SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MELCHIOR WATHELET

vom 25. April 2018 ( 1 )

Rechtssache C‑121/17

Teva UK Ltd,

Accord Healthcare Ltd,

Lupin Ltd,

Lupin (Europe) Ltd,

Generics (UK), handelnd unter der Firma „Mylan“,

gegen

Gilead Sciences Inc.

(Vorabentscheidungsersuchen des High Court of Justice [England & Wales], Chancery Division [Patents Court] [Hoher Gerichtshof (England und Wales), Abteilung Chancery (Patentgericht), Vereinigtes Königreich])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Rechtsangleichung – Patentrecht – Ergänzendes Schutzzertifikat für Arzneimittel – Verordnung (EG) Nr. 469/2009 – Art. 3 Buchst. a – Voraussetzungen für die Erteilung – Durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschütztes Erzeugnis – Beurteilungskriterien“

I. Einleitung

1.

Das vorliegende Vorabentscheidungsersuchen, das am 8. März 2017 vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery [Patentgericht], Vereinigtes Königreich) bei der Kanzlei des Gerichtshofs eingereicht worden ist, betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel ( 2 ).

2.

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Teva UK Ltd, der Accord Healthcare Ltd, der Lupin Ltd, der Lupin (Europe) Ltd sowie der Generics (UK), handelnd unter der Firma „Mylan“, und der Gilead Sciences Inc. (Gilead). Im Ausgangsrechtsstreit stellen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens die Gültigkeit des ergänzenden Schutzzertifikats (ESZ) SPC/GB05/041 von Gilead betreffend ein Erzeugnis, das in diesem ESZ als „Zusammensetzung aus Tenofovir Disoproxil, gegebenenfalls in Form eines pharmazeutisch verträglichen Salzes, Hydrats, Tautomers oder Solvats, und Emtricitabin“ beschrieben wird, in Frage. Bei dem unter das ESZ fallenden Erzeugnis handelt es sich um ein antiretrovirales Arzneimittel zur Behandlung des Humanen Immundefizienz-Virus (HIV), das von Gilead als TRUVADA vertrieben wird.

3.

Gilead trägt vor, das unter das ESZ fallende Erzeugnis sei durch ein europäisches Patent „geschützt“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009, was die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens in Abrede stellen. Diese machen dementsprechend geltend, das ESZ entspreche nicht Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung.

4.

Das Vorabentscheidungsersuchen gibt dem Gerichtshof erneut Gelegenheit, sich zur heiklen Frage der Kriterien zu äußern, die die Feststellung erlauben, ob ein Wirkstoff ( 3 ) oder eine Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 ist ( 4 ).

II. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

5.

Die Erwägungsgründe 4, 5, 9 und 10 der Verordnung Nr. 469/2009 lauten:

„(4)

Derzeit wird durch den Zeitraum zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend ist.

(5)

Diese Tatsache führt zu einem unzureichenden Schutz, der nachteilige Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung hat.

(9)

Die Dauer des durch das Zertifikat gewährten Schutzes sollte so festgelegt werden, dass dadurch ein ausreichender tatsächlicher Schutz erreicht wird. Hierzu müssen demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines Zertifikats ist, insgesamt höchstens fünfzehn Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der [Union] eingeräumt werden.

(10)

In einem so komplexen und empfindlichen Bereich wie dem pharmazeutischen Sektor sollten jedoch alle auf dem Spiel stehenden Interessen einschließlich der Volksgesundheit berücksichtigt werden. Deshalb kann das Zertifikat nicht für mehr als fünf Jahre erteilt werden. Der von ihm gewährte Schutz sollte im Übrigen streng auf das Erzeugnis beschränkt sein, für das die Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel erteilt wurde.“

6.

Art. 1 („Definitionen“) der Verordnung Nr. 469/2009 sieht vor:

„Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck

a)

‚Arzneimittel‘ einen Stoff oder eine Stoffzusammensetzung, der (die) als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher … bezeichnet wird …;

b)

‚Erzeugnis‘ den Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels;

c)

‚Grundpatent‘ ein Patent, das ein Erzeugnis als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist;

d)

‚Zertifikat‘ das [ESZ];

…“

7.

Art. 3 („Bedingungen für die Erteilung des Zertifikats“) der Verordnung Nr. 469/2009 bestimmt:

„Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a)

das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b)

für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 2001/83/EG [des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67)] … erteilt wurde;

c)

für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

d)

die unter Buchstabe b erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist.“

B.   Europäisches Patentübereinkommen

8.

Art. 69 („Schutzbereich“) des am 5. Oktober 1973 in München unterzeichneten Übereinkommens über die Erteilung europäischer Patente in der auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens anwendbaren Fassung (EPÜ) sieht vor:

„(1)   Der Schutzbereich des europäischen Patents und der europäischen Patentanmeldung wird durch die Patentansprüche bestimmt. Die Beschreibung und die Zeichnungen sind jedoch zur Auslegung der Patentansprüche heranzuziehen.

(2)   Für den Zeitraum bis zur Erteilung des europäischen Patents wird der Schutzbereich der europäischen Patentanmeldung durch die in der veröffentlichten Anmeldung enthaltenen Patentansprüche bestimmt. Jedoch bestimmt das europäische Patent in seiner erteilten oder im Einspruchs-, Beschränkungs- oder Nichtigkeitsverfahren geänderten Fassung rückwirkend den Schutzbereich der Anmeldung, soweit deren Schutzbereich nicht erweitert wird.“

9.

Was diesen Art. 69 angeht, bestimmt Art. 1 des Protokolls über die Auslegung des Art. 69 EPÜ, das nach Art. 164 Abs. 1 EPÜ Bestandteil dieses Übereinkommens ist:

„Artikel 69 ist nicht in der Weise auszulegen, dass unter dem Schutzbereich des europäischen Patents der Schutzbereich zu verstehen ist, der sich aus dem genauen Wortlaut der Patentansprüche ergibt, und dass die Beschreibung sowie die Zeichnungen nur zur Behebung etwaiger Unklarheiten in den Patentansprüchen anzuwenden sind. Ebenso wenig ist Artikel 69 dahingehend auszulegen, dass die Patentansprüche lediglich als Richtlinie dienen und der Schutzbereich sich auch auf das erstreckt, was sich dem Fachmann nach Prüfung der Beschreibung und der Zeichnungen als Schutzbegehren des Patentinhabers darstellt. Die Auslegung soll vielmehr zwischen diesen extremen Auffassungen liegen und einen angemessenen Schutz für den Patentinhaber mit ausreichender Rechtssicherheit für Dritte verbinden.“

10.

Art. 83 („Offenbarung der Erfindung“) EPÜ lautet:

„Die Erfindung ist in der europäischen Patentanmeldung so deutlich und vollständig zu offenbaren, dass ein Fachmann sie ausführen kann.“

11.

Art. 84 („Patentansprüche“) EPÜ sieht vor: „Die Patentansprüche müssen den Gegenstand angeben, für den Schutz begehrt wird. Sie müssen deutlich und knapp gefasst sein und von der Beschreibung gestützt werden.“

C.   Recht des Vereinigten Königreichs

12.

Art. 69 EPÜ und das Protokoll zu seiner Auslegung sind im Vereinigten Königreich durch Section 125 Abs. 1 und 3 des Patents Act 1977 (Patentgesetz von 1977) umgesetzt worden.

13.

Section 125 des Patentgesetzes von 1977 bestimmt:

„(1)   Eine Erfindung im Sinne dieses Gesetzes, für die ein Patent angemeldet oder erteilt wurde, wird, soweit nichts anderes bestimmt ist, durch die Patentansprüche in der Patentanmeldung oder Patentschrift in der Auslegung durch die Beschreibung und etwaige Zeichnungen bestimmt, die in der Patentanmeldung oder Patentschrift enthalten sind; der Schutzumfang des Patents oder der Patentanmeldung wird entsprechend bestimmt.

(3)   Das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 [EPÜ] (der eine Subsection 1 entsprechende Bestimmung enthält) ist, solange es gilt, auf Subsection 1 so anzuwenden wie auf diesen Artikel.

…“

III. Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

14.

Gilead ist ein pharmazeutisches Unternehmen, das ein antiretrovirales Arzneimittel namens TRUVADA zur Behandlung von Personen vertreibt, die HIV-infiziert sind. Dieses Arzneimittel enthält zwei Wirkstoffe, Tenofovir Disoproxil (im Folgenden: TD) und Emtricitabin ( 5 ). Es verfügt über eine im Jahr 2005 von der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen.

15.

Gilead ist Inhaberin des Europäischen Patents EP 0 915894 (im Folgenden: Grundpatent). Dieses am 25. Juli 1997 mit Beanspruchung der Priorität ab dem 26. Juli 1996 angemeldete Patent wurde am 14. Mai 2003 erteilt und lief am 24. Juli 2017 ab. Es erstreckt sich, allgemein gesagt, auf eine Reihe von Molekülen, die zur Behandlung von Virusinfektionen in Menschen oder Tieren dienen, namentlich HIV.

16.

In der „Zusammenfassung der Erfindung“ heißt es, dass diese Verbindungen nach zwei Markush-Formeln – Formel (1a) und Formel (1) – sowie Verfahren zur Herstellung solcher Verbindungen liefere.

17.

Patentanspruch 1 betrifft Verbindungen mit der Formel (1a), und Anspruch 2 betrifft Verbindungen mit der Formel (1). Die Ansprüche 3 bis 24 betreffen abhängige Verbindungen, die zunehmend enger gefasst sind.

18.

Anspruch 25 ist ein eigenständiger Anspruch für die Verbindung TD.

19.

Anspruch 27 lautet:

„Pharmazeutische Zusammensetzung umfassend eine Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 25 zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger und gegebenenfalls andere therapeutische Bestandteile“ ( 6 ).

