URTEIL DES GERICHTS (Erste Kammer)

3. Mai 2018 ( *1 )

„Schiedsklausel – Siebtes Rahmenprogramm der Europäischen Gemeinschaft (2007–2013) und Rahmenprogramm für Forschung und Innovation ‚Horizont 2020‘ – Aussetzung der Zahlungen und Kündigung der Finanzhilfevereinbarungen infolge einer Finanzprüfung – Antrag auf Zahlung der von der Kommission im Rahmen der Ausführung der Finanzhilfevereinbarungen geschuldeten Beträge – Außervertragliche Haftung“

In der Rechtssache T‑48/16

Sigma Orionis SA mit Sitz in Valbonne (Frankreich), Prozessbevollmächtigte: Rechtsanwälte S. Orlandi und T. Martin,

Klägerin,

gegen

Europäische Kommission, vertreten durch F. Dintilhac und M. Siekierzyńska als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen eines auf Art. 272 AEUV gestützten Antrags auf Verurteilung der Kommission zur Zahlung von Beträgen, die aufgrund von im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007–2013) und des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 geschlossenen Verträgen geschuldet werden, und eines auf Art. 268 AEUV gestützten Antrags auf Ersatz des Schadens, der der Klägerin dadurch entstanden sein soll, dass die Kommission die ihr obliegenden Pflichten verletzt habe,

erlässt

DAS GERICHT (Erste Kammer)

unter Mitwirkung der Präsidentin I. Pelikánová sowie der Richter P. Nihoul (Berichterstatter) und J. Svenningsen,

Kanzler: M. Marescaux,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Juni 2017

folgendes

Urteil

Sachverhalt

1

Die Klägerin, die Sigma Orionis SA, ist eine Gesellschaft französischen Rechts, die in der Verbreitung von Ergebnissen europäischer Projekte im Bereich der Informationstechnologien und der Information über diese Ergebnisse tätig ist.

2

Sie hat mit der Europäischen Kommission 36 Finanzhilfevereinbarungen im Rahmen des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Gemeinschaft für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration (2007–2013) (im Folgenden: RP7), verabschiedet mit dem Beschluss Nr. 1982/2006/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 über das RP7 (ABl. 2006, L 412, S. 1), geschlossen.

3

Des Weiteren haben die Parteien im Rahmen des Rahmenprogramms für Forschung und Innovation Horizont 2020 (im Folgenden: H2020), aufgestellt durch die Verordnung (EU) Nr. 1291/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2013 über das H2020 und zur Aufhebung des Beschlusses Nr. 1982/2006 (ABl. 2013, L 347, S. 104) acht Finanzhilfevereinbarungen geschlossen.

Vom OLAF durchgeführte Untersuchung

4

Am 24. Januar 2014 leitete das Europäische Amt für Betrugsbekämpfung (OLAF) gegen die Klägerin eine Untersuchung wegen angeblicher Manipulationen von Arbeitszeitbögen und überhöhter Lohnabrechnungen im Rahmen der unter das RP7 fallenden Projekte ein.

5

Diese Untersuchung erfolgte aufgrund von Art. 3 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 883/2013 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. September 2013 über die Untersuchungen des Europäischen Amtes für Betrugsbekämpfung (OLAF) und zur Aufhebung der Verordnung (EG) Nr. 1073/1999 des Europäischen Parlaments und des Rates und der Verordnung (Euratom) Nr. 1074/1999 des Rates (ABl. 2013, L 248, S. 1).

6

Am 14. April 2014 wurde der Klägerin vom OLAF die Eröffnung der Untersuchung gegen sie mitgeteilt. In diesem Zusammenhang wurde von ihr eine Reihe von Dokumenten verlangt. Im Übrigen wurden Aussagen früherer Angestellter der Klägerin eingeholt.

7

Diese Elemente haben das OLAF dazu bewogen, eine Vor-Ort-Kontrolle auf der Grundlage von Art. 5 der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 2185/96 des Rates vom 11. November 1996 betreffend die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch die Kommission zum Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften vor Betrug und anderen Unregelmäßigkeiten (ABl. 1996, L 292, S. 2) durchzuführen.

8

Mit Schreiben vom 14. November 2014 informierte das OLAF die Staatsanwaltschaft Grasse (Frankreich) über seine Absicht, Kontrollen und Überprüfungen am Sitz der Klägerin durchzuführen. Zugleich ersuchte das OLAF um jegliche erforderliche Unterstützung der französischen Behörden, einschließlich des Erlasses vorsorglicher Maßnahmen im Rahmen des nationalen Rechts zur Beweissicherung.

9

Vom 2. bis 5. Dezember 2014 führte das OLAF derartige Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durch. Die Ermittler trugen Dokumente und Informationen zusammen. Im Beisein des Anwalts der Klägerin hörten sie zwei betroffene Personen und fünf Zeugen an.

10

Am 28. April 2015 gab das OLAF den beiden betroffenen Personen die Möglichkeit, zu den sie betreffenden Umständen Stellung zu nehmen.

11

Anschließend übermittelte das OLAF den Dienststellen der Kommission seinen Abschlussbericht, in dem es dieser empfahl, 1545759 Euro zurückzufordern sowie die Verhängung verwaltungsrechtlicher und finanzieller Sanktionen gemäß Art. 109 der Verordnung (EU, Euratom) Nr. 966/2012 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25. Oktober 2012 über die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union und zur Aufhebung der Verordnung (EG, Euratom) Nr. 1605/2002 des Rates (ABl. 2012, L 298, S. 1) in Betracht zu ziehen.

Intervention der Kommission

12

Mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 unterrichtete die Kommission die Klägerin von ihrer Absicht, eine verwaltungsrechtliche Sanktion in Form eines Ausschlusses der Klägerin von der Beteiligung an Verfahren zur Vergabe von Aufträgen oder zur Gewährung von Finanzhilfen der Europäischen Union während fünf Jahren, die Zahlungen im Zusammenhang mit 15 unter das RP7 fallenden Projekten und fünf im Rahmen des H2020 vergebenen Projekten auszusetzen, ihre Beteiligung an zwölf unter das RP7 fallenden Projekten und an sämtlichen im Rahmen des H2020 vergebenen Projekten einzustellen sowie ihre Beteiligung an der Vorbereitung von sechs Finanzhilfevereinbarungen im Rahmen des H2020 zu beenden.

13

Mit demselben Schreiben wurde die Klägerin aufgefordert, zu den in Aussicht genommenen Maßnahmen Stellung zu nehmen.

14

In ihrem Antwortschreiben vom 28. Oktober 2015 erhob die Klägerin Einwendungen gegen den Bericht des OLAF. Sie trug vor, das OLAF habe keinen Beweis für das Vorliegen einer betrügerischen Handlung vorgelegt. Außerdem seien die Schlussfolgerungen des OLAF falsch und unverhältnismäßig.

15

Im Anschluss an diesen Schriftwechsel teilte die Kommission der Klägerin die Kündigung ihrer Beteiligung an drei Gruppen von Vereinbarungen sowie, für einige dieser Vereinbarungen, die Aussetzung der Zahlungen mit.

16

Die erste Gruppe umfasst zwei im Rahmen des RP7 geschlossene Finanzhilfevereinbarungen mit den Nrn. 612451 – CRe-AM bzw. 610947 – RAPP. Mit Schreiben vom 1. Dezember 2015 entschied die Kommission, die laufenden und künftigen Zahlungen auszusetzen sowie die Beteiligung der Klägerin an diesen beiden Vereinbarungen aufzukündigen. Mit Schreiben vom 21. Dezember 2015 legte die Klägerin Beschwerde beim Redress‑II-Ausschuss ein, einem innerhalb der Kommission gebildeten Beschwerdeausschuss, der in Abschnitt 5.3 des Anhangs zum Beschluss 2011/161/EU, Euratom der Kommission vom 28. Februar 2011 zur Änderung des Kommissionsbeschlusses K(2008) 4617 über die Regeln für das Verfahren zur Einreichung von Vorschlägen für indirekte Maßnahmen und die damit verbundenen Verfahren zur Bewertung, Auswahl und Gewährung von Finanzhilfen auf der Grundlage des RP7 und des Siebten Rahmenprogramms der Europäischen Atomgemeinschaft (Euratom) für Forschungs- und Ausbildungsmaßnahmen im Nuklearbereich (2007–2011) (ABl. 2011, L 75, S. 1) vorgesehen ist. Am 29. Januar 2016 wies der Redress‑II‑Ausschuss diese Beschwerde zurück. Seiner Ansicht nach waren die Verfahren der Aussetzung, der Vorabinformation und der Kündigung der Beteiligung unter Einhaltung der geltenden Grundsätze und Vorschriften durchgeführt worden. Mit Schreiben vom 2. Februar 2016 bestätigte die Kommission im Anschluss an die Zurückweisung der Beschwerde durch den Redress‑II‑Ausschuss ihre Entscheidung, die Beteiligung der Klägerin an diesen beiden Vereinbarungen zu kündigen.

17

Die zweite Gruppe von Vereinbarungen betrifft die ebenfalls im Rahmen des RP7 geschlossenen Vereinbarungen mit den Nrn. 609154 – Performer und 314671 – Resilient. Die Aussetzung der Zahlungen und die Kündigung der Beteiligung der Klägerin betreffend diese Vereinbarungen wurden am 26. bzw. am 28. Januar 2016 mitgeteilt.

18

Die dritte Gruppe betrifft das H2020-Projekt, und in diesem Rahmen die Vereinbarung mit der Nr. 645775 – Dragon Star Plus. Am 27. Januar 2016 teilte die Kommission dem Projektkoordinator mit, dass die Beteiligung der Klägerin gekündigt worden sei.

Nationale Verfahren

19

Nach Übersendung seines Berichts an die Kommission übermittelte das OLAF ihn an die französischen Behörden und empfahl ihnen, wegen der festgestellten Verhaltensweisen auf nationaler Ebene ein Strafverfahren auf der Grundlage des französischen Rechts einzuleiten, soweit diese Verhaltensweisen hierunter fielen.

20

Im Anschluss an diese Mitteilung beantragte der Procureur de la République de Grasse (Staatsanwaltschaft Grasse, Frankreich) am 10. April 2015 die Eröffnung eines Ermittlungsverfahrens gegen Unbekannt wegen des Vorwurfs, zwischen dem 14. November 2011 und dem 10. April 2015 Betrugsdelikte zum Nachteil der Union begangen zu haben. Am 15. Oktober 2015 wurde gegen die Klägerin, ihren Geschäftsführer und zwei ihrer leitenden Angestellten Anklage wegen Betrugs erhoben.

