SCHLUSSANTRÄGE DES GENERALANWALTS

MANUEL CAMPOS SÁNCHEZ-BORDONA

vom 21. Juni 2017 ( 1 )

Rechtssache C‑178/16

Impresa di Costruzioni Ing. E. Mantovani SpA,

Guerrato SpA

gegen

Provincia autonoma di Bolzano,

Agenzia per i procedimenti e la vigilanza in materia di contratti pubblici di lavori servizi e forniture (ACP),

Autorità nazionale anticorruzione (ANAC),

Beteiligte:

Società Italiana per Condotte d’Acqua SpA,

Inso Sistemi per le Infrastrutture Sociali SpA

(Vorabentscheidungsersuchen des Consiglio di Stato [Staatsrat, Italien])

„Öffentliche Aufträge – Erklärung, dass keine rechtskräftigen Strafurteile gegen ehemalige Verwaltungsratsmitglieder der Bietergesellschaft vorliegen – Verpflichtung der Gesellschaft, bei Meidung des Ausschlusses von der Teilnahme am Vergabeverfahren nachzuweisen, dass sie sich vollständig und tatsächlich von dem Verhalten des früheren Verwaltungsratsmitglieds distanziert hat – Beurteilung der Anforderungen im Zusammenhang mit dieser Verpflichtung durch den öffentlichen Auftraggeber“

1. 

Nach den Vorschriften des italienischen Rechts über öffentliche Aufträge ist es (nach Maßgabe der nachfolgend erörterten Details) verboten, solche Aufträge an Personen zu vergeben, die wegen schwerer Straftaten zum Nachteil des Staates „oder der Gemeinschaft“, die ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellen, verurteilt worden sind. Dieses Verbot betrifft auch Unternehmen, deren Verwaltungsratsmitglieder wegen solcher Delikte strafrechtlich verfolgt worden sind, es sei denn, die Unternehmen weisen nach, dass sie sich vollständig und tatsächlich von dem strafrechtlich relevanten Verhalten ihrer Verwaltungsratsmitglieder distanziert haben.

2. 

Der Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) muss über ein Rechtsmittel gegen ein Urteil entscheiden, das die Entscheidung eines öffentlichen Auftraggebers bestätigt, ein Unternehmen, dessen Verwaltungsratsmitglied wegen mehrerer solcher Straftaten verurteilt worden war, von einem Vergabeverfahren auszuschließen. Zusammenfassend wird dem Gerichtshof zur Beilegung der Streitigkeit die Frage vorgelegt, ob die italienische Rechtsvorschrift, auf deren Grundlage dieser Ausschluss erfolgt ist, mit der Richtlinie 2004/18/EG ( 2 ) vereinbar ist.

3. 

Das Vorabentscheidungsersuchen gibt dem Gerichtshof Gelegenheit zu einer weiteren Präzisierung seiner Rechtsprechung zur Befugnis der Mitgliedstaaten, den Inhalt der in der Richtlinie 2004/18 aufgeführten fakultativen Ausschlussgründe zu konkretisieren und zu modifizieren.

I. Rechtlicher Rahmen

A.  Unionsrecht

Richtlinie 2004/18

4.

Art. 45 („Persönliche Lage des Bewerbers bzw. Bieters“) bestimmt:

„(1)   Ein Bewerber oder Bieter ist von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn der öffentliche Auftraggeber Kenntnis davon hat, dass dieser Bewerber oder Bieter aus einem der nachfolgenden Gründe rechtskräftig verurteilt worden ist:

a)

Beteiligung an einer kriminellen Organisation im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der gemeinsamen Maßnahme 98/773/JI des Rates,

b)

Bestechung im Sinne von Artikel 3 des Rechtsakts des Rates vom 26. Mai 1997 ... und von Artikel 3 Absatz 1 der gemeinsamen Maßnahme 98/742/JI des Rates …,

c)

Betrug im Sinne von Artikel 1 des Übereinkommens über den Schutz der finanziellen Interessen der Europäischen Gemeinschaften,

d)

Geldwäsche im Sinne von Artikel 1 der Richtlinie 91/308/EWG des Rates vom 10. Juni 1991 zur Verhinderung der Nutzung des Finanzsystems zum Zwecke der Geldwäsche.

Die Mitgliedstaaten legen im Einklang mit ihren nationalen Rechtsvorschriften und unter Beachtung des Gemeinschaftsrechts die Bedingungen für die Anwendung dieses Absatzes fest.

Sie können Ausnahmen von der in Unterabsatz 1 genannten Verpflichtung aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses zulassen.

Zum Zwecke der Anwendung dieses Absatzes verlangen die öffentlichen Auftraggeber gegebenenfalls von den Bewerbern oder Bietern die Vorlage der in Absatz 3 genannten Unterlagen, und sie können die nach ihrem Ermessen erforderlichen Informationen über die persönliche Lage dieser Bewerber oder Bieter bei den zuständigen Behörden einholen, wenn sie Bedenken in Bezug auf die persönliche Lage dieser Bewerber oder Bieter haben. Betreffen die Informationen einen Bewerber oder Bieter, der in einem anderen Staat als der öffentliche Auftraggeber ansässig ist, so kann dieser die zuständigen Behörden um Mitarbeit ersuchen. Nach Maßgabe des nationalen Rechts des Mitgliedstaats, in dem der Bewerber oder Bieter ansässig ist, betreffen diese Ersuchen juristische und/oder natürliche Personen, gegebenenfalls auch die jeweiligen Unternehmensleiter oder jede andere Person, die befugt ist, den Bewerber oder Bieter zu vertreten, in seinem Namen Entscheidungen zu treffen oder ihn zu kontrollieren.

(2)   Von der Teilnahme am Vergabeverfahren [können] Wirtschaftsteilnehmer ausgeschlossen werden,

c)

die aufgrund eines nach den Rechtsvorschriften des betreffenden Landes rechtskräftigen Urteils wegen eines Deliktes bestraft worden sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt;

d)

die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde;

g)

die sich bei der Erteilung von Auskünften, die gemäß diesem Abschnitt eingeholt werden können, in erheblichem Maße falscher Erklärungen schuldig gemacht oder diese Auskünfte nicht erteilt haben.

…“

5.

Art. 45 Abs. 3 lautet:

„Als ausreichenden Nachweis dafür, dass die in … Absatz 2 [Buchstabe] c … genannten Fälle auf den Wirtschaftsteilnehmer nicht zutreffen, akzeptiert der öffentliche Auftraggeber

a)

… einen Auszug aus dem Strafregister oder – in Ermangelung eines solchen – eine gleichwertige Urkunde einer zuständigen Gerichts- oder Verwaltungsbehörde des Ursprungs- oder Herkunftslands, aus der hervorgeht, dass diese Anforderungen erfüllt sind;

…“

B.  Italienisches Recht

6.

Dem Vorlagebeschluss nach bestimmt Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des Decreto Legislativo Nr. 163/2006 ( 3 ) in der in zeitlicher Hinsicht auf den vorliegenden Fall anwendbaren Fassung, dass der Grund für einen Ausschluss [von einer Teilnahme an Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bau, Liefer‑ und Dienstleistungsaufträge] wegen eines rechtskräftigen Strafurteils oder eines Strafzumessungsurteils auf Antrag im Sinne von Art. 444 des Codice di procedura penale (Strafprozessordnung) wegen der dort aufgeführten Straftaten ( 4 )„auch für Personen [gilt], die in dem Jahr vor der Ausschreibungsbekanntmachung aus ihrem Amt [in leitender Funktion] ausgeschieden sind, wenn das Unternehmen nicht nachweist, dass es sich von dem strafrechtlich sanktionierten Verhalten vollständig und tatsächlich distanziert hat“.

