021 unter unveränderten Bedingungen abzuschließen sind.

28.

Am 18. Oktober 2017 informierte Ungarn die Kommission, dass das Hochschulgesetz durch das Gesetz Nr. CXXVII von 2017 abermals abgeändert wurde. Dadurch wurde die Frist zur Erfüllung der Erfordernisse aus Art. 76 Abs. 1 des Hochschulgesetzes bis zum 1. Januar 2019 und die weiteren Fristen aus Art. 115 Abs. 7 und 8 ebenfalls um ein Jahr verlängert.

III. Hintergrund des Rechtsstreits und Vorverfahren

29.

Am 28. März 2017 brachte die ungarische Regierung einen Gesetzesentwurf zur Novellierung des Gesetzes Nr. CCIV von 2011 in die Nationalversammlung Ungarns ein. Der Entwurf wurde als Gesetz Nr. XXV von 2017 im Rahmen eines Eilgesetzgebungsverfahrens wenige Tage später, nämlich am 4. April 2017, verabschiedet.

30.

Mit Schreiben vom 27. April 2017 teilte die Kommission Ungarn mit, dass sie der Auffassung sei, Ungarn habe durch den Erlass des Gesetzes Nr. XXV aus 2017 gegen die Art. 9, 10, 13, 14 Abs. 3 und 16 der Richtlinie 2006/123, hilfsweise gegen die Art. 49 und 56 AEUV, gegen Art. XVII des GATS sowie gegen Art. 13, Art. 14 Abs. 3 und Art. 16 der Charta verstoßen, und forderte Ungarn zur Stellungnahme auf. Ungarn antwortete mit Schreiben vom 25. Mai 2017, in dem es die genannten Verstöße bestritt.

31.

Am 14. Juli 2017 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie an ihrer Auffassung festhielt. Nachdem die Kommission einen Antrag Ungarns auf Verlängerung der Beantwortungsfrist abgelehnt hatte, antwortete Ungarn mit Schreiben vom 14. August 2017 und 11. September 2017, in denen es erklärte, dass die angeblichen Vertragsverletzungen nicht vorlägen.

32.

Am 5. Oktober 2017 gab die Kommission eine ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Am 6. Oktober 2017 reichte Ungarn ergänzende Informationen zu den Schreiben vom 14. August 2017 und vom 11. September 2017 ein.

33.

Ungarn antwortete am 18. Oktober 2017 auf die ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme und reichte mit Schreiben vom 13. November 2017 weitere ergänzende Informationen nach.

IV. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

34.

Mit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage, die am 1. Februar 2018 beim Gerichtshof eingegangen ist, beantragt die Kommission,

festzustellen, dass Ungarn

gegen seine Verpflichtungen aus Art. XVII GATS verstoßen hat, weil es in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des geänderten Gesetzes Nr. CCIV von 2011 ausländischen Hochschuleinrichtungen außerhalb des EWR als Voraussetzung für die Erbringung von Bildungsdienstleistungen den Abschluss eines internationalen Abkommens zwischen Ungarn und dem Herkunftsstaat vorschreibt;

gegen seine Verpflichtungen aus Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG und jedenfalls aus den Art. 49 und 56 AEUV sowie aus Art. XVII GATS verstoßen hat, weil es in Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des geänderten Gesetzes Nr. CCIV von 2011 ausländische Hochschuleinrichtungen verpflichtet, in ihren Herkunftsländern Hochschulausbildung durchzuführen;

im Zusammenhang mit den vorstehend beschriebenen Beschränkungen gegen seine Verpflichtungen aus Art. 13, Art. 14 Abs. 3 und Art. 16 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen hat;

Ungarn die Kosten aufzuerlegen.

35.

Ungarn beantragt,

die Klage der Kommission als unzulässig zurückzuweisen;

hilfsweise,

die Klage der Kommission als unbegründet zurückzuweisen;

der Kommission die Kosten aufzuerlegen.

36.

In der mündlichen Verhandlung vom 24. Juni 2019 haben die Kommission und Ungarn mündlich Stellung genommen.

V. Rechtliche Würdigung

37.

Im Rahmen des vorliegenden Vertragsverletzungsverfahrens ist zu untersuchen, ob zwei Voraussetzungen mit dem Unionsrecht vereinbar sind, die das ungarische Hochschulgesetz in seiner geänderten Fassung an die Ausübung einer Lehrtätigkeit durch ausländische Hochschulen im Inland stellt. Dabei handelt es sich einerseits um das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen Ungarn und dem Herkunftsstaat der Hochschule. Andererseits muss eine ausländische Hochschule nun auch tatsächlich in ihrem Herkunftsstaat eine Lehrtätigkeit ausüben.

38.

Da die erste der genannten Regelungen nur auf Hochschulen mit Sitz in Drittstaaten außerhalb des EWR Anwendung findet, rügt die Kommission insoweit insbesondere einen Verstoß gegen den Grundsatz der Inländerbehandlung gemäß Art. XVII GATS. Bezüglich dieser Rüge ist zuerst die Zuständigkeit des Gerichtshofs gemäß Art. 258 AEUV zu untersuchen (unter A.). Sodann sind die Zulässigkeit (unter B.) und die Begründetheit (unter C.) der Vertragsverletzungsklage im Übrigen zu prüfen. Neben Verstößen gegen das GATS sieht die Kommission in den beschriebenen Voraussetzungen Verstöße gegen die Dienstleistungsrichtlinie bzw. die Grundfreiheiten sowie gegen die Charta.

A. Zuständigkeit des Gerichtshofs bezüglich der Rüge eines Verstoßes gegen das GATS

39.

Die Zuständigkeit des Gerichtshofs zur Entscheidung eines Rechtsstreits ist eine unverzichtbare Prozessvoraussetzung, die von Amts wegen zu prüfen ist. ( 11 )

1.   Das GATS als integrierender Bestandteil des Unionsrechts

40.

Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens können nach der Rechtsprechung zu Art. 258 Abs. 1 AEUV ausschließlich Verstöße gegen Verpflichtungen sein, die sich aus dem Unionsrecht ergeben. ( 12 ) Nach Ansicht Ungarns handelt es sich bei der etwaigen Verpflichtung aus Art. XVII GATS in Verbindung mit dem spezifischen Zugeständnis für den Bildungssektor jedoch um keine unionsrechtliche, sondern um eine eigene völkerrechtliche Verpflichtung dieses Mitgliedstaats.

41.

Verstöße der Mitgliedstaaten gegen bestimmte völkerrechtliche Verpflichtungen waren durchaus bereits Gegenstand von Vertragsverletzungsverfahren. ( 13 ) Denn nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs sind die von der Union geschlossenen internationalen Übereinkünfte ab ihrem Inkrafttreten integrierender Bestandteil der Unionsrechtsordnung. ( 14 ) Sie binden daher gemäß Art. 216 Abs. 2 AEUV die Unionsorgane und die Mitgliedstaaten.

42.

Diese Bindung gilt nach der Rechtsprechung für gemischte Abkommen jedenfalls insoweit, als es um Bestimmungen dieser Abkommen geht, die in die externe Zuständigkeit der Union fallen. ( 15 )

43.

Der Gerichtshof hat bereits zu Art. 133 EG entschieden, dass der Handel mit Dienstleistungen, und zwar auch mit solchen, die besonders sensible Bereiche wie den Gesundheits- und den Bildungssektor betreffen, in die externe Zuständigkeit der Union fällt. ( 16 ) Durch Art. 207 AEUV, der mit dem Vertrag von Lissabon Art. 133 EG ersetzt hat, wurde die Außenkompetenz der Union für den Handel mit Dienstleistungen sogar noch erweitert und ist nun Teil ihrer ausschließlichen Kompetenz im Rahmen der Gemeinsamen Handelspolitik (im Folgenden: GHP).

44.

Dies gilt unbeschadet der Existenz einer nach wie vor weitreichenden Innenkompetenz der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich, auf die Ungarn verweist. Diesem Umstand wird durch Art. 207 Abs. 4 Unterabs. 3 Buchst. b AEUV Rechnung getragen. ( 17 ) Nach dieser Vorschrift kann der Rat internationale Abkommen über den Handel mit Bildungsdienstleistungen nur einstimmig abschließen, wenn diese Abkommen die einzelstaatliche Organisation dieser Dienstleistungen ernsthaft stören und die Verantwortlichkeit der Mitgliedstaaten für ihre Erbringung beinträchtigen könnten. Diese Einstimmigkeit ist notwendig, da die Umsetzung der eingegangenen Verpflichtungen intern zwangsläufig den Mitgliedstaaten obliegt. Der Union kommt nämlich im Bildungsbereich gemäß Art. 6 Buchst. e AEUV nur eine Koordinierungskompetenz zu.

45.

Außerdem sieht Art. 207 Abs. 6 AEUV vor, dass die Ausübung der durch Art. 207 Abs. 1 AEUV übertragenen Zuständigkeiten nicht zu einer Harmonisierung der mitgliedstaatlichen Rechtsvorschriften führt, soweit eine solche Harmonisierung in den Verträgen ausgeschlossen wird. Was den Bildungssektor angeht, enthält Art. 166 Abs. 4 AEUV ein entsprechendes Harmonisierungsverbot. Dadurch wird jedoch in keiner Weise das Bestehen einer Außenkompetenz der Union als solcher in Frage gestellt.

46.

Dementsprechend wurden die für das Inkrafttreten der konsolidierten Liste der sogenannten EU-25-GATS-Verpflichtungen erforderlichen Abkommen mit Drittstaaten von der Union ohne Beteiligung der Mitgliedstaaten genehmigt. ( 18 ) Die Liste übernimmt dabei die Verpflichtungen Ungarns im Hinblick auf die Hochschulbildung unverändert.

47.

Somit ist die ursprünglich von Ungarn eingegangene streitgegenständliche Verpflichtung aus dem GATS spätestens mit dem Vertrag von Lissabon auf die Union übergegangen und stellt daher eine unionsrechtliche Verpflichtung dar, deren Verletzung Gegenstand eines Vertragsverletzungsverfahrens sein kann. ( 19 )

2.   Völkerrechtliche Haftung der Union für Verstöße der Mitgliedstaaten gegen das GATS

48.

Weiterhin spricht für die Zuständigkeit des Gerichtshofs, im Rahmen eines Vertragsverletzungsverfahrens Verstöße der Mitgliedstaaten gegen das GATS festzustellen, dass die Union wegen eines solchen Verstoßes vor den Streitbeilegungsorganen der WTO ( 20 ) durch einen Drittstaat in Anspruch genommen werden kann.

49.

Dies folgt erstens aus der vollumfänglichen Bindung der Union an das GATS im Außenverhältnis. Zwar soll sich die Zustimmung der Union nach Art. 1 Abs. 1 des Ratsbeschlusses 94/800 lediglich auf den in ihre Zuständigkeit fallenden Teil des WTO-Übereinkommens und seiner Anhänge beziehen. Die Zuständigkeitsverteilung wurde jedoch – anders als bei anderen gemischten Abkommen ( 21 ) – nicht offengelegt und führt daher zu keiner Einschränkung der Bindungswirkung. Art. 46 Abs. 1 der WVK stellt in diesem Zusammenhang klar, dass sich „ein Staat … nicht darauf berufen kann, dass seine Zustimmung, durch einen Vertrag gebunden zu sein, unter Verletzung einer Bestimmung seines innerstaatlichen Rechts über die Zuständigkeit zum Abschluss von Verträgen ausgedrückt wurde und daher ungültig sei, sofern nicht die Verletzung offenkundig war und eine innerstaatliche Rechtsvorschrift von grundlegender Bedeutung betraf“ ( 22 ).

50.

Jedenfalls verfügt die Union nach dem Vertrag von Lissabon aber ohnehin über eine umfassende Zuständigkeit im Bereich der GHP.

51.

Zweitens können die Handlungen der Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des GATS der Union zugerechnet werden. Denn die Union kann das Handeln der Mitgliedstaaten zwar nicht in allen vom GATS erfassten Bereichen direkt beeinflussen, weil die Einhaltung der Verpflichtungen der Union aus dem WTO-Übereinkommen weitestgehend von der Art und Weise abhängt, wie die Mitgliedstaaten ihre eigenen Regelungskompetenzen ausüben. Trotzdem hat sich die Union nach außen hin uneingeschränkt an dieses Übereinkommen gebunden. Folglich muss sie sich das Verhalten ihrer Mitglieder zurechnen lassen.

52.

Dementsprechend übernimmt die Union in der Praxis auch bei mitgliedstaatlichen Maßnahmen die Verhandlungen mit den anderen WTO-Mitgliedern und die Verteidigung der Maßnahme im Streitbeilegungsverfahren. ( 23 )

53.

Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich insoweit, dass die Mitgliedstaaten bei der internen Durchführung eines internationalen Abkommens eine Verpflichtung gegenüber der Union erfüllen, die im Außenverhältnis die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Abkommens übernommen hat. ( 24 )

54.

Diese Verpflichtung ist Ausdruck der Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit aus Art. 4 Abs. 3 EUV, der dabei als Kompetenzausübungsschranke wirkt. Somit bleibt es Ungarn also unbenommen, seine interne Kompetenz zur Regelung des Hochschulwesens auszuüben, allerdings nur soweit die entsprechenden Regelungen keine Verpflichtungen aus den WTO-Übereinkünften verletzen. Denn dies würde nicht nur die völkerrechtliche Haftung der Union nach sich ziehen, sondern auch die anderen Mitgliedstaaten der Gefahr von Gegenmaßnahmen aussetzen. Besonders anschaulich wird diese Gefahr anhand der jüngsten Entwicklungen im Streit um die von Frankreich, Spanien, Deutschland und Großbritannien an Airbus gewährten Subventionen: Die amerikanischen Strafzölle, die von der WTO als Gegenmaßnahme genehmigt wurden, betreffen u. a. Parmesan-Käse aus Italien.

55.

Auch die Einhaltung dieser Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit kann im Vertragsverletzungsverfahren erzwungen werden.

3.   Verhältnis von Vertragsverletzungsverfahren und Streitbeilegungsverfahren der WTO

56.

Diesem Ergebnis stehen auch die weiteren Einwände von Ungarn nicht entgegen.

57.

Ungarn hebt in diesem Zusammenhang vor allem den spezifischen Charakter des Streitbeilegungsverfahrens in der WTO und die besondere Rolle der WTO-Streitbeilegungsorgane hervor.

58.

Dem ist allerdings erstens entgegenzuhalten, dass ein Vertragsverletzungsurteil des Gerichtshofs in keiner Weise die ausschließliche Zuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane zur Feststellung von Verstößen gegen dieses Abkommen in einem Verfahren zwischen zwei Mitgliedern in Frage stellt. ( 25 ) Denn beim Vertragsverletzungsverfahren handelt es sich um ein rein internes Ordnungsinstrument. Das Urteil ist mithin lediglich im Verhältnis von Union zu Mitgliedstaat bindend und hindert die WTO-Organe nicht daran, auf Antrag eines Drittstaats einen Verstoß gegen das WTO-Übereinkommen festzustellen, und zwar auch dann, wenn der Gerichtshof zuvor einen solchen Verstoß abgelehnt hat.

59.

In der Praxis können widersprüchliche Entscheidungen dadurch vermieden werden, dass ein Vertragsverletzungsverfahren ausgesetzt und die Entscheidung der WTO-Organe abgewartet wird, soweit parallel ein Verfahren vor der WTO anhängig ist. Außerdem kann in Erwägung gezogen werden, die Prüfungsdichte des Gerichtshofs auf offensichtliche Verstöße zu beschränken, um der Letztzuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane bei besonders umstrittenen Fragen Rechnung zu tragen. ( 26 )

60.

Zweitens trifft es zwar zu, dass der Gerichtshof unter Berufung auf die besondere Bedeutung von Verhandlungen im Rahmen der WTO die unmittelbare Anwendbarkeit von WTO-Recht in ständiger Rechtsprechung ablehnt. ( 27 ) Dies bedeutet aber nur, dass sich die Mitgliedstaaten im Rahmen einer Nichtigkeitsklage oder die Parteien bei einer Gültigkeitsvorlage nicht auf die Unvereinbarkeit eines Unionsrechtsakts mit dem WTO-Übereinkommen berufen können. ( 28 )

61.

Ausgangspunkt der Überlegungen sind dabei die Besonderheiten des Streitbeilegungsmechanismus in der WTO. Im Rahmen eines solchen Verfahrens ist es denkbar, dass die Union sich in Verhandlungen mit Drittstaaten bereit erklärt, eine bestimmte Maßnahme oder einen Rechtsakt zurückzunehmen, wenn der Drittstaat ihr im Gegenzug andere Zusagen macht. Könnte nun eine parallel laufende Nichtigkeitsklage eines Mitgliedstaats oder eine Gültigkeitsvorlage unmittelbar auf eine Verletzung von WTO-Recht gestützt werden, würde die Verhandlungsposition der Union geschwächt. Denn am Ende eines solchen Verfahrens könnte die Nichtigerklärung des betreffenden Unionsrechtsakts stehen. ( 29 ) Dadurch würde das Handeln der Union einseitig durch einen Mitgliedstaat oder gar durch eine Partei im Vorabentscheidungsverfahren unterminiert.

62.

Daraus folgt aber nur, dass das WTO-Recht grundsätzlich nicht Prüfungsmaßstab für Unionsrechtsakte in Verfahren vor den Unionsgerichten sein kann. Davon zu unterscheiden ist die Frage, ob die Unionsgerichte nationale Maßnahmen am Maßstab des WTO-Rechts prüfen können.

63.

Dies hat der Gerichtshof bereits in der Rechtssache Kommission gegen Deutschland zu den Milchquoten bejaht und eine nationale Maßnahme am Maßstab einer im Rahmen des GATT abgeschlossenen Übereinkunft überprüft. ( 30 ) Dabei ist er dem Vorschlag des Generalanwalts Tesauro nicht gefolgt, der dafür plädiert hatte, bei der Frage des Prüfungsmaßstabs keinen Unterschied zwischen mitgliedstaatlichen und Unionsmaßnahmen zu machen. ( 31 )

64.

Aus meiner Sicht ist der Gerichtshof in dieser Entscheidung im Ergebnis zutreffend davon ausgegangen, dass die Erwägungen, nach denen eine Überprüfung von Unionsrechtsakten am Maßstab des WTO-Übereinkommens ausgeschlossen ist, nicht auf Verstöße der Mitgliedstaaten gegen WTO-Recht übertragbar sind. Die Möglichkeit der Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens gegen einen Mitgliedstaat läuft nämlich nicht den Zielen und dem besonderen Charakter der Streitbeilegung in der WTO zuwider.

65.

Zunächst kann die Möglichkeit, ein Vertragsverletzungsverfahren auf eine Verletzung von WTO-Recht zu stützen, die effektive Durchsetzung einer eventuellen Verurteilung durch die WTO-Streitbeilegungsorgane sicherstellen. Könnte die Union in solchen Fällen kein Vertragsverletzungsverfahren gegen Mitgliedstaaten führen, wäre die interne Durchsetzung des Welthandelsrechts sogar ernsthaft gefährdet. Diese ist vor dem Hintergrund drohender Sanktionen für unbeteiligte Mitgliedstaaten und die Union aber besonders wichtig.

66.

Sodann kann das Vertragsverletzungsverfahren im Rahmen der Verhandlungen mit Drittstaaten im Streitbeilegungsverfahren eigenständige Bedeutung erlangen. Die Union übernimmt nämlich aufgrund ihrer umfassenden Zuständigkeit im Bereich der GHP auch für mitgliedstaatliche Maßnahmen die Verhandlungen mit Drittstaaten. ( 32 ) Wenn sie aus rechtlichen, politischen oder anderen Erwägungen eine Maßnahme eines Mitgliedstaats verteidigt, wird sie zwar von sich aus kein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat anstreben. ( 33 ) Gegenüber Drittstaaten wird ihr mit dem Vertragsverletzungsverfahren aber gerade ein Instrument an die Hand gegeben, welches ihre Verhandlungsposition stärkt. Denn ihren Verhandlungspartnern beweist sie dadurch, dass sie intern gegebenenfalls effektiv für die Abstellung von Verstößen gegen das WTO-Übereinkommen sorgen kann. Folglich wird ihre Glaubhaftigkeit gestärkt und der Notwendigkeit eines geschlossenen und zügigen Handelns nach außen Rechnung getragen.

67.

Schließlich kann es Fälle wie den vorliegenden geben, in denen die Union selbst von der Rechtswidrigkeit einer mitgliedstaatlichen Maßnahme überzeugt ist. Indem sie in solchen Fällen ein Vertragsverletzungsverfahren gegen den betreffenden Mitgliedstaat einleitet, verleiht sie ihrer Entscheidung Ausdruck, für die Einhaltung des WTO-Übereinkommens einzustehen. Wenn aber die Union „eine bestimmte im Rahmen der WTO übernommene Verpflichtung erfüllen wollte oder wenn die [Unionshandlung] ausdrücklich auf spezielle Bestimmungen der WTO-Übereinkünfte verweist“, ist es nach ständiger Rechtsprechung Sache des Gerichtshofs, die Rechtmäßigkeit sogar von Unionsrechtsakten an den WTO-Regeln zu messen. ( 34 ) Dies muss erst recht für die Maßnahmen eines Mitgliedstaats gelten.

68.

Folglich stehen weder der spezifische Charakter des Streitbeilegungsverfahrens in der WTO noch die besondere Rolle der WTO-Streitbeilegungsorgane dem vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren entgegen.

4.   Ergebnis

69.

Im Ergebnis fällt der erste Klagegrund somit in die Zuständigkeit des Gerichtshofs.

B. Zulässigkeit der Vertragsverletzungsklage

70.

Sodann sind die Einwände Ungarns gegen die Zulässigkeit der Klage zu prüfen.

71.

Ungarn macht insoweit einerseits geltend, die Kommission habe im Vorverfahren zu kurze Fristen gewährt und dadurch seine Verteidigungsrechte beschnitten. Andererseits wirft Ungarn der Kommission vor, gegen ihre Pflicht zur Unabhängigkeit und Unparteilichkeit verstoßen und das Verfahren aus rein politischen Gründen sowie unter einseitiger Berücksichtigung von Partikularinteressen betrieben zu haben.

1.   Zur Fristsetzung im Vorverfahren

72.

Das vorprozessuale Verfahren soll dem Mitgliedstaat Gelegenheit geben, seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen nachzukommen und seine Verteidigungsmittel gegen die Rügen der Kommission in sachdienlicher Weise geltend zu machen. ( 35 ) Die Kommission muss daher den Mitgliedstaaten eine angemessene Frist einräumen, um auf das Mahnschreiben zu antworten und einer mit Gründen versehenen Stellungnahme nachzukommen oder um gegebenenfalls ihre Verteidigung vorzubereiten. War die Frist derart kurz, dass hierdurch das Recht des Mitgliedstaats auf eine effektive Verteidigung ohne hinreichende Rechtfertigung beeinträchtigt ist, so hat dies zur Folge, dass das vorprozessuale Verfahren nicht ordnungsgemäß durchgeführt wurde und die Klage der Kommission als unzulässig abzuweisen ist. ( 36 )

73.

Der Kommission kommt als Herrin des Verfahrens ein weiter Ermessensspielraum bei der Festsetzung der Fristen zu. ( 37 ) Ob die festgesetzte Frist angemessen ist, ist außerdem unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu beurteilen. Sehr kurze Fristen können nach der Rechtsprechung insbesondere dann gerechtfertigt sein, wenn einer Vertragsverletzung schnell begegnet werden muss oder wenn der betroffene Mitgliedstaat den Standpunkt der Kommission schon vor Einleitung des vorprozessualen Verfahrens vollständig kennt. ( 38 )

74.

Vorliegend hat die Kommission sowohl im Aufforderungsschreiben als auch in der mit Gründen versehenen Stellungnahme eine Frist von jeweils einem Monat gesetzt. Zwar setzt die Kommission im vorprozessualen Verfahren regelmäßig zweimonatige Fristen. Allerdings handelt es sich bei einer Monatsfrist noch nicht um eine „sehr kurze“ Frist im Sinne der in Nr. 73 zitierten Rechtsprechung. ( 39 ) Auch ist hervorzuheben, dass zwischen dem Mahnschreiben vom 27. April 2017 und dem Ablauf der zweiten Monatsfrist Mitte August desselben Jahres circa dreieinhalb Monate lagen, in denen der ungarischen Regierung der Standpunkt der Kommission bekannt war und sie entsprechend Zeit hatte, ihre Verteidigungsmöglichkeiten zu evaluieren und ihr Antwortschreiben vorzubereiten.

75.

Im vorliegenden Fall beruft sich die Kommission außerdem zu Recht auf die Dringlichkeit der Angelegenheit. Die Gründe für diese Annahme hat sie Ungarn gegenüber zwar nicht ausdrücklich dargelegt. Allerdings ergeben sich diese ohne Weiteres aus den Umständen, nämlich insbesondere aus der Tatsache, dass nach der ursprünglichen Fassung von Art. 115 Abs. 7 des Hochschulgesetzes bereits am 1. Januar 2018 denjenigen Hochschuleinrichtungen, welche die Voraussetzungen von Art. 76 Abs. 1 dieses Gesetzes nicht erfüllten, die Genehmigung entzogen und die Aufnahme neuer Studenten untersagt werden sollte.