21

Die Chambre de l’instruction de la cour d’appel d’Aix-en-Provence (Untersuchungskammer des Berufungsgerichts Aix-en-Provence, Frankreich) (im Folgenden: Untersuchungskammer), die mit der Sache befasst worden war, erließ am 17. Dezember 2015 ein Urteil, in dem sie die von den französischen Behörden im Rahmen des in Frankreich eingeleiteten Strafverfahrens gegen die Klägerin, ihren Geschäftsführer und die beiden genannten leitenden Angestellten verwendeten Dokumente für ungültig erklärte. Ihrer Ansicht nach waren diese Dokumente unter Verstoß gegen verschiedene, dem Schutz der Verteidigungsrechte dienende Verfahrensgarantien erlangt worden. Zu diesen für ungültig erklärten Dokumenten gehörte auch der vom OLAF an die französischen Behörden übermittelte Abschlussbericht.

22

Mit Entscheidung vom 19. Februar 2016 eröffnete das Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse, Frankreich) ein Insolvenzverfahren gegen die Klägerin und bestellte einen Insolvenzverwalter.

23

Am 27. April 2016 eröffnete dieses Gericht das Liquidationsverfahren für die Klägerin.

24

Am 4. Mai 2016 meldete die Kommission die von der Klägerin ihrer Ansicht nach für die Gesamtheit der gekündigten Finanzhilfevereinbarungen geschuldeten Beträge als Insolvenzforderungen an. Die Klägerin bestritt diese Forderungen in Höhe von insgesamt 2639815,40 Euro.

25

Am 8. September 2017 wies das Tribunal de grande instance Grasse (Handelsgericht Grasse) mit zwei Beschlüssen die von der Kommission zu den Passiva der Klägerin angemeldeten Forderungen unter Berufung auf den Umstand zurück, dass die Untersuchung des OLAF, aufgrund deren die Kommission der Ansicht gewesen sei, dass bestimmte Leistungen nicht der Klägerin hätten vergütet werden dürfen, Gegenstand einer „Nichtigerklärung“ im Urteil der Untersuchungskammer vom 17. Dezember 2015 gewesen seien.

Verfahren und Anträge der Parteien

26

Mit Klageschrift, die am 2. Februar 2016 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

27

Mit besonderem Schriftsatz, der am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin einen Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz gestellt.

28

Mit Schreiben vom 30. September 2016, der Kanzlei des Gerichts übermittelt am 3. Oktober 2016, hat der vom Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse) bestellte Konkursverwalter dem Anwalt der Klägerin die Teilnahme am Verfahren vor dem Gericht erlaubt.

29

Mit Beschluss vom 25. August 2017, Sigma Orionis/Kommission (T‑48/16 R, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:585), hat der Präsident des Gerichts den Antrag auf vorläufigen Rechtsschutz zurückgewiesen und die Kostenentscheidung vorbehalten.

30

Das Gericht (Erste Kammer) hat auf Vorschlag des Berichterstatters beschlossen, das mündliche Verfahren zu eröffnen.

31

In der Sitzung vom 27. Juni 2017 haben die Parteien mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

32

Am 27. Juni 2017 ist das mündliche Verfahren geschlossen worden.

33

Mit Beschluss vom 25. Oktober 2017 hat das Gericht gemäß Art. 113 seiner Verfahrensordnung die Wiedereröffnung des mündlichen Verfahrens angeordnet.

34

Mit Entscheidung vom 25. Oktober 2017 hat der Präsident der Ersten Kammer des Gerichts entschieden, die beiden in Rn. 25 genannten Beschlüsse des Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse) vom 8. September 2017 sowie eine Anlage zu den Akten zu nehmen; diese Dokumente waren von der Klägerin mit Schreiben vom 22. September 2017 bei der Kanzlei des Gerichts eingereicht worden.

35

Das Gericht hat den Parteien gemäß Art. 85 Abs. 4 der Verfahrensordnung Gelegenheit gegeben, zu diesen Unterlagen Stellung zu nehmen, was diese innerhalb der gesetzten Frist getan haben.

36

Mit Beschluss vom 17. November 2017 hat das Gericht das mündliche Verfahren erneut geschlossen, und die Rechtssache ist zur Beratung gestellt worden.

37

Die Klägerin beantragt,

festzustellen, dass die Europäische Kommission ihre vertraglichen Verpflichtungen aus den Finanzhilfevereinbarungen im Rahmen des RP7 und des H2020 verletzt hat, indem sie auf der Grundlage eines rechtswidrig erstellten Untersuchungsberichts des OLAF alle der Klägerin geschuldeten Zahlungen eingestellt hat;

festzustellen, dass die Europäische Kommission ihre vertraglichen Verpflichtungen aus den Finanzhilfevereinbarungen im Rahmen des RP7 und des H2020 verletzt hat, indem sie diese auf der Grundlage dieses Berichts gekündigt hat;

dementsprechend die Kommission zu verurteilen, die der Klägerin nach den Vereinbarungen im Rahmen des RP7 geschuldeten, rechtswidrig ausgesetzten Beträge zu zahlen, d. h. 607404,49 Euro zuzüglich Verzugszinsen nach Art. II.5.5 der Vereinbarung ab Fälligkeit der geschuldeten Beträge zu dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte festgesetzten Zinssatz zuzüglich 3,5 Prozentpunkte;

dementsprechend die Kommission zu verurteilen, die der Klägerin nach den Vereinbarungen im Rahmen des H2020 geschuldeten, rechtswidrig ausgesetzten Beträge zu zahlen, d. h. 226688,68 Euro zuzüglich Verzugszinsen nach Art. II.21.11.1 der Vereinbarung ab Fälligkeit der geschuldeten Beträge zu dem von der Europäischen Zentralbank (EZB) für ihre Hauptrefinanzierungsgeschäfte festgesetzten Zinssatz zuzüglich 3,5 Prozentpunkte;

dementsprechend die Kommission zur Zahlung von außervertraglichem Schadensersatz zu verurteilen, der auf 1500000 Euro beziffert wird;

dementsprechend der Kommission die Kosten aufzuerlegen;

hilfsweise, die Benennung eines Sachverständigen anzuordnen, um die Beträge festzulegen, die der Klägerin aus diesen Vereinbarungen unstreitig zustehen.

38

Die Kommission beantragt,

die Klage als unzulässig oder jedenfalls unbegründet abzuweisen;

der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Rechtliche Würdigung

Zur Klage wegen Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen

39

Zur Stützung ihrer ersten vier Klageanträge sowie ihres siebten Klageantrags macht die Klägerin geltend, die Kommission habe die Einstellung der Zahlungen und die Kündigung der fraglichen Vereinbarungen (im Folgenden: streitige Maßnahmen) unter Verstoß gegen die vertraglichen Bestimmungen vorgenommen.

Zur Zuständigkeit des Gerichts

40

Vorab ist zu prüfen, ob das Gericht für die Entscheidung über den bei ihm anhängigen Rechtsstreit zuständig ist.

41

Insofern ist – wie von der Klägerin vorgetragen, ohne dass die Kommission dem widersprochen hätte – festzustellen, dass das Gericht nach Art. 272 AEUV in Verbindung mit Art. 256 AEUV für Entscheidungen im ersten Rechtszug aufgrund einer Schiedsklausel zuständig ist, die in einem von der Union oder für ihre Rechnung abgeschlossenen privatrechtlichen Vertrag enthalten ist.

42

Im vorliegenden Fall findet sich eine solche Klausel in Art. 9 der im Rahmen des RP7 unterzeichneten Vereinbarungen und in Art. 57 der im Rahmen des H2020 geschlossenen Vereinbarungen.

43

Auf dieser Grundlage ist im Einklang mit den Parteien davon auszugehen, dass die Zuständigkeit des Gerichts für die von der Klägerin erhobene Forderung im Zusammenhang mit der Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen der Kommission gegeben ist.

Zum anwendbaren Recht

44

Die Klägerin hat das Gericht auf der Grundlage von Art. 272 AEUV unter Berufung auf die Schiedsklauseln angerufen, die in den im Rahmen des RP7 und des H2020 geschlossenen Vereinbarungen enthalten sind; Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits ist somit nicht die Rechtmäßigkeit einer Entscheidung der Kommission und des Verwaltungsverfahrens, das zu dieser Entscheidung geführt hat, sondern die Lösung eines vertraglichen Rechtsstreits zwischen zwei Vertragsparteien, bei der das für diese Vereinbarungen geltende Recht zu berücksichtigen ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juli 2016, Kommission/Thales développement et coopération, T‑326/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:403, Rn. 73).

45

Nach Art. 9 der im Rahmen des RP7 geschlossenen Vereinbarungen finden der Reihe nach die vertraglichen Vereinbarungen, die von der Europäischen Gemeinschaft und der Europäischen Union erlassenen Rechtsakte betreffend das Forschungsprogramm, auf das die Vereinbarungen gestützt sind, die Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union, die anderen Vorschriften der Gemeinschaft und der Europäischen Union sowie subsidiär das Recht Belgiens Anwendung. Im Kern ist der gleiche Grundsatz in Art. 57 der im Rahmen des H2020 geschlossenen Vereinbarungen vorgesehen, wonach die Vereinbarungen dem geltenden Unionsrecht und subsidiär dem belgischen Recht unterliegen. Aus diesen Bestimmungen folgt, dass – sofern die Anwendung der Haushaltsordnung für den Gesamthaushaltsplan der Union außer Streit steht – im vorliegenden Rechtsstreit die einschlägigen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts bzw. des Unionsrechts sowie, subsidiär, des belgischen Rechts anzuwenden sind.

Zur Zulässigkeit

– Zum Rechtsschutzinteresse

46

Die Kommission trägt vor, bis zum Zeitpunkt der Einreichung der Klageschrift sei von ihr nur eine Finanzhilfevereinbarung zwischen ihr und der Klägerin gekündigt worden.

47

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klägerin, wie sich aus der Rechtsprechung ergibt, nachweisen muss, dass sie zum Zeitpunkt der Klageerhebung über ein bestehendes und gegenwärtiges Rechtsschutzinteresse verfügt, damit ihr Antrag in der Sache geprüft werden kann (Urteil vom 26. Februar 2015, Planet/Kommission, C‑564/13 P, EU:C:2015:124, Rn. 31).

48

Die Kommission erhebt keine förmliche Einrede der Unzulässigkeit wegen fehlenden Rechtsschutzinteresses der Klägerin, doch hindert dies das Gericht nicht daran, diese Frage von Amts wegen zu prüfen und gegebenenfalls die Klage für unzulässig zu erklären, da das fehlende Rechtsschutzinteresse einen zwingenden Unzulässigkeitsgrund darstellt (vgl. Beschluss vom 4. Dezember 2014, Talanton/Kommission, T‑165/13, nicht veröffentlicht, EU:T:2014:1027, Rn. 69 und die dort angeführte Rechtsprechung).

