URTEIL DES GERICHTSHOFS (Vierte Kammer)

20. September 2018 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Grundfreiheiten – Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV – Richtlinie 2004/38/EG – Art. 22 und 24 – Vorkaufsrecht einer öffentlichen Stelle auf in ihrem räumlichen Tätigkeitsbereich belegene Grundstücke zwecks Schaffung von Sozialwohnungen – Wohnungen, die vorrangig an Privatpersonen vergeben werden, die ‚eine starke gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Bindung‘ zum räumlichen Tätigkeitsbereich der genannten Stelle haben – Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen – Unzulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens“

In der Rechtssache C‑343/17

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht von der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 19. Mai 2017, beim Gerichtshof eingegangen am 8. Juni 2017, in dem Verfahren

Fremoluc NV

gegen

Agentschap voor Grond- en Woonbeleid voor Vlaams-Brabant (Vlabinvest APB),

Vlaams Financieringsfonds voor Grond- en Woonbeleid voor Vlaams-Brabant (Vlaams Financieringsfonds),

Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen NV (VMSW),

Christof De Knop u. a.,

Beteiligte:

Vlaams Gewest,

erlässt

DER GERICHTSHOF (Vierte Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten T. von Danwitz (Berichterstatter), der Richter C. Vajda und E. Juhász, der Richterin K. Jürimäe sowie des Richters C. Lycourgos,

Generalanwältin: E. Sharpston,

Kanzler: L. Hewlett, Hauptverwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 3. Mai 2018,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

der Fremoluc NV, vertreten durch P. Peeters, R. van Cleemput, P. de Bandt und J. Dewispelaere, advocaten,

der Agentschap voor Grond- en Woonbeleid voor Vlaams-Brabant (Vlabinvest APB) und der Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen NV (VMSW), vertreten durch P. Hofströssler und V. Sagaert, advocaten,

des Vlaams Gewest, vertreten durch E. Cloots, S. Sottiaux und J. Roets, advocaten,

der tschechischen Regierung, vertreten durch M. Smolek, J. Vláčil und J. Pavliš als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch H. Tserepa-Lacombe, M. Kellerbauer, L. Malferrari und F. Wilman als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV sowie der Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 über das Recht der Unionsbürger und ihrer Familienangehörigen, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten frei zu bewegen und aufzuhalten, zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 und zur Aufhebung der Richtlinien 64/221/EWG, 68/360/EWG, 72/194/EWG, 73/148/EWG, 75/34/EWG, 75/35/EWG, 90/364/EWG, 90/365/EWG und 93/96/EWG (ABl. 2004, L 158, S. 77 mit Berichtigungen in ABl. 2004, L 229, S. 35 sowie ABl. 2005, L 197, S. 34).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Fremoluc NV auf der einen und der Agentschap voor Grond- en Woonbeeleid voor Vlaams-Brabant (Agentur für Grundstücks- und Wohnungswesen in Flämisch-Brabant, Belgien, im Folgenden: Vlabinvest APB), dem Vlaams Financieringsfonds voor Grond- en Woonbeleid voor Vlaams-Brabant (Flämischer Finanzierungsfonds für Grundstücks- und Wohnungswesen in Flämisch-Brabant, Belgien), der Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen NV (Flämische Gesellschaft für sozialen Wohnungsbau, Belgien, im Folgenden: VMSW), des Vlaams Gewest (Region Flandern, Belgien) sowie Christof De Knop u. a. (im Folgenden: Streitgenossen De Knop) auf der anderen Seite betreffend die Gültigkeit eines Vertrags über die Veräußerung von Immobilien durch die Streitgenossen De Knop an die Vlabinvest APB in Folge der Ausübung eines gesetzlichen Vorkaufsrechts durch Letztere für diese Immobilien.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Art. 22 („Räumlicher Geltungsbereich“) der Richtlinie 2004/38 sieht vor:

„Das Recht auf Aufenthalt und das Recht auf Daueraufenthalt erstrecken sich auf das gesamte Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats. Die Mitgliedstaaten können das Aufenthaltsrecht und das Recht auf Daueraufenthalt nur in den Fällen räumlich beschränken, in denen sie dieselben Beschränkungen auch für ihre eigenen Staatsangehörigen vorsehen.“