20.

Die Ansprüche 28 bis 33 betreffen Verfahren.

21.

Im Jahr 2008 erhielt Gilead auf der Grundlage des Anspruchs 27 des Grundpatents und der für TRUVADA erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen das ESZ SPC/GB05/041. Dieses ESZ betrifft eine „Zusammensetzung aus [TD], gegebenenfalls in Form eines pharmazeutisch verträglichen Salzes, Hydrats, Tautomers oder Solvats, und Emtricitabin“ ( 7 ).

22.

Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, die generische Versionen von TRUVADA auf den Markt bringen möchten, sobald das Grundpatent abläuft, haben beim vorlegenden Gericht eine Klage erhoben, mit der sie die Ungültigkeit des besagten ESZ geltend machen.

23.

Zur Stützung ihrer Klage machen die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens im Wesentlichen geltend, Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 sei nur dann erfüllt, wenn das fragliche Erzeugnis „in den Ansprüchen … genannt“ sei ( 8 ) und sich der Anspruch, wenn er eine funktionelle Definition enthalte, stillschweigend, aber notwendigerweise auf dieses Erzeugnis beziehe, und zwar in spezifischer Art und Weise ( 9 ). Emtricitabin sei in Anspruch 27 überhaupt nicht genannt, und die Wendung „andere therapeutische Bestandteile“ beziehe sich nicht auf einen Wirkstoff, weder strukturell noch funktionell oder in irgendeiner anderen Weise. Im Gegenteil erfasse sie eine praktisch unbegrenzte Zahl von Wirkstoffen zur Behandlung zahlreicher Krankheiten. Tatsächlich sei Emtricitabin erst sieben Jahre nach dem Prioritätstag des Patents für die klinische Anwendung zugelassen worden, und es gebe keinen Beleg dafür, dass seine Wirksamkeit zu diesem Zeitpunkt bekannt gewesen sei.

24.

Ferner erfordere Anspruch 27 nicht, dass „andere therapeutische Bestandteile“ vorhanden seien, da ihr Vorhandensein nur „gegebenenfalls“ vorgesehen sei. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs gehe klar hervor, dass ein Patentanspruch, der sich auf eine „Zusammensetzung umfassend eine Verbindung A“ beziehe, nicht schon dann verletzt sei, wenn A in einem aus A und B bestehenden Kombinationspräparat vorhanden sei. Es bestehe kein Unterschied zwischen einem solchen Anspruch und einem Anspruch für eine „Zusammensetzung umfassend eine Verbindung A und gegebenenfalls andere aktive Bestandteile“.

25.

Gilead trägt vor, um Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 zu erfüllen, sei es notwendig und ausreichend, dass das fragliche Erzeugnis in den Schutzbereich von mindestens einem der Ansprüche des Grundpatents in Anwendung der Schutzbereichsregeln falle ( 10 ). Die Kombination von TD und Emtricitabin falle in den Schutzbereich von Anspruch 27 des Patents in Anwendung des Art. 69 EPÜ und des Auslegungsprotokolls.

26.

Das vorlegende Gericht ist der Auffassung, dass trotz der zahlreichen Urteile des Gerichtshofs betreffend die Auslegung von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 ( 11 ) die Bedeutung dieser Bestimmung „unklar“ bleibe. Die Notwendigkeit, den Gerichtshof anzurufen, lasse sich den abweichenden Entscheidungen, die in Europa zur Möglichkeit der Erlangung eines ESZ im Kontext der vorliegenden Rechtssache ergangen seien, und den unterschiedlichen Auslegungen von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 entnehmen, die von den nationalen Gerichten vertreten worden seien ( 12 ).

27.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts genügt es nicht, dass das Erzeugnis unter mindestens einen Anspruch des Grundpatents fällt, sondern es ist „noch etwas anderes erforderlich“. Die Urteile vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), und vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), ließen nämlich erkennen, dass für die Feststellung, ob ein „Erzeugnis durch ein Grundpatent geschützt ist“, ebenfalls der „Gegenstand der durch das Patent geschützten Erfindung“ oder der „Kern der erfinderischen Tätigkeit“ zu berücksichtigen sei. Diese Urteile klärten indessen weder den Sinn und die Bedeutung dieser neuen Kriterien noch die Frage, ob sie für die Auslegung vor Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 anwendbar seien ( 13 ).

28.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts muss das Erzeugnis einen Wirkstoff oder eine Wirkstoffzusammensetzung enthalten, der bzw. die die dem Grundpatent zugrunde liegende erfinderische Leistung (bzw. den diesem zugrunde liegenden technischen Beitrag) verkörpert ( 14 ).

29.

Das vorlegende Gericht verweist darauf, dass Emtricitabin in dem fraglichen Grundpatent nicht erwähnt ist. Überdies gebe es keinen Beleg dafür, dass zu dem von diesem Patent beanspruchten Prioritätstag die Wirksamkeit von Emtricitabin für die HIV-Behandlung bekannt gewesen sei. Angesichts all dessen tut sich das vorlegende Gericht schwer mit der Annahme, dass die Zusammensetzung TD/Emtricitabin im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 durch das Grundpatent geschützt ist, umso mehr, als die Kriterien der Rechtsprechung nur wenig Klarheit für die Entscheidung der Frage brächten.

30.

Unter diesen Umständen hat der High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery [Patentgericht]) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Nach welchen Kriterien ist zu entscheiden, ob im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“?

IV. Verfahren vor dem Gerichtshof

31.

Das vorlegende Gericht hat seinem Vorabentscheidungsersuchen einen Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens nach Art. 105 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs beigefügt ( 15 ). Mit Beschluss vom 4. April 2017 hat der Gerichtshof diesen Antrag zurückgewiesen ( 16 ).

32.

Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, Gilead, die griechische und die niederländische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen abgegeben.

33.

Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens, Gilead, die Regierung des Vereinigten Königreichs, die griechische und die lettische Regierung sowie die Kommission haben in der Sitzung vom 20. Februar 2018 mündliche Erklärungen abgegeben.

V. Würdigung

A.   Erklärungen der Beteiligten

34.

Die Klägerinnen des Ausgangsverfahrens tragen vor, im Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), habe der Gerichtshof im Kern dieselbe Frage betreffend Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 beantwortet. Diese Vorschrift sei dahin auszulegen, dass sie der Erteilung eines ESZ für Wirkstoffe entgegenstehe, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das die betreffende Anmeldung gestützt werde, nicht erwähnt seien.

35.

In der diesem Urteil nachfolgenden Rechtsprechung des Gerichtshofs sei dieses Kriterium wiederum angewendet worden, gestützt auf dieselben Gründe. In der vorliegenden Rechtssache erfülle das ESZ ganz offensichtlich nicht die in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 aufgestellten Voraussetzungen, da Emtricitabin im Patent nicht genannt sei, weder ausdrücklich noch anhand der chemischen Struktur, noch anderweitig.

36.

Den Klägerinnen des Ausgangsverfahrens zufolge „ist der Schutzbereich des Anspruchs 27 offensichtlich nicht auf eine Arzneimittelzusammensetzung beschränkt, die zwei (oder mehr) therapeutische Bestandteile enthält, sondern erfasst auch eine Arzneimittelzusammensetzung, die einen einzigen pharmazeutischen Bestandteil enthält, der aus einem Bestandteil im Sinne der Ansprüche 1 bis 25 besteht. Wie das vorlegende Gericht ausgeführt hat, ist das Vorliegen oder Fehlen eines anderen therapeutischen Bestandteils für die Frage, ob eine Arzneimittelzusammensetzung unter Anspruch 27 fällt, und damit für die Beurteilung der Frage, ob Aktionen im Zusammenhang mit einer solchen Arzneimittelzusammensetzung diesen Patentanspruch berühren, unerheblich“.

37.

Gilead macht geltend, ein Erzeugnis sei durch ein in Kraft befindliches Grundpatent nach Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt, wenn es in den Schutzbereich eines Anspruchs des in Kraft befindlichen Grundpatents falle, was sich nach Art. 69 EPÜ oder der auf diesem Artikel beruhenden nationalen Regelung bestimme. Das Unionsrecht stelle keine weitere Voraussetzung auf. Der vom vorlegenden Gericht angesprochene Ansatz sei zurückzuweisen, da er keinerlei Grundlage in der Verordnung Nr. 469/2009 habe, nicht mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs in Einklang stehe und in der Vergangenheit vom vorlegenden Gericht vertreten und vom Gerichtshof zurückgewiesen worden sei.

38.

Die Regierung des Vereinigten Königreichs verweist darauf, dass der Gerichtshof in Rn. 41 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), ausgeführt habe: „Das grundlegende Ziel der Verordnung Nr. 469/2009 besteht darin, den Rückstand in der wirtschaftlichen Verwertung dessen auszugleichen, was den Kern der erfinderischen Tätigkeit ausmacht, die Gegenstand des Grundpatents ist …“ Dieses Kriterium des „Kerns der erfinderischen Tätigkeit“ sei ein realistischer Ansatz, der mit dem – der Verordnung Nr. 469/2009 zugrunde liegenden – Ausgleich der widerstreitenden Interessen in Einklang stehe, da es nicht von den nationalen Ämtern für gewerblichen Rechtsschutz verlange, eine Prüfung der erfinderischen Tätigkeit vorzunehmen, die derjenigen entspreche, die erfolgen müsse, wenn die Gültigkeit des Patents in Frage stehe. Das vorlegende Gericht habe vorgeschlagen, den „technischen Beitrag“ an die Stelle der„erfinderischen Tätigkeit“ zu setzen. Die Abstimmung dieser Begriffe müsse jedoch mit Vorsicht erfolgen, da der Begriff „technischer Beitrag“ in unterschiedlichen Kontexten in der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des Europäischen Patentamts (EPA) vorkomme und geeignet sei, Verwirrung und Rechtsunsicherheit hervorzurufen, wenn das nach der Verordnung Nr. 469/2009 anzuwendende Kriterium zu eng mit dieser Rechtsprechung verbunden sei ( 17 ).

