SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS
MACIEJ SZPUNAR
vom 12. Dezember 2018 ( 1 )
Rechtssache C‑476/17
Pelham GmbH,
Moses Pelham,
Martin Haas
gegen
Ralf Hütter,
Florian Schneider-Esleben
(Vorabentscheidungsersuchen des Bundesgerichtshofs [Deutschland])
„Vorlage zur Vorabentscheidung – Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Vervielfältigungsrecht – Vervielfältigung winziger Ausschnitte aus einem Tonträger (Sampling) – Freie Nutzung eines Werks – Berücksichtigung der Grundrechte der Charta der Grundrechte der Europäischen Union“
Einleitung
1. |
Das Sampling (elektronisches Kopieren von Musikfragmenten) ist eine Technik, die darin besteht, einem Tonträger mit Hilfe elektronischer Geräte Auszüge („Samples“ oder „Musikfragmente“; daher der Name dieser Technik) zu entnehmen, um sie als Bestandteile einer neuen Komposition auf einem anderen Tonträger zu verwenden. Bei ihrer Weiterverwendung werden diese Auszüge häufig gemischt, verändert und als Dauerschleife wiederholt, so dass sie in dem neuen Werk mehr oder weniger gut erkennbar sind. Ferner ist darauf hinzuweisen, dass es sich um Auszüge unterschiedlicher Länge handeln kann, deren Dauer von weniger als einer Sekunde bis zu mehreren Dutzend Sekunden reicht. Das Sampling ist daher eine Erscheinung, die eine Reihe von Facetten aufweisen kann, was ihre rechtliche Einordnung natürlich nicht gerade erleichtert ( 2 ). |
2. |
Während die Weiterverwendung früherer Werke durch Komponisten so alt sein dürfte wie die Musik selbst, ist das Sampling ein neues Phänomen, das durch die modernen Verfahren der zunächst analogen und gegenwärtig digitalen Aufzeichnung und Veränderung von Tönen ermöglicht wurde. Im Gegensatz zur Übernahme eines Fragments eines anderen Werks bei der Komposition eines neuen Werks beruht die Idee des Sampling nämlich darauf, die Töne unmittelbar einem Tonträger, d. h. einem dargebotenen und aufgezeichneten Werk, zu entnehmen, um sie in den Tonträger einzufügen, der das neue Werk enthält. Somit ist das Sampling ein spezifisches Phänomen auf Tonträgern aufgezeichneter Musik. Mit anderen Worten: Das Kopieren von Fragmenten der Notation eines Musikwerks, um es in die Notation eines neuen Musikwerks einzufügen und es anschließend anhand dieser Notation darzubieten, ist kein Sampling. |
3. |
Auch wenn das Sampling in jeder Musikgattung verwendet werden kann, ist es insbesondere in der Hip-Hop- und Rapmusik, die in den 1970er Jahren in den Arbeitervierteln von New York aufkam, von besonderer Bedeutung ( 3 ). Diese Musik hat ihren Ursprung in der Praxis der Discjockeys („Plattenreiter“), die Töne von auf Schallplatten aufgezeichneten Musiktiteln aneinanderreihten, veränderten und miteinander mischten. Aus dieser Praxis gingen echte abgeleitete Eigenkompositionen hervor. Somit ist das Sampling die Grundlage dieser Musikgattungen. Bestimmte Werke können sogar nur aus einer Mischung von Samples bestehen. |
4. |
Trotz seiner bedeutenden Rolle in diesem neuen Musikschaffen stellt das Sampling eine echte juristische Herausforderung dar, insbesondere seit dem Zeitpunkt, als der Hip-Hop die Straßen der Bronx verließ, um in den Mainstream einzufließen und seinen Urhebern, Interpreten und Produzenten nicht unerhebliche Einnahmequellen zu erschließen. Die Schwierigkeit, dieses Phänomen rechtlich einzuordnen, liegt darin begründet, dass es sich nicht um die im Urheberrecht klassische Beziehung zwischen zwei Werken handelt, sondern um die Beziehung zwischen einem Tonträger, einem kommerziellen Produkt, und einem Werk, einem Ergebnis künstlerischen Schaffens. Der Künstler, der auf das Sampling zurückgreift, lässt sich nicht nur vom Schaffen eines anderen inspirieren, sondern eignet sich zugleich das Ergebnis der Bemühungen und verlegerischen Investitionen an, die der Tonträger darstellt. Diese für das Urheberrecht völlig neuartige Konfiguration ( 4 ) bringt Faktoren wie zum einen die verwandten Schutzrechte der Tonträgerhersteller und zum anderen die schöpferische Freiheit der „Sampler“ ins Spiel. |
5. |
Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen, das die Problematik des Sampling in den Fokus des Unionsrechts rückt, ist der Endpunkt einer langen Odyssee durch die nationale Gerichtsbarkeit ( 5 ), in deren Verlauf sich schon zwei der höchsten deutschen Gerichte geäußert haben. Nunmehr ist es der Gerichtshof, der in dieser Auseinandersetzung, bei der sich die künstlerische Freiheit „postmoderner Art“ und das gute alte Eigentumsrecht gegenüberstehen, das Wort zu ergreifen hat. |
Rechtsrahmen
Unionsrecht
6. |
Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 22. Mai 2001 zur Harmonisierung bestimmter Aspekte des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte in der Informationsgesellschaft ( 6 ) bestimmt: „Die Mitgliedstaaten sehen für folgende Personen das ausschließliche Recht vor, die unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte Vervielfältigung auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise zu erlauben oder zu verbieten: …
…“ |
7. |
Art. 5 Abs. 3 Buchst. d, k und o und Abs. 5 dieser Richtlinie lauten: „(3) Die Mitgliedstaaten können in den folgenden Fällen Ausnahmen oder Beschränkungen in Bezug auf die in den Artikeln 2 und 3 vorgesehenen Rechte vorsehen: …
…
…
… (5) Die in den Absätzen 1, 2, 3 und 4 genannten Ausnahmen und Beschränkungen dürfen nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden.“ |
8. |
Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 12. Dezember 2006 zum Vermietrecht und Verleihrecht sowie zu bestimmten dem Urheberrecht verwandten Schutzrechten im Bereich des geistigen Eigentums ( 7 ) bestimmt: „(1) Die Mitgliedstaaten sehen das ausschließliche Recht, die in den Buchstaben a bis d genannten Schutzgegenstände sowie Kopien davon der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise zur Verfügung zu stellen (nachstehend ‚Verbreitungsrecht‘ genannt), wie folgt vor: …
…“ |
9. |
Art. 10 Abs. 2 Unterabs. 1 dieser Richtlinie lautet: „(2) Unbeschadet des Absatzes 1 kann jeder Mitgliedstaat für den Schutz der ausübenden Künstler, Tonträgerhersteller, Sendeunternehmen und Hersteller der erstmaligen Aufzeichnungen von Filmen Beschränkungen der gleichen Art vorsehen, wie sie für den Schutz des Urheberrechts an Werken der Literatur und der Kunst vorgesehen sind.“ |
Das deutsche Recht
10. |
Die Richtlinien 2001/29 und 2006/115 sind durch das Gesetz über Urheberrecht und verwandte Schutzrechte – Urheberrechtsgesetz vom 9. September 1965 (im Folgenden: UrhG) in deutsches Recht umgesetzt worden. Die Rechte der Tonträgerhersteller sind nach § 85 Abs. 1 dieses Gesetzes geschützt. |
11. |
§ 24 UrhG enthält eine allgemeine Ausnahme vom Urheberrecht, die wie folgt lautet: „(1) Ein selbständiges Werk, das in freier Benutzung des Werkes eines anderen geschaffen worden ist, darf ohne Zustimmung des Urhebers des benutzten Werkes veröffentlicht und verwertet werden. (2) Absatz 1 gilt nicht für die Benutzung eines Werkes der Musik, durch welche eine Melodie erkennbar dem Werk entnommen und einem neuen Werk zugrunde gelegt wird.“ |
Sachverhalt, Verfahren und Vorlagefragen
12. |
Herr Ralf Hütter und Herr Florian Schneider-Esleben, die Kläger erster Instanz und Revisionsbeklagten im Ausgangsrechtsstreit (im Folgenden: die Revisionsbeklagten), sind Mitglieder der Musikgruppe Kraftwerk. Diese hat 1977 einen Tonträger veröffentlicht, der das Werk „Metall auf Metall“ enthält. Die Revisionsbeklagten sind Hersteller dieses Tonträgers, zugleich aber auch die Interpreten des in Rede stehenden Werks, und Herr Hütter ist auch dessen Urheber (Komponist). |
13. |
Die Gesellschaft deutschen Rechts Pelham GmbH, die Beklagte erster Instanz und Revisionsklägerin im Ausgangsrechtsstreit, ist Herstellerin eines Tonträgers, der das Werk „Nur mir“ enthält, das u. a. von der Sängerin Sabrina Setlur interpretiert wird. Herr Moses Pelham und Herr Martin Haas, ebenfalls Beklagte erster Instanz und Revisionskläger im Ausgangsrechtsstreit, sind die Urheber dieses Werks. |
14. |
Die Revisionsbeklagten machen geltend, dass die Pelham GmbH sowie Herr Pelham und Herr Haas (im Folgenden zusammen: die Revisionskläger) mit Hilfe der Sampling-Technik etwa zwei Sekunden einer rhythmischen Tonfolge des Titels „Metall auf Metall“ kopiert und in fortlaufender Wiederholung in den Titel „Nur mir“ integriert hätten. Sie sind der Auffassung, damit hätten die Revisionskläger das ihnen als Herstellern des in Rede stehenden Tonträgers zustehende verwandte Schutzrecht verletzt. Hilfsweise berufen sich die Revisionsbeklagten auf das ihnen als Interpreten zustehende Urheberrecht sowie auf die Verletzung des Urheberrechts von Herrn Hütter an dem musikalischen Werk. Äußerst hilfsweise machen die Revisionsbeklagten einen Verstoß gegen das Wettbewerbsrecht geltend. Im Verfahren vor dem vorlegenden Gericht geht es jedoch ausschließlich um die Rechte der Revisionsbeklagten als Hersteller des Tonträgers. |
15. |
Die Revisionsbeklagten beantragten Unterlassung, Schadensersatz, Auskunftserteilung und Herausgabe der Tonträger zum Zweck ihrer Vernichtung. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage statt; die Berufung der Revisionskläger wurde zurückgewiesen. Auf die Revision der Revisionskläger hob das vorlegende Gericht das Urteil des Berufungsgerichts mit Urteil vom 20. November 2008 auf und verwies die Sache zur erneuten Prüfung an das Berufungsgericht zurück. Das Berufungsgericht wies die Berufung der Revisionskläger erneut zurück. Die erneute Revision, die die Revisionskläger einlegten, wurde diesmal durch Urteil des vorlegenden Gerichts vom 13. Dezember 2012 zurückgewiesen. Das Bundesverfassungsgericht (Deutschland) hob dieses Urteil auf und verwies die Sache an das vorlegende Gericht zurück ( 8 ). |
16. |
Unter diesen Umständen hat der Bundesgerichtshof (Deutschland) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
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17. |