4

Art. 24 („Gleichbehandlung“) Abs. 1 dieser Richtlinie bestimmt:

„Vorbehaltlich spezifischer und ausdrücklich im Vertrag und im abgeleiteten Recht vorgesehener Bestimmungen genießt jeder Unionsbürger, der sich aufgrund dieser Richtlinie im Hoheitsgebiet des Aufnahmemitgliedstaats aufhält, im Anwendungsbereich des Vertrags die gleiche Behandlung wie die Staatsangehörigen dieses Mitgliedstaats. Das Recht auf Gleichbehandlung erstreckt sich auch auf Familienangehörige, die nicht die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaats besitzen und das Recht auf Aufenthalt oder das Recht auf Daueraufenthalt genießen.“

Belgisches Recht

5

Gemäß dem Decreet betreffende opdracht van de bevoegdheid inzake het voeren van een specifiek grond- en woonbeleid voor Vlaams-Brabant aan de Provincie Vlaams Brabant (Verordnung über die Übertragung der Zuständigkeit für eine besondere Grundstücks- und Wohnungspolitik in Flämisch-Brabant auf die Provinz Flämisch-Brabant) vom 31. Januar 2014 (Belgisches Staatsblatt vom 28. Februar 2014, S. 17461) ist die Vlabinvest APB für die Durchführung einer besonderen Grundstücks- und Wohnungspolitik in der Provinz Flämisch-Brabant (Belgien), einschließlich der Umsetzung von sozialen Wohnungsbauprojekten in den Gemeinden dieser Provinz, zuständig und verfügt dazu über ein Vorkaufsrecht für Grundstücke in Wohnungsrenovierungs- und ‑errichtungszonen in den 26 von der Vlaams regering (flämische Regierung, Belgien) bezeichneten Gemeinden ihres Zuständigkeitsbereichs.

6

Der Besluit houdende het provinciaal reglement betreffende de werking en het beheer van [Vlabinvest APB] (Erlass zur Provinzialverordnung über die Arbeitsweise und Verwaltung der Vlabinvest APB) vom 25. Februar 2014 (im Folgenden: Provinzialverordnung vom 25. Februar 2014) legt den Zuständigkeitsbereich der Vlabinvest APB mit 39 Gemeinden der Provinz Flämisch-Brabant fest, definiert ein Sozialprojekt als „Vorhaben, das zur Gänze oder teilweise von … der Vlabinvest APB im Hinblick auf die Zurverfügungstellung von Wohnungen oder Parzellen zu günstigen Bedingungen finanziert wurde oder wird“, und bestimmt die Einkommensvoraussetzungen für den Zugang zu den zur Vermietung und zum Verkauf angebotenen Wohnungen.

7

Art. 2 dieser Verordnung bestimmt:

„§1.   Der Vorstand der Vlabinvest APB bietet im Rahmen eines von der … Vlabinvest APB finanzierten sozialen Wohnungsbauprojekts Wohnungen und Parzellen zur Vermietung, langfristigen Vermietung (Erbpacht) oder zum Verkauf nach Prüfung der potenziellen Mieter, Erbpächter oder Käufer durch den Bewertungsausschuss an …

§2.   Hinsichtlich der Zurverfügungstellung von Wohnungen oder Grundstücken im Rahmen eines sozialen Wohnungsbauprojekts nach §1 … wird potenziellen Mietern, Erbpächtern oder Käufern, die eine starke gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Bindung zum räumlichen Tätigkeitsbereich haben, in jeder Phase des Projekts ein absoluter Vorrang eingeräumt.“