7.

Art. 38 Abs. 1 Buchst. f und h des Decreto Legislativo Nr. 163/2006 sehen außerdem den Ausschluss i) von Personen, die im Rahmen ihrer beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen haben, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde, und ii) von Personen, die in Bezug auf für die Teilnahme an öffentlichen Ausschreibungsverfahren relevante Merkmale und Voraussetzungen falsche Erklärungen abgegeben oder unrichtige Unterlagen vorgelegt haben, von dieser Art Vergabeverfahren vor.

II. Sachverhalt und Vorlagefrage

8.

Am 27. Juli 2013 wurde im Amtsblatt der Europäischen Union ( 5 ) eine Ausschreibung zu der Bereitstellung von Finanzierungen, dem detaillierten Entwurf und der Ausführungsplanung, der Errichtung und Verwaltung der neuen Justizvollzugsanstalt Bozen bekannt gemacht. Der Auftragswert belief sich auf 165400000 Euro.

9.

Die Impresa di Costruzioni Ing. E. Mantovani SpA (im Folgenden: Mantovani) gab im eigenen Namen und als Beteiligte einer Gelegenheitsgesellschaft zwei Erklärungen (vom 4. und 16. Dezember 2013) über die Erfüllung der allgemeinen Anforderungen dieser Ausschreibung ab.

10.

Konkret erklärte Mantovani (in der ersten dieser beiden Erklärungen), dass Herr B., ehemals Vorsitzender ihres Verwaltungsrats sowie geschäftsführendes und gesetzlich vertretungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats, am 6. März 2013 aus seinem Amt ausgeschieden sei und dass nach Kenntnis des Unternehmens keine der in Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP genannten Entscheidungen gegen ihn ergangen sei. Die zweite Erklärung wies einen ähnlichen Wortlaut auf.

11.

In der Sitzung des Vergabeausschusses vom 9. Januar 2014 wurde Mantovani vom öffentlichen Auftraggeber bis zu einer näheren Klärung unter Vorbehalt zugelassen, weil es infolge einer Veröffentlichung in einer lokalen Zeitung eine „wohlbekannte Tatsache“ war, dass Herr B., nachdem er wegen Ausstellung falscher Rechnungen angeklagt worden war, eine Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten ausgehandelt hatte.

12.

Im Rahmen der Prüfung der Erfüllung der Anforderungen holte der öffentliche Auftraggeber einen Auszug aus dem Strafregister von Herrn B. ein, aus dem sich ergab, dass dieser wegen verschiedener Straftaten zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt worden war (Urteil des Tribunale di Venezia – Gericht von Venedig – vom 5. Dezember 2013, rechtskräftig seit dem 29. März 2014).

13.

In der Sitzung vom 29. Mai 2014 erklärte der öffentliche Auftraggeber, dass er den Vorbehalt in der Ausschreibungszulassung von Mantovani nicht zurücknehmen werde, und bat diese am 3. Juni 2014 um Erläuterungen zu dem genannten Urteil.

14.

Mit Schreiben vom 10. Juni 2014 und vom 17. Oktober 2014 legte Mantovani die erbetenen Erläuterungen vor und machte geltend, dass

das Urteil erst veröffentlicht und rechtskräftig geworden sei, nachdem die Gesellschaft die Erklärungen über die Erfüllung der allgemeinen Anforderungen abgegeben habe,

sie eine Reihe von Maßnahmen ergriffen habe, die ein Nachweis dafür seien, dass sich die Gesellschaft von dem Verhalten des Herrn B. rechtzeitig, tatsächlich und vollständig distanziert habe: Er sei mit sofortiger Wirkung aus allen Organstellungen der Mantovani-Gruppe entfernt worden, die zugleich ihre Leitungsorgane neu geordnet, die von Herrn B. gehaltenen Aktien zurück erworben und eine Haftungsklage gegen ihn eingeleitet habe.

15.

Der öffentliche Auftraggeber bat die Autorità nazionale anticorruzione (nationale Antikorruptionsbehörde, im Folgenden: ANAC) um ein Gutachten, das diese am 25. Februar 2015 erstellte und in dem sie zusammenfassend Folgendes ausführte:

Wenn der Bieter in einer Erklärung im Zusammenhang mit dem Ausschlussgrund gemäß Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP bestätige, dass bei Personen, die in dem Jahr vor der Ausschreibung aus dem Amt ausgeschieden seien, diese Ausschlussgründe nicht vorlägen, und dabei die Wendung „nach eigenem Wissen“ verwende und die Personen eindeutig identifiziere, müsse der öffentliche Auftraggeber die erforderlichen Prüfungen vornehmen.

Im vorliegenden Fall sei eine falsche Erklärung nicht zu erkennen, da es nicht ausreiche, dass ein Strafverfahren anhängig sei, sondern ein rechtskräftiges Urteil vorliegen müsse.

Der öffentliche Auftraggeber müsse die faktische Wirksamkeit der von Mantovani ergriffenen Maßnahmen zum Nachweis der tatsächlichen und vollständigen Distanzierung von den Straftaten des ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds bewerten.

Diese Maßnahmen könnten ihre Wirksamkeit dadurch eingebüßt haben, dass Mantovani es versäumt habe, das Strafurteil in dem Vergabeverfahren anzugeben. Nach der Rechtsprechung sei es Ausdruck einer unzureichenden Distanzierung, wenn dem öffentlichen Auftraggeber die Entwicklung in einem Strafverfahren gegen die in Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP genannten Personen nicht rechtzeitig mitgeteilt werde, weil dies die Pflicht zur loyalen Zusammenarbeit verletze.

16.

In der öffentlichen Sitzung vom 27. Februar 2015 entschied der öffentliche Auftraggeber angesichts des Gutachtens der ANAC, Mantovani wegen der verspäteten und unvollständigen Mitteilung von für die Bewertung der Distanzierung von dem verurteilten Verwaltungsratsmitglied relevanten Angaben vom Vergabeverfahren auszuschließen. Er fügte hinzu, dass die Verurteilung bereits vor dem Zeitpunkt erfolgt sei, zu dem die Erklärungen im Rahmen des Vergabeverfahrens abgegeben worden seien, so dass Mantovani ihn darüber hätte informieren können.

17.

Mantovani focht den Ausschluss vor dem Tribunale regionale di giustizia amministrativa, Sezione autonoma di Bolzano (Regionales Verwaltungsgericht, Autonome Sektion Bozen, Italien) an, das mit Urteil Nr. 270 vom 27. August 2015 die Klage für unzulässig erklärte, soweit sie sich gegen das Gutachten der ANAC, eine rein vorbereitende Handlung, und den noch nicht erteilten Zuschlag richtete. Im selben Urteil wies das Gericht die Klagegründe zurück, die den Zugang zu den Ausschreibungsunterlagen betrafen, und stellte fest, dass die Distanzierung von dem strafrechtlich relevanten Verhalten des ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds nicht nachgewiesen worden sei.

18.

Mantovani focht dieses Urteil vor dem Consiglio di Stato (Staatsrat) an, wobei sie u. a. geltend machte, Art. 38 des CCP sei mit dem Unionsrecht unvereinbar, und eine Vorlage zur Vorabentscheidung an den Gerichtshof beantragte.

19.

Der Consiglio di Stato (Staatsrat) legte durch Entscheidung vom 1. Dezember 2015 folgende Frage vor:

Steht der korrekten Anwendung der Art. 45 Abs. 2 Buchst. c und g und Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 und der unionsrechtlichen Grundsätze des Vertrauensschutzes, der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz, des Verbots der Verfahrensbelastung, der größtmöglichen Öffnung des Vergabemarktes für den Wettbewerb sowie des abschließenden Charakters und der Bestimmtheit der Sanktionstatbestände eine nationale Rechtsvorschrift wie Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des Decreto legislativo Nr. 163 vom 12. April 2006 – Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) in geänderter Fassung entgegen,

III. Verfahren vor dem Gerichtshof

20.

