URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

17. Januar 2019 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen – Richtlinie 98/26/EG – Geltungsbereich – Begriff ‚Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag‘ – Zahlungsauftrag, den ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos einem Kreditinstitut erteilt hat, das anschließend für zahlungsunfähig erklärt worden ist“

In der Rechtssache C‑639/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) mit Entscheidung vom 8. November 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 15. November 2017, in dem Verfahren

SIA „KPMG Baltics“ als Insolvenzverwalterin der AS „Latvijas Krājbanka“

gegen

SIA „Ķipars AI“

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Siebten Kammer T. von Danwitz (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Vierten Kammer, der Richterin K. Jürimäe sowie der Richter C. Lycourgos, E. Juhász und C. Vajda,

Generalanwalt: M. Szpunar,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der SIA „KPMG Baltics“ als Insolvenzverwalterin der AS „Latvijas Krājbanka“, Prozessbevollmächtigter: J. Ozoliņš,

der lettischen Regierung, vertreten durch I. Kucina und E. Petrocka-Petrovska als Bevollmächtigte,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und O. Serdula als Bevollmächtigte,

der italienischen Regierung, vertreten durch G. Palmieri als Bevollmächtigte im Beistand von G. Rocchitta, avvocato dello Stato,

der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe und I. Rubene als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen (ABl. 1998, L 166, S. 45) in der durch die Richtlinie 2009/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 (ABl. 2009, L 146, S. 37) geänderten Fassung (im Folgenden: Richtlinie 98/26).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der SIA „KPMG Baltics“ als Insolvenzverwalterin der AS „Latvijas Krājbanka“ und der SIA „Ķipars AI“ wegen der Ausführung eines von Letzterer der Latvijas Krājbanka erteilten Zahlungsauftrags.

Rechtlicher Rahmen

3

In den Erwägungsgründen 1 bis 4 der Richtlinie 98/26 heißt es:

„(1)

Im Lamfalussy-Bericht von 1990 an die G10-Zentralbankpräsidenten wurde das nicht zu unterschätzende Systemrisiko in Zahlungssystemen aufgezeigt, die auf der Grundlage verschiedener – insbesondere multilateraler – Formen der Aufrechnung (netting) von Zahlungsaufträgen arbeiten. Die Verringerung der rechtlichen Risiken im Zusammenhang mit der Teilnahme an Systemen, die auf der Basis der Bruttoabwicklung in Echtzeit (‚Real Time Gross Settlement‘) arbeiten, ist eine vorrangige Aufgabe, da diese Systeme immer mehr an Bedeutung gewinnen.

(2)

Es ist ferner überaus wichtig, das mit der Teilnahme an Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen verbundene Risiko zu vermindern, insbesondere wenn enge Beziehungen zwischen derartigen Systemen und Zahlungssystemen bestehen.

(3)

Diese Richtlinie soll zur effizienten und kostengünstigen Abwicklung grenzüberschreitender Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungsvereinbarungen in der Europäischen Gemeinschaft beitragen, was die Freiheit des Kapitalverkehrs im Binnenmarkt stärkt. …

(4)

Es ist wünschenswert, dass die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten darauf gerichtet sind, die Beeinträchtigung eines Systems im Fall von Insolvenzverfahren gegen einen Teilnehmer des betreffenden Systems so gering wie möglich zu halten.“

4

Art. 1 der Richtlinie bestimmt:

„Diese Richtlinie gilt

a)

für Systeme im Sinne des Artikels 2 Buchstabe a), die dem Recht eines Mitgliedstaates unterliegen und in einer beliebigen Währung, in Euro oder in verschiedenen Währungen, die das System gegenseitig konvertiert, arbeiten;

b)

für Teilnehmer eines solchen Systems;

c)

für dingliche Sicherheiten im Zusammenhang mit

der Teilnahme an einem System oder

Maßnahmen der Zentralbanken der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Zentralbank im Rahmen ihrer besonderen Aufgabenstellung als Zentralbanken.“

5

Art. 2 der Richtlinie sieht vor:

„Im Sinne dieser Richtlinie bezeichnet der Ausdruck

a)