8

Art. 2/2 des Besluit van de Vlaamse regering betreffende de voorwaarden voor de overdracht van onroerende goederen door de Vlaamse Maatschappij voor Sociaal Wonen en de sociale huisvestingsmaatschappijen ter uitvoering van de Vlaamse Wooncode (Erlass der flämischen Regierung über die Bedingungen für die Übertragung von Grundstücken durch die Flämische Gesellschaft für Sozialwohnungen und die Gesellschaften für sozialen Wohnungsbau zur Durchführung des flämischen Wohnungsgesetzbuchs) vom 29. September 2006 (Belgisches Staatsblatt vom 13. November 2006, S. 60628) lautet in der durch den Besluit van de Vlaamse regering (Erlass der flämischen Regierung) vom 4. April 2014 (Belgisches Staatsblatt vom 11. Juli 2014, S. 53261) geänderten Fassung (im Folgenden: Erlass vom 29. September 2006):

„… [D]er Vorrang für die Überlassung von zu einem teilweise aus Mitteln … der Vlabinvest APB finanzierten Wohnungsbauprojekt gehörenden Wohnungen und Parzellen gilt erst nach Anwendung der in Art. 2/2 der [Provinzialverordnung vom 25. Februar 2014] … geregelten Priorität zugunsten von wohnungsbedürftigen Privatpersonen mit starker gesellschaftlicher, wirtschaftlicher, sozialer oder kultureller Bindung zum räumlichen Tätigkeitsbereich der Vlabinvest APB.

Diese Prioritätsregel dient der Deckung des Wohnbedarfs der am wenigsten begüterten einheimischen Bevölkerung in einer Region mit besonderen Schwierigkeiten auf dem Immobilienmarkt. …“

9

Dieselbe Prioritätsregel findet sich auch in Art. 17 Abs. 2 bis 6 des Besluit van de Vlaamse regering tot reglementering van het sociale huurstelsel ter uitvoering van titel VII van de Vlaamse Wooncode (Erlass der flämischen Regierung über die Regulierung des Systems der Sozialmiete zur Durchführung von Titel VII des flämischen Wohnungsgesetzbuchs) vom 12. Oktober 2007 (Belgisches Staatsblatt vom 7. Dezember 2007, S. 60428, im Folgenden: Erlass vom 12. Oktober 2007).

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

10

Am 9. Februar 2015 schloss die in Belgien ansässige Fremoluc als Käuferin mit den in demselben Mitgliedstaat ansässigen Streitgenossen De Knop als Verkäufer einen Kaufvertrag über mehrere Grundstücke in der Provinz Flämisch-Brabant unter der aufschiebenden Bedingung der Nichtausübung gesetzlicher Vorkaufsrechte ab. Die für das Grundstücks- und Wohnungswesen in dieser Provinz zuständige Vlabinvest APB übte ein solches Recht aus und erwarb die besagten Grundstücke am 14. Juli 2015, um sie danach am 31. Juli 2015 an die VMSW weiterzuveräußern, welche ihr am selben Tag ein Baurecht auf diesen Grundstücken einräumte.

11

Fremoluc erhob beim vorlegenden Gericht, der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien), Klage auf Nichtigerklärung der von der Vlabinvest APB am 14. und 31. Juli 2015 geschlossenen Verträge sowie auf Feststellung der vollen Wirksamkeit des Vertrags vom 9. Februar 2015. Sie bringt insbesondere vor, dass der Vertrag vom 14. Juli 2015 auf einem unzulässigen Grund beruhe, der seine absolute Nichtigkeit bewirke, nämlich die Umsetzung der Grundstückspolitik durch die dazu beauftragte Vlabinvest APB, die eine den Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV sowie den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 widersprechende Prioritätsregel vorsehe.

12

Die Vlabinvest APB, die VMSW sowie die Region Flandern vertreten hingegen die Auffassung, dass diese Bestimmungen im vorliegenden Fall insofern nicht anwendbar seien, als sich sämtliche Umstände des Rechtsstreits auf das Gebiet eines einzigen Mitgliedstaats, nämlich Belgien, beschränkten. Zudem finde diese Prioritätsregel erst im Stadium der Zuweisung der im Rahmen eines sozialen Wohnbauprojekts von der Vlabinvest APB zu schaffenden Parzellen und Wohnungen Anwendung. Die geltend gemachte etwaige Beschränkung sei demnach im Stadium des Ausgangsverfahrens irrelevant, da es dort um den Erwerb von Grundstücken im Hinblick auf die Durchführung eines solchen Projekts gehe.