49

In ihren Schriftsätzen addiert die Klägerin die Beträge, die ihr angeblich im Rahmen von 22 mit der Kommission im Rahmen des RP7 und des H2020 geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen zustehen.

50

Bei Klageerhebung war die Beteiligung der Klägerin an einer der Vereinbarungen im Rahmen des H2020 und an vier anderen im Rahmen des RP7 gekündigt worden. Die im Rahmen des H2020 gekündigte Vereinbarung trug die Nr. 645775 – Dragon Star Plus. Die im Rahmen des RP7 gekündigten Vereinbarungen trugen die Nrn. 610947 – RAPP, 612451 – Cre‑AM, 609154 – Performer und 314671 – Resilient.

51

Bezüglich dieser fünf Vereinbarungen hatte die Kommission somit zum Zeitpunkt der Klageerhebung einen Beschluss erlassen, aus dem sich ergibt, dass die Klägerin zu dem Zeitpunkt, zu dem sie ihre Klage erhob, über das von der Rechtsprechung verlangte Rechtsschutzinteresse verfügte.

52

Etwas anderes gilt für die 17 weiteren im Rahmen des RP7 und des H2020 geschlossenen Vereinbarungen, bezüglich deren die Kommission zum Zeitpunkt der Klageerhebung noch keinen Beschluss erlassen hatte. Was diese Vereinbarungen angeht, bestand zum Zeitpunkt der Klageerhebung kein Rechtsschutzinteresse, so dass die Klage insoweit gemäß der oben in Rn. 47 angeführten Rechtsprechung für unzulässig zu erklären ist.

– Zu der auf fehlende Klarheit und Genauigkeit der Klageschrift gestützten Unzulässigkeitseinrede

53

Nach Ansicht der Kommission entspricht die Klageschrift nicht den Anforderungen an Klarheit und Genauigkeit gemäß Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung, weil die Klägerin ihre Argumentation auf die Nichteinhaltung nicht angeführter nationaler Bestimmungen stütze.

54

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Klageschrift nach Art. 76 Buchst. d der Verfahrensordnung den Streitgegenstand nennen und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muss; die Angaben müssen klar und genau sein, um dem Beklagten die Vorbereitung seines Vorbringens und dem Unionsrichter die Ausübung seiner Kontrolle zu ermöglichen (Urteil des Gerichts vom 15. September 2016, European Dynamics Luxembourg und Evropaïki Dynamiki/EIT, T‑481/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:498, Rn. 460).

55

Im vorliegenden Fall ergibt sich aus der von der Klägerin eingereichten Klageschrift, dass Gegenstand des Rechtsstreits die Rechtmäßigkeit der von der Kommission getroffenen streitigen Maßnahmen ist. Die von der Klägerin vorgetragenen Klagegründe sind darauf gestützt, dass die Kommission ihre vertraglichen Verpflichtungen dadurch verletzt habe, dass die streitigen Maßnahmen die Rechtskraft des von der Untersuchungskammer erlassenen Urteils nicht beachteten (erster Klagegrund), dass der OLAF‑Bericht, auf den sich die Kommission beim Erlass dieser Maßnahmen gestützt habe, anhand von Beweisen erstellt worden sei, die unter Verstoß gegen das nationale Recht (zweiter Klagegrund) und gegen die unionsrechtlichen Grundrechte (dritter Klagegrund) erlangt worden seien, dass die Kommission Vereinbarungen nach dem H2020 nicht aufgrund von Kontrollen und Überprüfungen habe einstellen und kündigen dürfen, die im Rahmen von Vereinbarungen nach dem RP7 durchgeführt worden seien (vierter Klagegrund), und dass die Kommission mit dem Erlass der streitigen Maßnahmen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe (fünfter Klagegrund).

56

Ferner ist festzustellen, dass die Kommission ausweislich ihres Vorbringens in der Klagebeantwortung und der Gegenerwiderung offensichtlich in der Lage war, die gegen sie von der Klägerin erhobenen Vorwürfe zu verstehen.

57

Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, dass die in der Verfahrensordnung vorgesehenen Zulässigkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, so dass die von der Kommission erhobene Unzulässigkeitseinrede zurückzuweisen ist.

Zum ersten und zum zweiten Klageantrag

58

Die ersten beiden Anträge der Klägerin, welche die Einstellung der Zahlungen aufgrund der Finanzhilfevereinbarungen nach dem RP7 und dem H2020 bzw. die Kündigung dieser Vereinbarungen betreffen, sind gemeinsam zu behandeln.

59

Die Klägerin stützt diese Anträge auf fünf Gründe. Erstens könne der OLAF‑Bericht nicht als Stütze für die streitigen Maßnahmen herangezogen werden, da er von der Untersuchungskammer aufgehoben worden sei. Zweitens verstießen die streitigen Maßnahmen gegen die fraglichen Vereinbarungen, da sie auf einen Bericht gestützt seien, der anhand von Beweisen erstellt worden sei, die unter Verstoß gegen das nationale Recht erlangt worden seien. Drittens verstießen diese Maßnahmen auch gegen diese Vereinbarungen, da die Beweise unter Verstoß gegen die Charta der Grundrechte der Europäischen Union erlangt worden seien. Viertens könne die Kommission sich zur Aussetzung und Kündigung von Vereinbarungen nach dem H2020 nicht – wie sie dies getan habe – auf Kontrollen und Überprüfungen stützen, die im Rahmen von Vereinbarungen nach dem RP7 durchgeführt worden seien. Fünftens habe die Kommission gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoßen.

– Zum ersten Klagegrund: Nichtbeachtung der Rechtskraft des von der Untersuchungskammer erlassenen Urteils

60

Nach Ansicht der Klägerin konnten die streitigen Maßnahmen nicht auf den vom OLAF erstellten Abschlussbericht gestützt werden, da dieser von der Untersuchungskammer aufgehoben worden sei.

61

Gegenüber diesem Vorbringen verweist die Kommission darauf, dass der vom OLAF erstellte Bericht, der die von ihr zu treffenden Beschlüsse vorbereite, nicht als anfechtbar angesehen werden könne. Unterstellt, dass er dies sei, habe er nicht von einem nationalen Gericht für nichtig erklärt werden können, da die Zuständigkeit für die Nichtigerklärung der von Unionsinstanzen erlassenen Rechtsakte ausschließlich den Gerichten zustehe, die Teil dieser Rechtsordnung seien.

62

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung nur die Unionsgerichte zur Feststellung der Ungültigkeit eines Rechtsakts der Union zuständig sind (vgl. Urteil vom 21. Dezember 2011, Air Transport Association of America u. a., C‑366/10, EU:C:2011:864, Rn. 48 und die dort angeführte Rechtsprechung).

63

Unter diesen Umständen ist der OLAF‑Bericht – unabhängig von dem Befund der Untersuchungskammer in ihrem Urteil – in der Rechtsordnung der Union nach wie vor gültig, solange er nicht vom Unionsrichter für ungültig erklärt wurde.

64

Wie dem Urteil der Untersuchungskammer zu entnehmen ist, ging diese davon aus, dass „die gesamte Voruntersuchung, einschließlich der Untersuchung des OLAF und seiner nachfolgenden Maßnahmen … für ungültig erklärt werden müss[t]en, mit Ausnahme der anfänglichen Befassung der Staatsanwaltschaft Grasse, des Ermittlungsersuchens, mit dem die Gendarmerie mit einer Untersuchung beauftragt wurde, und der Anträge im Rahmen der von der Staatsanwaltschaft durchgeführten Ermittlungen“.

65

Wie die Kommission ausführt, bedeutet die in diesem Urteil enthaltene Schlussfolgerung jedoch nicht, dass der vom OLAF erstellte Bericht in der Rechtsordnung der Union für ungültig erklärt worden wäre, sondern lediglich, dass es diesem Gericht zufolge „weder erforderlich noch gerechtfertigt [war], dass eine vom OLAF unter Art. 6 … EUV und dem Einführungsartikel des Code de procédure pénale [Strafprozessordnung] – dem zufolge das Gleichgewicht der Rechte der Beteiligten gewahrt werden muss – zuwiderlaufenden Bedingungen durchgeführte Untersuchung, auch nur als bloße Information in einem Strafverfahren über die Art und Weise der Berechnung der für die Durchführung von Ausschreibungen betreffend von der Europäischen Kommission finanzierte Programme, vorliegt, ohne dass der Inhalt der durchgeführten Arbeit in diesem Stadium des Verfahrens von dem betreffenden Amt in Frage gestellt wird“.

66

Unter diesen Umständen ist es – auch wenn der OLAF‑Bericht gemäß dem Urteil der Untersuchungskammer im Rahmen eines in Frankreich gegen die Führungskräfte der Klägerin eingeleiteten Strafverfahrens nicht benutzt werden konnte – gleichwohl so, dass die Kommission sich im Rahmen eines unionsrechtlichen Verwaltungsverfahrens, das vertragsrechtlichen Bestimmungen unterlag, auf diesen OLAF‑Bericht stützen konnte, um die streitigen Maßnahmen zu erlassen, solange dieser Bericht nicht vom Unionsrichter für ungültig erklärt war.

67

Die Klägerin beruft sich auf das Urteil vom 30. September 2009, Sison/Rat (T‑341/07, EU:T:2009:372, Rn. 116), um darzutun, dass die Kommission in jedem Fall das Urteil der Untersuchungskammer berücksichtigen musste.

68

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das Urteil vom 30. September 2009, Sison/Rat (T‑341/07, EU:T:2009:372), die Durchführung einer Regelung betrifft, in der die Erwägungen des Unionsorgans auf Entscheidungen nationaler Stellen – insbesondere innerstaatlicher Gerichte – gestützt werden müssen. Die Situation ist anders in der vorliegenden Rechtssache, in der keine Vorschrift von der Kommission verlangt, sich auf eine von einer nationalen Stelle zu treffende Entscheidung zu stützen – sei diese auch ein Gericht. Jedenfalls hat das Gericht erster Instanz im Urteil vom 30. September 2009, Sison/Rat (T‑341/07, EU:T:2009:372), den nationalen Gerichten keine Zuständigkeit eingeräumt, die es ihnen erlauben würde, die Ungültigkeit von Rechtsakten der Union festzustellen, und die Unionsorgane zwingen würde, unter Berücksichtigung einer solchen Ungültigkeit zu entscheiden.