Das Vorabentscheidungsersuchen ist am 4. August 2017 beim Gerichtshof eingegangen. Die Parteien des Ausgangsverfahrens, die deutsche und die französische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht. Sie waren auch in der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2018 vertreten. |
Würdigung
18. |
In der vorliegenden Rechtssache stellt der Bundesgerichtshof dem Gerichtshof eine Reihe von Vorlagefragen zur Auslegung des Unionsrechts im Bereich des Urheberrechts und der verwandten Schutzrechte sowie im Bereich der Grundrechte bei Vorliegen von Umständen wie denen des Ausgangsrechtsstreits. Ich werde diese Fragen in der Reihenfolge untersuchen, in der sie gestellt wurden. |
Zur ersten Vorlagefrage
19. |
Mit seiner ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Entnahme eines Ausschnitts eines Tonträgers zur Verwendung auf einem anderen Tonträger (Sampling) einen Eingriff in das ausschließliche Recht des Herstellers des ersten Tonträgers darstellt, die Vervielfältigung seines Tonträgers im Sinne dieser Bestimmung zu erlauben oder sie zu verbieten, wenn sie ohne seine Erlaubnis erfolgt. |
20. |
Die Beteiligten, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, vertreten hierzu gegensätzliche Auffassungen. Während die Revisionsbeklagten und die französische Regierung vorschlagen, diese Frage zu bejahen, schlagen die Revisionskläger, die anderen Regierungen sowie die Kommission vor, sie zu verneinen. Vor einer Analyse der verschiedenen vorgebrachten Argumente erscheint es mir angebracht, eine Vorfrage zu prüfen. |
Vorbemerkung – Zeitlicher Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29
21. |
Das vorlegende Gericht stellt fest, dass sich der zeitliche Anwendungsbereich der Richtlinie 2001/29 nach ihrem Art. 10 auf Nutzungshandlungen nach dem 22. Dezember 2002 beschränkt, der streitige Tonträger mit dem Musikstück „Nur mir“ aber 1997 erschienen ist. |
22. |
Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2001/29 nach ihrem Art. 10 Abs. 1 auf alle Werke und Schutzgegenstände Anwendung findet, die am 22. Dezember 2002 durch die Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten geschützt waren, was bei dem Tonträger der Revisionsbeklagten der Fall ist. |
23. |
Es trifft zwar zu, dass die Richtlinie 2001/29 nach ihrem Art. 10 Abs. 2 Handlungen und Rechte, die vor dem 22. Dezember 2002 abgeschlossen bzw. erworben wurden, nicht berührt. Ferner trifft es zu, dass der Gerichtshof auf der Grundlage dieser Vorschrift entschieden hat, dass sich diese Richtlinie nicht auf die Nutzungen von Werken und sonstigen Schutzgegenständen auswirkt, die vor diesem Zeitpunkt erfolgten ( 9 ). Dem vorlegenden Gericht zufolge war der im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehende Tonträger jedoch auch nach dem 22. Dezember 2002 Gegenstand von Verwertungshandlungen. Auf diese Handlungen ist die Richtlinie 2001/29 somit anwendbar. |
24. |
Nach dieser Klarstellung wende ich mich nunmehr der sachlichen Prüfung der ersten Vorlagefrage zu. |
Materiell-rechtliche Würdigung
25. |
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Revisionskläger einen etwa zwei Sekunden langen Ausschnitt aus der Rhythmussequenz des Tonträgers des Werks „Metall auf Metall“ reproduziert und dem Tonträger des Werks „Nur mir“ mit minimalen Veränderungen und in erkennbarer Weise als in einer Dauerschleife wiederholte Rhythmussequenz unterlegt haben ( 10 ). |
26. |
Meines Erachtens steht außer Frage, dass eine solche Handlung eine Vervielfältigung im Sinne von Art. 2 der Richtlinie 2001/29 darstellt, weil diese Vorschrift, wie bereits ausgeführt, jede „unmittelbare oder mittelbare, vorübergehende oder dauerhafte … auf jede Art und Weise und in jeder Form ganz oder teilweise“ vorgenommene Vervielfältigung des Schutzgegenstands betrifft. Im Fall des Sampling handelt es sich (zumeist) um eine unmittelbare und dauerhafte Vervielfältigung eines Teils eines Tonträgers mit digitalen Mitteln und in digitaler Form. Somit scheint hinreichend klar zu sein, dass eine solche Handlung ein Eingriff in das Recht der Hersteller des in Rede stehenden Tonträgers ist, eine solche Vervielfältigung zu erlauben oder zu verbieten, wenn sie ohne ihre Erlaubnis erfolgt. |
27. |
Jedoch tragen die Revisionskläger des Ausgangsrechtsstreits, bestimmte Regierungen, die Erklärungen eingereicht haben, sowie die Kommission eine Reihe von Argumenten vor, um darzulegen, dass dieses Recht der Hersteller so zu beschränken sei, dass Vervielfältigungshandlungen, wie sie im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehen, nicht unter dieses ausschließliche Recht fallen. |
– Die Mindestschwelle
28. |
Diese Beteiligten stellen erstens eine Analogie zur Rechtsprechung des Gerichtshofs in Bezug auf den urheberrechtlichen Schutz von Auszügen aus Werken her. Der Gerichtshof hat nämlich entschieden, dass sich der Schutz des Urheberrechts auf Werke als geistige Schöpfung ihrer Urheber bezieht. Somit können Auszüge aus einem Werk unter der Voraussetzung urheberrechtlich geschützt sein, dass sie bestimmte Elemente enthalten, die die eigene geistige Schöpfung ihres Urhebers zum Ausdruck bringen ( 11 ). Da das Recht der Tonträgerhersteller nicht die geistige Schöpfung schützt, sondern die finanzielle Investition, machen bestimmte Beteiligte in der vorliegenden Rechtssache geltend, dass dieses Recht nur Auszüge aus Tonträgern schütze, die lang genug seien, um Ausdruck dieser Investition zu sein. Folglich bedrohe die Entnahme sehr kurzer Auszüge im Fall des Sampling nicht die finanziellen Interessen der Tonträgerhersteller und falle daher nicht unter ihr ausschließliches Recht. Demnach soll der Schutz der Rechte von Tonträgerherstellern – wie auch das Recht der Urheber – nach Auffassung einiger Beteiligter einer Mindestschwelle unterliegen. |
29. |
Dieses Vorbringen beruht meines Erachtens auf einem falschen Verständnis der oben genannten Rechtsprechung des Gerichtshofs. Was das Urteil Infopaq International betrifft, hat der Gerichtshof festgestellt, dass die in jener Rechtssache in Rede stehenden literarischen Werke aus Wörtern bestanden, die einzeln betrachtet nicht vom Schutz des Urheberrechts erfasst wurden. Allein ihre originelle Zusammenstellung war als geistige Schöpfung des Werkurhebers geschützt ( 12 ). Diese Feststellung liegt auf der Hand: Der Urheber eines literarischen Werks kann sich geläufige Wörter oder Wendungen nicht aneignen, ebenso wie der Komponist an den Noten oder der Maler an den Farben kein ausschließliches Recht geltend machen kann. Dies ist jedoch in keiner Weise Ausdruck der Anerkennung einer Mindestschwelle beim urheberrechtlichen Schutz von Werken, sondern lediglich die Folge der Definition des Werks im Sinne des Urheberrechts als einer geistigen Schöpfung seines Urhebers. Wenn der Gerichtshof in diesem Urteil entschieden hat, dass die Vervielfältigung eines aus nur elf Wörtern bestehenden Auszugs aus einem Presseartikel vom ausschließlichen Recht nach Art. 2 der Richtlinie 2001/29 erfasst sein kann ( 13 ), fällt es daher schwer, darin die Anerkennung irgendeiner Mindestschwelle zu sehen. |
30. |
Die Erwägungen, die der Gerichtshof im Hinblick auf Auszüge aus einem Werk angestellt hat, lassen sich jedoch nicht auf Tonträger übertragen. Ein Tonträger ist nämlich keine geistige Schöpfung, die aus einer Anordnung von Bestandteilen wie Wörtern, Tönen, Farben usw. besteht. Der Tonträger ist eine Aufzeichnung von Tönen, die nicht wegen der Anordnung der Töne, sondern wegen dieser Aufzeichnung geschützt ist. Folglich kann zwar im Fall eines Werks zwischen nicht schutzfähigen Bestandteilen wie Wörtern, Tönen, Farben usw. und dem Schutzobjekt in Gestalt der originellen Anordnung dieser Bestandteile unterschieden werden; im Fall eines Tonträgers ist eine solche Unterscheidung hingegen nicht möglich. Der Tonträger setzt sich nicht aus kleinen Partikeln zusammen, die ihrerseits nicht schutzfähig sind: Er wird als unteilbares Ganzes geschützt. Außerdem unterliegt der Tonträger keinem Erfordernis der Originalität, weil er im Gegensatz zum Werk nicht wegen seiner schöpferischen Eigenart, sondern wegen der finanziellen und organisatorischen Investition geschützt wird. Mit anderen Worten kann ein Urheber einen Ton oder ein Wort nicht wegen seiner Aufnahme in ein Werk monopolisieren. Demgegenüber stellen derselbe von einem Musiker dargebotene Ton oder dasselbe laut vorgelesene Wort, sobald sie aufgezeichnet sind, einen Tonträger dar, der einem dem Urheberrecht verwandten Schutzrecht unterliegt. Die Vervielfältigung einer solchen Aufzeichnung unterliegt daher dem ausschließlichen Recht des Herstellers dieses Tonträgers. Allerdings steht es jedermann frei, denselben Ton selbst zu erzeugen. |
31. |
Es trifft zwar zu, dass die Rechtsprechung der Gerichte der Vereinigten Staaten in Bezug auf das Sampling eine der Mindestschwelle vergleichbare Vorstellung entwickelt hat ( 14 ). Dabei handelt es sich jedoch um ein juristisches Umfeld, das sich vom kontinentaleuropäischen Recht und vom Unionsrecht grundlegend unterscheidet. Im amerikanischen Recht sind Tonträger nämlich in gleicher Weise wie Werke und andere Schutzgegenstände durch das Copyright geschützt. Sie müssen daher ein Mindestmaß an Originalität aufweisen. Bei all diesen Schutzgegenständen ist das Bestehen einer Mindestschwelle seit dem 19. Jahrhundert weithin anerkannt und stellt eines der Beurteilungskriterien für die allgemeine Ausnahme des fair use dar ( 15 ). Die von den amerikanischen Gerichten angestellten Erwägungen lassen sich daher meines Erachtens nicht auf das Unionsrecht übertragen. |
32. |
