SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MICHAL BOBEK

vom 7. Dezember 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑557/16

Astellas Pharma GmbH

Beigeladene:

Helm AG,

Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus (FIMEA)

(Vorabentscheidungsersuchen des Korkein hallinto-oikeus [Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland])

„Vorlage zur Vorabentscheidung – Humanarzneimittel – Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums eines Referenzarzneimittels – Dezentralisiertes Verfahren – Befugnisse der zuständigen Behörde des beteiligten Mitgliedstaats – Gerichtliche Überprüfung – Bestimmung der Unterlagenschutzfrist“

I. Einleitung

1.

Im Jahr 2014 erhielt die Helm AG die Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums von zuvor von der Astellas Pharma GmbH entwickelten Arzneimitteln in Finnland. Diese Genehmigung wurde nach Durchführung des von der Richtlinie 2001/83/EG geregelten dezentralisierten Verfahrens erteilt ( 2 ). In diesem Verfahren war Finnland einer der beteiligten Mitgliedstaaten. Dänemark hatte die Stellung des Referenzmitgliedstaats.

2.

Die Astellas Pharma GmbH war mit der Berechnung der Unterlagenschutzfrist nicht einverstanden, die in dem Beurteilungsbericht vorgenommen worden war, den die Helm AG mit ihrem Genehmigungsantrag vorgelegt hatte. Sie focht die von der zuständigen finnischen Behörde erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen vor den finnischen Gerichten an.

3.

Die dem Gerichtshof in diesem Zusammenhang vorgelegte Rechtsfrage betrifft die Befugnis der einzelstaatlichen Organe zur Überprüfung einer solchen Beurteilung: Verfügen eine Aufsichtsbehörde eines beteiligten Mitgliedstaats wie hier die zuständige finnische Behörde und/oder die Gerichte desselben beteiligten Mitgliedstaats über die Befugnis, eine zuvor im dezentralisierten Verfahren vorgenommene Bestimmung der Unterlagenschutzfrist zu überprüfen?

II. Sachverhalt, nationales Verfahren und Vorlagefragen

4.

Am 19. Juli 2005 erteilte die zuständige Behörde der Bundesrepublik Deutschland der Astellas Pharma GmbH (im Folgenden: Astellas Pharma) nach den einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften ( 3 ) eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Ribomustin. Der Wirkstoff dieses Präparats ist Bendamustin (im Folgenden: Ribomustin-Genehmigung von 2005).

5.

Am 15. Juli 2010 erhielt Astellas Pharma eine Genehmigung für das Inverkehrbringen eines anderen Arzneimittels namens Levact. Der Wirkstoff dieses Präparats ist ebenfalls Bendamustin, die therapeutische Indikation unterscheidet sich aber leicht von der von Ribomustin (im Folgenden: Levact-Genehmigung von 2010). Die Levact-Genehmigung von 2010 wurde von der zuständigen französischen Behörde im dezentralisierten Verfahren gemäß Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 erteilt.

6.

Am 7. November 2012 beantragte die Helm AG (im Folgenden: Helm) eine Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels Alkybend. Auch dieser Antrag wurde im dezentralisierten Verfahren gestellt. Helm beantragte als Referenzmitgliedstaat Dänemark, mit Finnland und Norwegen als beteiligte Mitgliedstaaten. Im Antrag war Alkybend als Generikum im Sinne des Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bezeichnet ( 4 ). Als Referenzarzneimittel war Levact angegeben.

7.

Am 17. Januar 2014 legte die zuständige dänische Behörde einen Beurteilungsbericht vor. Laut diesem Bericht verwendeten alle an dem dezentralisierten Verfahren beteiligten Staaten Levact als Referenzarzneimittel. Für die Berechnung der Unterlagenschutzfrist sei jedoch Ribomustin als Referenzarzneimittel zu betrachten gewesen. Die Levact-Genehmigung von 2010 sei nämlich von der umfassenden Genehmigung für das Inverkehrbringen von Ribomustin erfasst gewesen ( 5 ). Laut dem Beurteilungsbericht sei die Unterlagenschutzfrist in den Staaten abgelaufen gewesen, die zum maßgeblichen Zeitpunkt eine sechsjährige Unterlagenschutzfrist beantragt hätten ( 6 ).

8.

Am 28. März 2014 erteilte die zuständige Behörde, die Lääkealan turvallisuus- ja kehittämiskeskus (finnische Arzneimittelbehörde; im Folgenden: FIMEA), die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Alkybend (im Folgenden: Alkybend-Genehmigung von 2014) in Finnland.

9.

Astellas Pharma erhob gegen diese Entscheidung beim Helsingin hallinto-oikeus (Verwaltungsgericht Helsinki, Finnland) Klage, die von diesem Gericht jedoch abgewiesen wurde. Das Gericht begründete seine Entscheidung u. a. damit, dass Astellas Pharma die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Referenzarzneimittels (Ribomustin) am 19. Juli 2005 erhalten habe. Die Unterlagenschutzfrist, die am obigen Datum zu laufen begonnen und auch für das Präparat Levact gegolten habe, habe sechs Jahre betragen. Die FIMEA habe daher die Alkybend-Genehmigung von 2014 erteilen dürfen.

10.

Astellas Pharma legte Rechtsmittel zum vorlegenden Gericht, dem Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland), ein. Sie beantragt die Aufhebung der erstinstanzlichen Entscheidung und der Alkybend-Genehmigung von 2014.

11.

Astellas Pharma vertritt den Standpunkt, dass die einschlägige Unterlagenschutzfrist ab dem Zeitpunkt der Levact-Genehmigung von 2010 zu berechnen gewesen sei. Die Ribomustin-Genehmigung von 2005 sei nicht entscheidungserheblich gewesen, weil sie nicht im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 erteilt worden sei. Diese Genehmigung sei nicht bestandskräftig geworden, da die deutsche Behörde und Astellas Pharma sich über bestimmte der ursprünglich beantragten therapeutischen Indikationen uneinig gewesen seien. Die Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen von Levact setze weitere umfangreiche Studien voraus. Die einschlägige Unterlagenschutzfrist hätte unabhängig von der für Ribomustin geltenden Unterlagenschutzfrist geprüft werden müssen.

12.

Die FIMEA beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels durch das vorlegende Gericht. Die Unterlagenschutzfrist sei ab der Ribomustin-Genehmigung von 2005 zu berechnen gewesen. Was Finnland betreffe, sei die einschlägige sechsjährige Unterlagenschutzfrist zum Zeitpunkt der Stellung des Genehmigungsantrags für Alkybend im Jahr 2012 abgelaufen. Die verschiedenen Darreichungsformen, Dosierungen sowie Arten und Formen der Anwendung von Alkybend würden als zu einer bereits erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen gehörend betrachtet.

13.

Auch Helm beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels durch das vorlegende Gericht. Die Ribomustin-Genehmigung von 2005 habe im Einklang mit der Richtlinie 2001/83 gestanden. Außerdem habe diese Genehmigung in Finnland auch nicht in Frage gestellt werden können. Die an dem dezentralisierten Verfahren beteiligten Mitgliedstaaten könnten eine nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen lediglich aus Gründen einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit ablehnen. Daher sei die FIMEA nicht zur Überprüfung der Ribomustin-Genehmigung von 2005 befugt gewesen.

14.

Vor diesem Hintergrund hat das Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht) das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof die folgenden Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1.

Sind Art. 28 Abs. 5 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde des beteiligten Mitgliedstaats bei der Erteilung der nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums im dezentralisierten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie über keine selbständige Befugnis verfügt, den Zeitpunkt des Beginns der Unterlagenschutzfrist des Referenzarzneimittels zu prüfen?

2.

Falls die erste Frage dahin zu beantworten ist, dass die zuständige Behörde des Mitgliedstaats über keine selbständige Befugnis verfügt, bei der Erteilung der nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen den Zeitpunkt des Beginns der Unterlagenschutzfrist des Referenzarzneimittels zu prüfen:

Muss ein Gericht dieses Mitgliedstaats dennoch auf den Widerspruch des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Referenzarzneimittels hin den Zeitpunkt des Beginns der Unterlagenschutzfrist prüfen, oder gilt für das Gericht die gleiche Beschränkung wie für die Behörde des Mitgliedstaats?

Wie wird beim fraglichen mitgliedstaatlichen Gericht in diesem Fall das Recht des Inhabers der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Referenzarzneimittels auf einen wirksamen Rechtsbehelf gemäß Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union und Art. 10 der Richtlinie 2001/83 in Bezug auf den Unterlagenschutz gewahrt?

Umfasst das Recht auf einen wirksamen Rechtsschutz die Verpflichtung des einzelstaatlichen Gerichts, zu prüfen, ob die in anderen Mitgliedstaaten erteilte Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen im Einklang mit den Vorschriften der Richtlinie 2001/83 ergangen ist?

15.

Astellas Pharma, Helm sowie die belgische und die deutsche Regierung, Irland, die finnische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die norwegische Regierung sowie die Europäische Kommission haben schriftliche Erklärungen eingereicht.

16.

Astellas Pharma, Helm sowie die spanische Regierung, Irland, die norwegische und die finnische Regierung, die Regierung des Vereinigten Königreichs sowie die Kommission haben in der Sitzung vom 20. September 2017 mündliche Ausführungen gemacht.

III. Würdigung

17.

Aus dem im Vorabentscheidungsersuchen mitgeteilten Sachverhalt geht hervor, dass der Antrag auf Genehmigung für das Inverkehrbringen von Alkybend im verkürzten Verfahren gestellt wurde. Dieses Verfahren gilt u. a. für Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Generika. Vereinfacht ausgedrückt bedeutet das in Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 geregelte verkürzte Verfahren, dass der Antragsteller auf die Ergebnisse der toxikologischen und pharmakologischen Versuche und auf die Ergebnisse der klinischen Versuche Bezug nehmen kann, die für das Referenzarzneimittel durchgeführt wurden. Wenn der Antragsteller nachweisen kann, dass das den Gegenstand der Genehmigung für das Inverkehrbringen bildende Arzneimittel ein Generikum des Referenzarzneimittels ist ( 7 ), ist er nicht verpflichtet, diese Ergebnisse erneut vorzulegen.

18.

Das verkürzte Verfahren kann im Wesentlichen vor Ablauf der für das Referenzarzneimittel geltenden Unterlagenschutzfrist genutzt werden. Indem Art. 10 der Richtlinie 2001/83 eine Unterlagenschutzfrist vorsieht, schützt er die Rechte des Inhabers der Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen des betreffenden Referenzarzneimittels, auf deren Ergebnisse der Antragsteller, der das Generikum herstellen oder in den Verkehr bringen möchte, sich stützt ( 8 ).

19.