69

Diesen Erwägungen stehen nicht die Beschlüsse des Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse) vom 8. September 2017 entgegen, die dem Gericht von der Klägerin mitgeteilt wurden, zu deren Prüfung das mündliche Verfahren, wie oben in den Rn. 33 bis 35 angeführt, wieder eröffnet wurde und denen zufolge die Forderungen der Kommission nicht zugelassen werden können, da sie auf die von der Untersuchungskammer für „nichtig“ erklärte Untersuchung des OLAF gestützt sind.

70

Das vor dem Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse) geführte Verfahren kann nämlich keine Auswirkung auf die vorliegende Klage haben, da diese dadurch, dass sie die Vereinbarkeit der streitigen Maßnahmen mit den fraglichen Vereinbarungen und den durch diese zur Anwendung gebrachten Regeln betrifft, in die ausschließliche Zuständigkeit des Gerichts nach Art. 272 AEUV in Verbindung mit der in diesen Vereinbarungen enthaltenen Schiedsklausel fällt.

71

Im Übrigen verfolgen die beiden Verfahren unterschiedliche Zwecke, da die erste Klage die Vereinbarkeit der streitigen Maßnahmen mit diesen Vereinbarungen und Regeln betrifft, während es in dem vor dem Tribunal de commerce de Grasse (Handelsgericht Grasse) geführten Verfahren den Erklärungen der Klägerin zufolge um die Feststellung ging, ob die etwaigen der Kommission zustehenden Forderungen im Rahmen der Liquidation des Unternehmens berücksichtigt werden konnten.

72

Aufgrund all dessen ist der erste Klagegrund zurückzuweisen.

– Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen das französische Recht

73

Die Klägerin macht geltend, das OLAF müsse das nationale Recht wahren, wenn es Kontrollen und Überprüfungen im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats vornehme, und zwar aufgrund der für diese Einrichtung geltenden Verordnungen, nämlich der Verordnung Nr. 883/2013 und der Verordnung Nr. 2185/96.

74

Die Klägerin stützt ihr Vorbringen auf:

Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2013, in dem es heißt: „Während der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort handeln die Bediensteten des [OLAF] – vorbehaltlich des anwendbaren Unionsrechts – im Einklang mit den Vorschriften und Gepflogenheiten des betroffenen Mitgliedstaats …“;

Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2185/96, dem zufolge sich die Kontrolleure des OLAF vorbehaltlich des Unionsrechts an die im Recht des betreffenden Mitgliedstaats vorgesehenen Verfahrensvorschriften zu halten haben;

Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2013, in dem es heißt: „Bei der Erstellung [der] Berichte und Empfehlungen [des OLAF] werden die nationalen Rechtsvorschriften des betroffenen Mitgliedstaats berücksichtigt.“

75

Im vorliegenden Fall sei gegen das nationale Recht in dreifacher Hinsicht verstoßen worden:

Vor der Aufnahme seiner Tätigkeit in den Räumlichkeiten der Klägerin hätte das OLAF eine Ermächtigung eines nationalen Gerichts einholen müssen;

während dieser Tätigkeit hätten seine Kontrolleure von nationalen Beamten der Kriminalpolizei begleitet werden müssen;

sie hätten die Klägerin über deren Recht informieren müssen, sich den Kontrollen und Überprüfungen vor Ort zu widersetzen.

76

Zur Beantwortung dieses Vorbringens ist darauf hinzuweisen, dass, wie oben in den Rn. 62 bis 66 ausgeführt, der OLAF‑Bericht in der Rechtsordnung der Union weiterhin gültig ist, solange er nicht vom Unionsrichter für ungültig erklärt wurde, unbeschadet der Entscheidungen, die von den nationalen Behörden oder Gerichten in Bezug auf die etwaige Verwendung eines solchen Berichts in den Verfahren nach nationalem Recht getroffen werden können.

77

Aus der dritten von der Klägerin geltend gemachten Vorschrift, nämlich Art. 11 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2013, ergibt sich, dass die vom OLAF erstellten Berichte in den nationalen Verfahren verwendet werden können, soweit sie im Einklang mit den Regeln und Verfahren des nationalen Rechts erstellt wurden. Ist das nationale Recht – wie die Klägerin vorträgt – nicht eingehalten worden, hat dies zur Folge, dass der vom OLAF erstellte Bericht in den nationalen Verfahren nicht verwendet werden kann, ohne dass dies die Kommission daran hindern kann, ihre Entscheidungen auf dieses Dokument zu stützen.

78

Wie sich aus den anderen von der Klägerin angeführten Vorschriften, nämlich Art. 3 Abs. 3 der Verordnung Nr. 883/2013 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 3 der Verordnung Nr. 2185/96, ergibt, werden die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort vom OLAF im Einklang mit den Vorschriften und Gepflogenheiten des betroffenen Mitgliedstaats durchgeführt, vorbehaltlich des anwendbaren Unionsrechts.

79

Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die vom OLAF durchgeführten Untersuchungen und Überprüfungen in einem Rahmen stattfinden, der durch die Anwendung des nationalen Rechts gekennzeichnet ist, Letzteres aber in jedem Fall zugunsten des Unionsrechts zurücktreten muss, wenn die Verordnung Nr. 883/2013 oder die Verordnung Nr. 2185/96 dies vorsehen.

80

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass, was den ersten Punkt angeht, in dem ein Verstoß gegen das französische Recht vorliegen soll, die Verordnungen Nr. 883/2013 und Nr. 2185/96 nicht die Einhaltung nationaler Anforderungen verlangen, bevor das OLAF Kontrollen und Überprüfungen in den Räumlichkeiten eines Wirtschaftsteilnehmers vornimmt, soweit dieser sich dem nicht widersetzt.

81

Nur in diesem Fall bestimmt Art. 9 der Verordnung Nr. 2185/96 nämlich in seinem Abs. 1, dass der betreffende Mitgliedstaat den Kontrolleuren des OLAF in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsvorschriften die erforderliche Unterstützung gewährt, damit sie ihren Auftrag zur Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort erfüllen können, und in seinem Abs. 2, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten ist, unter Einhaltung der nationalen Rechtsvorschriften etwaige notwendige Maßnahmen zu treffen. Aus den Akten ergibt sich jedoch, dass die Klägerin sich in der dem Gericht vorgelegten Rechtssache den Kontrollen und Überprüfungen vor Ort nicht widersetzt hat.

82

Da die Einhaltung der nationalen Vorschriften wie derjenigen betreffend das Erfordernis einer vorherigen Ermächtigung durch ein nationales Gericht von den Verordnungen Nr. 883/2013 und Nr. 2185/96 nicht vorgesehen ist, wenn sich der betroffene Wirtschaftsteilnehmer nicht widersetzt, weil diese Vorschriften die vom OLAF durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen vor Ort allein vom Vorliegen einer vom Generaldirektor dieser Einrichtung erteilten schriftlichen Ermächtigung abhängig machen (Art. 7 Abs. 2 der Verordnung Nr. 883/2013 und Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Verordnung Nr. 2185/96), ist das Vorbringen der Klägerin somit zurückzuweisen.

83

Die Klägerin macht geltend, im Urteil vom 22. Oktober 2002, Roquette Frères (C‑94/00, EU:C:2002:603, Rn. 48), habe der Gerichtshof der Kommission im Bereich des Wettbewerbs Verpflichtungen auferlegt, was richterliche Ermächtigungen im Rahmen von Verwaltungsverfahren angeht.

84

Dieses Argument entbehrt einer tatsächlichen Grundlage, da entgegen der Auffassung der Klägerin das von ihr angeführte Urteil nicht die Einschaltung eines nationalen Gerichts vorschreibt, bevor Kontrollen und Überprüfungen vor Ort stattfinden, sondern lediglich einen Hinweis an die Verwaltungsbehörde enthält, dass diese den Gegenstand der Nachprüfung angeben muss, bevor sie diese Kontrollen und Überprüfungen vor Ort vornimmt. Im vorliegenden Fall ist eine Ermächtigung am 27. November 2014 vom Generaldirektor des OLAF erteilt und von den Kontrolleuren bei ihrem Eintreffen am Sitz der Klägerin vorgelegt worden, wo sie vom Direktor der Klägerin gegengezeichnet wurde, der eine Kopie hiervon behielt. Im Übrigen sind gegen den Inhalt dieser Ermächtigung keine Einwände erhoben worden.

85

Zum zweiten Punkt, in dem das französische Recht angeblich nicht eingehalten wurde, ist darauf hinzuweisen, dass den geltenden Unionsverordnungen zufolge

die Untersuchungen von den Kontrolleuren des OLAF unter Leitung von dessen Generaldirektor (Art. 7 Abs. 1 der Verordnung Nr. 883/2013, Art. 4 und Art. 6 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96) durchgeführt werden;

diese Kontrolleure die nationalen Behörden informieren müssen, bevor sie die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort durchführen (Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96);

die Kontrolleure von nationalen Bediensteten begleitet werden können, die von ihren Behörden entsandt werden oder als zur Kommission abgeordnete nationale Sachverständige tätig werden (Art. 4 Abs. 1 der Verordnung Nr. 2185/96);

die Gegenwart dieser Bediensteten akzeptiert werden muss, wenn sie diese Teilnahme wünschen (Art. 4 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2185/96);

die nationalen Behörden in dem Fall, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle oder Überprüfung widersetzt, unter Einhaltung des nationalen Rechts die notwendigen Maßnahmen treffen müssen, damit das OLAF seinem Auftrag nachkommen kann (Art. 9 der Verordnung Nr. 2185/96).

86

Aus diesen Vorschriften ergibt sich, dass die Teilnahme nationaler Bediensteter durch die Verordnung Nr. 2185/96 geregelt und von dieser in zwei Fällen vorgeschrieben ist, die vorliegend bei den vom OLAF durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen vor Ort nicht gegeben waren. Zum einen ist sie in dem Fall erforderlich, dass sich ein Wirtschaftsteilnehmer den vom OLAF durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen widersetzt. Den Angaben der Klägerin zufolge war dies nicht der Fall. Zum anderen muss die Teilnahme der nationalen Bediensteten akzeptiert werden, wenn diese einen entsprechenden Wunsch äußern.

