URTEIL DES GERICHTSHOFS (Sechste Kammer)

7. September 2017 ( *1 )

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung – Richtlinie 72/166/EWG – Richtlinie 84/5/EWG – Richtlinie 90/232/EWG – Fahrer, der für den Unfall verantwortlich ist, in dessen Folge seine im Fahrzeug mitfahrende Ehegattin verstarb – Nationale Regelung, wonach der für den Unfall verantwortliche Fahrer keinen Anspruch auf Ersatz des ihm entstandenen Sachschadens hat“

In der Rechtssache C‑506/16

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 267 AEUV, eingereicht vom Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto, Portugal) mit Entscheidung vom 7. Juli 2016, beim Gerichtshof eingegangen am 26. September 2016, in dem Verfahren

José Joaquim Neto de Sousa

gegen

Estado português

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten E. Regan sowie der Richter A. Arabadjiev (Berichterstatter) und S. Rodin,

Generalanwalt: P. Mengozzi,

Kanzler: A. Calot Escobar,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

des Estado português, vertreten durch M. E. Duarte Rodrigues als Bevollmächtigte,

der portugiesischen Regierung, vertreten durch L. Inez Fernandes, M. Figueiredo und S. Jaulino als Bevollmächtigte,

der Europäischen Kommission, vertreten durch P. Costa de Oliveira und K.‑P. Wojcik als Bevollmächtigte,

aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,

folgendes

Urteil

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung der Zweiten Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1984, L 8, S. 17) in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 (ABl. 2005, L 149, S. 14) geänderten Fassung (im Folgenden: Zweite Richtlinie) und der Dritten Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (ABl. 1990, L 129, S. 33, im Folgenden: Dritte Richtlinie).

2

Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn José Joaquim Neto de Sousa und dem Estado português (Portugiesischer Staat) wegen eines angeblichen Verstoßes gegen das Unionsrecht, der dem Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof, Portugal) zuzurechnen sei.

Rechtlicher Rahmen

Unionsrecht

3

Mit der Richtlinie 2009/103/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und die Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 2009, L 263, S. 11) wurden die Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht (ABl. 1972, L 103, S. 1, im Folgenden: Erste Richtlinie) sowie die Zweite und die Dritte Richtlinie aufgehoben. In Anbetracht des Zeitraums, in den der im Ausgangsverfahren maßgebliche Sachverhalt fällt, sind die aufgehobenen Richtlinien dennoch zu berücksichtigen.

4

In Art. 3 Abs. 1 der Ersten Richtlinie hieß es:

„Jeder Mitgliedstaat trifft … alle zweckdienlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist. Die Schadensdeckung sowie die Modalitäten dieser Versicherung werden im Rahmen dieser Maßnahmen bestimmt.“

5

Art. 1 Abs. 1 der Zweiten Richtlinie bestimmte:

„Die in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] bezeichnete Versicherung hat sowohl Sachschäden als auch Personenschäden zu umfassen.“

6

Art. 3 der Zweiten Richtlinie lautete:

„Familienmitglieder des Versicherungsnehmers, des Fahrers oder jeder anderen Person, die bei einem Unfall haftbar gemacht werden kann und durch die in Artikel 1 Absatz 1 bezeichnete Versicherung geschützt ist, dürfen nicht aufgrund dieser familiären Beziehungen von der Personenschadenversicherung ausgeschlossen werden.“

7

Art. 1 der Dritten Richtlinie sah vor:

„… [D]ie in Artikel 3 Absatz 1 der [Ersten Richtlinie] genannte Versicherung [deckt] die Haftpflicht für aus der Nutzung eines Fahrzeugs resultierende Personenschäden bei allen Fahrzeuginsassen mit Ausnahme des Fahrers.

…“

Portugiesisches Recht

8

Nach Art. 7 Abs. 1 des Decreto-Lei no 522/85 – Seguro Obrigatório de Responsabilidade Civil Automóvel (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 522/85 über die obligatorische Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung) vom 31. Dezember 1985 in der durch das Decreto-Lei no 130/94 (gesetzesvertretende Verordnung Nr. 130/94) vom 19. Mai 1994 geänderten Fassung (im Folgenden: gesetzesvertretende Verordnung Nr. 522/85) sind Schäden, die auf Körperverletzungen zurückzuführen sind, die der Fahrer des versicherten Fahrzeugs erlitten hat, vom Schutz der obligatorischen Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung (im Folgenden: Pflichtversicherung) ausgeschlossen.