Die Unterlagenschutzfrist beträgt derzeit acht Jahre ( 9 ). Wie dem Vorabentscheidungsersuchen jedoch entnommen werden kann, hatte Finnland nach den früher geltenden Rechtsvorschriften eine Unterlagenschutzfrist von sechs Jahren beantragt ( 10 ).

20.

Diese zusätzliche Erläuterung ermöglicht ein besseres Verständnis der Hintergründe der den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildenden Streitigkeit. Es ist jedoch hervorzuheben, dass die dem Gerichtshof vorgelegte Sache allgemeine und systematische Fragen betreffend die Verfahren und Befugnisse der an diesen Verfahren beteiligten Akteure aufwirft. Das vorlegende Gericht fragt nach der Möglichkeit einer verwaltungsbehördlichen und gerichtlichen Überprüfung der Bestimmung der Unterlagenschutzfrist in einem der beteiligten Mitgliedstaaten sowie nach dem möglichen Umfang einer solchen Überprüfung.

21.

Der recht komplexe Sachverhalt der vorliegenden Rechtssache in der Sitzung ist zwar von den Parteien ziemlich ausführlich erörtert worden, doch ist es nicht Sache des Gerichtshofs, diese Sachverhaltsfragen zu klären. In den vorliegenden Schlussanträgen wird daher keinerlei Aussage dazu getroffen, welche den Gegenstand des Ausgangsverfahrens bildenden Arzneimittel als Referenzarzneimittel hätten herangezogen werden müssen, wann die einschlägige Unterlagenschutzfrist zu laufen begann und wann sie ablief.

22.

Die vorliegenden Schlussanträge sind folgendermaßen aufgebaut: Zuerst werde ich einige einleitende Bemerkungen zur Entwicklung und zum Wesen des Genehmigungsverfahrens machen, soweit diese für die vorliegende Sache erheblich sind (Abschnitt A). Danach werde ich mich mit dem Umfang und den Grenzen der verwaltungsbehördlichen Überprüfung befassen, die in dem Mitgliedstaat, der an dem dezentralisierten Verfahren beteiligt ist, zur Verfügung steht (Abschnitt B). Schließlich werde ich mich der Zulässigkeit und dem Umfang der gerichtlichen Überprüfung in dem beteiligten Mitgliedstaat zuwenden (Abschnitt C).

A.   Die Entwicklung der in der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen Genehmigungsverfahren

23.

Die Richtlinie 2001/83 ( 11 ) regelt (einen Teil) des Verfahrens zur Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Humanarzneimitteln innerhalb der Union. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 darf „[e]in Arzneimittel … in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden, wenn von der zuständigen Behörde dieses Mitgliedstaats nach dieser Richtlinie eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt wurde oder wenn eine Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Verordnung (EG) Nr. 726/2004 erteilt wurde“ ( 12 ).

24.

Es gibt daher zwei Arten von Verfahren, um in der Union eine Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erhalten: das „vertikale“ (zentralisierte unionsweite Verfahren mit den Unionsorganen als Entscheidungsträger) oder die „horizontalen“ (dezentralisierten) Verfahren (der gegenseitigen Anerkennung mit den Behörden der Mitgliedstaaten als Entscheidungsträger).

25.

Obwohl sie auf einer Reihe aufeinanderfolgender oder paralleler nationaler Entscheidungen beruhen, vereinfachen die horizontalen Verfahren das Genehmigungsverfahren. Der Antragsteller braucht die maßgeblichen Informationen über das betreffende Arzneimittel nicht in jedem Mitgliedstaat gesondert einzureichen.

26.

Für die vorliegende Rechtssache ist nur das horizontale, und zwar das dezentralisierte Genehmigungsverfahren für das Inverkehrbringen relevant. Das in der Richtlinie 2001/83 geregelte horizontale Verfahren hat sich im Lauf der Zeit erheblich verändert. Die wichtigste Änderung erfolgte mit der Richtlinie 2004/27/EG. Ich unterscheide daher im Weiteren zur Abgrenzung der verschiedenen Regelwerke zwischen der Richtlinie 2001/83 in der Fassung „von vor 2004“ und der „von nach 2004“.

27.

Ich werde zunächst die Genehmigungsregelung von vor 2004 (Abschnitt 1) beschreiben, bevor ich mich dem dezentralisierten Verfahren und ganz allgemein der derzeitigen Genehmigungsregelung von nach 2004 zuwende (soweit sie für den vorliegenden Fall relevant ist) (Abschnitt 2). Abschließend werde ich einige Bemerkungen zum Konzept der Mitentscheidung machen, das für die derzeitige Regelung meines Erachtens charakteristisch ist (Abschnitt 3).

1. Die vor 2004 bestehende Regelung der Genehmigung für das Inverkehrbringen und die gegenseitige Anerkennung

28.

Vor 2004 sah die Richtlinie 2001/83 für den Fall, dass der Antragsteller ein Arzneimittel (Generikum oder nicht) mittels eines Antrags auf Genehmigung für das Inverkehrbringen in mehr als einem Mitgliedstaat in den Verkehr bringen wollte, das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung vor. Dieses Verfahren konnte von einem Antragsteller genutzt werden, dem bereits in einem anderen Mitgliedstaat eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt worden war. Der Mitgliedstaat, der die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hatte, wurde im Zusammenhang mit dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung als „Referenzmitgliedstaat“ bezeichnet. Das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung ermöglichte es dem Inhaber einer bereits erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen, diese in einem oder in mehreren anderen Mitgliedstaaten anerkennen zu lassen. Diese Staaten wurden als „beteiligte Mitgliedstaaten“ bezeichnet.

29.

Konkret hatte ein solcher Genehmigungsinhaber (und Antragsteller) dem Referenzmitgliedstaat nach Art. 28 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von vor 2004 vor Einreichung des Antrags auf gegenseitige Anerkennung mitzuteilen, dass der Antrag auf gegenseitige Anerkennung gestellt wird.

30.

Der Genehmigungsinhaber hatte dem Referenzmitgliedstaat die Prüfung zu ermöglichen, ob das sich auf die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen beziehende Dossier und das sich auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung beziehende Dossier identisch waren. Darüber hinaus hatte er zu beantragen, dass der Referenzmitgliedstaat einen Beurteilungsbericht ( 13 ) über das betreffende Arzneimittel erstellt oder gegebenenfalls einen bereits vorliegenden Bericht aktualisiert. Der Bericht war den beteiligten Mitgliedstaaten, in denen der Genehmigungsinhaber gleichzeitig seine Anträge einreichte ( 14 ), innerhalb von 90 Tagen zuzuleiten.

31.

„Abgesehen von dem Ausnahmefall“, dass für die beteiligten Mitgliedstaaten gemäß Art. 29 Anlass zu der Annahme bestand, dass das betreffende Arzneimittel „eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ darstellte, hatten die beteiligten Mitgliedstaaten die von dem Referenzmitgliedstaat erteilte (Erst‑)Genehmigung für das Inverkehrbringen innerhalb einer weiteren Frist von 90 Tagen anzuerkennen. In einem solchen Fall waren die „Bedenken tragenden“ Mitgliedstaaten verpflichtet, den Antragsteller, den Referenzmitgliedstaat und die anderen beteiligten Mitgliedstaaten zu unterrichten. Alle betroffenen Mitgliedstaaten hatten „sich nach Kräften [zu bemühen], eine Einigung … zu erzielen“. Für den Fall, dass keine solche Einigung erzielt werden konnte, führte dies zur Befassung der Agentur ( 15 ) mit der Sache.

32.

In Bezug auf dieses Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 entschied der Gerichtshof im Urteil Synthon, dass die Mitgliedstaaten verpflichtet waren, die bereits erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen anzuerkennen. Das Bestehen einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit bildete den einzigen Grund, auf den sich ein Mitgliedstaat berufen durfte, um eine solche Anerkennung zu versagen. Wurde dieser Einwand nicht erhoben, musste die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen anerkannt werden. Die beteiligten Mitgliedstaaten konnten die vom Referenzmitgliedstaat durchgeführte Beurteilung nicht in Frage stellen ( 16 ).

33.

Der Sachverhalt der Rechtssache Synthon veranschaulicht, wie in einem Fall, in dem bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt und das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung in Gang gesetzt worden war, die bereits erteilte Genehmigung von den beteiligten Mitgliedstaaten anerkannt werden muss. In dieser Rechtssache bemühte sich der Antragsteller darum, eine ihm bereits in Dänemark erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen im Vereinigten Königreich anerkennen zu lassen.

34.

Damit bestand das wesentliche Element des Verfahrens von vor 2004 darin, dass eine bereits in einem Mitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen vorlag und dass diese, wie der Gerichtshof ausführte, von den zuständigen Behörden in den anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen war. Diese „klare und eindeutige“ Verpflichtung ( 17 ) konnte nur dann in Frage gestellt werden, wenn innerhalb des vorgeschriebenen Verfahrens der Einwand einer Gefahr für die öffentliche Gesundheit erhoben wurde, was in dieser Sache jedoch nicht geschah.

2. Die Genehmigungsregelung von nach 2004: ein neues dezentralisiertes Verfahren

35.

Innerhalb dieses Regelwerks wurde mit der Richtlinie 2004/27 zum einen das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 geändert, und zum anderen, was noch wichtiger ist, wurde das dezentralisierte Verfahren hinzugefügt. Somit gibt es gemäß der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 nunmehr zwei horizontale Verfahren, die es dem Antragsteller erlauben, Genehmigungen für das Inverkehrbringen in mehr als einem Mitgliedstaat zu erhalten.

36.

Die vorliegende Rechtssache betrifft das (nach 2004 eingeführte) dezentralisierte Verfahren, das zu betreiben ist, wenn für ein Arzneimittel, für das noch nie eine Genehmigung erteilt worden ist, gleichzeitig mehrere nationale Genehmigungen für das Inverkehrbringen erlangt werden sollen. Hierin liegt ein grundlegender Unterschied zwischen diesem neuen dezentralisierten Verfahren und dem Verfahren der gegenseitigen Anerkennung. Letzteres Verfahren bleibt nach der Regelung von nach 2004 erhalten, es setzt jedoch weiterhin eine bereits erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen voraus ( 18 ).

37.

Das dezentralisierte Verfahren ist in Art. 28 Abs. 3 ff. der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 geregelt. Es ist wie folgt aufgebaut: Der Antragsteller wählt einen Mitgliedstaat, in dem er eine Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt erhalten möchte, als Referenzmitgliedstaat aus ( 19 ). Innerhalb von 120 Tagen erstellt der Referenzmitgliedstaat jeweils im Entwurf einen Beurteilungsbericht, eine Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels sowie die Etikettierung und die Packungsbeilage (diese Unterlagen werden in den vorliegenden Schlussanträgen zusammenfassend als „produktbezogene Unterlagen“ bezeichnet). Der Referenzmitgliedstaat sendet diese Unterlagen an den Antragsteller und die beteiligten Mitgliedstaaten ( 20 ).