Der Vorlagebeschluss ist am 24. März 2016 in der Kanzlei des Gerichtshofs eingegangen.

21.

Innerhalb der in Art. 23 Abs. 2 der Satzung des Gerichtshofs bestimmten Frist haben Mantovani, die Provinz Bozen, die italienische Regierung und die Europäische Kommission schriftliche Erklärungen eingereicht.

22.

Nach der Bestimmung eines Termins zur mündlichen Verhandlung wurden die Beteiligten gemäß Art. 61 Abs. 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofs aufgefordert, ihre Ausführungen auf die Auslegung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 zu konzentrieren.

23.

Am 5. April 2017 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden, an der Mantovani, die Provinz Bozen, die italienische Regierung und die Europäische Kommission teilgenommen haben.

IV. Zusammenfassung der Erklärungen der Beteiligten

24.

Mantovani ist der Ansicht, dass Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP mit Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 unvereinbar sei, weil der Ausschlussgrund (wegen einer strafrechtlichen Verurteilung) auf Personen ausgeweitet werde, die bis zu einem Jahr vor der Ausschreibungsbekanntmachung Verwaltungsratsmitglieder gewesen seien, und weil die Gesellschaft die tatsächliche Distanzierung von diesen Verwaltungsratsmitgliedern nachweisen müsse.

25.

Nach Auffassung von Mantovani haben Verwaltungsratsmitglieder nach dem Ausscheiden aus ihrem Amt keinen Einfluss mehr auf die Gesellschaft, weshalb die Verpflichtung Letzterer, hierzu Angaben zu machen, nicht nur überflüssig, sondern auch unverhältnismäßig sei und eine Belastung bedeute, die dem Ziel einer größtmöglichen Öffnung der öffentlichen Verträge für den Wettbewerb entgegenstehe.

26.

Selbst wenn das Unionsrecht einer derartigen Ausweitung des Ausschlussgrundes nicht entgegenstehe, sei aber die zusätzliche Verpflichtung, die tatsächliche Distanzierung des Unternehmens nachzuweisen, mit dem Unionsrecht unvereinbar, weil es sich um eine vollkommen unbestimmte Verpflichtung handele, deren Beurteilung allein in das Ermessen des öffentlichen Auftraggebers gestellt werde. Insbesondere der Umstand, dass die Gerichtsentscheidung noch nicht rechtskräftig sein müsse und dass weder die Form der Erklärungen noch der Zeitraum, den sie umfassen müssten, oder die Phase des Verfahrens, in der sie abzugeben seien, konkret geregelt sei, ebenso wenig wie konkret festgelegt sei, worin die Pflicht des Bieters zur loyalen Zusammenarbeit genau bestehe, wirke sich negativ auf die Rechtssicherheit aus.

27.

Die Provinz Bozen hält die Vorlagefrage aus folgenden Gründen für unzulässig:

Sie sei analog zu der bereits vom Gerichtshof im Urteil vom 10. Juli 2014, Consorzio Stabile Libor Lavori Pubblici (C‑358/12, EU:C:2014:2063), insbesondere Rn. 36, geklärten Frage betreffend die Befugnis der Mitgliedstaaten, fakultative Ausschlussgründe in ihre Rechtsordnungen aufzunehmen und deren Inhalt anzupassen, zu sehen.

Die Ablehnung von Mantovani sei nicht wegen einer Verletzung von Informations- oder Mitteilungspflichten erfolgt, sondern wegen der verspäteten und unzureichenden Maßnahmen zum Nachweis der vollständigen und tatsächlichen Distanzierung von dem strafrechtlich relevanten Verhalten des ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds. Insoweit sei es sinnlos, dass sich Mantovani auf Art. 45 Abs. 2 Buchst. g sowie Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 berufe.

28.

Zur Sache selbst ist die Provinz Bozen der Auffassung, dass es keinen Widerspruch zwischen den Regelungen in Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP und der Richtlinie 2004/18 gebe. Art. 45 dieser Richtlinie gebe den Mitgliedstaaten die Freiheit, sowohl auszuwählen, welche der (in Abs. 2 aufgeführten) fakultativen Ausschlussgründe im innerstaatlichen Recht gelten sollten, als auch die Art und Weise festzulegen, in der die öffentlichen Auftraggeber die Tatsachen beurteilten, die für das Vorliegen der ausgewählten Ausschlussgründe relevant seien. Die streitgegenständliche nationale Regelung entspreche diesem Schema.

29.

Die italienische Regierung trägt vor, die ratio legis von Art. 45 der Richtlinie 2004/18 und von Art. 38 des CCP bestehe darin, die moralische, wirtschaftliche und berufliche Zuverlässigkeit von Personen sicherzustellen, die einen Vertrag mit der öffentlichen Hand anstrebten. Die vom italienischen Gesetzgeber angenommene Regelung sei weniger streng als die der Richtlinie, weil sie das Spektrum an Straftaten, die einen Ausschluss rechtfertigten, beschränke.

30.

Der Ausschluss eines Unternehmens wegen des Verhaltens seiner Verwaltungsratsmitglieder sei gerade wegen dieser ratio legis gerechtfertigt: Ohne diese Vorgabe könne der Auftragnehmer einer Prüfung seiner Zuverlässigkeit leicht entgehen. Darüber hinaus habe die Bietergesellschaft die Möglichkeit, dem öffentlichen Auftraggeber nachzuweisen, dass sie sich vollständig von den strafrechtlich relevanten Handlungen ihrer Verwaltungsratsmitglieder distanziert habe.

31.

Die Kommission betont, auch wenn das vorlegende Gericht um Hinweise zur Auslegung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. c und g sowie Abs. 3 Buchst. a der Richtlinie 2004/18 ersuche, müsse man, um ihm eine sachdienliche Antwort geben zu können, auch Art. 45 Abs. 2 Buchst. d über das Begehen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit berücksichtigen.

32.

Auch wenn im Vorlagebeschluss das Augenmerk darauf liege, dass das Urteil zu dem Zeitpunkt, als Mantovani ihre Erklärungen eingereicht habe, noch nicht rechtskräftig gewesen sei, könnten die Handlungen ihres Verwaltungsratsmitglieds (Ausstellung von falschen Rechnungen über einen Betrag von mehr als 9 Mio. Euro und Beteiligung an einer kriminellen Vereinigung) als schwere Verfehlungen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit anzusehen sein. Und auch wenn es sein Amt zum Zeitpunkt der Ausschreibung nicht mehr innegehabt habe, berücksichtige Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 auch das frühere Verhalten eines Wirtschaftsteilnehmers und erfasse jede Form des schuldhaften Handelns, das die berufliche Zuverlässigkeit in Frage stelle ( 6 ). Daher könne sich das Vorgehen von kürzlich ausgeschiedenen Verwaltungsratsmitgliedern auf die Beurteilung dieser Zuverlässigkeit durch den öffentlichen Auftraggeber auswirken.

33.

Für die Kommission ist nicht von Bedeutung, dass die Verurteilung des Verwaltungsratsmitglieds zum Zeitpunkt der Einreichung der Erklärungen noch nicht rechtskräftig war. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs sei für die in Art. 45 Abs. 2 Buchst. d und g der Richtlinie 2004/18 vorgesehenen Ausschlussgründe nicht erforderlich, dass der Wirtschaftsteilnehmer rechtskräftig verurteilt worden sei ( 7 ). Sowohl das Unionsrecht als auch das nationale Recht sähen vor, dass eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit auf irgendeine Weise nachweislich festgestellt werden müsse, so dass das bloße Vorliegen eines Strafverfahrens ausreichend sein könne.