9

Aus Art. 7 Abs. 3 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 ergibt sich, dass bei einem Unfall, der den Tod insbesondere des Ehegatten des Fahrers des Fahrzeugs und Inhabers der Versicherungspolice zur Folge hat, die Gewährung von Ersatz für andere als Sachschäden an denjenigen, der den Unfall schuldhaft verursacht hat, ausgeschlossen ist.

10

Nach Art. 483 des Zivilgesetzbuchs ist derjenige, der schuldhaft ein Recht eines anderen verletzt, verpflichtet, dem Geschädigten den dadurch entstandenen Schaden zu ersetzen.

11

Nach Art. 495 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs hat im Fall von Tod oder Körperverletzung einen Anspruch auf Schadensersatz, wer gegenüber dem Geschädigten zum Unterhalt berechtigt war oder von ihm aufgrund einer natürlichen Pflicht Unterhalt erhielt.

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefrage

12

Am 3. Dezember 2005 kam es in Paredes (Portugal) zu einem Unfall zwischen dem Fahrzeug, das von Herrn Neto de Sousa gelenkt wurde und bei der Versicherungsgesellschaft Zurich versichert war, und einem anderen Fahrzeug. Herr Neto de Sousa, der die Kontrolle über sein Fahrzeug verloren hatte, wurde als für den Unfall verantwortlich festgestellt. In diesem Fahrzeug saß auch seine Ehegattin, Frau da Rocha Carvalho, die infolge des Unfalls verstarb.

13

Herr Neto de Sousa erhob beim Tribunal Judicial de Paredes (Gericht erster Instanz Paredes, Portugal) Klage gegen die Versicherungsgesellschaft Zurich auf Zahlung von 335700 Euro zuzüglich Zinsen als Ersatz des ihm aufgrund des Unfalls vom 3. Dezember 2005 entstandenen Sach‑ und Personenschadens. Er machte insoweit insbesondere geltend, dass Art. 7 Abs. 3 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 nicht die Entschädigung desjenigen ausschließe, der den Unfall schuldhaft verursacht habe.

14

Das Tribunal Judicial de Paredes (Gericht erster Instanz Paredes) wies die Klage von Herrn Neto de Sousa insoweit ab, als sie auf den Ersatz des Sachschadens gerichtet war, weil es weder habe bestimmen können, welche Einkünfte, Ausgaben und Belastungen Herr Neto de Sousa habe, noch in welchem Umfang die Verstorbene zum Unterhalt des Paares beigetragen habe oder habe beitragen sollen. Das genannte Gericht wies die Klage auch bezüglich des vom Sachschaden verschiedenen Schadens ab, weil der Ersatz dieses Schadens gemäß Art. 7 Abs. 3 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 ausgeschlossen sei.

15

Herr Neto de Sousa legte beim Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto, Portugal), beschränkt auf den Ersatz des Sachschadens, Berufung ein. Das Tribunal da Relação do Porto wies die Berufung im Wesentlichen mit der Begründung zurück, dass Herr Neto de Sousa keinen Anspruch auf Schadensersatz habe, da er für den Unfall verantwortlich sei, in dessen Folge seine in dem von ihm gelenkten Fahrzeug mitfahrende Ehegattin ums Leben kam.

16

Herr Neto de Sousa legte beim Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) Beschwerde ein, in der er sein Vorbringen wiederholte, dass die gesetzesvertretende Verordnung Nr. 522/85 nicht den Ersatz des Sachschadens ausschließe, den ein einen Unfall schuldhaft verursachender Fahrer wegen des Todes seiner Ehegattin infolge des Unfalls erlitten habe, und geltend machte, dass das Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto) dadurch, dass es ihm den Ersatz des Sachschadens verwehrt habe, der sich aus dem Tod seiner im unfallbeteiligten Fahrzeug mitfahrenden Ehegattin ergebe, gegen Art. 7 Abs. 3 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 verstoßen habe. Herr Neto de Sousa ersuchte das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) zudem, dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV die Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, ob die Bestimmungen der Zweiten und der Dritten Richtlinie dem Ersatz eines solchen Schadens entgegenstehen.