76.

Ungarn teilte erst am 18. Oktober 2017 mit, dass diese Frist um ein Jahr verlängert wurde, also nach der Festsetzung der für das Vorverfahren relevanten Fristen. Somit kann auch die Tatsache, dass die Kommission die Vertragsverletzungsklage erst im Februar 2018 erhob, entgegen der Ansicht der ungarischen Regierung die Annahme der Dringlichkeit bei der Fristsetzung nicht widerlegen.

77.

Schließlich ist nach der Rechtsprechung zu berücksichtigen, ob im Ergebnis die Möglichkeit des Mitgliedstaats, sich gegen die Vorwürfe der Kommission zu verteidigen, eingeschränkt wurde. ( 40 ) Denn selbst eine „zu kurze“ Frist führt dann nicht zur Unzulässigkeit der Klage, wenn die Kommission auch ein verspätetes Verteidigungsvorbringen berücksichtigt und sich der Mitgliedstaat daher im Ergebnis ausreichend gegen die Vorwürfe der Kommission verteidigen konnte. ( 41 )

78.

Vorliegend hat die ungarische Regierung zusätzlich zu ihren Schreiben vom 14. August 2017 und vom 18. Oktober 2017 drei weitere Schreiben eingereicht, mit denen sie auf die ursprüngliche und die ergänzende mit Gründen versehene Stellungnahme antwortete. Alle diese Schreiben hat die Kommission eingehend geprüft und in ihre Entscheidung zur Klageerhebung einbezogen.

79.

Aus dem letztgenannten Grund ist es auch unerheblich, dass die Kommission auch in zwei anderen, parallel eingeleiteten Vertragsverletzungsverfahren gegen Ungarn jeweils einmonatige Fristen gesetzt hat. Zwar ist nicht auszuschließen, dass durch eine Kumulation mehrerer Verfahren mit kurzen Fristen ein Mitgliedstaat so belastet wird, dass er seine Verteidigungsrechte nicht mehr wirksam ausüben kann. Diese Möglichkeit hat die Kommission bei der Fristsetzung auch zu berücksichtigen. Solange jedoch die erforderlichen Gründe für die entsprechend kurzen Fristen vorliegen und die Verteidigungsrechte des Mitgliedstaats im Ergebnis nicht beschnitten werden – wofür Ungarn vorliegend keine Anhaltspunkte vorträgt –, kann dieser Umstand allein nicht zur Unzulässigkeit der einzelnen Fristsetzung führen.

2.   Zum Vorwurf der politischen Motivation

80.

Ungarn ist außerdem der Ansicht, die Kommission habe das Vertragsverletzungsverfahren aus rein politischen Gründen und unter Verstoß gegen ihre Pflicht zur Unparteilichkeit eingeleitet. Das Verfahren diene nämlich allein den Interessen der CEU in Budapest.

81.

Was diesen Vorwurf betrifft, ist es zunächst zweifelhaft, ob sich aus der einmaligen Nennung der CEU im Mahnschreiben der Schluss ziehen lässt, dass das Verfahren allein den Interessen dieser Universität dient. Denn es kann der Kommission zweifelsohne nicht verwehrt sein, einzelne betroffene Institutionen beispielhaft herauszugreifen und zu benennen.

82.

Jedenfalls können allein die Erwägungen, welche die Kommission zur Einleitung eines Vertragsverletzungsverfahrens bewegen, die ordnungsgemäße Durchführung des Vorverfahrens nicht in Frage stellen und daher auch keinen Einfluss auf die Zulässigkeit der Klage nach Art. 258 AEUV haben. ( 42 ) Zwar muss die Kommission begründen, warum sie von einer Verletzung des Unionsrechts ausgeht, doch darüber hinaus muss sie nicht die Gründe darlegen, die sie zur Erhebung einer Vertragsverletzungsklage veranlasst haben. ( 43 )

83.

Aus den genannten Gründen sind die Zulässigkeitsrügen der ungarischen Regierung insgesamt zurückzuweisen.

C. Begründetheit der Vertragsverletzungsklage

84.

Ich werde nun zuerst die Rügen der Kommission betreffend das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags zwischen Ungarn und dem Herkunftsstaat einer ausländischen Hochschule (unter 1.) und sodann diejenigen betreffend das Erfordernis einer tatsächlichen Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat prüfen (unter 2.).

1.   Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags, Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes

85.

Hinsichtlich der Voraussetzung eines internationalen Abkommens zwischen Ungarn und dem Herkunftsstaat einer ausländischen Hochschule für die Erbringung von Bildungsdienstleistungen durch Hochschulen mit Sitz außerhalb des EWR in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes rügt die Kommission einen Verstoß gegen Art. XVII GATS in Verbindung mit dem spezifischen Zugeständnis für den Hochschulbildungssektor und gegen Art. 13, Art. 14 Abs. 3 und Art. 16 der Charta.

a)   Verstoß gegen Art. XVII GATS in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV

86.

Eine Verletzung von Art. XVII:1 GATS in Verbindung mit dem spezifischen Zugeständnis Ungarns für den Hochschulbildungssektor würde zugleich einen Verstoß gegen die Verpflichtung dieses Mitgliedstaats aus Art. 216 Abs. 2 AEUV darstellen. ( 44 )

1) Prüfungsdichte

87.

Was die Prüfung von Verstößen gegen Völkergewohnheitsrecht angeht, hat der Gerichtshof in der Vergangenheit angenommen, dass seine Kontrolle auf die Feststellung offensichtlicher Verstöße beschränkt sei. ( 45 ) Zwar hat er dies für die Überprüfung internationaler Übereinkünfte der Union grundsätzlich abgelehnt. ( 46 )

88.

Im vorliegenden Fall könnte eine Beschränkung der Prüfungsdichte des Gerichtshofs auf offensichtliche Verstöße gegen das GATS allerdings in Anbetracht zweier Argumente, die Ungarn gegen die Zuständigkeit des Gerichtshofs vorgebracht hat, in Erwägung gezogen werden.

89.

Erstens erfolgt die konkrete Umsetzung der Verpflichtungen aus dem GATS vorliegend auf der Grundlage der eigenen Binnenkompetenz der Mitgliedstaaten im Bildungsbereich. In derart sensiblen Bereichen soll den Mitgliedstaaten eine gewisse Gestaltungsfreiheit verbleiben, der durch eine Rücknahme der Prüfungsdichte Rechnung getragen werden kann.

90.

Zweitens spricht der besondere Charakter des Streitbeilegungsverfahrens in der WTO und die Letztzuständigkeit der WTO-Streitbeilegungsorgane für die verbindliche Feststellung von Verstößen gegen das WTO-Übereinkommen dafür, die Klärung besonders umstrittener und schwieriger Fragen diesem spezialisierten Organ zu überlassen und die Prüfung des GATS für „interne Zwecke“ auf offensichtliche Verstöße zu beschränken. ( 47 )

91.

Was den vorliegenden Fall betrifft, bin ich allerdings der Ansicht, dass ein offensichtlicher Verstoß gegen das GATS vorliegt. Dies werde ich im Folgenden darlegen.

2) Hochschultätigkeit als Dienstleistung im Sinne des GATS

92.

Ungarn macht geltend, dass die CEU, in deren alleinigem Interesse das Vertragsverletzungsverfahren in Wirklichkeit betrieben würde, eine Einrichtung ohne Erwerbszweck sei und ihre Tätigkeit daher nicht unter das GATS fiele. Dem ist zuzugeben, dass das GATS in Art. I:3 Buchst. b solche Dienstleistungen von seinem Anwendungsbereich ausnimmt, die weder zu kommerziellen Zwecken noch im Wettbewerb mit anderen Dienstleistungen erbracht werden.

93.

Die Kommission wendet sich jedoch nicht gegen den konkreten Umgang mit der CEU, sondern gegen Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes. ( 48 )

94.

Insofern betont die ungarische Regierung vorliegend selbst, dass Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes auf sämtliche Hochschuleinrichtungen anwendbar ist, ohne dabei zu bestreiten, dass auch Einrichtungen in seinen Anwendungsbereich fallen, die Leistungen gegen Entgelt anbieten, also zweifelsohne eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben.

3) Inhalt der spezifischen Zugeständnisse Ungarns für den Bildungssektor

95.

Da die Voraussetzung in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes nur für ausländische Dienstleistungserbringer gilt, könnte sie gegen den Grundsatz der Inländerbehandlung verstoßen.

96.

Nach Art. XVII:1 GATS steht allerdings die Verpflichtung eines jeden WTO-Mitglieds, den Dienstleistungserbringern eines anderen Mitglieds eine Behandlung zu gewähren, die nicht weniger günstig ist als die, die es seinen eigenen vergleichbaren Dienstleistungserbringern gewährt, unter den Vorbehalten und Bedingungen, die für den jeweiligen Sektor in der Liste der Zugeständnisse (Schedule of Commitments) aufgeführt sind.

97.

Mit anderen Worten ist die Verpflichtung zur Inländerbehandlung nach dem GATS ein spezifisches Zugeständnis, das ein Mitglied konkret und in einem bestimmten Umfang übernommen haben muss – anders als etwa nach dem GATT, wo sie unmittelbar aus Art. III GATT folgt. Die Listen der Zugeständnisse eines jeden Mitglieds bilden gemäß Art. XX:3 GATS Annexe zu diesem und sind wesentlicher Bestandteil des Übereinkommens.

98.

Bei den spezifischen Zugeständnissen für Ungarn ( 49 ) ist für Hochschulbildungsdienstleistungen in der dritten Erbringungsart („kommerzielle Präsenz“) in der Spalte über den Marktzugang die Bedingung „Establishment of schools is subject to licence from the central authorities“ eingetragen, während betreffend die Inländerbehandlung keine Einschränkungen festgelegt wurden („None“).

99.

Zwischen den Parteien ist vorliegend streitig, ob und gegebenenfalls inwieweit die auf den ersten Blick uneingeschränkte Verpflichtung Ungarns zur Inländerbehandlung durch den beim Marktzugang niedergelegten Genehmigungsvorbehalt eingeschränkt wird.

100.

Aus Art. XX:2 GATS folgt insoweit, dass der Eintrag „None“ in der Spalte betreffend die Inländerbehandlung noch nicht zwangsläufig eine Verpflichtung zur umfassenden Inländerbehandlung begründet. Denn nach dieser Bestimmung werden „Maßnahmen, die sowohl mit Artikel XVI [über den Marktzugang] als auch mit Artikel XVII [über die Inländerbehandlung] nicht vereinbar sind …, in die für Artikel XVI vorgesehene Spalte eingetragen. In diesem Fall gilt der Eintrag als Bedingung oder Qualifikation auch zu Artikel XVII.“

101.

Aus der Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsorgane ergibt sich, dass Art. XX:2 GATS eine Vereinfachungsregelung ist. ( 50 ) So genügt es bei Maßnahmen, die sowohl mit der Verpflichtung zur Marktzugangsgewährung als auch mit der Verpflichtung zur Inländerbehandlung unvereinbar sind, den Vorbehalt lediglich für den Marktzugang einzutragen. Dieser deckt dann eine ebenfalls durch die Maßnahme bewirkte Ungleichbehandlung zwischen in- und ausländischen Dienstleistungserbringern mit ab. ( 51 )

102.

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass Art. XVI GATS nicht alle denkbaren Maßnahmen verbietet, die den Marktzugang berühren. Tatsächlich sind nur sechs präzise definierte Kategorien von Beschränkungen mit Art. XVI GATS unvereinbar. Sie werden in Art. XVI:2 GATS aufgezählt und sind hauptsächlich quantitativer Art. ( 52 ) Nur sofern eine dieser Kategorien betroffen ist, qualifiziert eine in der Spalte „Marktzugang“ eingetragene Bedingung auch die Verpflichtung zur Inländerbehandlung.

103.

Was dagegen Maßnahmen betrifft, die nicht mit Art. XVI:2 GATS unvereinbar sind, folgt im vorliegenden Fall aus der Eintragung „None“ in der Spalte zur Inländerbehandlung, dass das betreffende Mitglied insoweit vollumfänglich an die Inländerbehandlung gebunden ist. ( 53 )

104.

