SCHLUSSANTRÄGE DER GENERALANWÄLTIN

JULIANE KOKOTT

vom 20. Juli 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑187/16

Europäische Kommission

gegen

Republik Österreich

„Vertragsverletzungsverfahren – Öffentliche Dienstleistungsaufträge – Richtlinien 92/50/EWG, 2004/18/EG und 2009/81/EG – Art. 346 AEUV – Erfordernis besonderer Sicherheitsmaßnahmen – Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen des Staates – Herstellung von Ausweisdokumenten und anderen offiziellen Dokumenten – Beauftragung der Österreichischen Staatsdruckerei ohne vorherige Durchführung eines Vergabeverfahrens“

I. Einleitung

1.

Dass offizielle Dokumente wie biometrische Reisepässe, Personalausweise, Führerscheine und Aufenthaltstitel unter Beachtung besonderer Geheimhaltungs- und Sicherheitsanforderungen hergestellt werden müssen, versteht sich von selbst. Denn die Ausstellung solcher Dokumente ist Ausdruck der Wahrnehmung grundlegender staatlicher Funktionen. Ihre Verwendung ist im Alltag an der Tagesordnung und das Vertrauen von jedermann auf ihre Echtheit und Richtigkeit von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Folglich haben Versorgungssicherheit, Fälschungssicherheit sowie ein verantwortlicher Umgang mit diesen Dokumenten einschließlich der bei ihrer Herstellung verarbeiteten Daten höchste Priorität, und Missbräuchen muss wirksam vorgebeugt werden ( 2 ).

2.

Ob allerdings diese Erwägungen es rechtfertigen, die Herstellung solcher Dokumente ohne jedes Vergabeverfahren ausschließlich einem bestimmten, als besonders vertrauenswürdig eingeschätzten Unternehmen zu überantworten, wird der Gerichtshof im vorliegenden Vertragsverletzungsverfahren zu klären haben.

3.

Konkret wirft die Europäische Kommission der Republik Österreich vor, die unionsrechtlichen Vorgaben zur Vergabe öffentlicher Aufträge zu missachten, indem sie die Herstellung sicherheitsrelevanter Dokumente ausschließlich der – ehemals staatlichen und heute privatisierten – Österreichischen Staatsdruckerei GmbH vorbehält.

4.

Über den Anlassfall hinaus ist der vorliegende Rechtsstreit auch deshalb von Bedeutung, weil der Gerichtshof darin ein weiteres Mal den Spielraum ausleuchten wird, der den Mitgliedstaaten zur Abweichung vom Unionsrecht verbleibt, wenn sie sich auf ihre in Art. 346 Abs. 1 AEUV genannten wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen berufen. In einer Zeit, in der die Bedrohung durch den internationalen Terrorismus und die organisierte Kriminalität, aber auch die Frage der wirksamen Kontrolle von Migrationsströmen allenthalben im Fokus des öffentlichen Interesses stehen, könnte dieser Fall aktueller kaum sein.

II. Rechtlicher Rahmen

A.  Unionsrecht

5.

Der unionsrechtliche Rahmen des vorliegenden Falles wird einerseits durch die primärrechtlichen Bestimmungen der Art. 49, 56 und 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV (ehemals Art. 43, 49 und 296 Abs. 1 Buchst. a EG) gezogen, andererseits durch einige sekundärrechtliche Vorschriften aus den Richtlinien 92/50/EWG ( 3 ) und 2004/18/EG ( 4 ), wobei erstere Richtlinie für den Zeitraum bis zum 31. Januar 2006 und letztere für alle späteren Zeiträume von Belang ist.

Die Richtlinien zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge

6.

Für die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge, die das „Verlegen und Drucken gegen Vergütung oder auf vertraglicher Grundlage“ zum Gegenstand haben, schreibt sowohl die Richtlinie 92/50 als auch die Richtlinie 2004/18 grundsätzlich die Durchführung von Vergabeverfahren nach unionsrechtlichen Vorgaben vor. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 8 und Art. 15 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang IA Nr. 15 der Richtlinie 92/50 bzw. aus Art. 20 in Verbindung mit Anhang II Teil A Nr. 15 der Richtlinie 2004/18.

Ausnahmen von der Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens

7.

Allerdings nimmt sowohl die Richtlinie 92/50 als auch die Richtlinie 2004/18 von ihrem Anwendungsbereich Aufträge aus, die der Geheimhaltung unterliegen oder bestimmte Sicherheitsmaßnahmen erfordern.

Für die Richtlinie 92/50 ergibt sich dies aus deren Art. 4 Abs. 2, der wie folgt abgefasst ist:

„Diese Richtlinie findet keine Anwendung auf öffentliche Dienstleistungsaufträge, die gemäß den Rechts- und Verwaltungsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaats für geheim erklärt werden oder deren Ausführung nach diesen Vorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, oder wenn der Schutz wesentlicher Interessen der Sicherheit dieses Staates es gebietet.“

Eine im Wesentlichen inhaltsgleiche Vorschrift ist in Art. 14 der Richtlinie 2004/18 enthalten:

„Diese Richtlinie gilt nicht für öffentliche Aufträge, die für geheim erklärt werden oder deren Ausführung nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert, oder wenn der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen dieses Mitgliedstaats es gebietet.“

8.

Der Hintergrund dieser Ausnahme vom Anwendungsbereich der unionsrechtlichen Vergabeverfahren für öffentliche Dienstleistungsaufträge wird im 14. Erwägungsgrund der Richtlinie 92/50 erstmals erläutert:

„Im Dienstleistungsbereich sind dieselben Ausnahmen wie in den Richtlinien 71/305/EWG und 77/62/EWG vorzusehen betreffend die Sicherheit des Staates, staatliche Geheimhaltung und den Vorrang für besondere Vergabeverfahren etwa aufgrund von internationalen Abkommen, der Stationierung von Truppen oder der Vorschriften von internationalen Organisationen.“

9.

Im Erwägungsgrund 22 der Richtlinie 2004/18 wird diese Ausnahme für die Staatssicherheit und die staatliche Geheimhaltung wie folgt fortgeschrieben:

„Es sollte vorgesehen werden, dass in bestimmten Fällen von der Anwendung der Maßnahmen zur Koordinierung der Verfahren aus Gründen der Staatssicherheit oder der staatlichen Geheimhaltung abgesehen werden kann, oder wenn besondere Vergabeverfahren zur Anwendung kommen, die sich aus internationalen Übereinkünften ergeben, die die Stationierung von Truppen betreffen oder für internationale Organisationen gelten.“

10.

Ergänzend ist auf Art. 10 der Richtlinie 2004/18 hinzuweisen, der durch die Richtlinie 2009/81/EG ( 5 ) für „Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit“ folgende Fassung erhalten hat:

„Diese Richtlinie gilt – vorbehaltlich des [Art. 346 AEUV] – für öffentliche Aufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit, mit Ausnahme der unter die Richtlinie 2009/81/EG … fallenden Aufträge.

Diese Richtlinie gilt nicht für Aufträge, die nach den Artikeln 8, 12 und 13 der Richtlinie 2009/81/EG von deren Anwendungsbereich ausgenommen sind.“

11.

Ausweislich ihres Art. 13 Buchst. a, der unter der Überschrift „Besondere Ausnahmen“ steht, findet schließlich die Richtlinie 2009/81 ihrerseits keine Anwendung auf „Aufträge, bei denen die Anwendung der Vorschriften dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat zwingen würde, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens nach seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht“.

12.

Die Umsetzungsfrist für die Richtlinie 2009/81 lief gemäß ihrem Art. 72 Abs. 1 am 21. August 2011 ab.

Besondere unionsrechtliche Vorgaben für Reisepässe und Personalausweise

13.

Speziell für Reisepässe und Personalausweise ist außerdem noch auf die Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 ( 6 ) hinzuweisen. Zum Gegenstand jener Verordnung empfiehlt sich zunächst ein Blick auf ihren vierten Erwägungsgrund, der diese Erläuterungen enthält:

„Diese Verordnung beschränkt sich auf die Angleichung der Sicherheitsmerkmale einschließlich biometrischer Identifikatoren für die Pässe und Reisedokumente der Mitgliedstaaten. Die Benennung der Behörden und Stellen, die zum Zugriff auf die im Speichermedium der Dokumente gespeicherten Daten befugt sind, ist — vorbehaltlich etwaiger einschlägiger Bestimmungen des Gemeinschaftsrechts, des Rechts der Europäischen Union oder internationaler Übereinkünfte — nach nationalem Recht zu regeln.“

14.