17

Das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) wies die Beschwerde zurück. Es vertrat im Wesentlichen die Ansicht, dass sich der Schadensersatzanspruch von Herrn Neto de Sousa sowohl nach Art. 495 Abs. 3 als auch nach Art. 483 des Zivilgesetzbuchs richte, dass das Recht auf Schadensersatz „in der Rechtssphäre“ desjenigen entstehe, der es geltend mache, und nicht in der Rechtssphäre des Verstorbenen, und dass Herr Neto de Sousa durch sein schuldhaftes Verhalten ein eigenes Recht verletzt habe. Gemäß dem Grundsatz sibi imputet stehe das in Art. 495 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs vorgesehene Recht demjenigen nicht zu, der alleinverantwortlich für den Unfall sei, in dessen Folge seine in dem von ihm gelenkten Fahrzeug mitfahrende Ehegattin verstorben sei. Daher stehe Herrn Neto de Sousa kein Schadensersatz zu.

18

Hinsichtlich des Ersuchens um Vorlage zur Vorabentscheidung vertrat das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) im Wesentlichen die Auffassung, dass die Zweite und die Dritte Richtlinie die Regelung der Pflichtversicherung beträfen, die Regelung der zivilrechtlichen Haftung aber dem nationalen Recht überließen, und dass, wenngleich diese Regelung der Pflichtversicherung hinsichtlich der Insassen in einem bestimmten Ausmaß in das nationale Recht eingreife, durch die Vorschriften der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 die nationale Regelung der zivilrechtlichen Haftung in Art. 495 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs nicht verdrängt werde.

19

Herr Neto de Sousa erhob beim Tribunal da Comarca do Porto Este (Penafiel) (Gericht erster Instanz des Gerichtsbezirks Porto Ost [Penafiel], Portugal) eine ordentliche Feststellungsklage gegen den Portugiesischen Staat und beantragte, diesen zur Zahlung von 245700 Euro zuzüglich Zinsen als Ersatz des Schadens zu verurteilen, den er wegen des richterlichen Irrtums erlitten habe, der dem Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) unterlaufen sei, als es seine Beschwerde zurückgewiesen habe.

20

Nachdem das Tribunal da Comarca do Porto Este (Penafiel) (Gericht erster Instanz des Gerichtsbezirks Porto Ost [Penafiel]) die Klage von Herrn Neto de Sousa abgewiesen hatte, legte er beim Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto) Berufung ein, in der er u. a. geltend machte, dass das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) Art. 3 der Zweiten Richtlinie und Art. 1 der Dritten Richtlinie, die den Mitfahrern eines Kraftfahrzeugs den Ersatz von aufgrund eines Verkehrsunfalls erlittenen Personenschäden garantierten, falsch ausgelegt habe und gegen seine Verpflichtung aus Art. 267 AEUV verstoßen habe. Herr Neto de Sousa ersuchte das Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto) zudem, dem Gerichtshof nach Art. 267 AEUV die in Rn. 16 des vorliegenden Urteils erwähnte Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen.

21

Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass sich das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) nicht zu der Frage geäußert habe, ob die verstorbene Mitfahrerin entschädigt werden müsse, sondern zu der Frage, ob Herr Neto de Sousa in Anbetracht dessen, dass er für den Unfall verantwortlich sei, Anspruch auf Schadensersatz habe. Das vorlegende Gericht vertritt die Auffassung, um bestimmen zu können, ob das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) davon habe absehen dürfen, dem Gerichtshof eine Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen, sei zunächst zu prüfen, ob die vor ihm geltend gemachten unionsrechtlichen Bestimmungen klar und unzweideutig seien.

22

Unter diesen Umständen hat das Tribunal da Relação do Porto (Berufungsgericht Porto) beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Untersagen die Bestimmungen der Zweiten und der Dritten Richtlinie, dass nach der nationalen Regelung einem Fahrer, der schuldhaft einen Unfall verursacht hat, bei dem sein Ehegatte, der als Insasse in dem Fahrzeug mitfuhr, ums Leben gekommen ist, der Sachschaden zu ersetzen ist, wie es in Art. 7 Abs. 3 der gesetzesvertretenden Verordnung Nr. 522/85 vorgesehen ist?