13

Das vorlegende Gericht ist jedoch der Ansicht, dass zwar alle Elemente des Rechtsstreits im Ausgangsverfahren auf das belgische Staatsgebiet beschränkt seien, dieser aber dennoch nicht frei von jeglicher Verbindung mit einem Sachverhalt sei, auf den das Unionsrecht anwendbar sein könnte. Insbesondere weise die von Fremoluc beanstandete Prioritätsregelung zugleich zahlreiche Ähnlichkeiten wie auch beträchtliche Unterschiede zu jener in der Rechtssache in Rede stehenden Regelung auf, in der das Urteil vom 8. Mai 2013, Libert u. a. (C‑197/11 und C‑203/11, EU:C:2013:288), ergangen sei. Unter Verweis auf die Rn. 33 bis 35 jenes Urteils führt das vorlegende Gericht aus, dass diese Regel Privatpersonen und Unternehmer anderer Mitgliedstaaten zu berühren scheine und dass im Fall einer Nichtigerklärung der Verträge vom 14. und 31. Juli 2015 die Anwendung dieser Regel beim späteren Verkauf oder bei der späteren Vermietung der geschaffenen Parzellen und Wohnungen vermieden würde. Es sei allerdings nicht auszuschließen, dass der Gerichtshof im vorliegenden Fall entscheide, dass das Unionsrecht auf den Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens keine Anwendung finde.

14

Unter diesen Umständen hat die Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Sind die Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV und die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen, dass sie einer Regelung entgegenstehen, nach der eine öffentliche Stelle Grundstücke entwickelt mit dem Ziel, diese auf dem Markt für den Kauf und die Vermietung von Parzellen und Wohnungen vorrangig Personen, die eine starke gesellschaftliche, wirtschaftliche, soziale oder kulturelle Bindung zum räumlichen Tätigkeitsbereich dieser Stelle haben, zu günstigen Bedingungen anzubieten, wobei wie bei der Regelung

der Provinzialverordnung vom 25. Februar 2014 in Verbindung mit

Art. 2/2 des Erlasses vom 29. September 2006 sowie Art. 17 Abs. 2 bis 6 des Erlasses vom 12. Oktober 2007

einkommensbezogene Bedingungen gelten, die von diesen Personen überwiegend erfüllt werden können?

15

Am 9. März 2018 legten die Vlabinvest APB und die VMSW Berufung gegen die Vorlageentscheidung ein. Mit Urteil vom 24. April 2018 entschied der aufgrund der im nationalen Recht vorgesehenen Devolutivwirkung der Berufung zuständig gewordene Hof van beroep te Brussel (Berufungsgericht Brüssel, Belgien), das Ersuchen um Vorabentscheidung aufrechtzuerhalten.

Zulässigkeit des Vorabentscheidungsersuchens

16

Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV sowie die Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung entgegenstehen, die einer mit dem Grundstücks- und Wohnungswesen beauftragten öffentlichen Stelle ein Vorkaufsrecht zum Erwerb von Grundstücken einräumt, auf denen Sozialwohnungen errichtet werden sollen, und die vorsieht, dass diese Wohnungen nach einer Prioritätsregel zugewiesen werden sollen, die auf dem Bestehen einer starken Bindung der potenziellen Begünstigten zum räumlichen Tätigkeitsbereich dieser Stelle beruht.

17

Die Vlabinvest APB, die VMSW und die Region Flandern machen geltend, dass das Vorabentscheidungsersuchen unzulässig sei, da das Ausgangsverfahren keinerlei Verbindung mit dem Unionsrecht aufweise, was von Fremoluc, der tschechischen Regierung sowie der Europäischen Kommission bestritten wird.