Es kann durchaus Genehmigungsvorbehalte geben, die quantitativer Art sind und mithin in eine der Kategorien von Art. XVI:2 GATS fallen. Beispielsweise kann die Erteilung der Genehmigung von einer Bedarfsprüfung abhängig gemacht werden. Aufgrund des eingetragenen Vorbehalts beim Marktzugang darf Ungarn solche Maßnahmen beibehalten und einführen. Wegen Art. XX:2 GATS dürfen solche Maßnahmen überdies auch diskriminierend sein. Denn der beim Marktzugang eingetragene Vorbehalt gilt nach dieser Vorschrift auch für die Verpflichtung zur Inländerbehandlung.

105.

Ein Genehmigungsvorbehalt kann aber auch qualitativer Art sein, etwa wenn die Erteilung der Genehmigung an die Erfüllung bestimmter inhaltlicher Kriterien geknüpft ist. Eine solche Maßnahme wird von vorneherein nicht von Art. XVI GATS verboten. Daher findet aber auch Art. XX:2 GATS auf sie keine Anwendung. Qualitative Genehmigungsvorbehalte müssten also (auch) in der Spalte über die Bedingungen der Inländerbehandlung eingetragen werden. Andernfalls bleibt es für solche Maßnahmen bei der vollumfänglichen Verpflichtung zur Inländerbehandlung, die aus dem Eintrag „None“ folgt. ( 54 )

106.

Was die hier streitgegenständliche Maßnahme betrifft, ist festzustellen, dass das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags, wie im Übrigen auch das Erfordernis des Bestehens einer Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat, nicht auf eine mengenmäßige Beschränkung abzielt. Es stellt ebenso wenig ein Rechtsformerfordernis dar (vgl. Art. XVI:2 Buchst. e GATS). Folglich handelt es sich bei den Maßnahmen nicht um solche, die unter Art. XVI:2 GATS fallen. Dementsprechend ist auch Art. XX:2 GATS nicht auf sie anwendbar.

107.

Daraus folgt, dass es Ungarn unter dem Gesichtspunkt des Marktzugangs zwar freisteht, solche Anforderungen einzuführen. Dies gilt aber nur, soweit diese unterschiedslos anwendbar sind. Denn Ungarn hat sich mit dem Eintrag „None“ insoweit vollumfänglich zur Inländerbehandlung verpflichtet.

108.

Es wäre Ungarn nach dem Opt-in-System des GATS durchaus erlaubt gewesen, einen entsprechenden Vorbehalt bei der Inländerbehandlung einzutragen. Diese Möglichkeit wurde aber nicht wahrgenommen.

109.

Mithin ist festzuhalten, dass Ungarn im Hinblick auf die streitgegenständlichen Maßnahmen vollumfänglich zur Inländerbehandlung verpflichtet ist.

110.

Dieses Ergebnis ist in Anbetracht der existierenden Spruchpraxis der WTO-Streitbeilegungsorgane auch als offensichtlich im Sinne des oben dargelegten Prüfungsmaßstabs anzusehen. ( 55 )

4) Vorliegen einer Ungleichbehandlung

111.

Das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags für drittstaatsansässige Hochschulen führt zu einer Ungleichbehandlung zwischen in Ungarn ansässigen Hochschulen einerseits und drittstaatsansässigen Hochschulen andererseits. Das Gleiche gilt im Übrigen hinsichtlich des Erfordernisses, im Herkunftsstaat Unterricht anzubieten.

112.

Dieses Ergebnis wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass inländische Dienstleistungserbringer das betreffende Erfordernis von Natur aus gar nicht erfüllen könnten. Nach Art. XVII:3 GATS setzt eine ungünstigere Behandlung lediglich die Veränderung der Wettbewerbsbedingungen auf dem inländischen Markt zugunsten der inländischen Dienste und Dienstleistungen voraus. Durch das Aufstellen zusätzlicher Anforderungen wird aber der Wettbewerb zulasten der betroffenen drittstaatsansässigen Hochschulen verändert.

5) Ausnahme nach Art. XIV GATS?

113.

Zuletzt ist zu prüfen, ob für das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags eine Ausnahme nach Art. XIV GATS greift.

114.

Die ungarische Regierung macht insoweit geltend, dass es sich um eine Maßnahme handele, die erforderlich sei, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten sowie um irreführende und betrügerische Geschäftspraktiken zu verhindern. Diese Ziele sind in Art. XIV Buchst. a und c Ziff. i GATS ausdrücklich genannt.

115.

Nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes muss der Vertrag mit dem zuständigen Staat geschlossen werden, wobei im Fall eines föderalen Staates, in dem nicht die zentrale Regierung für die Anerkennung von Hochschulen zuständig ist, zuvor eine Vereinbarung mit der zentralen Regierung geschlossen werden muss. Inhaltlich muss sich der Vertrag auf die grundsätzliche Unterstützung der Tätigkeit der betreffenden Einrichtung in Ungarn durch die Regierung des Herkunftsstaats beziehen.

116.

Der Abschluss von völkerrechtlichen Verträgen, insbesondere zur Anerkennung von Abschlüssen, stellt ein übliches Instrument der zwischenstaatlichen Kooperation im Bereich der Hochschulbildung dar. Im Hinblick auf die Vermeidung betrügerischer Geschäftspraktiken kann einem Vertrag, der sich auf die Billigung der Tätigkeit einer bestimmten Bildungseinrichtung im Gaststaat durch die Regierung des Herkunftsstaats bezieht, grundsätzlich eine Art Garantiefunktion zukommen. Für den Gaststaat wird so ersichtlich, dass der Herkunftsstaat die Einrichtung als vertrauenswürdig einschätzt und ihre Tätigkeit unterstützt.

117.

Allerdings sieht Art. XIV GATS vor, dass Ausnahmen „nicht in einer Weise angewendet werden, die ein Mittel zu willkürlicher oder unberechtigter Diskriminierung unter Ländern, in denen gleiche Bedingungen herrschen, oder eine verdeckte Beschränkung für den Handel mit Dienstleistungen darstellen würde“.

118.

Vor diesem Hintergrund kann das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags bei näherer Betrachtung nicht als zulässige Ausnahme angesehen werden. Denn es erscheint in seiner konkreten Ausgestaltung als Mittel zu einer willkürlichen Diskriminierung im Sinne von Art. XVI GATS.

119.

Zunächst hebt die Kommission zu Recht hervor, dass der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags notwendigerweise mit der Ausübung eines politischen Ermessens einhergeht, welches gerichtlich nicht vollständig überprüfbar ist. Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes macht somit die Erteilung einer Betriebsgenehmigung für drittstaatsansässige Hochschulen von einer Bedingung abhängig, deren Erfüllung letztlich alleine in der Hand Ungarns liegt. Dies liefe im Ergebnis letztlich auf eine „Subject to licence“-Bedingung hinaus. Ungarn hat seine eingegangene Verpflichtung zur Inländergleichbehandlung aber gerade nicht unter eine derartige Bedingung gestellt. ( 56 ) Jedenfalls kann die ungarische Regierung den Vertragsabschluss beliebig verzögern, was angesichts der kurzen Frist nach Art. 115 Abs. 7 des Hochschulgesetzes allein schon zur Versagung der Betriebsgenehmigung einer Hochschule führen kann.

120.

Da der erforderliche Vertrag sich nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes nur auf die grundsätzliche Unterstützung der Tätigkeit der betreffenden Hochschule in Ungarn bezieht, ist überdies nicht ersichtlich, warum dieses Erfordernis nicht auch durch eine einseitige Erklärung der Regierung des Herkunftsstaats erfüllt werden könnte.

121.

Sodann präzisiert Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes die Anforderungen an völkerrechtliche Verträge mit föderalen Staaten dahin, dass eine vorherige Vereinbarung mit der zentralen Regierung notwendig ist, wenn diese nicht für die Anerkennung der Bindungswirkung eines völkerrechtlichen Vertragszuständig ist.57 Dieses besondere Erfordernis stellt eine möglicherweise nicht zu erfüllende – und damit letztlich willkürliche – Bedingung dar. Denn ob die Verfassungsordnung des betreffenden föderalen Staates die geforderte Vereinbarung mit der zentralen Regierung überhaupt zulässt, wenn die Hochschulbildung in die Zuständigkeit der Gliedstaaten fällt, ist zumindest unsicher. ( 57 )

122.

Dass es sich bei der streitgegenständlichen Voraussetzung um kein sachliches Erfordernis der Betrugsbekämpfung handelt, wird schließlich durch den Umstand verdeutlicht, dass es auch an bereits in Ungarn tätige Hochschulen gestellt wird. Es ist nicht ersichtlich, wie einer betrügerischen Tätigkeit einer solchen Hochschule durch eine Vereinbarung mit der Zentralregierung ihres Herkunftsstaats entgegengewirkt werden könnte.

123.

Folglich kann Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes nicht als Ausnahme nach Art. XIV GATS gerechtfertigt werden.

124.

Dieses Ergebnis ist angesichts des willkürlichen Charakters der Maßnahme auch als offensichtlich im Sinne des oben dargelegten Prüfungsmaßstabs anzusehen.

125.

Aus alledem folgt, dass das Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags nicht mit den Verpflichtungen vereinbar ist, die Ungarn im Licht von Art. XVII:2 GATS und dem spezifischen Zugeständnis für den Bildungssektor übernommen hat. Durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes hat Ungarn somit gegen Art. XVII GATS in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV verstoßen.

b)   Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 der Charta

126.

Die Kommission macht außerdem geltend, dass die Voraussetzung des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags mit dem Herkunftsstaat für die Aufnahme und Fortführung der Tätigkeit drittstaatsansässiger Hochschulen im Inland einen Verstoß gegen die in Art. 14 Abs. 3 der Charta verankerte Freiheit zur Gründung von Lehranstalten darstelle. Sie verstoße außerdem gegen die in Art. 16 der Charta verbürgte unternehmerische Freiheit.

1) Anwendbarkeit der Charta

127.

Wie bereits gezeigt wurde, stellen die einzelnen Zugeständnisse aus dem GATS völkerrechtliche Verpflichtungen der Union dar. Die Unionsorgane sind gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta bei der Erfüllung all ihrer Verpflichtungen an die Charta gebunden.

128.

Die Mitgliedstaaten sind gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta hingegen lediglich „bei der Durchführung des Rechts der Union“ an die Charta gebunden. Eine solche Durchführung von Unionsrecht liegt aber gerade vor, wenn die Mitgliedstaaten die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Union intern auf Grundlage einer eigenen Regelungszuständigkeit umsetzen. Denn dabei erfüllen sie eine Verpflichtung gegenüber der Union, welche im Außenverhältnis die Verantwortung für die ordnungsgemäße Durchführung des Übereinkommens übernommen hat. ( 58 ) Die Anwendbarkeit der Charta stellt dabei sicher, dass die Mitgliedstaaten nicht „als Vertreter“ der Union gegen Grundrechte verstoßen. ( 59 )

129.

Dies bedeutet natürlich nicht, dass Maßnahmen des Bildungssektors der Mitgliedstaaten nun generell am Maßstab der Unionsgrundrechte zu messen sind. Lediglich Maßnahmen, die vom Unionsrecht geregelt werden, unterliegen diesen Grundrechten. ( 60 ) Dies sind insbesondere Maßnahmen, bezüglich derer das Unionsrecht den Mitgliedstaaten bestimmte Verpflichtungen auferlegt. Im vorliegenden Fall verpflichtet Art. XVII GATS Ungarn umfassend zur Inländerbehandlung. Somit folgt die Anwendung der Charta daraus, dass die ungarischen Regelungen von der Verpflichtung zur Inländerbehandlung nach Art. XVII GATS abweichen.

2) Eingriff in Art. 14 Abs. 3 der Charta

130.

Art. 14 Abs. 3 der Charta verbürgt die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten. Diese muss notwendigerweise auch den anschließenden Betrieb der Lehranstalt mitumfassen, da deren Gründung andernfalls sinnlos ist. Aus den Erläuterungen zur Charta geht hervor, dass Art. 14 Abs. 3 der Charta im Bereich der privatfinanzierten Bildung eine besondere Ausprägung der unternehmerischen Freiheit aus Art. 16 der Charta darstellt. ( 61 )

131.

Daraus folgt erstens, dass der ebenfalls von der Kommission gerügte Art. 16 der Charta im vorliegenden Fall nicht gesondert zu prüfen ist, da Art. 14 Abs. 3 der Charta insoweit spezieller ist.

132.

Zweitens ergibt sich daraus, dass Art. 14 Abs. 3 der Charta jedenfalls die unternehmerische Seite der Tätigkeit einer privaten Hochschuleinrichtung schützt, also die kommerziellen Aspekte der Errichtung und des Betriebs einer Hochschule.

133.