34.

Die Kommission fügt hinzu, bei der Prüfung, ob eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorliege, müsse der öffentliche Auftraggeber auch berücksichtigen, welche Maßnahmen die Gesellschaft ergriffen habe, um sich von dem strafrechtlich relevanten Vorgehen ihres Verwaltungsratsmitglieds zu distanzieren.

35.

Dass Mantovani das Strafverfahren, in das ihr Verwaltungsratsmitglied verwickelt gewesen sei, nicht bekannt gewesen sei, könne seinerseits auch einen Ausschlussgrund gemäß Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 darstellen. Die Pflicht des Bieters zur Angabe einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit bestehe unabhängig von den Kontroll- und Überprüfungsbefugnissen, die dem öffentlichen Auftraggeber in Art. 45 Abs. 3 und Art. 51 der Richtlinie 2004/18 eingeräumt würden, weil diese nur auf eine rein formelle Überprüfung oder die Bestätigung bereits bekannter Ergebnisse abzielten.

36.

Schließlich ist die Kommission der Ansicht, dass unter den Umständen des vorliegenden Rechtsstreits der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz der Anwendung der fraglichen Ausschlussgründe nicht entgegenstehe.

V. Würdigung

A.  Vorbemerkung

37.

In den dem Gerichtshof vom Consiglio di Stato (Staatsrat) vorgelegten Fragen geht es im Grundsatz um die Vereinbarkeit einer Vorschrift des italienischen Rechts (Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP) mit der Richtlinie 2004/18. Allerdings hat sich sowohl im Rahmen der Erörterung vor jenem Gericht als auch in den Erklärungen einiger Beteiligter im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens die Diskussion hin zur Frage der Auslegung (und Anwendung) der nationalen Vorschrift verlagert, in die sich der Gerichtshof nicht einmischen darf.

38.

Die Antwort des Gerichtshofs muss sich auf die Auslegung der Richtlinie 2004/18 beschränken, um zu klären, ob die nationale Rechtsvorschrift, so wie sie vom vorlegenden Gericht dargestellt wird, unionsrechtswidrig ist. Sofern sie mit dem Unionsrecht vereinbar ist, obliegt es dem nationalen Gericht, zu klären, wie die verschiedenen Absätze von Art. 38 des CCP auszulegen und anzuwenden sind.

39.

Wie ich im Folgenden ausführen werde, steht dem italienischen Gesetzgeber ein weites Ermessen zu, die in der Richtlinie 2004/18 aufgeführten fakultativen Ausschlussgründe zu übernehmen und ihren Inhalt zu konkretisieren. Die Vereinbarkeit mit der Richtlinie vorausgesetzt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, entsprechend ihren eigenen Rechtsetzungsmöglichkeiten den Inhalt der betreffenden nationalen Rechtsvorschriften festzulegen.

40.

Dass der Gerichtshof bereits einige Vorlagefragen zu fakultativen Ausschlussgründen beantwortet hat, ist kein hinreichender Grund, um von einer Unzulässigkeit der jetzt vorgelegten Frage auszugehen – wie es die Provinz Bozen tut –, weil hier Merkmale vorliegen, die sie von anderen früheren Fragen unterscheiden ( 8 ).

B.  Die Formulierung der Vorlagefrage

41.

Der Sachverhaltsdarstellung des Consiglio di Stato (Staatsrat) lässt sich entnehmen, dass Mantovani von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen wurde, weil Informationen verspätet und unvollständig übermittelt wurden, die für die Bewertung der Distanzierung des Unternehmens von dem Verhalten des bereits vor Abgabe der Erklärungen gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber verurteilten Verwaltungsratsmitglieds erforderlich waren.

42.

Die Schilderung des Sachverhalts ermöglicht es, bereits von vorn herein die Bedeutung der ersten der drei Bestimmungen des Unionsrechts, um die es hier geht (Art. 45 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18), für das Vorabentscheidungsersuchen zu begrenzen.

43.

Diese Bestimmung bezieht sich auf Wirtschaftsteilnehmer, die „aufgrund eines … rechtskräftigen Urteils wegen eines Deliktes bestraft worden sind, das ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt“. Die Entscheidung des öffentlichen Auftraggebers scheint auf den ersten Blick nicht auf dieser Prämisse zu beruhen, vielleicht weil das Strafurteil gegen das Verwaltungsratsmitglied am 29. März 2014 rechtskräftig wurde, also nachdem Mantovani die Erklärungen über die Erfüllung der sich aus der Ausschreibungsbekanntmachung ergebenden allgemeinen Anforderungen abgegeben hatte (4. und 16. Dezember 2013).

44.

Die Lektüre der Begründung der Verwaltungsentscheidung über den Ausschluss zeigt tatsächlich, dass der öffentliche Auftraggeber sich nicht direkt auf die strafrechtliche Verurteilung von Herrn B. gestützt hat, sondern auf die verspätete und unzureichende Übermittlung von Informationen (durch Mantovani), die erforderlich sind, um zu beurteilen, ob das Unternehmen den Nachweis erbracht hat, dass es sich von dem strafbaren Verhalten seines Verwaltungsratsmitglieds distanziert hat. Das Entscheidende war also, dass die Bieterin die strafrechtliche Verurteilung von Herrn B. nicht rechtzeitig mitgeteilt hat; dies hätte nach der nationalen Rechtsprechung als Indiz für die Distanzierung des Unternehmens von seinem Verwaltungsratsmitglied gegolten.

45.

Dies könnte, wie die Kommission argumentiert, annehmen lassen, dass der tatsächlich angewendete Ausschlussgrund nicht unter Art. 45 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 fällt, obwohl er mit dieser Bestimmung zusammenhängt. Allerdings könnte das Verhalten von Mantovani auch unter Buchst. d dieser Bestimmung fallen, d. h. es könnte „eine schwere Verfehlung [im Rahmen der beruflichen Tätigkeit], die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde“, darstellen.

46.

Der Ausschlussgrund der „schweren Verfehlung“ wurde zwar in Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des CCP in das italienische Recht umgesetzt; um diesen Ausschlussgrund geht es aber in der Frage des Consiglio di Stato (Staatsrat) gar nicht. Trotzdem kann die Antwort auf die Vorlagefrage sich auch auf diese Prüfung erstrecken ( 9 ).

47.

Wie der Gerichtshof in ständiger Rechtsprechung festgestellt hat, „hindert der Umstand, dass das vorlegende Gericht eine Vorlagefrage unter Bezugnahme nur auf bestimmte Vorschriften des Unionsrechts formuliert hat, den Gerichtshof nicht daran, diesem Gericht unabhängig davon, worauf es in seinen Fragen Bezug genommen hat, alle Auslegungshinweise zu geben, die ihm bei der Entscheidung der bei ihm anhängigen Rechtssache von Nutzen sein können. Der Gerichtshof hat insoweit aus dem gesamten von dem einzelstaatlichen Gericht vorgelegten Material, insbesondere der Begründung der Vorlageentscheidung, diejenigen Elemente des Unionsrechts herauszuarbeiten, die unter Berücksichtigung des Gegenstands des Rechtsstreits einer Auslegung bedürfen“ ( 10 ).

48.