‚System‘ eine förmliche Vereinbarung,

Die – ohne den Betreiber dieses Systems, einer etwaigen Verrechnungsstelle, zentralen Vertragspartei oder Clearingstelle oder eines etwaigen indirekten Teilnehmers – zwischen mindestens drei Teilnehmern getroffen wurde und gemeinsame Regeln und vereinheitlichte Vorgaben für das Clearing, mit oder ohne Einschaltung einer zentralen Vertragspartei, oder die Ausführung von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen zwischen den Teilnehmern vorsieht,

die dem Recht eines von den Teilnehmern gewählten Mitgliedstaats unterliegt; die Teilnehmer können sich jedoch nur für das Recht eines Mitgliedstaats entscheiden, in dem zumindest einer von ihnen seine Hauptverwaltung hat, und

die unbeschadet anderer, weitergehender einzelstaatlicher Vorschriften von allgemeiner Geltung als System angesehen wird und der Kommission von dem Mitgliedstaat, dessen Recht maßgeblich ist, gemeldet worden ist, nachdem der Mitgliedstaat sich von der Zweckdienlichkeit der Regeln des Systems überzeugt hat.

b)

‚Institut‘

Kreditinstitute im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 der [Richtlinie 2006/48/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 14. Juni 2006 über die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeit der Kreditinstitute (ABl. 2006, L 177, S. 1)] einschließlich der in Artikel 2 derselben Richtlinie bezeichneten Institute,

Wertpapierfirmen im Sinne des Artikels 4 Absatz 1 Nummer 1 der [Richtlinie 2004/39/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. April 2004 über Märkte für Finanzinstrumente, zur Änderung der Richtlinien 85/611/EWG und 93/6/EWG des Rates und der Richtlinie 2000/12/EG des Europäischen Parlaments und des Rates und zur Aufhebung der Richtlinie 93/22/EWG des Rates (ABl. 2004, L 145, S. 1)], mit Ausnahme der in Artikel 2 Absatz 1 derselben Richtlinie bezeichneten Institute,

öffentlich-rechtliche Körperschaften sowie Unternehmen, die mit einer öffentlichen Garantie ausgestattet sind, oder

Unternehmen mit Hauptverwaltung außerhalb der [Union], deren Tätigkeit der eines Kreditinstituts oder einer Wertpapierfirma der Gemeinschaft im Sinne des ersten und zweiten Gedankenstrichs entspricht,

die Teilnehmer eines Systems sind und für die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen aufgrund von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen innerhalb dieses Systems haften.

c)

‚zentrale Vertragspartei‘ eine Stelle, die in einem System zwischen den Instituten eingeschaltet ist und in Bezug auf die Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge dieser Institute als deren ausschließliche Vertragspartei fungierte;

d)

‚Verrechnungsstelle‘ eine Stelle, die Instituten und/oder einer zentralen Vertragspartei, die Teilnehmer von Systemen sind, Konten, über die die Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge innerhalb des Systems abgewickelt werden, zur Verfügung stellt und die diesen Instituten und/oder zentralen Vertragsparteien gegebenenfalls Kredit zum Zweck des Zahlungsausgleichs sowie des Ausgleichs von Verpflichtungen zur Lieferung von Wertpapieren gewährt;

e)

‚Clearingstelle‘ eine Organisation, die für die Berechnung der Nettopositionen der Institute, einer etwaigen zentralen Vertragspartei und/oder einer etwaigen Verrechnungsstelle zuständig ist;

f)

‚Teilnehmer‘ ein Institut, eine zentrale Vertragspartei, eine Verrechnungsstelle, eine Clearingstelle oder ein Systembetreiber.

Je nach den Regeln des Systems kann ein und derselbe Teilnehmer als zentrale Vertragspartei, als Verrechnungsstelle oder als Clearingstelle auftreten oder alle diese Funktionen ganz oder teilweise ausüben.