Eine Voraussetzung wie die in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a, bei deren Nichterfüllung die Gründung sowie der Betrieb einer solchen privaten Einrichtung untersagt werden, berührt folglich den Schutzbereich von Art. 14 Abs. 3 der Charta. Dies ist umso mehr der Fall, als die Schaffung eines eigenständigen Grundrechts zur Gründung privater Lehranstalten es nahelegt, dass über den wirtschaftlichen Aspekt hinausgehend die Existenz privater Lehranstalten als solche besonders geschützt werden soll. Dies spricht aus meiner Sicht dafür, dass Art. 14 Abs. 3 der Charta den Bestand privater Bildungseinrichtungen neben den staatlichen Schulen und Universitäten und damit letztlich die Vielfalt des Bildungsangebots garantieren soll.

3) Einschränkbarkeit im vorliegenden Fall

134.

Was die Einschränkbarkeit von Art. 14 Abs. 3 der Charta angeht, ergibt sich aus dessen Wortlaut, dass die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten „nach den einzelstaatlichen Gesetzen [geachtet wird], welche ihre Ausübung regeln.“ Dies bedeutet, dass die Freiheit zur Gründung von Lehranstalten grundsätzlich nur im Rahmen der jeweils geltenden gesetzlichen Anforderungen an ihre Gründung garantiert ist. Mit anderen Worten kann der Gesetzgeber die Voraussetzungen für die Gründung und den Betrieb von Lehranstalten prinzipiell einfachgesetzlich ausgestalten, ohne gegen Art. 14 Abs. 3 der Charta zu verstoßen. Allerdings muss er dabei, wie sich bereits aus Art. 52 Abs. 1 der Charta ergibt, jedenfalls den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit achten. ( 62 )

135.

Die von Ungarn zur Rechtfertigung vorgebrachten Ziele sind zum einen der Schutz der öffentlichen Ordnung, insbesondere vor irreführenden und betrügerischen Geschäftspraktiken, und zum anderen die Sicherung der Qualität der Lehrangebote.

136.

Was das erste dieser Ziele betrifft, so wurde bereits dargelegt, dass die nach Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes erforderliche „grundsätzliche Unterstützung der Tätigkeit“ der betreffenden Hochschule ebenfalls durch eine einseitige Erklärung dieses Staates ausgedrückt werden kann ( 63 ) und der Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrages mithin nicht erforderlich ist.

137.

Zudem birgt die Regelung, wie ebenfalls bereits erörtert wurde, in ihrer konkreten Ausgestaltung das Risiko einer willkürlichen Handhabung. ( 64 ) Denn die besondere Anforderung hinsichtlich des Vertragsschlusses durch die Zentralregierung stellt einerseits nicht sicher, dass sie wirklich erfüllt werden kann. Andererseits liegt der Vertragsschluss und insbesondere dessen Zeitpunkt im Ergebnis gänzlich im Ermessen der ungarischen Regierung. Dieser Umstand wirkt umso schwerer, als auch der Betrieb vormals zulässiger Lehranstalten nachträglichen Voraussetzungen unterworfen wird, deren Erfüllung nicht in der Hand der betroffenen Einrichtungen liegt und mit denen sie nicht rechnen konnten. ( 65 )

138.

Was zweitens das Ziel der Qualitätssicherung angeht, hat Ungarn nicht dargelegt, wie der zwingende Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags mit der Zentralregierung des Herkunftsstaats einer ausländischen Hochschuleinrichtung zur Förderung dieses Ziels beitragen soll.

139.

Dies gilt umso mehr, als diese Anforderung auch an bereits bestehende Einrichtungen gestellt wird, ohne dass Qualitätsmängel dargelegt werden oder Anhaltspunkte dafür vorgetragen werden müssen, wie diese durch den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags mit dem Herkunftsstaat der Einrichtung beseitigt werden könnten.

140.

Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes kann daher nicht als zulässige Einschränkung der Freiheit zur Gründung von Lehranstalten angesehen werden. Somit komme ich zu dem Ergebnis, dass der Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes auch einen Verstoß gegen Art. 14 Abs. 3 der Charta darstellt.

c)   Verstoß gegen Art. 13 Satz 2 der Charta

141.

Da Hochschulen, die das Erfordernis des Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes nicht erfüllen, in der Konsequenz auch keine Lehr- und Forschungstätigkeit in Ungarn ausüben dürfen bzw. diese – gegebenenfalls nach Ablauf einer Übergangszeit – einstellen müssen, rügt die Kommission ebenfalls einen Verstoß gegen Art. 13 Satz 2 der Charta. Nach diesem wird die akademische Freiheit geachtet.

142.

Soweit ersichtlich, hatte der Gerichtshof bisher noch keine Gelegenheit, sich zum Schutzbereich von Art. 13 Satz 2 der Charta zu äußern.

143.

Als Orientierungspunkt kann Art. 52 Abs. 3 der Charta dienen, nach dem die Rechte der Charta, die den in der EMRK garantierten Rechten entsprechen, die gleiche Bedeutung und Tragweite haben, wie sie ihnen in der EMRK verliehen wird. In der Rechtsprechung des EGMR wird die Wissenschaftsfreiheit als Ausfluss des Rechts auf freie Meinungsäußerung aus Art. 10 EMRK behandelt ( 66 ), auf den sich auch die Erläuterungen zu Art. 13 der Charta beziehen. ( 67 ) Darunter fällt nach der Rechtsprechung des EGMR insbesondere die Freiheit, wissenschaftliche Forschung zu unternehmen sowie wissenschaftliche Positionen zu vertreten und diese zu verbreiten. ( 68 )

144.

Die gesetzliche Regelung über den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes schränkt diese Freiheit zwar nicht unmittelbar ein. Sie ist aber geeignet, die Wissenschaftler, die an den betroffenen Universitäten arbeiten, der notwendigen Infrastruktur für die Ausübung der akademischen Freiheit zu berauben.

145.

Zwar wird die Wissenschaftsfreiheit in systematischer Hinsicht in Art. 13 der Charta zusammen mit dem Schutz der Kunstfreiheit verortet, welche nach der Rechtsprechung des EGMR ebenfalls Ausfluss der Meinungsfreiheit ist. Daraus lässt sich schließen, dass die akademische Freiheit des Art. 13 Satz 2 der Charta auch als Kommunikationsgrundrecht anzusehen ist. Allerdings beschränkt sich die akademische Freiheit nicht auf die bloße Kommunikation.

146.

Vielmehr enthält die Charta, anders als die EMRK, ein gegenüber der allgemeinen Meinungsfreiheit eigenständiges Grundrecht auf Freiheit der Kunst und der Wissenschaft. Dazu gehört nicht nur die inhaltlich eigenverantwortliche und von staatlicher Einflussnahme unabhängige Forschung und Lehre, sondern auch deren institutionell-organisatorischer Rahmen. Denn die Anbindung an eine staatliche oder private Universität ist in der Praxis eine wesentliche Voraussetzung für wissenschaftliche Forschung. Die Universität dient als Plattform für den wissenschaftlichen Diskurs und als Netzwerk und Infrastruktur für Lehrende, Studierende und Mittelgeber. Die in Art. 14 Abs. 3 der Charta verbürgte Freiheit zur Gründung von Lehranstalten schützt dabei nur einen Ausschnitt dieses institutionellen Rahmens, nämlich insoweit, als private Lehranstalten betroffen sind.

147.

Eine Anforderung, bei deren Nichterfüllung keine Lehr- und Forschungstätigkeit im universitären Rahmen stattfinden kann bzw. aufgegeben werden muss, berührt mithin auch den Schutzbereich von Art. 13 Satz 2 der Charta.

148.

Was die Einschränkbarkeit von Art. 13 Satz 2 der Charta angeht, so ergibt sich aus den Erläuterungen zur Charta, dass dieser den durch Art. 10 EMRK gestatteten Einschränkungen unterworfen ist. Dies sind Einschränkungen, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft zur Aufrechterhaltung bestimmter, dort aufgelisteter Ziele notwendig sind. Dazu gehören etwa der Schutz der öffentlichen Sicherheit und Ordnung oder die Verhütung von Straftaten. Diese Anforderungen entsprechen im Wesentlichen denen des Art. 52 Abs. 1 der Charta.

149.

Dabei ist zu beachten, dass Art. 13 Satz 2 der Charta, insoweit er auch den institutionell-organisatorischen Rahmen von Forschung und Lehre schützt, keine Bestandsgarantie für jede einzelne Bildungseinrichtung enthält. Dennoch muss eine Regelung, die zur Schließung einer Hochschuleinrichtung führt, verhältnismäßig sein, wie es sich bereits aus Art. 52 Abs. 1 der Charta ergibt.

150.

Aus den bereits erörterten Gründen ist die Anforderung in Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes allerdings als unverhältnismäßig anzusehen und kann mithin auch keine Einschränkung des Art. 13 Satz 2 der Charta rechtfertigen. ( 69 )

d)   Ergebnis

151.

Zusammenfassend schlage ich deshalb dem Gerichtshof vor, festzustellen, dass Ungarn durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des Hochschulgesetzes gegen seine Verpflichtungen aus Art. XVII GATS in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV sowie aus Art. 13 Satz 2 und Art. 14 Abs. 3 der Charta verstoßen hat.

2.   Erfordernis des Vorhandenseins einer tatsächlichen Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat, Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes

152.

Hinsichtlich Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes, der die Errichtung und den Fortbetrieb einer ausländischen Hochschule in Ungarn vom Vorhandensein eines tatsächlichen Lehrbetriebs im Herkunftsstaat abhängig macht, rügt die Kommission Verstöße gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123, gegen die Art. 49 und 56 AEUV, gegen Art. 13, Art. 14 Abs. 3 und Art. 16 der Charta sowie gegen Art. XVII GATS. Denn anders als das soeben geprüfte Erfordernis des Abschlusses eines völkerrechtlichen Vertrags gilt die nun zu untersuchende Voraussetzung auch für Hochschulen mit Sitz in einem anderen Mitgliedstaat der Union oder des EWR.

a)   Verstoß gegen Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV

153.

Zuerst ist der gerügte Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit zu prüfen. Denn es ist anzunehmen, dass eine „zu einem Abschluss führende Lehrtätigkeit“, die durch Art. 76 Abs. 1 des Hochschulgesetzes besonderen Anforderungen unterworfen wird, in der ganz überwiegenden Zahl von Fällen durch eine dauerhafte Niederlassung in Ungarn angeboten wird.

1) Einschränkung der Niederlassungsfreiheit

154.

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs fällt die entgeltliche Durchführung von Hochschulunterricht in den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit, wenn sie von Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats in stabiler und kontinuierlicher Weise von einer in einem anderen Mitgliedstaat gelegenen Haupt- oder Nebenniederlassung aus im Aufnahmemitgliedstaat ausgeübt wird. ( 70 )

155.

Nach ständiger Rechtsprechung umfasst Art. 49 AEUV dabei einerseits das Recht zur Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie zur Errichtung von Unternehmen und zur Ausübung der Unternehmertätigkeit nach den Bestimmungen, die im Niederlassungsstaat für dessen eigene Angehörigen gelten. Als Beschränkung der Niederlassungsfreiheit im Sinne von Art. 49 Abs. 1 AEUV sind andererseits alle Maßnahmen anzusehen, die die Ausübung dieser Freiheit unterbinden, behindern oder weniger attraktiv machen. ( 71 )

156.

Nach diesen Maßstäben wird durch Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes das Recht von ausländischen Hochschulen auf freie Niederlassung in Ungarn eingeschränkt, da sie an der Aufnahme einer Hochschultätigkeit gehindert werden bzw. diese nach Ablauf der Übergangsfrist einstellen müssen, wenn sie in ihrem Herkunftsstaat keine Hochschulausbildung anbieten.

2) Rechtfertigung der Einschränkung

157.

Was die Rechtfertigung dieser Maßnahme angeht, bestimmt Art. 52 Abs. 1 AEUV, dass Sonderregelungen für Ausländer nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit gerechtfertigt werden können.

158.

Eine solche „Sonderregelung für Ausländer“ liegt hier vor. Denn nur ausländische Hochschulen müssen für die Aufnahme und Fortführung einer Lehrtätigkeit in Ungarn den Nachweis über das Vorhandensein einer solchen in ihrem Herkunftsstaat erbringen. Zwar können inländische Hochschulen diesen Nachweis naturgemäß nicht erbringen, da sie keinen Sitz in einem anderen Mitgliedstaat haben. Dieser Umstand führt jedoch nicht dazu, dass ausländische Hochschulen insoweit nicht mit inländischen Hochschulen vergleichbar wären. ( 72 ) Denn der Sitz in einem anderen Mitgliedstaat kann bei Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit kein zulässiges Differenzierungskriterium sein. Der diskriminierende Charakter der Regelung liegt gerade in dem Umstand, dass die Tätigkeit von ausländischen Hochschulen aufgrund ihres Sitzes in einem anderen Mitgliedstaat zusätzlichen Voraussetzungen unterworfen wird.

