13.2.2017   

DE

Amtsblatt der Europäischen Union

C 46/14


Vorabentscheidungsersuchen des Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien), eingereicht am 18. November 2016 — Serin Alheto/Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

(Rechtssache C-585/16)

(2017/C 046/17)

Verfahrenssprache: Bulgarisch

Vorlegendes Gericht

Administrativen sad Sofia-grad (Bulgarien)

Parteien des Ausgangsverfahrens

Klägerin: Serin Alheto

Beklagter: Zamestnik-predsedatel na Darzhavna agentsia za bezhantsite

Vorlagefragen

1.

Folgt aus Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 (1) in Verbindung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 (2) und Art. 78 Abs. 2 Buchst. a des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union, dass:

A)

er es zulässt, dass der Antrag auf internationalen Schutz eines bei dem Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) als Flüchtling registrierten und vor der Antragstellung in dessen Einsatzgebiet (dem Gazastreifen) ansässigen Staatenlosen palästinensischer Herkunft als Antrag nach Art. 1 Abschnitt A der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 anstatt als Antrag auf internationalen Schutz nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 dieser Konvention geprüft wird, unter der Voraussetzung, dass die Zuständigkeit für die Prüfung des Antrags aus anderen als familiären oder humanitären Gründen übernommen wurde und die Prüfung des Antrags durch die Richtlinie 2011/95 geregelt wird?

B)

er es zulässt, dass ein solcher Antrag nicht im Hinblick auf die Voraussetzungen nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 geprüft und dementsprechend die Auslegung dieser Vorschrift durch den Gerichtshof der EU nicht angewandt wird?

2.

Ist Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 in Verbindung mit deren Art. 5 dahin auszulegen, dass er nationalen Rechtsvorschriften wie den im Ausgangsverfahren in Rede stehenden in Art. 12 Abs. 1 Nr. 4 des Zakon za ubezhishteto i bezhantsite (Asyl- und Flüchtlingsgesetz, im Folgenden: ZUB) entgegensteht, der in der jeweils geltenden Fassung keine ausdrückliche Klausel über den ipso facto Schutz für palästinensische Flüchtlinge sowie nicht die Voraussetzung vorsieht, dass der Beistand aus irgendeinem Grund nicht länger gewährt wird, sowie dahin, dass Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 hinreichend genau und unbedingt ist und daher unmittelbare Wirkung hat, so dass er auch anwendbar ist, ohne dass sich die internationalen Schutz suchende Person ausdrücklich darauf berufen hat, wenn der Antrag als solcher nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention zu prüfen ist?

3.

Folgt aus Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95, dass er es in einem Rechtsbehelfsverfahren vor einem Gericht gegen einen in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlassenen Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes und unter Berücksichtigung des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens zulässt, dass das erstinstanzliche Gericht den Antrag auf internationalen Schutz als solchen nach Art. 1 Abschnitt D Satz 2 der Genfer Flüchtlingskonvention behandelt und die Beurteilung nach Art. 12 Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 2011/95 vornimmt, wenn ein bei dem UNRWA als Flüchtling registrierter und vor der Antragsstellung in dessen Einsatzgebiet (dem Gazastreifen) ansässiger Staatenloser palästinensischer Herkunft den Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat und im Bescheid über die Versagung des internationalen Schutzes dieser Antrag nicht im Hinblick auf die genannten Vorschriften geprüft wurde?

4.