Außerdem dürfte eine Mindestschwelle zu erheblichen Problemen der praktischen Anwendung führen. Zunächst einmal müsste eine Mindestschwelle festgelegt werden. Soll diese ausschließlich quantitativ sein (Dauer des vervielfältigten Auszugs) oder auch qualitativ (Bedeutung des Auszugs für das betreffende Werk)? Sollte sie im Übrigen im Verhältnis zum ursprünglichen Tonträger, zum Zielwerk oder zu beiden bemessen werden? Nimmt man die Tonträger, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, als Beispiel, hat der von den Revisionsklägern entnommene Ausschnitt eine Dauer von etwa zwei Sekunden. Er scheint daher grundsätzlich unter eine Mindestschwelle fallen zu können, wie bestimmte an der vorliegenden Rechtssache Beteiligte geltend machen. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass die in Rede stehenden Tonträger Werke enthalten, die zwei Musikgattungen angehören – der elektronischen Musik im Fall von „Metall auf Metall“ und dem Rap im Fall von „Nur mir“ –, bei denen der Rhythmus eine prägende Rolle für die Komposition der Werke spielt. Indem die Revisionskläger eine Rhythmussequenz des Titels „Metall auf Metall“ kopiert und – als Dauerschleife wiederholt – in den Titel „Nur mir“ aufgenommen haben, haben sie de facto einen wesentlichen Teil des ersten Tonträgers kopiert, um ihn ihrem eigenen Werk als durchgängige Rhythmussequenz zu unterlegen ( 16 ). Bei einem qualitativen Ansatz würde das zweifellos jedwede Mindestschwelle überschreiten. Um sich davon zu überzeugen, würde es genügen, auf den beiden Tonträgern die in Rede stehende Rhythmussequenz zu unterdrücken und den verbleibenden Teil anzuhören. Die Anwendung einer Mindestschwelle würde daher unausweichlich zu Disparitäten zwischen den nationalen Rechtsprechungen führen und das Hauptziel der Richtlinie 2001/29 beeinträchtigen, das darin besteht, das Urheberrecht der Mitgliedstaaten zu harmonisieren. |
33. |
Schließlich ist es meines Erachtens verfehlt, die berechtigten finanziellen Interessen der Tonträgerhersteller auf den Schutz vor Piraterie zu beschränken, d. h. vor der Verbreitung oder öffentlichen Wiedergabe ihrer Tonträger als solcher. Diese Hersteller können die Tonträger nämlich auch auf andere Weise als durch den Verkauf von Vervielfältigungsstücken verwerten, insbesondere durch die Erlaubnis des Sampling, und daraus Einkünfte erzielen. Der Umstand, dass das Recht dieser Hersteller an ihren Tonträgern ihre finanziellen Investitionen schützen soll, steht der Erstreckung dieses Rechts auf Nutzungen wie das Sampling daher nicht entgegen. Wenn der Richtliniengeber entschieden hat, den Herstellern als Instrument zum Schutz ihrer finanziellen Interessen das ausschließliche Recht einzuräumen, jede – auch teilweise – Vervielfältigung ihrer Tonträger zu erlauben oder zu verbieten, erscheint es mir zudem unlogisch, diese Entscheidung unter dem Vorwand in Frage zu stellen, dass ein solches Recht nicht dem verfolgten Ziel entspreche. |
– Gleiches Schutzniveau wie bei Werken
34. |
Zweitens machen bestimmte Beteiligte, die in dieser Rechtssache Erklärungen abgegeben haben, unter erneutem Hinweis auf das Urteil Infopaq International ( 17 ) geltend, dass Tonträgerhersteller keinen stärkeren Schutz beanspruchen könnten als den, der Urhebern eingeräumt sei. Dieses Vorbringen überzeugt mich aber aus zwei Gründen nicht. |
35. |
Zum einen beruht dieses Vorbringen, ebenso wie das Argument einer Mindestschwelle, nach meiner Auffassung auf einem falschen Verständnis der Tragweite des genannten Urteils. In diesem Urteil hat der Gerichtshof den Begriff des Werks im Sinne des Urheberrechts der Union definiert und ausgeführt, dass das Werk das Ergebnis der eigenen geistigen Schöpfung seines Urhebers sei. Dasselbe Schutzkriterium ist auf Auszüge aus einem Werk anzuwenden, wobei Bestandteile des Werks, die offenkundig allgemein zugänglich bleiben müssen, wie einzelne Wörter oder geläufige Wendungen, vom Schutz ausgenommen sind. Es handelt sich somit keineswegs um eine Beschränkung des Schutzes, sondern um eine Definition des Schutzobjekts. Der Umstand, dass bei Tonträgern das Schutzobjekt ein anderes ist, bedeutet nicht, dass ihr Schutz über den für Werke vorgesehenen Schutz hinausgeht. Sowohl Werke als auch Tonträger sind in ihrer Gesamtheit geschützt. |
36. |
Zum anderen sind der Bestand und die Ausübung des Rechts auf Schutz des Tonträgers völlig unabhängig vom Schutz des auf diesem Tonträger möglicherweise aufgezeichneten Werks. Obwohl die meisten Tonträger Aufzeichnungen von Darbietungen urheberrechtlich geschützter musikalischer Werke sind, gibt es nämlich auch andere Sachverhalte. So kann der Tonträger beispielsweise die Aufzeichnung der Darbietung eines Werks enthalten, dessen Schutz abgelaufen ist, oder Töne, die überhaupt kein Werk sind, wie etwa Geräusche der Natur. Auch ein solcher Tonträger ist ein eigenständiges Schutzobjekt. Dies wird im Übrigen durch die Definition des Tonträgers im Vertrag der Weltorganisation für geistiges Eigentum (WIPO) über Darbietungen und Tonträger ( 18 ) bestätigt, dessen Art. 2 Buchst. b bestimmt, dass ein Tonträger „die Festlegung der Töne einer Darbietung oder anderer Töne“ ist. Die Rechte der Tonträgerhersteller sind zwar dem Urheberrecht verwandte Rechte, aber keine abgeleiteten Rechte. Der Schutzbereich eines Tonträgers ist daher in keiner Weise vom Schutzbereich des Werks abhängig, das er möglicherweise enthält. |
– Analogie zum Schutz der Rechte der Hersteller von Datenbanken
37. |
Drittens stellen bestimmte Beteiligte eine Analogie zwischen dem Schutz von Tonträgern und dem von Datenbanken her. Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 96/9/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. März 1996 über den rechtlichen Schutz von Datenbanken ( 19 ) sieht nämlich für den Hersteller einer Datenbank das Schutzrecht sui generis vor, die „Entnahme und/oder die Weiterverwendung der Gesamtheit oder eines … wesentlichen Teils“ dieser Datenbank zu untersagen. Nach Auffassung dieser Beteiligten soll die Situation eines Tonträgerherstellers mit der eines Herstellers von Datenbanken vergleichbar sein, weil in beiden Fällen das ihnen eingeräumte Recht dazu diene, ihre finanziellen Interessen zu schützen. Der Schutz des Tonträgerherstellers müsse folglich ebenfalls auf die Vervielfältigung eines wesentlichen Teils des Tonträgers beschränkt sein. |
38. |
Ich neige jedoch eher dem von den Revisionsbeklagten vorgebrachten Argument zu, dem zufolge im vorliegenden Fall ein Umkehrschluss aus der Richtlinie 2001/29 zu ziehen ist. Diese Richtlinie enthält nämlich keinen Hinweis auf den Schutz eines wesentlichen Teils des Tonträgers. Im Gegenteil wird der Hersteller des Tonträgers – ebenso wie der Urheber eines Werks (und wie übrigens auch der Urheber einer Datenbank gemäß Art. 5 Buchst. a der Richtlinie 96/9) – davor geschützt, dass dieser unerlaubt „ganz oder teilweise“ vervielfältigt wird. Somit schließt meines Erachtens bereits die wörtliche Auslegung der Richtlinien 96/9 und 2001/29 jede Möglichkeit einer Analogie zwischen dem Umfang des Schutzes des Herstellers einer Datenbank und dem Umfang des Schutzes eines Tonträgerherstellers aus. |
– Schutz der Gesamtheit des Tonträgers
39. |
Viertens kann ich mich auch nicht dem Vorbringen der Kommission anschließen, dass Art. 11 des WIPO-Vertrags über Darbietungen und Tonträger lediglich den Schutz vor unerlaubten Vervielfältigungen des gesamten Tonträgers bezwecken soll ( 20 ). Art. 11 dieses Vertrags übernimmt nämlich den Wortlaut von Art. 10 des Übereinkommens von Rom ( 21 ). Dem von der WIPO erstellten Leitfaden zu diesem Übereinkommen ( 22 ) zufolge ging man bei der diplomatischen Konferenz, die diesen Text angenommen hat, davon aus, dass „der Schutz vor Vervielfältigung, da er keiner Einschränkung unterliegt, dahin auszulegen ist, dass er den Schutz vor einer teilweisen Vervielfältigung des Tonträgers umfasst“ ( 23 ). Daher ist Art. 11 des genannten WIPO-Vertrags ebenso auszulegen. [Die französische Sprachfassung des] Art. 2 der Richtlinie 2001/29 erwähnt im Übrigen ausdrücklich die „teilweise“ Vervielfältigung des Tonträgers. |
40. |
Ich schlage daher vor, auf die erste Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass die Entnahme eines Ausschnitts aus einem Tonträger zum Zweck seiner Verwendung auf einem anderen Tonträger (Sampling) ein Eingriff in das ausschließliche Recht des Herstellers des ersten Tonträgers ist, eine Vervielfältigung seines Tonträgers im Sinne dieser Vorschrift zu erlauben oder zu verbieten, wenn sie ohne seine Erlaubnis erfolgt. |
Zur zweiten Vorlagefrage
41. |
Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 dahin auszulegen ist, dass ein Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Abschnitte (Samples) enthält, im Sinne dieser Vorschrift eine Kopie dieses anderen Tonträgers ist. |
42. |
Mit Ausnahme der französischen Regierung prüfen die Beteiligten, die in der vorliegenden Rechtssache Erklärungen eingereicht haben, die erste und die zweite Vorlagefrage gemeinsam und neigen offenbar dazu, sie jeweils übereinstimmend zu beantworten (obwohl diese Antworten sich von Beteiligtem zu Beteiligtem unterscheiden). Mit der französischen Regierung bin ich jedoch der Ansicht, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 im Licht ihrer Zielsetzung und unabhängig von der Richtlinie 2001/29 auszulegen ist. |
43. |
Art. 9 der Richtlinie 2006/115 führt u. a. zugunsten der Tonträgerhersteller ein Verbreitungsrecht ein. Dabei handelt es sich um das Recht, der Öffentlichkeit im Wege der Veräußerung oder auf sonstige Weise Vervielfältigungsstücke (Kopien) von Schutzobjekten, u. a. von Tonträgern, zur Verfügung zu stellen. |
44. |
Auf internationaler Ebene ist dasselbe Recht auf der Grundlage des Genfer Übereinkommens anerkannt ( 24 ). Die Union ist nicht Vertragspartei dieses Übereinkommens, aber 22 Mitgliedstaaten sind es. Dieses Übereinkommen dürfte auch zu den im siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/115 erwähnten „internationalen Übereinkommen“ gehören, „auf denen das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte in vielen Mitgliedstaaten beruhen“ und deren Beachtung im Rahmen der mit dieser Richtlinie vorgenommenen Harmonisierung sicherzustellen ist. |
45. |
Hauptziel des Verbreitungsrechts ist der Schutz vor dem, was gemeinhin als „Piraterie“ bezeichnet wird, d. h. der Herstellung und öffentlichen Verbreitung nachgeahmter Tonträger (und anderer Gegenstände wie Filme). Weil diese nachgeahmten Kopien an die Stelle legaler Kopien treten, führen sie zu einer starken Verminderung der Einnahmen der Tonträgerhersteller und folglich der Einnahmen, die die Urheber und die Interpreten berechtigterweise aus dem Verkauf der legalen Kopien erwarten dürfen. Die Bedrohung durch die Piraterie wird insbesondere im zweiten Erwägungsgrund der Richtlinie 2006/115 ausdrücklich als einer der Gründe für den Erlass dieser Richtlinie genannt. |