In Art. 3 der Verordnung Nr. 2252/2004 ist sodann Folgendes geregelt:

„(1)   Nach dem in Artikel 5 Absatz 2 genannten Verfahren[ ( 7 )] kann beschlossen werden, dass die Spezifikationen nach Artikel 2[ ( 8 )] geheim sind und nicht veröffentlicht werden. In diesem Falle werden sie ausschließlich den von den Mitgliedstaaten für den Druck bestimmten Stellen sowie Personen zugänglich gemacht, die von einem Mitgliedstaat oder der Kommission hierzu ordnungsgemäß ermächtigt worden sind.

(2)   Jeder Mitgliedstaat benennt eine für den Druck der Pässe und Reisedokumente zuständige Stelle. Er teilt der Kommission und den anderen Mitgliedstaaten den Namen dieser Stelle mit. Eine Stelle kann von zwei oder mehr Mitgliedstaaten gleichzeitig benannt werden. Jeder Mitgliedstaat hat die Möglichkeit, die benannte Stelle zu wechseln. Er setzt die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten davon in Kenntnis.“

B.  Nationales Recht

15.

Die Österreichische Staatsdruckerei ( 9 ) ist privatrechtlich in Form einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH) organisiert. Einziger Gesellschafter dieser GmbH ist die Österreichische Staatsdruckerei Holding AG, deren Aktien an der Börse notiert sind und von Privaten gehalten werden.

16.

Nach der am 12. September 2014 in Österreich geltenden Sach- und Rechtslage ( 10 ) ist die Herstellung von Reisepässen mit Chip, von Notpässen, Aufenthaltstiteln, Personalausweisen, Führerscheinen im Scheckkartenformat, Zulassungsscheinen (für Kraftfahrzeuge) im Scheckkartenformat und von Pyrotechnik-Ausweisen der Staatsdruckerei überantwortet.

17.

Gemäß § 1a Satz 2 und § 2 Abs. 2 Nr. 1 des Staatsdruckereigesetzes 1996 ( 11 ) hat die Staatsdruckerei insbesondere „die Herstellung von Druckprodukten für die Bundesdienststellen, bei deren Herstellungsprozess Geheimhaltung beziehungsweise die Einhaltung von Sicherheitsvorschriften (Sicherheitsdruck) geboten ist“, wahrzunehmen. Ferner ist in § 2 Abs. 3 des Staatsdruckereigesetzes 1996 niedergelegt, dass die Bundesorgane mit der Herstellung der genannten Druckprodukte „ausschließlich die [Staatsdruckerei] zu betrauen“ haben ( 12 ).

18.

Unter der Überschrift „Überwachung des Sicherheitsdruckes“ bestimmt § 6 Abs. 1 des Staatsdruckereigesetzes 1996 darüber hinaus, dass die die Herstellung, Bearbeitung und Lagerung von Sicherheitsdrucken betreffenden Geschäfts- und Arbeitsvorgänge der Überwachung durch den für den jeweiligen Sicherheitsdruck zuständigen Bundesminister unterliegen. Gemäß § 6 Abs. 2 desselben Gesetzes hat die Staatsdruckerei alle zur Vermeidung von Missbrauch erforderlichen Sicherheitsmaßnahmen für die Herstellung, Bearbeitung und Lagerung von Sicherheitsdrucken zu treffen. Schließlich hat die Staatsdruckerei nach § 6 Abs. 3 des besagten Gesetzes dem für den jeweiligen Sicherheitsdruck zuständigen Bundesminister in dem für die Überwachung erforderlichen Umfang Zutritt zu den Geschäftsräumlichkeiten und Einsicht in die betreffenden Geschäftsunterlagen zu gewähren.

III. Sachverhalt und Vorverfahren

19.

Mit Mahnschreiben vom 6. April 2011 machte die Kommission Österreich auf Bedenken hinsichtlich der Vereinbarkeit der Direktvergabe bestimmter Dienstleistungsaufträge über den Druck offizieller Dokumente an die Staatsdruckerei mit den Bestimmungen des AEUV sowie der Richtlinien 92/50 und 2004/18 aufmerksam. Konkret ging es dabei seinerzeit um Reisepässe mit Chip, um Notpässe, Aufenthaltstitel, Personalausweise, Führerscheine im Scheckkartenformat, Zulassungsscheine im Papier- und im Scheckkartenformat, Pyrotechnik-Ausweise, Schiffsführerpatente, Sicherheitsdokumentvordrucke, Suchtgiftvignetten und Mopedausweise.

20.

In seiner Antwort vom 7. Juni 2011 berief sich Österreich auf den Schutz wesentlicher Interessen der nationalen Sicherheit. Die Bewahrung geheimer Informationen, die Sicherung der Echtheit und Richtigkeit der betroffenen Dokumente, die Versorgungssicherheit und die Sicherung des Schutzes sensibler Daten rechtfertige es, die Druckaufträge allein an die Staatsdruckerei zu vergeben. Denn nur die Staatsdruckerei weise die entsprechenden organisatorischen, technischen und baulichen Sicherheitsmaßnahmen auf, um diese Aufträge durchzuführen. Mit Schreiben vom 17. Juli 2012 und vom 28. März 2013 ergänzte Österreich seine diesbezüglichen Ausführungen.

21.

Am 10. Juli 2014 gab die Kommission eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab. Darin betonte die Kommission, es sei durchaus möglich, eine öffentliche Ausschreibung so zu gestalten, dass allein Unternehmen zum Zuge kommen könnten, die auf die Herstellung von Dokumenten mit besonderen Sicherheitsanforderungen spezialisiert seien und entsprechend überwacht würden.

22.

Österreich reagierte am 10. September 2014 auf die mit Gründen versehene Stellungnahme. Im Wesentlichen berief sich der Mitgliedstaat erneut auf seine nationalen Sicherheitsinteressen und betonte, die Durchführung der Druckaufträge sei eng mit der öffentlichen Ordnung und dem institutionellen Funktionieren des Staates verknüpft. Ihre unmittelbare Vergabe an die Staatsdruckerei rechtfertige sich aus der Notwendigkeit einer Versorgungsgarantie und der Sicherstellung von Produktionsbedingungen, die die Beachtung besonderer Geheimhaltungs- und Sicherheitsvorschriften gewährleisten. Gegenüber anderen Unternehmen als der Staatsdruckerei könne die Einhaltung der Sicherheitsanforderungen nur mit Mitteln des Zivilrechts durchgesetzt werden, wohingegen den staatlichen Behörden Österreichs kraft Gesetzes gegenüber der Staatsdruckerei besondere Kontrollbefugnisse zustünden.

23.

Im Laufe des Vorverfahrens ließ die Kommission nach und nach ihre Vorwürfe in Bezug auf Mopedausweise, Zulassungsscheine im Papierformat, Schiffsführerpatente, Sicherheitsdokumentvordrucke und Suchtgiftvignetten fallen, da diese Dokumente teils abgeschafft wurden, teils ihre Herstellung Gegenstand einer Ausschreibung war ( 13 ). Ansonsten erhielt sie jedoch ihre Vorwürfe aufrecht und wies darauf hin, dass Österreich der Nachweis der Notwendigkeit einer Direktvergabe der streitigen Druckaufträge an die Staatsdruckerei obliege.

IV. Anträge der Parteien und Verfahren vor dem Gerichtshof

24.

