SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 28. Juni 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑329/16

Syndicat national de l’industrie des technologies médicales (SNITEM),

Philips France

gegen

Premier ministre,

Ministre des Affaires sociales et de la Santé

(Vorabentscheidungsersuchen des Conseil d’État [Staatsrat, Frankreich])

„Richtlinie 93/42/EWG – Begriff Medizinprodukt – CE-Kennzeichnung – Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln“

1. 

Der Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) legt dem Gerichtshof eine Vorlagefrage vor, deren Beantwortung ihm die Feststellung ermöglichen soll, ob eine bestimmte Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln im Sinne der Richtlinie 93/42/EWG ( 2 ) als Medizinprodukt ( 3 ) einzustufen ist.

2. 

Die Auslegung der Richtlinie 93/42 durch den Gerichtshof hat unmittelbare Folgen, denn die Vermarktung von Software, die nicht als Medizinprodukt katalogisiert ist, unterliegt in den jeweiligen Mitgliedstaaten normalerweise weniger strengen Anforderungen als die von Medizinprodukten.

3. 

Die Bedeutung von Software im Gesundheitsbereich, für den sie großen Nutzen bringen kann – einschließlich der Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln –, wird immer größer. Es ist logisch, dass eine technologisch hoch entwickelte Tätigkeit auf diesen Bereich, der nach immer ausgereifteren und sichereren Produkten und Dienstleistungen verlangt, Auswirkungen hat.

4. 

Es ist aber auch unvermeidbar, dass die Behörden, die letztlich für diesen Sektor verantwortlich sind, angesichts der atemberaubenden Entwicklung der auf ihm angewandten Technik und Informatik Vorkehrungen treffen. Diese Sorge hat die Mitgliedstaaten zum Erlass von nationalen Gesundheitsschutzvorschriften veranlasst, die erheblich voneinander abweichen können und dies auch tatsächlich tun. Mit der Richtlinie 93/42 sollten diese Vorschriften harmonisiert und mögliche Lücken oder Ungewissheiten beseitigt werden, um den freien Verkehr von Medizinprodukten auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten.

5. 

Aufzuzeigen, welche Elemente eine Software aufweisen muss, um ein „Medizinprodukt“ zu sein und in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/42 zu fallen, ist daher zweifelsohne von Bedeutung, denn ihre Leistungen müssen hohen Anforderungen an die Sicherheit und den Gesundheitsschutz entsprechen.

I. Rechtlicher Rahmen

A.   Unionsrecht

1. Richtlinie 93/42

6.

Die Erwägungsgründe 2, 3 und 4 lauten:

„Die in den Mitgliedstaaten geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften bezüglich der Sicherheit, des Gesundheitsschutzes und der Leistungen der Medizinprodukte unterscheiden sich jeweils nach Inhalt und Geltungsbereich. Auch die Zertifizierungs- und Kontrollverfahren für diese Produkte sind von Mitgliedstaat zu Mitgliedstaat verschieden; solche Unterschiede stellen Hemmnisse im innergemeinschaftlichen Handel dar.

Die einzelstaatlichen Bestimmungen, die der Sicherheit und dem Gesundheitsschutz der Patienten, der Anwender und gegebenenfalls Dritter im Hinblick auf die Anwendung der Medizinprodukte dienen, bedürfen der Harmonisierung, um den freien Verkehr dieser Erzeugnisse auf dem Binnenmarkt zu gewährleisten.

Die harmonisierten Bestimmungen müssen von den Maßnahmen unterschieden werden, die die Mitgliedstaaten im Hinblick auf die Finanzierung des öffentlichen Gesundheitssystems und des Krankenversicherungssystems getroffen haben und die derartige Produkte direkt oder indirekt betreffen. Sie lassen daher das Recht der Mitgliedstaaten auf Durchführung der genannten Maßnahmen unter Einhaltung des Gemeinschaftsrechts unberührt.

…“

7.

Art. 1 („Begriffsbestimmungen, Anwendungsbereich“) lautet:

„(1)   Diese Richtlinie gilt für Medizinprodukte und ihr Zubehör. Im Sinne dieser Richtlinie wird Zubehör als eigenständiges Medizinprodukt behandelt. Medizinprodukte und Zubehör werden nachstehend ‚Produkte‘ genannt.

(2)   Es gelten folgende Begriffsbestimmungen:

a)

Medizinprodukt: alle einzeln oder miteinander verbunden verwendeten Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Software, Stoffe oder anderen Gegenstände, einschließlich der vom Hersteller speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke bestimmten und für ein einwandfreies Funktionieren des Medizinprodukts eingesetzten Software, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind:

Erkennung, Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten;

Erkennung, Überwachung, Behandlung, Linderung oder Kompensierung von Verletzungen oder Behinderungen;

Untersuchung, Ersatz oder Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs;

Empfängnisregelung,

und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.

g)

Zweckbestimmung: Verwendung, für die das Produkt entsprechend den Angaben des Herstellers in der Etikettierung, der Gebrauchsanweisung und/oder dem Werbematerial bestimmt ist.

…“

8.

Art. 4 („Freier Verkehr, Produkte für besondere Zwecke“) Abs. 1 bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten behindern in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die die CE‑Kennzeichnung nach Artikel 17 tragen, aus der hervorgeht, dass sie einer Konformitätsbewertung nach Artikel 11 unterzogen worden sind.“

9.

Art. 5 („Verweis auf Normen“) Abs. 1 schreibt vor:

„Die Mitgliedstaaten gehen von der Einhaltung der grundlegenden Anforderungen … bei Produkten aus, die den einschlägigen nationalen Normen zur Durchführung der harmonisierten Normen, deren Fundstellen im Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften veröffentlicht wurden, entsprechen; die Mitgliedstaaten veröffentlichen die Fundstellen dieser nationalen Normen.“

10.

Art. 8 („Schutzklausel“) Abs. 1 lautet:

„Stellt ein Mitglied fest, dass in Artikel 4 Absatz 1 bzw. Artikel 4 Absatz 2 zweiter Gedankenstrich genannte Produkte die Gesundheit und/oder die Sicherheit der Patienten, der Anwender oder gegebenenfalls Dritter gefährden können, auch wenn sie sachgemäß installiert, instand gehalten und ihrer Zweckbestimmung entsprechend verwendet werden, so trifft er alle geeigneten vorläufigen Maßnahmen, um diese Produkte vom Markt zurückzuziehen oder ihr Inverkehrbringen oder ihre Inbetriebnahme zu verbieten oder einzuschränken. Der Mitgliedstaat teilt der Kommission unverzüglich diese Maßnahmen mit, nennt die Gründe für seine Entscheidung und gibt insbesondere an, ob die Nichtübereinstimmung mit dieser Richtlinie zurückzuführen ist auf

a)

die Nichteinhaltung der in Artikel 3 genannten grundlegenden Anforderungen,

b)

eine unzulängliche Anwendung der Normen gemäß Artikel 5, sofern die Anwendung dieser Normen behauptet wird,

c)

einen Mangel in diesen Normen selbst.“

11.