87

Aus den Akten ergibt sich, dass im vorliegenden Fall drei nationale Beamte bei einem Teil der Vorgänge zugegen waren, dass sie dem Generaldirektor der Klägerin mitteilten, dass gegen ihn eine strafrechtliche Voruntersuchung auf der Grundlage des französischen Rechts parallel zu dem auf das Unionsrecht gestützten Verfahren eingeleitet worden sei, und dass sie in diesem Zusammenhang verschiedene Handlungen vornahmen, bevor sie den Sitz der Klägerin am späten Vormittag verließen, ohne den Wunsch zu äußern, an den auf der Grundlage des Unionsrechts vorgenommenen Kontrollen und Überprüfungen vor Ort teilzunehmen.

88

Somit ist der Umstand, dass die nationalen Beamten nicht an dem gesamten Vorgang teilnahmen, nicht auf ein dem OLAF zuzurechnendes Verhalten zurückzuführen, sondern auf eine von ihnen selbst getroffene Entscheidung, die daher nicht die Gültigkeit der von der Kommission auf der Grundlage des vom OLAF erstellten Berichts getroffenen Maßnahmen beeinträchtigt.

89

Die Klägerin beruft sich auf das Urteil vom 21. September 1989, Hoechst/Kommission (46/87 und 227/88, EU:C:1989:337, Rn. 34), in dem der Gerichtshof entschieden habe, dass die Kommission die im nationalen Recht vorgesehenen Verfahrensgarantien zu beachten habe, wenn sie Kontrollen und Überprüfungen vor Ort vornehme.

90

Dieses Argument entbehrt einer tatsächlichen Grundlage, da sich die Klägerin, wie sich aus den Akten ergibt, in der dem Gericht vorgelegten Rechtssache den Kontrollen und Überprüfungen vor Ort nicht widersetzt hat, während es in dem angeführten Urteil um den Fall geht, dass um Unterstützung durch nationale Behörden ersucht wird, um dem von einem Wirtschaftsteilnehmer erklärten Widerspruch gegen eine von der Kommission im Rahmen einer wettbewerbsrechtlichen Untersuchung durchgeführte Kontrolle oder Überprüfung vor Ort entgegenzutreten.

91

Zum dritten von der Klägerin angeführten Punkt ist festzustellen, dass die Wirtschaftsteilnehmer nach Art. 5 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2185/96 den Zugang zu den Räumlichkeiten, Grundstücken, Verkehrsmitteln und sonstigen gewerblich genutzten Örtlichkeiten ermöglichen müssen, um die Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen zu erleichtern.

92

Zudem bestimmt Art. 9 dieser Verordnung für den Fall, dass sich die von einer Untersuchung betroffenen Wirtschaftsteilnehmer einer Kontrolle oder Überprüfung vor Ort widersetzen, der betreffende Mitgliedstaat den Kontrolleuren in Übereinstimmung mit seinen nationalen Rechtsvorschriften die erforderliche Unterstützung gewährt, damit sie ihren Auftrag zur Durchführung der Kontrollen und Überprüfungen vor Ort erfüllen können. Ferner ist es nach dieser Vorschrift Aufgabe der Mitgliedstaaten, unter Einhaltung des nationalen Rechts etwaige notwendige Maßnahmen zu treffen.

93

Die Verpflichtung der Wirtschaftsteilnehmer, sich den Kontrollen und Überprüfungen vor Ort zu unterziehen, ist ebenfalls vorgesehen in Art. II.22 Abs. 2 bis 4 des Anhangs II der von der Klägerin unterzeichneten Finanzhilfevereinbarungen nach dem RP7, durch die der Rahmen für die vertraglichen Beziehungen zwischen ihr und der Kommission festgelegt wurde.

94

Zwar betrifft die Verordnung Nr. 2185/96, wie oben in Rn. 92 ausgeführt, den Fall, dass ein Wirtschaftsteilnehmer sich den vom OLAF vorgesehenen Kontrollen und Überprüfungen vor Ort widersetzt, und bestimmt, dass in diesem Fall die Unterstützung der nationalen Behörden angefordert werden kann und die von ihnen getroffenen Maßnahmen im Einklang mit dem nationalen Recht durchgeführt werden müssen.

95

Allerdings gewährt diese Bestimmung den Wirtschaftsteilnehmern nicht das Recht, sich den vom OLAF vorgesehenen Maßnahmen zu widersetzen, sondern sieht lediglich vor, dass sie im Fall des Widerspruchs gezwungen werden können, diese Maßnahmen zu akzeptieren, und dass hierzu nationale Polizeikräfte unter den im nationalen Recht vorgesehenen Bedingungen eingesetzt werden können.

96

Aus den Akten ergibt sich, dass diese Bestimmung im vorliegenden Fall keine Anwendung gefunden hat, da sich die Klägerin, wie sie selbst ausgeführt hat, den vom OLAF durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen vor Ort nicht widersetzt hat.

97

Nach alledem ist der Klagegrund zurückzuweisen.

– Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Grundrechte

98

Im Rahmen des dritten Klagegrundes macht die Klägerin geltend, die streitigen Maßnahmen hätten von der Kommission nicht getroffen werden dürfen, da sie auf einen Bericht gestützt worden seien, der anhand von unter Verstoß gegen Art. 47 der Charta der Grundrechte erlangten Beweisen erstellt worden sei.

99

In der mündlichen Verhandlung hat die Klägerin auf eine Frage des Gerichts ausgeführt, ihrer Ansicht nach sei die Kommission verpflichtet, bei der Durchführung der von ihr geschlossenen Vereinbarungen die in der Charta der Grundrechte anerkannten Rechte zu wahren. Die Kommission hat vorgetragen, die Anwendung dieser Rechte auf die Verhaltensweisen der Unionsorgane im vertraglichen Bereich könne nicht allgemein gelten, sondern müsse im Einzelfall geprüft werden, unter anderem nach Maßgabe des Inhalts der vertraglichen Bestimmungen

100

Insoweit ist festzustellen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs die Grundrechte allgemeine Grundsätze der Unionsrechtsordnung darstellen (Urteile vom 17. Dezember 1970, Internationale Handelsgesellschaft, 11/70, EU:C:1970:114, Rn. 4, vom 13. Mai 2014, Google Spain und Google, C‑131/12, EU:C:2014:317, Rn. 68, und vom 3. Juli 2014, Kamino International Logistics und Datema Hellmann Worldwide Logistics, C‑129/13 und C‑130/13, EU:C:2014:2041, Rn. 69).

101

Diese Rechte sind in der Charta der Grundrechte niedergelegt, die Teil des EU-Vertrags ist und gemäß ihrem Art. 51 Abs. 1 ohne Ausnahme „für die Organe, Einrichtungen und sonstigen Stellen der Union unter Wahrung des Subsidiaritätsprinzips [gilt]“.

102

Aufgrund dessen regeln die Grundrechte die Ausübung der den Unionsorganen übertragenen Zuständigkeiten, auch in einem vertraglichen Rahmen, ebenso wie sie für die von den Mitgliedstaaten im Anwendungsbereich des Unionsrechts erlassenen Rechtsakte gelten.

103

Diese allgemeine Geltung der Grundrechte hat zur Folge, dass die Kommission, wie sie selbst eingeräumt hat, nicht anhand von Informationen, die vom OLAF unter Verletzung der Grundrechte erlangt wurden, die einem Wirtschaftsteilnehmer geschuldeten Zahlungen aussetzen oder die mit einem solchen Wirtschaftsteilnehmer geschlossenen Vereinbarungen kündigen kann.

104

Aus der Regelung ergibt sich im Übrigen, dass diese letztgenannte Stelle, d. h. das OLAF, die Grundrechte beachten muss, wenn sie im Rahmen der ihr übertragenen Aufgaben Untersuchungen durchführt.

105

Nach der Verordnung Nr. 883/2013 müssen die Untersuchungen des OLAF nämlich im Einklang mit den Grundrechten erfolgen. Diese Verpflichtung ergibt sich aus Erwägungsgrund 51 dieser Verordnung.

106

Im zwölften Erwägungsgrund der Verordnung Nr. 2185/96 ihrerseits heißt es: „[Die] Kontrollen und Überprüfungen vor Ort sind unter Wahrung der Grundrechte der betreffenden Personen … durchzuführen“.

107

Im vorliegenden Fall ist die Klägerin der Auffassung, dass das OLAF im Rahmen der von ihm vor Ort durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen Art. 47 der Charta der Grundrechte verkannt habe, wonach die Rechtsuchenden in der Union im Wesentlichen das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf vor einem Gericht hätten, was insbesondere bedeute, dass über ihre Sache im Fall eines Rechtsstreits öffentlich verhandelt werde, unter Wahrung der Unabhängigkeit und der Unparteilichkeit.

108

Nach Ansicht der Klägerin ist Art. 47 der Charta der Grundrechte dadurch verletzt worden, dass die Kontrollen und Überprüfungen vor Ort vom OLAF durchgeführt wurden, ohne dass seine Kontrolleure von nationalen Polizeibeamten begleitet wurden, ohne dass die Klägerin über ihr Recht aufgeklärt wurde, sich diesen Maßnahmen zu widersetzen, und ohne dass Letztere vorab von einem nationalen Gericht genehmigt wurden.

109

In Bezug auf die ersten beiden Rügen der Klägerin ist festzustellen, dass diese nichts vorgetragen hat, um ihr Vorbringen zu untermauern, und insbesondere keine Angaben gemacht hat, die belegen könnten, dass die Begleitung durch nationale Polizeibeamte und das Recht auf Unterrichtung über die Möglichkeit, sich den vom OLAF durchgeführten Maßnahmen zu widersetzen, von Art. 47 der Charta der Grundrechte erfasst werden.

110

Im Übrigen genügt der Hinweis, dass, wie oben in den Rn. 85 bis 96 ausgeführt, die für diese Maßnahmen geltenden Vorschriften den Kontrolleuren des OLAF nicht vorschreiben, sich unter den Umständen des vorliegenden Falls von nationalen Polizeibeamten begleiten zu lassen, und dass diese Vorschriften den Wirtschaftsbeteiligten, insbesondere der Klägerin, nicht das Recht verleihen, sich diesen Maßnahmen zu widersetzen, und erst recht nicht, über das Bestehen eines solchen Rechts informiert zu werden.

111

In Bezug auf die dritte Rüge der Klägerin ist festzustellen, dass diese dem Gericht keine Anhaltspunkte dafür geliefert hat, dass sich unter den Umständen des vorliegenden Falls eine Pflicht zur Einholung einer richterlichen Ermächtigung aus dem Recht des Einzelnen ergeben könnte, dass seine Sache von einem Richter unabhängig und unparteiisch gehört wird, zumal die Klägerin die Angelegenheit vor ein nationales Gericht bringen konnte, um zum einen zu ermitteln, ob die vom OLAF eingeholten Informationen im Rahmen der beanstandeten Vorgänge in der innerstaatlichen Rechtsordnung ihr gegenüber verwendet werden könnten, und zum anderen den Unionsrichter anrufen konnte, um auf der Ebene der Unionsrechtsordnung die von der Kommission auf der Grundlage der Informationen, die im Rahmen der von der Klägerin gerügten Maßnahmen erlangt worden waren, getroffenen Maßnahmen zu kontrollieren.