159.

Ungarn beruft sich auch hier auf den Schutz der öffentlichen Ordnung und macht geltend, dass die streitgegenständliche Anforderung erforderlich sei, um irreführende und betrügerische Geschäftspraktiken zu verhindern. Außerdem könne nur so die Qualität der Lehrangebote sichergestellt werden.

160.

Der Rechtfertigungsgrund der öffentlichen Ordnung meint jedoch den Schutz vor einer tatsächlichen und hinreichend erheblichen Gefahr, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Wenn auch die Wichtigkeit der Ziele der Verhinderung von irreführenden und betrügerischen Geschäftspraktiken und der Sicherstellung einer hohen Qualität der Lehrangebote nicht von der Hand zu weisen ist, so werden dadurch doch keine Grundinteressen der Gesellschaft im Sinne dieser Definition berührt. ( 73 )

161.

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass der Gerichtshof bereits entschieden hat, dass Art. 49 AEUV es den Mitgliedstaaten grundsätzlich verbietet, die Gründung einer Zweigniederlassung allein mit dem Argument zu verbieten, dass die betreffende Gesellschaft in ihrem Sitzstaat keine Geschäftstätigkeit entfaltet hat. ( 74 ) Ob und welche Anforderungen der Mitgliedstaat an die Tätigkeit der Niederlassung stellen darf, ist eine andere Frage.

162.

Eine Rechtfertigung aus anderen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses kommt darüber hinaus nur bei Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit in Betracht, die ohne Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit anwendbar sind. ( 75 )

163.

Im Ergebnis hat Ungarn durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes somit gegen Art. 49 AEUV verstoßen.

b)   Verstoß gegen Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie

164.

Die Kommission ist außerdem der Auffassung, dass die Voraussetzung in Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes einen Verstoß gegen die Dienstleistungsrichtlinie darstellt.

1) Eröffnung des Anwendungsbereichs

165.

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie gilt diese für Dienstleistungen, die von einem in einem Mitgliedstaat niedergelassenen Dienstleistungserbringer angeboten werden, wobei der Begriff der Dienstleistung in Art. 4 Nr. 1 dieser Richtlinie als „selbstständige Tätigkeit, die in der Regel gegen Entgelt erbracht wird“, definiert ist. Nach der Rechtsprechung stellt Unterricht an Bildungseinrichtungen, die im Wesentlichen durch private Mittel finanziert werden, die nicht vom Dienstleistungserbringer selbst stammen, eine Dienstleistung dar, da das von diesen Einrichtungen verfolgte Ziel darin besteht, eine Leistung gegen Entgelt anzubieten. ( 76 )

166.

Art. 2 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie stellt zwar ausdrücklich keine weiteren Anforderungen an die Eröffnung des Anwendungsbereichs. Insbesondere stellt er nicht auf den vorübergehenden Charakter der Tätigkeit ab, der im Rahmen der Grundfreiheiten zum Zweck der Abgrenzung zwischen Niederlassungs- und Dienstleistungsfreiheit herangezogen wird ( 77 ), da die Dienstleistungsrichtlinie auch Vorschriften über die Niederlassungsfreiheit der Dienstleistungserbringer enthält. ( 78 ) Vorliegend ist diese Unterscheidung aus meiner Sicht allerdings relevant, da die Kommission speziell einen Verstoß gegen Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie rügt, der im Kapitel IV über den freien Dienstleistungsverkehr steht.

167.

Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes fällt aber nur insoweit in den Anwendungsbereich von Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie, als dadurch das vorübergehende Anbieten einer zu einem Abschluss führenden Lehrtätigkeit besonderen Voraussetzungen unterworfen wird. Solche Geschäftsmodelle sind durchaus denkbar, wenn auch sicherlich die überwiegende Anzahl von Hochschulen, die die Erlangung von Abschlüssen anbieten, dies im Rahmen einer dauerhaften Niederlassung tun.

168.

Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes unterscheidet jedenfalls nicht zwischen Einrichtungen, die dauerhaft, und solchen, die nur vorübergehend in Ungarn eine Lehrtätigkeit ausüben. Ebenso wenig unterscheidet die Vorschrift zwischen Anbietern von privatfinanzierten Bildungsdienstleistungen und solchen, deren Tätigkeit keinen Erwerbszweck verfolgt.

169.

Mithin fällt die Regelung zumindest zum Teil in den Anwendungsbereich von Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie.

2) Zulässige Anforderung im Sinne von Art. 16 Abs. 1 und 3 der Dienstleistungsrichtlinie?

170.

Nach Art. 16 Abs. 1 und 3 der Dienstleistungsrichtlinie dürfen die Mitgliedstaaten die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit in ihrem Hoheitsgebiet nur von solchen Anforderungen abhängig machen, die sowohl nicht diskriminierend als auch erforderlich und verhältnismäßig sind. Die aufgestellten Anforderungen müssen dabei gemäß Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 3 Buchst. b und Abs. 3 der Richtlinie der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung, der öffentlichen Sicherheit oder der öffentlichen Gesundheit oder dem Schutz der Umwelt dienen.

171.

Vorliegend scheitert die Zulässigkeit der Anforderung in Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes schon an ihrem diskriminierenden Charakter. ( 79 )

172.

Jedenfalls aber kann die Maßnahme aus keinem der in Art. 16 Abs. 1 Unterabs. 3 Buchst. b und Abs. 3 genannten Gründe gerechtfertigt werden. Insoweit wurde bereits gezeigt, dass diese Regelung nicht aus Gründen des Schutzes der öffentlichen Ordnung gerechtfertigt werden kann. ( 80 )

173.

Eine Rechtfertigung aus anderen zwingenden Gründen des Allgemeininteresses, zu denen ausweislich des 40. Erwägungsgrundes der Richtlinie auch ein hohes Bildungsniveau zählt, hat der Unionsgesetzgeber in Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie – anders als in anderen Bestimmungen dieser Richtlinie ( 81 ) – nicht vorgesehen.

174.

Zwar erkennt die Rechtsprechung im Rahmen von Art. 56 AEUV eine Rechtfertigung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses an. Eine solche wurde jedoch bisher in ähnlich gelagerten Fällen bei diskriminierenden Maßnahmen nicht anerkannt. ( 82 ) Mithin kann es vorliegend offenbleiben, ob die Rechtfertigungsmöglichkeiten im Rahmen von Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie gegenüber den primärrechtlich anerkannten Rechtfertigungsgründen zulässigerweise durch den Unionsgesetzgeber beschränkt werden konnten. ( 83 ) Denn auch unter Art. 56 AEUV wäre die vorliegende Maßnahme nicht als gerechtfertigt anzusehen.

175.

Im Ergebnis ist festzuhalten, dass das Erfordernis des Vorhandenseins einer tatsächlichen Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat nicht den Anforderungen von Art. 16 Abs. 1 und 3 der Dienstleistungsrichtlinie entspricht. Durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes hat Ungarn somit gegen Art. 16 der Dienstleistungsrichtlinie verstoßen.

176.

Die Dienstleistungsrichtlinie enthält dabei im Verhältnis zum hilfsweise gerügten Art. 56 AEUV die spezielleren Vorschriften, so dass sich die Prüfung der letztgenannten Vorschrift vorliegend erübrigt. ( 84 )

c)   Verstoß gegen die Charta

177.

Zuletzt ist zu prüfen, ob Ungarn durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes gegen die Grundrechte der betroffenen Hochschulen, insbesondere gegen die Art. 13 und 14 Abs. 3 der Charta ( 85 ), verstoßen hat.

1) Anwendbarkeit der Charta

178.

Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes stellt eine Schlechtumsetzung der Dienstleistungsrichtlinie dar. ( 86 ) Damit ist gemäß Art. 51 Abs. 1 der Charta deren Anwendungsbereich eröffnet. ( 87 )

179.

Die Frage, ob ein eigenständiger Verstoß gegen die Charta festgestellt werden kann, wenn der Anwendungsbereich des Unionsrechts lediglich durch eine Beschränkung von Grundfreiheiten eröffnet ist, stellt sich daher im vorliegenden Fall – anders als von Ungarn angenommen – nicht. ( 88 )

180.

Allerdings hat die Feststellung eines eigenständigen Grundrechtsverstoßes vorliegend keine besonderen Auswirkungen. Denn die Begründetheit der Vertragsverletzungsklage ergibt sich bereits aus den Verstößen gegen die Dienstleistungsrichtlinie und Art. 49 AEUV. Immerhin bringt die separate Prüfung des Grundrechts das besondere Gewicht und die Qualität des Verstoßes deutlicher zum Ausdruck. Dies gilt insbesondere dann, wenn der gerügte Grundrechtsverstoß – wie vorliegend – über die schädlichen wirtschaftlichen Auswirkungen hinausgeht, die bereits durch die Feststellung von Verstößen gegen die Binnenmarktregeln abgedeckt werden.

2) Eingriff

181.

Wie bereits dargelegt wurde, berührt eine Voraussetzung, bei deren Nichterfüllung die Lehr- und Forschungstätigkeit einer Universität nicht aufgenommen bzw. eingestellt werden muss und die Gründung sowie der Betrieb einer solchen Einrichtung zu Erwerbszwecken untersagt werden, sowohl den Schutzbereich von Art. 13 Satz 2 als auch von Art. 14 Abs. 3 der Charta. ( 89 )

3) Rechtfertigung

182.

Somit bleibt zu prüfen, ob der durch Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes bewirkte Eingriff in die genannten Grundrechte gerechtfertigt werden kann. Dazu müsste er insbesondere verhältnismäßig sein. ( 90 ) Nach dem Wortlaut von Art. 52 Abs. 1 der Charta dürfen Einschränkungen der Grundrechte nur vorgenommen werden, wenn sie erforderlich sind und den von der Union anerkannten dem Gemeinwohl dienenden Zielsetzungen oder den Erfordernissen des Schutzes der Rechte und Freiheiten anderer tatsächlich entsprechen.

183.

Ungarn trägt einerseits vor, dass seine Behörden nur bei Bestehen einer Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat sicher sein könnten, dass es sich um eine legale Tätigkeit handele und alle Voraussetzungen für einen Lehrbetrieb im Herkunftsstaat erfüllt seien. Dadurch könnten betrügerische Geschäftspraktiken verhindert werden. Andererseits könnten die Behörden anhand der im Herkunftsstaat angebotenen Ausbildung überprüfen, ob die Einrichtung über ein tragfähiges Konzept und qualifizierte Lehrkräfte verfüge, und somit die Qualität der Lehrangebote sicherstellen.

184.

Insoweit ist zuzugeben, dass der erfolgreiche Betrieb einer Hochschule im Herkunftsstaat nahelegt, dass diese dort alle gesetzlichen Voraussetzungen für den Betrieb erfüllt. Diese Voraussetzung ist folglich geeignet, illegale und betrügerische Einrichtungen von vorneherein auszusortieren.

185.

Die Legalität und Integrität eines Hochschulangebots lässt sich allerdings keineswegs nur anhand einer bereits bestehenden Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat überprüfen. Fehlt eine solche Tätigkeit im Herkunftsstaat, muss ein Mitgliedstaat daher auch andere geeignete Nachweise akzeptieren. Dies gilt insbesondere angesichts der herausragenden Bedeutung des Rechts auf freie Niederlassung in der Union, welches nach der Rechtsprechung gerade auch das Recht der Gesellschaften einschließt, ihrer Tätigkeit im Wesentlichen oder ausschließlich in einem anderen Mitgliedstaat als dem ihres Sitzes nachzugehen. ( 91 ) Um Wertungswidersprüche zu vermeiden, kann der Nachweis einer Tätigkeit im Herkunftsstaat daher nicht als erforderlich angesehen werden.

186.

Was das Ziel der Qualitätskontrolle angeht, so hat die ungarische Regierung schon in keiner Weise dargelegt, wie durch die bloße Existenz einer Hochschulausbildung im Herkunftsstaat die Qualität der Ausbildung im Gaststaat gesichert werden soll. Es kann kaum angenommen werden, dass die Universität in beiden Staaten das gleiche Lehrpersonal einsetzt und die gleichen Lehrinhalte vermittelt oder dass die Qualitätsanforderungen in beiden Staaten identisch sind. Mithin ist schon die Geeignetheit dieser Maßnahme fraglich.

187.