Zur Vorlagefrage

23

Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass es nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs im Rahmen des durch Art. 267 AEUV eingeführten Verfahrens der Zusammenarbeit zwischen den nationalen Gerichten und dem Gerichtshof Aufgabe des Gerichtshofs ist, dem nationalen Gericht eine für die Entscheidung des bei diesem anhängigen Verfahrens sachdienliche Antwort zu geben. Hierzu hat er die ihm vorgelegten Fragen gegebenenfalls umzuformulieren. Außerdem kann der Gerichtshof veranlasst sein, unionsrechtliche Vorschriften zu berücksichtigen, die das nationale Gericht in seiner Frage nicht angeführt hat (Urteil vom 1. Februar 2017, Município de Palmela, C‑144/16, EU:C:2017:76, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Im vorliegenden Fall geht aus der Vorlageentscheidung hervor, dass das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) in dem Urteil, in dem es die Zweite und die Dritte Richtlinie falsch ausgelegt haben soll, die Ansicht vertrat, dass nach dem anwendbaren portugiesischen Recht, insbesondere Art. 483 und Art. 495 Abs. 3 des Zivilgesetzbuchs, dem Antrag von Herrn Neto de Sousa auf Schadensersatz nicht entsprochen werden könne.

25

Unter diesen Voraussetzungen ist die vorgelegte Frage so zu verstehen, dass geklärt werden soll, ob die Regelung der Union im Bereich der Pflichtversicherung dahin auszulegen ist, dass sie einer nationalen Regelung entgegensteht, nach der ein Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hat, in dessen Folge seine mitfahrende Ehegattin verstorben ist, keinen Anspruch auf Ersatz des Sachschadens hat, den er infolge des Todes seiner Ehegattin erlitten hat.

26

Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass mit der Ersten und der Zweiten Richtlinie nach ihren Erwägungsgründen zum einen der freie Verkehr sowohl der Fahrzeuge mit gewöhnlichem Standort im Gebiet der Union als auch der Fahrzeuginsassen gewährleistet und zum anderen den bei durch diese Fahrzeuge verursachten Unfällen Geschädigten unabhängig davon, an welchem Ort innerhalb der Union sich der Unfall ereignet, eine vergleichbare Behandlung garantiert werden soll (Urteile vom 9. Juni 2011, Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio, C‑409/09, EU:C:2011:371, Rn. 23, und vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 26).

27

Die Erste Richtlinie schreibt in der durch die Zweite und die Dritte Richtlinie ergänzten Fassung den Mitgliedstaaten vor, sicherzustellen, dass die Haftpflicht bei Fahrzeugen mit gewöhnlichem Standort im Inland durch eine Versicherung gedeckt ist, und gibt insbesondere an, welche Arten von Schäden diese Versicherung zu decken hat und welchen geschädigten Dritten sie Ersatz zu gewähren hat (Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Jedoch ist zwischen der Pflicht zur Deckung von Schäden, die Dritten durch Kraftfahrzeuge entstehen, durch die Haftpflichtversicherung auf der einen und dem Umfang ihrer Entschädigung im Rahmen der Haftpflicht des Versicherten auf der anderen Seite zu unterscheiden. Erstere ist nämlich durch die Unionsregelung festgelegt und garantiert, Letzterer hingegen im Wesentlichen durch das nationale Recht geregelt (Urteile vom 17. März 2011, Carvalho Ferreira Santos, C‑484/09, EU:C:2011:158, Rn. 31, und vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 28).

29

Der Gerichtshof hat in diesem Zusammenhang bereits festgestellt, dass sich aus dem Zweck der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie und aus ihrem Wortlaut ergibt, dass sie nicht die Haftpflichtregelungen der Mitgliedstaaten harmonisieren sollen und dass es diesen beim gegenwärtigen Stand des Unionsrechts nach wie vor freisteht, die Haftpflicht für Schäden aus Verkehrsunfällen mit Kraftfahrzeugen selbst zu regeln (Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 29 und die dort angeführte Rechtsprechung).

30

Die Mitgliedstaaten sind jedoch verpflichtet, sicherzustellen, dass die nach ihrem nationalen Recht geltende Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt ist, die mit den Bestimmungen der erwähnten drei Richtlinien im Einklang steht (Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

31

Sie müssen zudem bei der Ausübung ihrer Befugnisse in diesem Bereich das Unionsrecht beachten, und die nationalen Vorschriften über den Ersatz von Verkehrsunfallschäden dürfen die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie nicht ihrer praktischen Wirksamkeit berauben (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 31).