112

Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass nach den für die vom OLAF durchgeführten Maßnahmen geltenden Vorschriften das Erfordernis, eine richterliche Ermächtigung einzuholen, wenn sie nach nationalem Recht vorgesehen ist, nur im Fall eines vom Wirtschaftsteilnehmer erhobenen Widerspruchs gilt, und dass das OLAF dann nationale Polizeikräfte in Anspruch nehmen muss, die nach den für sie geltenden Vorschriften die innerstaatlichen Rechtsvorschriften einhalten müssen.

113

Wie jedoch bereits insbesondere oben in Rn. 81 ausgeführt, hat die Klägerin sich den vom OLAF durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen vor Ort nicht widersetzt.

114

Schließlich macht die Klägerin geltend, Art. 53 der Charta der Grundrechte enthalte eine sogenannte „Mindestgarantieklausel“, aufgrund deren das OLAF bei den Untersuchungen die nationalen Vorschriften beachten müsse, wenn diese den Einzelnen umfangreichere Garantien als die nach dem Unionsrecht vorgesehenen gewährten.

115

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass nach der Rechtsprechung diese Vorschrift nicht dahin ausgelegt werden kann, dass es einem Mitgliedstaat gestattet ist, die Anwendung von mit der Charta vollständig im Einklang stehenden Unionsrechtsakten mit der Begründung zu verhindern, sie erfüllten nicht die in der Verfassung dieses Staates garantierten Grundrechte (vgl. Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 58).

116

Wie der Gerichtshof ausgeführt hat, beruht diese Rechtsprechung auf dem Grundsatz des Vorrangs des Unionsrechts, der die Unionsrechtsordnung wesentlich prägt und aufgrund dessen die Geltung des Unionsrechts in einem Mitgliedstaat nicht dadurch beeinträchtigt werden kann, dass dieser Staat Vorschriften des nationalen Rechts, und haben sie auch Verfassungsrang, geltend macht (vgl. Urteil vom 26. Februar 2013, Melloni, C‑399/11, EU:C:2013:107, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung).

117

Schließlich genießen die Einzelnen entgegen dem Vorbringen der Klägerin Grundrechtsschutz bei vom OLAF vorgenommenen Kontrollen und Überprüfungen vor Ort, da zum einen diese Stelle die Unionsregelung einhalten muss, nach der ihre Tätigkeit mit den Grundrechten im Einklang stehen muss, und zum anderen die Kommission keine Maßnahmen wie die im vorliegenden Fall streitigen erlassen kann, indem sie sich auf Informationen stützt, die im Rahmen derartiger Maßnahmen erlangt wurden, wenn Letztere, wie oben in Rn. 103 ausgeführt, unter Verletzung der Grundrechte durchgeführt wurden.

118

Aus diesen Gründen ist der dritte Klagegrund zurückzuweisen.

– Zum vierten Klagegrund: Fehlen von Auswirkungen des OLAF‑Untersuchungsberichts auf die im Rahmen des H2020 geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen

119

Mit ihrem vierten Klagegrund macht die Klägerin geltend, zum Erlass der Maßnahmen betreffend die im Rahmen des H2020 geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen habe sich die Kommission nicht auf vom OLAF im Rahmen einer die Durchführung von RP7-Projekten betreffenden Untersuchung gesammelte Beweise oder Beweismittel stützen dürfen.

120

Insoweit ist festzustellen, dass, was die im Rahmen des H2020 geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen angeht, die von der Kommission getroffenen Maßnahmen in der Kündigung der Beteiligung der Klägerin an der Vereinbarung Nr. 645775 – Dragon Star Plus bestehen, wie oben in Rn. 50 ausgeführt.

121

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Rechte und Verpflichtungen der Kommission im Rahmen einer von ihr unterzeichneten Vereinbarung den in dieser enthaltenen Bestimmungen unterliegen.

122

Art. 50.3.1 Buchst. m der streitigen Vereinbarung sieht vor, dass die Beteiligung an der fraglichen Vereinbarung im Fall von systematischen oder wiederkehrenden Fehlern, Unregelmäßigkeiten, betrügerischem Verhalten oder schwerwiegender Verletzung der in anderen Vereinbarungen eingegangenen Verpflichtungen gekündigt werden kann.

123

Aus dieser Bestimmung ergibt sich, dass die Kommission die Beteiligung der Klägerin an der streitigen Vereinbarung kündigen kann, wenn derartige Fehler, Unregelmäßigkeiten, Betrügereien oder schwerwiegende Verletzungen von Verpflichtungen bei der Durchführung einer Vereinbarung begangen wurden, unabhängig vom Programm, dem diese zugeordnet werden kann, also sogar dann, wenn es sich nicht um ein H2020-Programm handelt.

124

Der vom OLAF vorgenommenen Untersuchung zufolge sind Verhaltensweisen der Klägerin wie die Manipulation von Arbeitszeitbögen und überhöhte Lohnabrechnungen festgestellt worden, die es ihr ermöglicht haben, nicht erstattungsfähige Tätigkeiten zu finanzieren und gegen den „Non profit“-Grundsatz zu verstoßen und damit den Haushalt und das Ansehen der Union zu schädigen. Diese Verhaltensweisen seien im Laufe mehrerer Jahre wiederholt vorgekommen und hätten allgemeinen Charakter gehabt, da sie vom Geschäftsführer der Klägerin und ihren Führungskräften angenommen worden seien. Unter diesen Umständen stellten sie nach den der Kommission vorliegenden und von der Klägerin vor dem Gericht nicht bestrittenen Informationen eine schwere Verletzung der von der Klägerin aufgrund der im Rahmen des RP7 und des H2020 geschlossenen Vereinbarungen eingegangenen Verpflichtungen dar, weswegen die Voraussetzungen für die Kündigung der Beteiligung der Klägerin an der streitigen, im Rahmen des H2020 geschlossenen Vereinbarung durch die Kommission erfüllt waren.

125

Folglich ist der vierte Klagegrund der Klägerin als unbegründet zurückzuweisen.

– Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

126

Mit ihrem fünften Klagegrund macht die Klägerin geltend, die streitigen Maßnahmen verstießen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.

127

Insoweit ist festzustellen, dass der in Art. 5 Abs. 4 EUV niedergelegte Grundsatz der Verhältnismäßigkeit ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist, der verlangt, dass die Unionsorgane nicht die Grenzen dessen überschreiten, was zur Erreichung des mit ihren Maßnahmen verfolgten Ziels erforderlich ist (Urteil vom 26. Januar 2017, Diktyo Amyntikon Viomichanion Net/Kommission, T‑703/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:34, Rn. 156).

128

Nach der Rechtsprechung gilt dieser Grundsatz für alle Handlungsformen der Union unabhängig davon, ob sie vertraglicher oder anderer Art sind. Im Rahmen der Erfüllung vertraglicher Verpflichtungen gehört dieser Grundsatz nämlich zu der ganz allgemeinen Verpflichtung der Parteien eines Vertrags, diesen nach Treu und Glauben zu erfüllen (Urteil vom 26. Januar 2017, Diktyo Amyntikon Viomichanion Net/Kommission, T‑703/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2017:34, Rn. 157).

129

Im vorliegenden Fall ist zu prüfen, ob diese Verpflichtung von der Kommission eingehalten wurde, als sie im Rahmen des Vertrags, auf den sich der vorliegende Rechtsstreit bezieht, die streitigen Maßnahmen erließ.

130

Den vom OLAF gesammelten Beweisen und Beweismitteln zufolge bestehen die der Klägerin vorgeworfenen Verhaltensweisen in der Manipulation von Arbeitszeitbögen und überhöhten Lohnabrechnungen. Wie oben in Rn. 124 ausgeführt, sollen es diese Verhaltensweisen der Klägerin ermöglicht haben, nicht erstattungsfähige Tätigkeiten zu finanzieren und gegen den „Non profit“-Grundsatz zu verstoßen und damit den Haushalt und das Ansehen der Union zu schädigen. Dieses Verhalten sei im Laufe mehrerer Jahre wiederholt vorgekommen und habe allgemeinen Charakter gehabt, da es vom Geschäftsführer der Klägerin und ihren Führungskräften praktiziert worden sei.

131

Die Klägerin ist von der Kommission vor dem Erlass jeder einzelnen der streitigen Maßnahmen angehört worden. Sie hat jedoch nicht dargetan, dass sie nicht die Unregelmäßigkeiten begangen hat, welche die Kommission ihr mit Schreiben vom 7. Oktober 2015 im Einzelnen vorgeworfen hat und mit Feststellungen in ihren Entscheidungen über die Aussetzung der Zahlungen und die Kündigung der Vereinbarungen anhand des Vorbringens der Klägerin in ihren schriftlichen Erklärungen sowie in den vom Redress‑II-Ausschuss im Rahmen des RP7 getroffenen Entscheidungen und den nachfolgenden bestätigenden Kommissionsentscheidungen bestätigt und ergänzt hat.

132

Im Übrigen hat die Klägerin in der Klageschrift zum einen nicht die Richtigkeit der Analyse der Kommission in Frage gestellt, namentlich was ihre Praxis der Überbewertung der tatsächlich von ihren Führungskräften geleisteten Arbeitsstunden sowie der nachträglichen Aufstellung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten angeht. Zum anderen ist ihr Vorbringen zur Stützung ihrer Anträge nicht geeignet, die von der Kommission in ihrem Schreiben vom 7. Oktober 2015 betreffend die von der Klägerin begangenen Unregelmäßigkeiten aufgestellten Behauptungen zu widerlegen.

133

Diese Verhaltensweisen sollten anhand der Beschränkungen geprüft werden, denen die Kommission unterliegt, insbesondere jenen aus Art. 317 AEUV, der sie verpflichtet, die ordnungsgemäße Verwaltung der Mittel der Union zu gewährleisten, und aus Art. 325 AEUV, der die Union und die Mitgliedstaaten verpflichtet, Betrug und sonstige rechtswidrige Handlungen zum Nachteil der finanziellen Interessen der Union zu bekämpfen.