39.

Nach Auffassung der Regierung des Vereinigten Königreichs umfasst das angemessene Kriterium daher die folgenden drei Etappen:

„(i)

In der ersten Etappe geht es um die Feststellung, ob das Erzeugnis unter mindestens einen Anspruch des Patents fällt. Die Ansprüche müssen ausdrücklich oder stillschweigend (aber notwendigerweise, und zwar in spezifischer Art und Weise) den bzw. die fraglichen Wirkstoff(e) anführen;

(ii)

die zweite Etappe besteht in der Feststellung des Kerns der erfinderischen Tätigkeit;

(iii)

schließlich muss a) wenn das Erzeugnis einen einzigen Wirkstoff enthält, festgestellt werden, ob dieser Wirkstoff die in Etappe (ii) festgestellte erfinderische Tätigkeit verkörpert, oder b) wenn das Erzeugnis eine Kombination von Wirkstoffen enthält, festgestellt werden, ob die Kombination als solche und nicht einer der Wirkstoffe, aus denen sie besteht, die in Etappe (ii) festgestellte erfinderische Tätigkeit verkörpert“ (vgl. Nr. 38 ihrer Erklärungen).

40.

Die niederländische Regierung ist der Auffassung, dass ein „Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ sei im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009, wenn es in den Ansprüchen des Grundpatents genannt sei. Dies sei der Fall, wenn der Fachmann sowohl aufgrund der Beschreibung als auch seiner allgemeinen Kenntnisse am Prioritätstag erkannt hätte, dass der Wirkstoff, für den ein ergänzendes Zertifikat beantragt werde, zu den Stoffen gehöre, die in den Patentansprüchen genannt seien. Um zu belegen, dass ein Kombinationspräparat (im vorliegenden Fall die Kombination von TD und Emtricitabin) unter ein in Kraft befindliches Grundpatent falle, müsse dieses Kombinationspräparat jedoch auch als Kern der erfinderischen Tätigkeit angesehen werden können ( 18 ).

41.

In der vorliegenden Rechtssache sei es also nicht nur erforderlich, dass der Fachmann erkenne, dass der Begriff „andere therapeutische Bestandteile“ in Anspruch 27 des Grundpatents sich auf Emtricitabin beziehe. Überdies müsse festgestellt werden, ob dieser Stoff in Verbindung mit dem Wirkstoff TD Gegenstand der von dem Patent geschützten Erfindung sei. Wenn die Kombination von TD und Emtricitabin nicht zum Kern der erfinderischen Tätigkeit gehöre, sei die Voraussetzung des Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 daher nicht erfüllt.

42.

Nach Auffassung der griechischen Regierung ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs eindeutig, dass im Fall eines zusammengesetzten pharmazeutischen Erzeugnisses, das aus mindestens zwei Wirkstoffen bestehe, wie das streitige Arzneimittel ( 19 ), Voraussetzung für die Erlangung eines ESZ sei, dass es die Zusammensetzung sei, die die erfinderische Tätigkeit des Patents verkörpere, wie sie in den Patentansprüchen genannt sei. In einem Fall wie dem vorliegenden werde ein ESZ daher nicht für ein pharmazeutisches Erzeugnis erteilt, das aus einem Wirkstoff oder einer Wirkstoffzusammensetzung bestehe der bzw. die nicht die erfinderische Tätigkeit des Grundpatents verkörpere.

43.

Die lettische Regierung hat in der mündlichen Verhandlung vom 20. Februar 2018 ausgeführt, die Wendung „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 müsse eng ausgelegt werden, um die Ziele dieser Verordnung zu erreichen und nicht nur die Interessen der Hersteller der patentierten Arzneimittel zu schützen, sondern ebenso diejenigen der Hersteller von Generika und der Verbraucher. Hierzu müsse der Wirkstoff in den Ansprüchen des Grundpatents, ausgelegt nach Art. 69 EPÜ, deutlich erwähnt sein. Dieses Kriterium sei allerdings nicht ausreichend. Es sei erforderlich, ein zusätzliches Kriterium anzuwenden, nämlich dass der fragliche Wirkstoff den Kern der erfinderischen Tätigkeit des Grundpatents ausmache. Wenn es um eine Kombination von Wirkstoffen gehe, müsse diese Kombination den Kern der erfinderischen Tätigkeit ausmachen.

44.

Die Kommission trägt vor, in Rn. 28 des Urteils vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), habe der Gerichtshof entschieden „dass Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin auszulegen [sei], dass er es den für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, ein ESZ für Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das die betreffende Anmeldung gestützt wird, nicht [erwähnt] sind“.

45.

Nach Auffassung der Kommission ist Anspruch 27 übermäßig weit, offen und allgemein formuliert. Auch wenn diese Formulierung im Rahmen einer zur Zeit des Urteils vom 16. September 1999, Farmitalia (C‑392/97, EU:C:1999:416), angemessenen Prüfung im Hinblick auf die „Schutzbereichsregel“ habe ausreichen können, genüge sie doch nicht dem in der jüngeren Rechtsprechung des Gerichtshofs aufgestellten Kriterium.

46.

In diesem Zusammenhang weist die Kommission darauf hin, dass die Begriffe „umfassend“ und „gegebenenfalls“ diesem Kriterium zuwiderliefen, da sie absichtlich weit und offen seien.

47.

Was das vom vorlegenden Gericht „befürwortete“ Kriterium „zentrale erfinderische Tätigkeit“ und die Frage angehe, ob dieses Kriterium im Rahmen von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 anwendbar sei, könne davon ausgegangen werden, dass der Gerichtshof sich bereits in Rn. 41 seines Urteils vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), auf dieses Kriterium bezogen habe. Es habe sich dort aber um Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 469/2009 in einem Kontext gehandelt, in dem ein ESZ dem Antragsteller bereits für dasselbe Erzeugnis erteilt worden sei und ein zweites ESZ für eine Kombination beantragt worden sei, die dieses Erzeugnis enthalten habe. In der fraglichen Rechtssache habe der Gerichtshof davon abgesehen, die erste Frage zu beantworten, die sich auf Art. 3 Buchst. a der Verordnung bezogen habe.

B.   Vorbemerkungen

48.

Der Grund für den Erlass der Verordnung Nr. 469/2009 lag darin, dass die Laufzeit des tatsächlichen Patentschutzes für die Amortisierung der in der pharmazeutischen Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend war; dem sollte durch die Schaffung eines ESZ für Arzneimittel abgeholfen werden ( 20 ).

49.

Die Verordnung Nr. 469/2009 schafft insoweit eine einheitliche Lösung auf Unionsebene, als ein Zertifikat eingeführt wird, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten kann. Sie soll auf diese Weise einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorbeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, die geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Union zu behindern ( 21 ).

50.

Nach Art. 2 der Verordnung Nr. 469/2009 kann nämlich für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschützte Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens ist ( 22 ), gemäß den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein ESZ erteilt werden.

51.

Insoweit sieht Art. 3 der Verordnung Nr. 469/2009 vier kumulative Voraussetzungen für die Erteilung eines ESZ vor. In der vorliegenden Rechtssache geht es ausschließlich um die erste Voraussetzung gemäß Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung, der verlangt, dass das Erzeugnis „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist“.

52.

Gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 469/2009 gewährt das ESZ dieselben Rechte wie das Grundpatent und unterliegt denselben Beschränkungen und Verpflichtungen.

53.

Nach Art. 13 Abs. 1 der Verordnung Nr. 469/2009 gilt das ESZ ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents für eine Dauer, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft entspricht, abzüglich eines Zeitraums von fünf Jahren. Art. 13 Abs. 2 der Verordnung Nr. 469/2009 bestimmt: „Ungeachtet des Absatzes 1 beträgt die Laufzeit des Zertifikats höchstens fünf Jahre vom Zeitpunkt seines Wirksamwerdens an.“ ( 23 )

C.   Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009

1. Das Urteil Medeva und die Bedeutung der Patentansprüche

54.

Aus Rn. 32 des Urteils vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), und in Anbetracht dessen, dass das ESZ gemäß Art. 5 der Verordnung Nr. 469/2009 dieselben Rechte gewährt wie das Grundpatent und denselben Beschränkungen und Verpflichtungen unterliegt, folgt, dass Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 der Erteilung eines ESZ für Wirkstoffe, die in den Ansprüchen dieses Grundpatents ( 24 )nicht genannt sind ( 25 ), entgegensteht.

55.

In Rn. 30 des Beschlusses vom 25. November 2011, Daiichi Sankyo (C‑6/11, EU:C:2011:781), hat der Gerichtshof ferner entschieden, „dass Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin auszulegen ist, dass er es den für den gewerblichen Rechtsschutz zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verwehrt, ein ESZ für Wirkstoffe zu erteilen, die in den Ansprüchen des Grundpatents, auf das die betreffende Anmeldung gestützt wird, nicht [erwähnt] sind“ ( 26 ).

56.

Meines Erachtens sind die Begriffe „nennen“ und „erwähnen“ Synonyme, die vom Gerichtshof in austauschbarer Weise verwendet werden.

57.

So hat der Gerichtshof die wesentliche Rolle der Ansprüche für die Entscheidung, ob ein Erzeugnis durch ein Grundpatent im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt ist, hervorgehoben.

2. Regeln betreffend die Auslegung der Patentansprüche – Regeln betreffend den Umfang der Erfindung – Art. 69 EPÜ

58.