Art. 9 („Klassifizierung“) Abs. 1 bestimmt:

„Die Produkte werden in die Klassen I, IIa, IIb und III eingestuft. Die Klassifizierung erfolgt nach den Regeln gemäß Anhang IX.“

12.

Anhang IX („Klassifizierungskriterien“), regelt unter „Definitionen“:

„…

1.4.

Aktives Medizinprodukt

Medizinprodukt, dessen Betrieb von einer Stromquelle oder einer anderen Energiequelle (mit Ausnahme der direkt vom menschlichen Körper oder durch die Schwerkraft erzeugten Energie) abhängig ist. Ein Produkt, das zur Übertragung von Energie, Stoffen oder Parametern zwischen einem aktiven Medizinprodukt und dem Patienten eingesetzt wird, ohne dass dabei eine wesentliche Veränderung von Energie, Stoffen oder Parametern eintritt, wird nicht als aktives Medizinprodukt angesehen. Eigenständige Software gilt als aktives Medizinprodukt.

1.6

Aktives diagnostisches Medizinprodukt

Aktives Medizinprodukt, das entweder getrennt oder in Verbindung mit anderen Medizinprodukten eingesetzt wird und dazu bestimmt ist, Informationen für die Erkennung, Diagnose, Überwachung oder Behandlung von physiologischen Zuständen, Gesundheitszuständen, Krankheitszuständen oder angeborenen Missbildungen zu liefern.“

2. Richtlinie 2007/47/EG ( 4 )

13.

Der sechste Erwägungsgrund lautet:

„Es ist eine Klarstellung erforderlich, dass Software als solche, wenn sie spezifisch vom Hersteller für einen oder mehrere der in der Definition von Medizinprodukt genannten medizinischen Zwecke bestimmt ist, ein Medizinprodukt ist. Software für allgemeine Zwecke ist kein Medizinprodukt, auch wenn sie im Zusammenhang mit der Gesundheitspflege genutzt wird.“

B.   Nationales Recht

1. Code de la sécurité sociale (Sozialgesetzbuch)

14.

Nach Art. L. 161‑38 Abs. II des Code de la sécurité sociale legt die Haute Autorité de santé (Hohe Gesundheitsbehörde, Frankreich):

„… das Zertifizierungsverfahren für Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln unter Beachtung einer Reihe von Regeln guter Praxis fest. Sie wacht darüber, dass die Regeln guter Praxis bestimmen, dass diese Software die von der Haute Autorité de santé ermittelten Empfehlungen und medizinisch-wirtschaftlichen Stellungnahmen einbezieht, dass sie es ermöglicht, unmittelbar unter international gebräuchlicher Bezeichnung Arzneimittel zu verschreiben, die Preise der Produkte zum Zeitpunkt der Verschreibung und den Gesamtbetrag der Verschreibung anzuzeigen und auf die Zugehörigkeit eines Produkts zum Verzeichnis von Generika hinzuweisen, und dass sie eine Information über ihren Entwickler und die Art ihrer Finanzierung enthält.

Dieses Zertifizierungsverfahren trägt zur Verbesserung der Praktiken bei der Verschreibung von Arzneimitteln bei. Es garantiert, dass die Software den Mindestanforderungen in Bezug auf Sicherheit, Konformität und Effizienz der Verschreibung entspricht.“

15.

Abs. IV desselben Artikels lautet:

„Die in den Abs. I bis III geregelten Zertifizierungen werden von den vom Comité français d’accréditation akkreditierten Zertifizierungsstellen oder von der zuständigen Behörde eines anderen Mitgliedstaats der Europäischen Union erstellt und erteilt. Sie bescheinigen die Einhaltung der von der Haute Autorité de Santé ausgearbeiteten Regeln guter Praxis.

Die Zertifizierung ist verpflichtend für jede Software, bei der zumindest eine der Funktionalitäten darin besteht, Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln oder der Abgabe von Arzneimitteln unter den vom Conseil d’État [(Staatsrat)] bis zum 1. Januar 2015 durch Dekret vorgesehenen Voraussetzungen zu bieten.“

2. Dekret Nr. 2014-1359 ( 5 )

16.

Durch dieses Dekret wird der Code de la sécurité sociale geändert. Mit Art. 1 Nr. 3 wird in den Regelungsteil des Code der Unterabschnitt „Bestimmungen für die Zertifizierungspflicht von Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln“ eingefügt.

17.

Art. R. 161-76-1 bestimmt:

„Jede Software, die den in einer Stadt, einer Gesundheitseinrichtung oder einer medizinisch-sozialen Einrichtung tätigen Ausstellern von Verschreibungen eine Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln bieten soll, unterliegt der in Art. L. 161‑38 vorgesehenen Zertifizierungspflicht, unbeschadet der Bestimmungen der Art. R. 5211‑1 ff. des Code de la santé publique [(Gesetz über die öffentliche Gesundheit) ( 6 )]. Software, die andere Funktionalitäten als die Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln umfasst, unterliegt der Zertifizierung nur für die letztgenannte Funktion.“

18.

Art. R. 161-76-3 sieht vor:

„Die Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln wird anhand eines von der Haute Autorité de santé erstellten Bezugsrahmens zertifiziert, der Folgendes vorsieht:

1.

Mindestanforderungen an die Sicherheit, die u. a. das Fehlen jeder Information, die in keinem Zusammenhang mit der Verschreibung steht, und von Werbung aller Art sowie ihre ergonomische Qualität betreffen;

2.

Mindestanforderungen an die Vereinbarkeit der Verschreibung mit den Regelungen und den Regeln guter Praxis im Bereich der Verschreibung von Arzneimitteln;

3.