Auf derselben Linie, und im spezifischen Kontext der Richtlinie 2004/18, hat der Gerichtshof es im Urteil Croce Amica One Italia ( 11 ) für sachdienlich gehalten, dem vorlegenden Gericht den Hinweis zu geben, dass, auch wenn es offenbar „das Verhalten des gesetzlichen Vertreters … lediglich mit den Ausschlussgründen in Verbindung bringt, die sich auf das Strafrecht beziehen und eine Verurteilung durch ein rechtskräftiges Urteil voraussetzen, … die in Art. 45 Abs. 2 Buchst. d und g dieser Richtlinie vorgesehenen Ausschlussgründe die öffentlichen Auftraggeber ebenfalls ermächtigen, jeden Wirtschaftsteilnehmer auszuschließen, der im Rahmen seiner beruflichen Tätigkeit eine schwere Verfehlung begangen hat, die vom öffentlichen Auftraggeber nachweislich festgestellt wurde, … ohne dass es erforderlich wäre, dass der Wirtschaftsteilnehmer durch ein rechtskräftiges Urteil verurteilt wurde“.

49.

Es könnte daher zweckdienlich sein, wenn sich die Antwort des Gerichtshofs nicht nur auf die Ausschlussgründe in Art. 45 Abs. 2 Buchst. c und g der Richtlinie 2004/18 (um die es in der Vorlagefrage geht), sondern auch auf den Ausschlussgrund in Buchst. d erstreckte. Im Ergebnis geht es also darum zu klären, ob eine Rechtsvorschrift des nationalen Rechts wie die streitgegenständliche mit diesen Vorschriften der Richtlinie 2004/18 unvereinbar ist.

50.

Ich möchte nochmals betonen, dass es, sofern die Frage der Vereinbarkeit des italienischen Rechts mit der Richtlinie 2004/18 bejaht wird, dem nationalen Gericht obliegt, darüber zu entscheiden, ob im vorliegenden Fall der öffentliche Auftraggeber Mantovani zu Recht von dem Vergabeverfahren ausgeschlossen hat, weil das Unternehmen ihn nicht über die strafrechtliche Verurteilung eines ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds, das weniger als ein Jahr vor der Bekanntmachung der Ausschreibung aus dem Amt ausgeschieden ist, informiert hat.

C.  Die fakultativen Ausschlussgründe

51.

Im Hinblick auf das Ermessen, das den öffentlichen Auftraggebern im Zusammenhang mit den fakultativen Ausschlussgründen aus Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 zusteht, nehme ich Bezug auf meine Schlussanträge in der Rechtssache Connexxion Taxi Services ( 12 ). Auch der Gerichtshof hat bereits im Urteil La Cascina u. a. ( 13 ), das die Richtlinie 92/50/EWG ( 14 ) betraf (deren Art. 29 einen ähnlichen Wortlaut hatte wie Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18), betont: Die Beurteilung fakultativer Ausschlussfälle bleibt den Mitgliedstaaten überlassen, wie der Ausdruck „[v]on der Teilnahme am Vergabeverfahren können … ausgeschlossen werden“ am Anfang von Art. 29 zeigt. Die Mitgliedstaaten dürfen keine anderen Ausschlussgründe als die in der Vorschrift genannten vorsehen, Art. 29 der Richtlinie 92/50 zielt aber nicht auf eine einheitliche Anwendung dieser Ausschlussgründe ab.

52.

Nach Inkrafttreten der Richtlinie 2004/18 hat der Gerichtshof diese Linie im Urteil Consorcio Stabile Libor Lavori Publicci ( 15 ) beibehalten, in dessen Rn. 35 die Ausführungen im Urteil La Cascina u. a. wieder aufgegriffen werden ( 16 ). Dort stellt er erneut fest, dass die Mitgliedstaaten nach Maßgabe ihrer innerstaatlichen Rechtsvorschriften und unter Beachtung des Unionsrechts die Bedingungen für die Anwendung von Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 festlegen. Der Gerichtshof hat somit wiederum bestätigt, dass es den Mitgliedstaaten frei steht, die Ausschlusskriterien zu übernehmen oder sie flexibler zu gestalten, wenn sie das wollen, und dies hat er im Urteil vom 14. Dezember 2016, Connexxion Taxi Services nochmals festgestellt ( 17 ).

53.

Wie ich auch schon in jenen Schlussanträgen unterstrichen habe ( 18 ), lässt sich dem Urteil Consorcio Stabile Libor Lavori Publicci ( 19 ) entnehmen, dass die Mitgliedstaaten diese Befugnis nicht vorbehaltlos ausüben können. Einerseits misst die Union der Niederlassungs- und der Dienstleistungsfreiheit große Bedeutung bei, weshalb sie bestrebt ist, den Weg für eine größtmögliche Öffnung der Ausschreibungen zu ebnen, ein Ziel, dem die Anwendung fakultativer Ausschlussgründe im Weg stehen könnte. Andererseits ist es legitim, Ausschlussgründe mit Zielen des Allgemeininteresses zu rechtfertigen, wie der Gewährleistung von Zuverlässigkeit, Sorgfalt, Seriosität und Korrektheit des Bieters. Zur Prüfung dieses Interessenkonflikts greift der Gerichtshof auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zurück.

D.  Auswirkungen der strafbaren Handlungen von Verwaltungsratsmitgliedern auf das bietende Unternehmen (Art. 45 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18)

54.

Das Merkmal der (fehlenden) Zuverlässigkeit des bietenden Unternehmens in dieser Sache beruht auf dem strafrechtlich relevanten Verhalten eines ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds innerhalb des Zeitraums, in dem dieses für die Leitung des Unternehmens verantwortlich war. Kann diese Straftat ihre Schatten auf die Gesellschaft werfen, die das Verwaltungsratsmitglied leitet? Die bejahende Antwort auf diese Frage gibt das Unionsrecht selbst, ausgehend von der Prämisse, dass juristische Personen nicht selbst, sondern durch ihre Geschäftsführer handeln. Daher ist logisch, dass die fehlende Zuverlässigkeit juristischer Personen unter dem Gesichtspunkt der Straftaten beurteilt wird, die die für ihre Leitung verantwortlichen Personen begangenen haben.

55.

Art. 45 Abs. 1 am Ende der Richtlinie 2004/18 sieht vor, dass Auskunftsersuchen im Zusammenhang mit (zwingenden, nicht fakultativen) Ausschlussgründen wegen bestimmter schwerer Straftaten „juristische und/oder natürliche Personen, gegebenenfalls auch die jeweiligen Unternehmensleiter oder jede andere Person, die befugt ist, den Bewerber oder Bieter zu vertreten, in seinem Namen Entscheidungen zu treffen oder ihn zu kontrollieren“, betreffen.

56.

Die Vorschrift zeigt also, dass bestimmte strafbare Handlungen derjenigen, die eine juristische Person leiten, für deren zwingenden Ausschluss von der Teilnahme an einer öffentlichen Ausschreibung relevant sind. Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts betrachtet, spricht meiner Ansicht nach nichts dagegen, diesen Grundsatz (nunmehr fakultativ) auf andere von den Verwaltungsratsmitgliedern der juristischen Personen begangene Straftaten und sogar auf Fehlverhalten zu erstrecken, soweit dadurch die berufliche Zuverlässigkeit in Frage gestellt wird.

57.

Richtig ist, dass Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 im Gegensatz zu Abs. 1 eine dahin gehende Regelung nicht ausdrücklich vorsieht. Dennoch denke ich nicht, dass es dem nationalen Recht deshalb verwehrt bleiben muss, das Vorliegen bestimmter fakultativer Ausschlussgründe für juristische Personen an ein Fehlverhalten ihrer Verwaltungsratsmitglieder zu knüpfen.

58.