Was die Regeln angeht, die zur Bestimmung dessen dienen, was von dem Grundpatent im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt ist, hat der Gerichtshof eindeutig festgestellt, dass es sich hierbei um jene handelt, die den Umfang der Erfindung betreffen, die Gegenstand eines solchen Patents ist, nicht aber jene, die Patentverletzungsklagen betreffen ( 27 ).

59.

Um den Unterschied zwischen den Regeln, die den Umfang der Erfindung betreffen, und jenen, die Patentverletzungsklagen betreffen, besser zu illustrieren: Ein Arzneimittel, das aus den Wirkstoffen A + B besteht, würde ein Patent verletzen und eine Patentverletzungsklage nach sich ziehen, selbst wenn die Patentansprüche nur den Wirkstoff A betreffen.

60.

Dagegen fällt der Wirkstoff B, der nicht in den Patentansprüchen genannt ist, eindeutig nicht in den Umfang der Erfindung und ist nicht durch das fragliche Patent „geschützt“ im Sinne von Art. 69 EPÜ und dem Protokoll zu seiner Auslegung sowie von Art. 125 des Patentgesetzes von 1977.

61.

Zwar soll die Verordnung Nr. 469/2009 nämlich eine einheitliche Lösung auf Unionsebene einführen, indem sie ein ESZ schafft, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents in jedem Mitgliedstaat unter denselben Voraussetzungen erhalten kann, doch hat der Gerichtshof befunden, dass der Umfang des Patentschutzes mangels Harmonisierung des Patentrechts auf Unionsebene nur anhand der einschlägigen Vorschriften, die nicht zum Unionsrecht gehören, zu bestimmen ist ( 28 ).

62.

In Rn. 40 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), hat der Gerichtshof befunden, dass er nicht zuständig sei, die Bestimmungen dieses Übereinkommens auszulegen, da die Union diesem im Unterschied zu den Mitgliedstaaten nicht beigetreten sei, und dass er dem vorlegenden Gericht keine weiteren Hinweise dafür geben könne, wie es den Umfang der Ansprüche eines vom EPA erteilten Patents zu beurteilen habe.

63.

Meines Erachtens ist es dieses Spannungsverhältnis zwischen zwei unterschiedlichen Rechtssystemen, das für das durch die Verordnung Nr. 469/2009 eingeführte ESZ-System charakteristisch ist und zu Schwierigkeiten bei der Auslegung und Anwendung einiger Vorschriften dieser Verordnung, u. a. ihres Art. 3 Buchst. a, führt ( 29 ).

3. Die Rechtsprechung des Gerichtshofs nach dem Urteil Medeva

64.

In der vorliegenden Rechtssache geht es um die Frage, ob es ausreicht, dass ein Erzeugnis aufgrund der Regeln, die den Umfang der Erfindung betreffen, zumindest unter einen Anspruch des Grundpatents fällt, um ein durch ein Grundpatent geschütztes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 darzustellen, oder ob weitere, zusätzliche Kriterien angewandt werden müssen.

65.

Das vorlegende Gericht schlägt zur Lösung dieses Problems vor, nicht nur zu prüfen, ob das Erzeugnis aufgrund der Regeln, die den Umfang der Erfindung betreffen, zumindest unter einen Anspruch des Grundpatents fällt, sondern auch zu prüfen, ob das Erzeugnis die erfinderische Tätigkeit des Grundpatents verkörpert.

66.

Diese Frage hat sich im Anschluss an Hinweise gestellt, welche die nach dem Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), ergangene Rechtsprechung des Gerichtshofs liefert.

67.

So hat der Gerichtshof in Rn. 41 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), festgestellt, dass „[d]as grundlegende Ziel der Verordnung Nr. 469/2009 darin [bestand,] den Rückstand in der wirtschaftlichen Verwertung dessen auszugleichen, was den Kern der erfinderischen Tätigkeit ausmacht, die Gegenstand des Grundpatents ist“ ( 30 ).

68.

Allerdings ist darauf hinzuweisen, dass dieses Urteil im vorliegenden Fall unbeachtlich ist, da es sich ausschließlich auf Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 469/2009 bezieht, um den es hier nicht geht ( 31 ); der Gerichtshof hat nämlich eindeutig festgestellt, dass über die in dieser Rechtssache gestellte Frage betreffend Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung nicht entschieden zu werden brauche.

69.

In der Rechtssache, in der das Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), ergangen ist, war dem Gerichtshof die Frage vorgelegt worden, ob Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin auszulegen sei, dass es für die Einstufung eines Wirkstoffs als „durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt“ im Sinne dieser Bestimmung erforderlich sei, diesen Wirkstoff in den Ansprüchen dieses Patents mit einer Strukturformel anzuführen, oder ob er auch als geschützt angesehen werden könne, wenn er von einer in diesen Ansprüchen enthaltenen Funktionsformel ( 32 ) gedeckt sei.

70.

In Rn. 44 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), heißt es: „Wenn dieser Wirkstoff unter eine in den Ansprüchen eines vom EPA erteilten Patents enthaltene Funktionsformel fällt[ ( 33 )], steht Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 der Erteilung eines ESZ für diesen Wirkstoff grundsätzlich nicht entgegen; dies gilt jedoch nur unter der Voraussetzung, dass diese Ansprüche, die nach Art. 69 EPÜ und dem Protokoll über die Auslegung des [Art. 69] EPÜ u. a. im Licht der Beschreibung der Erfindung auszulegen sind, den Schluss zulassen, dass sie sich stillschweigend, aber notwendigerweise auf den in Rede stehenden Wirkstoff beziehen, und zwar in spezifischer Art und Weise, was das vorlegende Gericht zu prüfen hat.“ ( 34 )

71.

Schließlich hat der Gerichtshof in Rn. 38 des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), befunden, „dass ein Grundpatent einen Wirkstoff im Sinne der Art. 1 Buchst. c und 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 nur dann ‚als solche[n]‘ schützt, wenn er den Gegenstand der von dem Patent geschützten Erfindung ( 35 ) bildet ( 36 )“.

72.

Meines Erachtens ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs, insbesondere aus den Urteilen vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), und vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), dass das einzige Mittel zur Prüfung, ob ein Grundpatent einen Wirkstoff im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 schützt, strikt im Wortlaut oder in der Auslegung des Wortlauts der Ansprüche des erteilten Patents liegt ( 37 ).

73.

Jedwedes zusätzliche Kriterium – wie das vom vorlegenden Gericht vorgeschlagene Erfordernis, dass der Wirkstoff „die erfinderische Tätigkeit des Patents“ verkörpert, bringt meines Erachtens die Gefahr mit sich, eine Verwechslung mit den Kriterien der Patentierbarkeit ( 38 ) einer Erfindung hervorzurufen. Die Frage, ob ein Erzeugnis durch ein Patent im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 geschützt ist, ist jedoch nicht dieselbe wie die Frage, ob dieses Erzeugnis patentfähig ist, da Letztere ausschließlich nach nationalem Recht oder Vertragsrecht zu beurteilen wäre.

74.

Der Umstand, dass ein Stoff womöglich in den Schutzbereich der Ansprüche eines Patents in Anwendung von Art. 69 EPÜ und des Protokolls zu seiner Auslegung sowie der Vorschriften des entsprechenden nationalen Rechts, wie etwa von Art. 125 des Patentgesetzes von 1977, fällt, bedeutet nicht notwendigerweise, dass dieser Stoff ein durch ein Patent geschütztes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 darstellt.

75.

Der Umstand, dass ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung in den Schutzbereich eines Patents, namentlich in Anwendung von Art. 69 EPÜ und des Protokolls zu seiner Auslegung sowie der Vorschriften des entsprechenden nationalen Rechts fällt, wäre nämlich eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um ein durch ein Patent geschütztes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 darzustellen.

4. Spezifitäts- oder Abstraktionsniveau der Patentansprüche

76.

Da Patente häufig eine Reihe von Ansprüchen mit unterschiedlichem Spezifitäts- oder Abstraktionsniveau enthalten ( 39 ), ist die tatsächliche Frage, die sich im vorliegenden Fall stellt, diejenige, mit welchem Spezifitäts- oder Abstraktionsniveau ein Erzeugnis in den Ansprüchen des Grundpatents im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 „enthalten ist“.

77.

In Rn. 39 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), hat der Gerichtshof befunden, dass eine wortwörtliche Bezugnahme auf den Wirkstoff in den Ansprüchen des Grundpatents anhand seines Namens oder seiner chemischen Struktur nicht immer für die Zwecke von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 erforderlich ist und dass eine funktionelle Definition eines Wirkstoffs in den Ansprüchen eines Grundpatents in bestimmten Fällen ausreichend sein kann ( 40 ).

78.

Dagegen ergibt sich aus den Rn. 36 bis 39 und 41 des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), ‚,dass der Umstand, dass das Grundpatent einen Anspruch betreffend einen spezifisch benannten Wirkstoff enthält, in bestimmten Fällen womöglich nicht ausreichend ist“.

79.

Dieses Urteil ist jedoch mit Rücksicht auf die besonderen Umstände, zu denen es ergangen ist, mit Vorsicht zu verstehen. Der Wirkstoff, um den es dort ging, war nämlich nicht in dem Patent enthalten, wie es ursprünglich erteilt worden war. Ein neuer Anspruch betreffend diesen Wirkstoff war angeblich nach der Erteilung des Grundpatents im Rahmen eines Verfahrens zur Änderung des Grundpatents ( 41 ) in dieses eingefügt worden, meines Erachtens zu dem Zweck, ein ESZ zu erlangen.

80.