38.

Darüber hinaus haben die Mitgliedstaaten die produktbezogenen Unterlagen gemäß Art. 28 Abs. 4 innerhalb von 90 Tagen nach Eingang derselben zu billigen und den Referenzmitgliedstaat davon in Kenntnis zu setzen. Der Referenzmitgliedstaat stellt das Einverständnis aller Parteien fest, schließt das Verfahren und informiert den Antragsteller.

39.

Nach Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 trifft jeder Mitgliedstaat, in dem ein Antrag im dezentralisierten Verfahren gestellt wurde, innerhalb von 30 Tagen eine Entscheidung in Übereinstimmung mit den produktbezogenen Unterlagen in ihrer genehmigten Form. Durch diese parallel ergehenden nationalen Entscheidungen kommt es sodann zur Erteilung der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Arzneimittels im Hoheitsgebiet jedes einzelnen Mitgliedstaats.

40.

Wenn jedoch einer der beteiligten Mitgliedstaaten die produktbezogenen Unterlagen aus Gründen einer „potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ nicht genehmigen kann, wird das besondere Verfahren nach Art. 29 der Richtlinie 2001/83 in Gang gesetzt. Können die beteiligten Mitgliedstaaten keine Einigung erzielen, wird der Vorgang im ersten Schritt an die Koordinierungsgruppe abgegeben. Bleibt auch dies ohne Erfolg, wird der Vorgang im zweiten Schritt an die Agentur verwiesen ( 21 ).

41.

Die Mitgliedstaaten, die die produktbezogenen Unterlagen gebilligt haben, können das Inverkehrbringen des Arzneimittels auf Antrag des Antragstellers genehmigen ( 22 ), ohne den Ausgang des Vorlageverfahrens abzuwarten, wiederum jedoch nur für ihr eigenes Hoheitsgebiet.

42.

Um also ein konkretes dezentralisiertes Verfahren abzuschließen, müssen die beteiligten zuständigen Behörden zunächst eine Einigung über die produktbezogenen Unterlagen erzielt haben. Erst danach, d. h. im zweiten Schritt, sind diese Behörden, die sich geeinigt haben, jeweils verpflichtet, ihre eigene nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erteilen. Diese Entscheidungen werden ohne eine besondere Reihenfolge parallel innerhalb der in Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 festgelegten Frist von 30 Tagen erlassen.

43.

In der Gesamtschau bleibt das dezentralisierte Verfahren, auch wenn es Teil einer Regelung ist, die als ein „wichtiger Schritt zur Erreichung des Ziels eines freien Verkehrs mit Arzneimitteln“ gepriesen wird ( 23 ), in seiner Wirkung wohl doch etwas hinter einer einheitlichen Verfahrensregelung für den Binnenmarkt für Arzneimittel zurück. Gegenüber der potenziellen Verpflichtung, in den beteiligten Mitgliedstaaten sämtliche Bedingungen erfüllen und Nachweise erbringen zu müssen, enthält das dezentralisierte Verfahren Aspekte einer willkommenen Vereinfachung. Dennoch kann das Verfahren in seiner jetzigen Form kaum als ein Mechanismus der automatischen und kategorischen gegenseitigen Anerkennung beschrieben werden, ist doch der Erlass der verfahrensabschließenden nationalen Entscheidung durch das Absolvieren eines Zwischenschritts bedingt, nämlich die Billigung der produktbezogenen Unterlagen.

44.

Ferner weise ich darauf hin, dass die Richtlinie 2004/27 diesen zweistufigen Mechanismus auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung ausgeweitet hat, um die „Möglichkeiten der Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten“ ( 24 ) zu verbessern. Die Einzelheiten des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung sind in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 beschrieben. Mit anderen Worten sind sowohl das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren von nach 2004 von denselben Grundregeln geprägt, die ab dem Zeitpunkt gelten, in dem der Referenzmitgliedstaat die jeweiligen produktbezogenen Unterlagen an die beteiligten Mitgliedstaaten übermittelt ( 25 ).

3. Gegenseitige Anerkennung oder gemeinschaftliche Entscheidung?

45.

Im Zentrum der vorliegenden Rechtssache steht die Frage, in welchem Umfang eine in einem dezentralisierten Verfahren getroffene Feststellung in einem Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren überprüft werden darf.

46.

Wie bereits im vorstehenden Abschnitt erläutert, hat das betreffende Verfahren seit seiner Einführung im Jahr 2004 einen ausgesprochen hybriden Charakter. Einige der Verfahrensbeteiligten haben geltend gemacht, dass die vom Gerichtshof im Urteil Synthon in Bezug auf das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 getroffenen Schlussfolgerungen auch auf das dezentralisierte Verfahren angewandt werden sollten.

47.

Die allgemeine Bedeutung des Grundsatzes der gegenseitigen Anerkennung innerhalb der Union kann kaum deutlich genug hervorgehoben werden. Somit muss eine in einem Mitgliedstaat ordnungsgemäß erlassene Entscheidung, von Ausnahmefällen abgesehen, selbstverständlich auch von den anderen Mitgliedstaaten anerkannt werden.

48.

Diese Überlegung und diese Logik können jedoch technisch gesehen erst dann zur Anwendung kommen, wenn es eine von einem Mitgliedstaat erlassene Entscheidung gibt, die die anderen Mitgliedstaaten anzuerkennen haben.

49.

Mit dieser recht langen und ausführlichen Einleitung soll gezeigt werden, dass das dezentralisierte Verfahren einfach einen anderen Charakter als das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 hat. Im Rahmen eines dezentralisierten Verfahrens sind sämtliche Mitgliedstaaten gleichzeitig mit der Ausarbeitung ihrer jeweiligen Entscheidung befasst. Metaphorisch ausgedrückt ist das gemeinsame Kochen mit Freunden nicht dasselbe wie der gemeinsame Verzehr einer bereits zubereiteten Mahlzeit.

50.

Somit ist die Herangehensweise an die vorliegende Rechtssache angesichts des andersartigen Charakters des besagten Verfahrens schlicht anzupassen. Die Art. 28 und 29 der Richtlinie 2001/83 in ihrer derzeitigen Fassung weichen von den Bestimmungen ab, die auf den im Urteil Synthon maßgeblichen Sachverhalt anwendbar waren. Diese Rechtssache wurde nach der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von vor 2004 beurteilt.

51.

Die Entwicklung der Richtlinie 2001/83 von der Fassung von vor 2004 hin zu der Fassung von nach 2004 war dadurch gekennzeichnet, dass ein Zwischenschritt eingefügt wurde, mit dem sämtliche beteiligten Mitgliedstaaten in das der Genehmigung vorgeschaltete Verfahren zur Billigung der Unterlagen (im Folgenden: Billigungsverfahren) einbezogen wurden. Ob dies angesichts der angegebenen Zielsetzung der Änderungen von 2004 ( 26 ) tatsächlich einen Schritt nach vorn im Sinne einer Harmonisierung der vorher geltenden Genehmigungsvorschriften und ‑verfahren darstellte, mögen Rechtswissenschaftler beurteilen. Für die Prüfung der vorliegenden Rechtssache ist jedoch klar, dass sich die Spielregeln geändert haben.

52.

Hinzu kommt, dass dieses zweistufige System bestehend aus einer gemeinsamen Billigung der Unterlagen, auf die parallel erlassene Genehmigungen für das Inverkehrbringen folgen, gemäß der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 nicht nur für das dezentralisierte Verfahren, sondern auch für das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung gilt. Obwohl letzteres Verfahren nicht Gegenstand der vorliegenden Rechtssache ist, möchte ich darauf hinweisen, dass der Mechanismus der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 sich offenbar zu einem Mechanismus nach Art einer „Mitentscheidung“ gewandelt hat, die der Erteilung individueller Genehmigungen für das Inverkehrbringen zeitlich vorausgeht und von dieser klar gesondert ist.

53.

Vor diesem Hintergrund bin ich der Ansicht, dass der vom Gerichtshof im Urteil Synthon gewählte Ansatz auf die vorliegende Rechtssache, die ein dezentralisiertes Verfahren betrifft, nur dann entsprechend übertragbar bleibt, wenn die beteiligten Mitgliedstaaten (und der Referenzmitgliedstaat) die Einigung betreffend die produktbezogenen Unterlagen erzielt haben. Solange eine solche Einigung nicht erzielt ist, wird die Verpflichtung zum Erlass einer Entscheidung schlicht noch nicht ausgelöst. Noch weniger existiert eine anzuerkennende Entscheidung, die den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung ins Spiel bringen könnte ( 27 ). Die Verpflichtung zum Erlass einer Entscheidung oder vielmehr von parallel ergehenden nationalen Entscheidungen wird erst später ausgelöst, nämlich sobald die oben erwähnte Einigung zustande gekommen ist.

54.

Es ist jedoch auch hervorzuheben, dass die zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten, nachdem die Einigung betreffend die produktbezogenen Unterlagen erzielt wurde, nicht mit einer einseitigen Prüfung und Neubewertung dieser Unterlagen beginnen dürfen. Sobald sie diese Unterlagen gebilligt haben, sind sie gebunden. Sie trifft eine ausdrückliche und konkrete Pflicht, innerhalb der 30-Tage-Frist ihre eigene nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erlassen.

B.   Zur ersten Frage: Befugnisse der zuständigen Verwaltungsbehörde im dezentralisierten Verfahren

55.

Mit seiner ersten Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen klären lassen, ob die zuständige Behörde einer der beteiligten Mitgliedstaaten befugt ist, die Feststellung zum Ablauf der Unterlagenschutzfrist, die zuvor im Rahmen des dezentralisierten Verfahrens gebilligt wurde, einseitig nachzuprüfen.

56.

Wie bereits ausgeführt, dürfen die Mitgliedstaaten, sobald sie gemeinsam eine Einigung erzielt haben, diese nicht nachträglich und einseitig neu überprüfen. Alle am Verfahren Beteiligten sind an die Einigung gebunden. Ähnlich den Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil Kommission/Frankreich ( 28 ) dürfen die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten ab diesem Zeitpunkt (der Billigung der produktbezogenen Unterlagen) sich nicht weigern, diesem Ergebnis des besagten Verfahrens zu folgen, bzw. nicht davon abweichen.

57.

Der auf dem Urteil Synthon basierende Gedanke hat weiterhin Gültigkeit. Er beantwortet aber nur eine Hälfte der Frage des nationalen Gerichts. Der zweite Teil der Frage betrifft nämlich die vor Erzielung der Einigung bestehenden Pflichten und Aufgaben der nationalen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten.

58.