Mit Schriftsatz vom 4. April 2016 hat die Kommission beim Gerichtshof gemäß Art. 258 Abs. 2 AEUV die vorliegende Klage erhoben. Darin beantragt sie, wie folgt zu entscheiden:

1)

Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Art. 49 und 56 AEUV bzw. aus Art. 4 in Verbindung mit den Art. 11 bis 37 der Richtlinie 92/50/EWG sowie den Art. 14, 20 und 23 bis 55 der Richtlinie 2004/18/EG verstoßen,

dass sie Dienstleistungsaufträge zur Herstellung von bestimmten Dokumenten wie Reisepässen mit Chip, Notpässen, Aufenthaltstiteln, Personalausweisen, Pyrotechnik-Ausweisen, Führerscheinen im Scheckkartenformat und Zulassungsscheinen im Scheckkartenformat unterhalb und oberhalb der für die Richtlinien 92/50 und 2004/18 geltenden Schwellenwerte in der Zeit vor und nach der Umsetzung der Richtlinie 2004/18 unmittelbar an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH erteilt hat, und

dass sie nationale Vorschriften, wie insbesondere § 2 Abs. 3 des Bundesgesetzes zur Neuordnung der Rechtsverhältnisse der Österreichischen Staatsdruckerei, beibehält, die öffentliche Auftraggeber zur Erteilung dieser Dienstleistungsaufträge ausschließlich an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH verpflichten.

2)

Die Republik Österreich trägt die Kosten des Verfahrens.

25.

Für ihren Teil ersucht die Republik Österreich den Gerichtshof,

die gegenständliche Klage der Kommission abzuweisen und

der Klägerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.

26.

Vor dem Gerichtshof wurde über die Klage der Kommission schriftlich und, am 7. Juni 2017, mündlich verhandelt.

V. Würdigung

27.

Zum gegenwärtigen Zeitpunkt beschränkt sich der Streitgegenstand dieses Vertragsverletzungsverfahrens nurmehr auf die Herstellung von Reisepässen mit Chip, von Notpässen, Personalausweisen, Aufenthaltstiteln, Führerscheinen im Scheckkartenformat, Zulassungsscheinen im Scheckkartenformat und von Pyrotechnik-Ausweisen. Hingegen hat die Kommission bereits im Lauf des außergerichtlichen Vorverfahrens ihre Vorwürfe in Bezug auf die Herstellung von Zulassungsscheinen im Papierformat, Schiffsführerpatenten, Suchtgiftvignetten, Sicherheitsdokumentvordrucken und Mopedausweisen fallen gelassen.

28.

Die Klage der Kommission ist begründet, wenn und soweit kraft Unionsrechts bestimmte Vorgaben für die Vergabe der streitgegenständlichen Druckaufträge bestanden (siehe dazu sogleich, Abschnitt A), die Österreich nicht eingehalten hat und denen es sich nicht unter Berufung auf wesentliche nationale Sicherheitsinteressen entziehen konnte (siehe dazu weiter unten, Abschnitt B).

29.

Nur der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass im vorliegenden Fall eine Anwendung der Rechtsprechung über „In-House“-Geschäfte ( 14 ) nicht in Betracht kommt, da die Republik Österreich die Staatsdruckerei nicht mehr wie eine eigene Dienststelle kontrolliert. Vielmehr handelt es sich um ein rein privatrechtlich organisiertes Unternehmen, das vollständig im Eigentum von Privaten steht.

A.  Unionsrechtliche Pflichten im Hinblick auf die Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge durch mitgliedstaatliche Stellen

30.

Bei den streitgegenständlichen Druckaufträgen handelt es sich völlig unstreitig um öffentliche Dienstleistungsaufträge gemäß den im maßgeblichen Zeitraum anwendbaren unionsrechtlichen Bestimmungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge. Konkret folgte dies für die Zeit bis zum 31. Januar 2006 aus Anhang IA Nr. 15 der Richtlinie 92/50 und für die Zeit danach aus Anhang II Teil A Nr. 15 der Richtlinie 2004/18, wo jeweils das „Verlegen und Drucken gegen Vergütung oder auf vertraglicher Grundlage“ dem Bereich der prioritären Dienstleistungen zugeordnet wird. Für solche Dienstleistungen machen die beiden Richtlinien den öffentlichen Auftraggebern detaillierte Vorgaben zu den anzuwendenden Vergabeverfahren.

1. Sekundärrechtliche Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens für den Druck aller Dokumente mit Ausnahme der Pyrotechnik-Ausweise

31.

Einigkeit besteht zwischen den Parteien darüber, dass alle in Rede stehenden Druckaufträge mit Ausnahme jenes zur Herstellung von Pyrotechnik-Ausweisen im Wert oberhalb der in den beiden Richtlinien 92/50 und 2004/18 festgelegten Schwellenwerte für öffentliche Dienstleistungsaufträge lagen.

32.

Damit bestand – vorbehaltlich der noch weiter unten zu erörternden Frage des Schutzes wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen ( 15 ) – für alle diese Aufträge grundsätzlich die Pflicht zur Durchführung eines Vergabeverfahrens nach den Vorgaben des Sekundärrechts der Union. Dies ergibt sich aus Art. 3 Abs. 1, Art. 11 Abs. 1, Art. 8 und Art. 15 Abs. 2 in Verbindung mit Anhang IA Nr. 15 der Richtlinie 92/50 bzw. aus Art. 20 in Verbindung mit Anhang II Teil A Nr. 15 der Richtlinie 2004/18.

2. Primärrechtliche Pflicht zur Herstellung eines Mindestmaßes an Publizität für den Auftrag zum Druck von Pyrotechnik-Ausweisen

33.

Was hingegen den Auftrag zum Druck von Pyrotechnik-Ausweisen anbelangt, dessen geschätzter Wert bei nur 56000 Euro lag und somit die Schwellenwerte der Richtlinien 92/50 bzw. 2004/18 für öffentliche Dienstleistungsaufträge deutlich unterschritt, so bestand keine sekundärrechtliche Verpflichtung zur Durchführung eines Vergabeverfahrens.

34.

Zwar bedeutet dies nicht, dass derartige öffentliche Aufträge dem Unionsrecht vollends entzogen wären. Vielmehr gebieten nach gefestigter Rechtsprechung ( 16 ) die Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts – im vorliegenden Fall die Niederlassungsfreiheit und die Dienstleistungsfreiheit (d. h. die Art. 43 und 49 EG für die Zeit vor dem 1. Dezember 2009 sowie die Art. 49 und 56 AEUV seit dem 1. Dezember 2009) – und insbesondere die aus diesen Grundfreiheiten ableitbare Transparenzpflicht, dass auch im Vorfeld der Vergabe von öffentlichen Dienstleistungsaufträgen im Unterschwellenbereich ein angemessener Grad von Öffentlichkeit sichergestellt wird, sofern an dem jeweiligen Auftrag ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse besteht.

35.

Im vorliegenden Fall streiten die Kommission und Österreich jedoch darüber, ob genau ein solches eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse an dem in Rede stehenden Auftrag zum Druck von Pyrotechnik-Ausweisen tatsächlich bestand.

36.

Wie Österreich zu Recht hervorhebt, liegt im geringen Wert eines Auftrags ein Indiz gegen das Vorliegen eines eindeutigen grenzüberschreitenden Interesses. Der Kommission ist zwar zuzugeben, dass das Bestehen oder Nichtbestehen eines solchen grenzüberschreitenden Interesses nicht allein am Auftragswert festgemacht werden kann; vielmehr ist eine Gesamtwürdigung aller relevanten Umstände des jeweiligen Einzelfalls unverzichtbar ( 17 ). Meines Erachtens ergibt aber auch eine solche Gesamtwürdigung im vorliegenden Fall kein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse.

37.

Sicherlich zeichnet sich der Markt für die Herstellung fälschungssicherer Dokumente insgesamt durch ein hohes Maß an Spezialisierung und internationaler Verflechtung aus. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, dass schon kleinere Aufträge aus einem Mitgliedstaat auf ein reges grenzüberschreitendes Interesse anderswo in der Europäischen Union oder im Europäischen Wirtschaftsraum (EWR) stoßen können. Die Kommission hat jedoch im vorliegenden Fall nicht hinreichend erläutert, inwieweit ausgerechnet für den Druck österreichischer Pyrotechnik-Ausweise, die nach den unbestrittenen Angaben Österreichs zu einer Stückzahl von etwa 400 pro Jahr und zu einem Stückpreis von 35 Euro hergestellt werden, ein eindeutiges grenzüberschreitendes Interesse bestehen soll.

38.