Wie bereits in Nr. 74 dieser Schlussanträge ausgeführt, genügt es nicht, dass ein Erzeugnis schlicht in den Schutzbereich eines Patents fällt ( 42 ), um als geschütztes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 angesehen zu werden. Bekanntlich sind Ansprüche häufig (absichtlich und geschickt) weit gefasst ( 43 ), vage, allgemein und stereotyp ( 44 ), um eine Vielzahl von Stoffen zu erfassen.

81.

Meines Erachtens ist ein Erzeugnis durch ein Patent geschützt im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009, wenn es am Prioritätstag des Patents für den Fachmann offensichtlich gewesen wäre, dass der fragliche Wirkstoff im Wortlaut der Patentansprüche spezifisch und genau identifizierbar war. Handelt es sich um eine Kombination von Wirkstoffen, muss jeder Wirkstoff im Wortlaut der Patentansprüche spezifisch und genau sowie individuell ( 45 ) identifizierbar sein.

82.

Insoweit ist eine ausdrückliche Bezugnahme auf den Namen des Wirkstoffs oder seine chemische Zusammensetzung in den Ansprüchen nicht erforderlich ( 46 ), vorausgesetzt, dieser Wirkstoff ist am Prioritätstag des Patents spezifisch und genau identifizierbar.

83.

Wenn z. B. ein von einem Patent beanspruchter Stoff verschiedene Varianten aufweist ( 47 ), umfasst das durch das Patent geschützte Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 nicht notwendigerweise all diese Varianten. Eine Variante muss am Prioritätstag des Patents im Wortlaut der Patentansprüche spezifisch und genau identifizierbar sein, um ein „durch das Patent geschütztes Erzeugnis“ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 darzustellen ( 48 ).

84.

Der Gerichtshof hat nämlich in Rn. 35 des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), ausgeführt, dass „die Verordnung Nr. 469/2009 den Ausgleich der Rückstände in der wirtschaftlichen Verwertung weder in vollem Umfang noch in Bezug auf alle möglichen Formen dieser Verwertung einer Erfindung, auch diejenige verschiedener Zusammensetzungen mit demselben Wirkstoff, bezweckt“ ( 49 ).

5. Anwendung auf den Sachverhalt des Ausgangsverfahrens

85.

Im Ausgangsverfahren ist unstreitig, dass der Wirkstoff Emtricitabin in den Ansprüchen des Grundpatents nicht namentlich erwähnt wird.

86.

Allerdings ergibt sich aus dem Vorabentscheidungsersuchen, dass Gilead das ESZ, um das es im Ausgangsverfahren geht, für ein antiretrovirales Arzneimittel mit zwei Wirkstoffen, nämlich TD und Emtricitabin, aufgrund von Anspruch 27 des Grundpatents erhalten hat. Dieser Anspruch nimmt nämlich Bezug auf eine pharmazeutische Kombination „umfassend“, eine Verbindung nach irgendeinem der Ansprüche 1 bis 25, d. h. im vorliegenden Fall TD nach Anspruch 25, undgegebenenfalls andere therapeutische Bestandteile“.

87.

Da der Wirkstoff Emtricitabin ausschließlich anhand völlig unbestimmter Begriffe wie „umfassend“ und „gegebenenfalls andere therapeutische Bestandteile“ beansprucht wird ( 50 ), Begriffen, die eine Vielzahl von Stoffen erfassen können, die nicht am Prioritätstag des Patents spezifisch und genau identifizierbar sind ( 51 ), ist meines Erachtens – und vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht – die Zusammensetzung, welche die Wirkstoffe TD und Emtricitabin enthält, d. h. das unter dem Namen TRUVADA vermarktete Arzneimittel, nicht durch das Grundpatent geschützt im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009, selbst wenn diese Zusammensetzung gegebenenfalls unter den Schutz des Anspruchs 27 des Patents, um das es im Ausgangsverfahren geht, in Anwendung von Art. 69 EPÜ und des Protokolls zu seiner Auslegung sowie von Art. 125 des Patentgesetzes von 1977 fallen könnte.

88.

Anscheinend wäre es nämlich – vorbehaltlich der Prüfung durch das vorlegende Gericht – für den Fachmann am 26. Juli 1996, dem Prioritätstag des Patents, um das es im Ausgangsverfahren geht, nicht offensichtlich gewesen, dass der Wirkstoff Emtricitabin im Wortlaut der Ansprüche dieses Patents spezifisch und genau identifizierbar war.

VI. Ergebnis

89.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die vom High Court of Justice (England & Wales), Chancery Division (Patents Court) (Hoher Gerichtshof [England und Wales], Abteilung Chancery [Patentgericht], Vereinigtes Königreich) zur Vorabentscheidung vorgelegte Frage wie folgt zu beantworten:

Art. 3 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 469/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 über das ergänzende Schutzzertifikat für Arzneimittel steht der Erteilung eines ergänzenden Schutzzertifikats betreffend Wirkstoffe, die nicht im Wortlaut der Ansprüche des Grundpatents genannt sind, entgegen. Der Umstand, dass ein Stoff oder eine Stoffzusammensetzung in den Schutzbereich des Grundpatents fällt, ist eine notwendige, aber nicht hinreichende Bedingung, um ein durch ein Patent geschütztes Erzeugnis im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 darzustellen. Ein Erzeugnis ist durch ein Patent geschützt im Sinne von Art. 3 Buchst. a dieser Verordnung, wenn es für den Fachmann am Prioritätstag des Patents offensichtlich gewesen wäre, dass der fragliche Wirkstoff im Wortlaut der Ansprüche des Grundpatents spezifisch und genau identifizierbar war. Wenn es sich um eine Zusammensetzung von Wirkstoffen handelt, muss jeder Wirkstoff dieser Stoffzusammensetzung im Wortlaut der Ansprüche des Grundpatents spezifisch und genau sowie individuell identifizierbar sein.


( 1 ) Originalsprache: Französisch.

( 2 ) ABl. 2009, L 152, S. 1.

( 3 ) In Rn. 25 des Urteils vom 15. Januar 2015, Forsgren (C‑631/13, EU:C:2015:13), hat der Gerichtshof befunden, dass „sich der Begriff des Wirkstoffs für die Zwecke der Anwendung der Verordnung Nr. 469/2009 auf Stoffe bezieht, die eine eigene pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung ausüben“.

( 4 ) Es ist darauf hinzuweisen, dass zwei weitere Vorabentscheidungsersuchen betreffend die Auslegung von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 gegenwärtig beim Gerichtshof anhängig sind. Vgl. Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑650/17, QH, vom Bundespatentgericht (Deutschland) eingereicht bei der Kanzlei des Gerichtshofs am 21. November 2017 (ABl. 2018, C 52, S. 20), und Vorabentscheidungsersuchen in der Rechtssache C‑114/18, Sandoz und Hexal, vom Court of Appeal (Berufungsgerichtshof, Vereinigtes Königreich) eingereicht bei der Kanzlei des Gerichtshofs am 14. Februar 2018.

( 5 ) Dem vorlegenden Gericht zufolge „[scheint] Emtricitabin … zum ersten Mal im November 1992 in einem Artikel … beschrieben worden zu sein. Dieser enthielt u. a. Daten für Emtricitabin aus In-vitro-anti-HIV-Studien. Es gibt keinen Beleg dafür, dass im Juli 1996 bekannt war, dass Emtricitabin ein wirksames Mittel zur Behandlung von HIV [bei Menschen] ist, und noch weniger, dass dies dem Fachmann, für den das Patent bestimmt ist, allgemein bekannt war. Die Europäische Arzneimittel-Agentur hat Emtricitabin erst im Oktober 2003, d. h. über sieben Jahre später, zugelassen“ (vgl. Rn. 6 und 7 des Vorabentscheidungsersuchens).

( 6 ) Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts erfordert „Anspruch 27, dass in der pharmazeutischen Zusammensetzung eine Verbindung, die unter einen der Ansprüche 1 bis 25 fällt, zusammen mit einem pharmazeutisch verträglichen Träger vorhanden ist. Die Wörter ‚umfassen‘ und ‚gegebenenfalls‘ bedeuten, dass Anspruch 27 das Vorhandensein anderer Bestandteile, therapeutisch und nicht therapeutisch, erlaubt, aber nicht verlangt. Der Schutzbereich von Anspruch 27 ist nicht beschränkt auf eine pharmazeutische Zusammensetzung, die zwei (oder mehr) therapeutische Bestandteile enthält, sondern erfasst auch eine pharmazeutische Zusammensetzung, die einen einzigen therapeutischen Bestandteil enthält, der in einem unter die Ansprüche 1 bis 25 fallenden Wirkstoff besteht. Daraus folgt, dass es für die Beurteilung der Frage, ob eine pharmazeutische Zusammensetzung unter Anspruch 27 fällt und deshalb der Handel mit einer solchen pharmazeutischen Zusammensetzung diesen Patentanspruch verletzt, unerheblich ist, ob ein anderer therapeutischer Bestandteil vorhanden ist oder nicht.“ Das vorlegende Gericht führt aus, dass „über die Frage, ob Ansprüche wie [Anspruch 27] überhaupt in ein Patent dieser Art aufgenommen werden sollen und wie sie gegebenenfalls zu formulieren sind, der Patentinhaber entscheidet und dass diese Entscheidung in der Praxis vom Patentanwalt getroffen wird, der die Patentanmeldung auf der Grundlage rechtlicher und nicht wissenschaftlicher oder technischer Erwägungen erstellt“ (vgl. Rn. 22 bzw. 20 des Vorabentscheidungsersuchens).

( 7 ) Dem vorlegenden Gericht zufolge „ist [es] unstreitig, dass Emtricitabin im Patent nicht erwähnt oder in Bezug genommen wird“ (vgl. Rn. 15 des Vorabentscheidungsersuchens).

( 8 ) Vgl. Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773).

( 9 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835).

( 10 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835, Rn. 32 und 39).