Um eine Antwort auf den zweiten Teil dieser Frage, der auch für die Zulässigkeit einer etwaigen gerichtlichen Überprüfung und ihren Umfang erheblich ist, vorzuschlagen, werde ich nun zunächst das Wesen der Befugnisse, die den Mitgliedstaaten im Rahmen des dezentralisierten Verfahrens zukommen, genauer untersuchen (Abschnitt 1). Danach werde ich mich dem Begriff „potenzielle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ zuwenden: Nach Art. 29 der Richtlinie 2001/83 ist dies der einzige mögliche Einwand, den eine zuständige Behörde in diesem Zusammenhang erheben kann (Abschnitt 2).

1. Die Befugnisse der beteiligten Mitgliedstaaten im Rahmen des dezentralisierten Verfahrens

59.

Die Verfahrensbeteiligten haben in ihren schriftlichen Erklärungen verschiedene Ansätze zur Beurteilung der Reichweite der Befugnisse der an einem dezentralisierten Verfahren beteiligten Behörden vorgetragen. Vereinfacht gesagt lassen sich zwei grundlegende Ansätze erkennen.

60.

Gemäß dem ersten Ansatz soll das Konzept der „gegenseitigen Anerkennung“ auch für die Verfahrensphase vor der Billigung der Unterlagen gelten. Die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten seien dabei als bloß „routinemäßig abzeichnende“ Behörden anzusehen, die die sich aus der Verfahrensphase vor der Billigung ergebende Beurteilung nicht aus eigener Amtsbefugnis zu überprüfen hätten. Sie seien verpflichtet, die ihnen vom Referenzmitgliedstaat übermittelten Unterlagen zu billigen. So lautet im Kern der Standpunkt von Helm sowie der deutschen und der spanischen Regierung, Irlands sowie der finnischen und der norwegischen Regierung.

61.

Gemäß dem zweiten Ansatz handeln die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten als Beteiligte an dem Verfahren zur Billigung der Unterlagen. Sie täten mehr, als bloß „routinemäßig abzuzeichnen“. Sie sollten mitwirken. Durch ihre Befugnis, wesentlich zum Inhalt des Beurteilungsberichts beizutragen, würden sie gemeinsam verantwortlich für das Ergebnis. Somit sei das Billigungsverfahren als ein kooperativer Dialog und nicht nur als eine mechanische Übernahme dessen anzusehen, was sonst vom Referenzmitgliedstaat vorbereitet würde. So lautet im Kern der von der Kommission vertretene Standpunkt. Die Kommission weist darauf hin, dass die Bestimmung der Unterlagenschutzfrist in diesem Sinne Teil der allgemeinen Einigung sei, zu der die an dem dezentralisierten Verfahren beteiligten zuständigen Behörden durch ihre Zustimmung beitrügen. Sobald diese Einigung erzielt worden sei, dürften die Behörden nicht mehr von ihr abweichen. Umgekehrt vertritt Astellas Pharma den Standpunkt, dass die zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten die Unterlagenschutzfrist zu überprüfen hätten, wenn sie über die Erteilung der nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen entschieden. In ähnlicher Art und Weise vertreten auch die belgische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs den Standpunkt, dass die besagten Behörden zu einer solchen Prüfung befugt seien.

62.

Meines Erachtens deuten Wortlaut, Kontext und Ratio der einschlägigen Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 darauf hin, dass der Gesetzgeber mit Blick auf das Billigungsverfahren vor einer gemeinsamen Entscheidung den letzteren Ansatz im Sinn hatte.

63.

Erstens hätte es, wären die Befugnisse der zuständigen Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten auf die routinemäßige Billigung der Unterlagen ohne die Möglichkeit einer inhaltlichen Überprüfung beschränkt, wenig Sinn, ihnen auch die Befugnis einzuräumen, die Einigung zweimal zu blockieren (zunächst durch Verweisung der Sache an die Koordinationsgruppe und sodann, falls dort keine Einigung erzielt würde, durch Verweisung an die Agentur). Warum sollte man in Art. 29 Abs. 4 und Art. 32 der Richtlinie 2001/83 recht komplexe Verfahren festlegen, deren Zweck darin besteht, eine Uneinigkeit zwischen den zuständigen Behörden zu überwinden, wenn diese Behörden keine Einwände erheben dürften, sollten sie dies für angebracht halten?

64.

Zweitens hat jeder Mitgliedstaat am Ende des gesamten Verfahrens eine eigene Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erteilen. Wäre die Aufgabe der Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten auf eine routinemäßige Ergebnisübernahme beschränkt, so wäre es logischer, lediglich die Verpflichtung zur Anerkennung der Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen (im Verfahren der gegenseitigen Anerkennung) oder der vom Referenzmitgliedstaat zusammengestellten produktbezogenen Unterlagen vorzusehen ( 29 ).

65.

Drittens hat die Erteilung der nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen, die jeweils über ihren eigenen räumlichen Geltungsbereich verfügen, innerhalb der in Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 vorgeschriebenen Frist zu erfolgen. Ich weise in diesem Zusammenhang darauf hin, dass alle beteiligten zuständigen Behörden, darunter der Referenzmitgliedstaat, gleichberechtigt sind, was sich daran zeigt, dass die Richtlinie 2001/83 nicht vorsieht, dass die Erteilung dieser nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen in einer zuvor festgelegten zeitlichen Reihenfolge zu erfolgen hat. So kann es sogar vorkommen, dass die Genehmigung für das Inverkehrbringen in dem/den beteiligten Mitgliedstaat(en) erteilt wird, bevor dies im Referenzmitgliedstaat geschieht.

66.

Viertens trifft es sicherlich zu, dass der Referenzmitgliedstaat in dem gesamten Verfahren eine besondere Rolle spielt, wie einige der Verfahrensbeteiligten geltend gemacht haben. Der Referenzmitgliedstaat erstellt den Entwurf der produktbezogenen Unterlagen. Ferner legen die Richtlinien der „Koordinierungsgruppe für das Verfahren der gegenseitigen Anerkennung und das dezentralisierte Verfahren – Humanarzneimittel“ nahe, dass die beteiligten Mitgliedstaaten die Beurteilung des Referenzmitgliedstaats, der den Dialog zwischen diesen Mitgliedstaaten und dem Antragsteller vermittelt, zugrunde zu legen haben ( 30 ).

67.

Auch dies bedeutet jedoch nicht, dass die beteiligten Mitgliedstaaten keine eigene Rolle zu spielen hätten. Sie sind weiterhin verpflichtet, etwaige schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Gesundheit und „zu berücksichtigende Punkte“ mitzuteilen ( 31 ). Folglich sind die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten als Stellen anzusehen, bei denen eine sekundäre Prüfung der vom Referenzmitgliedstaat vorgenommenen Beurteilung stattfindet ( 32 ).

68.

Fünftens ist zu berücksichtigen, dass eine Behörde eines beteiligten Mitgliedstaats im Rahmen des Billigungsverfahrens einen eigenen Beitrag leisten und einen eigenen Standpunkt einnehmen kann. Dies lässt sich ferner aus der in Art. 29 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 geregelten Möglichkeit für bestimmte beteiligte Mitgliedstaaten ableiten, eine nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen zu erteilen – nämlich diejenigen, die die produktbezogenen Unterlagen gebilligt haben –, falls ein anderer beteiligter Mitgliedstaat einen gesundheitsbezogenen Einwand erhoben hatte und dieser Einwand weiterhin im Rahmen des einschlägigen Verfahrens behandelt wurde.

69.

Durch die Änderungen von 2004 hat der Unionsgesetzgeber somit einen horizontalen Dialog zwischen den jeweiligen Behörden eingeführt. Solange das Billigungsverfahren noch nicht abgeschlossen ist, d. h. die produktbezogenen Unterlagen noch nicht gebilligt sind, haben die nationalen Behörden eine Eingriffsmöglichkeit ( 33 ).

70.

Ich fasse zusammen: Das in Art. 28 der Richtlinie 2001/83 vorgesehene System basiert auf dem Konzept einer „Mitentscheidung“. Innerhalb dieses Systems müssen sich alle beteiligten Behörden in Bezug auf die drei in dieser Bestimmung erwähnten Kategorien von Unterlagen einigen. Erst wenn diese Einigung (ob nun als intermediäre, vorbereitende oder interne Handlung) erzielt worden ist, werden die zuständigen Behörden die einzelnen nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen erteilen. Während jede Behörde in Übereinstimmung mit den gebilligten produktbezogenen Unterlagen tätig werden muss, erfolgen die weiteren Schritte im Rahmen ihrer jeweiligen nationalen Systeme weitgehend eigenständig und unabhängig voneinander.

2. Was ist unter einer „potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ zu verstehen?

71.

Nachdem ich das Wesen des Verfahrens nach Art. 28 der Richtlinie 2001/83 geklärt habe, wende ich mich nun der Frage zu, welche Einwände in der Phase vor der Einigung erhoben werden können. Sind die zuständigen Behörden in den beteiligten Mitgliedstaaten tatsächlich befugt, Einwände gegen die möglicherweise unzutreffende Berechnung der Unterlagenschutzfrist durch die Behörde des Referenzmitgliedstaats zu erheben?

72.

Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 sieht lediglich einen Einwand vor, der in diesem Verfahren von den beteiligten Mitgliedstaaten erhoben werden kann: das Bestehen einer „potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit“.

73.

Ich räume unumwunden ein, dass ein solcher potenzieller Einwand auf den ersten Blick nicht besonders weit formuliert erscheint. In gewisser Weise bleibt die Formulierung dieser Ausnahme fest in der Terminologie des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung von vor 2004 verwurzelt ( 34 ). Wie jedoch bereits bei einer Reihe anderer Bestandteile der Richtlinie 2001/83 im Vergleich der Fassungen von vor und von nach 2004 festzustellen war, entspricht die äußere Hülle nicht vollständig dem Inhalt.

74.

Obwohl die Formulierung dieser Ausnahme sich weiterhin im vor 2004 geltenden Rahmen der „gegenseitigen Anerkennung“ bewegt, ist die auf der Grundlage von Art. 29 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 erlassene Kommissionsleitlinie von 2006, die diesen Begriff mit Inhalt füllt, erheblich großzügiger, was ihren Umfang angeht ( 35 ). Analog zu dem, was ich bereits anderweitig ausgeführt habe, sind Leitlinien der Kommission selbstverständlich rechtlich nicht bindend ( 36 ). Jedoch enthält die fragliche Kommissionsleitlinie nützliche Klarstellungen zur Frage der möglichen Reichweite dieses Begriffs.

75.