Wenig aufschlussreich ist in diesem Zusammenhang der von der Kommission ins Feld geführte Umstand, dass auch die Staatsdruckerei ihrerseits von mehreren ausländischen Staaten mit der Herstellung von Visa und Reisepässen beauftragt wurde. Denn Visa und Reisepässe werden in deutlich größerer Stückzahl und nach einheitlichen unionsrechtlichen Vorgaben gedruckt, anders als Pyrotechnik-Ausweise. Das grenzüberschreitende Interesse an Druckaufträgen für Visa und Reisepässe ist somit deutlich größer und nicht vergleichbar mit dem Interesse an Druckaufträgen für Pyrotechnik-Ausweise.

39.

Alles in allem sprechen also die von der Kommission vorgetragenen Umstände nicht eindeutig für das Bestehen eines grenzüberschreitenden Interesses an dem Druckauftrag für Pyrotechnik-Ausweise. Damit ist die Kommission insoweit der ihr obliegenden Beweislast ( 18 ) nicht nachgekommen. Folglich kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass Österreich kraft Unionsprimärrechts gehalten war, vor der Vergabe des Druckauftrags für die Pyrotechnik-Ausweise ein Mindestmaß an Publizität herzustellen. Österreich durfte folglich den besagten Auftrag aus unionsrechtlicher Sicht unmittelbar der Staatsdruckerei zuschlagen, ohne zuvor andere Unternehmen als Auftragnehmer in Erwägung zu ziehen.

B.  Ausnahmen von den unionsrechtlichen Pflichten

40.

In Bezug auf denjenigen Teil der Klage der Kommission, welcher sich nicht mit Pyrotechnik-Ausweisen befasst, bleibt nunmehr zu erörtern, ob und inwieweit der zweifelsohne sensible Charakter der streitgegenständlichen Druckaufträge dazu führen kann, dass Österreich diese Aufträge in Abweichung von den soeben geschilderten unionsrechtlichen Pflichten unmittelbar an die Staatsdruckerei vergeben durfte, ohne andere Unternehmen in irgendeiner Weise als Auftragnehmer in Erwägung zu ziehen.

41.

Österreich führt in diesem Zusammenhang Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 und Art. 14 der Richtlinie 2004/18 ins Treffen. Auf den zwischen den Parteien ebenfalls intensiv erörterten Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV (ehemals Art. 296 Abs. 1 Buchst. a EG) beruft sich Österreich hier nicht. Dies wurde in der mündlichen Verhandlung klargestellt ( 19 ). Ich halte es gleichwohl für sinnvoll, Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV nachfolgend mit zu erörtern, da sich auf jene Vorschrift letztlich alle genannten Richtlinienbestimmungen zurückführen lassen und mit ihr in engem Zusammenhang stehen.

1. Allgemeines

42.

Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV stellt auf der Ebene des Primärrechts klar, dass ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet ist, Auskünfte zu erteilen, deren Preisgabe seines Erachtens seinen wesentlichen Sicherheitsinteressen widerspricht. Anders als der sich anschließende Buchst. b jenes Artikels ist Buchst. a schon nach seinem Wortlaut nicht nur auf die Bereiche Waffen, Munition und Kriegsmaterial beschränkt, sondern schützt ganz allgemein die wesentlichen Sicherheitsinteressen der Mitgliedstaaten und kann deshalb auch bei nichtmilitärischen Beschaffungsvorgängen wie den hier in Rede stehenden Druckaufträgen zur Anwendung gelangen ( 20 ). Weigert sich ein Mitgliedstaat, einen öffentlichen Auftrag auszuschreiben oder sonstwie publik zu machen, so enthält er letztlich der interessierten Öffentlichkeit relevante Informationen über ein bevorstehendes Beschaffungsvorhaben vor. Damit weicht er also im Sinne von Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV von seiner auf diesem Gebiet bestehenden unionsrechtlichen Pflicht zur Erteilung von Auskünften ab.

43.

Sekundärrechtlich wird die in Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV zum Ausdruck kommende Möglichkeit zur Abweichung von unionsrechtlichen Pflichten für das Recht der öffentlichen Aufträge zum einen in Art. 13 Buchst. a der Richtlinie 2009/18 und zum anderen in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 sowie in Art. 14 der Richtlinie 2004/18 konkretisiert. In letzteren beiden Vorschriften heißt es jeweils mit im Wesentlichen gleichlautenden Formulierungen, dass die Vorschriften dieser Richtlinien nicht für öffentliche Aufträge gelten,

die für geheim erklärt werden oder

deren Ausführung nach den in dem betreffenden Mitgliedstaat geltenden Rechts- und Verwaltungsvorschriften besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordert,

oder wenn der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen dieses Mitgliedstaats es gebietet.

44.

Dabei beruft sich Österreich lediglich auf die beiden zuletzt genannten Varianten von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 und Art. 14 der Richtlinie 2004/18, also auf den Umstand, dass die streitgegenständlichen Druckaufträge seiner Meinung nach besondere Sicherheitsmaßnahmen erfordern (zweite Variante) und der Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen des Staates betroffen ist (dritte Variante). Ein etwaiges Geheimhaltungsbedürfnis der Druckaufträge (erste Variante) macht Österreich hingegen nicht geltend.

45.

Im Kern bringen Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50, Art. 14 der Richtlinie 2004/18 und Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV allesamt denselben Rechtsgedanken zum Ausdruck, und zwar, dass es den Mitgliedstaaten zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen gestattet ist, von den ihnen eigentlich obliegenden unionsrechtlichen Verpflichtungen abzuweichen. Dementsprechend empfiehlt es sich, alle diese Ausnahmen gemeinsam zu würdigen, wobei die zu Art. 346 Abs. 1 AEUV – namentlich zu dessen Buchst. b – ergangene umfangreiche Rechtsprechung auch als Richtschnur für das Verständnis von Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 und von Art. 14 der Richtlinie 2004/18 dienen kann.

2. Ermessen der Mitgliedstaaten bezüglich ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen

46.

Bei den wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen handelt es sich um einen unionsrechtlichen Begriff, der autonom auszulegen ist. Er umfasst sowohl die äußere Sicherheit als auch die innere Sicherheit der Mitgliedstaaten ( 21 ).

47.

Anerkanntermaßen ist jedem Mitgliedstaat im Hinblick auf die Definition seiner wesentlichen Sicherheitsinteressen ein weiter Ermessensspielraum einzuräumen ( 22 ); dies zeigt schon die Verwendung der Worte „seines Erachtens“ in Art. 346 Abs. 1 AEUV.

48.

Allerdings können die unionsrechtlichen Bestimmungen zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen nicht als Ermächtigung der Mitgliedstaaten ausgelegt werden, durch bloße Berufung auf diese Interessen von ihren unionsrechtlichen Pflichten abzuweichen ( 23 ). Vielmehr obliegt es jeweils den Mitgliedstaaten, substantiiert darzulegen, welche nationalen Sicherheitsinteressen genau berührt sind und inwieweit die Einhaltung bestimmter unionsrechtlicher Verpflichtungen konkret diesen Sicherheitsinteressen widersprechen würde.

49.

In überzeugender Weise macht Österreich im vorliegenden Fall geltend, die Ausstellung der in Rede stehenden offiziellen Dokumente berühre grundlegende Funktionen des Staates ( 24 ). Beispielsweise dienen Reisepässe und Personalausweise zum Nachweis der Identität, der Staatsangehörigkeit und des Alters von Personen. In der Praxis sichert die Vorlage solcher Dokumente nicht zuletzt das Recht ihrer Inhaber zur Teilnahme an Wahlen, ihre Freiheit zu reisen, sich in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union bzw. in anderen Vertragsstaaten des EWR aufzuhalten und dort gegebenenfalls ein Studium aufzunehmen oder einer Erwerbstätigkeit nachzugehen. Ein Führerschein gibt Auskunft über die Berechtigung seines Inhabers zum Führen von Kraftfahrzeugen und damit zur aktiven Teilnahme am Straßenverkehr; unter bestimmten Umständen mag er sogar als Identitätsnachweis anerkannt werden.

50.

