Rechtssache C‑423/16 P

HX

gegen

Rat der Europäischen Union

„Rechtsmittel – Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik – Restriktive Maßnahmen gegen die Arabische Republik Syrien – Restriktive Maßnahmen gegen eine im Anhang eines Beschlusses aufgeführte Person – Verlängerung der Gültigkeitsdauer dieses Beschlusses während des Verfahrens vor dem Gericht der Europäischen Union – In der mündlichen Verhandlung und nicht mit gesondertem Schriftsatz beantragte Anpassung der Klageschrift – Art. 86 der Verfahrensordnung des Gerichts – Bulgarische Sprachfassung – Nichtigerklärung des ursprünglichen Beschlusses, mit dem der Betreffende in die Liste der Personen, gegen die restriktive Maßnahmen verhängt werden, aufgenommen wurde, durch das Gericht – Außerkrafttreten des Verlängerungsbeschlusses – Fortbestand des Gegenstands der beantragten Anpassung der Klageschrift“

Leitsätze – Urteil des Gerichtshofs (Erste Kammer) vom 9. November 2017

  1. Gerichtliches Verfahren–Beschluss oder Verordnung, der/die den angefochtenen Rechtsakt während des Verfahrens ersetzt–Antrag auf Anpassung der Klageschrift–Pflicht des Klägers, den Antrag mit gesondertem Schriftsatz zu stellen–In der mündlichen Verhandlung mündlich gestellter Antrag–Bulgarische Sprachfassung der Verfahrensordnung des Gerichts, die insoweit eine Mehrdeutigkeit aufweist–Pflicht des Gerichts, den Kläger auf den Fehler hinzuweisen, um ihm Gelegenheit zu geben, ihn zu berichtigen

    (Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 86 Abs. 2)

  2. Recht der Europäischen Union–Auslegung–Vorschriften in mehreren Sprachen–Verfahrensordnung des Gerichts–Abweichungen zwischen den verschiedenen Sprachfassungen–Verfahrensordnung, die in allen Sprachfassungen für verbindlich erklärt wurde–Rechtsuchender, der sämtliche Sprachfassungen heranziehen muss–Fehlen

    (Art. 20 Abs. 2 Buchst. d AEUV und 24 Abs. 4 AEUV; Verfahrensordnung des Gerichts, Art. 44, 45 und 227 Abs. 1)

  3. Rechtsmittel–Rechtsschutzinteresse–Voraussetzung–Rechtsmittel, das geeignet ist, dem Rechtsmittelführer einen Vorteil zu verschaffen–Fehlen

    (Art. 256 AEUV; Satzung des Gerichtshofs, Art. 56 Abs. 2; Beschlüsse 2014/488/GASP und [GASP] 2015/837 des Rates; Verordnung Nr. 793/2014 des Rates)

  1.  Da die bulgarische Sprachfassung von Art. 86 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichts mehrdeutig in dem Sinne ist, dass diese im Gegensatz zur englischen und französischen Fassung dieser Bestimmung nicht den Begriff „Schriftsatz“, sondern den Begriff „Antrag“ verwendet, kann nicht ausgeschlossen werden, dass diese Mehrdeutigkeit einen Kläger, der Bulgarisch als Verfahrenssprache gewählt hat, zu der Annahme verleitet, dass ein von ihm in der mündlichen Verhandlung mündlich gestellter Antrag auf Anpassung der Klageschrift zulässig sei. Hinzu kommt, dass der Antrag sodann in das Protokoll der mündlichen Verhandlung aufgenommen wurde, das gemäß Art. 102 Abs. 1 der Verfahrensordnung des Gerichts eine öffentliche Urkunde darstellt.

    Wenn das Gericht der Auffassung ist, dass der in dieser Weise gestellte Antrag auf Anpassung der Klageschrift nicht die nach seiner Verfahrensordnung vorgesehenen Formerfordernisse beachtet, hat es daher zumindest den Rechtsmittelführer auf seinen Fehler hinzuweisen und ihm Gelegenheit zu geben, diesen zu berichtigen.

    Es ist zwar durchaus gerechtfertigt, an eine Klageanpassung gewisse formale Anforderungen zu stellen, doch gelten solche Anforderungen nicht um ihrer selbst willen, sondern sind dazu da, den kontradiktorischen Charakter des Verfahrens und eine geordnete Rechtspflege zu gewährleisten.

    Insoweit sieht Art. 86 Abs. 3 und 4 der Verfahrensordnung des Gerichts selbst vor, dass die Nichtbeachtung bestimmter Formerfordernisse bei der Stellung von Anträgen auf Anpassung der Klageschrift nicht zwangsläufig deren Unzulässigkeit zur Folge hat.

    (vgl. Rn. 20-24)

  2.  Bei einer Vorschrift der Verfahrensordnung eines Unionsgerichts, die im Übrigen von diesem Gericht selbst erlassen und gemäß Art. 44 in Verbindung mit Art. 227 Abs. 1 dieser Verfahrensordnung in allen Verfahrenssprachen für verbindlich erklärt wurde, liefe es dem sich sowohl aus Art. 20 Abs. 2 Buchst. d und Art. 24 Abs. 4 AEUV als auch aus Art. 45 der Verfahrensordnung des Gerichts ergebenden Recht des Einzelnen, sich in der Amtssprache seiner Wahl an den Unionsrichter zu wenden, zuwider, wenn man von ihm erwarten würde, dass er sämtliche Sprachfassungen der Verfahrensordnung heranzieht, um zu vermeiden, dass eine etwaige Abweichung der Fassung in der Verfahrenssprache zur Unzulässigkeit führt.

    (vgl. Rn. 26)

  3.  Siehe Text der Entscheidung.

    (vgl. Rn. 30-33)