Wie ich schon angemerkt habe, räumt Art. 45 Abs. 2 letzter Unterabsatz der Richtlinie 2004/18 den Mitgliedstaaten ein weites Ermessen ein, um die „Bedingungen für die Anwendung“ der fakultativen Ausschlussgründe festzulegen. In Ausübung dieser Freiheit können nationale Rechtsvorschriften, die die konkreten Konturen einzelner Ausschlussgründe (z. B. im Zusammenhang mit der Redlichkeit des bietenden Unternehmens) herausarbeiten, als relevantes Merkmal ein mit der beruflichen Zuverlässigkeit unvereinbares Verhalten von Verwaltungsratsmitgliedern der Gesellschaft einbeziehen.

59.

Ebenso spricht nichts dagegen, dass das nationale Recht im Rahmen der den Mitgliedstaaten bei der Beurteilung fakultativer Ausschlussgründe eingeräumten Gestaltungsfreiheit eine fehlende Distanzierung der Gesellschaft von dem strafrechtlich relevanten Verhalten ihres Verwaltungsratsmitglieds berücksichtigt, wenn diese „ihre berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellt“. Es ist ebenfalls Sache des einzelstaatlichen Gesetzgebers und gegebenenfalls der mit dem Rechtsstreit befassten Gerichte, festzustellen, welche Merkmale oder Faktoren zur Klärung der Frage herangezogen werden können, ob eine solche Distanzierung erfolgt ist.

60.

Dazu gehören die vom vorlegenden Gericht konkret aufgeführten Faktoren, d. h. die Spontaneität der Distanzierung, die stärkere oder schwächere „Ausprägung des rechtfertigenden Verhaltens“, der zeitliche Bezugsrahmen und die Phase des Verfahrens, in der die Distanzierung erfolgen muss. Es obliegt mithin den nationalen Gerichten, diese Merkmale einzugrenzen, die in Wahrheit nichts anderes sind als vom innerstaatlichen Gesetzgeber eingeführte „Konkretisierungen“ zur Festlegung der Konturen des fakultativen Ausschlussgrundes und der Nachweise, anhand derer er zu prüfen ist ( 20 ).

61.

Der Consiglio di Stato (Staatsrat) hebt bei der Formulierung seiner Frage hervor, dass Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP einerseits die Informationspflicht über Strafurteile „ausweite“, indem er sie auf Sachverhalte erstrecke, in denen die Urteile gegen Inhaber leitender Positionen der bietenden Unternehmen ergangen seien, und andererseits den Umstand „als Ausschlussgrund vorsehe“, dass das „Unternehmen nicht nachweise“, dass es sich von dem strafrechtlich relevanten Verhalten dieser Personen distanziert habe.

62.

Aus den vorstehend dargestellten Gründen bin ich der Ansicht, dass die Art und Weise, in der der nationale Gesetzgeber diesen fakultativen Ausschlussgrund im CCP präzisiert hat, mit der Richtlinie 2004/18 vereinbar ist. Ich vermag nicht zu erkennen, wie dies die Niederlassungsfreiheit oder die Dienstleistungsfreiheit beeinträchtigen könnte. Darüber hinaus besteht der diesem Ausschlussgrund und der geforderten Zuverlässigkeit, Sorgfalt und Seriosität der Bieter zugrunde liegende Zweck in dem Schutz des Allgemeininteresses.

63.

Ebenso scheint es mir nichts Wesentliches zur Diskussion beizutragen, wenn sich das vorlegende Gericht (in ziemlich allgemeiner Weise und nicht näher begründet) auf die „unionsrechtlichen Grundsätze des berechtigten Vertrauens und der Rechtssicherheit, der Gleichbehandlung, der Verhältnismäßigkeit und der Transparenz, des Verbots der Verfahrensbelastung und der größtmöglichen Öffnung des Vergabemarktes für den Wettbewerb …“ beruft.

64.

Schließlich bedeutet der Umstand, dass Art. 45 Abs. 2 Buchst. c der Richtlinie 2004/18 nicht ausdrücklich die Distanzierung des Unternehmens von den Straftaten seiner Verwaltungsratsmitglieder erwähnt, nicht, dass der nationale Gesetzgeber dieses Merkmal nicht in die entsprechende Vorschrift des CCP aufnehmen kann. Wie schon gesagt, ist es Sache der Mitgliedstaaten, die „Bedingungen für die Anwendung“ von Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 in ihrem innerstaatlichen Recht festzulegen.

65.

Daher ist eine Vorschrift wie Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP, die vorsieht, dass Unternehmen nicht zu einer Ausschreibung zugelassen werden, wenn sie nicht nachgewiesen haben, dass sie sich vollständig und tatsächlich von bestimmten von ihren Leitungsorganen begangenen Straftaten ( 21 ) distanziert haben, mit dem Unionsrecht vereinbar.

E.  Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers wegen Nichterteilung erforderlicher Auskünfte an den öffentlichen Auftraggeber (Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18)

66.

Das vorlegende Gericht unterstreicht das „Ermessen des öffentlichen Auftraggebers“, das ihm gestatte, „in der Praxis“ eine Informationspflicht (zulasten der bietenden Unternehmen) „einzuführen, … die im Gesetz nicht vorgesehen ist“. Dieser habe zudem „Pflichten zur loyalen Zusammenarbeit ohne klar umrissene Grenzen, abgesehen vom Verweis auf die Generalklausel von Treu und Glauben“, begründet.

67.

Soweit der Consiglio di Stato (Staatsrat) in diesen Erwägungen das Handeln einer Verwaltungsbehörde in Frage stellt, zu dessen gerichtlicher Überprüfung er berufen ist, ist es Sache dieses obersten Gerichts, die sich nach nationalem Recht daraus ergebenden Konsequenzen zu ziehen ( 22 ). Mit seiner Antwort auf die Vorlagefrage darf der Gerichtshof nicht in den Zuständigkeitsbereich der nationalen Gerichte eingreifen.

68.

Ich möchte darüber hinaus daran erinnern, dass die Vorlagefrage vorgelegt wurde, um die Vereinbarkeit eines nationalen Gesetzes mit der Richtlinie 2004/18 zu klären. Und aus diesem Blickwinkel betrachtet, muss für die Antwort der Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 Buchst. h des CCP untersucht werden, nunmehr in Verbindung mit Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18.

69.

Allerdings wurde der Ausschluss nicht auf diesen Grund gestützt (wie die Provinz Bozen in ihren Erklärungen betont), sondern darauf, dass das Schweigen des Bieters ein Indiz für seine fehlende Distanzierung von dem strafrechtlich relevanten Verhalten des Verwaltungsratsmitglieds war. Zwar scheint es streng genommen nicht erforderlich zu sein, Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 auszulegen, wenn die nationale Rechtsvorschrift, mit der diese besondere Regelung der Richtlinie umgesetzt wurde, auf den vorliegenden Fall gar nicht angewandt worden ist.

70.

Dessen ungeachtet bin ich der Ansicht, dass hier von einer Unvereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift nicht die Rede sein kann, weil ihr Wortlaut im Wesentlichen mit dem der von ihr umgesetzten unionsrechtlichen Vorschrift übereinstimmt. Beide verlangen von den Bietern, dem öffentlichen Auftraggeber gegenüber keine falschen Angaben zu machen. In Art. 45 Abs. 2 Buchst. g der Richtlinie 2004/18 wird ergänzt, dass der Ausschluss von Bietern nicht nur wegen falscher Angaben, sondern auch wegen fehlender Angaben zu „Eignungskriterien“ (Titel II Kapitel VII Abschnitt II der Richtlinie) erfolgen kann.

71.

Das Verschweigen strafbarer Handlungen des ehemaligen Verwaltungsratsmitglieds gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber könnte somit zudem – wie ich sogleich ausführen werde – vom nationalen Richter als Bewertungskriterium herangezogen werden, wenn er prüft, ob eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit vorgelegen hat.