Mindestanforderungen an die Effizienz zur Sicherstellung einer Senkung der Behandlungskosten bei gleicher Qualität;

4.

die Verschreibung unter gemeinsamer Bezeichnung im Sinne der Definition in Art. R. 5121‑1 Nr. 5 des Code de la santé publique;

5.

eine Information über das Arzneimittel, die aus einer Datenbank über Arzneimittel stammt, die einer von der Haute Autorité de santé ausgearbeiteten Qualitätscharta entsprechen;

6.

Informationen zum Softwareentwickler und zur Finanzierung der Entwicklung dieser Software.“

19.

Art. R. 161-76-4 bestimmt schließlich: „Die Zertifizierung der Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln erfolgt durch eine vom Comité français d’accréditation akkreditierte Zertifizierungsstelle oder Stellen, die Mitglied der Europäischen Kooperation für Akkreditierung sind und multilaterale Abkommen zur gegenseitigen Anerkennung geschlossen haben, die sich auf die gesamte in Rede stehende Tätigkeit erstrecken.“

II. Nationaler Rechtsstreit und Vorlagefrage

20.

Das Syndicat national de l’industrie des technologies médicales (im Folgenden: SNITEM) vertritt in Frankreich die Unternehmen des Sektors für Medizinprodukte.

21.

Eines dieser Unternehmen, Philips France (im Folgenden: Philips), fertigt und vermarktet die Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln „Intellispace Critical Care and Anesthesia“ (im Folgenden: ICCA).

22.

Nach dem von Philips vorgelegten funktionellen und technischen Dokument zur ICCA-Software ( 7 ) stellt diese Software, die in der Reanimierung und der Anästhesie angewandt wird, dem Arzt die Informationen zur Verfügung, die er für die ordnungsgemäße Verschreibung von Arzneimitteln benötigt und die vor allem ihre möglichen Kontraindikationen, Wechselwirkungen zwischen den verschiedenen Arzneimitteln und Überdosierungen betreffen.

23.

Aus den funktionellen und technischen Dokumenten, die sich in der Akte befinden, geht hervor, dass die ICCA-Software die CE‑Kennzeichnung trägt ( 8 ), die den Nachweis erbringt, dass sie einer Konformitätsbewertung unterzogen wurde, die den Anforderungen der Richtlinie 93/42 entspricht.

24.

Mit zwei beim Conseil d’État (Staatsrat) erhobenen Klagen haben SNITEM und Philips beantragt, Art. 1 Nr. 3 und Art. 2 des Dekrets Nr. 2014‑1359 für nichtig zu erklären. Das vorlegende Gericht hat die Klagen miteinander verbunden.

25.

Die Kläger machen geltend, das Dekret Nr. 2014-1359 stehe nicht mit dem Unionsrecht im Einklang, da es für bestimmte Software, selbst wenn sie mit der CE-Kennzeichnung versehen sei, die Verpflichtung vorsehe, über ein von der nationalen Behörde ausgestelltes Zertifikat zu verfügen.

26.

Konkret vertreten sie die Ansicht, diese Bestimmung stelle eine Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen dar. Das Aufstellen einer zusätzlichen Anforderung an die in der Richtlinie 93/42 vorgesehene Zertifizierung verstoße gegen deren Art. 4 Abs. 1, der bestimme, dass die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet nicht das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten behinderten, die die CE‑Kennzeichnung trügen.

27.

Die angefochtene Vorschrift, ergänzen die Kläger, könne nicht auf Art. 8 der Richtlinie 93/42 gestützt werden, denn die Pflicht zur nationalen Zertifizierung, die die mit der CE-Kennzeichnung nachgewiesene ergänze, sei keine Schutzmaßnahme, die von diesem Artikel gedeckt sei.

28.

Der Conseil d’État (Staatsrat) hegt Zweifel, ob Software wie ICCA als Medizinprodukt im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 einzustufen ist. Er bittet daher den Gerichtshof um Auslegung dieser Vorschrift und legt ihm hierzu, nachdem er das Verfahren ausgesetzt hat, folgende Frage zur Vorabentscheidung vor:

Ist die Richtlinie 93/42 dahin auszulegen, dass Software, die den in einer Stadt, einer Gesundheitseinrichtung oder einer medizinisch-sozialen Einrichtung tätigen Ausstellern von Verschreibungen eine Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln bieten soll, um die Sicherheit der Verschreibung zu verbessern, die Arbeit des Ausstellers zu erleichtern, die Konformität des Rezepts mit den Anforderungen der nationalen Regelung zu fördern und die Behandlungskosten bei gleicher Qualität zu senken, ein Medizinprodukt im Sinne der Richtlinie darstellt, wenn die Software zumindest eine Funktionalität aufweist, die es ermöglicht, die Daten eines Patienten zu nutzen, um dessen Arzt bei der Ausstellung seiner Verschreibung zu helfen, indem u. a. Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festgestellt werden, auch wenn sie selbst nicht im oder am menschlichen Körper wirkt?

29.

In der vorliegenden Rechtssache haben SNITEM, die französische und die italienische Regierung sowie die Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht. Zur mündlichen Verhandlung am 26. März 2017 sind SNITEM, die französische Regierung und die Kommission erschienen.

III. Prüfung der Vorlagefrage

A.   Allgemeine Erwägungen zur CE-Kennzeichnung von Medizinprodukten

30.

Die Richtlinie 93/42 soll als Harmonisierungsmaßnahme gemäß Art. 100a EG-Vertrag (Art. 114 AEUV) den freien Verkehr von ihren Anforderungen entsprechenden Medizinprodukten begünstigen. Auf diese Weise beseitigt sie Hemmnisse für den innergemeinschaftlichen Handel aufgrund der in den Mitgliedstaaten geltenden verschiedenen Rechts- und Verwaltungsvorschriften ( 9 ).

31.

Das reibungslose Funktionieren des Binnenmarkts auf diesem Sektor dank dem durch die Richtlinie 93/42 geschaffenen Rahmen verlangt zudem die Gewährleistung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes von Patienten und Anwendern ( 10 ).

32.

Die Harmonisierung der Rechtsvorschriften durch die Richtlinie 93/42 wird erreicht, indem wesentliche Anforderungen eingeführt werden, deren Erfüllung durch das Anbringen der CE-Kennzeichnung nachgewiesen wird. Diese Kennzeichnung weist darauf hin, dass die Produkte, die sie tragen, einer Bewertung gemäß Art. 11 der Richtlinie 93/42 unterzogen worden sind.

33.