Hinsichtlich dessen, was unter „eine potenzielle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ fallen könnte, ist die Leitlinie von 2006 sehr weit davon entfernt, eine restriktive Regelung zu treffen. Ich weise darauf hin, dass diese Leitlinie von 2006 eine umfassende Liste möglicher Aspekte enthält, die bei der Prüfung herangezogen werden können, ob das betreffende Arzneimittel „eine potenzielle schwerwiegende Gefahr für die öffentliche Gesundheit“ darstellt. Abgesehen von Fragen der Wirksamkeit, der Sicherheit, der Qualität und des allgemeinem Risiko-Nutzen-Verhältnisses, die (als solche bereits recht weit und unbestimmt) zudem sämtlich lediglich Beispielcharakter haben, ist anzumerken, dass der Begriff „Produktinformation“, die „für die verschreibenden Ärzte oder die Patienten irreführend oder nicht korrekt“ ist, ebenfalls zu den zu prüfenden Punkten gehören.

76.

Kann der Aspekt der Unterlagenschutzfrist unter einen weit gefassten Begriff der öffentlichen Gesundheit fallen?

77.

Die erste, intuitive Antwort auf diese Frage würde wohl „Nein“ lauten. Der Ablauf einer einen Dritten schützenden Unterlagenschutzfrist könnte wohl als ein Aspekt der korrekten Rechtsanwendung, eines angemessenen Anreizes für die Entwicklung von Innovationen oder des Eigentumsrechts angesehen werden. Es handelt sich jedoch nicht wirklich um einen Aspekt der öffentlichen Gesundheit für die Zwecke der Zulassung eines neuen Generikums.

78.

Es gibt allerdings eine tieferliegende Schicht bei der Prüfung des Bestehens „einer potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit“. Da ja die Genehmigung eines Generikums beantragt wird, beruht das betreffende Verfahren auf den über das Referenzarzneimittel vorhandenen Informationen. Wenn nun die Unterlagenschutzfrist noch nicht abgelaufen ist, gibt es keine Daten, auf die man sich stützen kann. Können die relevanten Daten noch nicht herangezogen werden, ist es denklogisch unmöglich, eine wissenschaftliche Untersuchung des betreffenden Generikums durchzuführen.

79.

Im Kern stimme ich daher den von der belgischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs vorgetragenen Argumenten zu. Die Unmöglichkeit der Bezugnahme auf Daten eines Referenzarzneimittels hindert meines Erachtens denklogisch an der Prüfung, ob von dem Generikum eine Gefahr für die öffentliche Gesundheit ausgeht. In diesem Sinne stellt die Einigung hinsichtlich des Ablaufs der Unterlagenschutzfrist einen vorläufigen, aber unerlässlichen Teil des Billigungsverfahrens dar.

80.

Aus den vorstehenden Erwägungen bin ich in Beantwortung der ersten Vorlagefrage der Ansicht, dass Art. 28 Abs. 5 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 dahin auszulegen sind, dass die zuständige Behörde des beteiligten Mitgliedstaats bei der Erteilung der nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums im dezentralisierten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 nicht befugt ist, einseitig den Zeitpunkt des Beginns der Unterlagenschutzfrist des Referenzarzneimittels zu bestimmen. Diese Behörde ist jedoch nach Art. 28 Abs. 3 und 4 der Richtlinie 2001/83 in einem früheren Stadium des dezentralisierten Verfahrens an dieser Prüfung beteiligt. Die Beteiligung der zuständigen Behörde des beteiligten Mitgliedstaats an dem Billigungsverfahren weist dieser Behörde somit eine Mitverantwortung am Inhalt der in diesem Verfahren gebilligten Unterlagen zu.

C.   Zur zweiten Frage: Zulässigkeit und Umfang der gerichtlichen Überprüfung im beteiligten Mitgliedstaat

81.

Die zuständigen Behörden des beteiligten Mitgliedstaats können nicht einseitig über Angelegenheiten entscheiden, die – wie etwa die Unterlagenschutzfrist – Gegenstand der gebilligten Unterlagen sind. Derartige Fragen werden mittels des in Art. 28 der Richtlinie 2001/83 vorgesehenen „Mitentscheidungsmechanismus“ gemeinsam entschieden. Im Rahmen dieses„Mitentscheidungsmechanismus“ billigen die Behörden der beteiligten Mitgliedstaaten die produktbezogenen Unterlagen gemeinsam und übernehmen so die Mitverantwortung für diese, die dann zum Bestandteil der parallelen nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen zu machen sind.

82.

Da die hier vorgeschlagene Antwort auf die erste Vorlagefrage teilweise vom Wortlaut der Vorlagefrage des nationalen Gerichts abweicht (oder darüber hinausgeht), bedarf es der Beantwortung der zweiten Vorlagefrage. Die zweite Frage des nationalen Gerichts dient der Klärung der Zulässigkeit der gerichtlichen Überprüfung des Inhalts der produktbezogenen Unterlagen – wie etwa der Bestimmung der Unterlagenschutzfrist – und des Umfangs einer solchen Prüfung.

83.

Auch was die Antwort auf die zweite Frage angeht, werden sehr unterschiedliche Auffassungen vertreten. Nach einer Argumentationslinie sollte die gerichtliche Überprüfung bei den Gerichten des Referenzmitgliedstaats zentralisiert werden. Dies entspricht im Prinzip dem Standpunkt, der von Helm, der deutschen und der spanischen Regierung, Irland sowie der finnischen und der norwegischen Regierung vertreten wird. Eine zusätzliche Nuancierung innerhalb dieser Argumentationslinie liegt in der Unterscheidung danach, ob eine solche Überprüfung in Bezug auf i) den von allen teilnehmenden nationalen Behörden gebilligten Beurteilungsbericht oder auf ii) die von dem Referenzmitgliedstaat erlassene nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen durchgeführt werden sollte. Bei beiden Szenarien, jedoch vielleicht etwas stärker im letzteren Fall, stellte sich dann für beide Varianten die Frage, wie die grenzüberschreitenden Rechtswirkungen einer solchen Überprüfung herbeizuführen wären. Wenn es im Nachgang zu der gerichtlichen Überprüfung im Referenzmitgliedstaat zu einer Änderung der in diesem Mitgliedstaat erlassenen nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen käme, warum und wie wäre ihr Ergebnis dann in einem der anderen beteiligten Mitgliedstaaten zu berücksichtigen? Welche Auswirkung könnte im Kontext des vorliegenden Falles eine Überprüfung einer dänischen Genehmigung für das Inverkehrbringen von Alkybend auf die im Jahr 2014 von der FIMEA erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen haben?

84.

Diese Argumentationslinie scheint auf der Prämisse ( 37 ) zu beruhen, dass der Referenzmitgliedstaat im Rahmen des dezentralisierten Verfahrens eine ausschlaggebende und entscheidende Rolle bei der wissenschaftlichen Beurteilung des Antrags spielt. Daher sollten angebliche Fehler in den gebilligten Unterlagen nur diesem Mitgliedstaat zugerechnet werden und nur in diesem Mitgliedstaat gerichtlich beanstandet werden können. Im Fall eines erfolgreichen gerichtlichen Vorgehens würde (oder sollte sogar) das Ergebnis des betreffenden Verfahrens in allen anderen beteiligten Mitgliedstaaten in deren nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen nachvollzogen werden. In der vorliegenden Sache würde dies bedeuten, dass eine gerichtliche Überprüfung nur in Dänemark zulässig wäre und dass die hieraus etwa folgenden Ergebnisse in allen anderen beteiligten Mitgliedstaaten berücksichtigt werden müssten.

85.

Nach der anderen Argumentationslinie ist eine gerichtliche Überprüfung in den beteiligten Mitgliedstaaten zulässig. Diese Überprüfung mag jeweils einen unterschiedlichen Umfang haben, es besteht jedoch Übereinstimmung, dass es, da jeder Mitgliedstaat seine eigenen nationalen Verwaltungsentscheidungen erlässt, grundsätzlich auch die Möglichkeit einer Überprüfung dieser Entscheidungen in jedem der Mitgliedstaaten geben müsse, die sie erlassen hätten. Im Kern wird dieser Standpunkt von Astellas Pharma sowie von der Regierung des Vereinigten Königreichs und von der Kommission vertreten.

86.

Ich muss gestehen, dass ich mich aus einer Reihe grundsätzlicher und praktischer Erwägungen der letzteren Argumentationslinie anschließe: Ich sehe keine andere Möglichkeit, als vorzuschlagen, dass in einem dezentralisierten Verfahren, in dem alle nationalen Behörden eine formal eigenständige Verwaltungsentscheidung erlassen, die ausschließlich im jeweiligen nationalen Hoheitsgebiet gilt, auch eine dezentralisierte gerichtliche Überprüfung für die einzelne nationale Verwaltungsentscheidung zur Verfügung stehen muss. Das Wesen der gerichtlichen Überprüfung muss logisch dem Wesen der Verwaltungsentscheidung nachgebildet sein.

1. Ein dezentralisiertes Verwaltungsverfahren mit einer zentralisierten gerichtlichen Überprüfung?

87.

Bei den in Nr. 83 dieser Schlussanträge dargelegten Vorschlägen, die unter den ersten konzeptionellen Ansatz fallen, gibt es zwei gravierende Probleme. Das erste Problem besteht im Fehlen jeglicher kodifizierter Rechtsgrundlage für diese Vorschläge. Zweitens kann es selbst dann, wenn man bereit ist, diese Probleme beiseite zu lassen – was nicht in Betracht kommt –, eine Reihe von praktischen Problemen mit dieser durchaus neuartigen Form einer gerichtlichen Überprüfung geben.

88.

Ich befasse mich zuerst mit dem Vorschlag betreffend die Möglichkeit eines gerichtlichen Vorgehens – vermutlich im Referenzmitgliedstaat – gegen den Beurteilungsbericht (oder sonstige produktbezogene Unterlagen), was von der spanischen und der finnischen Regierung befürwortet wird.

89.

Hierzu weise ich darauf hin, dass das Billigungsverfahren in einem (mehr oder weniger formalisierten) Austausch zwischen den jeweiligen Verwaltungsbehörden der beteiligten Mitgliedstaaten und dem Referenzmitgliedstaat besteht. Der Inhaber der Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen weiß möglicherweise nicht einmal, dass ein dezentralisiertes Verfahren in Gang gesetzt und der „Mitentscheidungsmechanismus“ ausgelöst wurde. Wenn er hiervon aber Kenntnis erlangt haben sollte, ist es unwahrscheinlich, dass er an dem Verfahren nach nationalem Recht als Partei beteiligt sein wird ( 38 ).

90.