( 11 ) Das vorlegende Gericht verweist auf die Urteile vom 16. September 1999, Farmitalia (C‑392/97, EU:C:1999:416), vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773), vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), und vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), sowie auf die Beschlüsse vom 25. November 2011, Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779), University of Queensland und CSL (C‑630/10, EU:C:2011:780) und Daiichi Sankyo (C‑6/11, EU:C:2011:781).

( 12 ) In Rn. 93 des Vorabentscheidungsersuchens führt das vorlegende Gericht aus: „Anträge auf ein ESZ für die Kombination von TD und Emtricitabin sind vom schwedischen Patentamt und dem schwedischen Patentgericht abgelehnt worden – allerdings vor dem Urteil Medeva –, sowie vom niederländischen Patentamt und vom griechischen Patentamt; dagegen wurde dem Antrag in Spanien im Anschluss an eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Madrid stattgegeben. Auch in Deutschland wurde einem Antrag stattgegeben, im Anschluss an eine Entscheidung des Bundespatentgerichts, und zwar ebenfalls vor dem Urteil Medeva. In jüngerer Zeit lehnte das deutsche Patentamt jedoch einen Antrag von Gilead auf ein ESZ für eine Dreierkombination von TD, Emtricitabin und Efavirenz ab“. Hinzuzufügen ist, dass der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht, Bulgarien) sich in seinem Urteil vom 6. August 2014, Nr. 10607, mit der Frage befasst hat, ob das Erzeugnis Atripla zwecks Erteilung eines ESZ durch das Grundpatent BG62612 geschützt war. Das fragliche ESZ betraf drei Wirkstoffe: Efavirenz, Emtricitabin und TD, während das Grundpatent nur die beiden erstgenannten Wirkstoffe erfasste, nicht aber TD. Der Varhoven administrativen sad (Oberstes Verwaltungsgericht) hob hervor, dass Emtricitabin und TD Einzelbestandteile des fraglichen Erzeugnisses seien, die keinen neuen Wirkstoff mit der Eigenschaft eines Analogons eines gegen eine HIV-Retrotranskriptase biologisch aktiven Nukleotids darstellten. Er kam zu dem Ergebnis, dass die Kombination der drei fraglichen Wirkstoffe, aus denen das Erzeugnis Atripla bestand, nicht durch das Grundpatent geschützt sei, und bestätigte daher die Entscheidung des Patentamts, mit der die Erteilung des fraglichen ESZ abgelehnt worden war. Ferner bestätigte die Kúria (Oberster Gerichtshof, Ungarn) mit Urteil vom 22. März 2017, 3.Pfv.IV.21.502/2016/3, die aufgrund einer Klage gegen eine Entscheidung des nationalen Amtes für gewerblichen Rechtsschutz ergangenen Entscheidungen der Instanzgerichte. Mit dieser Entscheidung hatte das Amt für gewerblichen Rechtsschutz den auf Schutz des Arzneimittels Atripa, das aus einer Kombination von drei Wirkstoffen, nämlich Efavirenz, Emtricitabin und Tenofovir Disoproxilfumarat, bestand und das über eine Genehmigung für das Inverkehrbringen verfügte, gerichteten ESZ-Antrag abgelehnt. Nach Ansicht des Amtes für gewerblichen Rechtsschutz war diese Kombination nicht durch ein Grundpatent geschützt, da nur das Efavirenz im Patentanspruch des fraglichen Grundpatents ausdrücklich erwähnt war. Daher hielt es die in Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 aufgestellte Voraussetzung für die Erteilung des ESZ in Bezug auf die Zusammensetzung nicht für erfüllt. Die Instanzgerichte bestätigten die ablehnende Entscheidung des Amtes für gewerblichen Rechtsschutz insoweit. Überdies sind gegenwärtig zwei verbundene Rechtssachen zwischen den Gesellschaften Gilead Sciences Inc und Gilead Biopharmaceutics Ireland UC sowie der Mylan SAS Generics (UK) Ltd und der McDermott Laboratories Ltd zum einen und zwischen denselben Klägerinnen sowie der Teva BV und der Norton (Waterford) Ltd zum anderen betreffend das irische ESZ Nr. 2005/021 für das Arzneimittel TRUVADA vor dem High Court (Hoher Gerichtshof, Irland) anhängig.

( 13 ) Das Urteil vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. c der Verordnung Nr. 469/2009, und das Urteil vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), betrifft die Auslegung von Art. 3 Buchst. a und c dieser Verordnung.

( 14 ) Das vorlegende Gericht führt aus: „Handelt es sich bei dem Erzeugnis um eine Wirkstoffzusammensetzung, muss diese Zusammensetzung – im Unterschied zu den einzelnen Wirkstoffen – die dem Grundpatent zugrunde liegende erfinderische Leistung verkörpern. In einem Fall wie dem vorliegenden, in dem die dem Patent zugrunde liegende erfinderische Leistung generell in den Verbindungen der Formeln (1) und (1a) besteht, darunter insbesondere TD, ist ein Arzneimittel, dessen Wirkstoff TD ist, im Sinne von Art. 3 Buchst. a durch das Patent geschützt, weil es die dem Patent zugrunde liegende erfinderische Leistung verkörpert. Ein Arzneimittel, dessen Wirkstoffe TD und ein anderer therapeutischer Bestandteil wie Emtricitabin in Zusammensetzung sind, ist nicht im Sinne von Art. 3 Buchst. a durch das Patent geschützt, weil die Zusammensetzung – im Unterschied zu TD – nicht die dem Patent zugrunde liegende erfinderische Leistung verkörpert. Dies ist keine Frage des Wortlauts der Ansprüche des Grundpatents, der … von dem Patentanwalt, der sie formuliert, manipuliert sein kann, sondern eine Frage des Inhalts. Sollte der Beklagten (oder einem anderen Erfinder) jedoch ein Patent für eine Erfindung erteilt werden, die aus einer Zusammensetzung von TD und dem Stoff X besteht, der einen synergetischen Effekt bei der Behandlung von HIV bewirkt, so wäre ein Arzneimittel, dessen Wirkstoffe TD und X sind, durch das Patent geschützt, weil es die dem Patent zugrunde liegende Leistung verkörpern würde. Diese Auslegung von Art. 3 Buchst. a stünde im Einklang mit dem Zweck der Verordnung Nr. 469/2009, der darin besteht, Erfindungen im Arzneimittelbereich zu fördern, indem Erfinder einen Ausgleich für die Zeit erhalten, in der sie ihre Erfindungen nicht verwerten können, weil sie eine behördliche Genehmigung einholen müssen, nicht aber darin, ungerechtfertigte Monopole zu gewähren“ (vgl. Rn. 97 des Vorabentscheidungsersuchens).

( 15 ) Das vorlegende Gericht hat geltend gemacht, wenn die Rechtssache nicht in diesem Verfahren behandelt würde, könnte sie nicht vor Ablauf des im Ausgangsverfahren streitigen Patents entschieden werden. Dies würde unweigerlich den Zeitpunkt, zu dem Generika dem National Health Service England (Nationaler Gesundheitsdienst, England) zur Verfügung stünden, hinausschieben und für diesen hierdurch höhere Kosten und eine erhöhte Haushaltsbelastung verursachen.

( 16 ) Der Gerichtshof war der Auffassung, die Berufung auf wirtschaftliche Interessen einschließlich solcher, die Auswirkungen auf die öffentlichen Finanzen haben könnten, könne ein beschleunigtes Verfahren nicht rechtfertigen. Im Übrigen habe das vorlegende Gericht keine unmittelbare Gefahr für die öffentliche Gesundheit dargetan, die einen außergewöhnlichen Umstand für die Durchführung eines beschleunigten Verfahrens darstellen könnte. Aus der Vorlageentscheidung gehe hervor, dass die Behandlung der vorliegenden Rechtssache im ordentlichen Verfahren nach Ansicht des vorlegenden Gerichts die Verfügbarkeit der Generika zwar hinauszögern könne, doch beeinträchtige dies nicht die Gesundheit der betroffenen Patienten, die weiter mit TRUVADA behandelt würden.

( 17 ) Vgl. namentlich die zahlreichen in der Sammlung der Rechtsprechung der Beschwerdekammern des EPA (8. Aufl., Juli 2016, abrufbar unter folgender Adresse: https://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/case-law_de.html) „erfassten“ Verwendungen des Begriffs.

( 18 ) Dies ergibt sich nach Auffassung der niederländischen Regierung aus den Urteilen vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), und vom 12. Dezember 2013, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑443/12, EU:C:2013:833), die sich auf Kombinationspräparate bezögen.

( 19 ) TRUVADA.