134

In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass die Kommission durch den Erlass der streitigen Maßnahmen verhindern wollte, dass der Klägerin neue Mittel aus dem Unionshaushalt zur Verfügung gestellt werden. Die vom OLAF erlangten Informationen zeigten, dass die von der Klägerin praktizierten verbotenen Verhaltensweisen wiederkehrenden und allgemeinen Charakter hatten. Nachdem sie diese Informationen erhalten hatte, konnte die Kommission berechtigterweise befürchten, dass diese neuen Mittel, wenn sie übertragen würden, in derselben Weise verwendet würden wie die vorhergehenden, d. h. unter Missachtung der geltenden vertraglichen Bestimmungen.

135

In ihren Schriftsätzen trägt die Klägerin zwei Argumente zur Stützung ihres Klagegrundes betreffend den Verstoß der Kommission gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vor.

136

Sie macht erstens geltend, die von der Kommission getroffenen Maßnahmen seien beschlossen worden, ohne die Qualität der von der Klägerin geleisteten Arbeit zu berücksichtigen, obwohl die ihr zur Verfügung gestellten Mittel, wie sich aus bis dahin vorgenommenen technischen Prüfungen ihrer Arbeit ergebe, von ihr im Einklang mit den Grundsätzen der Wirtschaftlichkeit, der Effektivität und einer wirtschaftlichen Haushaltsführung verwendet worden seien.

137

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die von der Klägerin angeführten technischen Prüfungen ein anderes als das vom OLAF mit seiner Untersuchung angestrebte Ziel verfolgten. Sie sollten nämlich auf intellektueller Ebene die von der Klägerin mit den von der Kommission bereitgestellten Mitteln durchgeführten Recherchen bewerten. Mit der vom OLAF vorgenommenen Untersuchung sollte demgegenüber auf finanzieller Ebene festgestellt werden, ob die erhaltenen Unionsmittel im Einklang mit den Verpflichtungsregeln verwendet worden waren.

138

Im Übrigen ist die Kommission – unabhängig von dem für die streitigen Finanzhilfevereinbarungen geltenden Recht – nach Art. 317 AEUV zu einer guten und wirtschaftlichen Haushaltsführung im Hinblick auf die Unionsmittel verpflichtet. Im Finanzhilfesystem der Union unterliegt die Verwendung dieser Finanzhilfen Vorschriften, die zur teilweisen oder völligen Aussetzung einer bereits gewährten Finanzhilfe führen können. Ein Finanzhilfeempfänger erwirbt dadurch keinen endgültigen Anspruch auf volle Auszahlung der Finanzhilfe, wenn er die an die Unterstützung geknüpften Bedingungen nicht eingehalten hat (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Mai 2007, Kommission/IIC, T‑500/04, EU:T:2007:146, Rn. 93).

139

Nach einem wesentlichen Grundsatz für die Vergabe von Finanzhilfen der Union können nur tatsächlich entstandene Ausgaben subventioniert werden. Damit die Kommission Kontrollen vornehmen kann, müssen die Empfänger solcher Finanzhilfen daher nachweisen, dass die im Rahmen der subventionierten Vorhaben abgerechneten Kosten erstattungsfähig waren. Der Nachweis, dass ein Vorhaben durchgeführt worden ist, genügt nicht, um die Gewährung einer spezifischen Finanzhilfe zu rechtfertigen. Der Beihilfeempfänger muss überdies nachweisen, dass ihm die Kosten entstanden sind, die er nach den für die Gewährung der betreffenden Finanzhilfe festgelegten Bedingungen deklariert hat. Seine Verpflichtung, die festgelegten finanziellen Bedingungen einzuhalten, stellt eine Hauptpflicht und damit eine Bedingung für die Gewährung der Unionsfinanzhilfe dar (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 22. Mai 2007, Kommission/IIC, T‑500/04, EU:T:2007:146, Rn. 94).

140

Folglich kann der Kommission unter Berücksichtigung der Feststellungen im OLAF‑Untersuchungsbericht betreffend die Praktiken der Klägerin sowie der vorerwähnten Rechtsprechungsgrundsätze nicht vorgeworfen werden, durch den Erlass der streitigen Maßnahmen gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen zu haben.

141

Zweitens macht die Klägerin in ihrem Vorbringen zum Grundsatz der Verhältnismäßigkeit geltend, die Kommission habe in unannehmbarer Weise gehandelt, als sie Maßnahmen getroffen habe, die die Gesamtheit der mit ihr geschlossenen Vereinbarungen betroffen hätten, obwohl verbotene Verhaltensweisen nur in einer begrenzten Zahl von Fällen festgestellt worden seien. Angemessener wäre es gewesen, sie über das Vorliegen von Schwierigkeiten zu informieren und sie zur Anpassung der Posten aufzufordern, in denen nicht erstattungsfähige Ausgaben enthalten gewesen seien

142

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die von der Kommission getroffenen und von der Klägerin kritisierten Maßnahmen in einem Zusammenhang stehen, in dem die für die Bekämpfung der missbräuchlichen Verwendung von Unionsmitteln zuständige Stelle der Kommission Beweismittel übermittelt hatte, die den Nachweis erbrachten, dass von der Klägerin bei der Verwendung der Mittel schwerwiegende und wiederholte Betrügereien begangen worden sind.

143

In diesem Zusammenhang konnte die Kommission annehmen, dass die finanziellen Interessen der Union durch eine Beschränkung der Aussetzung auf bestimmte Zahlungen oder durch die Kündigung nur eines Teils ihrer Vereinbarungen mit der Klägerin unter Verstoß gegen ihre Verpflichtung aus Art. 317 AEUV nicht wirksam genug geschützt wären. Da die Untersuchungen in Form von Stichproben stattfanden, konnte die Feststellung von Unregelmäßigkeiten im Rahmen einer Vereinbarung das Vertrauen der Kommission in ihre Vertragspartnerin beeinträchtigen und sie dazu veranlassen, die Beteiligung der Klägerin an sämtlichen mit ihr eingegangenen Vereinbarungen in Frage zu stellen.

144

Aus diesen Erwägungen folgt, dass der – auf einen Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gestützte – fünfte Klagegrund der Klägerin zurückzuweisen ist.

145

Nach alledem sind die von der Klägerin zur Stützung ihres ersten und ihres zweiten Klageantrags vorgebrachten fünf Klagegründe zurückzuweisen.

Zum dritten und zum vierten Klageantrag

146

Der dritte und der vierte Antrag der Klägerin gehen dahin, die Kommission zur Zahlung der im Zusammenhang mit den unter das RP7 und das H2020 fallenden Verträgen angeblich rechtswidrig ausgesetzten Beträge in Höhe von 607404,49 Euro bzw. 226688,68 Euro zuzüglich Verzugszinsen zu verurteilen.

147

Insoweit ist festzustellen, dass der Klägerin – wie die Kommission einräumt – im Zeitraum vor der Kündigung erstattungsfähige Kosten entstanden sein konnten, auf deren Zahlung sie gemäß den anwendbaren vertraglichen Bestimmungen Anspruch erheben konnte.

148

Jedoch ist darauf hinzuweisen, dass die Finanzierung durch die Union im Rahmen von Finanzhilfeverträgen keine Vergütung der von der Klägerin geleisteten Arbeit sondern eine für von ihr betreute Projekte gewährte Finanzhilfe darstellt, deren Auszahlung besonderen, vertraglich festgelegten Bedingungen unterliegt. Die Finanzierung durch die Union soll lediglich erstattungsfähige Kosten decken, wie sie in den betreffenden Verträgen definiert sind.

149

Insoweit beschränken sich die Beiträge der Kommission gemäß Art. II.39 Abs. 1 der allgemeinen Bedingungen der Finanzhilfevereinbarungen nach dem RP7 im Fall der Kündigung auf die erstattungsfähigen Kosten, die bis zum Wirksamwerden der Kündigung entstanden sind und anerkannt wurden. Was die Finanzhilfevereinbarungen nach dem H2020 angeht, bestimmt Art. 50.3.3 Buchst. b, dass die Kommission auf der Grundlage der periodischen Berichte, des Abschlussberichts und des Berichts über die geleisteten Zahlungen prüft, ob die vom Begünstigten erhaltenen Zahlungen nicht über den Beitrag der Union (berechnet unter Anwendung des Erstattungssatzes auf die von der Klägerin angegebenen und von der Kommission gebilligten erstattungsfähigen Kosten) hinausgehen und dass nur die dem Begünstigten bis zur Kündigung der Vereinbarung entstandenen Kosten erstattungsfähig sind.

150

Die Klägerin kann daher die geltend gemachten Beträge nur insoweit verlangen, als sie nachweist, dass sie erstattungsfähigen Kosten entsprechen, die bis zum Wirksamwerden der Kündigung des Vertrags entstanden und gebilligt worden.

151

Im vorliegenden Fall hat die Klägerin jedoch kein Beweismittel oder insoweit spezifisches Argument beigebracht. Sie hat sich darauf beschränkt, die Zahlung der oben in Rn. 146 angeführten Beträge zu verlangen, ohne zu erläutern, worauf sie sich beziehen, und ohne Angaben zur Rechtfertigung dieser Zahlen im Hinblick auf die in den Vertragsbestimmungen aufgestellten Anforderungen zu liefern.

152

Folglich sind der dritte und der vierte Klageantrag als unbegründet zurückzuweisen, ohne dass das Rechtsschutzinteresse der Klägerin in Bezug auf diese Klageanträge geprüft werden müsste.

Zum siebten Klageantrag

153

Mit ihrem siebten Klageantrag begehrt die Klägerin „hilfsweise“ die Bestellung eines Sachverständigen zur Vornahme einer Finanzprüfung der streitigen Finanzhilfevereinbarungen, um die Höhe der nicht erstatteten erstattungsfähigen Kosten festzustellen, die unstreitig als geschuldet anzusehen seien. Dieser Antrag ist als Anregung an das Gericht anzusehen, eine Beweiserhebung nach Art. 91 Buchst. e der Verfahrensordnung vorzunehmen.

154

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass es aufgrund ihrer vertraglichen Verpflichtungen Sache der Klägerin ist, den Nachweis für ihre Ausgaben gemäß den in Art. II.14 Abs. 1 der allgemeinen Bedingungen der Finanzhilfevereinbarungen nach dem RP7 und in Art. 6 der Finanzhilfevereinbarungen nach dem H2020 aufgestellten Beweiserfordernissen zu erbringen (Urteile vom 22. Mai 2007, Kommission/IIC, T‑500/04, EU:T:2007:146, Rn. 104 und 105, vom 17. Juni 2010,CEVA/Kommission, T‑428/07 und T‑455/07, EU:T:2010:240, Rn. 141, und vom 5. Oktober 2016, European Children’s Fashion Association und Instituto de Economía Pública/EACEA, T‑724/14, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:600, Rn. 137).