Sobald die CE-Kennzeichnung angebracht ist, können die Mitgliedstaaten in ihrem Hoheitsgebiet das Inverkehrbringen und die Inbetriebnahme von Produkten, die sie tragen, nicht behindern (Art. 4 der Richtlinie 93/42). Für Letztere gilt mithin die Vermutung, dass sie frei verkehrsfähig sind, ohne dass ein Mitgliedstaat verlangen kann, dass ein solches Produkt einem neuen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen wird, und dass diese Freiheit durch keine andere Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Einfuhrbeschränkungen (Art. 34 AEUV) beeinträchtigt werden darf ( 11 ).

34.

Die Staaten können die Vermarktung eines Medizinprodukts mit CE-Kennzeichnung nur verhindern, wenn sie feststellen, dass es die Gesundheit oder die Sicherheit seiner Adressaten gefährden kann. Der Schutz des Allgemeininteresses rechtfertigt diese Art von Schutzmaßnahmen, die auf einem zwingenden Erfordernis wie dem Gesundheitsschutz beruhen. Nach Art. 8 der Richtlinie 93/42 können die Mitgliedstaaten nach seinen Vorgaben (u. a. die unverzügliche Mitteilung an die Kommission) von dieser Schutzklausel Gebrauch machen.

35.

Umgekehrt kann ein Produkt, das nicht in den Anwendungsbereich einer Harmonisierungsrichtlinie fällt, die CE‑Kennzeichnung nicht tragen, und die Mitgliedstaaten können seine Vermarktung regulieren, solange sie keine Beschränkungen einführen, die als Maßnahme gleicher Wirkung angesehen werden können ( 12 ).

36.

Der Gerichtshof hat sich mehrfach zur Auslegung von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 geäußert, wenn auch nicht unmittelbar in Bezug auf Software.

37.

Im Urteil Brain Products ( 13 ) hat er zum dritten Gedankenstrich der Bestimmung ausgeführt, dass ein Produkt (in diesem Fall ein System, das menschliche Gehirnströme aufzeichnen konnte) nur dann ein Medizinprodukt im Sinne dieses Artikels darstellt, wenn es auf einen medizinischen Zweck ausgerichtet ist.

38.

Im Rahmen seiner Prüfung ging der Gerichtshof inzident auf Software ein und führte aus, dass im Licht des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2007/47, durch deren Art. 2 der Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 geändert wurde, „[d]er Gesetzgeber … in Bezug auf Software klargestellt [hat], dass sie nicht schon dann in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/42 fällt, wenn sie in einem medizinischen Zusammenhang verwendet wird; erforderlich ist außerdem, dass ihr Hersteller ihr eine spezifisch medizinische Zweckbestimmung gegeben hat“ ( 14 ).

39.

In gleicher Weise stellte der Gerichtshof in seinem Urteil Oliver Medical ( 15 ), in dem er über die Tarifierung der Produkte entschied, die Gegenstand jenes Vorabentscheidungsersuchens waren (zur Behandlung von Problemen der Hautgefäße und der Haut), darauf ab, ob sie für medizinische Zwecke bestimmt waren. Er führte aus, dass „die Verwendung, die der Hersteller für die betreffende Ware vorgesehen hat, sowie die Art und Weise und der Ort der Verwendung dieser Ware zu prüfen [sind]“ ( 16 ).

40.

In diesem Urteil berücksichtigte der Gerichtshof als zusätzlichen Gesichtspunkt bei der Beurteilung, ob ein Produkt für medizinische Zwecke bestimmt ist, dass es mit der CE-Kennzeichnung versehen ist ( 17 ). Dem Vorhandensein dieses Zeichens kommt eine besondere Bedeutung zu, denn wie im Urteil James Elliott Construction festgestellt wurde, besteht seine Funktion darin, für das Produkt, auf dem es angebracht ist, die Vermutung der Konformität mit den wesentlichen Anforderungen der Harmonisierungsrichtlinie zu begründen ( 18 ).

41.

Da, wie bereits ausgeführt, die ICCA-Software die CE‑Kennzeichnung trägt (dank der sie in 16 Mitgliedstaaten frei vermarktet wird) ( 19 ), besteht für sie die Vermutung der Konformität mit der Richtlinie 93/42. Daher wäre es Sache der französischen Regierung, sie zu widerlegen, was ihr – wie ich sogleich darlegen werde – nicht gelungen ist.

B.   Rechtliche Einordnung der ICCA-Software gemäß Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42

42.

Um dem vorlegenden Gericht eine Antwort geben zu können, muss zunächst geklärt werden, ob die ICCA-Software, als sie mit der CE-Kennzeichnung versehen wurde, zutreffend als „Medizinprodukt“ im Sinne von Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 eingestuft worden war.

43.

Um im vorliegenden Fall Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 bei der Feststellung, ob die ICCA-Software eine der vier dort genannten Funktionen ausführt, anwenden zu können, um dann zu entscheiden, ob sie für einen medizinischen Zweck bestimmt ist, ist logischerweise auf ihre besonderen Merkmale abzustellen.

44.

Die französische Regierung meint, die ICCA-Software falle nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/42, da sie kein Medizinprodukt im Sinne ihres Art. 1 Abs. 2 Buchst. a sei. Im Einklang mit dieser Prämisse ist sie der Ansicht, dass ihre Vermarktung der Genehmigung durch die nationalen Behörden (konkret die Hohe Gesundheitsbehörde) bedürfe, und spricht sich gegen ihren freien Verkauf auf der Grundlage der CE-Kennzeichnung aus.

45.

Die Funktionalität der in die Software integrierten Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln ist nach Auffassung dieser Regierung „für keinen der in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 genannten Zwecke bestimmt“ ( 20 ). Bezugnehmend auf die Schlussanträge der Generalanwältin Sharpston in der Rechtssache Laboratoires Lyocentre ( 21 ) räumt sie ein, dass „nach ihrer Aufmachung und wegen ihres Zwecks“ die ICCA-Software „die ersten beiden Kriterien der Definition eines Produkts“ im Sinne dieser Vorschrift erfülle ( 22 ).

46.

In Bezug auf das dritte Kriterium nimmt die französische Regierung auf den sechsten Erwägungsgrund der Richtlinie 2007/47 Bezug, nach dessen Wortlaut Software, wenn sie „spezifisch vom Hersteller für einen oder mehrere der in der Definition von Medizinprodukt genannten medizinischen Zwecke bestimmt ist“, ein Medizinprodukt ist. Die ICCA-Software zur Unterstützung der Verschreibung von Arzneimitteln diene keinem dieser Zwecke, denn a) werde sie weder für diagnostische noch für therapeutische Zwecke verwendet und b) bestehe ihr Ziel weder in der Untersuchung, dem Ersatz oder der Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs noch in der Empfängnisregelung.