Wie Österreich zutreffend hervorhebt, ist beim Druck dieser und ähnlicher Dokumente darauf zu achten, dass erstens ihre Echtheit und Fälschungssicherheit garantiert sind, dass zweitens die Sicherheitsvorkehrungen zu ihrer Herstellung nicht Unbefugten zur Kenntnis kommen, dass drittens die zuverlässige Versorgung der staatlichen Stellen mit den betreffenden Dokumenten sichergestellt ist, und dass viertens ein hohes Maß an Schutz für die bei der Herstellung der Dokumente verarbeiteten personenbezogenen Daten gewährleistet wird.

51.

Selbst wenn man der Kommission folgt und daran zweifelt, ob und inwieweit speziell der zuletzt genannte Aspekt des Datenschutzes als Frage der nationalen Sicherheit angesehen werden kann ( 25 ), so ist es doch unbestreitbar, dass jedenfalls alle anderen aufgeführten Gesichtspunkte – Echtheit und Fälschungssicherheit von offiziellen Dokumenten, Schutz der Sicherheitsvorkehrungen zu ihrer Herstellung und Gewährleistung einer Versorgungssicherheit – wesentliche nationale Sicherheitsinteressen berühren können.

52.

Grundsätzlich darf sich also Österreich auf seine wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen und die zu ihrem Schutz erforderlichen Maßnahmen berufen, wie sie in Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV, in Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 und in Art. 14 der Richtlinie 2004/18 erwähnt sind. Ausschlaggebend für die Lösung des vorliegenden Falles ist aber die Frage, ob diese Sicherheitsinteressen und ‑maßnahmen es rechtfertigen können, auf die unionsrechtlich vorgeschriebenen Vorgehensweisen zur Vergabe öffentlicher Aufträge völlig zu verzichten. Dieser Frage wende ich mich nunmehr zu.

3. Ausnahmecharakter von Maßnahmen zum Schutz der wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen und Grundsatz der Verhältnismäßigkeit

53.

Da Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV Abweichungen von den Grundfreiheiten ermöglicht, die im System der Verträge von fundamentaler Bedeutung sind, handelt es sich um eine eng auszulegende Ausnahmevorschrift ( 26 ). Entsprechendes gilt für Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie 92/50 und Art. 14 der Richtlinie 2004/18, die ihrerseits Ausnahmen vom Geltungsbereich der unionsrechtlichen Regelungen über die Vergabe öffentlicher Aufträge und damit letztlich ebenfalls Ausnahmen von den Grundfreiheiten der Verträge vorsehen ( 27 ).

54.

Bei der Inanspruchnahme dieser Ausnahmevorschriften ist der betreffende Mitgliedstaat, auch wenn man ihm ein weites Ermessen in Sicherheitsbelangen zugesteht, nicht völlig frei, sondern unterliegt der Kontrolle des Gerichtshofs. Insbesondere obliegt es diesem Mitgliedstaat, nachzuweisen, dass die von ihm ergriffenen Maßnahmen erforderlich sind, um seine wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen zu wahren ( 28 ). Der betreffende Mitgliedstaat muss sich also letztlich einer Verhältnismäßigkeitsprüfung stellen.

55.

Österreich stützt sich hier im Wesentlichen auf drei Argumente, um zu begründen, warum eine Direktvergabe der streitgegenständlichen Druckaufträge an die Staatsdruckerei gerechtfertigt sein soll: Erstens erfordere die Wahrung der wesentlichen nationalen Sicherheitsinteressen die zentralisierte Ausführung der Druckaufträge mittels Beauftragung eines einzigen Unternehmens, zweitens seien wirksame behördliche Kontrollen bei der Durchführung sicherheitsrelevanter Druckaufträge notwendig, und drittens müsse der Auftragnehmer als solcher vertrauenswürdig sein. Wie ich im Folgenden ausführen werde, hält im konkreten Fall keines dieser Argumente einer näheren Prüfung stand.

a) Zum Erfordernis der zentralisierten Ausführung der Druckaufträge

56.

Als Erstes beruft sich Österreich auf die Notwendigkeit einer zentralisierten Ausführung der streitgegenständlichen Druckaufträge durch ein einziges Unternehmen. Hierdurch werde den österreichischen Behörden die Kontrolle über die ordnungsgemäße Ausführung der Aufträge unter Einhaltung der erforderlichen Geheimhaltungs- und Sicherheitsvorkehrungen erleichtert. Außerdem verringere sich die Gefahr, dass diese Sicherheitsvorkehrungen Unbefugten zur Kenntnis kommen oder dass sensibles Material (z. B. Vordrucke für Reisepässe oder Aufenthaltstitel) Unbefugten in die Hände fällt.

57.

Zwar mag die Zentralisierung der Auftragsausführung in einem Fall wie dem vorliegenden aus den von Österreich genannten Gründen als Beitrag zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen – und womöglich auch als Beitrag zum Datenschutz – angesehen werden. Allerdings ist das Argument der Zentralisierung letztlich nur geeignet, zu erklären, warum immer nur ein einziges Unternehmen (und nicht mehrere zugleich) mit den streitgegenständlichen Druckaufträgen betraut wird. Hingegen lässt sich unter Berufung auf das Zentralisierungserfordernis nicht plausibel begründen, warum es zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen notwendig sein soll, immer nur dasselbe Unternehmen – namentlich die Staatsdruckerei – zu beauftragen.

58.

Auch der von Österreich ins Feld geführte Art. 3 Abs. 2 der Verordnung Nr. 2252/2004 führt zu keiner anderen Bewertung. Zwar trifft es zu, dass die Mitgliedstaaten in besagter Vorschrift verpflichtet werden, eine zuständige Stelle für den Druck von Pässen und Reisedokumenten zu benennen. Zur Art und Weise der Auswahl dieser zuständigen Stelle durch die Mitgliedstaaten schweigt die Vorschrift jedoch. Insbesondere steht sie der vorherigen Durchführung eines Vergabeverfahrens unter Einhaltung unionsrechtlicher Anforderungen in keiner Weise entgegen. Dies bestätigt auch ein Blick auf den Gesamtzusammenhang, in den sich die besagte Vorschrift einbettet. Ausweislich ihres vierten Erwägungsgrundes beschränkt sich nämlich die Verordnung Nr. 2252/2004 auf die Angleichung der Sicherheitsmerkmale für Pässe und Reisedokumente, wohingegen die Benennung der zuständigen Behörden und Stellen durch die Mitgliedstaaten ausdrücklich unter dem Vorbehalt der etwa einschlägigen Bestimmungen des Unionsrechts steht. Zu eben diesen Bestimmungen des Unionsrechts, deren Einhaltung die Verordnung Nr. 2252/2004 unberührt lässt, gehört nicht zuletzt das Recht der öffentlichen Aufträge, wie es sich aus den Grundfreiheiten sowie aus den Richtlinien 92/50 und 2004/18 ergibt.

b) Zum Erfordernis wirksamer behördlicher Kontrollen

59.

Als Zweites betont Österreich die Bedeutung wirksamer behördlicher Kontrollen im Zusammenhang mit der Herstellung der in Rede stehenden Dokumente. Auch aus diesem Grund sei es gerechtfertigt, die Staatsdruckerei mit den streitgegenständlichen Druckaufträgen zu betrauen.

60.

Dazu ist anzumerken, dass der sensible Charakter dieser Druckaufträge ohne jeden Zweifel die Durchführung strenger, auch unangemeldeter behördlicher Kontrollen gegenüber dem beauftragten Unternehmen notwendig machen kann. Allerdings darf Österreich in diesem Zusammenhang nur solche Maßnahmen treffen, die tatsächlich zur Gewährleistung der Wirksamkeit dieser Kontrollen erforderlich sind. Eine Vorgehensweise, die dazu führt, alle anderen potenziellen Bieter als die Staatsdruckerei von vornherein von der Auftragsvergabe auszuschließen, geht über dasjenige hinaus, was zur Erreichung des legitimen Ziels wirksamer Kontrollen notwendig ist.

61.

Österreich wendet ein, dass seine Behörden nach der geltenden Rechtslage – genauer gesagt nach § 6 Abs. 3 des Staatsdruckereigesetzes 1996 – nur gegenüber der Staatsdruckerei hoheitliche Kontrollbefugnisse hätten, nicht aber gegenüber anderen Unternehmen. Insbesondere könne gegenüber ausländischen Unternehmen im Problemfall nicht hoheitlich, sondern allenfalls auf zivilrechtlicher Basis vorgegangen werden.