Selbst wenn der Genehmigungsinhaber von diesem Umstand Kenntnis erlangt (weil er in der Praxis wahrscheinlich den Zeitpunkt des Ablaufs verschiedener Unterlagenschutzfristen für seine Arzneimittel kennt), wird es in einer Reihe von Rechtssystemen der Mitgliedstaaten allgemein vermutlich Probleme mit seiner Klagebefugnis geben. Es wäre dann selbstverständlich eine Frage des Verfahrensrechts des betreffenden Referenzmitgliedstaats, ob der Genehmigungsinhaber den Beurteilungsbericht vor Gericht in Frage stellen kann. In einer Reihe von Mitgliedstaaten dürfte der Bericht als eine Vorbereitungshandlung eingestuft werden, die somit nicht Gegenstand einer gerichtlichen Überprüfung sein kann. Die verfahrensabschließende förmliche Genehmigung für das Inverkehrbringen im Referenzmitgliedstaat wird wohl als der nach nationalem Recht anfechtbare Rechtsakt angesehen werden ( 39 ).

91.

Last but not least dürften sich die die Klagebefugnis regelnden Bestimmungen von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden. Daher würde es mit hoher Wahrscheinlichkeit Regelungslücken mit sich bringen, wenn das System der gerichtlichen Überprüfung in einem dezentralisierten Verfahren auf die Annahme einer ausschließlichen gerichtlichen Zuständigkeit des Referenzmitgliedstaats, die hypothetisch in Bezug auf ein Dokument wie den Beurteilungsbericht ausgeübt werden könnte, gestützt würde.

92.

Demgegenüber sollten diese Probleme bei einer gerichtlichen Überprüfung, die die vom Referenzmitgliedstaat erlassene (verfahrensabschließende) nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen zum Gegenstand hat, nicht auftreten. In diesem Fall stellten sich allerdings eine Reihe anderer ernster Fragen im Zusammenhang mit der räumlichen Begrenzung des Geltungsbereichs dieser Genehmigungen für das Inverkehrbringen und die dann notwendig entsprechende räumliche Begrenzung der gerichtlichen Überprüfung, die in diesen Mitgliedstaaten durchgeführt wird.

93.

Zunächst einmal ist mir nicht klar, wogegen der Inhaber der Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen in einem Szenario wie dem des Ausgangsverfahrens gerichtlich vorzugehen hätte. Astellas Pharma möchte die Entscheidung der FIMEA anfechten. Damit stellt sich die Frage, warum diese Klage in Dänemark zu erheben wäre. Selbst wenn man annähme, dass dänische Gerichte die Rechtmäßigkeit einer von einer finnischen Aufsichtsbehörde erlassenen Entscheidung (mittelbar oder sogar unmittelbar?) beurteilen könnten, ist schwer vorstellbar, wie die (eindeutig extraterritorialen) Wirkungen einer solchen Entscheidung in Finnland „umgesetzt“ werden sollten. Welche Wirkungen genau hätte ein Urteil eines dänischen Gerichts in Finnland? Würde ein solches Urteil bei einer sehr weiten Auslegung der Pflicht der Mitgliedstaaten zu loyaler und aufrichtiger Zusammenarbeit automatisch die Aufhebung der finnischen Genehmigung für das Inverkehrbringen auslösen? Durch wen? Oder wäre die FIMEA verpflichtet, von Amts wegen ein Verfahren zur Aufhebung und/oder Überprüfung der eigenen Entscheidung einzuleiten?

94.

So viele Probleme sie auch aufwerfen, derartige Überlegungen wären auf Fälle beschränkt, in denen beide oder alle von den jeweiligen nationalen Behörden parallel erlassenen Entscheidungen mit einem potenziellen Rechtsfehler behaftet wären. Was wäre jedoch die zutreffende Vorgehensweise, wenn man lediglich die Teile der Entscheidung der FIMEA mit rein nationalem Bezug gerichtlich beanstanden wollte? Beispiele hierfür wären etwaige Verfahrensfehler oder Fehler hinsichtlich inhaltlicher Feststellungen, die nicht Gegenstand der gebilligten produktbezogenen Unterlagen wären, z. B. die Länge der Unterlagenschutzfrist, die sich in den Übergangsvorschriften von vor oder von nach 2004 von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat unterscheiden könnten. Wäre der Antragsteller in diesen Fällen verpflichtet, vor die dänischen Gerichte zu ziehen, um gegen die etwaigen Fehler vorzugehen, die ausschließlich die finnische Genehmigung für das Inverkehrbringen betreffen? Würde dies zu einer Zuständigkeit der dänischen Gerichte für die Entscheidung über Angelegenheiten führen, die dem finnischen Recht unterliegen?

95.

Da sich dieser Vorschlag kaum vertreten lässt, haben einige der Verfahrensbeteiligten in ihren schriftlichen Erklärungen und in der Sitzung eine gewisse „vermittelnde“ Position erörtert. Diese Position besteht im Wesentlichen darin, die gerichtliche Überprüfung in zwei Teile aufzuspalten: i) in den Teil der Entscheidung, der materiell durch die im dezentralisierten Verfahren gebilligten produktbezogenen Unterlagen gedeckt ist, und ii) in den rein nationalen Teil. Die Prüfung des ersten Teils wäre dann zu „zentralisieren“, d. h. von den Gerichten des Referenzmitgliedstaats durchzuführen. Die Prüfung des zweiten Teils wäre zu „dezentralisieren“, d. h., sie wäre Sache des jeweiligen beteiligten Mitgliedstaats.

96.

Es trifft zu, dass dieser Vorschlag einige der oben dargestellten Probleme jedenfalls auf einer grundsätzlichen Ebene abmildern könnte. Abgesehen von dem fortbestehenden Problem des Fehlens einer Rechtsgrundlage für alle diese Vorschläge habe ich jedoch erhebliche Bedenken hinsichtlich der praktischen Möglichkeit, eine klare und eindeutige Abgrenzung zwischen rein nationalen und sonstigen Aspekten vorzunehmen. Was ist mit Punkten, die eine Grundlage in der ursprünglichen Einigung haben, später jedoch weiterentwickelt wurden? Was gilt für Ermessensaspekte? Und vor allem, wie soll der Inhaber der Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen alle diese Dinge voneinander trennen, um zu entscheiden, wo er zu klagen hätte?

97.

Nicht ohne Grund knüpfen Zuständigkeitsbestimmungen, ob sie eine Zuständigkeit nun vertikal (zwischen der Union und den Mitgliedstaaten) oder horizontal (zwischen den Mitgliedstaaten) zuweisen, vornehmlich formal an den Urheber eines Rechtsakts (also an denjenigen, der den angefochtenen Rechtsakt erlassen hat) an, statt zu versuchen, einzelne inhaltliche Bestandteile desselben voneinander zu trennen.

98.

Schließlich wurden alle diese problematischen Fragestellungen auf die Annahme gestützt, dass die einzelnen Akteure eine Einigung erzielen, ihre Befugnisse wechselseitig anerkennen sowie kooperieren und etwaige Vorgaben in gutem Glauben einhalten. Was wäre jedoch, wenn sie dies nicht täten? Man stelle sich vor, dass die im Referenzmitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen in diesem Mitgliedstaat überprüft werden könnte und das Gericht zu dem Ergebnis gelangte, dass die fragliche Verwaltungsbehörde das Recht fehlerhaft angewandt habe, die betreffende Verwaltungsbehörde des beteiligten Mitgliedstaats jedoch nach Lektüre dieser Entscheidung dieser Beurteilung nicht beipflichten würde.

99.

Für jede funktionierende Rechtsordnung gilt, dass sich an dieser Stelle formale Autorität gegen inhaltliche Gründe durchsetzt. Eine unanfechtbare Gerichtsentscheidung muss von einer innerhalb derselben Rechtsordnung tätigen Behörde auch dann beachtet werden, wenn diese mit der Entscheidung inhaltlich nicht einverstanden ist. Kurzum stellt das schlichte Fehlen einer solchen förmlichen Autorität ( 40 ) auf der horizontalen Ebene ein grundlegendes und unüberwindliches Hindernis für eine Beantwortung der zweiten Vorlagefrage im Sinne der ersten Argumentationslinie dar ( 41 ).

2.  Dezentralisiertes Verfahren bedingtdezentralisierte Überprüfung

100.

Nach alledem gelange ich zu einem einfachen Ergebnis: Auf ein dezentralisiertes Verwaltungsverfahren muss eine dezentralisierte gerichtliche Überprüfung folgen. Zwar besteht kein Zweifel, dass es für die letztlich erteilte nationale Genehmigung für das Inverkehrbringen eine gemeinsame Grundlage gibt, die von den gebilligten produktbezogenen Unterlagen gebildet wird, die alle teilnehmenden Mitgliedstaaten in nationale Entscheidungen umzusetzen verpflichtet sind. Es besteht jedoch auch kein Zweifel, dass die letztlich zu erlassenden Rechtsakte, die innerhalb des Hoheitsgebiets des jeweiligen Mitgliedstaats rechtliche Wirkungen entfalten, die jeweiligen nationalen Genehmigungen für das Inverkehrbringen sind und bleiben.

101.

Aus allen im vorstehenden Abschnitt dargelegten Gründen sehe ich nicht nur unter dem Blickwinkel der Wahrung des Art. 47 Abs. 1 der Charta der Grundrechte, sondern erst recht wegen der grundlegenden Logik des Systems keine andere Option, als die Möglichkeit zu bekräftigen, die jeweilige in einem der Mitgliedstaaten als Ergebnis des dezentralisierten Verfahrens erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen sowohl im Referenzmitgliedstaat als auch in den beteiligten Mitgliedstaaten parallel und uneingeschränkt gerichtlich überprüfen zu lassen.

102.

Aus dem Blickwinkel der Gesamtstruktur des Verfahrens hat dieser Vorschlag freilich nichts Revolutionäres, wenn man die vorangegangene Mitwirkung aller beteiligten Mitgliedstaaten an dem dezentralisierten Verfahren berücksichtigt. Jede der zuständigen Behörden der Mitgliedstaaten ist an dem Verfahren beteiligt. Jede von ihnen hat die produktbezogenen Unterlagen zu billigen. Besteht Uneinigkeit, ist jede von ihnen berechtigt, das Verfahren zu stoppen und zunächst das Verfahren der wechselseitigen Abstimmung in die Wege zu leiten oder den Vorgang später sogar an die Agentur zu verweisen. Jede von ihnen ist verpflichtet, eine eigene nationale Entscheidung zu erlassen, die das, worüber zuvor Einigkeit erzielt worden ist, in einen auf nationaler Ebene maßgeblichen Verwaltungsakt umsetzt.

103.

In einem solchen Kontext erscheint es mir nur angemessen und fair, von jeder dieser Behörden zu verlangen, das Ergebnis ihrer gemeinsamen Abstimmung vor den jeweiligen nationalen Gerichten zu verteidigen. Um nochmals auf die Metapher des Kochens zurückzukommen: Man kann nicht sagen, dass die Behörden der Mitgliedstaaten verpflichtet wären, ein Gericht zu servieren, das ihnen aufgezwungen worden wäre. Sie waren in der Küche, als es zubereitet wurde, und hätten Einfluss auf das nehmen können, was gekocht wurde. Sie sind daher mitverantwortlich für seine Qualität.