18

Zunächst ist festzuhalten, dass das Vorabentscheidungsersuchen die Auslegung der Bestimmungen des AEU-Vertrags über die Freizügigkeit, die Niederlassungsfreiheit und den freien Kapitalverkehr sowie von dazu ergangenen Durchführungsrechtsakten in einer Konstellation betrifft, in der, wie das vorlegende Gericht selbst ausführt, alle Elemente des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens auf einen Mitgliedstaat beschränkt sind. Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs finden aber diese Bestimmungen des AEU-Vertrags sowie die zu ihrer Ausführung ergangenen Rechtsakte auf einen Sachverhalt, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, keine Anwendung (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 8. Mai 2013, Libert u. a., C‑197/11 und C‑203/11, EU:C:2013:288, Rn. 33 und die dort angeführte Rechtsprechung, sowie vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 47 und die angeführte Rechtsprechung).

19

Während, wie der Gerichtshof festgehalten hat, die Erhebung einer Vertragsverletzungsklage zur Folge hat, dass der Gerichtshof prüft, ob die gerügte nationale Maßnahme allgemein geeignet ist, die Wirtschaftsteilnehmer anderer Mitgliedstaaten davon abzuhalten, von den betreffenden Grundfreiheiten Gebrauch zu machen, besteht seine Aufgabe im Rahmen eines Vorabentscheidungsverfahrens darin, das vorlegende Gericht bei der Entscheidung des konkret bei ihm anhängigen Rechtsstreits zu unterstützen, was voraussetzt, dass diese Freiheiten in diesem Rechtsstreit geltend gemacht werden können, und dass somit feststeht, dass die entsprechenden Freiheiten auf diesen Rechtsstreit anwendbar sind (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 49, und Beschluss vom 31. Mai 2018, Bán, C‑24/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:376, Rn. 22).

20

In den Rn. 50 bis 53 des Urteils vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874), ist der Gerichtshof auf die vier Konstellationen eingegangen, in denen es sich, obwohl kein Merkmal der Ausgangsrechtsstreitigkeiten über die Grenzen eines einzelnen Mitgliedstaats hinausweist, zur Lösung dieser Rechtsstreitigkeiten dennoch als erforderlich erweisen kann, eine Auslegung der Bestimmungen der Verträge über die Grundfreiheiten vorzunehmen, weshalb dort diese Vorabentscheidungsersuchen für zulässig erklärt werden können.

21

Des Weiteren hat der Gerichtshof ausgeführt, dass er in diesen vier Konstellationen, wenn das vorlegende Gericht lediglich angibt, dass die fragliche nationale Regelung unterschiedslos für die Staatsangehörigen des betreffenden Mitgliedstaats und für die Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten gilt, nicht davon ausgehen kann, dass das nationale Gericht das Vorabentscheidungsersuchen bezüglich der die Grundfreiheiten betreffenden Vorschriften des AEU-Vertrags für die Entscheidung des bei ihm anhängigen Rechtsstreits benötigt. Die konkreten Merkmale, die es ermöglichen, einen Zusammenhang zwischen dem Gegenstand oder den Umständen eines Rechtsstreits, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen des betreffenden Mitgliedstaats hinausweisen, und diesen Bestimmungen herzustellen, müssen sich nämlich aus der Vorlageentscheidung ergeben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 54, Beschlüsse vom 27. April 2017, Emmea und Commercial Hub, C‑595/16, nicht veröffentlicht, EU:C:2017:320, Rn. 18, und vom 31. Mai 2018, Bán, C‑24/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:376, Rn. 17).

22

Der Gerichtshof hat hinzugefügt, dass es im Zusammenhang mit einem Sachverhalt wie dem im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, Sache des vorlegenden Gerichts ist, dem Gerichtshof den Anforderungen von Art. 94 seiner Verfahrensordnung entsprechend anzugeben, inwieweit der bei ihm anhängige Rechtsstreit trotz seines rein innerstaatlichen Charakters einen Anknüpfungspunkt bezüglich der Vorschriften des Unionsrechts betreffend die Grundfreiheiten aufweist, der die Auslegung im Wege der Vorabentscheidung, um die ersucht wird, für die Entscheidung dieses Rechtsstreits erforderlich macht (Urteile vom 15. November 2016, Ullens de Schooten, C‑268/15, EU:C:2016:874, Rn. 55, vom 8. Dezember 2016, Eurosaneamientos u. a., C‑532/15 und C‑538/15, EU:C:2016:932, Rn. 47, sowie Beschluss vom 31. Mai 2018, Bán, C‑24/18, nicht veröffentlicht, EU:C:2018:376, Rn. 18).