( 20 ) Vgl. Urteil vom 24. November 2011, Georgetown University u. a. (C‑422/10, EU:C:2011:776, Rn. 25). „Die regelmäßige Laufzeit des Patentschutzes beträgt 20 Jahre, berechnet vom Anmeldetag der Erfindung an. Wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln … nach der Patentanmeldung erteilt wird, können die Arzneimittelhersteller ihre Ausschließlichkeitsposition hinsichtlich der patentierten Wirkstoffe dieses Arzneimittels in dem Zeitraum zwischen der Patentanmeldung und der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels wirtschaftlich nicht verwerten. Weil dadurch der tatsächliche Patentschutz für die Wirkstoffe nach Auffassung des Unionsgesetzgebers auf eine Laufzeit verringert würde, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen und für die Aufbringung der nötigen Mittel für den Fortbestand einer leistungsfähigen Forschung unzureichend wäre, räumt die Verordnung Nr. 469/2009 die Möglichkeit ein, durch die Beantragung eines [ESZ] die Ausschließlichkeitsrechte an den patentierten Wirkstoffen eines Arzneimittels auf einen Zeitraum von insgesamt höchstens fünfzehn Jahren ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Union zu verlängern“. „Mit dieser Regelung soll ein Ausgleich zwischen den verschiedenen Interessen, die im pharmazeutischen Sektor auf dem Spiel stehen, erreicht werden. Zu diesen Interessen zählen einerseits die Interessen der Unternehmen und Einrichtungen, die die zum Teil sehr kostenintensive Forschung im pharmazeutischen Bereich betreiben und demnach eine Verlängerung der Schutzdauer ihrer Erfindungen befürworten, um die Investitionskosten wieder hereinbringen zu können. Andererseits gibt es die Interessen der Generika-Hersteller, die infolge der Verlängerung der Schutzdauer der unter Patentschutz stehenden Wirkstoffe an der Herstellung und Vermarktung von Generika gehindert werden. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls relevant, dass die Vermarktung von Generika im Allgemeinen dazu führt, dass die Preise der einschlägigen Arzneimittel sinken. Vor diesem Hintergrund liegen die Patienteninteressen zwischen den Interessen der forschenden Unternehmen und Einrichtungen und denen der Generika-Hersteller. Denn die Patienten haben einerseits ein Interesse daran, dass neue Wirkstoffe für Arzneimittel entwickelt werden, aber andererseits haben sie auch ein Interesse daran, dass diese anschließend möglichst preiswert angeboten werden. Gleiches gilt für die staatlichen Systeme der Volksgesundheit im Allgemeinen, die zudem ein besonderes Interesse daran haben, zu verhindern, dass alte Wirkstoffe in leicht abgeänderter Form aber ohne wirkliche Innovation zertifikatgeschützt auf den Markt gebracht werden und dadurch die Ausgaben im Gesundheitsbereich künstlich in die Höhe treiben“ (vgl. Schlussanträge von Generalanwältin Trstenjak in den verbundenen Rechtssachen Medeva, C‑322/10 und C‑422/10, EU:C:2011:476, Nrn. 76 und 77).

( 21 ) Vgl. Urteil vom 6. Oktober 2015, Seattle Genetics (C‑471/14, EU:C:2015:659, Rn. 26 und die dort angeführte Rechtsprechung), sowie Beschluss vom 25. November 2011, Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779, Rn. 36).

( 22 ) Nach der Richtlinie 2001/83 oder der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 1).

( 23 ) Der Schutz durch ein ESZ beginnt am Tag nach dem Ablauf des Grundpatents. Aus Rn. 42 des Beschlusses des Präsidenten des Gerichtshofs vom 14. November 2013, Astrazeneca (C‑617/12, EU:C:2013:761), und aus Rn. 30 des Beschlusses vom 13. Februar 2014, Merck Canada (C‑555/13, EU:C:2014:92), ergibt sich, dass demjenigen, der gleichzeitig Inhaber eines Patents und eines ESZ ist, höchstens 15 Jahre Ausschließlichkeit ab der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Arzneimittels in der Union eingeräumt werden können.

( 24 ) Dementsprechend hat der Gerichtshof entschieden, dass auf der Grundlage eines Patents, das eine Zusammensetzung aus zwei Wirkstoffen beansprucht, aber keinen Anspruch in Bezug auf einen der Wirkstoffe einzeln betrachtet enthält, kein ESZ für einen dieser Wirkstoffe isoliert betrachtet erteilt werden kann. Vgl. insoweit Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773, Rn. 26), und Beschluss vom 25. November 2011, Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779, Rn. 38).

( 25 ) Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835, Rn. 34).

( 26 ) Hervorhebung nur hier. Vgl. ebenfalls in diesem Sinne Beschlüsse vom 25. November 2011, University of Queensland und CSL (C‑630/10, EU:C:2011:780, Rn. 31), sowie Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779, Rn. 39). Im Beschluss vom 25. November 2011, University of Queensland und CSL (C‑630/10, EU:C:2011:780, Rn. 38 bis 40), hat der Gerichtshof jedoch befunden, dass ein Patent, das ein Verfahren zur Herstellung eines „Erzeugnisses“ im Sinne der Verordnung Nr. 469/2009 schützt, gemäß Art. 2 dieser Verordnung die Erteilung eines ESZ ermöglichen kann. Sieht das auf das betreffende Patent anwendbare Recht dies vor, wird auch durch ein auf der Grundlage eines solchen Patents erteiltes ESZ der Schutz des Herstellungsverfahrens auf das durch dieses Verfahren gewonnene Erzeugnis erstreckt. Ebenso wie Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 der Erteilung eines ESZ für Wirkstoffe entgegensteht, die in den Ansprüchen des Grundpatents nicht genannt sind, verbietet er es aber auch, dass dann, wenn mit einem zur Stützung einer ESZ-Anmeldung geltend gemachten Grundpatent ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses beansprucht wird, ein ESZ für ein anderes Erzeugnis als dasjenige erteilt wird, das in den Ansprüchen dieses Patents als das durch das Herstellungsverfahren gewonnene Erzeugnis bezeichnet ist.

( 27 ) Vgl. Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835, Rn. 33 und 37).

( 28 ) Vgl. Urteile vom 16. September 1999, Farmitalia (C‑392/97, EU:C:1999:416, Rn. 27), und vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773, Rn. 23), sowie Beschluss vom 25. November 2011, Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779, Rn. 35). Aus dem Vorabentscheidungsersuchen ergibt sich, dass es sich im Ausgangsverfahren bei den nationalen Regeln zur Auslegung der Patentansprüche um diejenigen der Section 125 des UK Patents Act 1977 (Patentgesetz von 1977) handelt. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835, Rn. 32). Nach Section 125 Abs. 3 des Patentgesetzes von 1977 gilt das Protokoll über die Auslegung des Art. 69 EPÜ auch für die Anwendung von Section 125 Abs. 1 dieses Gesetzes.

( 29 ) „[D]ie ESZ-Regelung [knüpft], auch wenn sie eine besondere, neue Form eines gewerblichen Schutzrechts schafft und nicht nur die Schutzdauer vorhandener Patente verlängert, dennoch eng an die nationalen Systeme an, in deren Rahmen die Patentrechte an Arzneimitteln ursprünglich verliehen und geschützt werden. Daher kann, auf den Punkt gebracht, ein Schutzzertifikat nur erteilt werden, wenn ein Erzeugnis durch ein Grundpatent geschützt ist, wobei der Umfang des durch ein Zertifikat gewährten Schutzes innerhalb der Grenzen desjenigen Schutzes liegen muss, der durch das Grundpatent gewährt wird. Der Inhaber des Zertifikats genießt die gleichen Rechte, wie sie sich aus dem Grundpatent ergeben, und unterliegt den gleichen Beschränkungen und Verpflichtungen“ (vgl. Schlussanträge von Generalanwalt Fennelly in der Rechtssache Farmitalia, C‑392/97, EU:C:1999:277, Nr. 21).

( 30 ) Hervorhebung nur hier. Ich muss gestehen, dass ich Schwierigkeiten habe, zwischen dem „Kern der erfinderischen Tätigkeit, die Gegenstand des Patents ist“, und der Erfindung, wie sie durch die Ansprüche offengelegt wird, zu unterscheiden.

( 31 ) Nach dieser Vorschrift kann für ein Erzeugnis nur ein einziges ESZ erteilt werden. In Rn. 33 des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), hat der Gerichtshof festgestellt, „dass auf der Grundlage eines Patents, das mehrere verschiedene ‚Erzeugnisse‘ schützt, grundsätzlich mehrere ergänzende Schutzzertifikate für jedes dieser verschiedenen Erzeugnisse erteilt werden können, sofern insbesondere jedes dieser Erzeugnisse durch dieses ‚Grundpatent‘ im Sinne von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 in Verbindung mit Art. 1 Buchst. b und c dieser Verordnung als solches ‚geschützt‘ wird“. Insoweit verweise ich darauf, dass das vorlegende Gericht im Vorabentscheidungsersuchen angegeben hat: „Neben Truvada vertreibt Gilead ein Monotherapeutikum für die HIV-Behandlung unter der Marke Viread, mit TD als einzigem Wirkstoff. Gilead erhielt die erste Verkehrsgenehmigung für Viread am 5. Februar 2002 … Gilead hat kein ESZ für Viread erhalten, wahrscheinlich, weil der Zeitraum zwischen dem Zeitpunkt der Patentanmeldung und dem Zeitpunkt dieser Verkehrsgenehmigung sich auf weniger als fünf Jahre belief (so dass die Dauer des ESZ negativ gewesen wäre)“ (vgl. Rn. 24 des Vorabentscheidungsersuchens).

( 32 ) „In einem Patentanspruch darf ein Merkmal durch seine Funktion umfassend angegeben werden, d. h. als funktionelles Merkmal, auch wenn in der Beschreibung nur ein Beispiel des Merkmals angeführt worden ist, falls der Fachmann zu dem Schluss gelangen würde, dass auch andere Mittel für die gleiche Funktion verwendet werden könnten“ (https://www.epo.org/law-practice/legal-texts/html/guidelines/d/f_iv_6_5.htm).

( 33 ) In dieser Rechtssache betraf das fragliche Patent die Entdeckung eines neuen Proteins. Dieses Patent gab u. a. dieses Protein an und beanspruchte es.. Aus den Ansprüchen dieses Patents geht hervor, dass es auch die Antikörper umfasst, die spezifisch dieses Protein binden. Eli Lilly wollte eine pharmazeutische Zusammensetzung in den Verkehr bringen, die als Wirkstoff einen Antikörper enthielt, der spezifisch das neue Protein binden sollte. Sie erhob Klage auf Ungültigerklärung jedes ESZ, das in dem fraglichen Patent seine Rechtsgrundlage hatte. Sie machte hierzu geltend, dieser Antikörper sei von keinem „Grundpatent“ im Sinne von Art. 3 der Verordnung Nr. 469/2009 gedeckt, da der Anspruch des fraglichen Patents zu weit gefasst sei, als dass von diesem Antikörper angenommen werden könnte, dass er im Wortlaut der Ansprüche dieses Patents erwähnt werde. Nach Ansicht von Eli Lilly hätte somit das fragliche Patent eine strukturelle Definition von Wirkstoffen enthalten müssen, und die Ansprüche hätten wesentlich detaillierter sein müssen, damit das Patent als Grundlage für die Erteilung eines ESZ dienen könne.