47.

Aus der Beschreibung der Funktionen der ICCA-Software im Vorschlagebeschluss hebt sie die „Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln …, um die Sicherheit der Verschreibung zu verbessern“, hervor. Das Programm, ergänzt sie, erleichtere die Arbeit der Aussteller von Verschreibungen, da Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen festgestellt würden.

48.

Nach den zu den Akten gereichten Unterlagen hilft die ICCA-Software bei der Verschreibung von Arzneimitteln in der Anästhesie und auf Intensivstationen. Im ersten Fall speichert die Software ab der Aufnahme des Patienten sowohl die präoperativen Informationen als auch die Informationen, die in den Systemen enthalten sind, mit denen das Programm verbunden ist; es analysiert und verarbeitet diese Daten, um dem Anästhesisten während der Operation Informationen zur Verfügung zu stellen. Was die Intensivstationen sowie die Stationen für Reanimation und Langzeitpflege betrifft, eignet sich die Software für die Verwaltung der zahlreichen Patientendaten, die erforderlich sind, um ärztliche Entscheidungen treffen zu können. In beiden Fällen verfügt die ICCA-Software über eine Funktion, die es den Ärzten und den Gesundheitsfachkräften ermöglicht, die Verschreibung von Arzneimitteln, mögliche Allergien oder die Behandlungsdauer zu berechnen.

49.

In Anbetracht dieser Funktionen lässt es sich meines Erachtens entgegen der französischen Regierung nur schwerlich bestreiten, dass die ICCA-Software „speziell zur Anwendung für diagnostische und/oder therapeutische Zwecke“ bestimmt ist, um denselben Wortlaut zu verwenden, mit dem die Richtlinie 2007/47 Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 änderte.

50.

Die Lektüre der Definitionen des „aktiven Medizinprodukts“ und des „aktiven diagnostischen Medizinprodukts“, die beide in Anhang IX der Richtlinie 93/42 enthalten sind ( 23 ), spricht ebenfalls für diese Auslegung. Zur letztgenannten Kategorie zählen die aktiven Medizinprodukte (zu denen ausdrücklich die „eigenständige Software“ gehört) ( 24 ), die entweder getrennt oder in Verbindung mit anderen eingesetzt werden und „Informationen für die Erkennung, Diagnose, Überwachung oder Behandlung von physiologischen Zuständen, Gesundheitszuständen, Krankheitszuständen oder angeborenen Missbildungen“ liefern.

51.

Die ICCA-Software verbessert die ärztliche Praxis, indem sie die korrekte Verschreibung von Arzneimitteln unterstützt (und im selben Umfang die inkorrekte vermeidet). Es handelt sich folglich um ein Instrument im Dienst der Gesundheitsfachkräfte, die es bei der Behandlung und der Kontrolle der Anästhesie- bzw. Intensivpatienten unterstützt. Sobald der Arzt die Daten des Patienten in die Software eingibt, hilft sie ihm dabei, die geeignete Behandlung zu finden, und warnt ihn gleichzeitig vor den Problemen, die sich aus einer ungeeigneten Behandlung ergeben können ( 25 ).

52.

Entgegen den Ausführungen der französischen Regierung in der mündlichen Verhandlung handelt es sich nicht um ein Programm, das erst dann funktioniert, wenn der Arzt sich für die geeignete Behandlung entschieden hat, sondern es unterstützt ihn gerade bei der Entscheidung über die geeignete Verschreibung. Die medizinische Zielsetzung, die die Richtlinie 93/42 für die Einstufung von Software als Medizinprodukt verlangt, scheint mir eindeutig auf Software zuzutreffen, die die Eigenschaften von ICCA aufweist.

53.

ICCA bietet Unterstützung mit bestimmten Informationen, damit der Arzt Arzneimittel mit größerer Sicherheit verschreibt, und verhindert so eine inkorrekte Verschreibung. Diese Software dient daher instrumentell dem Zweck der „Verhütung, Überwachung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten“.

C.   Unterscheidung zwischen Software für medizinische Zwecke und Software für allgemeine Zwecke, die im Zusammenhang mit der Gesundheitspflege genutzt wird

54.

Auf der Grundlage des sechsten Erwägungsgrundes der Richtlinie 2007/47 ist der Gerichtshof im Urteil Brain Products ( 26 ) auf die zweifache Kategorie von Software für medizinische Zwecke und „Software für allgemeine Zwecke …, [die] im Zusammenhang mit der Gesundheitspflege genutzt wird“, eingegangen. Letztere ist anders als die Erstgenannte „kein Medizinprodukt“ und fällt mithin nicht in den Anwendungsbereich der Richtlinie 93/42. Dieselbe Richtung wird mit der neuen Verordnung 2017/745 verfolgt und umfassender konkretisiert ( 27 ).

55.

Dieselbe Unterscheidung wird in den Leitlinien der Kommission MEDDEV 2.1/6 ( 28 ) (im Folgenden: Leitlinien) zur Einstufung der im Gesundheitswesen verwendeten eigenständigen Software vorgenommen.

56.

Diese Leitlinien sind zwar nicht rechtlich bindend, können aber bei einer systematischen Auslegung des anwendbaren Rechtsrahmens berücksichtigt werden. Mit ihnen will die Kommission den Herstellern bei der Anwendung der Richtlinie 93/42 Orientierung bieten. Sie wurden gemeinsam von den Behörden der Mitgliedstaaten, den Dienststellen der Kommission, der Gesundheitsindustrie und den auf diesem Sektor akkreditierten Stellen ausgearbeitet und geben die Auslegung der gesetzlichen Regelung in der Praxis wieder ( 29 ).

57.

Nach den Leitlinien kann Software nicht als Medizinprodukt betrachtet werden, wenn sie nicht auf die Daten einwirkt oder wenn sich diese Einwirkung auf Speicherung, Archivierung, Übermittlung, „simple search“ ( 30 ) oder Komprimierung von Daten ohne Verlust beschränkt. Erzeugt oder verändert die Software hingegen die medizinischen Informationen, um der Gesundheitsfachkraft bei der Anwendung dieser Informationen zu helfen, kann es sich um ein Medizinprodukt handeln ( 31 ).

58.