Folgt aus den Bestimmungen des Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 bezüglich des Rechts auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Zusammenhang mit dem Erfordernis einer „umfassenden Ex-nunc-Prüfung …, die sich sowohl auf Tatsachen als auch auf Rechtsfragen erstreckt“, ausgelegt in Verbindung mit den Art. 33 und 34 sowie mit Art. 35 Abs. 2 dieser Richtlinie und mit Art. 21 Abs. 1 der Richtlinie 2011/95, in Verbindung mit den Art. 18, 19 und 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union, dass sie in einem Rechtsbehelfsverfahren vor einem Gericht gegen einen in Übereinstimmung mit Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie 2013/32 erlassenen Bescheid über die Versagung des internationalem Schutzes Folgendes zulassen:

A)

dass das erstinstanzliche Gericht erstmals über die Zulässigkeit des Antrags auf internationalen Schutz und über die Zurückweisung des Staatenlosen in das Land, in dem er vor der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ansässig war, entscheidet, nachdem es die Asylbehörde verpflichtet hat, die dafür erforderlichen Beweise vorzulegen und der Person Gelegenheit zur Stellungnahme zur Zulässigkeit des Antrags gegeben hat oder

B)

dass das erstinstanzliche Gericht wegen eines wesentlichen Verfahrensverstoßes den Bescheid aufhebt und die Asylbehörde verpflichtet, unter Beachtung der Anweisungen hinsichtlich der Gesetzesauslegung und -anwendung erneut über den Antrag auf internationalen Schutz zu entscheiden, indem sie auch die in Art. 34 der Richtlinie 2013/32 vorgesehene Anhörung im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung durchführt und über die Frage entscheidet, ob es möglich ist, den Staatenlosen in das Land zurückzuführen, in dem er vor der Stellung des Antrags auf internationalen Schutz ansässig war?

C)

dass das erstinstanzliche Gericht die Sicherheit in dem Land beurteilt, in dem die Person zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung bzw., falls wesentliche Änderungen der Lage eingetreten sind, auf die in der Entscheidung zugunsten der Person abzustellen ist, zum Zeitpunkt des Erlasses des Urteils ansässig war?

5.

Ist der vom Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina-Flüchtlinge im Nahen Osten (UNRWA) gewährte Beistand ein anderweitig ausreichender Schutz im Sinne von Art. 35 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 2013/32 im jeweiligen Staat im Einsatzgebiet des Hilfswerks, wenn dieser Staat den Grundsatz der Nichtzurückweisung im Sinne der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 in Bezug auf die vom Hilfswerk unterstützten Personen anwendet?

6.

Folgt aus Art. 46 Abs. 3 der Richtlinie 2013/32 in Verbindung mit Art. 47 der Charta der Grundrechte, dass das Recht auf einen wirksamen Rechtsbehelf im Zusammenhang mit der Bestimmung, wonach „gegebenenfalls das Bedürfnis nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95… beurteilt wird“ das erstinstanzliche Gericht im Rahmen eines Rechtsbehelfsverfahrens gegen den Bescheid, mit dem der Antrag auf internationalen Schutz in der Sache geprüft und der internationale Schutz versagt wurde, zum Erlass eines Urteils verpflichtet,

A)

das über die Frage der Rechtmäßigkeit der Versagung hinaus auch bezüglich des Bedürfnisses des Antragstellers nach internationalem Schutz gemäß der Richtlinie 2011/95 in Rechtskraft erwächst, und zwar auch dann, wenn nach dem nationalen Recht des betreffenden Mitgliedstaats internationaler Schutz nur durch Entscheidung einer Verwaltungsbehörde gewährt werden kann;

B)

über die Erforderlichkeit der Gewährung internationalen Schutzes im Wege der angemessenen Prüfung des Antrags auf internationalen Schutz, ungeachtet der von der Asylbehörde bei der Prüfung des Antrags begangenen Verfahrensverstöße?


(1)  Richtlinie 2011/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 über Normen für die Anerkennung von Drittstaatsangehörigen oder Staatenlosen als Personen mit Anspruch auf internationalen Schutz, für einen einheitlichen Status für Flüchtlinge oder für Personen mit Anrecht auf subsidiären Schutz und für den Inhalt des zu gewährenden Schutzes (ABl. 2011, L 337, S. 9).

(2)  Richtlinie 2013/32/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 26. Juni 2013 zu gemeinsamen Verfahren für die Zuerkennung und Aberkennung des internationalen Schutzes (ABl. 2013, L 180, S. 60).