Ein Mitgliedstaat kann entscheiden, dass ein indirekter Teilnehmer für die Zwecke dieser Richtlinie als Teilnehmer betrachtet werden kann, wenn dies unter dem Gesichtspunkt des Systemrisikos gerechtfertigt ist. Gilt ein indirekter Teilnehmer unter dem Gesichtspunkt des Systemrisikos als Teilnehmer, wird die Verantwortlichkeit des Teilnehmers, über den der indirekte Teilnehmer Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge in das System einbringt, hierdurch nicht eingeschränkt;

g)

‚indirekter Teilnehmer‘ ein Institut, eine zentrale Vertragspartei, eine Verrechnungsstelle, eine Clearingstelle oder ein Systembetreiber mit einer vertraglichen Beziehung zu einem Teilnehmer eines Systems zur Ausführung von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen, wodurch der indirekte Teilnehmer in die Lage versetzt wird, Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge in das System einzubringen, sofern der indirekte Teilnehmer dem Systembetreiber bekannt ist;

i)

‚Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag‘

eine Weisung eines Teilnehmers, einem Endbegünstigten einen bestimmten Geldbetrag mittels Verbuchung auf dem Konto eines Kreditinstituts, einer Zentralbank, einer zentralen Vertragspartei oder einer Verrechnungsstelle zur Verfügung zu stellen, oder eine Weisung, die die Übernahme oder Erfüllung einer Zahlungsverpflichtung im Sinne der Regeln des Systems nach sich zieht (Zahlungsauftrag), oder

eine Weisung eines Teilnehmers, die auf die Übertragung des Eigentums an Wertpapieren oder eines Anspruchs auf Übereignung von Wertpapieren im Wege der Verbuchung oder auf sonstige Weise gerichtet ist (Übertragungsauftrag);

p)

‚Systembetreiber‘ die Stelle oder Stellen, die in rechtlicher Hinsicht für den Betrieb eines Systems verantwortlich sind. Ein Systembetreiber kann auch als Verrechnungsstelle, zentrale Vertragspartei oder Clearingstelle agieren.“

6

In Art. 3 der Richtlinie heißt es:

„(1)   Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge und Aufrechnungen (netting) sind rechtlich verbindlich und auch im Fall eines Insolvenzverfahrens gegen einen Teilnehmer Dritten gegenüber wirksam, sofern die Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß Artikel 6 Absatz 1 in das System eingebracht wurden. Dies gilt auch im Fall eines Insolvenzverfahrens gegen einen Teilnehmer (des betreffenden Systems oder eines interoperablen Systems) oder gegen den Betreiber eines interoperablen Systems, der selbst nicht Teilnehmer des Systems ist.

(3)   Der Zeitpunkt des Einbringens eines Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrags in ein System wird nach den Regeln des betreffenden Systems bestimmt. Enthält das für das System maßgebliche einzelstaatliche Recht Bestimmungen über den Zeitpunkt des Einbringens, so müssen die Regeln des Systems mit diesen Bestimmungen in Einklang stehen.

…“

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

7

Am 17. November 2011 erteilte Ķipars AI als Inhaberin eines gewöhnlichen Girokontos bei der Latvijas Krājbanka dieser den Auftrag, sämtliche auf diesem Girokonto verfügbaren Gelder auf ein anderes Konto, das sie bei einem anderen Bankinstitut unterhielt, zu übertragen. Dieser Auftrag wurde in das interne Abrechnungssystem der Latvijas Krājbanka eingebracht und die Gelder wurden vom von Ķipars AI dort unterhaltenen Girokonto abgebucht und zum Zweck der Übertragung auf einem Zwischenkonto der Latvijas Krājbanka verbucht. Der Zahlungsauftrag wurde jedoch nicht vollständig ausgeführt, da die Finanšu un kapitāla tirgus komisija (Finanz- und Kapitalmarktkommission, Lettland) einige Stunden später der Latvijas Krājbanka die Ausführung jeglicher Lastschriftgeschäfte mit einem Wert von mehr als 100000 Euro untersagte und diese Bank danach für zahlungsunfähig erklärt wurde. KPMG Baltics wurde zur Insolvenzverwalterin der Latvijas Krājbanka bestellt.