62.

Dieser Einwand überzeugt jedoch nicht. Zwar lässt sich nicht bestreiten, dass speziell hoheitliche Kontrollbefugnisse zum Schutz wesentlicher nationaler Sicherheitsinteressen erforderlich sein können, weil sie wirkungsvoller sind als rein zivilrechtlich in einem Vertrag ausbedungene Kontrollrechte. Allerdings rechtfertigt dieser Umstand für sich allein genommen nicht, die bestehenden unionsrechtlichen Vorgaben für die Vergabe öffentlicher Aufträge völlig unbeachtet zu lassen und von vornherein immer nur ein bestimmtes Unternehmen – die Staatsdruckerei – als Auftragnehmer in Betracht zu ziehen.

63.

Vielmehr obliegt es dem jeweiligen Mitgliedstaat – hier: Österreich –, für einen möglichst schonenden Ausgleich zwischen seinen sicherheitsbedingten Kontrollbedürfnissen einerseits und seinen unionsrechtlichen Verpflichtungen andererseits zu sorgen. In diesem Zusammenhang kämen durchaus weniger einschneidende Maßnahmen im Hinblick auf das Recht der öffentlichen Aufträge in Betracht, die es auch anderen Unternehmen als der Staatsdruckerei erlaubt hätten, sich um die streitgegenständlichen Druckaufträge zu bewerben:

Statt Unternehmen mit Sitz in anderen Vertragsstaaten des EWR gänzlich von der Auftragsvergabe auszuschließen, könnte Österreich allen Interessenten nötigenfalls zur Auflage machen, die in Rede stehenden Druckaufträge im Fall eines Zuschlags von einer Betriebsstätte im Inland aus zu erledigen ( 29 ), die dabei anfallenden persönlichen Daten ausschließlich im Inland zu verarbeiten sowie weder solche Daten noch sicherheitsrelevante Informationen über ausländische Datenleitungen oder Server zu leiten oder sie an im Ausland belegene Unternehmensteile oder gar an ausländische Behörden weiterzugeben.

Und statt hoheitliche Kontrollbefugnisse wie die in § 6 Abs. 3 des Staatsdruckereigesetzes 1996 allein gegenüber der Staatsdruckerei vorzusehen, könnte der österreichische Gesetzgeber die zuständigen staatlichen Stellen ganz allgemein ermächtigen, derartige Kontrollen bei allen Unternehmen mit Betriebsstätten im Inland durchzuführen, wenn sie dort sicherheitsrelevante Druckaufträge ausführen.

c) Zum Erfordernis der Vertrauenswürdigkeit des Auftragnehmers

64.

Als Drittes bringt Österreich schließlich vor, man habe die Staatsdruckerei speziell deshalb mit den streitgegenständlichen Druckaufträgen betraut, weil zwischen diesem Unternehmen und den zuständigen staatlichen Stellen eine besondere Vertrauensbeziehung bestehe.

65.

Zutreffend ist, dass es zum Schutz wesentlicher Sicherheitsinteressen eines Mitgliedstaats erforderlich sein kann, den Kreis der in Betracht zu ziehenden Kandidaten für die Vergabe eines öffentlichen Auftrags auf diejenigen Unternehmen zu beschränken, die als besonders zuverlässig und vertrauenswürdig eingestuft werden.

66.

Allerdings würde es den Grundgedanken des Europäischen Binnenmarkts im Allgemeinen und des Rechts der öffentlichen Aufträge im Besonderen in eklatanter Weise widersprechen ( 30 ), wenn ein Mitgliedstaat gleichsam willkürlich ein einziges Unternehmen – zumal seinen ehemals staatlichen und nunmehr privatisierten „historischen“ Dienstleister auf einem bestimmten Gebiet – nach dem Motto „bekannt und bewährt“ als besonders zuverlässig und vertrauenswürdig einstuft, wohingegen er allen anderen Unternehmen von vornherein die Zuverlässigkeit und Vertrauenswürdigkeit abspricht oder sie jedenfalls in Zweifel zieht.

67.

Dies zeigt nicht zuletzt ein Vergleich mit öffentlichen Aufträgen im militärischen und sicherheitspolitischen Bereich, die ebenfalls höchst sensible Materien betreffen und gleichwohl in aller Regel einem Vergabeverfahren nach unionsrechtlichen Vorgaben zu unterziehen sind ( 31 ). Insbesondere hat der Gerichtshof bereits entschieden, dass die Notwendigkeit, eine Geheimhaltungspflicht vorzusehen, keineswegs an einer Auftragsvergabe im Ausschreibungsverfahren hindert ( 32 ). Die unionsrechtlichen Regeln über die Vergabe öffentlicher Aufträge lassen den öffentlichen Auftraggebern hinreichend Spielraum für die notwendigen Sicherheits- und Geheimhaltungsvorkehrungen auf sensiblem Gebiet, sei es im Verfahren bis zur Auswahl der geeignetsten Auftragnehmer oder später im Stadium der Auftragsausführung.

68.

So hindert nichts den öffentlichen Auftraggeber daran, bei der Vergabe von sensiblen öffentlichen Aufträgen wie den hier streitgegenständlichen über die Herstellung offizieller Dokumente besonders hohe Anforderungen an die Eignung und Zuverlässigkeit der Auftragnehmer zu stellen, Ausschreibungsbedingungen und Dienstleistungsverträge entsprechend zu gestalten sowie von den Bewerbern die nötigen Nachweise zu verlangen. Außerdem dürfen den Auftragnehmern Auflagen zur Ausführung der Druckaufträge gemacht werden, die nicht zuletzt Datenschutz-, Geheimhaltungs- und Sicherheitsvorkehrungen sowie die zu duldenden behördlichen Kontrollen umfassen können, einschließlich einer Sicherheitsüberprüfung aller mit der Auftragsausführung befassten Mitarbeiter. Zu einem Auftrag intuitu personae, der nur von einer ganz bestimmten Person auszuführen ist, macht all dies die Herstellung von offiziellen Dokumenten jedoch nicht.

69.

In der mündlichen Verhandlung hat Österreich noch zu bedenken gegeben, dass ausländische Unternehmen sich nicht gänzlich dem Zugriff der Behörden ihres jeweiligen Herkunftslands entziehen könnten und teilweise sogar verpflichtet seien, mit den dortigen Geheimdiensten zusammenzuarbeiten, und zwar auch dann, wenn sie öffentliche Aufträge von einer inländischen Betriebsstätte aus erledigen. Deshalb kämen solche Unternehmen als Auftragnehmer für sensible Druckaufträge wie die hier streitgegenständlichen nicht in Betracht.

70.

Wie ich bereits an anderer Stelle ausgeführt habe ( 33 ), können sich gewisse Abweichungen von den unionsrechtlich vorgeschriebenen Vergabeverfahren in der Tat dadurch rechtfertigen, dass ein Mitgliedstaat sicherheitsrelevante Informationen nicht ohne Weiteres gegenüber ausländischen oder von Ausländern kontrollierten Unternehmen offenbaren will, insbesondere, wenn es sich um Unternehmen oder Personen aus Drittstaaten handelt. Auch kann ein Mitgliedstaat in legitimer Weise darauf achten, dass er sich hinsichtlich seiner Versorgung mit sensiblen Gütern nicht in die Abhängigkeit von Drittstaaten oder von Unternehmen aus Drittstaaten begibt.

71.

Nach gefestigter Rechtsprechung ist jedoch eine Maßnahme nur dann geeignet, die Verwirklichung des geltend gemachten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen ( 34 ). Im vorliegenden Fall hat Österreich, soweit ersichtlich, keinerlei Vorkehrungen getroffen, die wirksam verhindern könnten, dass die Staatsdruckerei unter die Kontrolle ausländischer Anteilseigner gerät oder zur Tochtergesellschaft einer ausländischen juristischen Person wird. Weder hat sich der österreichische Staat in der Staatsdruckerei sicherheitspolitisch motivierte Mitspracherechte in Form einer Sonderaktie („goldene Aktie“) ausbedungen ( 35 ), noch hat er die Veräußerung von Gesellschaftsanteilen der Staatsdruckerei aus sicherheitspolitischen Gründen irgendwelchen Beschränkungen unterworfen.