32

Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs würden diese Richtlinien ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt, wenn eine auf allgemeinen und abstrakten Kriterien beruhende nationale Regelung dem Geschädigten wegen seines Beitrags zu dem Schaden den Anspruch auf Schadensersatz durch die Pflichtversicherung nähme oder ihn unverhältnismäßig begrenzte (Urteile vom 9. Juni 2011, Ambrósio Lavrador und Olival Ferreira Bonifácio, C‑409/09, EU:C:2011:371, Rn. 29, und vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 32).

33

Hinsichtlich des Ausgangsverfahrens ist jedoch festzustellen, dass der Anspruch von Herrn Neto de Sousa auf Schadensersatz nicht wegen einer Begrenzung der Deckung der Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch versicherungsrechtliche Vorschriften beeinträchtigt ist, sondern wegen der anwendbaren nationalen Regelung der Haftpflicht.

34

Die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nationale Regelung in der Auslegung durch das Supremo Tribunal de Justiça (Oberster Gerichtshof) führt nämlich dazu, dass ein Fahrer eines Kraftfahrzeugs keinen Anspruch auf Ersatz des ihm selbst infolge eines Verkehrsunfalls entstandenen Schadens hat, wenn er für diesen Unfall verantwortlich ist.

35

Diese Regelung ist somit nicht dahin ausgestaltet, dass die Versicherungsdeckung der Haftpflicht für Dritten entstandene Schäden, die bei einem Versicherten festgestellt wird, begrenzt wird (vgl. entsprechend Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 35).

36

Unter diesen Voraussetzungen ist festzustellen, dass die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden nationalen Rechtsvorschriften nicht die vom Unionsrecht vorgesehene Gewähr berühren, dass die nach dem anwendbaren nationalen Recht vorgesehene Kraftfahrzeug-Haftpflicht durch eine Versicherung gedeckt sein muss, die mit der Ersten, der Zweiten und der Dritten Richtlinie vereinbar ist (vgl. entsprechend Urteil vom 23. Oktober 2012, Marques Almeida, C‑300/10, EU:C:2012:656, Rn. 38).

37

Dies wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass sich der Herrn Neto de Sousa entstandene Sachschaden aus dem Tod seiner Ehegattin ergibt, die in dem Fahrzeug mitfuhr, das er lenkte, als er den Unfall verursachte. Wie sich den Angaben des vorlegenden Gerichts entnehmen zu lassen scheint, betrifft das Ausgangsverfahren nämlich nicht den Schadensersatzanspruch desjenigen, der in einem in einen Unfall verwickelten Fahrzeug mitfuhr, sondern desjenigen, der das Fahrzeug als für den Unfall verantwortlicher Fahrer lenkte.

38

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die Erste, die Zweite und die Dritte Richtlinie dahin auszulegen sind, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der ein Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hat, in dessen Folge seine mitfahrende Ehegattin verstorben ist, keinen Anspruch auf Ersatz des Sachschadens hat, den er infolge des Todes seiner Ehegattin erlitten hat.

Kosten

39

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt:

 

Die Richtlinie 72/166/EWG des Rates vom 24. April 1972 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung und der Kontrolle der entsprechenden Versicherungspflicht, die Zweite Richtlinie 84/5/EWG des Rates vom 30. Dezember 1983 betreffend die Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten bezüglich der Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung in der durch die Richtlinie 2005/14/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Mai 2005 geänderten Fassung und die Dritte Richtlinie 90/232/EWG des Rates vom 14. Mai 1990 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Kraftfahrzeug-Haftpflichtversicherung sind dahin auszulegen, dass sie einer nationalen Regelung nicht entgegenstehen, nach der ein Fahrer eines Kraftfahrzeugs, der schuldhaft einen Verkehrsunfall verursacht hat, in dessen Folge seine mitfahrende Ehegattin verstorben ist, keinen Anspruch auf Ersatz des Sachschadens hat, den er infolge des Todes seiner Ehegattin erlitten hat.

 

Unterschriften


( *1 ) Verfahrenssprache: Portugiesisch.