46. |
Die Piraterie ist durch die Herstellung und den Vertrieb von nachgeahmten Kopien von Tonträgern gekennzeichnet, die legale Kopien ersetzen sollen. Aus diesem Grund definiert Art. 1 des Genfer Übereinkommens die Kopie als einen „Gegenstand, der einem Tonträger unmittelbar oder mittelbar entnommene Töne enthält und der alle oder einen wesentlichen Teil der in dem Tonträger festgelegten Töne verkörpert“. Nur eine solche Kopie versetzt den Hörer nämlich in die Lage, den Inhalt des Tonträgers zur Kenntnis zu nehmen, ohne eine legale Kopie dieses Tonträgers erwerben zu müssen. |
47. |
Da Art. 9 der Richtlinie 2006/115 dasselbe Verbreitungsrecht einführt wie das Genfer Übereinkommen und beide Rechtsakte dasselbe Ziel verfolgen, nämlich den Schutz vor Piraterie, bin ich der Auffassung, dass der in dieser Bestimmung enthaltene Begriff „Kopie“ diesem Übereinkommen entsprechend und im Licht dieses Ziels auszulegen ist, d. h., dass es sich um eine Kopie handelt, die die Gesamtheit oder einen wesentlichen Teil der Töne eines geschützten Tonträgers verkörpert und dessen rechtmäßige Kopien ersetzen soll. Die Tragweite dieser Bestimmung ist somit meines Erachtens viel enger als die von Art. 2 der Richtlinie 2001/29. |
48. |
Das Sampling dient nicht dazu, einen Tonträger herzustellen, der an die Stelle des ursprünglichen Tonträgers treten soll, sondern ein neues und von diesem Tonträger unabhängiges Werk zu schaffen. Ebenso verkörpert ein aus dem Sampling hervorgegangener Tonträger weder die Gesamtheit noch einen wesentlichen Teil der Töne des ursprünglichen Tonträgers. Ein solcher Tonträger ist daher nicht als Kopie im Sinne von Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 einzustufen. |
49. |
Daher schlage ich vor, auf die zweite Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 dahin auszulegen ist, dass ein Tonträger, der von einem anderen Tonträger übertragene Ausschnitte (Samples) enthält, keine Kopie dieses anderen Tonträgers im Sinne dieser Bestimmung ist. |
Zur dritten Vorlagefrage
50. |
Mit seiner dritten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 und Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 dahin auszulegen sind, dass sie es nicht zulassen, eine innerstaatliche Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie die des § 24 Abs. 1 UrhG, dem zufolge ein selbständiges Werk in freier Benutzung eines anderen Werks ohne Zustimmung des Urhebers dieses Werks geschaffen werden darf, auf Tonträger anzuwenden ( 25 ). |
51. |
Wie ich im Rahmen der Antwort auf die zweite Vorlagefrage dargelegt habe, findet Art. 9 der Richtlinie 2006/115 keine Anwendung auf Vervielfältigungen von Schutzobjekten, die nicht dazu bestimmt sind, an die Stelle legaler Kopien dieser Objekte zu treten. Das ist insbesondere bei selbständigen Werken der Fall, die unter Benutzung von Bestandteilen anderer Werke geschaffen wurden. Da Art. 9 dieser Richtlinie auf die in § 24 UrhG geregelten Sachverhalte nicht anwendbar ist, steht er dieser Vorschrift nicht entgegen. Die Prüfung der dritten Vorlagefrage hat sich daher auf die Auslegung der Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 zu beschränken. |
52. |
Die Richtlinie 2001/29 legt in ihren Art. 2 bis 4 die ausschließlichen Rechte fest, die bestimmten Personengruppen zustehen, u. a. das in Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie vorgesehene Recht der Tonträgerhersteller, die Vervielfältigung ihrer Tonträger zu erlauben oder zu verbieten. Dem Wortlaut nach gelten diese Rechte bedingungslos. Art. 5 der Richtlinie 2001/29 zählt jedoch eine Reihe von Ausnahmen und Einschränkungen dieser ausschließlichen Rechte auf, die die Mitgliedstaaten in ihrem innerstaatlichen Recht vorsehen können. Diese Aufzählung von Ausnahmen und Beschränkungen ist abschließend, wie sowohl der 32. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/29 als auch die ständige Rechtsprechung des Gerichtshofs bestätigen ( 26 ). |
53. |
Diese Aufzählung enthält bestimmte Ausnahmen und Beschränkungen der ausschließlichen Rechte, die den Dialog und die künstlerische Auseinandersetzung durch Benutzung bestehender Werke erleichtern sollen. Es handelt sich u. a. um die Ausnahmen, die Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 für Zitate und Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie für Karikaturen, Parodien oder Pastiches vorsehen. |
54. |
Hingegen enthält die Aufzählung der Ausnahmen und Beschränkungen der ausschließlichen Rechte in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 keine allgemeine Ausnahme, die die Benutzung eines fremden Werks zum Zweck der Schaffung eines neuen Werks gestatten würde. Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten nicht berechtigt sind, in ihrem innerstaatlichen Recht eine solche Ausnahme vorzusehen, wenn sie über die in der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen und insbesondere über die in der vorstehenden Nummer angegebenen Ausnahmen hinausgeht. |
55. |
Diese Erwägung wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass im deutschen Recht, wie das vorlegende Gericht ausführt, die Bestimmung des § 24 Abs. 1 UrhG nicht als Ausnahme vom Urheberrecht, sondern als eine dem Urheberrecht immanente Beschränkung angesehen wird. Die Richtlinie 2001/29 unterscheidet in ihrem Art. 5 nämlich nicht zwischen Ausnahmen vom Urheberrecht und Beschränkungen des Urheberrechts (oder verwandter Schutzrechte). Einige der in dieser Bestimmung vorgesehenen Fälle betreffen Beschränkungen, die dem Urheberrecht ebenso immanent sind wie die freie Benutzung eines Werks zur Schaffung eines anderen Werks. Als Beispiel kann die in Art. 5 Abs. 2 Buchst. b der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme für Privatkopien genannt werden ( 27 ). Gleichwohl hat der Richtliniengeber es für erforderlich gehalten, diese Beschränkung in die Aufzählung der möglichen Ausnahmen und Beschränkungen aufzunehmen. |
56. |
Jedem Mitgliedstaat zu gestatten, über die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Aufzählung hinaus Beschränkungen einzuführen, die er als dem Urheberrecht immanent ansieht, würde zudem, wie die Revisionsbeklagten zu Recht ausführen, die Wirksamkeit der vom Richtliniengeber eingeleiteten Harmonisierung der Ausnahmen vom Urheberrecht gefährden. Wie im 31. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hervorgehoben wird, ist die Beseitigung von Unterschieden in der Anwendung der Ausnahmen vom Urheberrecht und den verwandten Schutzrechten eines der Ziele dieser Richtlinie. |
57. |
Zwar enthält Art. 5 Abs. 3 Buchst. o der Richtlinie 2001/29 eine Art Stillhalteklausel, was die Anwendung derjenigen Ausnahmen und Beschränkungen durch die Mitgliedstaaten betrifft, die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Richtlinie bereits in ihrem innerstaatlichen Recht vorgesehen waren. Es handelt sich jedoch um die Benutzung von Schutzobjekten „in bestimmten … Fällen von geringer Bedeutung“. Nach meiner Auffassung kann eine so weitgehende Ausnahme, wie § 24 Abs. 1 UrhG sie vorsieht, aber nicht als auf bestimmte Fälle von geringer Bedeutung beschränkt angesehen werden. Außerdem müssen sich die unter Art. 5 Abs. 3 Buchst. o der Richtlinie 2001/29 fallenden Benutzungen auf analoge Nutzungen beschränken. Daher kann diese Bestimmung jedenfalls nicht die öffentliche Wiedergabe von Tonträgern umfassen, die Ausschnitte aus anderen Tonträgern enthalten. |
58. |
Schließlich dürfen die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen gemäß Abs. 5 dieses Artikels nur in bestimmten Sonderfällen angewandt werden, in denen die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands nicht beeinträchtigt wird und die berechtigten Interessen des Rechtsinhabers nicht ungebührlich verletzt werden. Diese gemeinhin als „Dreistufentest“ bezeichnete Vorschrift spiegelt die entsprechenden Bestimmungen der internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet des Urheberrechts und verwandter Schutzrechte wider. Sie begrenzt den Umfang der auf ausschließliche Rechte anwendbaren Ausnahmen und Beschränkungen. Sie kann hingegen nicht als Ermächtigung verstanden werden, unter dem Vorwand, damit würden weder die normale Verwertung des Werks oder des sonstigen Schutzgegenstands noch die berechtigten Interessen der Inhaber ausschließlicher Rechte beeinträchtigt, nicht vorgesehene Ausnahmen und Beschränkungen einzuführen oder den Umfang bestehender Ausnahmen auszuweiten ( 28 ). |
59. |
Daher schlage ich vor, auf die dritte Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 dahin auszulegen ist, dass er es nicht zulässt, eine innerstaatliche Rechtsvorschrift eines Mitgliedstaats wie die des § 24 Abs. 1 UrhG, dem zufolge ein selbständiges Werk in freier Benutzung eines anderen Werks ohne Zustimmung des Urhebers dieses Werks geschaffen werden darf, auf Tonträger anzuwenden, weil dies den Rahmen der in Art. 5 Abs. 2 und 3 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen der ausschließlichen Rechte überschreitet. |
Zur vierten Vorlagefrage
60. |
Mit seiner vierten Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme für Zitate anwendbar ist, wenn ein Ausschnitt aus einem Tonträger so in einen anderen Tonträger eingefügt wird, dass er vom Rest dieses zweiten Tonträgers nicht zu unterscheiden ist. |
61. |
Diese Frage betrifft das Kernproblem der Anwendung der für Zitate geltenden Ausnahme auf einen Fall wie den des Ausgangsrechtsstreits. |
62. |
Die Ausnahme für Zitate hat ihren Ursprung in Werken der Literatur und kommt hauptsächlich dort zum Tragen. Meines Erachtens gibt es jedoch keine Anhaltspunkte, die dagegen sprechen, dass die Ausnahme für Zitate auch andere Arten von Werken, insbesondere musikalische Werke, betreffen kann ( 29 ). Man wird davon ausgehen müssen, dass ein solches Zitat auch durch Wiedergabe eines Ausschnitts aus einem Tonträger erfolgen kann, denn die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen betreffen die Rechte der Tonträgerhersteller in gleicher Weise wie die Rechte der Urheber. |
