Rechtssache T‑11/15
Internet Consulting GmbH
gegen
Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum
„Unionsmarke — Nichtigkeitsverfahren — Unionswortmarke SUEDTIROL — Art. 7 Abs. 1 Buchst. c und Art. 52 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung (EG) Nr. 207/2009 — Absolutes Eintragungshindernis — Geografische Herkunftsangabe — Beschreibender Charakter“
Leitsätze – Urteil des Gerichts (Vierte Kammer) vom 20. Juli 2016
Unionsmarke – Verzicht, Verfall und Nichtigkeit – Antrag auf Nichtigerklärung – Zulässigkeit – Voraussetzungen – Rechtsschutzinteresse
(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 5, 52 und 56 Abs. 1 Buchst. a, b und c)
Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die zur Bezeichnung der Merkmale einer Ware oder einer Dienstleistung dienen können – Beurteilung, ob ein Zeichen beschreibend ist – Geografische Bezeichnungen
(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c und 66 Abs. 2; Verordnung Nr. 2081/92 des Rates)
Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die zur Bezeichnung der Merkmale einer Ware oder einer Dienstleistung dienen können – Wortmarke SUEDTIROL
(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c)
Unionsmarke – Definition und Erwerb der Unionsmarke – Absolute Eintragungshindernisse – Marken, die ausschließlich aus Zeichen oder Angaben bestehen, die zur Bezeichnung der Merkmale einer Ware oder einer Dienstleistung dienen können – Zweck – Freihaltebedürfnis – Verbindung zwischen der geografischen Herkunftsangabe und den Waren oder Dienstleistungen – Umfang der Prüfung durch das EUIPO
(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c)
Unionsmarke – Wirkungen der Unionsmarke – Beschränkungen – Art. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 – Zweck – Verhältnis zu Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung
(Verordnung Nr. 207/2009 des Rates, Art. 7 Abs. 1 Buchst. c und Art. 12 Buchst. b)
Art. 5 der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke bestimmt allgemein die Personen, die Inhaber einer Unionsmarke sein können. Er stellt klar, dass „Inhaber von [Unions]marken … alle natürlichen oder juristischen Personen, einschließlich Körperschaften des öffentlichen Rechts sein [können]“.
Dem ist zu entnehmen, dass die Körperschaften des öffentlichen Rechts dort zur Veranschaulichung als Beispiel von juristischen Personen genannt werden, die Inhaber einer solchen Marke sein können, und dass diese berechtigt sind, ihre Rechte gemäß Art. 56 Abs. 1 Buchst. b und c der Verordnung Nr. 207/2009 wahrzunehmen. Dagegen gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass Art. 56 Abs. 1 Buchst. a dieser Verordnung, der sich im Unterschied zu deren Art. 5 darauf beschränkt, u. a. von „jeder natürlichen oder juristischen Person“ zu sprechen, dahin ausgelegt werden müsste, dass er die Körperschaften des öffentlichen Rechts nicht einbezieht. Die Verfalls- und Nichtigkeitsgründe und insbesondere die absoluten Nichtigkeitsgründe im Sinne des Art. 52 der Verordnung Nr. 207/2009 können nämlich von jeder Person unabhängig von ihrem privatrechtlichen oder öffentlich-rechtlichen Status geltend gemacht werden, weshalb auch Art. 56 Abs. 1 Buchst. a a. E. dieser Verordnung nur fordert, dass die fragliche Person „prozessfähig ist“. Daher kann das Fehlen einer ausdrücklichen Erwähnung der Körperschaften des öffentlichen Rechts in Art. 56 Abs. 1 Buchst. a der Verordnung Nr. 207/2009 nicht dahin ausgelegt werden, dass diese damit aus dem Geltungsbereich dieser Bestimmung ausgeschlossen werden sollen.
(vgl. Rn. 18, 19)
Aus der Rechtsprechung geht hervor, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke das im Allgemeininteresse liegende Ziel verfolgt, dass Zeichen oder Angaben, die die Waren- oder Dienstleistungsgruppen beschreiben, für die die Eintragung beantragt wird, von allen frei verwendet werden können. Diese Bestimmung erlaubt daher nicht, dass solche Zeichen oder Angaben aufgrund ihrer Eintragung als Marke einem einzigen Unternehmen vorbehalten werden.