Die französische Regierung, die diese zweifache Klassifizierung übernimmt, vertritt die Ansicht, dass die ICCA-Software rein administrative Funktionen erfülle: Sie speichere die Daten der Patienten, die Angaben zum Preis, den Internationalen Freinamen und die Existenz von Generika der Arzneimittel. Es handele sich folglich um eine Art Datenbank, die die Ärzte beim Verschreiben unterstütze, aber weder medizinische Informationen erzeuge noch verändere. Sie stehe daher in keinem Zusammenhang mit den Zielsetzungen des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 und falle nicht in deren Anwendungsbereich.

59.

Die französische Regierung räumt ein, dass eine Software zur Unterstützung bei der Verschreibung für medizinische Zwecke bestimmte Module oder Funktionalitäten wie die Verarbeitung von Patientendaten zu therapeutischen und diagnostischen Zwecken oder der Verbesserung medizinischer Bilder enthalten könne. In ihren schriftlichen Erklärungen und in der mündlichen Verhandlung hat sie zugestanden, dass eine Software wie ICCA hinsichtlich solcher Module als Medizinprodukt im Sinne der Richtlinie 93/42 angesehen werden könne. Sie vertrat jedoch die Ansicht, dass die Vorlagefrage auf die Funktionalität (oder das Modul) der Unterstützung bei der Verschreibung dieses Programms beschränkt sei.

60.

Ich kann mich dieser Lektüre des Vorlagebeschlusses nicht anschließen und bin der Auffassung, dass das vorlegende Gericht fragt, ob ICCA im Licht all seiner Funktionalitäten und Module ein Medizinprodukt ist oder nicht. Die Vorlagefrage ist insoweit nicht zweideutig, denn sie bezieht sich sowohl auf die „administrativen bzw. managementbezogenen“ ( 32 ) als auch die „medizinischen“ ( 33 ) Aspekte der Software.

61.

Logischerweise ist es Sache des vorlegenden Gerichts, unter Berücksichtigung der im Verfahren vorgelegten Beweisunterlagen (und gegebenenfalls von Gutachten) abschließend zu entscheiden, in welchem Umfang die Software die Patientendaten, die die Gesundheitsfachkräfte in sie eingeben, sammelt, analysiert und interpretiert.

62.

Ungeachtet dieses Vorbehalts lassen die Angaben im Vorlagebeschluss und die Anlagen zu den schriftlichen Erklärungen, die SNITEM und Philips eingereicht haben, darauf schließen, dass ihre Thesen zu bejahen und die der französischen Regierung zu verneinen sind. Die Sammlung, die Analyse und die Verarbeitung von Patientendaten, Vorgänge, aufgrund derer die ICCA-Software Unterstützung bei der Feststellung von Kontraindikationen, Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln und Überdosierungen bietet, unterscheiden dieses Computertool von solchen mit rein administrativem Charakter. Stattdessen deutet alles darauf hin, dass seine Spezifik es in die Nähe von Software rückt, die eigentliche medizinische Funktionen erfüllt.

63.

Nach den Leitlinien der Kommission darf sich, wie bereits ausgeführt, die Software, um die Eigenschaft eines Medizinprodukts aufzuweisen, nicht auf die Speicherung und Archivierung der Daten beschränken ( 34 ), sondern muss diese Daten ändern oder interpretieren.

64.

Wenn ich die technischen Erläuterungen in den zur Akte gereichten Unterlagen richtig verstehe, besteht genau darin die Eigenschaft der ICCA-Software. Ausgehend von den über den Patienten gesammelten Daten (die von anderen Systemen und Geräten stammen können, an die der Patient angeschlossen ist) und mit Hilfe ihrer Berechnungsfunktionen wandelt die Software diese Daten automatisch in für die Gesundheitsfachkraft nützliche Informationen um und schlägt gleichzeitig die geeigneten Arzneimitteldosierungen vor.

65.

Der Conseil d’État (Staatsrat) führt in seiner Vorlage aus, dass diese Funktionalität „es ermöglicht, die Daten eines Patienten zu nutzen, um dessen Arzt bei der Ausstellung seiner Verschreibung zu helfen“ ( 35 ). Das vorlegende Gericht scheint mithin davon auszugehen, dass die ICCA-Software über die Speicherung von Daten hinausgeht. Konkret erleichtert sie auf diese Weise die Arbeit von Anästhesisten und Intensivpflegekräften, die sogar in Echtzeit und anhand der Hinweise, die das Programm gibt, entscheiden können, welche Behandlung für den Kranken geeignet ist ( 36 ).

66.

Zusammenfassend und – ich wiederhole – unbeschadet der abschließenden Prüfung durch das vorlegende Gericht sprechen die im Vorabentscheidungsverfahren beigebrachten Informationen dafür, dass die Funktionen der ICCA-Software über die von Software administrativer Natur sowie zur reinen Speicherung und Archivierung von Daten hinausgehen, und erlauben ihre Einstufung als Medizinprodukt.

67.

Es ist insoweit bezeichnend (und die Kläger des Ausgangsverfahrens unterstreichen dies auch), dass die Leitlinien anderer nationaler Behörden mit Zuständigkeiten im Gesundheitsbereich, die auf der Linie mit der Kommission ähnliche Software wie ICCA als Medizinprodukt einstufen, zu demselben Ergebnis kommen ( 37 ).

68.

Schließlich führt die französische Agence nationale de sécurité du médicament et des produits de santé (ANSM) (Nationale Agentur für die Sicherheit von Arzneimitteln und Medizinprodukten) auf ihrer Website ( 38 ) aus, dass „mit Ausnahme der Funktionen zur Berechnung individueller Dosierungen die Funktionen … nicht als bestimmend für ein Medizinprodukt angesehen werden“.

69.

Der vom vorlegenden Gericht hervorgehobene Umstand, dass die ICCA-Software selbst nicht im oder am menschlichen Körper wirkt, hindert nicht an ihrer Einstufung als Medizinprodukt.

70.

Wie nämlich die Kommission zutreffend vorträgt, bezweckt eine Software, soweit sie die Verschreibung von Arzneimitteln unterstützt, letztendlich, eine korrekte Wirkung am menschlichen Körper zu erreichen, wie es bei der Einnahme von Arzneimitteln der Fall ist. Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 verlangt keine unmittelbare Wirkung des Produkts, sondern nur die „Unterstützung“ der Hauptwirkung, so dass dieser Umstand der Einstufung dieser Software als „Medizinprodukt“ nicht entgegensteht.

71.