72.

Unter diesen Umständen besteht keine sicherheitspolitische Rechtfertigung für die kategorische Weigerung Österreichs, neben seinem „historischen“ Dienstleister auch noch andere Unternehmen – seien es andere Unternehmen aus Österreich oder aus den übrigen Vertragsstaaten des EWR – als Auftragnehmer in Erwägung zu ziehen.

C.  Zusammenfassung

73.

Alles in allem ist somit die Klage der Kommission abzuweisen, soweit die Vergabe von Druckaufträgen für Pyrotechnik-Ausweise betroffen ist. Bezüglich aller anderen Teile des Streitgegenstands ist ihrer Klage hingegen vollumfänglich stattzugeben und festzustellen, dass Österreich die von der Kommission gerügte Vertragsverletzung begangen hat.

VI. Kosten

74.

Grundsätzlich tragen die Parteien gemäß Art. 138 Abs. 3 Satz 1 der Verfahrensordnung jeweils ihre eigenen Kosten, wenn jede Partei, wie hier, teils obsiegt und teils unterliegt. Der Gerichtshof kann jedoch auf der Grundlage von Satz 2 jener Vorschrift entscheiden, dass eine Partei außer ihren eigenen Kosten auch einen Teil der Kosten der Gegenpartei trägt, wenn dies in Anbetracht der Umstände des Einzelfalls gerechtfertigt erscheint.

75.

Nach der von mir vorgeschlagenen Lösung obsiegt die Kommission weitgehend, wohingegen sich die Argumente Österreichs lediglich hinsichtlich eines kleinen Teils des Streitgegenstands – es handelt sich nur um die Pyrotechnik-Ausweise – durchsetzen. Angesichts dessen erscheint es mir im vorliegenden Fall angemessen, Österreich neben seinen eigenen Kosten auch drei Viertel der Kosten der Kommission aufzuerlegen, wohingegen die Kommission ein Viertel ihrer eigenen Kosten zu tragen hat.

VII. Ergebnis

76.

Vor dem Hintergrund der vorstehenden Ausführungen schlage ich dem Gerichtshof vor, wie folgt zu entscheiden:

1)

Die Republik Österreich hat dadurch gegen ihre Pflichten aus den Richtlinien 92/50/EWG und 2004/18/EG verstoßen, dass sie

zum einen Rechtsvorschriften wie § 2 Abs. 3 des Staatsdruckereigesetzes 1996 beibehielt, aus denen sich eine Pflicht für öffentliche Auftraggeber zur Erteilung von Druckaufträgen über die Herstellung bestimmter offizieller Dokumente an die Österreichische Staatsdruckerei GmbH ergibt, und

zum anderen ohne Vergabeverfahren konkrete Dienstleistungsaufträge zur Herstellung von Reisepässen mit Chip, von Notpässen, Aufenthaltstiteln, Personalausweisen, Führerscheinen im Scheckkartenformat und Zulassungsscheinen im Scheckkartenformat unmittelbar an die besagte Staatsdruckerei erteilte.

2)

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3)

Die Republik Österreich trägt ihre eigenen Kosten sowie drei Viertel der Kosten der Europäischen Kommission. Der Europäischen Kommission fällt ein Viertel ihrer eigenen Kosten zur Last.


( 1 ) Originalsprache: Deutsch.

( 2 ) Vgl. dazu beispielhaft den Aktionsplan für ein wirksameres europäisches Vorgehen gegen Reisedokumentenbetrug, den die Europäische Kommission in ihrer Mitteilung vom 8. Dezember 2016 an das Europäische Parlament und den Rat skizziert (COM[2016] 790 final).

( 3 ) Richtlinie 92/50/EWG des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. 1992, L 209, S. 1).

( 4 ) Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

( 5 ) Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG (ABl. 2009, L 216, S. 76).

( 6 ) Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässen und Reisedokumenten (ABl. 2004, L 385, S. 1).

( 7 ) Es handelt sich dabei um ein „Komitologieverfahren“ nach den Art. 5 und 7 des Beschlusses 1999/468/EG des Rates vom 28. Juni 1999 zur Festlegung der Modalitäten für die Ausübung der der Kommission übertragenen Durchführungsbefugnisse (ABl. 1999, L 184, S. 23).

( 8 ) Gemeint sind hier technische Spezifikationen in Bezug auf zusätzliche Sicherheitsmerkmale und –anforderungen, auf das Medium zur Speicherung biometrischer Daten und seine Sicherung, sowie auf Qualitätsanforderungen und gemeinsame Normen für Gesichtsbild und Fingerabdrücke.

( 9 ) Im Folgenden auch: Staatsdruckerei.

( 10 ) Am 12. September 2014 ist die von der Kommission in ihrer mit Gründen versehenen Stellungnahme im Sinne von Art. 258 Abs.1 AEUV gesetzte Frist abgelaufen.

( 11 ) BGBl I Nr. 1/1997.

( 12 ) Für Reisepässe mit Chip, Notpässe und Personalausweise ergibt sich dies zusätzlich aus der Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Gestaltung der Reisepässe und Passersätze, für Aufenthaltstitel aus der Verordnung der Bundesministerin für Inneres zur Durchführung des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, für Führerscheine im Scheckkartenformat aus der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Durchführung des Führerscheingesetzes, für Kraftfahrzeug-Zulassungsscheine im Scheckkartenformat aus der Verordnung des Bundesministers für Wissenschaft und Verkehr über die Einrichtung von Zulassungsstellen, für Pyrotechnik-Ausweise aus der Verordnung der Bundesministerin für Inneres über die Durchführung des Pyrotechnikgesetzes 2010. Sofern in diesen Verordnungen die zwingende Beauftragung der Staatsdruckerei nicht ausdrücklich angeordnet ist, ergibt sie sich aus dem Erfordernis der Fälschungssicherheit der genannten Dokumente, in Verbindung mit § 2 Abs. 3 des Staatsdruckereigesetzes 1996.

( 13 ) Wie sich aus den Akten ergibt, hatte Österreich am 17. Juli 2012 in Aussicht gestellt, die Mopedausweise abzuschaffen sowie ein allgemein zugängliches Vergabeverfahren für Pyrotechnik-Ausweise, Zulassungsscheine im Papierformat, Schiffsführerpatente, Sicherheitsdokumentvordrucke und Suchtgiftvignetten durchzuführen. Am 28. März 2013 bestätigte Österreich der Kommission schließlich, dass es die Mopedausweise tatsächlich abgeschafft und seine Ankündigung bezüglich der Sicherheitsdokumentvordrucke sowie der Suchtgiftvignetten umgesetzt habe. Auch in Bezug auf Schiffsführerpatente wurden die Vorwürfe der Kommission ausgeräumt, wie diese in der Klageschrift ausdrücklich feststellt.

( 14 ) Vgl. dazu, statt vieler, Urteile vom 18. November 1999, Teckal (C‑107/98, EU:C:1999:562, Rn. 50), vom 8. April 2008, Kommission/Italien (C‑337/05, EU:C:2008:203, Rn. 36), und vom 8. Dezember 2016, Undis Servizi (C‑553/15, EU:C:2016:935, Rn. 31). Die Ausnahme für „In-House“-Geschäfte gilt sowohl in denjenigen Fällen, die von den Richtlinien über öffentliche Aufträge erfasst sind, als auch in solchen, die sich allein nach den Grundfreiheiten des Europäischen Binnenmarkts bemessen: Urteile vom 13. Oktober 2005, Parking Brixen (C‑458/03, EU:C:2005:605, Rn. 60 bis 62), vom 29. November 2012, Econord (C‑182/11 und C‑183/11, EU:C:2012:758, Rn. 26), und vom 8. Dezember 2016, Undis Servizi (C‑553/15, EU:C:2016:935, Rn. 24).

( 15 ) Vgl. dazu unten, Rn. 40 bis 72 dieser Schlussanträge.