23

Im Übrigen spiegeln sich diese Anforderungen auch in den Empfehlungen des Gerichtshofs der Europäischen Union an die nationalen Gerichte bezüglich der Vorlage von Vorabentscheidungsersuchen (ABl. 2016, C 439, S. 1) wider.

24

Im vorliegenden Fall ist zunächst festzuhalten, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen keine Angabe darüber enthält, dass der im Ausgangsverfahren in Rede stehende Sachverhalt unter eine der in der Rechtsprechung nach den Urteilen vom 5. Dezember 2000, Guimont (C‑448/98, EU:C:2000:663), und vom 18. Oktober 1990, Dzodzi (C‑297/88 und C‑197/89, EU:C:1990:360), angesprochenen und in den Rn. 52 und 53 des Urteils vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874), wiedergegebenen Konstellationen fallen könnte. Vor allem führt das vorlegende Gericht weder an, dass es gemäß belgischem Recht verpflichtet wäre, Fremoluc dieselben Rechte zuzuerkennen, wie sie einem Angehörigen eines anderen Mitgliedstaats in gleicher Lage aufgrund des Unionsrechts zustünden, noch dass die Bestimmungen dieses Rechts vom belgischen Gesetzgeber für anwendbar erklärt worden wären.

25

Ferner ist der Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens auf die Nichtigerklärung eines zwischen Eigentümern mit Wohnsitz in Belgien und einer öffentlichen Stelle dieses Mitgliedstaats geschlossenen Kaufvertrags über in Belgien belegene Grundstücke sowie von in weiterer Folge zwischen öffentlichen Stellen dieses Mitgliedstaats abgeschlossenen Verträgen gerichtet und stellt einen konkreten zivilrechtlichen Rechtsstreit dar, der nur zu einer zwischen den Parteien wirksamen Entscheidung führen kann. Unter diesen Umständen fällt die vorliegende Rechtssache nicht unter die in dem vom vorlegenden Gericht herangezogenen Urteil vom 8. Mai 2013, Libert u. a. (C‑197/11 und C‑203/11, EU:C:2013:288), angesprochene Konstellation.

26

In der Rechtssache, in der jenes Urteil ergangen ist, war der Gerichtshof nämlich von der Cour constitutionnelle de Belgique (belgischer Verfassungsgerichtshof) im Rahmen eines Verfahrens zur Nichtigerklärung von Bestimmungen angerufen worden, die nicht nur für nationale Staatsangehörige galten, sondern auch für Angehörige anderer Mitgliedstaaten, was bedeutete, dass die Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs in Folge des Urteils des Gerichtshofs auch Wirkungen hinsichtlich der Angehörigen anderer Mitgliedstaaten erzeugte. Daraus folgt, dass das Vorabentscheidungsersuchen auch nicht von der in Rn. 51 des Urteils vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874), genannten Konstellation erfasst wird.

27

Schließlich gilt es zu beurteilen, ob das Vorabentscheidungsersuchen unter die Konstellation fallen könnte, die der Rechtsprechung entspricht, die aus dem in Rn. 50 des Urteils vom 15. November 2016, Ullens de Schooten (C‑268/15, EU:C:2016:874), erwähnten Urteil vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez (C‑570/07 und C‑571/07, EU:C:2010:300), hervorgegangen ist. Insoweit ist zu betonen, dass die Zulässigkeit eines solchen Ersuchens den in den Rn. 54 und 55 des erstgenannten Urteils aufgeführten Anforderungen unterliegt.