155

Im Übrigen ist es allein Sache des Gerichts, zu entscheiden, ob die ihm in den Rechtssachen, mit denen es befasst ist, vorliegenden Informationen möglicherweise einer Ergänzung bedürfen, und hierzu Beweiserhebungen wie die im vorliegenden Fall beantragte anzuordnen, die nicht den Zweck haben können, einem Versäumnis des Klägers bei der Beweisführung abzuhelfen. (vgl. Urteil vom 16. Juli 2009, SELEX Sistemi Integrati/Kommission, C‑481/07 P, nicht veröffentlicht, EU:C:2009:461, Rn. 44 und die dort angeführte Rechtsprechung). Im vorliegenden Fall ist die Anordnung der beantragten Beweiserhebung nicht angebracht, da die Klägerin nicht die Beträge angegeben hat, die an sie zu zahlen sein sollen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 9. November 2016, Trivisio Prototyping/Kommission, T‑184/15, nicht veröffentlicht, EU:T:2016:652, Rn. 102).

Zum Antrag auf außervertraglichen Schadensersatz

156

Mit ihrem fünften Klageantrag macht die Klägerin die außervertragliche Haftung der Kommission geltend.

157

In der Klageschrift trägt die Klägerin vor, sie sei in ihrem Ansehen beschädigt und müsse einen Auftragsrückgang hinnehmen. Aufgrund der vom OLAF übermittelten Informationen sei gegen sie im Frühwarnsystem der Kommission eine Prüfungswarnung vermerkt worden. Diese Informationen seien jedoch unter Missachtung der Grundrechte der Klägerin erlangt worden, was einen hinreichend qualifizierten Verstoß gegen eine Rechtsnorm darstelle, die dem Einzelnen Rechte verleihen solle, d. h. eine offenkundige und erhebliche Verletzung der dem betreffenden Organ gesetzten Ermessensgrenzen.

158

In der Erwiderung verlangt die Klägerin den Ersatz des zusätzlichen materiellen Schadens, der ihr durch die Pflichtverletzung der Kommission, die einen vom OLAF anhand von rechtswidrig erlangten Beweisen erstellten Bericht verwendet habe, um die streitigen Maßnahmen zu treffen, entstanden sei. Sie trägt vor, die Nichtzahlung der geschuldeten Beträge bedeute für sie einen erheblichen Umsatzverlust, da sie beinahe die Gesamtheit ihres Umsatzes mit Projekten erziele, die von der Kommission und deren Agenturen subventioniert würden. Ihre Liquidation erhöhe den materiellen Schaden, und der Ausschlussvermerk im Frühwarnsystem, mit dem sie nach Einleitung des Insolvenzverfahrens belegt worden sei, verwehre es ihr auf jeden Fall, neue Finanzmittel aufgrund von Finanzhilfevereinbarungen nach dem RP7 oder dem H2020 zu erhalten.

159

Auf eine vom Gericht gestellte Frage hin hat die Klägerin in der mündlichen Verhandlung klargestellt, dass sie ihr Vorbringen zu der der Kommission vorgeworfenen Pflichtverletzung auf die Verletzung des nationalen Rechts und der Grundrechte durch die Kontrolleure des OLAF während der zwischen dem 2. und dem 5. Dezember 2014 durchgeführten Kontrollen und Überprüfungen beschränke. Aufgrund dieser Pflichtverletzung habe sie wegen der Einstellung der Zahlungen, der Kündigung der Vereinbarungen und des nicht erfolgten Abschlusses neuer Verträge ihre Verbindlichkeiten nicht begleichen können und befinde sich daher in Liquidation. Dadurch, dass diese Liquidation das Ansehen der Klägerin beschädigt und jegliche Aufnahme von Tätigkeiten kurz‑ oder mittelfristig verwehrt habe, habe sie die materielle Schädigung der Klägerin noch vergrößert.

160

Insoweit ist festzustellen, dass die außervertragliche Haftung der Union im Sinne von Art. 340 Abs. 2 AEUV für rechtswidriges Verhalten ihrer Ämter oder Agenturen nur dann auslöst, wenn mehrere Voraussetzungen erfüllt sind, und zwar muss das vorgeworfene Verhalten rechtswidrig sein, es muss ein Schaden entstanden sein, und zwischen dem behaupteten Verhalten und dem geltend gemachten Schaden muss ein Kausalzusammenhang bestehen (vgl. Urteil vom 2. März 2010, Arcelor/Parlament und Rat, T‑16/04, EU:T:2010:54, Rn. 139 und die dort angeführte Rechtsprechung).

161

Da diese Voraussetzungen kumulativ vorliegen müssen, ist die Klage insgesamt abzuweisen, wenn auch nur eine dieser Voraussetzungen nicht erfüllt ist (vgl. Urteil vom 2. März 2010, Arcelor/Parlament und Rat, T‑16/04, EU:T:2010:54, Rn. 140 und die dort angeführte Rechtsprechung).

162

Zudem ist darauf hinzuweisen, dass der Verstoß gegen eine vertragliche Bestimmung durch ein Organ für sich genommen keine außervertragliche Haftung dieses Organs gegenüber einer der Parteien, mit der es den diese Bestimmung enthaltenden Vertrag geschlossen hat, begründen kann. In einem solchen Fall ist nämlich die dem Organ zuzurechnende Rechtswidrigkeit rein vertraglichen Ursprungs und ergibt sich aus seiner Verpflichtung als Vertragspartei und nicht aus einer anderen Eigenschaft wie beispielsweise der einer Verwaltungsbehörde. Unter solchen Umständen geht daher die Behauptung eines Verstoßes gegen eine vertragliche Bestimmung zur Stützung einer Klage auf außervertraglichen Schadensersatz ins Leere (Urteil vom 18. November 2015, Synergy Hellas/Kommission, T‑106/13, EU:T:2015:860, Rn. 149).

163

Es kann jedoch nicht ausgeschlossen werden, dass eine vertragliche und eine außervertragliche Haftung eines Unionsorgans gegenüber einem Vertragspartner nebeneinander bestehen können. Tatsächlich ist die Art der unzulässigen Verhaltensweisen, die einem Organ zuzurechnen sind und einen Schaden verursachen, der Gegenstand einer Klage auf außervertraglichen Schadensersatz sein kann, nicht festgelegt (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 23. März 2004, Bürgerbeauftragter/Lamberts, C‑234/02 P, EU:C:2004:174, Rn. 59 und die dort angeführte Rechtsprechung, und vom 18. Dezember 2009, Arizmendi u. a./Rat und Kommission, T‑440/03, T‑121/04, T‑171/04, T‑208/04, T‑365/04 und T‑484/04, EU:T:2009:530, Rn. 65).

164

Selbst wenn ein solches Nebeneinander von Haftungen der Organe besteht, ist es nur unter der Voraussetzung möglich, dass zum einen die Rechtswidrigkeit, die dem betreffenden Organ zugerechnet wird, einen Verstoß nicht nur gegen eine vertragliche Verpflichtung, sondern auch gegen eine ihm obliegende allgemeine Verpflichtung begründet und zum anderen diese Rechtswidrigkeit bezüglich dieser allgemeinen Verpflichtung einen anderen Schaden verursacht hat als den, der sich aus der mangelhaften Vertragserfüllung ergibt (Urteil vom 18. November 2015, Synergy Hellas/Kommission, T‑106/13, EU:T:2015:860, Rn. 150).

165

Im vorliegenden Fall bestehen die von der Klägerin erhobene, oben in Rn. 159 wiedergegebene Rüge zur Stützung ihres Antrags auf außervertraglichen Schadensersatz und die von der Klägerin im Rahmen ihres ersten und ihres zweiten Klageantrags gerügten angeblichen Pflichtverletzungen vertraglicher Art nebeneinander, und es wird kein anderer Schaden geltend gemacht als diejenigen, die sich aus der mangelhaften Vertragserfüllung ergeben.

166

In jedem Fall ist im vorliegenden Urteil nach der Prüfung des ersten und des zweiten von der Klägerin zur Stützung ihrer Klage wegen Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen der Kommission vorgetragenen Klagegrundes entschieden worden, dass die oben in Rn. 159 wiedergegebenen Behauptungen der Klägerin zurückzuweisen sind.

167

Da die Klägerin somit nicht nachgewiesen hat, dass die Kommission eine Pflichtverletzung begangen hat, die ihre Haftung begründet, ist ihr Antrag auf außervertraglichen Schadensersatz jedenfalls unbegründet.

168

Nach alledem ist die Klage insgesamt abzuweisen.

Kosten

169

Nach Art. 134 Abs. 1 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin unterlegen ist, sind ihr gemäß dem Antrag der Kommission die Kosten aufzuerlegen, einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

 

Aus diesen Gründen hat

DAS GERICHT (Erste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

 

1.

Die Klage wird abgewiesen.

 

2.

Die Sigma Orionis SA trägt die Kosten, einschließlich der Kosten des Verfahrens des vorläufigen Rechtsschutzes.

 

Pelikánová

Nihoul

Svenningsen

Verkündet in öffentlicher Sitzung in Luxemburg am 3. Mai 2018.

Unterschriften

Inhaltsverzeichnis

 

Sachverhalt

 

Vom OLAF durchgeführte Untersuchung

 

Intervention der Kommission

 

Nationale Verfahren

 

Verfahren und Anträge der Parteien

 

Rechtliche Würdigung

 

Zur Klage wegen Verletzung der vertraglichen Verpflichtungen

 

Zur Zuständigkeit des Gerichts

 

Zum anwendbaren Recht

 

Zur Zulässigkeit

 

– Zum Rechtsschutzinteresse

 

– Zu der auf fehlende Klarheit und Genauigkeit der Klageschrift gestützten Unzulässigkeitseinrede

 

Zum ersten und zum zweiten Klageantrag

 

– Zum ersten Klagegrund: Nichtbeachtung der Rechtskraft des von der Untersuchungskammer erlassenen Urteils

 

– Zum zweiten Klagegrund: Verstoß gegen das französische Recht

 

– Zum dritten Klagegrund: Verletzung der Grundrechte

 

– Zum vierten Klagegrund: Fehlen von Auswirkungen des OLAF‑Untersuchungsberichts auf die im Rahmen des H2020 geschlossenen Finanzhilfevereinbarungen

 

– Zum fünften Klagegrund: Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

 

Zum dritten und zum vierten Klageantrag

 

Zum siebten Klageantrag

 

Zum Antrag auf außervertraglichen Schadensersatz

 

Kosten


( *1 ) Verfahrenssprache: Französisch.