104.

Ich räume ein, dass die von mir empfohlene Lösung zu einer Zersplitterung führen kann. Die Gerichte jedes beteiligten Mitgliedstaats werden ihre eigene Ansicht zu Fragen wie der richtigen Bestimmung der Unterlagenschutzfrist entwickeln können. Es kann zu einander widersprechenden Urteilen kommen.

105.

Indes gibt es zwei Antworten auf diesen Einwand, abgesehen davon, dass ganz einfach bessere Alternativen fehlen. Erstens handelt es sich um die schlichte Folge dessen, dass gemäß Art. 28 der Richtlinie 2001/83 ein dezentralisiertes System eingerichtet ist. Es ist dies die Folge eines Systems, das gesonderte nationale Genehmigungen für das Inverkehrbringen vorsieht. Der Umstand, dass alle diese Genehmigungen auf gemeinsam vorbereiteten und gebilligten produktbezogenen Unterlagen beruhen, lässt die polyzentristische Natur der abschließenden Phase des gesamten Genehmigungsverfahrens nicht entfallen.

106.

Wenn es, wie eine Reihe von Verfahrensbeteiligten vorgetragen haben, eine zwingende Notwendigkeit der Schaffung eines voll funktionsfähigen einheitlichen Binnenmarkts für Arzneimittel gibt, für den eine so verstandene dezentralisierte gerichtliche Überprüfung ein Hindernis darstellt, wäre die ideale Lösung wohl die, diese Notwendigkeit dem Unionsgesetzgeber gegenüber zu artikulieren und den Erlass eines geeigneten Regelwerks, das ihr Rechnung trägt, auf den Weg zu bringen. Ich halte es jedoch nicht für hinnehmbar, zunächst einen recht dezentralisierten Rechtsrahmen zu schaffen ( 42 ) und sodann das Argument der Notwendigkeit einer einheitlichen Regelung zu verwenden, um den einzelnen Antragstellern de facto den Rechtsschutz innerhalb dieses normativ zersplitterten Regelwerks vorzuenthalten. Marktintegration ist schlicht kein guter Grund für die Schaffung von schwarzen Löchern im Rechtsschutz.

107.

Zweitens weise ich darauf hin, dass die Mitgliedstaaten gemäß den spezifischen Bestimmungen der Richtlinie 2001/83 ( 43 ) und auch im Rahmen der allgemeinen Pflicht zu loyaler Zusammenarbeit gemäß Art. 4 Abs. 3 EU zur wechselseitigen Unterrichtung verpflichtet sind. Sollte eine der zuständigen Behörden eines beteiligten Mitgliedstaats also auf ein Problem aufmerksam werden, das die Rechtmäßigkeit einer von einem anderen beteiligten Mitgliedstaat, darunter dem Referenzmitgliedstaat, erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen berührt, hat diese zuständige Behörde ihre Gegenüber entsprechend zu informieren. Dies kann dazu führen, dass bereits erteilte nationale Genehmigungen für das Inverkehrbringen z. B. durch einen von Amts wegen eingeleiteten Mechanismus nach dem einschlägigen nationalen Recht überprüft werden.

108.

Schließlich hat das vorlegende Gericht noch eine besondere Zusatzfrage gestellt, die die Befugnis des nationalen Gerichts des beteiligten Mitgliedstaats betrifft, die Rechtmäßigkeit der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen, darunter die Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2001/83, zu prüfen.

109.

Eingedenk der räumlichen Grenzen, denen das dezentralisierte Verfahren unterliegt, und entsprechend der allgemeinen Logik der auf die zweite Vorlagefrage gegebenen Antwort bin ich der Ansicht, dass diese Rechtmäßigkeit in dem Mitgliedstaat geprüft werden muss, der die Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat.

110.

Aus den vorstehenden Erwägungen schlage ich vor, die zweite Frage des vorlegenden Gerichts dahin zu beantworten, dass die Gerichte des beteiligten Mitgliedstaats bei der Entscheidung über einen vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Referenzarzneimittels eingelegten Rechtsbehelf befugt sind, die Bestimmung des Zeitpunkts des Beginns der Unterlagenschutzfrist durch die zuständige Behörde desselben beteiligten Mitgliedstaats zu überprüfen. Dieses nationale Gericht darf jedoch nicht die Rechtmäßigkeit der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen überprüfen, da diese Rechtmäßigkeit, einschließlich der Frage der Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2001/83, in dem Mitgliedstaat geprüft werden muss, der diese Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat.

IV. Ergebnis

111.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefragen des Korkein hallinto-oikeus (Oberstes Verwaltungsgericht, Finnland) wie folgt zu beantworten:

1.

Art. 28. Abs. 5 und Art. 29 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel sind dahin auszulegen, dass die zuständige Behörde des beteiligten Mitgliedstaats bei der Erteilung der nationalen Genehmigung für das Inverkehrbringen eines Generikums im dezentralisierten Genehmigungsverfahren gemäß Art. 28 Abs. 5 der Richtlinie 2001/83 nicht befugt ist, einseitig den Zeitpunkt des Beginns der Unterlagenschutzfrist des Referenzarzneimittels zu bestimmen. Diese Behörde ist jedoch nach Art. 28 Abs. 3 und Abs. 4 der Richtlinie 2001/83 in einem früheren Stadium des dezentralisierten Verfahrens an dieser Prüfung beteiligt. Die Beteiligung der zuständigen Behörde des beteiligten Mitgliedstaats an dem Billigungsverfahren weist dieser Behörde somit eine Mitverantwortung am Inhalt der in diesem Verfahren gebilligten Unterlagen zu.

2.

Die Gerichte des beteiligten Mitgliedstaats sind bei der Entscheidung über einen vom Inhaber der Genehmigung für das Inverkehrbringen des Referenzarzneimittels eingelegten Rechtsbehelf befugt, die Bestimmung des Zeitpunkts des Beginns der Unterlagenschutzfrist durch die zuständige Behörde desselben beteiligten Mitgliedstaats zu überprüfen. Dieses nationale Gericht darf jedoch nicht die Rechtmäßigkeit der in einem anderen Mitgliedstaat erteilten Erstgenehmigung für das Inverkehrbringen überprüfen, da diese Rechtmäßigkeit, einschließlich der Frage der Vereinbarkeit mit der Richtlinie 2001/83, in dem Mitgliedstaat geprüft werden muss, der diese erste Genehmigung für das Inverkehrbringen erteilt hat.


( 1 ) Originalsprache: Englisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 67).

( 3 ) Gesetz über den Verkehr mit Arzneimitteln vom 24. August 1976 (BGBl. I S. 2445).

( 4 ) Art. 10 Abs. 1 der Richtlinie 2001/83 bestimmt: „Abweichend von … ist der Antragsteller [einer Genehmigung für das Inverkehrbringen] nicht verpflichtet, die Ergebnisse der vorklinischen und klinischen Versuche vorzulegen, wenn er nachweisen kann, dass es sich bei dem Arzneimittel um ein Generikum eines Referenzarzneimittels handelt, das gemäß Artikel 6 seit mindestens acht Jahren in einem Mitgliedstaat oder in der Gemeinschaft genehmigt ist oder wurde.“

( 5 ) Im Sinne des Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 der Richtlinie 2001/83.

( 6 ) Während der in der vorliegenden Sache maßgeblichen Frist konnten die Mitgliedstaaten eine Unterlagenschutzfrist von sechs oder mehr Jahren beantragen.

( 7 ) Das in einem Mitgliedstaat oder in der Europäischen Union mindestens acht Jahre genehmigt (gewesen) ist. Siehe oben, Fn. 4.

( 8 ) Vgl. Urteil vom 23. Oktober 2014, Olainfarm (C‑104/13, EU:C:2014:2316, Rn. 37).

( 9 ) Dies gilt im Grundsatz und vorbehaltlich einer Übergangsregelung: Häufig wird auf die „8+2-Formel“ verwiesen, die einen Unterlagenschutz von acht Jahren (in denen der Antragsteller einer Genehmigung für ein Generikum sich nicht auf die betreffenden Ergebnisse beziehen kann) und einen Vermarktungsschutz von zwei Jahren, in denen die Generika noch nicht in den Verkehr gebracht werden können, umfasst.

( 10 ) Die in Bezug auf Ribomustin, als Helm die Genehmigung für das Inverkehrbringen von Alkybend beantragte, laut dem Vorabentscheidungsersuchen bereits abgelaufen war. Wegen der einschlägigen Unterlagenschutzfrist vgl. die in Art. 2 der Richtlinie 2004/27/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Änderung der Richtlinie 2001/83 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Humanarzneimittel (ABl. 2004, L 136, S. 4) in Verbindung mit deren Art. 3 enthaltene Übergangsbestimmung. Hieraus folgt, dass die durch die Richtlinie 2004/27 eingeführte Unterlagenschutzfrist nicht für Referenzarzneimittel galt, für die bereits vor dem 30. Oktober 2005 ein Genehmigungsantrag gestellt worden war.

( 11 ) Diese Richtlinie kodifizierte die bereits bestehende Genehmigungsregelung, die durch die Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, L 22, S. 369) und ihre nachfolgenden Änderungen geschaffen worden war.

( 12 ) Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Errichtung einer Europäischen Arzneimittel-Agentur (ABl. 2004, L 136, S. 1). Dieses zentralisierte Verfahren ist für die im Anhang der Verordnung aufgeführten Arzneimittel vorgeschrieben.

( 13 ) Vereinfacht ausgedrückt ist der Beurteilungsbericht das entscheidende Dokument sowohl des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung als auch des dezentralisierten Verfahrens (deren Merkmale weiter unten in den vorliegenden Schlussanträgen erläutert werden). In ihm wird dargelegt, warum eine Genehmigung für das Inverkehrbringen und die jeweils vorgeschlagenen Indikationen vom Referenzmitgliedstaat erteilt bzw. gebilligt oder abgelehnt worden sind oder werden können. In ihm werden ferner die Zusammenfassung der Produktmerkmale, der Packungsbeilage und der Etikettierung im Einzelnen dargelegt. Er enthält auch die Einzelheiten betreffend die Bewertung des Nutzen-Risiko-Verhältnisses des Arzneimittels. Insbesondere werden in ihm Qualität, Sicherheit und Wirksamkeit des Arzneimittels wissenschaftlich untersucht und bewertet. Es ist hervorgehoben worden, dass Beurteilungsberichte „ausreichend ausführlich abgefasst sein müssen, um Fachleuten anderer Mitgliedstaaten eine Sekundärprüfung zu ermöglichen. Als solche sind diese Berichte von zentraler Bedeutung für das ordnungsgemäße Funktionieren des Verfahrens der gegenseitigen Anerkennung und des dezentralisierten Verfahrens“. Vgl. Best Practice Guide for the Mutual Recognition and Decentralized Procedures – Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human, Januar 2017, S. 3. Vgl. auch das Kommissionsdokument „Notice to Applicants. Procedures for Marketing Authorisation. Chapter 2: Mutual Recognition“, Februar 2007, S. 24 und 25.