Was genauer Zeichen oder Angaben betrifft, die zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der Warengruppen, für die die Eintragung der Marke beantragt wird, dienen können, vor allem die geografischen Namen, so besteht an ihrer Freihaltung ein Allgemeininteresse, das insbesondere darauf beruht, dass sie nicht nur gegebenenfalls die Qualität und andere Eigenschaften der betroffenen Warengruppen anzeigen, sondern auch die Vorlieben der Verbraucher in anderer Weise beeinflussen können, etwa dadurch, dass sie eine Verbindung zwischen den Waren und einem Ort herstellen, der positiv besetzte Vorstellungen hervorrufen kann. Diese Rechtsprechung ist auf Dienstleistungen übertragbar.
Außerdem ist darauf hinzuweisen, dass von der Eintragung als Marken zum einen geografische Namen ausgeschlossen sind, die bestimmte geografische Orte bezeichnen, die für die betroffene Waren- oder Dienstleistungsgruppe bereits berühmt oder bekannt sind und daher von den beteiligten Verkehrskreisen mit dieser Gruppe in Verbindung gebracht werden, und zum anderen geografische Namen, die von Unternehmen verwendet werden können und für diese als geografische Herkunftsangaben für die betreffende Waren- oder Dienstleistungsgruppe ebenfalls freigehalten werden müssen.
Hervorzuheben ist insoweit, dass der Unionsgesetzgeber abweichend von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 die Möglichkeit vorbehalten hat, Zeichen, die zur Bezeichnung der geografischen Herkunft dienen können, als Kollektivmarke gemäß Art. 66 Abs. 2 dieser Verordnung und, für bestimmte Waren, wenn sie die erforderlichen Voraussetzungen erfüllen, als geschützte geografische Herkunftsangaben oder Ursprungsbezeichnungen im Rahmen der Verordnung Nr. 2081/92 zum Schutz von geografischen Angaben und Ursprungsbezeichnungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel einzutragen.
Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 steht allerdings grundsätzlich nicht der Eintragung von geografischen Namen entgegen, die den beteiligten Verkehrskreisen nicht oder zumindest nicht als Bezeichnung eines geografischen Ortes bekannt sind. Gleiches gilt für Namen, bei denen es wegen der Eigenschaften des bezeichneten Ortes wenig wahrscheinlich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise annehmen könnten, dass die betreffende Waren- oder Dienstleistungsgruppe von diesem Ort stammt.
(vgl. Rn. 29-34)
Aus Sicht der maßgeblichen Verkehrskreise – den deutschsprachigen Verkehrskreisen in Italien und der Union sowie den italienischsprachigen Verkehrskreisen in Italien, die ein erhöhtes Maß an Aufmerksamkeit aufweisen – ist die Wortmarke SUEDTIROL, die für Dienstleistungen der Klassen 35 („Geschäftsführung, Unternehmensverwaltung, Büroarbeiten“), 39 („Verpackung und Lagerung von Waren“) und 42 („Wissenschaftliche und technologische Dienstleistungen und Forschungsarbeiten und diesbezügliche Designerdienstleistungen; Industrielle Analyse- und Forschungsdienstleistung; Entwurf und Entwicklung von Computerhardware und ‑software, Rechtsberatung und ‑vertretung“) des Abkommens von Nizza eingetragen ist, für die betreffenden Dienstleistungen beschreibend im Sinne von Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke.
Die Wortmarke SUEDTIROL wird nämlich von den maßgeblichen Verkehrskreisen nicht nur als Bezugnahme auf eine geografische Region, die positiv besetzte Vorstellungen hervorruft, aufgefasst, sondern in Anbetracht des Wohlstands und der dynamischen Entwicklung der Wirtschaft der besagten Region auch als Hinweis darauf, dass die mit ihr bezeichneten Dienstleistungen aus dieser Region stammen. Im Übrigen bieten zahlreiche in dieser Region ansässige Unternehmen tatsächlich gleichartige Dienstleistungen wie die mit der Marke SUEDTIROL bezeichneten Dienstleistungen an, so dass die maßgeblichen Verkehrskreise diese Marke, wenn solche Dienstleistungen unter ihr vermarktet werden, als Hinweis auf die Herkunft der Dienstleistungen wahrnehmen.