63. |
Ein Zitat muss jedoch eine Reihe von Voraussetzungen erfüllen, um rechtmäßig zu sein. Für die Benutzung, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, sind insbesondere drei dieser Voraussetzungen relevant. |
64. |
Die erste Voraussetzung ist in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 ausdrücklich vorgesehen und betrifft den Zweck des Zitats. Nach dieser Bestimmung muss das Zitat „zu Zwecken wie Kritik oder Rezensionen“ erfolgen. Die Verwendung des Ausdrucks „zu Zwecken wie“ weist darauf hin, dass es sich nicht um eine abschließende Aufzählung der Zwecke des Zitats handelt, sondern eher um Beispiele. Zahlreiche Zitate, insbesondere die künstlerischen – z. B. musikalischen – Zitate, dienen nicht Zwecken wie Kritik oder Rezensionen, sondern verfolgen andere Ziele. Gleichwohl weist die Formulierung der in Rede stehenden Bestimmung meines Erachtens eindeutig darauf hin, dass das Zitat dazu dienen muss, mit dem zitierten Werk in eine Art Dialog einzutreten. Unabhängig davon, ob es sich um eine Auseinandersetzung, um eine „Hommage“ oder um etwas anderes handelt, ist eine Interaktion zwischen dem zitierenden und dem zitierten Werk erforderlich. |
65. |
Die zweite Voraussetzung der Rechtmäßigkeit eines Zitats, die sich gewissermaßen aus der ersten ergibt, verlangt, dass das Zitat unverändert und unterscheidbar ist. Als Erstes muss der zitierte Auszug daher als solcher oder jedenfalls unverfälscht in das zitierende Werk übernommen werden (wobei gewisse Anpassungen herkömmlicherweise zugelassen sind, insbesondere eine Übersetzung). Als Zweites – und das ist der Aspekt, den die Vorlagefrage unmittelbar anspricht – muss das Zitat so in das zitierende Werk eingefügt werden, dass es leicht als fremder Bestandteil erkannt werden kann. Dieses Erfordernis lässt sich aus der ersten Voraussetzung ableiten: Wie könnte das zitierende Werk nämlich in einen Dialog mit dem zitierten Werk eintreten oder sich mit ihm auseinandersetzen, wenn beide in keiner Weise unterscheidbar wären? |
66. |
Die beiden oben genannten Voraussetzungen ermöglichen es, das Zitat von einem Plagiat zu unterscheiden. |
67. |
Das Sampling im Allgemeinen und die hier in Rede stehende Benutzung des Tonträgers im Besonderen erfüllen diese Voraussetzungen offenbar nicht. Das Sampling verfolgt nicht das Ziel, mit den benutzten Werken in einen Dialog einzutreten, sich mit ihnen auseinanderzusetzen oder sie zu würdigen. Die Technik des Sampling benutzt die anderen Tonträgern entnommenen Ausschnitte als Rohmaterial und fügt sie als nicht erkennbare wesentliche Bestandteile in neue Werke ein. Hinzu kommt, dass diese Ausschnitte häufig so verändert und vermischt werden, dass sie ihre ursprüngliche Integrität völlig verlieren. Es handelt sich daher nicht um eine Form der Interaktion, sondern um eine Form der Aneignung. Der vorliegende Fall, in dem ein Ausschnitt aus einem Tonträger, der zu kurz ist, um irgendeine Interaktion zu ermöglichen, über die gesamte Länge des neuen Tonträgers als Dauerschleife wiederholt wird, um dessen rhythmischen Teil zu bilden, ist hierfür ein perfektes Beispiel. |
68. |
Zu diesen materiellen Voraussetzungen der Rechtmäßigkeit eines Zitats tritt ein drittes formelles, ebenfalls in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 erwähntes Erfordernis hinzu, nämlich die Angabe der Quelle des Zitats, einschließlich des Namens des Urhebers, es sei denn, dass sich dies als unmöglich erweist. Natürlich ist es im Fall eines musikalischen Werks schwierig (wenn auch nicht unmöglich), die Quelle des Zitats im Werk selbst anzugeben. Dies kann aber beispielsweise in der Beschreibung des zitierenden Werks oder sogar in dessen Titel geschehen. In der Hip-Hop- oder Rapkultur scheint es mir aber nicht üblich zu sein, die Quellen der Samples zu nennen, die Bestandteile der zu dieser Musikgattung gehörenden Werke sind. In der vorliegenden Rechtssache geht aus den Akten jedenfalls nicht hervor, dass die Revisionskläger versucht hätten, die Quelle des im Titel „Nur mir“ verwendeten Ausschnitts oder die Namen der Revisionskläger anzugeben. |
69. |
Ich schlage daher vor, auf die vierte Vorlagefrage zu antworten, dass die in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 vorgesehene Ausnahme für Zitate nicht anwendbar ist, wenn ein Ausschnitt aus einem Tonträger ohne den ersichtlichen Willen, mit diesem Tonträger in Interaktion zu treten, so in einen anderen Tonträger eingefügt wird, dass er vom Rest dieses zweiten Tonträgers nicht zu unterscheiden ist. |
70. |
Zu den in Art. 5 Abs. 3 Buchst. d der Richtlinie 2001/29 vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen gehört ferner die bereits erwähnte Ausnahme für Karikaturen, Parodien oder Pastiches (Art. 5 Abs. 3 Buchst. k der Richtlinie 2001/29). Diese Ausnahme könnte gegebenenfalls bei der Benutzung von Ausschnitten eines Tonträgers in einem anderen Tonträger in Betracht kommen. Diese Ausnahme ist als solche nicht in das deutsche Urheberrecht umgesetzt worden, könnte aber dem vorlegenden Gericht zufolge aus § 24 Abs. 1 UrhG abgeleitet werden. Allerdings lehnt das vorlegende Gericht – meines Erachtens zu Recht – die Anwendung dieser Ausnahme auf den vorliegenden Fall ab. Diese Ausnahme setzt nämlich ebenso wie die Ausnahme des Zitats eine Interaktion mit dem benutzten Werk oder zumindest mit dessen Urheber voraus, ein Aspekt, der in einem Fall des Sampling wie dem im Ausgangsrechtsstreit nicht vorliegt ( 30 ). |
Zur fünften Vorlagefrage
71. |
Mit seiner fünften Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, welchen Spielraum die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Bestimmungen haben, die die in den Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 und in Art. 9 der Richtlinie 2006/115 vorgesehenen ausschließlichen Rechte sowie die in Art. 5 der Richtlinie 2001/29 und in Art. 10 der Richtlinie 2006/115 vorgesehenen Ausnahmen von diesen ausschließlichen Rechten betreffen. Ich weise vorab darauf hin, dass das in Art. 9 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2006/115 vorgesehene Verbreitungsrecht nach meiner Auffassung in einem Fall wie dem des Ausgangsrechtsstreits keine Anwendung findet ( 31 ), so dass ich diese Frage nur unter dem Blickwinkel der Richtlinie 2001/29 prüfen werde. |
72. |
Wie das vorlegende Gericht ausführt, ergibt sich diese Frage aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, nach der die Rechtsvorschriften, die eine Richtlinie in deutsches Recht umsetzen, grundsätzlich nicht am Maßstab der durch das Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. Mai 1949 gewährleisteten Grundrechte, sondern allein an den durch das Unionsrecht gewährleisteten Grundrechten zu messen sind, soweit diese Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum überlasst ( 32 ). |
73. |
Was die Überwachung der nationalen Maßnahmen, mit denen die Umsetzung der Bestimmungen des Unionsrechts sichergestellt wird, im Hinblick auf Grundrechte betrifft, hat der Gerichtshof unter Bezugnahme auf Art. 53 der Charta anerkannt, dass es, wenn ein Unionsrechtsakt nationale Durchführungsmaßnahmen erforderlich macht, den nationalen Behörden und Gerichten weiterhin freisteht, nationale Schutzstandards für die Grundrechte anzuwenden, sofern durch diese Anwendung weder das Schutzniveau der Charta, wie sie vom Gerichtshof ausgelegt wird, noch der Vorrang, die Einheit und die Wirksamkeit des Unionsrechts beeinträchtigt werden ( 33 ). Somit darf ein Mitgliedstaat die Wirksamkeit einer mit der Charta zu vereinbarenden Bestimmung des Unionsrechts nicht durch die Anwendung seiner eigenen nationalen Schutzstandards für die Grundrechte vereiteln ( 34 ). |
74. |
Der Spielraum, über den die Mitgliedstaaten bei der Umsetzung der Richtlinie 2001/29 verfügen, ist in mehrfacher Weise beschränkt. |
75. |
Erstens sind die in den Art. 2 und 3 der Richtlinie 2001/29 aufgeführten Rechte, u. a. das den Tonträgerherstellern in Art. 2 Buchst. c dieser Richtlinie eingeräumte Recht zur Vervielfältigung ihrer Tonträger, unbedingt formuliert und durch das nationale Recht der Mitgliedstaaten zwingend zu schützen. |
76. |
Zweitens sind die in den Bestimmungen der Richtlinie 2001/29 verwendeten Begriffe autonome Begriffe des Unionsrechts, weil sie nicht auf das Recht der Mitgliedstaaten verweisen ( 35 ). Das gilt insbesondere für den Begriff der Vervielfältigung im Sinne von Art. 2 dieser Richtlinie ( 36 ). Dasselbe gilt für die Begriffe, die die verschiedenen Ausnahmen und Beschränkungen der in der Richtlinie 2001/29 geregelten ausschließlichen Rechte definieren, insbesondere für den in Art. 5 Abs. 3 Buchst. k dieser Richtlinie verwendeten Begriff der Parodie ( 37 ). Für den Begriff des Zitats im Sinne von Art. 5 Abs. 3 Buchst. d dieser Richtlinie kann nichts anderes gelten. |
77. |
Drittens schließlich können die in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29 unbedingt und für die Mitgliedstaaten zwingend vorgesehenen ausschließlichen Rechte nur Gegenstand der Ausnahmen und Beschränkungen sein, die in Art. 5 Abs. 1 bis 3 dieser Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Da diese Ausnahmen – bis auf eine von ihnen – fakultativ sind, verfügen die Mitgliedstaaten über einen Spielraum bei der Wahl und der Formulierung der Ausnahmen, deren Umsetzung in ihr innerstaatliches Recht sie für zweckmäßig halten. Hingegen können sie weder neue Ausnahmen einführen noch die Reichweite bestehender Ausnahmen ausweiten ( 38 ). Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass auch dieser Spielraum beschränkt ist, weil bestimmte dieser Ausnahmen die Abwägung widerspiegeln, die der Richtliniengeber zwischen dem Urheberrecht und verschiedenen Grundrechten, insbesondere dem Recht auf freie Meinungsäußerung, vorgenommen hat. Daher kann es sich als mit der Charta unvereinbar erweisen, im innerstaatlichen Recht bestimmte Ausnahmen nicht vorzusehen ( 39 ). |