( 34 ) Hervorhebung nur hier. Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts ist Rn. 44 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), unklar. In Rn. 81 des Vorabentscheidungsersuchens führt es aus: „Zwar stellt der Gerichtshof eindeutig fest, dass Art. 3 Buchst. a nicht ausschließt, dass ein Erzeugnis durch ein Grundpatent aufgrund einer funktionellen Definition geschützt wird, doch führt er dann weiter aus, dass dies nur zulässig sei, wenn sich die Ansprüche ‚stillschweigend, aber notwendigerweise‘ auf das in Rede stehende Erzeugnis bezögen, und zwar ‚in spezifischer Art und Weise‘, Was soll dies heißen? Wie sollen die nationalen Behörden dieses Kriterium anwenden? Der Gerichtshof erläutert dies nicht. Das Einzige, was sich mit Gewissheit sagen lässt, ist, dass der Gerichtshof offensichtlich erneut annimmt, dass es nicht ausreicht, dass das Erzeugnis in den Schutzbereich des Grundpatents in Anwendung der Schutzbereichsregeln fällt, sondern dass mehr erforderlich ist, ohne dass er dieses ‚mehr‘ jedoch eindeutig bezeichnet.“

( 35 ) In Rn. 37 des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), hat der Gerichtshof festgestellt, „dass unter Berücksichtigung der in den Erwägungsgründen 4, 5, 9 und 10 der Verordnung Nr. 469/2009 genannten Interessen nicht angenommen werden [kann], dass dem Inhaber eines in Kraft befindlichen Grundpatents jedes Mal ein neues ergänzendes Schutzzertifikat erteilt werden kann, gegebenenfalls mit einer längeren Laufzeit, wenn er in einem Mitgliedstaat ein Arzneimittel in den Verkehr bringt, das einen Wirkstoff, der als solcher durch sein Grundpatent geschützt ist und der Gegenstand der von diesem Patent geschützten Erfindung ist, und einen weiteren Stoff enthält, der nicht Gegenstand der von diesem Grundpatent geschützten Erfindung ist“.

( 36 ) Hervorhebung nur hier. Nach Auffassung des vorlegenden Gerichts ist diese Formulierung mehrdeutig. Seines Erachtens „bleibt es gleichwohl unklar, was erforderlich ist, um Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 zu erfüllen“.

( 37 ) Ungeachtet dessen, dass das Urteil vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), keinen Bezug auf den Wortlaut der Ansprüche des erteilten Patents nimmt, würde eine etwaige Prüfung des „Gegenstands der durch ein Patent gedeckten Erfindung“ nämlich die Auslegung des Wortlauts dieser Ansprüche erfordern.

( 38 ) Um patentfähig zu sein, muss eine Erfindung neu sein, auf erfinderischer Tätigkeit beruhen und geeignet sein, industriell angewandt zu werden.

( 39 ) Abgesehen von den Funktionsformeln ist auch darauf hinzuweisen, dass im Arzneimittelbereich häufig Markush-Formeln, die chemische Verbindungsklassen umfassen, in den Ansprüchen eines Patents verwendet werden. Die Beschwerdekammer des EPA hat in der Sache T 1020/98 – 3.3.1 ausgeführt: „Besondere Probleme werden durch die außerordentliche Länge der Ansprüche, durch die Tatsache, dass die Formel ausschließlich aus Variablen besteht, und durch die Zahl der Variablen, die meistens mittels weiteren Variablen definiert werden, verursacht.“ (http://www.epo.org/law-practice/case-law-appeals/pdf/t981020dp1.pdf).

( 40 ) Ungeachtet dessen, dass eine wortwörtliche Bezugnahme auf den Wirkstoff in den Ansprüchen des Grundpatents anhand seines Namens oder seiner chemischen Struktur nicht immer für die Zwecke von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 erforderlich ist, ergibt sich meines Erachtens u. a. ebenfalls aus Rn. 39 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), und aus der Verwendung der Begriffe „stillschweigend, aber notwendigerweise“ und „in spezifischer Art und Weise“, dass der Gerichtshof tatsächlich die Auslegung des Wortlauts der Ansprüche auf ein bestimmtes Spezifitäts- oder Abstraktionsniveau beschränken wollte.

( 41 ) Wie sich aus dem vorliegenden Sachverhalt ergibt, hatte das United Kingdom Intellectual Property Office (Amt des Vereinigten Königreichs für geistiges Eigentum, im Folgenden: UKIPO) der Anmelderin des Kombinations-ESZ mitgeteilt, dass im Fall von Zertifikaten für Erzeugnisse, die eine Zusammensetzung von Wirkstoffen enthielten, diese Zusammensetzung ausdrücklich beansprucht worden sein müsse, um die Zusammensetzung als solche als geschützt ansehen zu können. Da das Grundpatent Boehringer Ingelheim Pharma (im Folgenden: Boehringer) Ansprüche enthielt, die sich auf einen der beiden Wirkstoffe des Erzeugnisses bezogen, namentlich Telmisartan, schlug das UKIPO Boehringer vor, eine Änderung des Grundpatents zu beantragen, um dem Grundpatent einen Anspruch auf die Zusammensetzung von Telmisartan und Hydrochlorothiazid anzufügen. Boehringer beantragte sodann eine Änderung des fraglichen Grundpatents in der erteilten Fassung durch nachträgliche Einfügung eines Anspruchs, der sich im Übrigen auf eine pharmazeutische Zusammensetzung von Telmisartan und Hydrochlorothiazid bezog, zum alleinigen Zweck der Erlangung eines ESZ. Meines Erachtens ergibt sich aus dem Urteil vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), eindeutig, dass der Gerichtshof sich von einem solchen strategischen Verhalten nicht beeindrucken ließ.

( 42 ) Im Sinne namentlich von Art. 69 EPÜ.

( 43 ) Wie durch Markush-Formeln und funktionelle Formeln bestätigt wird.

( 44 ) Wie dies die Verwendung der Ansprüche wie des Anspruchs 27 des Patents, um das es im Ausgangsverfahren geht, belegt. Diese Art von Anspruch ist so weit gefasst, dass er potenziell jede denkbare Kombination von TD mit einem anderen chemischen Stoff decken kann. In Rn. 97 des Vorabentscheidungsersuchens verweist das vorlegende Gericht darauf, dass „der Wortlaut der Ansprüche des Grundpatents … von dem Patentanwalt, der diesen abfasst, manipuliert sein kann …“. Da es um die Patentierbarkeit einer Erfindung geht – eine Frage, die nicht in die Zuständigkeit des Gerichtshofs fällt – möchte ich mich zu dieser Praxis nicht äußern.

( 45 ) Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. November 2011, Medeva (C‑322/10, EU:C:2011:773, Rn. 26), und Beschluss vom 25. November 2011, Yeda Research and Development Company und Aventis Holdings (C‑518/10, EU:C:2011:779, Rn. 38).

( 46 ) Abgesehen davon, dass der Gerichtshof ein solches Erfordernis bereits in Rn. 39 seines Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835), zurückgewiesen hat, halte ich es für zu strikt und einschränkend, da es die Interessen des Patentinhabers und das Erfordernis, die Entwicklung und die Vermarktung der Medikamente zu fördern, nicht hinreichend berücksichtigt. Angesichts des Urteils vom 12. März 2015, Actavis Group PTC und Actavis UK (C‑577/13, EU:C:2015:165), sind spätere strategische Änderungen des Patents zwecks Erlangung eines ESZ unbeachtlich.

( 47 ) Meines Erachtens reicht eine einfache Bezugnahme im Wortlaut der Ansprüche, z. B. auf ein „Diuretikum“ oder ein „nichtsteroidales Antiphlogistikum“, nicht aus.

( 48 ) Vgl. in diesem Sinne Rn. 39 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835). Meines Erachtens können mehrere Varianten eines chemischen Stoffs beansprucht werden, sofern jede einzelne am Prioritätstag des Patents spezifisch und genau identifizierbar ist.

( 49 ) Hervorhebung nur hier.

( 50 ) Welche die einzigen sind, die sich eventuell auf den Wirkstoff Emtricitabin beziehen könnten.

( 51 ) Oder gar am Prioritätstag des Patents noch nicht erfundene Stoffe. Der Wirkstoff Emtricitabin ist nämlich in Anspruch 27 des Patents, um das es im Ausgangsverfahren geht, nicht als solcher spezifisch identifizierbar. Vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835, Rn. 36). Meines Erachtens würde durch eine Auslegung von Art. 3 Buchst. a der Verordnung Nr. 469/2009 dahin, dass er Stoffe, die nicht spezifisch und genau identifizierbar sind, einbezieht, das (im vierten Erwägungsgrund dieser Verordnung angeführte) Ziel der Verordnung, dem Problem abzuhelfen, dass der Zeitraum für die Amortisierung der in der Forschung für neue Arzneimittel vorgenommenen Investitionen unzureichend ist, missachtet, da dies den Patentinhaber begünstigt, obwohl dieser keine Forschungsinvestitionen im Zusammenhang mit diesen Stoffen vorgenommen hat. Vgl. in diesem Sinne Rn. 43 des Urteils vom 12. Dezember 2013, Eli Lilly and Company (C‑493/12, EU:C:2013:835).