8

Nachdem das erstinstanzliche und das Berufungsgericht der von Ķipars AI erhobenen Klage auf Ausführung des Zahlungsauftrags stattgegeben hatten, legte KPMG Baltics beim vorlegenden Gericht Kassationsbeschwerde ein. Ķipars AI beruft sich im Kassationsbeschwerdeverfahren insbesondere auf die Bestimmungen der Richtlinie 98/26. Das vorlegende Gericht ist zwar grundsätzlich der Ansicht, dass diese Richtlinie in den Beziehungen zwischen Privatpersonen und Kreditinstituten und somit auf den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Zahlungsauftrag nicht anwendbar sei, hat insoweit aber gleichwohl Zweifel, da es annimmt, dass der Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie in Anbetracht der Natur der Übertragung der Gelder auch einen solchen Zahlungsauftrag erfassen könnte.

9

Unter diesen Umständen hat die Augstākā tiesa (Oberster Gerichtshof, Lettland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1.

Umfasst der Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26 einen Zahlungsauftrag, den ein Einleger einem Kreditinstitut zur Überweisung von Geldern an ein anderes Kreditinstitut erteilt hat?

2.

Falls die erste Frage bejaht wird: Ist Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie 98/26, wonach „Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge und Aufrechnungen (netting) … rechtlich verbindlich und auch im Fall eines Insolvenzverfahrens gegen einen Teilnehmer Dritten gegenüber wirksam [sind], sofern die Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens gemäß Artikel 6 Absatz 1 in das System eingebracht wurden, [und] [d]ies … auch im Fall eines Insolvenzverfahrens gegen einen Teilnehmer (des betreffenden Systems oder eines interoperablen Systems) oder gegen den Betreiber eines interoperablen Systems [gilt], der selbst nicht Teilnehmer des Systems ist“, dahin auszulegen, dass ein Auftrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende als „in das System eingebracht“ anzusehen ist und ausgeführt werden muss?

Zur Zuständigkeit des Gerichtshofs

10

KPMG Baltics und die lettische Regierung machen im Wesentlichen geltend, der Gerichtshof sei für die Beantwortung der Vorlagefragen nicht zuständig, da der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zahlungsauftrag nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie 98/26 falle und der Ausgangsrechtsstreit keinen Bezug zum Unionsrecht aufweise.

11

Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht mit seiner ersten Frage gerade feststellen möchte, ob der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zahlungsauftrag unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26 und somit in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt. Das Vorbringen von KPMG Baltics und der lettischen Regierung, wonach dieser Zahlungsauftrag nicht in den Geltungsbereich der Richtlinie falle, ist demzufolge untrennbar mit der Antwort verbunden, die auf die erste Frage zu geben ist, und lässt somit die Zuständigkeit des Gerichtshofs für die Beantwortung dieser Frage unberührt (vgl. entsprechend Urteile vom 10. September 2015, Wojciechowski, C‑408/14, EU:C:2015:591, Rn. 29, und vom 26. September 2018, Staatssecretaris van Veiligheid en justitie [Aufschiebende Wirkung des Rechtsmittels], C‑180/17, EU:C:2018:775, Rn. 19 und die dort angeführte Rechtsprechung).

12

Zum anderen wird die zweite Frage nur für den Fall gestellt, dass die erste Frage bejaht wird, d. h. für den Fall, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zahlungsauftrag in den Geltungsbereich der Richtlinie 98/26 fällt. Unter diesen Umständen kann auch die zweite Frage nicht als außerhalb der Zuständigkeit des Gerichtshofs liegend angesehen werden.

13

Der Gerichtshof ist daher für die Beantwortung der vorgelegten Fragen zuständig.

Zu den Vorlagefragen

14

Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob ein Zahlungsauftrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos einem Kreditinstitut zur Überweisung von Geldern an ein anderes Kreditinstitut erteilt hat, unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26 und somit in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt.

15

Wie aus den Erwägungsgründen 1 bis 4 der Richtlinie 98/26 hervorgeht, soll diese das Systemrisiko verringern und die Stabilität der Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssysteme gewährleisten, indem die Beeinträchtigung eines solchen Systems im Fall von Insolvenzverfahren gegen einen Teilnehmer des betreffenden Systems so gering wie möglich gehalten wird.

16

Zu diesem Zweck sieht die Richtlinie u. a. in Art. 3 Abs. 1 vor, dass Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge rechtlich verbindlich und auch im Fall eines Insolvenzverfahrens gegen einen Teilnehmer Dritten gegenüber wirksam sind, sofern sie vor dem Zeitpunkt der Eröffnung des Insolvenzverfahrens in das System eingebracht wurden.