F.  Ausschluss eines Wirtschaftsteilnehmers wegen einer schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit (Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18)

72.

Auch wenn sich die Frage des Consiglio di Stato (Staatsrat) eigentlich nicht auf diesen Ausschlussgrund bezieht, hindert das, wie ich bereits angemerkt habe, den Gerichtshof nicht daran, dem vorlegenden Gericht seine Überlegungen dazu mitzuteilen. Das Vorbringen der Beteiligten im Verlauf der mündlichen Verhandlung konzentrierte sich auf Bitten des Gerichtshofs genau hierauf.

73.

Die „Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit“, auf die sich Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 bezieht, umfasst jedes schuldhafte Verhalten, das Einfluss auf die berufliche Zuverlässigkeit des Wirtschaftsteilnehmers hat ( 23 ). Der Begriff „schwere Verfehlung“ kennzeichnet ein Verhalten, das auf Vorsatz oder auf Fahrlässigkeit von gewisser Schwere schließen lässt ( 24 ). Eine Verurteilung, auch wenn sie noch nicht rechtskräftig ist ( 25 ), ist ein gut geeigneter Indikator dafür, dass strafrechtlich relevante Umstände unter die schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit fallen können ( 26 ). Das Urteil selbst ist ein angemessenes Mittel zum objektiven Nachweis der Art und Weise, in der die Geschäfte der Bieterin geführt wurden.

74.

Ausgehend von diesen Prämissen und angesichts der Art der Straftaten, wegen derer das Verwaltungsratsmitglied verurteilt worden ist, die zweifellos auf einen Mangel der beruflichen Zuverlässigkeit bei der Ausübung seiner beruflichen Tätigkeit schließen lassen, könnte die fehlende Distanzierung von diesem Verhalten durch Mantovani zu Recht unter diesen Ausschlussgrund fallen.

75.

Insoweit muss zwischen der materiellen Ebene und dem Nachweis der Tatsachen unterschieden werden. Im Zusammenhang mit Letzterem lässt Art. 45 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 auf die Logik und Systematik der Informationsmittel schließen, deren sich der öffentliche Auftraggeber bedienen kann, um die Zuverlässigkeit des Bieters zu beurteilen.

76.

Diese Bestimmung verlangt von den öffentlichen Auftraggebern, dass sie als Nachweis in den Fällen von Art. 45 Abs. 1 und Abs. 2 Buchst. a, b, c, e und f die dort aufgeführten Mittel akzeptieren. Es handelt sich um Fälle, in denen eine (relativ einfache) Möglichkeit besteht, über Register oder von öffentlichen Behörden ausgestellte Bescheinigungen eine offizielle Bestätigung des Verhaltens zu erhalten.

77.

Im Gegensatz dazu besteht für die übrigen Fälle (d. h. die Fälle von Art. 45 Abs. 2 Buchst. d und g der Richtlinie 2004/18) kein entsprechendes dokumentarisches Erfordernis. Das ist logisch, weil im Hinblick auf diese Ausschlussgründe (die schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit und die Einreichung von Erklärungen, die falsche oder unvollständige Angaben enthalten) die Möglichkeiten des Nachweises breiter gefächert sind. In den verschiedenen Mitgliedstaaten wäre ein homogenes Niveau, das eine einheitliche Festlegung der Mittel oder Mechanismen zur offiziellen Bestätigung solcher Umstände ermöglicht, kaum zu finden.

78.

Bei den fakultativen Ausschlussgründen, für die eine offizielle Bestätigung nicht vorgesehen ist – wie es bei der schweren Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit der Fall ist –, ist der Handlungsspielraum des öffentlichen Auftraggebers nicht auf ein bestimmtes Dokument oder Zeugnis beschränkt. Eine solche Verfehlung kann der öffentliche Auftraggeber auf der Grundlage seiner Kenntnis der entsprechenden Tatsachen beurteilen, gleich auf welchem Weg er diese Kenntnis erlangt hat.

79.

Was den Nachweis anbelangt, sollte man nicht vergessen, dass im vorliegenden Fall das – ordnungsgemäß dokumentierte – Vorliegen des (auf Antrag ergangenen) Strafzumessungsurteils gegen das Verwaltungsratsmitglied von Mantovani wegen der Begehung von Straftaten, die die berufliche Zuverlässigkeit in Frage stellen, während seiner Amtszeit als Leitungsorgan dieser Gesellschaft nicht in Zweifel gezogen wird.

80.

Ausgehend von diesem völlig unstreitigen Umstand ist es Sache der innerstaatlichen Gerichte, vor denen die Bietergesellschaft ihren Anspruch geltend macht, zu entscheiden, ob sie sich tatsächlich und vollständig von dem strafrechtlich relevanten Verhalten ihres Geschäftsführers distanziert hat. Die Diskussion verlagert sich an diesem Punkt von der rein prozessualen Ebene hin zu der von mir als materiell bezeichneten Ebene.

81.

Bei dieser Diskussion ist die Vorgehensweise von Mantovani nicht nur unter dem Gesichtspunkt der Strafbarkeit, sondern auch aus dem Blickwinkel der Verhältnismäßigkeit der Antwort des öffentlichen Auftraggebers zu beurteilen. Ein Merkmal, das insoweit von Bedeutung sein könnte, ist der zeitliche Abstand zwischen dem strafbaren Verhalten, dem Vorgehen des Unternehmens und dem Datum der Ausschreibung.

82.

Mir scheint nämlich, dass die im CCP vorgesehene Frist (ein Jahr vor Bekanntmachung der Ausschreibung) angemessen ist, um den Zusammenhang zwischen dem Verhalten des Verwaltungsratsmitglieds und dem Unternehmen im Hinblick auf die dem Ausschreibungsverfahren unmittelbar vorausgehenden Handlungen zu beurteilen. Darüber hinaus impliziert diese Frist keine unwiderlegbare Vermutung eines heimlichen Einverständnisses der Gesellschaft mit den Handlungen des Verwaltungsratsmitglieds, weil die Möglichkeit besteht, dass sie ihre tatsächliche und vollständige Distanzierung von den fraglichen Handlungen nachweist.

83.

Letztlich bin ich nicht der Auffassung, dass das dem öffentlichen Auftraggeber im nationalen Recht eingeräumte Ermessen unweigerlich zu einem unverhältnismäßigen Ergebnis führt. Im Gegenteil, Art. 38 Abs. 1 Buchst. c des CCP wahrt das notwendige Verhältnis zwischen den ergriffenen Maßnahmen und dem angestrebten Zweck, der darin besteht, Bieter aus solchen Auswahlverfahren zu entfernen, die nicht vertrauenswürdig sind, eben weil sie sich von dem früheren strafbaren Verhalten ihrer Verwaltungsratsmitglieder nicht innerhalb eines bestimmten zeitlichen Rahmens distanziert haben.

84.

Schließlich erfolgt der Ausschluss des Bieters nicht automatisch ( 27 ), sondern nach einer sorgsamen Würdigung der Umstände des Einzelfalls durch den öffentlichen Auftraggeber. Dem Bieter wird auch nicht die Verteidigung seiner Rechtsposition erschwert, weil ihm immer noch die Möglichkeit einer wirksamen gerichtlichen Kontrolle der Art und Weise bleibt, in der die öffentliche Verwaltung ihre Befugnis ausübt, die Erfüllung der Berufspflichten des Wirtschaftsteilnehmers zu bewerten.

85.

Im Ergebnis sehe ich keine Gründe für eine Unvereinbarkeit der nationalen Rechtsvorschrift, um die es in der Frage des vorlegenden Gerichts geht, mit dem Unionsrecht.