Die vorstehenden Überlegungen veranlassen mich zu der Schlussfolgerung, dass eine Software mit den Eigenschaften von ICCA medizinische Funktionen erfüllt, die über die rein administrativen hinausgehen und den in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42 genannten Zwecken dienen. Mithin kann sie als „Medizinprodukt“ im Sinne dieser Richtlinie definiert werden.

IV. Ergebnis

72.

Nach alledem schlage ich dem Gerichtshof vor, die Vorlagefrage des Conseil d’État (Staatsrat, Frankreich) folgendermaßen zu beantworten:

Vorbehaltlich der abschließenden Beurteilung ihrer Funktionalitäten, die Sache des vorlegenden Gerichts ist, kann eine Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln, wie sie Gegenstand des Rechtsstreits ist, als Medizinprodukt im Sinne des Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 93/42/EWG des Rates vom 14. Juli 1993 über Medizinprodukte eingestuft werden, wenn sie dem Arzt die zur Feststellung der einschlägigen Kontraindikationen, Wechselwirkungen von Medikamenten und Überdosierungen erforderlichen Informationen liefert.


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Rates vom 14. Juni 1993 über Medizinprodukte (ABl. 1993, L 169, S. 1).

( 3 ) Die spanische Fassung der Richtlinie 93/42 verwendet den Begriff „Produkte“, während andere von „Hilfsmitteln“ sprechen. Mit der spanischen stimmt die deutsche Fassung („Medizinprodukte“) überein, während die französische („dispositifs“), die italienische („dispositivi“), die portugiesische („dispositivos“), die englische („devices“) und die rumänische („dispizitivele“) das andere Wort verwenden. Ich glaube jedoch nicht, dass diese terminologischen Unterschiede für die Software, die Gegenstand dieses Rechtsstreits ist, von Bedeutung sind.

( 4 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. September 2007 zur Änderung der Richtlinien 90/385/EWG des Rates zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über aktive implantierbare medizinische Geräte und 93/42/EWG des Rates über Medizinprodukte sowie der Richtlinie 98/8/EG über das Inverkehrbringen von Biozid-Produkten (ABl. 2007, L 247, S. 21).

( 5 ) Décret no 2014-1359, du 14 novembre 2014, relatif à l’obligation de certification des logiciels d’aide à la prescription médicale et des logiciels d’aide à la dispensation prévue à l’article L. 161‑38 du code de la sécurité sociale (Dekret Nr. 2014‑1359 vom 14. November 2014 über die in Art. L. 161‑38 des Code de la sécurité sociale vorgesehene Zertifizierungspflicht von Software zur Unterstützung bei der Verschreibung von Arzneimitteln und von Software zur Unterstützung bei ihrer Abgabe, JORF vom 15. November 2014, S. 19255).

( 6 ) Durch den Code de la santé publique wird das französische Recht an die Richtlinie 93/42 angepasst.

( 7 ) Anhang 2 ihrer schriftlichen Erklärungen.

( 8 ) [Betrifft nur die Originalsprache.]

( 9 ) Urteil vom 24. November 2016, Lohmann & Rauscher International (C‑662/15, EU:C:2016:903, Rn. 27 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 10 ) Vorschlag für eine Richtlinie des Rates über medizintechnische Produkte vom 23. August 1991, KOM(91) 287 endg., S. 3.

( 11 ) Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs geht „[a]us diesen Bestimmungen … hervor, dass die Medizinprodukte, deren Konformität mit den grundlegenden Anforderungen der Richtlinie 93/42 nach einem der in Art. 11 dieser Richtlinie vorgesehenen Verfahren bewertet worden ist und die mit einer CE-Kennzeichnung versehen sind, in der gesamten Union frei verkehrsfähig sein müssen, ohne dass ein Mitgliedstaat verlangen kann, dass ein solches Produkt einem neuen Konformitätsbewertungsverfahren unterzogen wird. Aus diesem Grund ist in der Richtlinie 93/42 kein Mechanismus zur Konformitätskontrolle vorgesehen, der zu den in ihrem Art. 11 vorgesehenen Mechanismen hinzuträte oder diese ergänzte“ (Urteile vom 24. November 2016, Lohmann & Rauscher International, C‑662/15, EU:C:2016:903, Rn. 30, und vom 14. Juni 2007, Medipac-Kazantzidis, C‑6/05, EU:C:2007:337, Rn. 42).

( 12 ) Urteile vom 11. Juli 1974, Dassonville (8/74, EU:C:1974:82, Rn. 5), vom 20. Februar 1979, Rewe-Zentral (das sogenannte Cassis-de-Dijon-Urteil) (120/78, EU:C:1979:42), vom 22. September 2016, Kommission/Tschechische Republik (C‑525/14, EU:C:2016:714, Rn. 34 und 25), und vom 23. Dezember 2015, Scotch Whisky Association (C‑333/14, EU:C:2015:845, Rn. 31).

( 13 ) Urteil vom 22. November 2012, Brain Products (C‑219/11, EU:C:2012:742).

( 14 ) Ebd. (Rn. 17).

( 15 ) Urteil vom 4. März 2015, Oliver Medical (C‑547/13, EU:C:2015:139, Rn. 50 ff.).

( 16 ) Ebd. (Rn. 52).

( 17 ) Ebd. (Rn. 53).

( 18 ) Urteil vom 27. Oktober 2016, James Elliott Construction (C‑613/14, EU:C:2016:821, Rn. 38 und 39). Im Urteil vom 16. Oktober 2014, Kommission/Deutschland (C‑100/13, nicht veröffentlicht, EU:C:2014:2293, Rn. 63), hat der Gerichtshof ausgeführt, dass ein Mitgliedstaat für Bauprodukte, die ordnungsgemäß mit der CE-Kennzeichnung versehen waren, nicht mit der Begründung, die harmonisierten Normen seien unvollständig, eine zusätzliche nationale Kennzeichnung verlangen kann.

( 19 ) Nr. 83 der Erklärungen der Klägerinnen.

( 20 ) Nr. 21 ihrer schriftlichen Erklärungen.

( 21 ) Rechtssache C‑109/12, EU:C:2013:353, Nr. 38. Generalanwältin Sharpston zufolge wird ein Medizinprodukt anhand i) seiner physischen Erscheinungsform (es kann sich um „alle … Instrumente, Apparate, Vorrichtungen, Stoffe oder andere Gegenstände“ handeln), ii) seiner Anwendung (für Menschen), iii) seines Zwecks (die vier in Art. 1 Abs. 2 Buchst. a der Medizinprodukterichtlinie aufgeführten Kategorien von Wirkungsweisen) und iv) der Mittel, durch die seine bestimmungsgemäße Hauptwirkung oder ‑wirkungsweise erreicht wird (die „im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch“ erreicht werden darf, „deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann“), definiert.