78. |
Somit sind die Mitgliedstaaten verpflichtet, in ihrem innerstaatlichen Recht den Schutz der in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29 aufgeführten ausschließlichen Rechte sicherzustellen, deren Reichweite gegebenenfalls durch die Rechtsprechung des Gerichtshofs festgelegt ist, wobei eine Einschränkung dieser Rechte nur im Rahmen der Anwendung der Ausnahmen und Beschränkungen zulässig ist, die in Art. 5 dieser Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Dieser Verpflichtung können die Mitgliedstaaten keine Vorschriften ihres innerstaatlichen Rechts entgegenhalten, auch nicht solche, die Verfassungsrang oder ihrerseits Grundrechtscharakter haben ( 40 ). Hingegen bleibt den Mitgliedstaaten, wie dies gemäß Art. 288 Abs. 3 AEUV bei allen Richtlinien der Fall ist, die Wahl der Mittel überlassen, die zu ergreifen sie für zweckmäßig erachten, um dieser Verpflichtung nachzukommen. Im Rahmen dieser Wahl können sie sich selbstverständlich u. a. von Erwägungen, die ihre Verfassungsgrundsätze betreffen, und von ihren Grundrechten leiten lassen, vorausgesetzt, dass die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts nicht beeinträchtigt wird. |
79. |
Nach alledem schlage ich vor, auf die fünfte Vorlagefrage zu antworten, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet sind, in ihrem innerstaatlichen Recht den Schutz der in den Art. 2 bis 4 der Richtlinie 2001/29 aufgeführten ausschließlichen Rechte sicherzustellen, wobei eine Einschränkung dieser Rechte nur im Rahmen der Anwendung der Ausnahmen und Beschränkungen zulässig ist, die in Art. 5 dieser Richtlinie abschließend aufgeführt sind. Den Mitgliedstaaten bleibt jedoch die Wahl der Mittel überlassen, die zu ergreifen sie für zweckmäßig erachten, um dieser Verpflichtung nachzukommen. |
Zur sechsten Vorlagefrage
Einleitende Bemerkungen
80. |
Mit seiner sechsten Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, in welcher Weise die in der Charta verankerten Grundrechte bei der Auslegung der Reichweite der den Tonträgerherstellern durch die Richtlinien 2001/29 und 2006/115 eingeräumten ausschließlichen Rechte sowie der in diesen Richtlinien vorgesehenen Ausnahmen und Beschränkungen dieser Rechte zu berücksichtigen sind. |
81. |
Angesichts der sehr allgemein gehaltenen Formulierung dieser Frage bezweifle ich, dass es für das vorlegende Gericht zweckdienlich wäre, darauf in ebenso allgemeiner Weise zu antworten. Offensichtlich ist diese Frage jedoch im Zusammenhang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ( 41 ) gestellt worden, das die Entscheidung des vorlegenden Gerichts, mit der das den Revisionsbeklagten günstige Berufungsurteil bestätigt wurde, auf der Grundlage der in Art. 5 des Grundgesetzes verankerten Freiheit des künstlerischen Schaffens aufgehoben und die Sache zur erneuten Prüfung – gegebenenfalls im Hinblick auf die in der Unionsrechtsordnung garantierten Grundrechte und erforderlichenfalls unter Vorlage eines Vorabentscheidungsersuchens an den Gerichtshof – an das vorlegende Gericht zurückverwiesen hat. |
82. |
Die sechste Vorlagefrage ist folglich dahin zu verstehen, dass das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen möchte, ob die in Art. 13 der Charta verankerte Kunstfreiheit das ausschließliche Recht des Tonträgerherstellers, die Vervielfältigung eines Teils seines Tonträgers im Fall seiner Benutzung auf einem anderen Tonträger zu erlauben oder zu verbieten, beschränkt oder eine Verletzung dieses Rechts rechtfertigt. Mit anderen Worten wirft diese Frage das Problem eines möglichen Vorrangs der Kunstfreiheit vor diesem ausschließlichen Recht der Tonträgerhersteller auf. |
83. |
Auf den ersten Blick mutet es paradox an, auf diese Weise die Kunstfreiheit einem dem Urheberrecht verwandten Schutzrecht entgegenzuhalten. Hauptzweck des Urheberrechts und der verwandten Rechte ist es nämlich, die Entwicklung der Kunst zu fördern, indem sie den Künstlern Einkünfte aus ihren Werken gewährleisten, was sie davon befreit, von verschiedenen Mäzenen abhängig zu sein, und ihnen ermöglicht, ihrer schöpferischen Tätigkeit frei nachzugehen ( 42 ). |
84. |
Zwar betrifft die vorliegende Rechtssache nicht unmittelbar das ausschließliche Recht der Urheber, sondern das der Hersteller, das ihnen wegen ihrer finanziellen und organisatorischen Anstrengungen zusteht. Wenn zum einen der Richtliniengeber den Herstellern ausschließliche Rechte eingeräumt hat, dann jedoch deshalb, weil sie als Hilfspersonen zur Schaffung und Verbreitung der Werke beitragen. Das ihnen an den Tonträgern zustehende Recht garantiert ihnen eine Vergütung für ihre Investition. Auch wenn zum anderen nicht jeder Tonträger zwangsläufig eine Aufzeichnung der Darbietung eines Werks darstellt, ist dies bei Musiktonträgern, um die es in der vorliegenden Rechtssache geht, in der Regel der Fall. Zu den Personen, die an der Produktion eines solchen Tonträgers beteiligt sind, zählen normalerweise außer dem Hersteller die Urheber und die Interpreten, deren Rechte ebenfalls durch eine unerlaubte Benutzung des Tonträgers verletzt werden. Der Ausgangsrechtsstreit mag zwar lediglich die Rechte der Tonträgerhersteller betreffen, aber wenn man die Erörterung unter Grundrechtsgesichtspunkten führt, dürfen die anderen Beteiligten meines Erachtens nicht vergessen werden. |
85. |
Der vorliegende Fall veranschaulicht dies in perfekter Weise. Die Revisionsbeklagten, die im Verfahren in ihrer Eigenschaft als Hersteller des in Rede stehenden Tonträgers auftreten, sind nämlich auch ausübende Künstler und einer von ihnen ist Urheber des auf diesem Tonträger aufgezeichneten Werks ( 43 ). Auf der anderen Seite des Rechtsstreits ist die Konfiguration ähnlich: Die Revisionskläger sind nicht nur die Komponisten des auf dem streitigen Tonträger aufgezeichneten Werks, sondern auch die Hersteller dieses Tonträgers. Im Ausgangsrechtsstreit stehen sich somit nicht einfach ein Künstler und ein Tonträgerhersteller gegenüber, denn diese beiden Eigenschaften finden sich auf beiden Seiten. Bei der Abwägung der jeweiligen Grundrechte ist daher die Gesamtheit dieser unterschiedlichen Interessen zu berücksichtigen. |
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts
86. |
Das oben genannte Urteil des Bundesverfassungsgerichts ( 44 ) stützt sich in erster Linie auf die Auslegung von § 24 Abs. 1 UrhG im Licht der in Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des Grundgesetzes verankerten Freiheit des künstlerischen Schaffens. Dieses Gericht hält dem vorlegenden Gericht vor, bei der Auslegung von § 24 Abs. 1 UrhG die künstlerische Freiheit der Revisionskläger nicht hinreichend berücksichtigt zu haben, insbesondere nicht bei der Entscheidung, dass diese Vorschrift keine Anwendung finde, wenn der Künstler in der Lage sei, die dem Tonträger eines Dritten entnommene Tonsequenz selbst nachzuspielen. Eine solche Auslegung schränke die schöpferische Freiheit und folglich die Möglichkeiten eines künstlerischen Dialogs unverhältnismäßig ein. Die den Künstlern damit verbleibenden Möglichkeiten, nämlich eine Lizenz zu erwerben, die Töne selbst nachzuspielen oder sich auf Töne zu beschränken, die in bestehenden Sampledatenbanken verfügbar sind, seien unzureichend, insbesondere im Fall von Musikgattungen, die wie der Hip-Hop weitgehend auf das Sampling angewiesen seien. |
87. |
Umgekehrt würde die Anwendung von § 24 Abs. 1 UrhG auf das Sampling das in Art. 14 Abs. 1 des Grundgesetzes garantierte Eigentumsrecht der Tonträgerhersteller nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nur geringfügig einschränken, weil die neuen Werke nicht mit deren Tonträgern in Konkurrenz träten. § 85 Abs. 1 UrhG, der die Rechte der Tonträgerhersteller betreffe, schütze diese nämlich ausschließlich vor kommerzieller Nutzung und Piraterie ihrer Tonträger, die beim Sampling, das eine künstlerische Praxis sei, nicht vorliege. Das Bundesverfassungsgericht ist der Auffassung, auch wenn der Gesetzgeber zugunsten der Inhaber der ausschließlichen Rechte eine Vergütung für die freie Benutzung nach § 24 Abs. 1 UrhG hätte vorsehen können, verstoße das Fehlen einer solchen Vergütung nicht gegen das Grundrecht auf Eigentum. |
88. |
Schließlich fügt das Bundesverfassungsgericht hinzu, außer durch eine Auslegung von § 24 Abs. 1 UrhG, die mit der Kunstfreiheit vereinbar sei, könne das vorlegende Gericht auch durch eine einschränkende Auslegung der Rechte der Tonträgerhersteller aus § 85 Abs. 1 UrhG zu einer verfassungskonformen Abwägung der in Rede stehenden Rechte gelangen. Das Bundesverfassungsgericht weist jedoch darauf hin, dass die Rechtssache dann in Anbetracht der durch die Richtlinie 2001/29 bewirkten Harmonisierung der Rechte der Tonträgerhersteller in den Geltungsbereich des Unionsrechts fallen könne. Falls diese Richtlinie den Mitgliedstaaten keinen Umsetzungsspielraum lasse, müsse das vorlegende Gericht den Grundrechtsschutz im Einklang mit der Charta gewährleisten ( 45 ), indem es den Gerichtshof erforderlichenfalls um Vorabentscheidung ersuche. Das vorlegende Gericht müsse sich auch vergewissern, dass der unabdingbare grundrechtliche Mindeststandard, wie er im Grundgesetz definiert sei, gewahrt bleibe. |
Beurteilung im Licht des Unionsrechts
89. |
Das Urheberrecht der Union kennt keine Beschränkung der in der Richtlinie 2001/29 aufgeführten ausschließlichen Rechte, die der in § 24 Abs. 1 UrhG vorgesehenen Beschränkung entspricht. Wie ich im Rahmen der Antwort auf die dritte Vorlagefrage ausgeführt habe, ist diese Vorschrift mit der Richtlinie 2001/29 unvereinbar, soweit sie Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten gestattet, die über die in Art. 5 dieser Richtlinie vorgesehenen Ausnahmen, insbesondere für Zitate, Karikaturen, Parodien und Pastiches, hinausgehen. Nach meiner Auffassung finden diese Ausnahmen aber auf einen Sachverhalt wie den des Ausgangsrechtsstreits keine Anwendung ( 46 ). Eine der Begründung des Bundesverfassungsgerichts entsprechende Erwägung ist daher im Unionsrecht nicht möglich. Wie ist somit das ausschließliche Vervielfältigungsrecht, das den Tonträgerherstellern nach Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 zusteht, im Hinblick auf die durch die Charta verbürgten Grundrechte zu beurteilen? |