Bezüglich der Erforderlichkeit der Anforderung ist anzumerken, dass eine Qualitätskontrolle bei Erstgründungen von inländischen Hochschulen schon gar nicht durchgeführt werden könnte, wenn ein bereits bestehendes Angebot die einzige Möglichkeit wäre, die Qualität zu überprüfen. Es muss also zwangsläufig auf andere Maßnahmen der Qualitätskontrolle zurückgegriffen werden, die auch auf ausländische Hochschulen angewandt werden könnten.

188.

Das Anknüpfen an das Bestehen einer Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat ist demnach allein nicht geeignet und insgesamt jedenfalls nicht erforderlich, um die Legalität und die Qualität der Hochschulausbildung sicherzustellen.

4) Ergebnis

189.

Durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes hat Ungarn mithin ebenfalls gegen Art. 13 Satz 2 und Art. 14 Abs. 3 der Charta verstoßen.

d)   Verstoß gegen Art. XVII GATS in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV

190.

Soweit die Kommission auch hinsichtlich des Erfordernisses in Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes einen Verstoß gegen Art. XVII GATS rügt, genügt es, festzustellen, dass die Regelungen des primären und sekundären Unionsrechts im Verhältnis der Mitgliedstaaten zueinander dem Welthandelsrecht vorgehen. ( 92 )

191.

Allerdings gilt Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes auch für Universitäten aus Drittstaaten. Insofern verstößt diese Regelung aus den oben bereits dargelegten Gründen ( 93 ) gegen die Verpflichtung zur Inländerbehandlung nach Art. XVII GATS und kann auch nicht als zulässige Ausnahme im Sinne von Art. XIV GATS angesehen werden. Danach sind zwar Maßnahmen erlaubt, die erforderlich sind, um die öffentliche Moral oder die öffentliche Ordnung ( 94 ) aufrechtzuerhalten oder irreführende und betrügerische Geschäftspraktiken zu verhindern. Wie allerdings bereits dargelegt wurde, erfüllt das Erfordernis der Lehrtätigkeit im Herkunftsstaat diese Anforderungen aber gerade nicht. ( 95 )

192.

Somit wäre hinsichtlich des Erfordernisses in Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des Hochschulgesetzes im Ergebnis auch ein Verstoß gegen Art. XVII GATS in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV zu bejahen.

VI. Entscheidungsvorschlag

193.

In Anbetracht der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1.

Durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. a des geänderten Gesetzes Nr. CCIV von 2011 hat Ungarn gegen Art. XVII des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV sowie gegen Art. 13 Satz 2 und Art. 14 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen.

2.

Durch den Erlass von Art. 76 Abs. 1 Buchst. b des geänderten Gesetzes Nr. CCIV von 2011 hat Ungarn gegen Art. 16 der Richtlinie 2006/123/EG, Art. 49 AEUV in Verbindung mit Art. 54 AEUV, Art. XVII des Allgemeinen Übereinkommens über den Handel mit Dienstleistungen in Verbindung mit Art. 216 Abs. 2 AEUV sowie gegen Art. 13 Satz 2 und Art. 14 Abs. 3 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verstoßen.

3.

Ungarn trägt die Kosten des Verfahrens.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Seine Stiftungen sind von einer parallel erlassenen ungarischen Regelung betroffenen, dem Gesetz Nr. LXXVI von 2017 über die Transparenz von aus dem Ausland unterstützten Organisationen, welches zivilgesellschaftlichen Organisationen, die finanzielle Unterstützung aus dem Ausland erhalten, bestimmte sanktionsbewehrte Registrierungs‑, Deklarierungs- und Offenlegungspflichten auferlegt. Das Gesetz ist Gegenstand des Vertragsverletzungsverfahrens in der Rechtssache C‑78/18, Kommission/Ungarn (Transparenz von Vereinigungen).

( 3 ) ABl. 1994, L 336, S. 1.

( 4 ) „Die Ausnahmeregelung in [B]ezug auf die öffentliche Ordnung kann nur in Anspruch genommen werden, wenn eine wirkliche, ausreichend schwerwiegende Bedrohung der Grundwerte der Gesellschaft vorliegt“ (Fußnote im Original.)

( 5 ) ABl. 2019, L 87, S. 1.

( 6 ) Hungary Schedule of Specific Commitments, WTO Dok. GATS/SC/40 vom 15. April 1994.

( 7 ) WTO-Dokument S/C/W/273, S. 166 und 167. Zum Inkrafttreten vgl. Mitteilung der Union vom 7. März 2019 an die Mitglieder der WTO.

( 8 ) Hungary Schedule of Specific Commitments, WTO Dok. GATS/SC/40 vom 15. April 1994, S. 19 (Ziff. 5.C).

( 9 ) ABl. 2007, C 364, S. 1.

( 10 ) ABl. 2006, L 376, S. 36.

( 11 ) Urteil vom 12. November 2015, Elitaliana/Eulex Kosovo (C‑439/13 P, EU:C:2015:753, Rn. 37).

( 12 ) Urteil vom 19. März 2002, Kommission/Irland (C‑13/00, EU:C:2002:184, Rn. 13).

( 13 ) Urteile vom 25. Februar 1988, Kommission/Griechenland (194/85 und 241/85, EU:C:1988:95), vom 10. September 1996, Kommission/Deutschland (C‑61/94, EU:C:1996:313), vom 19. März 2002, Kommission/Irland (C‑13/00, EU:C:2002:184), vom 7. Oktober 2004, Kommission/Frankreich (C‑239/03, EU:C:2004:598), und vom 21. Juni 2007, Kommission/Italien (C‑173/05, EU:C:2007:362).

( 14 ) Urteile vom 30. April 1974, Haegeman (181/73, EU:C:1974:41, Rn. 2/6), vom 30. September 1987, Demirel (12/86, EU:C:1987:400, Rn. 7), und vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie (C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 30).

( 15 ) Urteile vom 7. Oktober 2004, Kommission/Frankreich (C‑239/03, EU:C:2004:598, Rn. 25), vom 16. November 2004, Anheuser-Busch (C‑245/02, EU:C:2004:717, Rn. 41), vom 11. September 2007, Merck Genéricos – Produtos Farmacêuticos (C‑431/05, EU:C:2007:496, Rn. 33 ff.), und vom 8. März 2011, Lesoochranárske zoskupenie (C‑240/09, EU:C:2011:125, Rn. 31 ff.).

( 16 ) Diese Außenkompetenz teilte die Union zu diesem Zeitpunkt noch mit ihren Mitgliedstaaten, vgl. Gutachten 1/08 (Abkommen zur Änderung der Listen spezifischer Verpflichtungen nach dem GATS) vom 30. November 2009 (EU:C:2009:739, Rn. 135).

( 17 ) Siehe dazu bereits meine Schlussanträge in der Rechtssache Kommission/Rat (C‑13/07, EU:C:2009:190, Nr. 124).

( 18 ) Siehe Beschluss (EU) 2019/485 des Rates vom 5. März 2019 (ABl. 2019, L 87, S. 1). Vor Inkrafttreten des Vertrags von Lissabon hatte der Gerichtshof im Gutachten 1/08 (Abkommen zur Änderung der Listen spezifischer Verpflichtungen nach dem GATS) vom 30. November 2009 (EU:C:2009:739) entschieden, dass diese Änderung in die geteilte Zuständigkeit der Union und ihrer Mitgliedstaaten fiel und eine Beteiligung der Mitgliedstaaten erforderlich sei.

( 19 ) Vgl. dazu Gutachten 2/15 (Freihandelsabkommen mit Singapur) vom 16. Mai 2017 (EU:C:2017:376, Rn. 248).

( 20 ) Das Streitbeilegungsverfahren der WTO ist geregelt in der Vereinbarung über Regeln und Verfahren zur Beilegung von Streitigkeiten (Understanding on Rules and Procedures governing the Settlement of Disputes, kurz: DSU) in Anhang 2 des WTO-Übereinkommens. Es sieht zunächst die Einsetzung von sogenannten Panels zur Beilegung bestimmter Streitigkeiten vor, die an das Streitbeilegungsorgan (Dispute Settlement Body kurz: DSB) berichten. Dieses verfasst auf dieser Grundlage einen Schlussbericht, der für die Parteien bindend wird, wenn nicht innerhalb von 60 Tagen Einspruch vor dem Einspruchsgremium (Appellate Body, kurz: AB) eingelegt wird.

( 21 ) Vgl. etwa Art. 6:1 des Anhangs IX des am 10. Dezember 1982 in Montego Bay unterzeichneten Seerechtsübereinkommens der Vereinten Nationen (United Nations Treaty Series, Bd. 1833, 1834 und 1835, S. 3).

( 22 ) Dasselbe sieht – mutatis mutandis – Art. 46 Abs. 2 des Wiener Übereinkommens über das Recht der Verträge zwischen Staaten und internationalen Organisationen oder zwischen internationalen Organisationen (im Folgenden: WVKIO) im Hinblick auf die interne Zuständigkeitsverteilung einer internationalen Organisation vor.

( 23 ) Zu Beispielen aus der Praxis der WTO-Streitbeilegungsorgane: WTO Appelate Body Report vom 5. Juni 1998, angenommen vom DSB am 1. Juli 1998, WT/DS62/AB/R, WT/DS67/AB/R und WT/DS68/AB/R, European Communities – Computer Equipment, betreffend bestimmte irische und britische Maßnahmen; WTO Appelate Body Report vom 12. März 2001, angenommen vom DSB am 5. April 2001, WT/DS135/AB/R, European Communities – Amiante, betreffend eine französische Verordnung; zuletzt WTO Appelate Body Report vom 15. Mai 2018, WT/DS316/AB/RW, European Union – Large Civil Aircrafts.

( 24 ) Urteile vom 26. Oktober 1982, Kupferberg (104/81, EU:C:1982:362, Rn. 11 und 13), vom 30. September 1987, Demirel (12/86, EU:C:1987:400, Rn. 11), vom 19. März 2002, Kommission/Irland (C‑13/00, EU:C:2002:184, Rn. 15), und vom 7. Oktober 2004, Kommission/Frankreich (C‑239/03, EU:C:2004:598, Rn. 26).

( 25 ) Vgl. Art. 23 Abs. 1 DSU.

( 26 ) Siehe dazu unten, Nr. 90 der vorliegenden Schlussanträge.

( 27 ) Urteile vom 12. Dezember 1972, International Fruit Company u. a. (21/72 bis 24/72, EU:C:1972:115), vom 23. November 1999, Portugal/Rat (C‑149/96, EU:C:1999:574), und vom 9. Januar 2003, Petrotub und Republica (C‑76/00 P, EU:C:2003:4).

( 28 ) Urteil vom 5. Oktober 1994, Deutschland/Rat (C‑280/93, EU:C:1994:367, Rn. 109).

( 29 ) Vgl. Art. 264 Abs. 1 AEUV.

( 30 ) Urteil vom 10. September 1996, Kommission/Deutschland (C‑61/94, EU:C:1996:313, Rn. 16).

( 31 ) Schlussanträge des Generalanwalts Tesauro in der Rechtssache Kommission/Deutschland (C‑61/94, EU:C:1996:194, Nrn. 23 und 24).

( 32 ) Siehe dazu bereits Nrn. 49 bis 52 der vorliegenden Schlussanträge.

( 33 ) Als prominentes und aktuelles Beispiel kann auch hier wieder der Airbus-Streit herangezogen werden.

( 34 ) Siehe dazu Urteile vom 22. Juni 1989, Fediol/Kommission (70/87, EU:C:1989:254, Rn. 19 bis 22), vom 7. Mai 1991, Nakajima/Rat (C‑69/89, EU:C:1991:186, Rn. 31), vom 30. September 2003, Biret International/Rat (C‑93/02 P, EU:C:2003:517, Rn. 53), vom 23. November 1999, Portugal/Rat (C‑149/96, EU:C:1999:574, Rn. 49), und vom 1. März 2005, Van Parys (C‑377/02, EU:C:2005:121, Rn. 40).

( 35 ) Urteile vom 5. November 2002, Kommission/Österreich (C‑475/98, EU:C:2002:630, Rn. 35), und vom 18. Juli 2007, Kommission/Deutschland (C‑490/04, EU:C:2007:430, Rn. 25).

( 36 ) Urteil vom 2. Februar 1988, Kommission/Belgien (293/85, EU:C:1988:40, Rn. 20).

( 37 ) Vgl. dazu Schlussanträge des Generalanwalts Mischo in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑1/00, EU:C:2001:467, Nr. 57). In diesem Sinne auch Urteil vom 10. Juli 1985, Kommission/Niederlande (16/84, EU:C:1985:309, Rn. 10).