( 22 ) Nr. 23 ihrer schriftlichen Erklärungen.

( 23 ) Siehe Nr. 11 der vorliegenden Schlussanträge.

( 24 ) Zwar meine ich, dass ICCA eine eigenständige Software und kein Zubehör eines anderen Produkts ist, aber dieser Umstand wird in nächster Zukunft wahrscheinlich an Relevanz verlieren. In der Verordnung (EU) 2017/745 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 5. April 2017 über Medizinprodukte, zur Änderung der Richtlinie 2001/83/EG, der Verordnung (EG) Nr. 178/2002 und der Verordnung (EG) Nr. 1223/2009 und zur Aufhebung der Richtlinien 90/385/EWG und 93/42/EWG des Rates (ABl. 2017, L 117, S. 1) wurde auf den Begriff „eigenständig“ verzichtet, und es wird davon ausgegangen, dass Software ein aktives Produkt ist (Art. 2 Nr. 4).

( 25 ) Es ist offensichtlich, dass eine unangemessene Verschreibung eines Arzneimittels ohne Berücksichtigung seiner möglichen Kontraindikationen oder seiner Wechselwirkungen mit anderen Arzneimitteln oder ohne ausreichende Informationen über die geeignete Dosierung den Zustand des Patienten verschlechtern oder bei ihm neue Gesundheitsprobleme auslösen kann.

( 26 ) Urteil vom 22. November 2012, Brain Products (C‑219/11, EU:C:2012:742, Rn. 16).

( 27 ) Der 19. Erwägungsgrund der Verordnung 2017/745 lautet: „Es muss eindeutig festgelegt werden, dass Software als solche, wenn sie vom Hersteller speziell für einen oder mehrere der in der Definition von Medizinprodukten genannten medizinischen Zwecke bestimmt ist, als Medizinprodukt gilt, während Software für allgemeine Zwecke, auch wenn sie in Einrichtungen des Gesundheitswesens eingesetzt wird, sowie Software, die für Zwecke in den Bereichen Lebensstil und Wohlbefinden eingesetzt wird, kein Medizinprodukt ist. Die Einstufung der Software entweder als Produkt oder als Zubehör ist unabhängig vom Ort der Software und von der Art der Verbindung zwischen der Software und einem Produkt.“

( 28 ) „Guidelines on the qualification and classification of stand alone software used in healthcare within the regulatory framework of medical devices“ – MEDDEV 2.1/6. Die Fassung von Januar 2012 wurde durch die von Juli 2016 geändert.

( 29 ) Vgl. die Schlussanträge des Generalanwalts Mengozzi in der Rechtssache Brain Products (C‑219/11, EU:C:2012:299, Nr. 14).

( 30 ) In den MEDDEV 2.1/6, S. 11, heißt es: „‚Simple search‘ refers to the retrieval of records by matching record metadata against record search criteria, e.g. library functions. Simple search does not include software which provides interpretative search results, e.g. to identify medical findings in health records or on medical images.“

( 31 ) In den MEDDEV 2.1/6, S. 11, heißt es: „Software which is intended to create or modify medical information might be qualified as a medical device. If such alterations are made to facilitate the perceptual and/or interpretative tasks performed by the healthcare professionals when reviewing medical information, (e.g. when searching the image for findings that support a clinical hypothesis as to the diagnosis or evolution of therapy) the software could be a medical device.“

( 32 )

( 33 )

( 34 ) Das EDV-System zur Verwaltung eines Krankenhauses wäre beispielsweise kein Medizinprodukt. Dies ergibt sich aus den MEDDEV 2.1/6, S. 19: „Hospital Information Systems mean, in this context, systems that support the process of patient management. Typically they are intended for patient admission, for scheduling patient appointments, for insurance and billing purposes. These Hospital Information Systems are not qualified as medical devices.“

( 35 ) Hervorhebung nur hier.

( 36 ) Beispiele für Software, die als Medizinprodukt eingestuft wird und Funktionen erfüllt, die denen der ICCA-Software vergleichbar sind, sind in den MEDDEV 2.1/6, S. 20, aufgeführt: „In general, they are computer based tools which combine medical knowledge databases and algorithms with patient specific data. They are intended to provide healthcare professionals and/or users with recommendations for diagnosis, prognosis, monitoring and treatment of individual patients. Based on steps 3, 4, and 5 of Figure 1, they are qualified as medical devices: – Radiotherapy treatment planning systems are intended to calculate the dosage of ionizing irradiation to be applied to a specific patient. They are considered to control, monitor or directly influence the source of ionizing radiation and are qualified as medical devices. – Drug (e.g.: Chemotherapy) planning systems are intended to calculate the drug dosage to be administered to a specific patient and therefore are qualified as medical devices …“.

( 37 ) Die Medicines & Healthcare products Regulatory Agency (MHRA) des Vereinigten Königreichs führt in ihrem Leitfaden „Medical device stand-alone software including apps“ (2016) aus, dass es sich bei Entscheidungsunterstützungssoftware um ein Medizinprodukt handele, sofern sie sich der automatischen Inferenz bediene. Die dänische Lægemiddelstyrelsen stellt in ihrer „Guidance for manufacturers on health apps and software as medical devices“ (2015) klar, dass der Umstand, dass eine Software mit einer Berechnungsfunktion ausgestattet sei, darauf schließen lasse, dass es sich um ein Medizinprodukt handele. Ähnliche Worte verwendet das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) der Bundesrepublik Deutschland, dessen Leitfaden „Orientierungshilfe Medical Apps“ (2015) zwischen Software, die Medikamentendosierungen berechnet (und die als Medizinprodukte eingestuft werden kann) und Software, die nur die Informationen wiedergibt, aus denen der Anwender selbst die Dosierung ableitet, unterscheidet. Es führt zudem aus, dass es sich bei Entscheidungsunterstützungssoftware im Allgemeinen um ein Medizinprodukt handele.

( 38 ) http://ansm.sante.fr/Activites/Mise-sur-le-marche-des-dispositifs-medicaux-et-dispositifs-medicaux-de-diagnostic-in-vitro-DM-DMIA-DMDIV/Logiciels-et-applications-mobiles-en-sante/%28offset %29/1