VI. Ergebnis

86.

Angesichts des Vorstehenden schlage ich dem Gerichtshof vor, auf die vom Consiglio di Stato (Staatsrat, Italien) vorgelegte Frage wie folgt zu antworten:

Art. 45 Abs. 2 Buchst. c, d und g sowie Abs. 3 der Richtlinie 2004/18/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge steht einer Vorschrift des nationalen Rechts nicht entgegen, die dem öffentlichen Auftraggeber gestattet,


( 1 ) Originalsprache: Spanisch.

( 2 ) Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates vom 31. März 2004 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Bauaufträge, Lieferaufträge und Dienstleistungsaufträge (ABl. 2004, L 134, S. 114).

( 3 ) Decreto Legislativo vom 12. April 2006, Nr. 163, Codice dei contratti pubblici relativi a lavori, servizi e forniture in attuazione delle direttive 2004/17/CE e 2004/18/CE (Gesetzbuch über öffentliche Bau-, Dienstleistungs- und Lieferaufträge zur Umsetzung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG) (GURI Nr. 100 vom 2. Mai 2006) (im Folgenden: CCP).

( 4 ) Die Straftaten sind: „Beteiligung an einer kriminellen Organisation, Bestechung, Betrug und Geldwäsche nach Maßgabe der in Art. 45 Abs. 1 der Richtlinie 2004/18 angeführten Bestimmungen“.

( 5 ) S 145-251280.

( 6 ) Siehe in diesem Sinne das Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact (C‑465/11, EU:C:2012:801, Rn. 27).

( 7 ) Urteil vom 11. Dezember 2014, Croce Amica One Italia (C‑440/13, EU:C:2014:2435, Rn. 28).

( 8 ) Ebenso wenig steht der Zulässigkeit dieses Vorabentscheidungsersuchens der Umstand entgegen, auf den die Provinz Bozen in der mündlichen Verhandlung hingewiesen hat und den auch die ANAC in ihrem Gutachten vom 25. Februar 2015 hervorgehoben hat, dass der Consiglio di Stato schon in einem vergleichbaren Fall ein Urteil erlassen hat, in dem der Ausschluss von Mantovani von einer anderen Ausschreibung aus ähnlichen Gründen bestätigt wurde. Im fraglichen Urteil (Nr. 6284), verkündet am 22. Dezember 2014 durch einen anderen Spruchkörper des Consiglio di Stato (Vierte Abteilung) als denjenigen, der die Vorlagefrage gestellt hat (Sechste Abteilung), wurde der Ausschluss von Mantovani von einem Vergabeverfahren bestätigt, weil die Gesellschaft die tatsächliche Distanzierung von dem strafrechtlich relevanten Verhalten ihrer Verwaltungsratsmitglieder nicht nachgewiesen habe, da sie es unterlassen habe, die gegen diese ergangenen Urteile anzugeben.

( 9 ) Den Erklärungen in der mündlichen Verhandlung zufolge wäre das vorlegende Gericht nach nationalem Prozessrecht nicht daran gehindert, diesen Teil der Antwort auf die Vorlagefrage zu berücksichtigen, um endgültig über das Rechtsmittel zu entscheiden.

( 10 ) Urteil vom 22. Oktober 2015, Impresa Edilux und SICEF (C‑425/14, EU:C:2015:721, Rn. 20 und die dort angeführte Rechtsprechung).

( 11 ) Urteil vom 11. Dezember 2014 (C‑440/13, EU:C:2014:2435, Rn. 28).

( 12 ) Rechtssache C‑171/15, EU:C:2016:506, Nrn. 41 ff.

( 13 ) Urteil vom 9. Februar 2006 (C‑226/04 und C‑228/04, EU:C:2006:94, Rn. 21 und 23).

( 14 ) Richtlinie des Rates vom 18. Juni 1992 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge (ABl. 1992, L 209, S. 1).

( 15 ) Urteil vom 10. Juli 2014 (C‑358/12, EU:C:2014:2063).

( 16 ) Urteil vom 9. Februar 2006 (C‑226/04 und C‑228/04, EU:C:2006:94).

( 17 ) C‑171/15, EU:C:2016:948, Rn. 29.

( 18 ) Rechtssache Connexxion Taxi Services (C‑171/15, EU:C:2016:506, Nr. 44).

( 19 ) Urteil vom 10. Juli 2014 (C‑358/12, EU:C:2014:2063, Rn. 29, 31 und 32).

( 20 ) Auf die Nachweise im Zusammenhang mit Art. 45 Abs. 3 der Richtlinie 2004/18 werde ich bei der Prüfung des Ausschlussgrundes wegen beruflicher Verfehlungen in den Nrn. 75 ff. dieser Schlussanträge eingehen.

( 21 ) Vgl. Fn. 4 für eine Liste dieser Straftaten. Sie alle stellen die berufliche Zuverlässigkeit der Täter in Frage.

( 22 ) In der mündlichen Verhandlung haben einige der Beteiligten auf Art. 38 Abs. 2 und Art. 46 des CCP als Ausdruck der Pflicht der Bieter, gegen sie ergangene Urteile in ihren Erklärungen gegenüber dem öffentlichen Auftraggeber anzugeben, Bezug genommen. Auf eben diese Vorschriften verwies der Consiglio di Stato (Staatsrat) im Urteil vom 22. Dezember 2014, angeführt in Fn. 8.

( 23 ) Mantovani macht geltend, nach nationalem Recht seien die einzigen schweren Verfehlungen, die die Voraussetzungen von Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des CCP erfüllten, solche im Kontext früherer Beziehungen zu öffentlichen Auftraggebern (wenngleich das Unternehmen einräumt, dass auch Verfehlungen in anderen Bereichen, wie beispielsweise Wettbewerbsverstöße, relevant sein könnten). Selbst wenn es so wäre (und diesem Vorbringen ist die Provinz Bozen entgegengetreten), ändert dieser Umstand nichts an der Antwort auf die Vorlagefrage, die sich auf die Auslegung von Art. 45 Abs. 2 Buchst. d der Richtlinie 2004/18 bezieht, dessen Wortlaut eindeutig keine derartige Beschränkung vorsieht. Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass der Consiglio di Stato (Staatsrat) wiederholt festgestellt hat, dass der Wortlaut von Art. 38 Abs. 1 Buchst. f des CCP „den Wortlaut der Unionsvorschrift wiedergibt und folglich dazu führt, dass sämtliche beruflichen Verfehlungen relevant sind“ (Urteil der Fünften Abteilung vom 20. November 2015, Nr. 5299, erlassen in dem Rechtsmittelverfahren Nr. 7974/2012).

( 24 ) Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact (C‑465/11, EU:C:2012:801, Rn. 27, 30 und 31).

( 25 ) Der Gerichtshof hat im Urteil vom 11. Dezember 2014, Croce Amica One Italia (C‑440/13, EU:C:2014:2435), in Rn. 28 festgestellt, dass für eine schwere Verfehlung im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nicht erforderlich ist, dass der Wirtschaftsteilnehmer rechtskräftig verurteilt worden ist.

( 26 ) Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact (C‑465/11, EU:C:2012:801, Rn. 28).

( 27 ) Aus dem Urteil vom 13. Dezember 2012, Forposta und ABC Direct Contact (C‑465/11, EU:C:2012:801), Rn. 31, lässt sich ableiten, dass der automatische Ausschluss (eines Bieters, der für schwere Verfehlungen verantwortlich ist) das den Mitgliedstaaten in Art. 45 Abs. 2 der Richtlinie 2004/18 eingeräumte Ermessen überschreiten könnte.