17

Im vorliegenden Fall wurde der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Zahlungsauftrag von Ķipars AI als Inhaberin eines gewöhnlichen Girokontos bei der Latvijas Krājbanka dieser Bank erteilt, um sämtliche auf diesem Girokonto verfügbaren Gelder auf ein anderes Konto, das Ķipars AI bei einem anderen Kreditinstitut unterhielt, zu übertragen. Um bestimmen zu können, ob ein solcher Zahlungsauftrag unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26 und somit in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt, ist auf Art. 1 der Richtlinie, der deren Geltungsbereich betrifft, sowie auf die Begriffsbestimmungen in Art. 2 der Richtlinie Bezug zu nehmen.

18

Insoweit ist festzustellen, dass die Richtlinie 98/26 nach ihrem Art. 1 für Systeme im Sinne von Art. 2 Buchst. a gilt sowie für Teilnehmer eines solchen Systems und für dingliche Sicherheiten im Zusammenhang mit der Teilnahme an einem solchen System oder im Rahmen von Maßnahmen der Zentralbanken der Mitgliedstaaten oder der Europäischen Zentralbank im Rahmen ihrer besonderen Aufgabenstellung als Zentralbanken.

19

Art. 2 Buchst. a der Richtlinie bestimmt den Begriff „System“ dahin, dass er sich im Wesentlichen auf eine förmliche Vereinbarung bezieht, die zwischen mindestens drei Teilnehmern getroffen wurde und gemeinsame Regeln und vereinheitlichte Vorgaben für das Clearing oder die Ausführung von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen zwischen den Teilnehmern vorsieht.

20

Der Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ seinerseits bezieht sich, wie aus Art. 2 Buchst. a, b und i der Richtlinie 98/26 hervorgeht, ausschließlich auf Weisungen, die finanzielle Verpflichtungen nach sich ziehen und von Teilnehmern eines solchen Systems im Rahmen des betreffenden Systems anderen Teilnehmern erteilt werden, die für die Erfüllung dieser Verpflichtungen haften. Hingegen umfasst dieser Begriff nicht die Weisungen, die finanzielle Verpflichtungen nach sich ziehen und von Dritten außerhalb eines solchen Systems erteilt werden.

21

Diese Bedeutung des Begriffs „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ wird durch Art. 3 Abs. 1 der Richtlinie bestätigt, der den Schutz, der in dieser Vorschrift für Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge vorgesehen ist, an die Voraussetzung knüpft, dass diese „in das System eingebracht“ wurden.

22

Des Weiteren wird diese Bedeutung dadurch bestätigt, dass die Richtlinie, wie aus Rn. 15 des vorliegenden Urteils hervorgeht, ein genau bestimmtes und umschriebenes Ziel verfolgt, das darin besteht, das Systemrisiko zu verringern und die Stabilität der Systeme zu gewährleisten, auf die sich diese Richtlinie bezieht, indem die Auswirkungen von Insolvenzverfahren auf diese Systeme begrenzt werden. Soweit nämlich eine Weisung, die finanzielle Verpflichtungen nach sich zieht, in ein solches System nicht durch einen Teilnehmer des betreffenden Systems eingebracht wurde, wird durch die Nichterfüllung dieser Weisung wegen eines Insolvenzverfahrens weder ein Systemrisiko geschaffen noch beeinträchtigt dies die Stabilität eines solchen Systems. Es ginge daher über das hinaus, was zur Erreichung des mit der Richtlinie 98/26 verfolgten Ziels erforderlich ist, wenn der von dieser Richtlinie für die von den Teilnehmern solcher Systeme innerhalb dieser Systeme erteilten Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträge vorgesehene Schutz auf von Dritten außerhalb solcher Systeme erteilte Weisungen, die finanzielle Verpflichtungen nach sich ziehen, erweitert würde.

23

Um bestimmen zu können, ob ein Zahlungsauftrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende in den Geltungsbereich der Richtlinie 98/26 fällt, ist daher zu prüfen, ob er so angesehen werden kann, als sei er im Rahmen eines Systems im Sinne von Art. 2 Buchst. a dieser Richtlinie durch einen der Teilnehmer dieses Systems erteilt worden.