28

Aus diesen Anforderungen folgt, dass für die Annahme einer solchen Verbindung die bloße Behauptung durch das vorlegende Gericht, dass es nicht auszuschließen sei, dass in anderen Mitgliedstaaten ansässige Staatsangehörige Interesse daran gehabt oder noch hätten, von den unionsrechtlichen Bestimmungen über die Grundfreiheiten Gebrauch zu machen, um in dem Mitgliedstaat, der die betreffende nationale Regelung erlassen habe, Tätigkeiten auszuüben, und dass folglich diese unterschiedslos auf Inländer und Staatsangehörige anderer Mitgliedstaaten anwendbare Regelung Wirkungen entfalten könne, nicht ausreichend ist.

29

Aus dem Vorabentscheidungsersuchen müssen nämlich die konkreten Umstände hervorgehen, d. h. nicht hypothetische, sondern sichere Indizien wie etwa Beschwerden oder Klagen, die von in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Wirtschaftsteilnehmern erhoben wurden oder an denen Angehörige dieser Staaten beteiligt sind, die die positive Bestimmung der geforderten Verbindung ermöglichen. Insbesondere kann sich das vorlegende Gericht nicht darauf beschränken, dem Gerichtshof Angaben vorzulegen, anhand deren sich eine solche Verbindung nicht ausschließen lässt oder die – abstrakt betrachtet – dafür sprechen könnten, sondern es muss vielmehr objektive und übereinstimmende Angaben vorlegen, die es dem Gerichtshof ermöglichen, das Bestehen dieser Verbindung zu überprüfen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 6. Oktober 2016, Tecnoedi Costruzioni, C‑318/15, EU:C:2016:747, Rn. 20 und 22, sowie vom 19. April 2018, Oftalma Hospital, C‑65/17, EU:C:2018:263, Rn. 39 und 40).

30

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen beschränkt sich aber darauf, zu erwähnen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehende Prioritätsregel Privatpersonen und Unternehmer anderer Mitgliedstaaten zu berühren scheine, ohne solche konkreten Umstände näher auszuführen. Insbesondere findet sich im Vorabentscheidungsersuchen keine Angabe, die die Feststellung eines Interesses von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten, wie etwa von Konkurrenten von Fremoluc, an der Inanspruchnahme der betreffenden Grundfreiheiten im vorliegenden Fall ermöglichen würde.

31

Daraus folgt, dass im Rahmen der vorliegenden Rechtssache keine der vier in Rn. 20 des vorliegenden Urteils angesprochenen Konstellationen, in denen es sich zur Entscheidung des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens als erforderlich erweisen könnte, eine Auslegung der Vertragsbestimmungen über die Grundfreiheiten vorzunehmen, zur Anwendung gelangen kann. Zu den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38 ist festzuhalten, dass diese allein die Voraussetzungen regelt, unter denen ein Unionsbürger in andere Mitgliedstaaten als in den seiner eigenen Staatsangehörigkeit einreisen und sich dort aufhalten darf (Urteil vom 5. Juni 2018, Coman u. a., C‑673/16, EU:C:2018:385, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung). Dem Vorabentscheidungsersuchen lässt sich in keiner Weise entnehmen, dass am Rechtsstreit des Ausgangsverfahrens Angehörige anderer Mitgliedstaaten als des Königreichs Belgien beteiligt wären.

32

Unter diesen Gegebenheiten zeigt das Vorabentscheidungsersuchen nicht auf, dass zwischen dem Gegenstand oder den Umständen des Rechtsstreits des Ausgangsverfahrens, dessen Merkmale sämtlich nicht über die Grenzen eines Mitgliedstaats hinausweisen, und den Art. 21, 45, 49 und 63 AEUV sowie den Art. 22 und 24 der Richtlinie 2004/38, um deren Auslegung ersucht wird, eine Verbindung besteht.

33

Im Hinblick auf all diese Erwägungen ist festzustellen, dass das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen unzulässig ist.

Kosten

34

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem beim vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Das von der Nederlandstalige rechtbank van eerste aanleg Brussel (Niederländischsprachiges Gericht erster Instanz Brüssel, Belgien) mit Entscheidung vom 19. Mai 2017 eingereichte Vorabentscheidungsersuchen ist unzulässig.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Niederländisch.