( 38 ) Urteile vom 2. Februar 1988, Kommission/Belgien (293/85, EU:C:1988:40, Rn. 13 und 14), vom 2. Juli 1996, Kommission/Luxemburg (C‑473/93, EU:C:1996:263, Rn. 19 und 20), vom 28. Oktober 1999, Kommission/Österreich (C‑328/96, EU:C:1999:526, Rn. 51), und vom 13. Dezember 2001, Kommission/Frankreich (C‑1/00, EU:C:2001:687, Rn. 64 und 65).

( 39 ) In der Rechtssache, in der das Urteil vom 2. Februar 1988, Kommission/Belgien (293/85, EU:C:1988:40), ergangen ist, betrugen die Fristen acht bzw. 14 Tage; in der Rechtssache Kommission/Frankreich (C‑1/00, EU:C:2001:687) betrugen die Fristen 15 Tage bzw. fünf Tage; in der Rechtssache Kommission/Österreich (C‑328/96, EU:C:1999:526) betrugen die Fristen eine Woche bzw. 15 Tage; in der Rechtssache, in der das Urteil vom 31. Januar 1984, Kommission/Irland (74/82, EU:C:1984:34), ergangen ist, wurde eine Frist von fünf Tagen beanstandet.

( 40 ) Urteil vom 10. Juli 1985, Kommission/Niederlande (16/84, EU:C:1985:309, Rn. 10).

( 41 ) Urteil vom 31. Januar 1984, Kommission/Irland (74/82, EU:C:1984:34, Rn. 13).

( 42 ) Urteil vom 3. März 2016, Kommission/Malta (C‑12/14, EU:C:2016:135, Rn. 24).

( 43 ) Urteil vom 3. März 2016, Kommission/Malta (C‑12/14, EU:C:2016:135, Rn. 26).

( 44 ) Der Gerichtshof stellt in einem solchen Fall nicht nur eine Verletzung des betreffenden völkerrechtlichen Vertrags, sondern auch von Art. 216 Abs. 2 AEUV (früher Art. 300 Abs. 7 EG) fest, vgl. Urteile vom 19. März 2002, Kommission/Irland (C‑13/00, EU:C:2002:184), und vom 7. Oktober 2004, Kommission/Frankreich (C‑239/03, EU:C:2004:598).

( 45 ) Urteile vom 25. Januar 1979, Racke (98/78, EU:C:1979:14, Rn. 52), und vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 110).

( 46 ) Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a. (C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 110).

( 47 ) Siehe dazu bereits Nr. 59 dieser Schlussanträge.

( 48 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 49).

( 49 ) Hungary Schedule of Specific Commitments, WTO Dok. GATS/SC/40 vom 15. April 1994, S. 19 (Ziff. 5.C.). Vgl. jetzt die Liste der konsolidierten Zugeständnisse der Union und ihrer Mitgliedstaaten vom 15. März 2019, WTO-Dokument S/C/W/273, S. 166 und 167 (Ziff. 5.C.).

( 50 ) WTO Panel Report vom 16. Juli 2012, angenommen vom DSB am 31. August 2012, WT/DS413/R, China – Electronic Payment Services, Ziff. 7.658. „… [T]he special rule in Article XX:2 provides a simpler requirement: a Member need only make a single inscription of the measure under the market access column, which then provides an implicit limitation under national treatment.“

( 51 ) WTO Panel Report vom 16. Juli 2012, angenommen vom DSB am 31. August 2012, WT/DS413/R, China – Electronic Payment Services, Ziff. 7.661: „… Article XX:2 provides … that the measure inscribed in the market access column encompasses aspects inconsistent with both market access and national treatment obligations … [This permits] China to maintain measures that are inconsistent with both Articles XVI and XVII. With an inscription of ‚Unbound‘ for subsector (d) in mode 1 under Article XVI, and a corresponding ‚None‘ for Article XVII, China has indicated that it is free to maintain the full range of limitations expressed in the six categories of Article XVI:2, whether discriminatory or not.“

( 52 ) WTO Panel Report vom 16. Juli 2012, angenommen vom DSB am 31. August 2012, WT/DS413/R, China – Electronic Payment Services, Ziff. 7.652: „Unlike Article XVII, however, the scope of the market access obligation does not extend generally to ‚all measures affecting the supply of services‘. Instead, it applies to six carefully defined categories of measures of a mainly quantitative nature. The issue thus arises whether the scope of these measures, and thus the extent of China's absence of obligation with respect thereto, extends to discriminatory measures in the sense of Article XVII.“

( 53 ) WTO Panel Report vom 16. Juli 2012, angenommen vom DSB am 31. August 2012, WT/DS413/R, China – Electronic Payment Services, Ziff. 7.663: „…Due to the inscription of ‚None‘, China must grant national treatment with respect to any of the measures at issue that are not inconsistent with Article XVI:2“ (Hervorhebung nur hier).

( 54 ) Siehe, mutatis mutandis, Fn. 53.

( 55 ) Vgl. oben, Nrn. 88 und 90 der vorliegenden Schlussanträge.

( 56 ) Siehe bereits oben, Nrn. 107 bis 109 der Schlussanträge.

( 57 ) Dies trifft etwa auf den Abschluss eines völkerrechtlichen Vertrags mit US-amerikanischen Bundesstaaten zu, zu deren Aufgabenbereich die Hochschulbildung zählt.

( 58 ) Vgl. Nrn. 53 und 47 der vorliegenden Schlussanträge.

( 59 ) Siehe zu dieser Fallkonstellation auch die Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in der Rechtssache Kommission/Ungarn (Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen) (C‑235/17, EU:C:2018:971, Rn. 82).

( 60 ) In diesem Sinne Urteile vom 6. März 2014, Siragusa (C‑206/13, EU:C:2014:126, Rn. 25 und 26) und vom 10. Juli 2014, Julián Hernández u. a. (C‑198/13, EU:C:2014:2055, Rn. 36 und 37).

( 61 ) ABl. 2007, C 303, S. 22.

( 62 ) Vgl. in Bezug auf den ähnlich formulierten Art. 16 der Charta, Urteil vom 22. Januar 2013, Sky Österreich (C‑283/11, EU:C:2013:28, Rn. 47).

( 63 ) Siehe bereits Nrn. 116 und 119 der vorliegenden Schlussanträge.

( 64 ) Siehe bereits Nrn. 118 bis 121 der vorliegenden Schlussanträge.

( 65 ) Vgl. dazu auch Nr. 122 der vorliegenden Schlussanträge.

( 66 ) EGMR, Urteile vom 23. Juni 2009, Mustafa Erdoğan/Türkei (CE:ECHR:2009:0623JUD001708903), und vom 15. April 2014, Hasan Yazıcı/Türkei (CE:ECHR:2014:0527JUD000034604).

( 67 ) ABl. 2007, C 303, S. 22.

( 68 ) EGMR, Urteil vom 15. April 2014, Hasan Yazıcı/Türkei (CE:ECHR:2014:0527JUD000034604, § 40).

( 69 ) Siehe Nrn. 136 bis 139 der vorliegenden Schlussanträge.

( 70 ) Urteil vom 13. November 2003, Neri (C‑153/02, EU:C:2003:614, Rn. 39).

( 71 ) Urteile vom 11. Juli 2002, Gräbner (C‑294/00, EU:C:2002:442, Rn. 38), und vom 13. November 2003, Neri (C‑153/02, EU:C:2003:614, Rn. 41).

( 72 ) Die Grundfreiheiten sind spezielle Diskriminierungsverbote, die mithin nur die unterschiedliche Behandlung miteinander vergleichbarer Situationen verbieten, vgl. Urteil vom 14. Februar 1995, Schumacker (C‑279/93, EU:C:1995:31, Rn. 30).

( 73 ) Ein Grundinteresse der Gesellschaft sah der Gerichtshof etwa bei der Verhinderung schwerer Straftaten als berührt an, vgl. Urteil vom 13. Juli 2017, E (C‑193/16, EU:C:2017:542, Rn. 20).

( 74 ) Urteile vom 9. März 1999, Centros (C‑212/97, EU:C:1999:126, Rn. 38), und vom 30. September 2003, Inspire Art (C‑167/01, EU:C:2003:512, Rn. 97).

( 75 ) Vgl. nur Urteile vom 9. März 2017, Piringer (C‑342/15, EU:C:2017:196, Rn. 53), und vom 14. November 2018, Memoria und Dall'Antonia (C‑342/17, EU:C:2018:906, Rn. 51).

( 76 ) Urteile vom 11. September 2007, Kommission/Deutschland (C‑318/05, EU:C:2007:495, Rn. 69), Schwarz und Gootjes-Schwarz (C‑76/05, EU:C:2007:492, Rn. 48), und vom 27. Juni 2017, Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania (C‑74/16, EU:C:2017:496, Rn. 48).

( 77 ) Urteil vom 11. Dezember 2003, Schnitzer (C‑215/01, EU:C:2003:662, Rn. 27 und 28).

( 78 ) Vgl. Kapitel III der Dienstleistungsrichtlinie.

( 79 ) Vgl. zum diskriminierenden Charakter bereits Nr. 158 der vorliegenden Schlussanträge.

( 80 ) Siehe, mutatis mutandis, Nr. 160 der vorliegenden Schlussanträge.

( 81 ) Vgl. etwa Art. 9 Abs. 1 und 4, Art. 10 Abs. 2 und Art. 11 Abs. 1 der Dienstleistungsrichtlinie.

( 82 ) Urteile vom 25. Juli 1991, Collectieve Antennevoorziening Gouda (C‑288/89, EU:C:1991:323, Rn. 11 bis 13), vom 19. Juli 2012, Garkalns (C‑470/11, EU:C:2012:505, Rn. 37), sowie vom 30. April 2014, Pfleger u. a. (C‑390/12, EU:C:2014:281, Rn. 43).

( 83 ) Zur parallelen Problematik bei Art. 14 der Dienstleistungsrichtlinie vgl. Urteil vom 16. Juni 2015, Rina Services u. a. (C‑593/13, EU:C:2015:399, Rn. 40). Zu den Argumenten vgl. Schlussanträge des Generalanwalts Szpunar in den verbundenen Rechtssachen X und Visser (C‑360/15 und C‑31/16, EU:C:2017:397, Nrn. 99 ff.).

( 84 ) Urteil vom 23. Februar 2016, Kommission/Ungarn (C‑179/14, EU:C:2016:108, Rn. 118). Vgl. entsprechend für das Verhältnis von Art. 15 der Dienstleistungsrichtlinie zu Art. 49 AEUV, Urteil vom 7. November 2018, Kommission/Ungarn (C‑171/17, EU:C:2018:881, Rn. 87).

( 85 ) Art. 14 Abs. 3 der Charta geht im vorliegenden Fall dem ebenfalls gerügten Art. 16 der Charta als lex specialis vor, vgl. dazu bereits oben, Nrn. 130 und 132 der vorliegenden Schlussanträge.

( 86 ) Vgl. dazu bereits Nrn. 170 bis 175 der vorliegenden Schlussanträge.

( 87 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 1. Dezember 2016, Daouidi (C‑395/15, EU:C:2016:917, Rn. 64 und 65). Ebenso Urteil vom 13. September 2016, Rendón Marín (C‑165/14, EU:C:2016:675, Rn. 66).

( 88 ) Zu dieser Frage siehe Schlussanträge des Generalanwalts Saugmandsgaard Øe in den verbundenen Rechtssachen SEGRO und Horváth (C‑52/16 und C‑113/16, EU:C:2017:410, Nrn. 121 bis 142) sowie in der Rechtssache Kommission/Ungarn (Nießbrauchsrechte an landwirtschaftlichen Flächen) (C‑235/17, EU:C:2018:971, Nrn. 64 bis 112).

( 89 ) Siehe bereits Nrn. 133 und 147 der vorliegenden Schlussanträge.

( 90 ) Vgl. bereits Nrn. 134 und 148 der vorliegenden Schlussanträge.

( 91 ) Siehe dazu bereits Nr. 158 dieser Schlussanträge und Urteil vom 30. September 2003, Inspire Art (C‑167/01, EU:C:2003:512, Rn. 97).

( 92 ) Siehe in diesem Sinne Urteil vom 29. Juli 2019, Inter-Environnement Wallonie und Bond Beter Leefmilieu Vlaanderen (C‑411/17, EU:C:2019:622, Rn. 161, 162, 165 und 166).

( 93 ) Siehe Nrn. 106 sowie 111 der vorliegenden Schlussanträge.

( 94 ) Diese wird im Vertragstext definiert als „eine wirkliche, ausreichend schwerwiegende Bedrohung der Grundwerte der Gesellschaft“.

( 95 ) Vgl., mutatis mutandis, Nr. 160 sowie Nrn. 183 bis 188 der vorliegenden Schlussanträge.