90. |
Soweit das Urheberrecht und die verwandten Schutzrechte ihren Inhabern ein Monopol für die geistigen oder künstlerischen Vermögenswerte wie Werke, Tonträger usw. gewähren, können sie die Ausübung bestimmter Grundrechte beschränken, insbesondere die freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Kunst. Außerdem wird das geistige Eigentum selbst durch das Grundrecht auf Eigentum geschützt. Daher ist zwischen diesen Rechten, von denen grundsätzlich keines den anderen gegenüber höherrangig ist, abzuwägen ( 47 ). Was das Urheberrecht betrifft, nimmt es diese Abwägung schon selbst vor, indem es eine Reihe von Ausnahmen und Beschränkungen vorsieht. Diese sind dazu bestimmt, ein angemessenes Gleichgewicht zwischen den Rechten und Interessen der Inhaber von Urheber- und verwandten Rechten einerseits und den verschiedenen anderen öffentlichen und privaten Interessen einschließlich des Interesses am Schutz der Grundrechte andererseits sicherzustellen. |
91. |
Die in Art. 13 Satz 1 der Charta erwähnte Freiheit der Kunst ist eine Form der Freiheit der Meinungsäußerung im Sinne von Art. 11 der Charta. Die Systematik der am 4. November 1950 in Rom unterzeichneten Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) kennt eine solche Freiheit nicht als eigenständiges Recht; vielmehr wird die Freiheit der Kunst aus der in Art. 10 dieser Konvention verankerten Freiheit der Meinungsäußerung abgeleitet. |
92. |
Die Freiheit der Meinungsäußerung, aus der die Freiheit der Kunst hervorgeht, betrifft vor allem die Beschaffung und Verbreitung von Ideen und Informationen, und, was die Kunst anbelangt, folglich die Beschaffung und Verbreitung des Inhalts von Werken ( 48 ). Besonders die Zensur dieses Inhalts kann einen Verstoß gegen die Freiheit der Kunst darstellen ( 49 ). Dagegen ist die Freiheit der Künstler meines Erachtens weit weniger umfangreich, was den Erwerb der für ihr Schaffen benötigten Mittel betrifft. Jeder Künstler muss sich mit den Bedingungen des Lebens in der Gesellschaft und des Marktes, auf dem er tätig ist, abfinden. Die Freiheit der Kunst befreit die Künstler nicht von den Zwängen des Alltags. Wäre es vorstellbar, dass ein Künstler sich auf seine schöpferische Freiheit berufen könnte, um seine Farben und Pinsel nicht bezahlen zu müssen ( 50 )? ( 51 ) |
93. |
Bei Musikgattungen wie dem Hip-Hop oder dem Rap spielt das Sampling zwar eine besondere Rolle, weil es nicht nur ein Mittel der Kreation, sondern auch einen eigenständigen künstlerischen Ansatz darstellt. Dies kann jedoch im Rahmen der juristischen Erörterung kein ausschlaggebendes Argument sein, weil die Auslegung von Rechtsvorschriften für alle gleich sein muss. Wäre das Sampling von Tonträgerausschnitten ohne Erlaubnis der Rechteinhaber als rechtmäßig anzusehen, würde das sowohl für Musiker gelten, die der Hip-Hop-Kultur angehören, als auch für alle anderen. |
94. |
Künstler müssen die Grenzen und Beschränkungen, die das Leben der schöpferischen Freiheit setzt, umso mehr in einem Fall hinnehmen, der die Rechte und Grundfreiheiten anderer berührt, u. a. deren Eigentumsrecht einschließlich des Rechts am geistigen Eigentum. In derartigen Fällen ist die Abwägung der verschiedenen Rechte und Interessen ein besonders komplexer Vorgang, und es gibt selten eine einzige Lösung, die bei allen Zustimmung finden kann. In einer demokratischen Gesellschaft muss diese Abwägung in erster Linie vom Gesetzgeber vorgenommen werden, der den Willen der Allgemeinheit verkörpert. Der Gesetzgeber verfügt hier über einen weiten Gestaltungsspielraum ( 52 ). Die Anwendung der gesetzgeberischen Lösungen unterliegt sodann der Kontrolle der Gerichte, die ihrerseits im Rahmen dieser Anwendung auf konkrete Fälle darauf zu achten haben, dass die Grundrechte gewahrt bleiben. Von außergewöhnlichen Fällen abgesehen ( 53 ) ist diese Kontrolle jedoch regelmäßig innerhalb der Grenzen der anwendbaren Vorschriften vorzunehmen, für die eine Gültigkeitsvermutung spricht, auch im Hinblick auf die Grundrechte. Würde man nur eine einzige Lösung als mit den Grundrechten vereinbar ansehen, hätte der Gesetzgeber keinerlei Gestaltungsspielraum. |
95. |
Wie bereits erwähnt, berücksichtigt das Urheberrecht der Union verschiedene Rechte und Interessen, die mit den ausschließlichen Rechten der Urheber und anderer Rechteinhaber in Konflikt geraten könnten, insbesondere die Freiheit der Kunst. Die Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten, wie z. B. die Ausnahmen für Zitate oder Karikaturen, Parodien oder Pastiches, ermöglichen den Dialog und die künstlerische Auseinandersetzung durch Bezugnahmen auf bereits bestehende Werke. Im Rahmen der geltenden Vorschriften kann diese Konfrontation insbesondere auf eine der drei folgenden Arten geschehen: Erstens durch die Schaffung von Werken, die sich zwar an bestehenden Werken inspirieren, aber deren geschützte Bestandteile nicht direkt übernehmen, zweitens im Rahmen der Beschränkungen und Ausnahmen, denen die ausschließlichen Rechte unterliegen, und drittens schließlich durch Einholung der erforderlichen Erlaubnisse. |
96. |
Hingegen erfordert die Kunstfreiheit, wie sie in Art. 13 der Charta verankert ist, meines Erachtens nicht, eine Ausnahme oder Beschränkung einzuführen, die der in § 24 UrhG vorgesehenen vergleichbar ist und Benutzungen wie die im Ausgangsrechtsstreit in Rede stehenden umfasst, bei denen die Werke oder anderen Schutzgegenstände nicht benutzt werden, um mit ihnen in Interaktion zu treten, sondern lediglich als Material für die Schaffung neuer Werke, die mit den früheren Werken in keinerlei Zusammenhang stehen. Die Notwendigkeit, für eine solche Benutzung eine Lizenz zu erwerben, beschränkt die Kunstfreiheit nach meiner Auffassung nicht in einem Ausmaß, das über die gewöhnlichen Zwänge des Marktes hinausgeht, zumal diese neuen Werke ihren Urhebern und Produzenten häufig nicht unerhebliche Einnahmen verschaffen. Was das Argument betrifft, dass es sich in gewissen Fällen als unmöglich erweisen könnte, eine Lizenz zu erwerben, z. B. wenn die Rechteinhaber sie verweigern, bin ich der Ansicht, dass die Kunstfreiheit nicht sicherstellen kann, dass ein jeder alles, was er will, zum Zweck seines schöpferischen Vorhabens frei benutzen kann. |
97. |
Ich bin auch nicht der Auffassung, dass die finanziellen Interessen der Tonträgerhersteller, die ihre ausschließlichen Rechte rechtfertigen, auf den Schutz vor gewerblichen Benutzungen und Piraterie beschränkt sind. Im Unionsrecht ist dies beim Verbreitungsrecht sehr wohl der Fall ( 54 ). Demgegenüber ist das Vervielfältigungsrecht weit gefasst und schließt alle möglichen Formen der Nutzung des Tonträgers ein. Außerdem erscheint es recht und billig, dass der Hersteller eines Tonträgers an den Erträgen teilhat, die sich aus der Nutzung von Werken ergeben, die unter Benutzung seines Tonträgers geschaffen wurden. Vor allem sind bei der Abwägung der Grundrechte nicht nur die materiellen Rechte und Interessen der Tonträgerhersteller zu berücksichtigen, sondern auch die Rechte der Interpreten und der Urheber einschließlich ihrer Persönlichkeitsrechte. Diese Persönlichkeitsrechte, u. a. das Recht auf Integrität des Werks, können einer Benutzung dieses Werks selbst dann entgegenstehen, wenn diese von einer Ausnahme erfasst ist ( 55 ). |
98. |
Der den Tonträgerherstellern sowohl im Unionsrecht als auch im internationalen Recht gewährte Schutz mag als übermäßig angesehen werden können, da er dem der Urheber (hinsichtlich der materiellen Rechte) gleichkommt. Ich halte es nicht für ausgeschlossen, dass die vom Richtliniengeber vorgenommene Abwägung der verschiedenen Rechte und Interessen in der Zukunft dazu führen könnte, für Benutzungen wie das Sampling eine Ausnahme von den ausschließlichen Rechten der Urheber und anderer Rechteinhaber einzuführen. Das ist jedoch nicht Aufgabe des Richters. Bei der gerichtlichen Kontrolle der Anwendung der geltenden Bestimmungen spielen die Grundrechte eine andere Rolle: Es handelt sich um eine Art ultima ratio, die es nur im Fall eines eklatanten Verstoßes gegen den Wesensgehalt eines Grundrechts rechtfertigt, vom Wortlaut anwendbarer Bestimmungen abzuweichen ( 56 ). Meines Erachtens ist dies aber bei der Situation des Sampling im Urheberrecht der Union nicht der Fall. |
99. |
Ich schlage daher vor, auf die sechste Vorlagefrage zu antworten, dass das ausschließliche Recht der Tonträgerhersteller, gemäß Art. 2 Buchst. c der Richtlinie 2001/29 die teilweise Vervielfältigung ihrer Tonträger zu erlauben oder zu verbieten, im Fall ihrer Verwendung zu Zwecken des Sampling nicht gegen die in Art. 13 der Charta verankerte Freiheit der Kunst verstößt. |
Ergebnis
100. |
Nach alledem schlage ich vor, auf die Vorlagefragen des Bundesgerichtshofs (Deutschland) wie folgt zu antworten:
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( 1 ) Originalsprache: Französisch.
( 2 ) Vgl. u. a. Piesiewicz, P., „Dzieło muzyczne i nowe technologie (aspekty prawne ‚samplingu‘)“, Państwo i prawo, Nr. 3/2006.
( 3 ) Zur Geschichte des Hip-Hop und des Rap vgl. Evans, T. M., „Sampling, Looping, and Mashing … Oh My!: How Hip Hop Music is Scratching More Than the Surface of Copyright Law“, Fordham Intellectual Property, Media and Entertainment Law Journal, 2011, Bd. 21, Nr. 4, S. 843.
( 4 ) Obwohl eine der ersten das Sampling betreffenden Rechtssachen, Grand Upright Music, Ltd v. Warner Bros. Records Inc., über die der United States District Court for the Southern District of New York (Bundesgericht der Vereinigten Staaten für den südlichen Distrikt von New York, Vereinigte Staaten) entschieden hat, auf das Jahr 1991 zurückgeht.
( 5 ) Die erstinstanzliche Klage im Ausgangsrechtsstreit wurde am 8. März 1999 erhoben.
( 6 ) ABl. 2001, L 167, S. 10.
( 7 ) ABl. 2006, L 376, S. 28.
( 8 ) Urteil vom 31. Mai 2016, 1 BvR 1585/13.