24

In Art. 2 Buchst. f der Richtlinie 98/26 sind die unter den Begriff „Teilnehmer“ fallenden Stellen abschließend aufgezählt. Es kann sich dabei um ein „Institut“, eine „zentrale Vertragspartei“, eine „Verrechnungsstelle“, eine „Clearingstelle“ oder einen „Systembetreiber“ handeln. Diese Stellen sind ihrerseits in Art. 2 Buchst. b bis e und p der Richtlinie genau definiert.

25

Aus den in den letztgenannten Bestimmungen enthaltenen Definitionen, die in Rn. 5 des vorliegenden Urteils angeführt sind, ergibt sich aber, dass ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos wie Ķipars AI keiner dieser Stellen entspricht. Insbesondere fällt ein solcher Inhaber eines Girokontos nicht unter den Begriff „Institut“, da sich dieser nach Art. 2 Buchst. b der Richtlinie nur auf die Stellen, die für die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen aufgrund von Zahlungs- bzw. Übertragungsaufträgen innerhalb eines Systems haften können, bezieht, zu denen u. a. Kreditinstitute und Wertpapierfirmen zählen.

26

Zwar räumt Art. 2 Buchst. f Unterabs. 3 der Richtlinie 98/26 den Mitgliedstaaten die Möglichkeit ein, zu entscheiden, dass ein indirekter Teilnehmer für die Zwecke dieser Richtlinie als Teilnehmer betrachtet werden kann, wenn dies unter dem Gesichtspunkt des Systemrisikos gerechtfertigt ist. Jedoch enthält die dem Gerichtshof vorliegende Akte keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, dass die Republik Lettland von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht hätte. Jedenfalls geht aus der Definition des Begriffs „indirekter Teilnehmer“ in Art. 2 Buchst. g der Richtlinie hervor, dass die Stellen, die unter diesen Begriff fallen können, dieselben sind wie diejenigen, auf die sich der Begriff „Teilnehmer“, wie er in Rn. 24 des vorliegenden Urteils dargelegt worden ist, bezieht, wobei der Unterschied zwischen einem Teilnehmer und einem indirekten Teilnehmer darin besteht, dass der Teilnehmer unmittelbar mit dem System verbunden ist, während der indirekte Teilnehmer dies nur über eine vertragliche Beziehung zu einem Teilnehmer ist. Da ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos wie Ķipars AI aber keiner dieser Stellen entspricht, kann er nicht als indirekter Teilnehmer im Sinne von Art. 2 Buchst. f der Richtlinie angesehen werden.

27

Ein von einem solchen Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos erteilter Zahlungsauftrag kann somit nicht so angesehen werden, als sei er von einem Teilnehmer eines Systems im Sinne von Art. 2 Buchst. a und f der Richtlinie 98/26 erteilt worden. Daraus folgt, dass – wie im Übrigen sämtliche Verfahrensbeteiligte geltend gemacht haben, die beim Gerichtshof schriftliche Erklärungen eingereicht haben – ein solcher Zahlungsauftrag nicht unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der genannten Richtlinie und somit auch nicht in deren Geltungsbereich fällt.

28

Nach alledem ist auf die erste Frage zu antworten, dass ein Zahlungsauftrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos einem Kreditinstitut zur Überweisung von Geldern an ein anderes Kreditinstitut erteilt hat, nicht unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26 und somit auch nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie fällt.

29

In Anbetracht der Antwort auf die erste Frage braucht die zweite Frage nicht beantwortet zu werden.

Kosten

30

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Ein Zahlungsauftrag wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehende, den ein Inhaber eines gewöhnlichen Girokontos einem Kreditinstitut zur Überweisung von Geldern an ein anderes Kreditinstitut erteilt hat, fällt nicht unter den Begriff „Zahlungs- bzw. Übertragungsauftrag“ im Sinne der Richtlinie 98/26/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. Mai 1998 über die Wirksamkeit von Abrechnungen in Zahlungs- sowie Wertpapierliefer- und ‑abrechnungssystemen in der durch die Richtlinie 2009/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 geänderten Fassung und somit auch nicht in den Geltungsbereich dieser Richtlinie.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Lettisch.