Rechtssache T‑160/17
RY
gegen
Europäische Kommission
Urteil des Gerichts (Neunte erweiterte Kammer) vom 10. Januar 2019
„Öffentlicher Dienst – Bedienstete auf Zeit – Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten – Unbefristeter Vertrag – Entlassung – Bruch des Vertrauensverhältnisses – Anhörungsrecht – Beweislast“
Recht der Europäischen Union – Grundsätze – Rechtliches Gehör – Wahrung im Rahmen von Verwaltungsverfahren – Bedeutung
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a)
(vgl. Rn. 21-28)
Beamte – Bedienstete auf Zeit – Bedienstete auf Zeit nach Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten – Bediensteter auf Zeit, der seinen Dienst im Kabinett eines Mitglieds der Kommission versieht – Bruch des Vertrauensverhältnisses – Entlassungsentscheidung – Wahrung der Verteidigungsrechte – Verpflichtung, den Betroffenen zu hören
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a; Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten, Art. 2 Buchst. c)
(vgl. Rn. 32-37, 40)
Beamte – Bedienstete auf Zeit – Bedienstete auf Zeit nach Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten – Bediensteter auf Zeit, der seinen Dienst im Kabinett eines Mitglieds der Kommission versieht – Entlassung aus Gründen, die sich auf das gegenseitige Vertrauensverhältnis beziehen – Ermessen der zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigten Behörde – Bedeutung
(Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten, Art. 2 Buchst. c)
(vgl. Rn. 38)
Beamte – Bedienstete auf Zeit – Grundsätze – Verteidigungsrechte – Bedeutung – Pflicht zur Anhörung der betroffenen Person vor dem Erlass einer Entscheidung über die Entlassung aus Gründen, die sich auf das gegenseitige Vertrauensverhältnis beziehen – Beweislast
(Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten, Art. 2 Buchst. c)
(vgl. Rn. 45, 48)
Beamte – Bedienstete auf Zeit – Auflösung eines unbefristeten Vertrags – Erlass der Entscheidung, ohne dem Betroffenen zuvor Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben – Verletzung des Rechts auf Anhörung – Folgen
(Charta der Grundrechte der Europäischen Union, Art. 41 Abs. 2 Buchst. a; Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten, Art. 47)
(vgl. Rn. 51, 54, 56)
Zusammenfassung
Im Urteil RY/Kommission (T‑160/17), das am 10. Januar 2019 erlassen wurde, hat das Gericht eine Entscheidung der Kommission, mit der der unbefristete Vertrag eines Bediensteten auf Zeit wegen Bruchs des Vertrauensverhältnisses gekündigt wurde, aufgehoben, weil dieser Entscheidung ein Verstoß gegen das in Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankerte Recht eines Bediensteten auf Zeit auf Anhörung anhaftet.
Der Kläger, der gemäß Art. 2 Buchst. c der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten der Europäischen Union (im Folgenden: BBSB) als Bediensteter auf Zeit eingestellt worden war, übte seine Tätigkeit im Kabinett eines Mitglieds der Kommission aus. Im Anschluss an die Entscheidung der Kommission, seinen Vertrag zu kündigen, hatte sich der Betroffene mit einer Beschwerde gemäß Art. 90 Abs. 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Union gegen die in Rede stehende Entscheidung an die zum Abschluss von Dienstverträgen ermächtigte Behörde (im Folgenden: Anstellungsbehörde) der Kommission gewandt und diese u. a. damit begründet, dass er nicht über die Gründe für die Beendigung seines Vertrags informiert worden sei und dass es ihm nicht möglich gewesen sei, seinen Standpunkt gegenüber der Anstellungsbehörde geltend zu machen. Die Anstellungsbehörde wies die Beschwerde mit der Begründung zurück, dass die Verpflichtung, den Betroffenen vor einer Kündigung zu hören, bei einem auf der Grundlage von Art. 2 Buchst. c BBSB eingestellten Bediensteten auf Zeit nicht erforderlich sei, wenn die Entscheidung über die Beendigung des Vertrags wegen Bruchs des Vertrauensverhältnisses ergangen sei.
Das Gericht hat zunächst entschieden, dass die besondere Natur der im Kabinett eines Mitglieds der Kommission wahrgenommenen Aufgaben und die Notwendigkeit, ein Verhältnis gegenseitigen Vertrauens aufrechtzuerhalten, nicht dazu führen, dass dem betroffenen Mitarbeiter das Recht entzogen wird, vor dem Erlass einer Entscheidung über die einseitige Auflösung seines Vertrags wegen eines Bruchs des Vertrauensverhältnisses gehört zu werden. Das Recht der betroffenen Person, gehört zu werden, bevor ihr gegenüber eine für sie nachteilige individuelle Entscheidung getroffen wird, ist in den Bestimmungen von Art. 41 Abs. 2 Buchst. a der Grundrechtecharta, die die gleiche Rechtsgeltung besitzen wie die Verträge, ausdrücklich verankert. Das Anhörungsrecht bei der von der Verwaltung ausgehenden Auflösung eines unbefristeten Vertrags mit einem Bediensteten auf Zeit ist umso mehr zu wahren, als eine solche Maßnahme, so sehr sie auch gerechtfertigt sein mag, einen Rechtsakt darstellt, der mit schwerwiegenden Folgen für die betroffene Person verbunden ist. Das Mitglied der Kommission könne, nachdem seinem Mitarbeiter Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben wurde, die Auffassung vertreten, dass das Vertrauensverhältnis letztlich doch nicht zerstört ist. Im Übrigen muss die Anstellungsbehörde, auch wenn es ihr nicht obliegt, die Beurteilung des betreffenden Mitglieds der Kommission, ob es tatsächlich zu einem Bruch des Vertrauensverhältnisses gekommen ist, durch ihre eigene Beurteilung zu ersetzen, dennoch zunächst prüfen, ob das Fehlen oder der Verlust eines Vertrauensverhältnisses tatsächlich geltend gemacht wurde, sich sodann vergewissern, ob der Sachverhalt inhaltlich genauso vorgelegen hat und schließlich Gewissheit darüber erlangen, dass angesichts der vorgebrachten Gründe der Auflösungsantrag nicht mit einer Verletzung der Grundrechte oder auch einem Machtmissbrauch behaftet ist. In diesem Zusammenhang kann die Anstellungsbehörde angesichts der Einlassungen der betroffenen Person insbesondere die Auffassung vertreten, dass besondere Umstände es rechtfertigen, dass andere Maßnahmen als eine Entlassung ins Auge gefasst werden.
Schließlich hat das Gericht festgestellt, dass es, wenn der Bedienstete auf Zeit bestreitet, gehört worden zu sein, der Anstellungsbehörde obliegt, den Nachweis dafür zu erbringen, dass es der betroffenen Person ermöglicht wurde, ihre Stellungnahme zur Absicht der Kommission, unter Berufung auf den Bruch des Vertrauensverhältnisses den mit ihr geschlossenen Vertrag aufzulösen, abzugeben.