Im Übrigen weisen die von der streitigen Marke erfassten Dienstleistungen keinerlei besondere Eigenschaften auf, die die maßgeblichen Verkehrskreise dazu verleiten könnten, die geografische Angabe nicht mit der geografischen Herkunft dieser Dienstleistungen in Verbindung zu bringen. Daher ist davon auszugehen, dass Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 der Eintragung der in Rede stehenden geografischen Angabe, die den beteiligten Verkehrskreisen als Bezeichnung einer geografischen Region bekannt ist, entgegensteht, da es wahrscheinlich ist, dass die beteiligten Verkehrskreise annehmen könnten, dass die betroffenen Dienstleistungen aus dieser Region stammen.
(vgl. Rn. 38, 43, 48)
Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke soll verhindern, dass ein Wirtschaftsteilnehmer eine geografische Herkunftsangabe zum Nachteil seiner Mitbewerber monopolisiert. Auch wenn grundsätzlich die Beschwerdekammer die Relevanz der geografischen Herkunftsangabe für diese Wettbewerbsverhältnisse dadurch zu prüfen hat, dass sie die Verbindung zwischen dieser Herkunft und den für die angemeldete Marke beanspruchten Waren und Dienstleistungen untersucht, bevor sie diese Marke nach Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 von der Eintragung ausschließen darf, kann doch das Ausmaß dieser Verpflichtung nach Maßgabe mehrerer Faktoren wie etwa der Ausdehnung, dem Ruf oder der Art der fraglichen geografischen Herkunftsangabe unterschiedlich ausfallen. Die Wahrscheinlichkeit, dass eine geografische Herkunftsangabe die Wettbewerbsverhältnisse beeinflussen kann, ist nämlich hoch, wenn es sich um eine große Region handelt, die für die Qualität einer großen Bandbreite von Waren und Dienstleistungen bekannt ist, und gering, wenn es sich um einen ganz bestimmten Ort handelt, dessen Bekanntheit sich auf eine begrenzte Anzahl von Waren oder Dienstleistungen beschränkt
Bei einer bereits bekannten oder berühmten geografischen Herkunftsangabe kann sich das Amt der Europäischen Union für geistiges Eigentum auf die Feststellung des Bestehens einer Verbindung zwischen der Herkunft und den mit der streitigen Marke bezeichneten Dienstleistungen beschränken, anstatt das Vorliegen einer solchen Verbindung konkret zu prüfen.
(vgl. Rn. 44-46)
Art. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 über die Unionsmarke, der die Beschränkungen der Wirkungen der Marke betrifft, soll in Verbindung mit Art. 7 Abs. 1 Buchst. c dieser Verordnung insbesondere bei Marken, die nicht ausschließlich beschreibenden Charakter haben und deshalb nicht unter diese Vorschrift fallen, u. a. die Benutzung von Angaben über die geografische Herkunft, die auch Bestandteil einer komplexen Marke sind, wenn sie den anerkannten Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht, von dem Verbot ausnehmen, auf das sich der Inhaber einer solchen Marke auf der Grundlage von Art. 9 der Verordnung Nr. 207/2009 berufen könnte.
Gleichwohl steht der aus der Rechtsprechung folgende Grundsatz betreffend das Allgemeininteresse an der Freihaltung der geografischen Herkunftsangaben, das Art. 7 Abs. 1 Buchst. c der Verordnung Nr. 207/2009 zugrunde liegt und auch durch die in Art. 66 Abs. 2 dieser Verordnung vorgesehene Möglichkeit belegt wird, dass abweichend von dem besagten Art. 7 Abs. 1 Buchst. c Zeichen oder Angaben, die zur Bezeichnung der geografischen Herkunft der Waren dienen können, Kollektivmarken darstellen können, nicht in Widerspruch zu Art. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, der auch keinen ausschlaggebenden Einfluss auf die Auslegung von deren Art. 7 Abs. 1 Buchst. c hat. Art. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009, der u. a. die Problematik regeln soll, die sich stellt, wenn eine ganz oder zum Teil aus einem geografischen Namen bestehende Marke eingetragen worden ist, räumt nämlich Dritten nicht das Recht ein, einen solchen Namen als Marke zu verwenden, sondern beschränkt sich darauf, sicherzustellen, dass sie ihn beschreibend, d. h. als Angabe über die geografische Herkunft, benutzen dürfen, sofern die Benutzung den anerkannten Gepflogenheiten in Gewerbe oder Handel entspricht
Daher ist das Interesse an der Freihaltung der geografischen Herkunftsangaben durch den Regelungsgehalt von Art. 12 Buchst. b der Verordnung Nr. 207/2009 nicht hinreichend geschützt.
(vgl. Rn. 53-56)