( 14 ) Wie in Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von vor 2004 vorgesehen muss der Genehmigungsinhaber etwaige Ergänzungen oder Änderungen kenntlich machen. Im letzteren Fall muss er versichern, dass die von ihm gemäß Art. 11 vorgeschlagene Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels identisch mit der Zusammenfassung ist, die von dem Referenzmitgliedstaat gemäß Art. 21 akzeptiert worden ist. Ferner muss er bestätigen, dass alle im Rahmen des Verfahrens eingereichten Dossiers identisch sind.

( 15 ) Die bereits früher durch die Verordnung (EWG) Nr. 2309/93 des Rates vom 22. Juli 1993 zur Festlegung von Gemeinschaftsverfahren für die Genehmigung und Überwachung von Human- und Tierarzneimitteln und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (ABl. 1993, L 214, S. 1) geschaffene Europäische Agentur für die Beurteilung von Arzneimitteln (im Folgenden: Agentur), nunmehr die Europäische Arzneimittel-Agentur. Die Agentur prüft im zentralisierten Verfahren nach der Verordnung Nr. 726/2004 gestellte Anträge auf Erteilung von Genehmigungen für das Inverkehrbringen. Sie klärt auch Fragen wie die der Sicherheit von Arzneimitteln, die im Rahmen von Verfahren der gegenseitigen Anerkennung oder in dezentralisierten Verfahren aufgeworfen werden.

( 16 ) Urteil vom 16. Oktober 2008, Synthon (C‑452/06, EU:C:2008:565, Rn. 25, 28 und 29).

( 17 ) Urteil vom 16. Oktober 2008, Synthon (C‑452/06, EU:C:2008:565, Rn. 45).

( 18 ) Art. 28 Abs. 2 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 („Liegt für das Arzneimittel zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen vor …“).

( 19 ) Vgl. Art. 28 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004.

( 20 ) Art. 28 Abs. 3 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004.

( 21 ) Art. 29 Abs. 4 und 5 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004.

( 22 ) Art. 29 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004. In diesem Fall besteht die erteilte Genehmigung unbeschadet des Ergebnisses des anhängigen Verfahrens betreffend den von einem anderen beteiligten Mitgliedstaat erhobenen Einwand.

( 23 ) Vgl. den 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 2001/83. Vgl. auch die Erwägungsgründe 4 und 5 dieser Richtlinie sowie Urteil vom 16. Oktober 2008, Synthon (C‑452/06, EU:C:2008:565, Rn. 25 und 32).

( 24 ) Gemäß dem elften Erwägungsgrund der Richtlinie 2004/27.

( 25 ) Genau gesagt stimmen die Verfahrensschritte gemäß den Abs. 4 und 5 des Art. 28 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 überein. Auch die auf die öffentliche Gesundheit bezogene Ausnahme gilt für beide Verfahren.

( 26 ) Siehe oben, Fn. 24.

( 27 ) Wiederum mit Ausnahme des Szenarios, das in Art. 29 Abs. 6 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von nach 2004 beschrieben ist.

( 28 ) Urteil vom 19. Juli 2012, Kommission/Frankreich (C‑145/11, nicht veröffentlicht, EU:C:2012:490). Diese Rechtssache betraf eine entsprechende Bestimmung der Richtlinie 2001/82/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. November 2001 zur Schaffung eines Gemeinschaftskodexes für Tierarzneimittel (ABl. 2001, L 311, S. 1).

( 29 ) In der Praxis scheint es so zu sein, dass der Antragsteller mit allen beteiligten Mitgliedstaaten (einschließlich des Referenzmitgliedstaats) in ein informelles Verfahren der „Validierung“ des Antrags eintritt, um sich bestätigen zu lassen, dass der zu stellende Antrag nicht mit Mängeln behaftet ist, die ihn für das Verfahren ungeeignet machen würden. „Die Validierung ist zwischen dem Referenzmitgliedstaat (vollständige Validierungsprüfung) und den beteiligten Mitgliedstaaten (begrenzte Liste) aufgeteilt. Sowohl die beteiligten Mitgliedstaaten als auch der Referenzmitgliedstaat beginnen unter Verwendung der jeweiligen Prüflisten nebeneinander mit der Validierung. … Die beteiligten Mitgliedstaaten haben unter Verwendung der Prüfliste für die Mitgliedstaaten sowohl den Antragsteller als auch den Referenzmitgliedstaat per E‑Mail über etwaige Validierungsprobleme zu unterrichten“. Vgl. das Dokument „Procedural advice: Automatic validation of MR/Repeat-use/DC Procedures“, Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human, Oktober 2016, Doc. Ref.: CMDh/040/2001/Rev.5, S. 1.

( 30 ) Best Practice Guide for decentralised and mutual recognition procedures, Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human, April 2013, Doc. Ref.: CMDh/068/1996/Rev.1, vgl. S. 2, dort insbesondere Nrn. 10 und 11.

( 31 ) Ebd., S. 2, Nr. 10.

( 32 ) „Die Berichte müssen ausreichend ausführlich abgefasst sein, um den Fachleuten der Mitgliedstaaten eine Sekundärprüfung zu ermöglichen“. Vgl. Best Practice Guide on the Assessment Report for mutual recognition and decentralised Procedures, Coordination Group for Mutual Recognition and Decentralised Procedures – Human, January 2017, Doc. Ref.: CMDh/073/2003, Rev5, S. 3.

( 33 ) Hinzu kommt, dass dieser kooperative Charakter des Verfahrens auch aus der Entstehungsgeschichte der Rechtsänderungen von 2004 abgeleitet werden kann, nämlich aus dessen Beschreibung durch die Kommission im Vorschlag KOM(2001) 404 endg. (der Vorschlag, der schließlich zum Erlass der Richtlinie 2004/27 führte): „Am Verfahren der gegenseitigen Anerkennung wurde Kritik geäußert, weil in der Praxis Schwierigkeiten auftraten. Nach dem bisherigen System müssen die Mitgliedstaaten eine bereits von einem Referenzmitgliedstaat erteilte Genehmigung anerkennen. Es ist immer schwieriger, eine wissenschaftliche Entscheidung zu revidieren, als gemeinsam die erste Entscheidung im Rahmen eines wissenschaftlichen Kooperationsverfahrens zu treffen. … Die Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten erfolgt vor der Entscheidung auf der Grundlage der in einem dieser Staaten vorgenommenen Beurteilung …“ (Hervorhebung nur hier).

( 34 ) Vergleichbar der Lage vor 2004. Vgl. Art. 29 der Richtlinie 2001/83 in der Fassung von vor 2004 und Urteil vom 16. Oktober 2008, Synthon (C‑452/06, EU:C:2008:565, Rn. 29).

( 35 ) Leitlinien zur Definition einer potenziellen schwerwiegenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit im Sinne von Artikel 29 Absätze 1 und 2 der Richtlinie 2001/83/EG – März 2006 (ABl. 2006, C 133, S. 5).

( 36 ) Vgl. meine Schlussanträge in den verbundenen Rechtssachen Novartis Europharm/Kommission (C‑629/15 P und C‑630/15 P, EU:C:2016:1003, Nr. 41), in denen ich auf diesen auch von Generalanwalt Wahl in der Rechtssache Olainfarm (C‑104/13, EU:C:2014:342, Nr. 39 und die dort angeführte Rechtsprechung) hierzu vertretenen Standpunkt verwiesen habe.

( 37 ) Oben in Nr. 66 erörtert.

( 38 ) Gemäß Art. 28 Abs. 4 der Richtlinie 2001/83 wird nur der Antragsteller der Genehmigung für das Inverkehrbringen von der Behörde des Referenzmitgliedstaats über die Einigung unterrichtet, die im Rahmen des Verfahrens erzielt wurde.

( 39 ) Wegen ähnlicher Probleme im Bereich öffentlicher Vergabeverfahren vgl. meine Schlussanträge in der Rechtssache Marina del Mediterráneo u. a. (C‑391/15, EU:C:2016:651).

( 40 ) Ich bin bereit hinzunehmen, als „traditioneller“ oder „positivistisch eingestellter“ Jurist bezeichnet zu werden (was in manchen Kreisen sicherlich missbilligend gemeint ist), der davon überzeugt ist, dass für ein ordnungsgemäß funktionierendes Rechtssystem Aspekte der förmlichen Befugnis und Hierarchie von Bedeutung sind. So faszinierend solche Vorschläge auf der abstrakten Ebene der Rechtstheorie sein mögen, bezweifle ich, dass eine Antwort, die versuchen würde, Lehrsätze eines unionsrechtlichen Pluralismus (welcher Strömung auch immer) in die Praxis umzusetzen, in dieser Sache für das nationale Gericht sehr hilfreich wäre (geschweige denn eine konkrete und nützliche Leitlinie für die Arbeit nationaler Verwaltungsbehörden bei der Prüfung von Genehmigungsanträgen darstellen würde).

( 41 ) Der Vollständigkeit halber sei hinzugefügt, dass einige Verfahrensbeteiligte die Antwort vorschlagen, dass, wenn es im Einzelfall zwischen zwei oder mehr Mitgliedstaaten Streit über die Berechnung der Unterlagenschutzfrist und die Wirksamkeit der für das Referenzarzneimittel erteilten Genehmigung für das Inverkehrbringen gebe, diese Frage gemäß Art. 267 AEUV zwingend dem Gerichtshof vorgelegt werden müsse. Damit ist die Frage in struktureller Hinsicht nicht beantwortet. Die Funktion des durch den AEU-Vertrag eingerichteten Vorabentscheidungsverfahrens besteht darin, eine einheitliche Auslegung des Unionsrechts und die Prüfung der Wirksamkeit der Rechtsakte von Unionsorganen sicherzustellen, und nicht darin, bei nationalen Gerichten anhängige Einzelfälle zu entscheiden oder gar im Einzelfall schlichtend in Streitigkeiten zwischen Mitgliedstaaten einzugreifen, die im Wesentlichen durch Auseinandersetzungen um Tatsachenfragen charakterisiert sind.

( 42 ) Vgl. die oben in den Nrn. 51 und 69 dargestellte Entwicklung, die der Rechtsänderung von 2004 zugrunde liegt.

( 43 ) Vgl. Art. 122 der Richtlinie 2001/83.