( 16 ) Urteile vom 7. Dezember 2000, Telaustria und Telefonadress (C‑324/98, EU:C:2000:669, Rn. 60 bis 62), vom 18. Juni 2002, HI (C‑92/00, EU:C:2002:379, Rn. 42, 45 und 46), vom 13. November 2007, Kommission/Irland (C‑507/03, EU:C:2007:676, Rn. 29 bis 31), vom 17. Dezember 2015, UNIS und Beaudout Père et Fils (C‑25/14 und C‑26/14, EU:C:2015:821, Rn. 27, 38 und 39), und vom 6. Oktober 2016, Tecnoedi Costruzioni (C‑318/15, EU:C:2016:747, Rn. 19).

( 17 ) In diesem Sinne Urteil vom 6. Oktober 2016, Tecnoedi Costruzioni (C‑318/15, EU:C:2016:747, Rn. 20).

( 18 ) Zur Beweispflicht der Kommission vgl. etwa Urteil vom 13. November 2007, Kommission/Irland (C‑507/03, EU:C:2007:676, Rn. 32).

( 19 ) Nur bezüglich der zuvor erörterten Pyrotechnik-Ausweise beruft sich Österreich auf Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV.

( 20 ) In diesem Sinne ausdrücklich die Kommission in ihrer Mitteilung vom 7. Dezember 2006 zu Auslegungsfragen bezüglich der Anwendung des Artikels 296 des Vertrags zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft (EGV) auf die Beschaffung von Verteidigungsgütern (KOM[2006] 779 endgültig, im Folgenden auch: Mitteilung von 2006); danach geht Art. 296 Abs. 1 Buchst. a EG (heute Art. 346 Abs. 1 Buchst. a AEUV) „über die Verteidigung hinaus und zielt allgemein auf den Schutz von Informationen, die Mitgliedstaaten nicht preisgeben können, ohne ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen zu unterminieren“ (Abschnitt 1 der Mitteilung). In eine ähnliche Richtung scheint auch Generalanwalt Ruiz-Jarabo Colomer in seinen Schlussanträgen in den Rechtssachen Kommission/Finnland u. a. (C‑284/05, C‑294/05, C‑372/05, C‑387/05, C‑409/05, C‑461/05 und C‑239/06, EU:C:2009:79, Rn. 106) zu tendieren.

( 21 ) Urteile vom 26. Oktober 1999, Sirdar (C‑273/97, EU:C:1999:523), und vom 11. Januar 2000, Kreil (C‑285/98, EU:C:2000:2, Rn. 17); im selben Sinne Urteile vom 10. Juli 1984, Campus Oil u. a. (72/83, EU:C:1984:256, Rn. 34 bis 36), vom 4. Oktober 1991, Richardt und Les Accessoires Scientifiques (C‑367/89, EU:C:1991:376, Rn. 22), und vom 15. Dezember 2009, Kommission/Dänemark (C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 51, erster Satz).

( 22 ) Urteil vom 30. September 2003, Fiocchi munizioni/Kommission (T‑26/01, EU:T:2003:248, Rn. 58); ebenso die Mitteilung von 2006 (zitiert in Fn. 17), wonach Art. 296 EG (heute Art. 346 AEUV) den Mitgliedstaaten „anerkanntermaßen einen weiten Ermessensspielraum“ bei der Entscheidung einräumt, wie sie ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen schützen (Abschnitt 4 der Mitteilung), und es „das Vorrecht der Mitgliedstaaten [ist], ihre wesentlichen Sicherheitsinteressen zu definieren“ (Abschnitt 5 der Mitteilung).

( 23 ) Urteile vom 16. September 1999, Kommission/Spanien (C‑414/97, EU:C:1999:417, Rn. 22 und 24), vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland (C‑284/05, EU:C:2009:778, Rn. 47), vom 7. Juni 2012, Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:324, Rn. 35), und vom 4. September 2014, Schiebel Aircraft (C‑474/12, EU:C:2014:2139, Rn. 34).

( 24 ) Ähnlich bereits die Ausführungen des Gerichtshofs im Urteil vom 15. Januar 1998, Mannesmann Anlagenbau Austria u. a. (C‑44/96, EU:C:1998:4, Rn. 24), zu den von der Staatsdruckerei übernommenen Aufgaben.

( 25 ) Die Kommission betont, Datenschutz sei zwar ein wichtiger Gemeinwohlbelang, nicht jedoch eine Frage der nationalen Sicherheit.

( 26 ) Urteile vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland (C‑284/05, EU:C:2009:778, Rn. 48) und Kommission/Dänemark (C‑461/05, EU:C:2009:783, Rn. 52), sowie vom 7. Juni 2012, Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:324, Rn. 35).

( 27 ) In diesem Sinne Urteil vom 7. Juni 2012, Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:324, Rn. 35), bezogen auf Art. 10 der Richtlinie 2004/18.

( 28 ) Urteile vom 16. September 1999, Kommission/Spanien (C‑414/97, EU:C:1999:417, Rn. 22 und 24), vom 15. Dezember 2009, Kommission/Finnland (C‑284/05, EU:C:2009:778, Rn. 48 und 49), vom 8. April 2008, Kommission/Italien (C‑337/05, EU:C:2008:203, insbesondere Rn. 53), vom 2. Oktober 2008, Kommission/Italien (C‑157/06, EU:C:2008:530, Rn. 31), und vom 7. Juni 2012, Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:324, Rn. 45); ähnlich die Mitteilung von 2006 (zitiert in Fn. 17, Abschnitt 5), nach der darzulegen ist, warum die Nichtanwendung vergaberechtlicher Vorschriften im spezifischen Fall für den Schutz eines wesentlichen Sicherheitsinteresses notwendig ist.

( 29 ) Zwar stellt ein solches Erfordernis einer Betriebsstätte im Inland de facto die Negation der Dienstleistungsfreiheit dar, gleichwohl können Mitgliedstaaten höchst ausnahmsweise ein solches Erfordernis aufstellen, wenn sie nachweisen, dass dies für die notwendigen behördlichen Kontrollen unerlässlich ist (vgl. Urteil vom 4. Dezember 1986, Kommission/Deutschland,205/84, EU:C:1986:463, Rn. 52 in Verbindung mit Rn. 54, letzter Satz).

( 30 ) Nach ständiger Rechtsprechung besteht das Hauptziel der Unionsvorschriften über das öffentliche Auftragswesen in der Verwirklichung der Niederlassungsfreiheit sowie des freien Waren- und Dienstleistungsverkehrs und in der Öffnung für einen unverfälschten Wettbewerb in allen Mitgliedstaaten; vgl., statt vieler, Urteile vom 16. Dezember 2008, Michaniki (C‑213/07, EU:C:2008:731, Rn. 39 und 53), und vom 8. Dezember 2016, Undis Servizi (C‑553/15, EU:C:2016:935, Rn. 28).

( 31 ) Vgl. dazu Art. 10 der Richtlinie 2004/18 sowie allgemein die Richtlinie 2009/81.

( 32 ) Urteile vom 8. April 2008, Kommission/Italien (C‑337/05, EU:C:2008:203, Rn. 52), und vom 2. Oktober 2008, Kommission/Italien (C‑157/06, EU:C:2008:530, Rn. 30); im selben Sinne Urteil vom 7. Juni 2012, Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:324, Rn. 45 am Ende).

( 33 ) Vgl. dazu bereits meine Schlussanträge in der Rechtssache Insinööritoimisto InsTiimi (C‑615/10, EU:C:2012:26, Rn. 66).

( 34 ) Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer (C‑169/07, EU:C:2009:141, Rn. 55), vom 17. November 2009, Presidente del Consiglio dei Ministri (C‑169/08, EU:C:2009:709, Rn. 42), und vom 13. Juli 2016, Pöpperl (C‑187/15, EU:C:2016:550, Rn. 34). Diese zu den Grundfreiheiten ergangene Rechtsprechung muss auch für die sekundärrechtlichen Vorschriften zur Vergabe öffentlicher Aufträge gelten, zumal diese der Verwirklichung der Grundfreiheiten dienen (vgl. dazu auch meine Schlussanträge in der Rechtssache Persidera, C‑112/16, EU:C:2017:250, Rn. 66 mit Fn. 46).

( 35 ) Vgl. dazu etwa Urteil vom 4. Juni 2002, Kommission/Belgien (C‑503/99, EU:C:2002:328).