( 9 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 27. Juni 2013, VG Wort u. a. (C‑457/11 bis C‑460/11, EU:C:2013:426‚ Nr. 1 des Tenors).
( 10 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass es mehrere Versionen des zuletzt genannten Titels gibt. Ich beziehe mich hier auf die Grundversion mit dem schlichten Titel „Nur mir“.
( 11 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465‚ Rn. 39 und Nr. 1 des Tenors).
( 12 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465, Rn. 44 bis 46).
( 13 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465‚ Nr. 1 des Tenors).
( 14 ) Vgl. u. a. Urteil des United States Court of Appeals, 9th Circuit (Berufungsgericht der Vereinigten Staaten für den 9. Gerichtsbezirk, Vereinigte Staaten) vom 2. Juni 2016, VMG Salsoul, LLC v. Ciccone.
( 15 ) Vgl. Art. 107 des Copyright Law of the United States (Urheberrechtsgesetz der Vereinigten Staaten).
( 16 ) Dieselbe Feststellung hat nach den Angaben im Vorabentscheidungsersuchen auch das Berufungsgericht des Ausgangsrechtsstreits getroffen, dem zufolge der streitige Ausschnitt „den prägenden Teil“ des Titels „Metall auf Metall“ darstellt und im Titel „Nur mir“ in ständiger Wiederholung erscheint.
( 17 ) Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465).
( 18 ) WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger, angenommen in Genf am 20. Dezember 1996 und in Kraft getreten 20. Mai 2002, dem die Europäische Union mit Beschluss 2000/278/EG des Rates vom 16. März 2000 über die Zustimmung – im Namen der Europäischen Gemeinschaft – zum WIPO-Urheberrechtsvertrag und zum WIPO-Vertrag über Darbietungen und Tonträger (ABl. 2000, L 89, S. 6) beigetreten ist. Außerdem dient die Richtlinie 2001/29 nach ihrem 15. Erwägungsgrund der Umsetzung dieses Vertrags.
( 19 ) ABl. 1996, L 77, S. 20.
( 20 ) Diese Vorschrift bestimmt: „Die Hersteller von Tonträgern haben das ausschließliche Recht, jede unmittelbare oder mittelbare Vervielfältigung ihrer Tonträger zu erlauben.“
( 21 ) Übereinkommen zum Schutz der ausübenden Künstler, der Hersteller von Tonträgern und der Sendeunternehmen, unterzeichnet am 26. Oktober 1961 in Rom.
( 22 ) Guide des traités sur le droit d’auteur et les droits connexes administrés par OMPI, OMPI, Genf, 2003.
( 23 ) Ebd., S. 154.
( 24 ) Übereinkommen zum Schutz der Hersteller von Tonträgern gegen unerlaubte Vervielfältigung ihrer Tonträger vom 29. Oktober 1971, in Kraft getreten am 18. April 1973.
( 25 ) § 24 UrhG erwähnt ausdrücklich nur die Benutzung von Werken. Dem vorlegenden Gericht zufolge ist diese Vorschrift jedoch auf die Benutzung anderer Schutzobjekte, insbesondere von Tonträgern, entsprechend anwendbar.
( 26 ) Vgl. zuletzt Urteil vom 7. August 2018, Renckhoff (C‑161/17, EU:C:2018:634‚ Rn. 16).
( 27 ) Vgl. zum immanenten Charakter dieser Beschränkung meine Schlussanträge in der Rechtssache EGEDA u. a. (C-470/14, EU:C:2016:24, Nrn. 15 und 16).
( 28 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254‚ Rn. 26 und 27).
( 29 ) Vgl. u. a. Mania, G., „Cytat w muzyce – o potrzebie reinterpretacji przesłanek“, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego, Nr. 1/2017, S. 63 bis 88. Vgl. auch Vivant, M., Bruguière, J.‑M., Droit d’auteur et droits voisins, Dalloz, Paris, 2015, S. 571. Der Gerichtshof hat die Ausnahme für Zitate offenbar stillschweigend auch in Bezug auf ein fotografisches Werk anerkannt (vgl. Urteil vom 1. Dezember 2011, Painer, C‑145/10, EU:C:2011:798, Rn. 122 und 123).
( 30 ) In seinem Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds (C‑201/13, EU:C:2014:2132), hat der Gerichtshof zwar keine allzu strengen Anforderungen an den Begriff der Parodie gestellt. Er hat jedoch entschieden, dass die Parodie an ein anderes Werk „erinnert“ (vgl. Nr. 2 des Urteilstenors). Außerdem liegt meines Erachtens auf der Hand, dass das Werk „Nur mir“ unter den Umständen der vorliegenden Rechtssache weder eine Parodie noch eine Karikatur des Werks „Metall auf Metall“ ist. Was den Begriff des Pastiches betrifft, bezeichnet dieser eine Nachahmung des Stils eines Werks oder eines Urhebers, ohne dass notwendigerweise Bestandteile dieses Werks übernommen werden. Im vorliegenden Fall haben wir es aber mit der umgekehrten Situation zu tun, nämlich der Übernahme eines Tonträgers, die dazu dient, ein Werk in einem völlig anderen Stil zu schaffen.
( 31 ) Siehe den Teil der vorliegenden Schlussanträge, der sich mit der Antwort auf die zweite Frage befasst.
( 32 ) Auf diese Rechtsprechung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 31. Mai 2016, 1 BvR 1585/13, hingewiesen, das dem vorliegenden Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegt (siehe Nr. 81 der vorliegenden Schlussanträge).
( 33 ) Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107‚ Rn. 60).
( 34 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107‚ Rn. 63).
( 35 ) Vgl. u. a. Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465‚ Rn. 27).
( 36 ) Vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, Infopaq International (C‑5/08, EU:C:2009:465‚ Rn. 32).
( 37 ) Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds (C‑201/13, EU:C:2014:2132‚ Rn. 15).
( 38 ) Urteil vom 10. April 2014, ACI Adam u. a. (C‑435/12, EU:C:2014:254, Rn. 26 und 27).
( 39 ) Vgl. auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Funke Medien NRW (C‑469/17, EU:C:2018:870, Nrn. 38 und 39).
( 40 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni (C‑399/11, EU:C:2013:107‚ Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).
( 41 ) Urteil vom 31. Mai 2016, 1 BvR 1585/13.
( 42 ) Diese Funktion des Urheberrechts und der verwandten Rechte wird im Übrigen in den Erwägungsgründen 9 bis 11 der Richtlinie 2001/29 ausdrücklich bestätigt.
( 43 ) Ihre Rechte als Urheber und ausübende Künstler sind im Übrigen im erstinstanzlichen Verfahren hilfsweise geltend gemacht worden (siehe Nr. 14 der vorliegenden Schlussanträge).
( 44 ) Bei der vorliegenden Analyse stütze ich mich auf die englische Sprachfassung des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, die auf der Website dieses Gerichts verfügbar ist, sowie hinsichtlich des beschreibenden Teils auf die Kommentierungen dieses Urteils, u. a. Duhanic, I., „Copy this sound! The cultural importance of sampling for hip hop music in copyright law – a copyright law analysis of the sampling decision of the German Federal Constitutional Court“, Journal of Intellectual Property Law and Practice, 2016, Bd. 11, Nr. 12, S. 932 bis 945; Mezei, P., „De Minimis and Artistic Freedom: Sampling on the Right Track?“, Zeszyty Naukowe Uniwersytetu Jagiellońskiego, 2018, Bd. 139, Nr. 1, S. 56 bis 67; und Mimler, M. D., „Metall auf Metall“ – German Federal Constitutional Court discusses the permissibility of sampling of music tracks, Queen Mary Journal of Intellectual Property, 2017, Bd. 7, Nr. 1, S. 119 bis 127.
( 45 ) Gemäß der in Nr. 72 der vorliegenden Schlussanträge erwähnten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts.
( 46 ) Siehe den Teil der vorliegenden Schlussanträge, der sich mit der Antwort auf die vierte Frage befasst.
( 47 ) Vgl. in diesem Sinne zuletzt Urteil vom 18. Oktober 2018, Bastei Lübbe (C‑149/17, EU:C:2018:841‚ Rn. 44).
( 48 ) Gemäß der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte verwendeten Formulierung stellt „die durch Art. 10 Abs. 1 [EMRK] gewährleistete Freiheit der Meinungsäußerung eine der Grundsäulen einer demokratischen Gesellschaft, eine der wesentlichen Bedingungen für ihren Fortschritt und für die Selbstverwirklichung des Einzelnen dar. Vorbehaltlich des Art. 10 Abs. 2 [EMRK] erstreckt sie sich nicht nur auf ‚Informationen‘ oder ‚Ideen‘, die positiv aufgenommen oder als harmlos oder als indifferent angesehen werden, sondern auch auf solche, die den Staat oder einen Teil seiner Bevölkerung verletzen, schockieren oder beunruhigen“ (EGMR, 25. Januar 2007, Vereinigung Bildender Künstler/Österreich, CE:ECHR:2007:0125JUD006835401, § 26).
( 49 ) Vgl. EGMR, 25. Januar 2007, Vereinigung Bildender Künstler/Österreich, CE:ECHR:2007:0125JUD006835401).
( 50 ) Eine andere Beurteilung könnte sich zwar in einem Fall ergeben, in dem einem Künstler solche Schwierigkeiten in den Weg gelegt werden, um sein Schaffen zu verhindern, und zwar gerade wegen des Inhalts seines Werks (vgl. den Film von A. Wajda, Powidoki [Die blauen Blumen], über die Schikanen gegen den polnischen Maler Władysław Strzemiński in der Stalin-Ära). Dabei handelt es sich jedoch um Extremsituationen.
( 51 ) Insoweit hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte ausgeführt, dass „Künstler und Personen, die deren Werk fördern, … von der Möglichkeit einer in Art. 10 Abs. 2 [EMRK] vorgesehenen Einschränkung nicht ausgenommen [sind]. Wer das Recht auf Meinungsfreiheit in Anspruch nimmt, übernimmt dabei nämlich gemäß dem Wortlaut dieses Absatzes ‚Pflichten und Verantwortung‘, deren Umfang von seiner Situation und den von ihm eingesetzten Mitteln abhängt“ (EGMR, 25. Januar 2007, Vereinigung Bildender Künstler/Österreich, CE:ECHR:2007:0125JUD006835401, § 26).
( 52 ) Vgl. in diesem Sinne EGMR, 10. Januar 2013, Ashby Donald u. a./Frankreich (CE:ECHR:2013:0110JUD003676908, § 40).
( 53 ) Vgl. z. B. die Rechtssache C‑469/17, Funke Medien NRW, in der ich am 25. Oktober 2018Schlussanträge vorgelegt habe (EU:C:2018:870).
( 54 ) Siehe den Teil der vorliegenden Schlussanträge, der sich mit der Antwort auf die zweite Frage befasst.
( 55 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 3. September 2014, Deckmyn und Vrijheidsfonds (C‑201/13, EU:C:2014:2132‚ Rn. 27 bis 31).
( 56 ) Vgl. in diesem Sinne zuletzt Urteil vom 18. Oktober 2018, Bastei Lübbe (C‑149/17, EU:C:2018:841‚ Rn. 46).